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Geschichte, welche der christliche Kaufmann erzählt.

»Herr, bevor ich die Geschichte beginne, welche Euer Majestät mir zu erzählen erlaubt, will ich, mit Eurer Vergünstigung, bemerken, daß ich nicht die Ehre habe, in Eurem Reiche geboren zu sein. Ich bin ein Ausländer, aus Kairo gebürtig, von dem Volke der Kopten und meines Glaubens ein Christ. Mein Vater war ein Makler und hatte ein prächtiges Vermögen erworben, welches er mir bei seinem Tode hinterließ. Ich folgte seinem Beispiele und trieb sein Gewerbe.

Als ich mich eines Tages in Kairo in dem öffentlichen Wohngebäude der Getreidehändler befand, redete mich ein sehr wohlgebildeter und wohlgekleideter junger auf einem Esel reitender Kaufmann an. Er grüßte mich, und indem er ein Tuch öffnete, in welchem sich eine Sesamprobe befand, fragte er mich: »Wieviel gilt das große Maß Sesam von dieser Güte?«

 

Einhundertunddreiunddreißigste Nacht.

Ich untersuchte den Sesam, welchen der junge Kaufmann mir zeigte, und erwiderte ihm, daß das große Maß nach dem laufenden Preise hundert Silberdrachmen gelte. »Geht zu den Kaufleuten,« sagte er zu mir, »die für diesen Preis welchen haben wollen, und kommt nach dem Siegestore, wo Ihr einen von jeder anderen Wohnung getrennten Chan sehen werdet; dort will ich Euch erwarten.«

Hierauf ritt er weiter und ließ mir die Sesamprobe, die ich mehreren Kaufleuten der Stadt zeigte, welche mir sagten, daß sie davon so viel nehmen wollten, als ich ihnen für hundertundzehn Silberdrachmen verschaffen würde; und durch diesen Preis wurde mir ein Gewinn von zehn Drachmen auf das Maß zuteil.

Durch diesen Gewinn gelockt, begab ich mich nach dem Siegestore, wo der Kaufmann mich erwartete. Er führte mich in sein Vorratshaus, welches mit Sesam angefüllt war. Es befanden sich darin fünfzig große Maß, welche ich messen, auf Esel laden ließ und sie dann für fünftausend Silberdrachmen kaufte.

»Von dieser Summe« sagte der junge Mann, »kommen Euch für das Maß zehn Drachmen, also fünfhundert Drachmen zu, die ich Euch bewillige; und da ich das übrige mir zukommende Geld nicht brauche, so mögt Ihr es Euch von den Kaufleuten auszahlen lassen und es mir aufheben, bis ich es Euch abfordern werde.« Ich antwortete ihm, daß es jederzeit für ihn bereit liegen würde, küßte ihm die Hand und entfernte mich, sehr vergnügt über seine Großmut.

Es währte einen Monat, ehe ich ihn wiedersah; nach Verlauf dieser Zeit erschien er jedoch. »Wo sind,« sagte er zu mir, »die viertausendfünfhundert Drachmen, die ich von Euch zu fordern habe?« – »Sie sind bereit,« erwiderte ich, »und ich werde sie Euch sogleich aufzählen.«

Da er auf seinem Esel saß, so bat ich ihn, abzusteigen und mir die Ehre zu erzeigen, vorher einen Imbiß mit mir zu sich zu nehmen. »Nein,« sagte er, »ich kann jetzt nicht absteigen, ich habe hier in der Nähe ein dringendes Geschäft; aber ich werde hierher zurückkehren und im Vorbeireiten mein Geld mitnehmen, welches ich Euch bereitzuhalten bitte.« Nach diesen Worten ritt er fort.

Ich erwartete ihn aber vergebens, und er kam erst nach Verlauf eines Monats wieder. »Der junge Kaufmann,« sagte ich zu mir selbst, »hat in der Tat ein großes Zutrauen zu mir, daß er, ohne mich näher zu kennen, eine Summe von viertausendfünfhundert Silberdrachmen in meinen Händen läßt! Ein anderer als er würde so nicht handeln, sondern befürchten, daß ich das Geld unterschlüge.«

Er kam zu Ende des dritten Monats, wieder auf seinem Esel reitend, aber viel prächtiger als sonst gekleidet.

 

Einhundertundvierunddreißigste Nacht.

Sobald ich den jungen Kaufmann erblickte, ging ich ihm entgegen, beschwor ihn abzusteigen und fragte ihn, ob ich ihm sein Geld nicht auszählen sollte. »Das hat keine Eile,« sagte er mit vergnügter und zufriedner Miene. »Ich weiß, daß es in guten Händen ist; ich werde es mir abholen, wenn ich mein anderes Geld ausgegeben und sonst keins mehr habe. Lebt wohl,« fügte er hinzu, »erwartet mich zu Ende der Woche.« Er gab hierauf seinem Esel einen Schlag mit der Peitsche, und ich verlor ihn bald aus dem Gesichte.

»Gut,« sagte ich zu mir selbst, »er sagt, ich soll ihn zu Ende der Woche erwarten, und seiner Rede nach werde ich ihn vielleicht in langer Zeit nicht wiedersehen. Ich will indessen sein Geld so benutzen, daß es mir einen Gewinn bringt.«

Ich betrog mich in meiner Vermutung nicht: das Jahr ging vorüber, ohne daß ich etwas von dem jungen Manne hörte. Am Ende des Jahres erschien er, ebenso reich gekleidet als das erstemal, aber es schien ihm etwas im Kopfe herumzugehen. Ich bat ihn, mir die Ehre zu erzeigen und bei mir einzutreten. »Das will ich diesmal wohl tun,« antwortete er, »aber nur unter der Bedingung, daß Ihr meinetwegen keine ungewöhnliche Ausgabe macht.« – »Ich werde nichts tun, als was Ihr wünscht; habt nur die Güte abzusteigen.« Er stieg ab und trat bei mir ein.

