Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

Auf dem Tanzboden war ich auch einmal,

Carl Dahlgreen.

Der Tag brach an und Christian eilte auf das Deck. Hätte eine Marmorstadt mit goldenen Dächern und Schlössern vor ihm gelegen, es würde ihn nicht in Staunen gesetzt haben, seine Phantasie war auf Alles gefaßt. Er glaubte, daß er von dem Anblick überwältigt werden würde, aber es war nichts von dem, worauf er vorbereitet war. Viele Schiffe sah er, ein paar Häuser und auf der schmalen Landzunge zur Linken eine Reihe hoher Bauten, die auf dem Wasser zu schwimmen schienen.

Nun beschien die Sonne die vielen halbfertigen Schiffe auf den Werften, die Arbeitsleute wurden sichtbar und das Schiff glitt in den breiten Strom zwischen dem Holm und Kopenhagen; da tauchten Gebäude, Thürme und Brücken auf, man segelte eine Straße gerade hinauf, es war Nyhavn. Hohe Häuser erhoben sich zu beiden Seiten: so viele Stockwerke hatte kein Haus in Svendborg. Große und kleine Schiffe lagen neben einander in dem breiten Canal, und von jedem wehten bunte Flaggen, denn es war eine Hochzeit im Hafen und da wird geflaggt. Das war eine Pracht, als wenn der König kommen sollte. In den engen Gassen, zu beiden Seiten des Canals rollten Wagen und Karren vorbei, die Leute riefen und schrieen. Herren und Damen, geputzt wie vornehm? Leute, gingen vorbei, ohne einander zu grüßen.

Lucie wurde nun an das Bollwerk geholt und fest gemacht.

Wo der Canal endigte, lag ein großer Palast und von dorther klang Musik, so festlich, so schön! – ja, hier in der großen Stadt gab's nur Festtage und Freude. Der Tag verfloß, als wär's eine Stunde, und als es dunkel wurde und die Flaggen sanken, wurden rings an den Fenstern Lichter zu Ehren des Brautpaares angezündet; sie leuchteten über den Canal hin und in dem klaren Wasser spiegelten sich die beleuchteten Gebäude. Ein Leiermann spielte seine wehmüthige Melodie.

»O,« dachte Christian, »wer doch immer in dieser Pracht und Herrlichkeit leben konnte!«

Peter Wik war schon zum Besuche aus; zwei von den Matrosen hatten Erlaubniß erhalten, ans Land zu gehen. Christian bat sie, ihnen folgen zu dürfen; der Eine war dagegen, denn sie könnten ihn nicht mit zu Steffen-Karreet nehmen. Aber er kam doch mit. Sie betraten das Land und gingen über den großen Platz. Hier saß ein Metallkönig zu Pferde und um ihn her standen vier schwarze Riesengestalten. Die Gebäude, die er sah, schienen Schlösser, und in der Straße, die sie betraten, strahlten die Lüden, einer schöner als der andere. Hier war ein Gedränge, wie auf einem Markt; Wagen rollten vorbei, und weit mehr als zum Rathyansball in Svendborg. Nun kamen sie in kleinere Straßen, aber die Häuser waren ebenso hoch, und schöne vornehme Damen, wie zu einem Balle geputzt, saßen an den offenen Fenstern und grüßten so höflich und freundlich, als wenn sie die Leute kennten. An der Straßenecke auf dem kalten schmutzigen Treppenstein saß eine junge todtenblasse Frau in Lumpen, ein kleiner halbnackter Knabe lag weinend mit dem Kopfe in ihrem Schooß, ein gelbes krankes Kind sog an der abgemagerten Brust; sie legte den Kopf zurück und fluchte, auch schien sie sich weder um das größere noch das kleinere Kind zu kümmern.

»Sie ist krank!« rief Christian. »Sollen wir es nicht einer von den vornehmen Damen sagen?«

Die Matrosen lachten und führten ihn in eine Seitengasse, wo Flöten und Geigen aus einem niedern dunkeln Hause klangen. Sie traten ein.

