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Zweite Reise Sindbads des Seefahrers nach Ceylon.

»Nach meiner ersten Reise, wie ich die Ehre hatte, euch gestern zu sagen, hatte ich den Entschluß gefaßt, den Überrest meiner Tage ruhig in Bagdad zuzubringen. Aber es währte nicht lange, so langweilte mich das müßige Leben; ich bekam wieder Lust, aufs neue über Meer zu reisen und zu handeln; ich kaufte Waren ein, die sich zu dem beabsichtigten Handel eigneten, und reiste zum zweitenmal mit Kaufleuten ab, deren Rechtlichkeit mir bekannt war. Wir schifften uns auf einem guten Fahrzeug ein, und nachdem wir uns Gott befohlen hatten, begannen wir unsere Seefahrt.

Wir schifften von Inseln zu Inseln und machten sehr vorteilhafte Tauschgeschäfte. Eines Tages landeten wir an einer dieser Inseln, die mit verschiedenen Gattungen von Fruchtbäumen bedeckt, übrigens aber so öde war, daß wir auf ihr weder Häuser noch Einwohner entdeckten. Wir gingen und schöpften Luft auf den Wiesen und längs der Bäche, welche sie bewässerten.

Während einige sich damit vergnügten, Blumen, andere, Früchte zu pflücken, nahm ich mir von dem mitgenommenen Mundvorrat und Wein und setzte mich an ein fließendes Wasser unter den schönen Schatten hoher Bäume. Ich hielt von dem, was ich hatte, eine ziemlich gute Mahlzeit, nach welcher der Schlaf sich meiner bemächtigte. Ich kann euch nicht sagen, wie lange ich schlief; aber als ich erwachte, sah ich das Schiff nicht mehr vor Anker.«

Hier war Scheherasade genötigt, ihre Erzählung zu unterbrechen, weil sie sah, daß der Tag anbrach; aber in der nächsten Nacht fuhr sie folgendermaßen in der Erzählung von Sindbads zweiter Reise fort:

 

Siebenundsiebenzigste Nacht.

»Ich war sehr erstaunt, das Schiff nicht mehr vor Anker zu sehen; ich stand auf, sah mich überall um und gewahrte keinen einzigen von den Kaufleuten, die mit mir ans Land gestiegen waren. Ich sah nur das Schiff in so weiter Ferne segeln, daß ich es bald nachher aus dem Gesichte verlor.

Ihr mögt euch die Betrachtungen denken, die ich in einem so traurigen Zustande anstellte. Ich meinte vor Schmerz zu vergehen, ich stieß ein schreckliches Geschrei aus, ich schlug mir vor die Brust und den Kopf und warf mich auf die Erde, wo ich lange Zeit in einer tödlichen Verwirrung trauriger Gedanken liegen blieb. Hundertmal warf ich mir vor, mich nicht mit meiner ersten Reise begnügt zu haben, die mir doch auf immer die Reiselust benommen haben sollte. Aber all mein Bedauern war unnütz und alle meine Reue unzeitig.

Endlich ergab ich mich in den Willen Gottes, und ohne zu wissen, was aus mir werden würde, stieg ich auf einen hohen Baum, von welchem ich mich nach allen Seiten umsah, ob nichts zu entdecken wäre, was mir einige Hoffnung geben könnte. Indem ich die Augen auf das Meer warf, sah ich nur Wasser und Himmel; da ich aber auf der Landseite etwas Weißes erblickte, stieg ich vom Baume herab und ging mit dem, was ich an Lebensmitteln übrig hatte, auf jenen Gegenstand zu, der so entfernt war, daß ich ihn nicht erkennen konnte.

Als ich nun in die gehörige Nähe kam, bemerkte ich, daß es eine weiße Kugel von wundersamem Umfang war. Sowie ich ihr ganz nahe kam, berührte ich sie und fand sie sehr sanft. Ich ging rund um sie herum, um zu sehen, ob sie keine Öffnung habe. Ich konnte keine entdecken, und sie war so glatt, daß es mir unmöglich schien, hinaufzusteigen. Sie konnte wohl fünfzig Schritte im Umkreis haben.