Ich gab Befehl zu dem Mahle, womit ich ihn bewirten wollte, und wir unterhielten uns, bis man auftrug. Als das Mahl bereit war, setzten wir uns zu Tische. Bei dem ersten Bissen bemerkte ich, daß er ihn mit der linken Hand nahm, und ich war verwundert, zu sehen, daß er sich der rechten gar nicht bediente. Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte. »Seit ich diesen Kaufmann kenne,« sagte ich zu mir selbst, »ist er mir immer sehr wohlgesittet vorgekommen, wäre es möglich, daß er sich aus Verachtung gegen mich so benimmt? Warum bedient er sich nicht seiner rechten Hand?«

 

Einhundertundfünfunddreißigste Nacht.

Der christliche Kaufmann war sehr neugierig, zu wissen, warum sein Gast nur mit der linken Hand aß. »Nach der Mahlzeit,« sagte er, »als meine Leute abgetragen und sich entfernt hatten, setzten wir uns alle beide auf ein Sofa. Ich bot dem jungen Mann ein treffliches Täfelchen Morselle an, welches er auch mit der linken Hand nahm. »Herr,« sagte ich nun zu ihm, »ich bitte Euch, mir die Freiheit zu verzeihen, die ich mir nehme, Euch zu fragen, woher es kommt, daß Ihr Euch nicht Eurer rechten Hand bedient; vermutlich habt Ihr irgend ein Übel daran?« Er stieß, anstatt mir zu antworten, einen tiefen Seufzer aus, und indem er seinen rechten Arm hervorzog, den er bis dahin unter seinem Kleide verborgen gehalten hatte, zeigte er mir, daß ihm die rechte Hand abgehauen war, worüber ich sehr erstaunt war. »Es hat Euch ohne Zweifel verletzt,« sagte er, »mich mit der linken Hand essen zu sehen; aber urteilt nun, ob ich anders kann.« – »Darf man Euch fragen,« versetzte ich, »durch welches Unglück Ihr Eure rechte Hand verloren habt?« Er vergoß Tränen bei dieser Frage, und nachdem er sie getrocknet hatte, erzählte er mir seine Geschichte, wie ich sie Euch jetzt erzählen werde:

»Ihr sollt wissen,« sagte er zu mir, »daß ich in Bagdad geboren und der Sohn eines reichen und durch Verdienst und Rang in dieser Stadt höchst ausgezeichneten Vaters bin. Kaum war ich unter die Leute gekommen, als ich von gereisten Personen, die ich besuchte, Wunderdinge von Ägypten und besonders von Groß-Kairo hörte, die mich in Erstaunen setzten und mir Lust zum Reisen machten; aber mein noch lebender Vater hätte mir dazu nicht die Erlaubnis gegeben. Endlich starb er, und da sein Tod mich zum Herrn meiner Handlungen machte, so beschloß ich, nach Kairo zu reisen. Ich verwendete eine sehr große Summe zum Ankaufe verschiedener Arten feiner Stoffe von Bagdad und Mossul und machte mich auf den Weg.

Bei meiner Ankunft in Kairo stieg ich in dem Chan ab, den man den Chan des Mesrur nennt; ich mietete daselbst eine Wohnung und ein Vorratshaus, in welches ich die Ballen legen ließ, die ich auf Kamelen mitgebracht hatte. Als dies geschehen war, begab ich mich in mein Zimmer, um mich auszuruhen und von den Beschwerden des Weges zu erholen, während meine Leute, denen ich Geld gegeben hatte, Lebensmittel einkauften und die Küche besorgten. Nach der Mahlzeit ging ich aus, um das Schloß, einige Moscheen, die öffentlichen Plätze und andere sehenswerte Orte zu besuchen.

Am folgenden Tag zog ich mich anständig an, und nachdem ich aus einigen meiner Ballen sehr schöne und sehr reiche Stoffe hatte nehmen lassen in der Absicht, sie nach einem Besasthan bringen zu lassen, um zu sehen, was man dafür bieten würde, so belud ich einen meiner Sklaven damit und ließ ihn nach dem Besasthan der Zirkassier bringen. Ich sah mich bald von einer Menge von Maklern und Ausrufern umgeben, die von meiner Ankunft benachrichtigt waren. Ich verteilte Stoffproben unter mehrere Ausrufer, welche sie in dem ganzen Besasthan ausrufen und vorzeigen sollten; aber alle Kaufleute boten weniger dafür, als sie mich durch Ankauf und die Kosten der Reise zu stehen kamen. Das verdroß mich, und als ich mich darüber gegen die Ausrufer beschwerte, sagten sie zu mir: »Wenn Ihr uns folgen wollt, so wollen wir Euch ein Mittel sagen, durch welches Ihr nichts an Euren Stoffen verlieren sollt ...«

 

Einhundertundsechsunddreißigste Nacht.

Der christliche Kaufmann fuhr, sich fortwährend an den Sultan von Kaschgar wendend, folgendermaßen fort:

»Da mir die Makler und die Ausrufer,« erzählte der junge Mann, »versprochen hatten, mir ein Mittel zu sagen, durch dessen Anwendung ich nichts an meinen Waren verlieren würde, so fragte ich sie, was ich denn tun sollte.« – »Sie an verschiedene Kaufleute verteilen,« versetzten sie, »sie werden sie im einzelnen verkaufen, und zweimal in der Woche, Montags und Donnerstags, werdet Ihr das dafür gelöste Geld erhalten. Dadurch werdet Ihr gewinnen, anstatt zu verlieren, und auch den Kaufleuten wird ein kleiner Gewinn zuteil werden. Unterdes habt Ihr die Freiheit, Euch zu ergötzen und in der Stadt und am Nil spazieren zu gehen.«

Ich folgte ihrem Rate, führte sie in mein Vorratshaus, aus welchem ich alle meine Waren nahm, und in den Besasthan zurückkehrend, verteilte ich sie unter verschiedene Kaufleute, welche mir einen von Zeugen unterschriebenen Empfangsschein gaben unter der Bedingung, daß ich ihnen den ersten Monat nichts abfordere.

