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Das Haupt auf der Schüssel

Ein Hofmann, der mehreren Kalifen gedient hatte, erzählte folgende Geschichte:

Seine Majestät der Kalif Mutass, ein Baufanatiker wie fast alle seine Vorgänger und Nachfolger, ließ auf dem Hofe eines seiner Paläste einen neuen Pavillon aufführen, dessen Plan seine eigene Mutter, die Kalifen-Witwe Kabïcha entworfen, und dessen Mauern und Dächer sie mit kostbarem Bildwerk hatte schmücken lassen, ein Bauwerk von solcher Pracht, dergleichen man niemals gesehen hatte. Nach Vollendung desselben lud der Kalif eines Tages die ganze Hofgesellschaft, unter ihnen auch mich, zu einem Feste ein. Wir verlebten dort die herrlichsten Stunden, die erlesensten Leckerbissen wurden umhergereicht, und hinter einem goldstrotzenden Vorhang, wo die Damen des Hofes versammelt waren, trug eine Sängerin ganz neue, herrliche Weisen vor.

Während nun so das Fest eine gewisse Höhe erreicht hatte, da sahen wir einen Diener in den Saal zu uns hereintreten. Er trug mit beiden Händen ein großes Tablett, auf dem ein hochgewölbter Deckel lag. Der Diener setzte das Tablett vor unseren Augen in die Mitte des Saales nieder. Allgemeine Stille. Nun nahm der Kalif seinen Trinkbecher zur Hand, leerte ihn bis auf den Grund, und wir, die geladenen Gäste alle, wir taten desgleichen. Dann befahl Majestät dem Diener: »Heb den Deckel auf.« Das tat der Diener, und siehe da! Auf dem Teller lag das abgeschnittene Haupt eines Menschen, den wir alle gekannt hatten, das Haupt seines Vetters und Vorgängers im Kalifat, des Mustaïn, der kurz vorher von den Garden abgesetzt und im geheimen ermordet war.

Entsetzt über diesen Anblick verlor ich die Fassung, fing an zu schluchzen und zu weinen. Als der Kalif das bemerkte, fuhr er mich wild an: »Was soll das heißen, du Hurensohn? Hast du etwa Mitleid mit dem da?« auf das blutige Haupt hinweisend. Sogleich erkannte ich meinen Fehler, riß mich zusammen und sprach: »Durchaus nicht etwa aus Mitleid, o Majestät, weinte ich, sondern nur weil ich ganz im allgemeinen an den Tod erinnert wurde.« Alsdann befahl der Kalif den Deckel wieder aufzusetzen und das Tablett fortzunehmen. Das geschah. Danach war es natürlich mit aller Feststimmung vorbei und die größte höfische Umgangskunst vermochte nicht das Entsetzen aus den blassen Gesichtern der Anwesenden zu bannen. In qualvollem Schweigen saßen wir da.

Plötzlich hörten wir einen heftigen Lärm hinter dem Vorhang in der Damen-Abteilung, der uns mit neuer Unruhe erfüllte. Wir hörten eine weibliche Stimme, welche jammerte und schrie, und eine zweite Stimme, welche die jammernde Person anfuhr und beschimpfte. Die erstere rief: »O ihr, mit Gewalt habt ihr mich hergeschleppt und jetzt bringt ihr das abgeschnittene Haupt meines heißgeliebten gütigen Herrn und werft es mir vor die Füße.« In demselben Moment hörten wir, wie dieser schreienden Person eine Leier heftig an den Kopf geschlagen wurde. Der Erzähler bemerkte hierzu: Später erfuhren wir, daß das Weib, die geschimpft und geschlagen hatte, Kabïcha die Mutter des Kalifen, und daß die beschimpfte und geschlagene Person eine Lieblingsfrau des ermordeten Kalifen gewesen war.

Der Erzähler fährt fort: In traurigster Verfassung gingen wir von diesem Hoffeste nach Hause, voll trüber Gedanken über solch blutiges Schicksal im Kalifenhause. Es dauerte nicht lange, da fielen die türkischen Prätorianer über den Kalifen Mutass her und ermordeten ihn. Sie hatten wieder und wieder Geld von ihm verlangt, bis er nichts mehr besaß. Seine Mutter Kabïcha hatte zahllose Millionen, wollte aber nichts hergeben. Und so erfüllte sich sein Schicksal.

Wiederum wurden wir zu Hofe befohlen und erblickten dort die Leiche unseres ermordeten Herrn, hingestreckt in demselben glänzenden Pavillon, in dem er uns das Haupt seines Vorgängers gezeigt hatte.


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