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Bild: Hans Tegner

Die Hirtin und der Schornsteinfeger

Hast du wohl schon einmal einen recht altmodischen Schrank gesehen, ganz schwarz vor Alter und mit geschnitzten Schnörkeln und Laubwerk? Siehst du, solch einer stand in der Wohnstube. Es war nämlich ein Erbstück aus den Zeiten der Urgroßmutter, mit kunstvollem Schnitzwerk von oben bis unten bedeckt, mit Rosen und Tulipanen und sonderbaren Schnörkeln, aus denen kleine Hirschköpfe mit vielen zackigen Geweihen hervorsahen. Aber mitten auf dem Schrank war ein ganzer Mann ausgeschnitzt, der sehr lächerlich aussah, und er lachte auch wirklich, oder besser gesagt, er grinste; denn Lachen konnte man das wohl nicht nennen. Dazu hatte er Bocksbeine, kleine Hörner an der Stirn und einen langen Bart. Die Kinder vom Hause nannten ihn immer den bocksbeinigen Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeanten, denn dieser Titel ist stets schwer auszusprechen, und nicht viele Leute bekommen ihn, und um einen solchen auszuschnitzen, brauchte es viel Aufwand von Kunst und Mühe. Aber hier war das Meisterwerk vollendet, und hier stand er. Fortwährend starrte er auf den Tisch unter dem Spiegel, denn dort stand eine niedliche kleine Hirtin aus Porzellan. Sie hatte vergoldete Schuhe, und ihr Rock war mit einer Rose anmutig aufgesteckt. Außerdem hatte sie einen goldenen Hut und einen Hirtenstab; sie war wirklich ganz reizend. Dicht neben ihr befand sich ein kleiner, kohlschwarzer Schornsteinfeger, auch aus Porzellan. Er war ebenso hübsch und rein wie jeder andere; daß er einen Schornsteinfeger vorstellte, daran war nur der Porzellanfabrikant schuld. Der hätte ebensogut einen Prinzen aus ihm machen können; das wäre ganz einerlei gewesen. Gar niedlich stand er da mit seiner Leiter und mit einem wahren Mädchengesichtchen wie Milch und Blut; aber das war eigentlich ein Fehler; denn ein wenig schwarz hätte er schon sein können. Sein Platz war dicht neben der Hirtin, und da sie nun schon einmal nebeneinander standen, hatten sie sich verlobt und fanden, daß sie recht gut für einander paßten. Sie waren beide jung, beide aus dem gleichen Porzellan angefertigt und beide gleich zerbrechlich.

Neben ihnen stand noch eine andere Figur, die aber dreimal so groß war als unser Pärchen. Sie stellte einen alten Chinesen vor, der nicken konnte. Er war auch aus Porzellan und behauptete, er sei der Großvater der kleinen Hirtin, was er freilich nicht beweisen konnte. Er behauptete auch, er besitze Gewalt über sie, und deshalb hatte er dem bockbeinigen Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeanten, der sich um die kleine Hirtin bewarb, sein Jawort zugenickt.

»Da bekommst du einen rechten Mann«, sagte der alte Chinese. »Ich glaube beinahe, er ist aus Mahagoniholz und kann dich zur Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeantin machen. Er hat den ganzen Schrank voll Silberzeug, von dem, was sich in den geheimen Fächern befindet, gar nicht zu reden.«

»Ich will aber nicht in den dunklen Schrank hinein!« seufzte die kleine Hirtin. »Ich habe gehört, er habe schon elf Porzellanfrauen darin.«

»Dann kannst du die zwölfte werden; sobald es heute nacht in dem alten Schrank knackt, wird die Hochzeit gefeiert, so wahr ich ein Chinese bin!« sagte der alte Chinese. Dabei nickte er mit dem Kopf und schlief ein.