Als nun meine Geschäfte auf solche Weise geordnet waren, hatte ich nichts im Kopfe als Ergötzlichkeiten. Ich befreundete mich mit verschiedenen Personen meines Alters, die für meinen Zeitvertreib sorgten. Nach Verlauf des ersten Monats begann ich, meine Kaufleute wöchentlich zweimal zu besuchen, und zwar in Begleitung eines öffentlichen Beamten, um ihr Verkaufsbuch zu prüfen, und eines Wechslers, um die Güte und den Wert der Geldsorten, die sie mir auszahlten, zu untersuchen. So brachte ich an den Zahlungstagen immer eine starke Summe in den Chan des Mesrur, in welchem ich wohnte. Das hinderte mich jedoch nicht, an den anderen Tagen der Woche bald zu dem, bald zu jenem Kaufmanne zu gehen, mich durch Unterhaltung mit ihnen zu ergötzen und zu sehen, was in dem Besasthan vorging.

Eines Montags, als ich eben in dem Laden eines Kaufmannes namens Bedreddin saß, trat eine Frau herein, die von Stande war, wie man es leicht an ihrem Wesen, ihrer Kleidung und einer sehr wohlgekleideten, sie begleitenden Sklavin sehen konnte. Sie setzte sich neben mich. Ihr Äußeres, mit einer natürlichen, aus allem ihren Tun hervorleuchtenden Anmut verbunden, nahm mich sehr für sie ein und erregte eine große Neigung in mir, sie näher kennenzulernen.

Ich weiß nicht, ob sie es bemerkte, daß ich sie mit Vergnügen betrachtete, und ob meine Aufmerksamkeit ihr nicht mißfiel; aber sie erhob den Kreppschleier, der ihr über das Gesicht und über den Musselinschleier, welcher es verbarg, herabhing, und ließ mich große schwarze Augen sehen, von denen ich bezaubert wurde. Was aber vollends dazu beitrug, mich verliebt in sie zu machen, war der Ton ihrer Stimme und das feine und anmutige Wesen, womit sie den Kaufmann grüßte und ihn fragte, wie er sich, seit sie ihn nicht gesehen, befunden hätte.

Nachdem sie sich eine Zeitlang mit ihm unterhalten hatte, sagte sie ihm, daß sie einen gewissen Stoff mit Goldgrund suchte; daß sie in seinen Laden, als in den am besten versehenen des ganzen Besasthans, käme, und daß er ihr den gewünschten Stoff, wenn er ihn vorrätig hätte, zeigen möchte. Bedreddin zeigte ihr mehrere Stücke, sie blieb bei dem einen, und als sie nach dem Preise fragte, ließ er es ihr für elfhundert Silberdrachmen. »Ich willige darein, Euch diese Summe zu geben,« sagte sie zu ihm; »ich habe zwar kein Geld bei mir, aber ich hoffe, daß Ihr mir bis morgen trauen und mir erlauben werdet, den Stoff mit mir zu nehmen; ich werde nicht unterlassen, Euch morgen dafür elfhundert Drachmen zu schicken.« – »Edle Frau,« erwiderte Bedreddin, »ich würde Euch mit Vergnügen trauen und Euch den Stoff mitgeben, wenn er mir gehörte; aber er gehört diesem wackern jungen Manne hier, und ich muß ihm heute das Geld dafür bezahlen.« – »Woher kommt es denn,« versetzte die Frau sehr erstaunt, »daß Ihr mich auf solche Weise behandelt? Komme ich nicht gewöhnlich in Euren Laden? Und sooft ich Stoffe gekauft habe und Ihr mir erlaubt habt, sie ohne augenblickliche Bezahlung mitzunehmen, habe ich jemals unterlassen, Euch gleich am folgenden Tage das Geld zu senden?« Der Kaufmann gab das zu. »Es ist wahr, edle Frau,« versetzte er; »aber ich muß heute Geld haben.« – »Nun denn, da habt Ihr Euren Stoff,« sagte sie, indem sie ihm denselben hinwarf. »Gott verderbe Euch und alles, was Kaufmann heißt! Ihr seid alle einer wie der andere, ihr habt für niemand Rücksichten.«

Nach diesen Worten stand sie schnell auf und entfernte sich, sehr erzürnt auf Bedreddin.«

 

Einhundertundsiebenunddreißigste Nacht.

Der christliche Kaufmann fuhr in seiner Erzählung fort: »Als ich sah,« sagte der junge Mann zu mir, »daß die Frau fortging, fühlte ich wohl, daß mein Herz großen Anteil an ihr nahm; ich rief sie demnach zurück und sagte zu ihr: »Edle Frau, erzeigt mir die Gnade, zurückzukehren, vielleicht finde ich ein Mittel, euch beide zu befriedigen.«

Sie kehrte um, indem sie mir sagte, daß es aus Liebe zu mir geschähe. »Herr Bedreddin,« sagte ich hierauf zum Kaufmann, »wie teuer sagt Ihr, daß Ihr diesen mir gehörigen Stoff verkaufen wollt?« – »Elfhundert Silberdrachmen,« sagte er; »für weniger kann ich ihn nicht lassen.« – »So gebt ihn nur dieser Dame,« versetzte ich, »und sie mag ihn mitnehmen. Ich gebe Euch hundert Drachmen Gewinn und eine Verschreibung, daß Ihr diese Summe auf meine anderen Waren entnehmen könnt.« Ich schrieb wirklich eine solche Anweisung, unterzeichnete sie und händigte sie dem Bedreddin ein.