Die Sonne war eben im Begriff unterzugehen, da verfinsterte sich plötzlich der Himmel, als wenn er von einer dicken Wolke bedeckt würde. Wenn ich aber über diese Dunkelheit erstaunte, so erstaunte ich noch mehr, als ich sah, daß das, was sie verursachte, ein Vogel von außerordentlicher Größe war, der nach meiner Seite flog. Ich erinnerte mich eines Vogels, Roch genannt, von welchem ich die Matrosen oft hatte reden hören, und ich dachte mir, daß die große Kugel, die ich so bewundert hatte, ein Ei dieses Vogels sein müsse. In der Tat ließ er sich nieder und setzte sich darauf, um es auszubrüten. Als ich ihn kommen sah, drückte ich mich ganz nahe an das Ei, so daß ich einen der Füße des Vogels vor mir hatte, der so groß wie ein dicker Baumstamm war. Ich band mich daran fest mit der Leinwand, mit welcher mein Turban umwickelt war, in der Hoffnung, daß der Roch, wenn er den folgenden Tag davonflöge, mich aus dieser wüsten Insel forttrüge. In der Tat flog, nachdem ich die Nacht in diesem Zustande zugebracht hatte, mit Tagesanbruch der Vogel davon, entführte mich so hoch, daß ich die Erde nicht mehr sah, und stürzte sich hierauf plötzlich mit solcher Schnelle herab, daß ich die Besinnung verlor. Als der Roch sich niedergelassen hatte und ich mich auf der Erde sah, knüpfte ich schnell den Knoten auf, der mich an seinen Fuß befestigte. Kaum hatt' ich mich losgemacht, so hieb er mit dem Schnabel nach einer Schlange von unerhörter Länge. Er packte sie und flog sogleich davon.

Der Ort, an welchem er mich ließ, war ein sehr tiefes Tal, von allen Seiten mit so hohen und so steilen Bergen umgeben, daß sie sich in die Wolken verloren und es keinen Pfad gab, sie zu besteigen. Das war eine neue Verlegenheit für mich, und wenn ich diesen Ort mit der wüsten Insel verglich, die ich eben verlassen hatte, so fand ich bei dem Tausche keinen Gewinn.

In diesem Tal umhergehend, bemerkte ich, daß es mit Diamanten von erstaunlicher Größe besät war. Ich ergötzte mich sehr, sie zu betrachten; aber bald sah ich in der Ferne Gegenstände, welche dieses Ergötzen sehr verringerten, und die ich nicht ohne Schrecken sehen konnte. Es war eine große Anzahl Schlangen von solcher Dicke und Länge, daß sich keine unter ihnen befand, die nicht einen Elefanten verschluckt hätte. Sie zogen sich den Tag über in ihre Höhlen zurück, wo sie sich vor dem Roch, ihrem Feinde, verbargen, und kamen nur des Nachts zum Vorschein.

Ich brachte den Tag damit zu, im Tal umherzugehen und mich von Zeit zu Zeit an den bequemsten Stellen auszuruhen. Inzwischen ging die Sonne unter, und bei Anbruch der Nacht ging ich in eine Höhle, in der ich sicher zu sein glaubte. Ich versperrte ihren engen und niedrigen Eingang mit einem Stein, der groß genug war, um mich vor den Schlangen zu sichern, der aber doch nicht so dicht schloß, um nicht einiges Licht einzulassen. Ich aß zum Abendbrot einen Teil meines Mundvorrats bei dem Geräusch der Schlangen, welche nun zu erscheinen begannen. Ihr schreckliches Gezisch jagte mir eine ungeheure Furcht ein und erlaubte mir nicht – wie ihr's euch wohl denken könnt – die Nacht sehr ruhig zuzubringen. Bei Anbruch des Tages entfernten sich die Schlangen; ich trat nun zitternd aus meiner Höhle, und ich kann sagen, daß ich eine lange Zeit auf Diamanten ging, ohne die mindeste Lust dazu zu verspüren. Endlich setzt' ich mich nieder, und trotz der Unruhe, die mich bewegte, da ich die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, entschlief ich nach nochmals von meinem Vorrat eingenommener Mahlzeit. Aber kaum war ich entschlummert, als etwas in meiner Nähe mit großem Geräusch niederfiel und mich erweckte. Es war ein großes Stück frisches Fleisch, und in demselben Augenblick sah ich mehrere andere an verschiedenen Orten von den Felsen herabrollen.