Aber die Hirtin weinte und sah ihren Herzallerliebsten, den Porzellanschornsteinfeger, kummervoll an. »Ach, ich bitte dich von ganzem Herzen«, flehte sie, »zieh mit mir in die weite Welt hinaus, denn hier können wir nicht bleiben!«

»Ich will alles tun, was du willst«, sagte der kleine Schornsteinfeger. »Wir wollen auch gleich aufbrechen. Ich bin fest überzeugt, daß ich dich mit meinem Beruf gut ernähren kann.«

»Wären wir nur erst von dem Tisch herunter!« seufzte sie. »Ich bin nicht ruhig, ehe wir draußen in der weiten Welt sind.«

Er aber tröstete sie, so gut er konnte, und zeigte ihr, wie sie ihre Füßchen auf die geschnitzten Kanten und das vergoldete Laubwerk rings um den Tischfuß setzen sollte. Er nahm auch sein Leiterchen noch zur Hilfe, und so gelangten sie auf den Fußboden. Als sie aber nun nach dem alten Schrank hinschauten, bot sich ihnen ein merkwürdiger Anblick dar. Alle die geschnitzten Hirsche streckten die Köpfe weit vor, erhoben die Geweihe und verdrehten die Hälse. Der bockbeinige Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeant sprang zornig in die Höhe und rief dem alten Chinesen zu: »Sie laufen davon, sie laufen davon!« Entsetzen ergriff die beiden Flüchtlinge, und eilig sprangen sie in das Schubfach des Fenstertritts. Hier lagen drei oder vier Spiele Karten, die aber unvollständig waren, sowie ein kleines Puppentheater, das, so gut es eben hier ging, aufgestellt war. Es wurde auch gerade darin gespielt, und alle die Damen aus den Kartenspielen, Karreau-, Herz-, Treff- und Pikdame, saßen in der ersten Reihe und fächelten sich mit ihren Tulipanen frische Luft zu. Hinter ihnen standen die Buben und zeigten, daß sie oben und unten einen Kopf hatten, wie dies ja bei den Spielkarten immer ist. Das Stück handelte von zwei Liebenden, die sich nicht bekommen sollten, und dabei weinte die kleine Hirtin bitterlich; denn es war ja wie ihre eigene Geschichte.

»Das kann ich nicht aushalten; ich muß aus dem Schubfach hinaus!« rief sie. Als sie aber wieder auf dem Boden standen und nach dem Tisch hinaufschauten, da war der alte Chinese erwacht und schwankte mit dem ganzen Oberkörper, denn seine Beine bestanden nur aus einem Klumpen.

»O weh, der alte Chinese kommt!« schrie die kleine Hirtin und sank verzweiflungsvoll auf ihre Porzellanknie.

»Mir kommt ein Gedanke«, sagte der Schornsteinfeger. »Komm, wir wollen in den Topf mit Räucherpulver dort in der Ecke kriechen; dort liegen wir auf Rosen und Lavendel und können dem alten Chinesen, sobald er sich nähert, Sand in die Augen streuen.«

Bild: Hans Tegner

»Das nützt nichts«, entgegnete sie. »Außerdem weiß ich auch, daß der alte Chinese und jenes Gefäß einmal miteinander verlobt gewesen sind, und ›Alte Liebe rostet nicht‹ heißt es im Sprichwort. Nein, es bleibt uns nichts übrig, als in die weite Welt hinauszugehen.«

»Hast du wirklich Mut, mit mir in die weite Welt hinauszuziehen?« fragte der Schornsteinfeger. »Hast du bedacht, wie groß sie ist, und daß wir dann nie wieder hierher zurückkehren können?«

»Ja, das habe ich«, antwortete sie bestimmt.

Der Schornsteinfeger sah sie nachdenklich an und sagte dann: »Mein Weg geht durch den Schornstein. Hast du wirklich Mut, mit mir durch den Ofen sowie auch durch die Röhre hindurch zu kriechen? Dann gelangen wir in den Schornstein, und von dort ist es für mich nur noch eine Kleinigkeit. Wir steigen dann so hoch, daß man uns nicht mehr erreichen kann, und ganz oben kommen wir durch ein Loch in die weite Welt hinaus.«

Damit führte er sie an die Ofentür.

»Es sieht freilich sehr schwarz darin aus«, sagte sie, ging aber doch mit ihm durch den Ofen sowie durch die Röhre, wo stockfinstere Nacht sie umgab.