Indem ich hierauf der Dame den Stoff übergab, sagte ich zu ihr: »Ihr könnt ihn mitnehmen, edle Frau, und was das Geld betrifft, so könnt Ihr mir es morgen oder an einem andern Tage schicken; oder wenn Ihr wollt, mache ich Euch auch ein Geschenk mit dem Stoffe.« – »So ist es nicht gemeint,« versetzte sie. »Ihr behandelt mich auf eine so artige und verbindliche Weise, daß ich unwürdig sein würde, mich vor den Menschen sehen zu lassen, wenn ich Euch nicht meine Erkenntlichkeit bezeigte. Möge Gott, um Euch dafür zu belohnen, Eure Güter mehren, Euch lange Zeit nach mir leben lassen, Euch nach Eurem Tode die Himmelspforte öffnen und die ganze Stadt Eure Großmut öffentlich bekanntmachen.«

Diese Worte flößten mir Dreistigkeit ein. »Edle Frau,« sagte ich zu ihr, »laßt mich zum Lohne der Euch erwiesenen Artigkeit Euer Antlitz schauen; dadurch werdet Ihr mich mit Wucher bezahlen.«

Bei diesen Worten wendete sie sich auf meine Seite, hob den Musselinschleier auf, der ihr das Gesicht bedeckte, und zeigte meinen Augen eine erstaunenswerte Schönheit. Ich war so überrascht davon, daß ich ihr nicht zu sagen vermochte, was ich davon dachte. Ich würde nicht müde geworden sein, sie zu betrachten; aber sie bedeckte sich schnell wieder das Gesicht aus Furcht, daß man es gewahren möchte; und nachdem sie den Kreppschleier hatte herabfallen lassen, nahm sie das Stück Goldstoff und entfernte sich aus dem Laden, in welchem sie mich in einem Zustande ließ, sehr verschieden von dem, in welchem ich hereingekommen war. Ich blieb lange Zeit in einer seltsamen Verwirrung und Unruhe. Ehe ich den Kaufmann verließ, fragte ich ihn, ob er die Dame kenne. »Ja,« gab er mir zur Antwort, »sie ist die Tochter eines Emirs, der ihr bei seinem Sterben unermeßliche Güter hinterlassen hat.«

Als ich in den Chan des Mesrur zurückgekehrt war, trugen mir meine Leute das Abendbrot auf; aber es war mir unmöglich, zu essen. Ebensowenig konnte ich in der Nacht, die mir die längste meines Lebens schien, ein Auge zutun.

Sobald es Tag wurde, stand ich in der Hoffnung auf, den Gegenstand, der meine Ruhe störte, wiederzusehen; und ihm zu gefallen, zog ich mich noch sorgfältiger an als am vergangenen Tage. Ich kehrte in Bedreddins Laden zurück.«

 

Einhundertundachtunddreißigste Nacht.

Der junge Mann aus Bagdad sagte, seine Abenteuer dem christlichen Kaufmann weiter erzählend: »Ich war noch nicht lange im Laden Bedreddins, als ich die Dame, von ihrer Sklavin begleitet und noch prächtiger gekleidet als am vergangenen Tage, kommen sah. Sie sah den Kaufmann gar nicht an und sagte zu mir, sich an mich allein wendend: »Herr, Ihr seht, daß ich mein gestern gegebenes Wort pünktlich halte. Ich komme ausdrücklich, um Euch die Summe zu bringen, für welche Ihr so gütig waret Euch, ohne daß Ihr mich kanntet, zu verbürgen; eine Großmut, die ich nie vergessen werde.« – »Edle Frau,« erwiderte ich ihr, »es war unnötig, Euch zu beeilen; ich war wegen des Geldes ganz unbesorgt, und es tut mir leid, daß Ihr Euch so bemüht habt.« – »Es wäre unrecht gewesen, Eure Artigkeit zu mißbrauchen.« Dies sagend, händigte sie mir das Geld ein und setzte sich neben mich.

Indem ich nun die Gelegenheit, mich mit ihr zu unterhalten, benutzte, redete ich zu ihr von der Liebe, die ich für sie fühlte; aber sie stand plötzlich auf und verließ mich, als ob sie über die ihr eben gemachte Erklärung sehr beleidigt wäre.

Ich folgte ihr mit den Augen, solange ich sie sehen konnte, und als ich sie nicht mehr sah, nahm ich Abschied von dem Kaufmann und ging aus dem Besasthan, ohne zu wissen, wohin.

Ich dachte über dieses Abenteuer nach, als ich mich von hinten gezogen fühlte. Ich drehte mich sogleich um, zu sehen, wer mich zöge, und ich gewahrte mit Vergnügen, daß es die Sklavin der Dame war, von welcher ich den Kopf voll hatte. »Meine Gebieterin,« sagte sie zu mir, »die junge Person, mit welcher Ihr in dem Laden eines Kaufmanns gesprochen habt, wünschte Euch wohl ein Wort zu sagen.«

Ich folgte ihr, und ich fand in der Tat ihre Gebieterin, die mich in dem Laden eines Wechslers, in welchem sie saß, erwartete.

Sie ließ mich neben sich sitzen und sagte zu mir: »Mein lieber Herr, seid nicht erstaunt darüber, daß ich Euch ein wenig ungestüm verließ; ich hielt es nicht für passend, Euch vor jenem Kaufmann auf das Geständnis der Empfindungen, welche ich Euch eingeflößt habe, günstig zu antworten. Aber weit entfernt, darüber beleidigt zu sein, gestehe ich, daß ich Euch mit Vergnügen zuhörte, und ich schätze mich unendlich glücklich, einen Mann von Euren Verdiensten zum Liebhaber zu haben. Ich weiß nicht, welchen Eindruck mein erster Anblick auf Euch gemacht hat; was aber mich betrifft, so kann ich Euch versichern, daß ich, sobald ich Euch nur sah, eine Neigung für Euch empfand. Seit gestern habe ich nur an die Dinge gedacht, die Ihr mir sagtet, und mein Eifer, Euch so zeitig aufzusuchen, muß Euch wohl beweisen, daß Ihr mir nicht mißfallt.« – »Verehrte Frau,« erwiderte ich, von Liebe und Wonne entzückt, »ich kann nichts Erfreulicheres hören, als was Ihr die Güte habt mir zu sagen. Es ist unmöglich, leidenschaftlicher zu lieben, als ich Euch liebe; seit dem glücklichen Augenblick, in welchem Ihr vor meinen Augen erschienet, waren sie von so vielen Reizen geblendet, und mein Herz ergab sich ohne Widerstand.« – »Verlieren wir keine Zeit mit unnützen Gesprächen,« unterbrach sie mich, »ich zweifle nicht an Eurer Aufrichtigkeit, und Ihr werdet bald von der meinigen überzeugt sein. Wollt Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, zu mir zu kommen; oder wünscht Ihr, daß ich zu Euch komme?« – »Edle Frau,« antwortete ich ihr, »ich bin ein Fremder und wohne in einem Chan; das ist kein schicklicher Ort, um eine Frau von Eurem Range und von Euren Verdiensten zu empfangen.

