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XIV.

Ich sah von des Schiffes Rande
Tief in die Flut hinein –
Meerkönig auf seiner Warte
Sitzt in der Dämmerung tief,
Als ob er mit langem Barte
Ueber seiner Harfe schlief.
Da kommen und gehen die Schiffe
Darüber, er merkt es kaum,
Von seinem Korallenriffe
Grüßt er sie wie im Traum!

Eichendorff.

Am 18 October war alles an Bord zur Abfahrt klar gemacht. Außer Peter Wik bestand die Bemannung des Schiffes aus drei Matrosen und zwei Passagieren. Der eine von diesen war eine ältliche Gouvernante, welche in ihrer Blütezeit bei Graf Trampe's Schauspielertruppe in Odense aufgetreten war, die sie aber, nach ihrer Aussage, ihrer moralischen Ansichten wegen verlassen hatte; sonst machte sie Verse, aber nur deutsche, denn das höhere Gefühl, meinte sie, könne man nur in dieser Sprache ausdrücken. Sie wollte zu einer adeligen Herrschaft nach Kopenhagen gehen. Der andre Passagier war dort ansässig und zwar als Kriegsrath, ein Titel, den er um seiner Frau willen nachgesucht.

Das Schiff ging mit geblähten Segeln an St. Jöorgensgaard und dem Fischerdorf vorüber, hinaus in die weite Welt, wie Christian meinte, nach China oder Kopenhagen, für ihn war es gleich fern, gleich neu.

Beide Passagiere hatten rasch gegenseitige Bekanntschaft gemacht und ehe das Schiff auf der Höhe von Aerö war, hatte der Kriegsrath auch schon mit beredter Ausführlichkeit seine Freuden und Leiden entwickelt. Er war auch Dichter, hatte zu seiner Zeit in die Abendpost und für Poulsen's Neujahrsgabe geschrieben, aber anonym. Das Elegische war sein eigentliches Fach; sonst schrieb er Auctionskataloge, Kritiken und ein und die andere kleine Schrift. »Aber man hat kein Vergnügen davon!« sagte er. »Da sitzt man und klaubt und klaubt, um die Fehler zu finden, die Einen nur ärgern und setzt man sie ihnen nun auseinander, so werden sie böse. Irritabile genus, wie es heißt. Ich habe mich in allen horazischen Versarten versucht: in asclepiadischen, alcäischen und sapphischen; diese werden von den Neueren hintangesetzt und das muß einen classisch gebildeten Geschmack ärgern. Ich habe auch meine Stimme erhoben, ich habe dagegen geschrieben und mich und viele Menschen geärgert; sie haben auf mich gestichelt und Epigramme gemacht, aber ich lese nichts in den Zeitungen, als das, was ich selbst schreibe. An meinem Geburtstag bekam ich durch die Stadtpost ein kleines Papier mit einem groben Vers. Ich wurde darin ein Bussemann (Popanz) genannt; es war mit zwei s geschrieben und die Etymologie sagt doch, daß es von Buse herkommt, einem Raubschiff, das in alten Zeiten die Küsten überfiel: die Räuber an Bord wurden Busemänner genannt. Es ist ärgerlich, daß Leute schreiben wollen, wenn sie nicht mal buchstabiren können, gerade als wenn man eine Rede halten wollte, wenn man keine Zähne im Munde hat. Den Einfall muß ich mir aufschreiben!« unterbrach er sich selbst, indem er es zwischen den Zähnen murmelnd mit dem Bleistift aufschrieb. »Sehen Sie, Fräulein, ich lasse nie etwas Gutes verloren gehen, sondern schreibe es auf, denn ich muß Ihnen sagen, ich habe das Abschreiben von Rollen in unserer dramatischen Gesellschaft übernommen und so habe ich wie Jean Paul in meiner Schublade kleine Zettel mit Einfällen, die ich in die Rollen hineinschreibe. Das macht sich sehr gut!«

Die Gouvernante erzählte, daß sie ein Tagebuch halte, und zwar schon seit elf Jahren, in deutscher Sprache.