Heitere, jubelnde Töne durchströmten des Knaben Seele, seine Augen wurden von den vielen Lichtern in Kron- und Spiegelleuchtern geblendet, obgleich ein gräulicher Dunst über dem Ganzen lag. Mit dem Hute in der Hand grüßte er höflich nach allen Seiten. Niemand achtete darauf. Die Männer waren nicht gerade geputzt, aber die Damen sahen um so prächtiger aus und ihre Wangen waren roth wie Rosen. Ein Bursche tanzte mit einer langen Tabakspfeife im Munde und dampfte große Wolken über die Schulter seiner Dame. An der Thüre saß eine junge Dame bei ihrem Kavalier, sie waren sicher verlobt. Nun kam eine große Dame in weißem Kleide, Blumen im Haar und eine Bierflasche in der Hand. Das war Steffen-Karreet. Sie kannte die Matrosen gut, sie war sicher verwandt mit ihnen, denn sie schlang den Arm um ihren Hals und küßte sie zum Willkomm. Es war eine sehr freundliche Dame. Sie sprach so bekannt und sanft mit Christian und gab ihm Punsch; er küßte ihr die Hand und sie strich ihm die Haare freundlich aus der Stirne. Es war gewiß eine recht von Herzen gute Dame.

Mit der größten Ehrerbietung und Dankbarkeit verließ er ihr Haus. Das Märchen von dem Bauernknaben, welcher Kaiser wurde, kam ihm in den Sinn; ja, dachte er, wenn diese vornehme Dame sich meiner annehmen wollte, so könnte ich vielleicht die Geige spielen lernen, zwischen den andern Musikanten sitzen, oder noch etwas Vornehmeres werden, aber freilich bei der Musik müßte es sein.

Draußen auf der Straße war es bereits ziemlich still, es war ja auch spät am Abend, aber davon hatte er drinnen nichts gemerkt. Noch klangen die Flöten und Geigen und durch die ausgeschnittenen Herzen in den Fensterläden spielte ein langer Lichtstrahl. Da pfiff der Wächter in einer Seitenstraße, Stimmen schrieen: es gab Lärm. Gleich darauf kam ein seltsamer Zug! Die Wächter mit einer Leiter hoch auf ihren Schultern, ein junges Frauenzimmer, geputzt wie die drinnen im Tanzsaal, lag festgebunden auf der Leiter. Christian wußte nicht, was er von dieser Stadt und diesen Menschen denken sollte. Er kam nach dem Schiffe, die Häuser ringsumher waren noch beleuchtet, die Lichter strahlten aus dem Wasser zurück. Die Matrosen verboten ihm, Peter Wik zu sagen, wo sie gewesen.

Ueberwältigt von den Eindrücken dieses Tages und Abends konnte er kaum schlafen, aber der Gedanke beherrschte ihn ganz und gar: könnte ich doch immer hier bleiben! Die Dame, welche ihm Kuß und Liebeszeichen gegeben, schien ihm so fromm und mächtig. Ja, ihr wollte er sich anvertrauen. Sie vermochte viel und sie würde es gewiß auch thun, wenn er ihr so recht seine Lust und Sehnsucht beschriebe. Fromm schloß er sie in sein Gebet zu Gott und mit dem festen Entschluß, sie heimlich eines Tages zu besuchen, schlief er ein.

Als er am folgenden Tage hoch oben in dem Tauwerk des Schiffes saß, um eine Pardume zu befestigen, fiel sein Blick auf die Umgebung rings umher; zur Rechten lag der große Platz mit der Broncestatue; zur Linken drüben über dem Holm das dunkelblaue Meer mit Schwedens Küste, doch am meisten von allem fesselte ihn der Anblick eines Gartens dicht hinter der niedern Mauer, wo das Schiff lag: wunderbare, seltene Pflanzen wuchsen drin und ein großer Pappelbaum, der ihn recht an des Juden Garten erinnerte, den er als Knabe gesehen. Niedere Glashäuser mit großen grünen Zweigen an den Fenstern innen lauschten zwischen den Hecken und den prachtvollen Herbstblumen hervor. Es war der botanische Garten. Alles, was er bis jetzt von Kopenhagen kannte, war herrlich und er hatte doch, wie die Andern meinten, noch nichts gesehen. Ja, hier mußte er bleiben; der gute Gott würde ihm wol dazu verhelfen. Sobald er wieder Erlaubniß erhielte, sich in den Straßen umzusetzen, wollte er die freundliche gute Dame aufsuchen, auf die er all' seine Hoffnung setzte.

Die Woche drauf war der Königin Geburtstag; alle Schiffe im Hafen flaggten, die Musik erklang in den Straßen. Christian erhielt Erlaubniß, allein umherzugehen; nun galt es, sich nach der kleinen engen Gasse zurecht zu finden, in der er am ersten Abend gewesen.