 

Einhundertundneununddreißigste Nacht.

Es ist passender, edle Frau,« fuhr der Kaufmann fort, »daß Ihr die Güte habt, mir Eure Wohnung anzuzeigen, ich werde mir dann die Ehre geben, Euch zu besuchen.« Die Dame willigte darein. »Übermorgen,« sagte sie, »ist Freitag; kommt an diesem Tage nach dem Mittagsgebet. Ich wohne in der Straße der Andacht. Ihr dürft nur nach dem Hause des Ahu Schamma mit Zunamen Berkur fragen, der einst das Oberhaupt der Emire war; dort werden wir uns finden.« Nach diesen Worten trennten wir uns, und ich brachte den folgenden Tag in großer Ungeduld zu.

Ich stand am Freitage sehr früh auf, zog mein schönstes Kleid an, steckte einen Beutel mit fünfzig Goldstücken zu mir und ritt auf einem Esel, den ich schon am vorigen Tage gemietet hatte, begleitet von dem Manne, dem er gehörte. Als wir in der Straße der Andacht angelangt waren, sagte ich zu dem Herrn des Esels, er möchte nach dem Hause fragen, welches ich suchte. Man zeigte es ihm, und er führte mich hin. Ich stieg an der Türe ab, bezahlte ihn gut und schickte ihn fort, indem ich ihm empfahl, sich das Haus, in welchem er mich ließ, gut zu merken und nicht zu unterlassen, mich am Morgen des folgenden Tages abzuholen, um mich in den Chan des Mesrur zurückzugeleiten.

Ich klopfte an die Türe, und alsbald öffneten sie zwei kleine Sklaven, welche weiß wie der Schnee und sehr sorgfältig gekleidet waren. »Habt die Güte einzutreten,« sagten sie zu mir, »unsere Gebieterin erwartet Euch mit Ungeduld. Seit zwei Tagen hörte sie nicht auf, von Euch zu reden.«

Ich trat in den Hof und sah ein großes, auf sieben Stufen erhöhtes Sommerhaus, von einem Gitter umgeben, durch welches es von einem Garten von bewundernswerter Schönheit getrennt war. Außer den Bäumen, welche nur zu seiner Verschönerung dienten, gab es eine Menge anderer mit den köstlichsten Früchten belasteter. Ich war von dem Gesang einer großen Anzahl Vögel bezaubert, deren Töne sich mit dem Plätschern eines Springbrunnens von bewundernswürdiger Höhe mischten, den man in der Mitte eines herrlichen Blumenflors gewahrte. Dieser Springbrunnen war sehr schön, man sah an den vier Ecken des Wasserbeckens vier vergoldete Drachen, welche kristallhelles Wasser in Überfluß ausspieen. Dieser reizvolle Ort gab mir einen hohen Begriff von der Eroberung, die ich gemacht hatte.

Die beiden kleinen Sklaven führten mich in einen prächtig eingerichteten Saal, und während der eine lief, um seiner Gebieterin meine Ankunft zu melden, blieb der andere bei mir und machte mich auf alle Schönheiten des Saales aufmerksam.«

 

Einhundertundvierzigste Nacht.

Der christliche Kaufmann fuhr auf folgende Weise fort, dem Sultan von Kaschgar zu erzählen:

»Ich brauchte nicht lange,« sagte der junge Mann zu mir, »in dem Saale zu warten; die Dame, welche ich liebte, trat bald, mit Perlen und Diamanten geschmückt, herein; aber sie glänzte noch mehr durch den Glanz ihrer Augen als durch den ihrer Edelsteine. Ihr Wuchs, welcher nun nicht mehr durch ihre Stadtkleidung verborgen war, schien mir der feinste und schönste von der Welt.

Ich erzähle Euch nichts von der Freude, die wir empfanden, uns wiederzusehen; denn ich würde sie nur schwach zu schildern vermögen. Ich sage Euch deshalb nur, daß wir uns nach den ersten Begrüßungen beide auf ein Sofa setzten, wo wir uns höchst angenehm unterhielten. Man trug uns hierauf die köstlichsten und ausgesuchtesten Speisen auf. Wir setzten uns zu Tische, und nach der Mahlzeit begannen wir uns, bis es Nacht wurde, zu unterhalten. Man brachte uns hierauf trefflichen Wein und Früchte, welche zum Trinken reizten, und wir tranken beim Klange der Instrumente, welche die Sklaven mit ihren Stimmen begleiteten. Die Dame vom Hause sang selbst und machte mich durch ihre zu Herzen dringenden Lieder vollends zum leidenschaftlichsten aller Liebhaber. Ich brachte hierauf die Nacht im Genuß aller Arten von Vergnügungen zu.

Nachdem ich am andern Morgen den mitgebrachten Beutel mit den fünfzig Goldstücken geschickt unter das Kopfkissen gesteckt hatte, sagte ich der Dame Lebewohl, die mich fragte, wann ich sie wieder besuchen würde. »Teuerste Frau,« erwiderte ich ihr, »ich verspreche Euch, diesen Abend wiederzukommen.« Sie schien höchlich über meine Antwort erfreut, geleitete mich an die Türe und beschwor mich, als wir uns trennten, mein Versprechen zu halten.

Derselbe Mann, der mich hingebracht hatte, erwartete mich mit seinem Esel. Ich bestieg ihn und kehrte in den Chan des Mesrur zurück. Als ich den Mann fortschickte, sagte ich ihm, daß ich ihn nicht bezahlte, damit er mich nachmittags zu der Stunde, die ich ihm bestimmte, abholen sollte.