Ich hatte immer für ein zur Lust ersonnenes Märchen gehalten, was ich von Matrosen und anderen Personen von dem Tale der Diamanten und von der Geschicklichkeit erzählen hörte, deren sich mehrere Kaufleute bedienten, um diese kostbaren Steine daher zu bekommen; nun sah ich wohl, daß sie mir die Wahrheit gesagt hatten. In der Tat begeben sich diese Kaufleute in die Nähe dieses Tals zu der Zeit, wenn die Adler Junge haben. Sie zerschneiden Fleisch in große Stücke, die sie dann in das Tal werfen, und woran die Diamanten, auf deren Spitze die Stücke fallen, nun festkleben. Die Adler, welche in diesem Lande stärker sind als anderswo, stürzen sich auf die Stücke Fleisch und tragen sie durch die Luft auf die Höhe der Felsen in ihre dort befindlichen Nester zum Futter für ihre Jungen. Hierauf nötigen die Kaufleute, die zu den Nestern laufen, durch ihr Geschrei die Adler, sich zu entfernen, und nehmen die am Fleisch klebenden Diamanten. Sie bedienen sich dieser List, weil es kein anderes Mittel gibt, die Diamanten aus diesem Tal zu bekommen, da es ein Abgrund ist, in den man nicht hinabsteigen kann.

Ich hatte bis dahin geglaubt, daß es mir nicht möglich sein würde, aus diesem Abgrund herauszukommen, den ich wie mein Grab ansah: nun aber änderte ich meine Meinung, und was ich eben gesehen hatte, gab mir Veranlassung, das Mittel zur Erhaltung meines Lebens zu ersinnen ...«

Der bei diesen Worten anbrechende Tag legte Scheherasaden Stillschweigen auf, aber sie setzte in der folgenden Nacht diese Erzählung fort.

 

Achtundsiebenzigste Nacht.

»Herr,« sagte sie, indem sie sich immer an den Sultan von Indien wandte, »Sindbad erzählte der ihm zuhörenden Gesellschaft die Abenteuer seiner zweiten Reise auf folgende Weise weiter: »Ich fing nun an,« sagte er, »die größten Diamanten, die sich meinen Augen darboten, aufzusammeln, und ich füllte damit den ledernen Sack, der mir zur Aufbewahrung meines Mundvorrats gedient hatte. Ich nahm hierauf dasjenige Stück Fleisch, welches mir das längste schien, band es mit der Leinwand meines Turbans fest um meinen Leib und legte mich nun in diesem Zustand auf den Bauch, nachdem ich den ledernen Beutel so fest an meinen Gürtel gebunden hatte, daß er nicht herabfallen konnte.

Kaum war ich in dieser Lage, als die Adler kamen und jeder sich eines Stückes Fleisch bemächtigte, das er davontrug. Einer der stärksten, der mich ebenso mit dem Stück Fleisch, welches ich mir angebunden hatte, emporhob, trug mich auf die Höhe des Berges bis in sein Nest. Die Kaufleute schrieen nun, um die Adler zu verscheuchen, und nachdem sie sie genötigt hatten, ihre Beute zu lassen, näherte sich mir einer, wurde aber von Furcht befallen, als er mich sah. Er faßte sich jedoch, und statt sich zu erkundigen, durch welches Abenteuer ich mich dort befand, fing er an, mit mir zu zanken, indem er mich fragte, warum ich ihn seines Gutes beraube. »Wenn Ihr mich besser kennengelernt habt,« sagte ich zu ihm, »so werdet Ihr menschlicher mit mir sprechen. Tröstet Euch,« fügte ich hinzu, »ich habe Diamanten für Euch und mich, mehr, als alle die anderen Kaufleute zusammen haben können. Wenn sie welche haben, so haben sie sie nur durch Zufall; ich aber habe im Talgrunde selbst diejenigen ausgewählt, die ich hier in diesem Beutel mitbringe.« Indem ich dieses sagte, zeigte ich ihm denselben. Ich hatte noch nicht aufgehört zu reden, als die andern Kaufleute sich um mich her versammelten, sehr erstaunt, mich zu sehen. Ich vermehrte ihr Erstaunen durch die Erzählung meiner Geschichte. Sie bewunderten weit weniger die Erfindung meiner List als die Dreistigkeit, sie auszuführen.

