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Eine tapfere Frau

Hie Kufa! Hie Damaskus! Das waren die beiden Partei- und Schlachtrufe, in welche die islamische Welt sich teilte. In Kufa forderte des Propheten Schwiegersohn Ali, ein tapferer Degen, aber schlechter Diplomat, die höchste Herrschaft im neu geschaffenen Reich, in Damaskus der Usurpator Muâwija. Jener erlag dem Dolch eines Mörders, dieser entging ihm und gewann nun die Oberhand, die Alleinherrschaft. Der Name Ali's wurde bei dem öffentlichen Freitagsgebet in den Moscheen verflucht, seine Anhänger wurden auf die Proskriptionsliste gesetzt und im ganzen Reiche verfolgt und getötet.

Zur Partei Ali's gehörte auch Amr Ibn Alhamik vom Stamm Chusäa, ein tapferer Mann, der den Propheten gekannt und dann auf Ali's Seite in allen seinen Schlachten gekämpft hatte. Von den damascenischen Häschern verfolgt, irrte er lange Zeit flüchtig von einem Ort zum anderen, wurde aber dann eines Tages in Mosul zu einer Zeit, als er an Wassersucht leidend, schwer darnieder lag, ergriffen und entdeckt. Der dortige Statthalter, ein Verwandter des Tyrannen von Damaskus, ließ ihn in einer Höhle gefangen setzen, nach längerer Zeit ermorden, und schickte dann seinen Kopf nach Damaskus zu Muâwija. Das war das erste abgeschnittene Haupt, das im Islam von einer Stadt zur anderen geschickt wurde.

Die Witwe des Ermordeten, Frau Amine, war, von ihrem Mann getrennt, schon lange Zeit in Damaskus gefangen gehalten worden. Als nun das Haupt ihres Gemahls dort angekommen war, ließ Muâwija es zu ihr in den Kerker bringen, indem er zu seinem Boten sprach: »Wirf ihr den Kopf in den Schoß und merk dir, was sie sagt.« Als sie es sah, stieß sie einen Schrei der Verzweiflung aus, neigte sich über das blutige Antlitz und küßte es. Dann rief sie: »Wehe! Wehe! Lange habt ihr ihn in schmachvoller Gefangenschaft gehalten und nun bringt ihr mir ihn gemordet. Ein Willkommen ihm, den ich liebe und niemals vergessen werde. Sag Muâwija in meinem Namen: Möge Gott deine Kinder zu Waisen machen, möge er dir deine Verwandten entfremden und dir im jüngsten Gericht nicht deine Sünden vergeben.«

Mit dieser Botschaft ging der Bote zu Muâwija zurück. Darauf ließ dieser die Frau aus den Kerker holen und empfing sie im Beisein mehrerer seiner Hofleute. Unter diesen befand sich Ijäs Ibn Schurachbïl, ein Mann, der wegen seiner dicken Zunge auf beiden Seiten des Mundes sehr stark hervorstehende Mundwinkel hatte. Muâwija herrschte sie nun an: »Du Feindin Allah's, hast du das gesagt, was der Bote mir berichtet hat?«

Frau Amine: »Jawohl, ich leugne es nicht und entschuldige mich dessen nicht. Ich habe mit Inbrunst zu Gott gebetet, daß er meinen Fluch erfülle, und werde ihn fernerhin darum bitten, wenn Gott will. Über allen Menschen steht Gott als oberster Richter.«

Als nun Muâwija ihr befahl, zu schweigen, nahm Ijäs Ibn Schurachbïl das Wort und sprach: »Laß sie doch töten. Sie verdient ebensosehr den Tod wie ihr Mann.«

Darauf sprach Frau Amine: »Was willst denn du da! Wehe dir«! Zwischen deinen Mundwinkeln sitzt ja etwas wie eine Kröte. Du reizest ihn, mich zu töten, wie er meinen Gemahl getötet hat. Sein Werk ist eitel Tyrannei.«

Über die Anspielung der Frau auf die zu großen Mundwinkel des Ijäs Ibn Schurachbïl lachte Muâwija und die ganze Hofgesellschaft, und Ijäs wurde über und über rot vor Verdruß. Muâwija machte nun der Szene ein Ende, indem er sprach: »Verlaß mich. Man soll mir nicht mehr melden, daß du noch in Syrien bist.«

Darauf die Frau: »Ich werde dich verlassen. Syrien ist nicht mein Vaterland, ich habe dort weder Verwandte noch Freunde, großes Unglück hat es mir gebracht. Ich kehre nie zu dir zurück, werde aber überall erzählen, was ich von dir denke.« Auf einen Wink von Muâwijas Hand wurde sie abgeführt. Er befahl dann, daß man ihr allerlei Schätze geben solle, in der Hoffnung und dem Wunsche, daß sie dann doch vielleicht Schweigen über ihn bewahren werde. Sie nahm einiges davon an und verließ sofort Damaskus in der Richtung nach Kufa, sollte es aber nicht mehr erreichen, denn als sie am dritten Reisetage nach Emesa kam, starb sie.


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