Die große Prachtstraße mit den vielen Läden fand er bald; bunte Tücher flatterten über den Thüren, das lustigste Spielzeug stand in den Fenstern und die Schilder an den Kellern und Erdgeschossen waren förmliche Bilder, die man recht gut in einer Staatsstube aufhängen konnte. Ganz im Anschauen verloren, wanderte er von Straße zu Straße; die, die er suchte, fand er nicht; aber er hielt auf einem großen Platz, wo das Wasser in großen Strahlen emporsprang und mit Goldäpfeln spielte; das war zu Ehren des Festtags. Ja, Kopenhagen war eine prächtige Stadt, aber wo sollte er die Dame finden? Es blieb nichts Anderes übrig, als die Matrosen noch einmal zu vermögen, ihn mitzunehmen, dann wollte er sich den Weg besser einprägen.

Abends war Illumination; auf dem Markte brannten Pechfackeln; der rothe Funkenregen flog wie flatterndes Feuerhaar von den Kränzen und der König und die Königin fuhren mit ihren prächtigen Wagen nach dem Theater.

»Ja, dahin werden wir auch mal am Abend gehen!« sagte Peter Wik. »Da sollst du Musik hören und lustige Dinge sehen.«

Konnte denn die Musik herrlicher sein als die, die er in den Straßen gehört? Konnte die Lust größer sein als die bei den geputzten Damen?

Sie gingen durch eine Seitenstraße. Christian kannte sie; die Lichter schienen durch die ausgeschnittenen Herzen in den Fensterläden; drinnen hörte man Musik. Da war es, wo er gewesen. Er prägte sich genau die Stelle und die Straße ein.

Am Morgen des Sonntags bat er in die Kirche gehen zu dürfen und er zog seine beste Jacke an, ging auch zur nächsten Kirche, sang das Lied der Orgel nach, denn ein Gesangbuch hatte er nicht, und nun suchte und fand er die Straße. Die Läden waren geschlossen. Er trat in den langen finstern Gang, fand die Thüre, aber ehe er eintrat, beugte er das Knie, betete sein Vaterunser und bat, Gott möge doch das, Herz der guten Dame lenken, daß er zur Musik käme; einen eigentlichen Plan hatte er nicht.

Er klopfte an.

Eine alte Frau in schmutzigen Kleidern schloß auf und fragte, was er wolle. Er gab eine blöde Antwort und die Alte wollte gerade wieder schließen, als Steffen-Karreet in ziemlich leichtem Morgenanzug vor ihm stand. Sie trug Schnürstiefelchen mit Pelz besetzt.

»Bist du es?« sagte sie vertraulich und mit lächelndem Gesicht. »Hast du etwas von Sören auszurichten?«

Die Alte trat zur Seite und Christian ergriff die Hand der Dame, küßte sie und erzählte nun ganz naiv, welch' große Lust er zur Musik habe, wie schlimm er es zu Hause gehabt und wie er in die Welt hinausgekommen. Die Dame lachte anfangs, hörte ihm aber später mit Ernst zu und als ihm zuletzt die bittern Thränen über die Wangen flossen, trocknete sie sie.

»Ja, mein lieber Junge!« sagte sie, »ich bin nicht bei der türkischen Musik! Wärst du lieber ein kleines Mädchen!« Sie zog ihn zu einem Schenktisch hin, gab ihm Punsch und Aepfel und brach dann in ein lustiges Lachen aus. »Du bist gewiß ein Genie, wie man das nennt,« sagte sie.

In demselben Augenblick traten ein paar andre Fräulein aus den Seitenzimmern, die so leicht gekleidet waren wie sie, und als sie die Geschichte hörten, lachten sie und sahen den Knaben mit dummen Augen an.

Was durfte er hoffen, was versprach sie? Er war voll Freude, als er das Haus verließ; sie hatte ihm die Hand gegeben, ihn ein Genie genannt und gesagt, er sollte guten Muthes sein, er bringe es gewiß zu etwas.

Er hatte auch dieselbe Ueberzeugung, wie jedes andre wahre Genie, das sein Schicksal in eines vermögenden Mannes oder Weibes Hand legt und diese haben meist dieselbe Gabe es zu würdigen, ungefähr wie sie sie hatte!


 << zurück weiter >>