Sie führten mich in ihre gemeinschaftliche Wohnung, und als ich dort meinen Beutel in ihrer Gegenwart öffnete, überraschte sie die Größe meiner Diamanten, und sie gestanden mir, daß sie an allen Höfen, wo sie gewesen wären, nicht einen einzigen ähnlichen gesehen hätten. Ich bat den Kaufmann, dem das Nest gehörte, in welches mich der Adler getragen hatte (denn jeder Kaufmann hatte das seinige), ich bat ihn, sag' ich, sich so viel Diamanten auszuwählen, als ihm beliebte. Er begnügte sich damit, einen einzigen und noch dazu einen von den minder großen zu nehmen, und da ich in ihn drang, er möge mir doch vergönnen, ihm noch mehrere zu geben, und nicht befürchten, mir dadurch unrecht zu tun, erwiderte er mir: »Nein, ich bin mit diesem einen vollkommen zufrieden, denn er ist kostbar genug, um mir von nun an die Mühe zu ersparen, andre Reisen zur Begründung meines kleinen Glücksstandes zu machen.«

Ich brachte die Nacht mit den Kaufleuten zu, denen ich meine Geschichte zum zweitenmal erzählte, um denjenigen Genüge zu leisten, die sie noch nicht gehört hatten. Ich konnte meine Freude nicht mäßigen, wenn ich bedachte, daß ich den Gefahren, wovon ich euch erzählt habe, entgangen wäre. Der Zustand, in welchem ich mich befand, schien mir ein Traum zu sein, und ich konnte gar nicht glauben, daß ich nichts mehr zu befürchten hätte.

Die Kaufleute hatten nun schon mehrere Tage lang Fleisch in das Tal geworfen, und da jeder mit den ihm zugefallenen Diamanten zufrieden war, reisten wir am andern Tage alle miteinander ab und gingen über hohe Berge, auf welchen es Schlangen von wundersamer Größe gab, denen wir glücklich entkamen. Wir erreichten den ersten Hafen, von wo wir nach der Insel Riha schifften, auf welcher der Baum wächst, woraus man den Kampfer erhält, und der so dick und belaubt ist, daß sich in seinem Schatten hundert Menschen mit Bequemlichkeit aufhalten können. Der Saft, aus welchem sich der Kampfer bildet, fließt aus einer oben am Baum gemachten Öffnung und wird in einem Gefäß aufgefangen, in welchem er gerinnt und zu dem wird, was man Kampfer nennt. Wenn ihm der Saft auf diese Weise entzogen ist, so vertrocknet der Baum und stirbt ab.

Auf derselben Insel gibt es Nashörner, Tiere, welche kleiner als der Elefant und größer als der Büffel sind und auf der Nase ein Horn haben, das ungefähr eine Elle lang ist. Dieses Horn ist dicht und in der Mitte von einem Ende zum andern durchschnitten. Man sieht auf ihm weiße Züge, welche die Gestalt eines Menschen darstellen. Das Nashorn kämpft mit dem Elefanten, stößt ihm sein Horn in den Bauch, hebt ihn empor und trägt ihn auf seinem Kopfe; da ihm aber das Blut und das Fett über die Augen rinnen und es blind machen, so fällt es auf die Erde; und – was euch in Erstaunen setzen wird – der Roch kommt, packt beide mit seinen Klauen und fliegt mit ihnen davon, seine Jungen zu füttern.

Ich übergehe mehrere andere Merkwürdigkeiten dieser Insel mit Stillschweigen, weil ich euch zu langweilen befürchte. Ich tauschte daselbst gute Handelswaren gegen einige Diamanten ein. Von dort schifften wir nach andern Inseln, und nachdem wir endlich mehrere Handelsstädte des festen Landes berührt hatten, landeten wir in Balsora, von wo ich mich nach Bagdad begab. Ich teilte dort bedeutende Almosen unter die Armen aus und genoß auf eine ehrenvolle Weise den Überrest meiner großen Reichtümer, die ich mit so vielen Beschwerden erworben und hingebracht hatte.«

So erzählte Sindbad seine zweite Reise. Er ließ dem Hindbad wieder hundert Zechinen geben und lud ihn auf den andern Tag ein, um den Bericht von seiner dritten Reise zu hören. Die Gäste gingen nach Hause und kamen am folgenden Tage zu derselben Stunde wieder, ebenso wie der Lastträger, der sein vergangenes Elend schon vergessen hatte. Man setzte sich zu Tisch, und als die Mahlzeit zu Ende war, bat Sindbad um Gehör und erzählte auf folgende Art seine dritte Reise:

 


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