Sobald ich nun wieder in meiner Wohnung war, war meine erste Sorge, ein gutes Lamm und mehrere Gattungen von Kuchen einkaufen zu lassen, die ich der Dame durch einen Träger schickte. Ich beschäftigte mich hierauf mit ernsten Angelegenheiten, bis der Herr des Esels angelangt war. Ich machte mich mit ihm auf den Weg und begab mich zu der Dame, die mich mit ebenso vieler Freude als an dem vergangenen Tage aufnahm und mich mit einem ebenso köstlichen Mahle, als das erste war, bewirtete.

Als ich am folgenden Tage von ihr ging, hinterließ ich ihr wieder einen Beutel mit fünfzig Goldstücken und kehrte in den Chan des Mesrur zurück.«

 

Einhundertundeinundvierzigste Nacht.

Der junge Mann aus Bagdad setzte mit folgenden Worten seine Erzählung fort: »Ich besuchte die Dame nun täglich und ließ jedesmal einen Beutel mit fünfzig Goldstücken bei ihr zurück. Das dauerte, bis die Kaufleute, denen ich meine Waren zum Verkaufe gegeben hatte, und die ich regelmäßig zweimal in jeder Woche besuchte, mir nichts mehr schuldig waren. Endlich sah ich mich nun ohne Geld und ohne Hoffnung, welches zu erhalten.

In diesem abscheulichen Zustand und mit dem Willen, mich meiner Verzweiflung zu überlassen, ging ich aus dem Chan, ohne zu wissen, was ich tat, und kam in die Nähe des Schlosses, woselbst eine große Anzahl von Personen versammelt war, um ein Schauspiel zu sehen, welches der Sultan von Ägypten gab. Als ich mich dort unter die Menge gemischt hatte, kam ich zufällig in die Nähe eines wohlberittenen und sehr sorgfältig gekleideten Reiters, an dessen Sattelbogen ein halboffner Sack hing, aus welchem eine Schnur von grüner Seide ragte. Indem ich die Hand auf den Sack legte, vermutete ich, daß die Schnur zu einem im Sacke befindlichen Beutel gehörte. Während ich dies bedachte, ging auf der andern Seite des Reiters ein mit Holz beladener Lastträger vorüber, und zwar so nahe, daß der Reiter sich abwenden mußte, um zu verhindern, daß das Holz sein Kleid nicht berührte und zerrisse. In diesem Augenblick versuchte mich der Satan, ich faßte die Schnur mit der einen Hand, und indem ich mit der anderen die Öffnung des Sackes zu erweitern versuchte, zog ich, ohne daß jemand es bemerkte, den Beutel heraus. Er war schwer, und ich bezweifelte nicht, daß Gold oder Silber darin enthalten wäre.

Der Reiter, dem ich wahrscheinlich wegen dessen, was ich tat, als er den Kopf von mir wegwendete, verdächtig vorkam, steckte, als der Lastträger sich vorbeigedrängt hatte, sogleich seine Hand in den Sack und gab mir, da er seinen Beutel nicht fand, einen so kräftigen Hieb mit seiner Streitaxt, daß er mich zur Erde warf.

Alle diejenigen, welche Zeugen dieser Gewalttat waren, fühlten sich dadurch ergriffen, und einige legten die Hand an den Zaum des Pferdes, um den Reiter aufzuhalten und ihn zu fragen, weshalb er mich geschlagen hätte, und ob es ihm erlaubt wäre, einen Muselmann auf solche Art zu mißhandeln. »Was habt ihr euch darein zu mischen?« antwortete er ihnen mit trotzigem Ton. »Ich habe es nicht ohne Ursache getan; denn er ist ein Dieb.«

Bei diesen Worten stand ich auf, und mein Äußeres bewog jedermann, sich meiner anzunehmen und zu schreien, er wäre ein Lügner, und es wäre nicht glaublich, daß ein junger Mann wie ich die schändliche Handlung, die er mir aufbürdete, begangen hätte. Kurz, sie blieben dabei, daß ich unschuldig wäre, und während sie sein Pferd anhielten, um meine Flucht zu begünstigen, kam der Polizeimeister mit seinem Gefolge eben des Weges; und da er um den Reiter und mich so viele Leute versammelt sah, so näherte er sich mir und fragte, was vorgefallen wäre. Es war unter den Gegenwärtigen niemand, der nicht den Reiter angeklagt hätte, mich unter dem Vorwande, daß ich ihn bestohlen, ungerechterweise mißhandelt zu haben.

Der Polizeimeister hielt sich nicht an das, was man sagte, und fragte den Reiter, ob er nicht einen andern als mich im Verdacht des Diebstahls hätte. Der Reiter antwortete mit Nein und sagte ihm die Ursache, die er hatte, zu glauben, daß er sich nicht irrte. Nachdem ihn der Polizeimeister angehört hatte, befahl er seinen Leuten, mich zu durchsuchen, was sie denn auch gleich taten, und einer von ihnen, der mir den Beutel abnahm, zeigte ihn öffentlich.

 

Einhundertundzweiundvierzigste Nacht.

Als der Polizeimeister den Beutel in seinen Händen hatte, fragte er den Reiter, ob er ihm gehörte, und wieviel er Geld hineingetan hatte. Der Reiter erkannte ihn für den gestohlenen und versicherte, daß er zwanzig Zechinen enthielte. Der Richter öffnete ihn, und nachdem er wirklich zwanzig Zechinen darin gefunden hatte, gab er ihn ihm zurück. Sogleich ließ er mich vor sich kommen. »Junger Mann,« sagte er, »gesteht mir die Wahrheit; habt Ihr den Beutel dieses Reiters genommen? Wartet nicht, bis ich Euch foltern lasse, um Euch zum Geständnis zu bringen.« Indem ich hierauf die Augen niederschlug, sagte ich zu mir selber: »Wenn ich auch die Sache leugne, so wird mich doch der Beutel, den man bei mir gefunden hat, für einen Lügner gelten lassen.« Um also eine doppelte Züchtigung zu vermeiden, erhob ich den Kopf und gestand, daß ich der Dieb wäre.