»Jetzt sind wir schon im Schornstein«, sagte er, »und sieh! über uns funkelt ein wunderschöner Stern!« Und wirklich schien ein Stern, gerade als ob er ihnen den Weg zeigen wollte, durch den Schornstein auf sie herunter. Sie krochen und krochen auf einem unheimlichen Weg höher und immer höher. Er half ihr, hob und schob sie, hielt sie und zeigte ihr die besten Stellen, wohin sie ihre Porzellanfüßchen setzen konnte. Und so gelangten sie allmählich bis zum Schornsteinrand empor. Hier setzten sie sich nieder, denn sie waren alle beide schrecklich müde, was auch gar nicht zu verwundern ist. Nun hatten sie den weiten Himmel mit all seinen Sternen über sich, und unter ihnen ragten die Dächer der Stadt empor. Sie konnten weit umherschauen, ja, weit in die Gotteswelt hinein. Aber so groß hatte sich die arme Hirtin die Welt nicht gedacht gehabt; sie lehnte ihr Köpfchen an ihren Schornsteinfeger und weinte so bitterlich, daß das Gold von ihrem Gürtel weggewaschen wurde.

Bild: Hans Tegner

»O, das ist zu viel; das kann ich nicht aushalten!« sagte sie. »Die Welt ist allzu groß! Ach, wäre ich doch wieder auf dem kleinen Tisch unter dem Spiegel! Ich werde nicht wieder ruhig und glücklich sein, bis ich wieder dort bin! Nun bin ich dir in die weite Welt hinaus gefolgt, nun kannst du mir wohl wieder nach Hause folgen, wenn du mich wirklich lieb hast.«

Der Schornsteinfeger machte ihr Vorstellungen. Er erinnerte sie an den alten Chinesen und den bockbeinigen Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeanten, aber sie schluchzte zum Erbarmen und küßte ihren lieben Schornsteinfeger so zärtlich, daß er schließlich nachgab, so töricht es auch war.

So kletterten sie denn wieder mit vielen Beschwerden den Schornstein hinunter und krochen durch das Rohr in den Ofen hinein, was gar nicht angenehm war. Nun standen sie in dem finsteren Kachelofen. Hier horchten sie hinter der Türe, um zu erfahren, was in der Stube vorgehe. Es war mäuschenstill darin; sie guckten heraus, o weh! da lag der alte Chinese mitten auf dem Fußboden. Als er sie verfolgen wollte, war er nämlich vom Tisch heruntergefallen und lag nun in drei Stücke zerbrochen da. Der ganze Rücken hatte sich in einem einzigen Stück losgelöst, und der Kopf war in eine Ecke gerollt; der bockbeinige Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeant jedoch stand mit nachdenklicher Miene, wo er immer gestanden hatte, und überlegte.

»Das ist gräßlich«, sagte die kleine Hirtin, »der alte Großvater ist in drei Stücke geschlagen und wir sind schuld daran. Das kann ich nicht überleben!« Dabei rang sie ihre kleinen Händchen.

»Man wird ihn schon wieder zusammenkitten können«, sagte der Schornsteinfeger. »Jawohl, er kann sehr gut gekittet werden. Sei nur nicht gleich so erregt. Wenn man ihn im Rücken kittet und eine tüchtige Niete im Nacken anbringt, dann ist er wieder wie neu und kann uns noch oft genug ausschelten.«

Bild: Hans Tegner

»Glaubst du das wirklich?« fragte sie. Hierauf kletterten sie wieder auf den Tisch und stellten sich an ihre früheren Plätze.

»So, da wären wir wieder!« sagte der Schornsteinfeger spöttisch. »Die Mühe hätten wir uns ersparen können.«

»Wäre nur der alte Großvater schon genietet!« sagte die Hirtin. »Ist das wohl sehr teuer?«

Und genietet wurde er. Die Leute, denen er gehörte, ließen ihn kitten. Eine gute Niete wurde an seinem Hals angebracht, und dann war er wieder wie neu, nur konnte er nicht mehr nicken.

»Sie sind wohl hochmütig geworden, seitdem Sie zerbrochen wurden?« fragte der bockbeinige Ober-und-Untergeneral-Kriegs-Befehlshaber-Sergeant. »Das scheint mir doch gerade kein Grund zur Überhebung zu sein. Bekomme ich nun die Hirtin oder bekomme ich sie nicht?« Der Schornsteinfeger und die Hirtin sahen den alten Chinesen flehend an. Sie hatten große Angst, er möchte nicken, allein er konnte es nicht mehr. Und er wollte auch nicht gern einem Fremden erzählen, daß er beständig eine Niete im Nacken hatte. Deshalb blieb das Porzellanpärchen beisammen und segnete des Großvaters Niete und liebten einander, bis sie eines schönen Tages zerbrachen.


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