Kaum hatte ich dieses Geständnis gemacht, als der Polizeimeister, nachdem er Zeugen aufgerufen hatte, mir die Hand abzuhauen befahl. Der Urteilsspruch wurde auf der Stelle vollzogen, was das Mitleid aller Zuschauer erregte, und ich bemerkte sogar auf dem Gesicht des Reiters, daß er nicht weniger gerührt war als die andern. Der Polizeimeister wollte mir noch einen Fuß abhauen lassen; aber ich flehte den Reiter an, um Gnade für mich zu bitten; er tat es und erhielt Gewährung.

Als der Richter seines Weges gegangen war, nahte sich mir der Reiter. »Ich sehe wohl,« sagte er zu mir, indem er mir den Beutel darreichte, »daß die Notwendigkeit Euch zu einer so schändlichen und eines so wohlgebildeten jungen Mannes, wie Ihr seid, ganz unwürdigen Handlung getrieben hat; nehmt also hier diesen unheilbringenden Beutel, ich schenke ihn Euch, und das Euch widerfahrene Unglück tut mir sehr leid.«

Nach diesen Worten verließ er mich; und da ich durch das verlorene Blut sehr geschwächt war, so hatten einige wackere Leute aus dem Viertel die mitleidige Güte, mich in ihre Wohnung zu nehmen und mir ein Glas Wein zu trinken zu geben. Sie verbanden auch meinen Arm und hüllten meine Hand in ein linnenes Tuch. Ich nahm sie, sie an meinen Gürtel hängend, mit mir.

Wäre ich in diesem traurigen Zustande in den Chan des Mesrur zurückgekehrt, so würde ich dort nicht die nötige Hilfe gefunden haben. Es war auch sehr gewagt, mich der jungen Dame zu zeigen. »Vielleicht,« sagte ich, »wird sie mich nicht mehr sehen wollen, wenn sie meine Schande vernommen hat.« Ich unterließ jedoch nicht, dieses Teil zu ergreifen; damit aber die Leute, welche mich verfolgten, des Nachlaufens müde würden, so ging ich durch viele abgelegene Gassen und begab mich endlich zu der Dame, bei welcher ich so schwach und ermüdet ankam, daß ich mich auf das Sofa warf, den rechten Arm unter dem Kleide verbergend; denn ich hütete mich wohl, ihn sehen zu lassen.

Inzwischen eilte die von meiner Ankunft und von meinem Übelbefinden benachrichtigte Dame herbei und sagte zu mir, da sie mich so blaß und entstellt sah: »Was habt Ihr denn, liebste Seele?« Ich verstellte mich. »Es ist,« erwiderte ich, »ein heftiges Kopfweh, was mich quält.« Sie schien sehr betrübt darüber. »Setzt Euch,« fuhr sie fort (denn ich war aufgestanden, um sie zu empfangen). »Sagt mir, wie Euch das gekommen ist. Ihr befandet Euch das letztemal, als ich das Vergnügen hatte, Euch zu sehen, so wohl! Es ist Euch noch etwas, was Ihr mir verbergt. Sagt mir, was es ist.« Da ich stilleschwieg und statt der Antwort Tränen aus meinen Augen flossen, sagte sie: »Ich begreife nicht, was Euch betrüben kann. Sollte ich Euch unbewußt eine Veranlassung zur Betrübnis gegeben haben? Und kommt Ihr hierher, um mir zu sagen, daß Ihr mich nicht mehr liebt?« – »Das ist es nicht, meine Teuerste,« entgegnete ich ihr seufzend, »und ein so ungerechter Verdacht vermehrt mein Leiden noch.« Ich konnte mich nicht entschließen, ihr dessen wahre Ursache zu entdecken.

Als es Nacht geworden war, trug man das Abendessen auf. Sie bat mich zu essen; da ich mich aber nur der linken Hand bedienen konnte, so bat ich sie, mich dessen zu überheben, indem ich mich damit entschuldigte, daß ich keine Eßlust hätte. »Sie wird sich einfinden,« sagte sie, »sobald Ihr mir entdeckt, was Ihr mir mit so vieler Halsstarrigkeit verbergt. Eure Abneigung gegen das Essen kommt ohne Zweifel nur von der Mühe her, die Ihr Euch gebt, um Euch dazu zu zwingen.« – »Ach, meine Beste,« versetzte ich, »ich muß mich wohl dazu zwingen.« Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als sie mir zu trinken einschenkte, und indem sie mir die Schale reichte, sagte sie: »Trinkt, das wird Euch Mut einflößen!« Ich streckte also die linke Hand aus und nahm die Schale.

 

Einhundertunddreiundvierzigste Nacht.

Als ich die Schale in der Hand hatte,« erzählte der junge Mensch, »verdoppelten sich meine Tränen, und ich stieß neue Seufzer aus.« – »Was habt Ihr denn so bitter zu weinen und zu seufzen,« sagte hierauf die Dame, »und warum nehmt Ihr die Schale mit der linken Hand und nicht lieber mit der rechten?« – »Ach, meine Verehrteste,« antwortete ich ihr, »entschuldigt mich, ich beschwöre Euch, ich habe an der rechten Hand eine Geschwulst.« – »Zeigt mir diese Geschwulst,« sagte sie, »ich will sie aufstechen.« Ich entschuldigte mich, indem ich sagte, daß sie dazu noch nicht reif wäre, und ich leerte die sehr große Schale. Die Dünste des Weines und meine Ermüdung und Ermattung betäubten mich bald, und ich versank in einen tiefen Schlaf, welcher bis an den andern Tag dauerte.

Während ich schlief, hob die Dame, welche wissen wollte, was ich eigentlich an der rechten Hand hätte, mein Kleid empor, welches sie verbarg, und sah mit einem Erstaunen, das Ihr Euch denken könnt, daß sie abgehauen war, und daß ich sie in einem leinenen Tuche mitgebracht hatte. Sie begriff nun ohne Mühe, warum ich ihren dringenden Bitten so lange widerstanden hatte, und sie brachte die Nacht damit zu, sich über mein Unglück zu betrüben, indem sie nicht zweifelte, daß meine Liebe zu ihr es veranlaßt hätte.

Bei meinem Erwachen bemerkte ich wohl, daß sie von einem lebhaften Schmerz ergriffen war. Desungeachtet sagte sie mir, um mich nicht zu kränken, von nichts. Sie ließ mir eine Kraftbrühe von Geflügel auftragen, die man auf ihren Befehl für mich zubereitet hatte, und nötigte mich zum Essen und Trinken, damit ich, wie sie sagte, wieder zu den nötigen Kräften käme.

Ich wollte hierauf Abschied von ihr nehmen, aber sie hielt mich bei meinem Kleide zurück, indem sie mir sagte: »Ich werde nicht zugeben, daß Ihr Euch von hier entfernt. Obgleich Ihr mir nichts davon gesagt habt, so bin ich doch überzeugt, daß ich die Ursache des Unglücks bin, welches Ihr Euch zugezogen habt. Der Schmerz, den ich darüber empfinde, wird mich nicht lange leben lassen, aber ehe ich sterbe, muß ich ein Vorhaben ausführen, das ich zu Euren Gunsten gefaßt habe.«

Nach diesen Worten ließ sie einen Gerichtsbeamten und Zeugen holen und mir eine Schenkungsurkunde über alle ihre Güter ausfertigen. Nachdem sie alle ihre Leute für ihre Bemühungen belohnt und fortgeschickt hatte, öffnete sie einen großen Kasten, in welchem sich alle ihr seit dem Beginn unseres Liebesverhältnisses von mir geschenkten Beutel befanden. »Sie gehören Euch alle,« sagte sie zu mir, »ich habe keinen einzigen angerührt; hier habt Ihr den Kasten; schaltet damit nach Belieben.« Ich dankte ihr für ihre Großmut und für ihre Güte. Sie sagte hierauf: »Ich rechne das, was ich eben für Euch getan habe, für nichts, und ich werde erst dann ganz zufrieden sein, wenn ich sterbe, um Euch zu bezeugen, wie sehr ich Euch liebe.«

Ich beschwor sie bei allem, was die Liebe irgend vermag, einen so traurigen Entschluß aufzugeben; aber ich konnte sie nicht davon abbringen, und der Kummer, mich einhändig zu sehen, zog ihr eine Krankheit von fünf oder sechs Wochen zu, an welcher sie starb.

Nachdem ich ihren Tod pflichtschuldigst beweint hatte, setzte ich mich in den Besitz aller ihrer Güter, die sie mich kennen gelehrt hatte; und der Sesam, den Ihr Euch bemüht habt für mich zu verkaufen, machte einen Teil davon aus.«

 

Einhundertundvierundvierzigste Nacht.

Der junge Mann aus Bagdad beendigte auf solche Weise die Geschichte, die er dem christlichen Kaufmann erzählt hatte. »Das, was Ihr jetzt gehört habt,« fuhr er fort, »muß mich entschuldigen, daß ich bei Euch mit der linken Hand gegessen habe. Ich bin Euch übrigens für die Mühe, die Ihr Euch meinetwegen gegeben habt, sehr verbunden. Ich kann Euch für Eure Treue nicht erkenntlich genug sein; und da ich, so viel ich auch verschwendet habe, Gott sei Dank noch Vermögen genug besitze, so bitte ich Euch, die Summe, die ich von Euch zu fordern habe, als Geschenk anzunehmen. Außerdem habe ich Euch noch einen Vorschlag zu machen. Da ich nach dem, was ich Euch erzählt habe, nicht länger in Kairo bleiben kann, so bin ich entschlossen, abzureisen, um nie wieder hierher zu kommen. Wenn Ihr mir Gesellschaft leisten wollt, so wollen wir gemeinschaftlich Handel treiben und den dadurch erlangten Gewinn teilen.«

Als der junge Mann aus Bagdad mit seiner Geschichte zu Ende war,« sagte der christliche Kaufmann, »dankte ich ihm bestmöglichst für das mir gemachte Geschenk und nahm seinen Vorschlag, mit ihm zu reisen, sehr gern an, indem ich ihn versicherte, daß sein Vorteil mir immer ebenso am Herzen liegen würde als der meinige.

Wir setzten einen Tag zu unserer Abreise fest, und als er gekommen war, machten wir uns auf den Weg. Wir sind durch Syrien und Mesopotamien gereist, haben ganz Persien durchstrichen und sind endlich, nachdem wir uns in verschiedenen Städten aufgehalten haben, o Herr, in Eure Hauptstadt gekommen. Nach Verlauf einiger Zeit bezeigte mir der junge Mann sein Verlangen, nach Persien zurückzukehren und sich dort niederzulassen: wir berechneten uns miteinander und trennten uns mit gegenseitiger Zufriedenheit. Er reiste ab, und ich, Herr, bin in dieser Stadt geblieben, allwo ich die Ehre habe, in Eurer Majestät Diensten zu sein. Das ist die Geschichte, die ich Euch zu erzählen hatte; findet Ihr sie nicht erstaunenswerter als die des Buckligen?«

Der Sultan von Kaschgar geriet gegen den christlichen Kaufmann in Zorn. »Du bist sehr dreist,« sagte er zu ihm, »daß du es wagst, mir eine Geschichte zu erzählen, die meiner Aufmerksamkeit so wenig würdig ist, und sie der des Buckligen zu vergleichen. Kannst du dir schmeicheln, mich zu überzeugen, daß die faden Abenteuer eines jungen Wüstlings bewundernswerter sind als die meines Lustigmachers? Ich werde euch alle viere hängen lassen, um seinen Tod zu rächen.«

Bei diesen Worten warf sich der erschrockene Lieferant zu den Füßen des Sultans. »Herr,« sagte er, »ich bitte Euer Majestät inständigst, ihren gerechten Zorn noch zurückzuhalten, mich anzuhören und uns allen vieren Gnade widerfahren zu lassen, wenn die Geschichte, die ich Euer Majestät erzähle, schöner ist als die des Buckligen.« – »Ich bewillige deine Bitte,« sagte der Sultan; »rede!«

Der Lieferant nahm hierauf das Wort und begann:

 


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