Des Alltagslebens niedrig komische Wirklichkeit trat hier am meisten hervor; wir hätten jedoch auch bei Beiden eine schöne poetische Seite herausgreifen können, die sich bei Jedermann findet, wenn auch nur momentan, aber sie findet sich doch. So lag selbst in dem Komischen bei der Gouvernante etwas, das Jedermann rühren mußte. Ein Jahr hatte sie nur von Thee gelebt, Morgens, Mittags und Abends, es war Alles, was sich ihr Fleiß erringen konnte; ihre fixe Idee war schön, nämlich: Tugend ist dein Ziel. Der Kriegsrath hing treu am Alten, aber nur an dem Alten; was konnte er dafür, daß der Himmel ihm nicht das Janushaupt des Genies gegeben, das gleich klar vor und zurückschaut.

In der Mittagsbeleuchtung flog von Bucht und Fjord hinaus in die offene See das Schiff, dieser Strauß des Meeres, der über des Weltmeers große Steppen läuft; zu schwer, sich in die Lüfte zu erheben, hat es doch den Flug des Vogels. Die schwellenden Segel standen wie Flügel hinaus über die kleine Caravane, die hier dahinfuhr. Christian sah die Küsten der Heimat mehr und mehr ihr bekanntes Aussehen verändern; die rasche Fahrt, die frische Luft mit all' dem Neuen rings umher erfüllte ihn mit seltsamen Gedanken.

Die letzten Sonnenstrahlen erloschen in dem feuchten Nebel, der sich über das Meer hinwälzte. Es wurde dunkel. Die Laterne hinten warf ihr Licht nur auf die nächsten Taue. Die Wellen schlugen mit einförmigem Plätschern an die Seite des Schiffes, das in rascher Fahrt über des Meerkönigs Schloß hinrauschte. Er saß gewiß drunten mit seinem langen Barte und schaute nach des Schiffes Kiel; plötzlich stießen sie gegen etwas, man hörte einen lauten Ruf, dann wurde es still; aber das Wasser plätscherte stärker und unter ihnen hörten sie ein Schaben.

»Herr Jesus!« sagte der Matrose am Steuerruder und machte eine Wendung. Die Laterne wurde aufgezogen, das Boot wurde ausgesetzt. Christian erhielt den Befehl, die Glocke zu ziehen, Alles war vergebens. Ein Boot mit Menschen drin hatten sie in der Dunkelheit der Nacht übersegelt. Und er dachte an den Tod.

Ja sterben – ach mir wird's zu denken schwer
Zu fassen es, sträubt sich mein Geist noch mehr –
Und doch wird Großes einst der Tod uns schenken,
Weit Herrlicheres als Dichter selbst sich denken.

Säh'n wir schon hier mit hellem Seherblick,
Erschien das Grab uns als ein hold' Geschick,
Doch sind wir Kinder auf der Erde Schollen
Und Kinder ja nicht Alles wissen sollen.

»Es weht eine kalte Morgenluft!« sagte bei Tagesanbruch der Kriegsrath und streckte sein fahles Gesicht aus der Kajüte; durch das gelbseidene Taschentuch bekam er ein noch elenderes Aussehen. Der Wind blies stark und hatte den Nebel in Wolken vertheilt, die dunkelgrüne See zeigte ihren weißen Schaum. »Die Luft sieht bedenklich aus!« sagte der Kriegsrath.

»Sie sieht etwas mullig aus!« antwortete Peter Wik und deutete auf den Regenschauer.

»Waren Sie jemals in so schlimmem Wetter zur See?« fragte die Gouvernante.

»Was fehlt dem Wetter? Es ist ja so prächtig, als man es sich nur wünschen mag! Nein, wenn wir erst mal einen fliegenden drei Quart bekommen, dann wippt das Schiff anders!« Stumm stand er am Ruder und sah über die schäumende See hinaus.

»Nun, ich bin für die Seekrankheit vorbereitet,« sagte der Kriegsrath, »ich habe Velinpapier um die Beine, graues Papier um den Unterleib, eine Muskatnuß in der Herzgrube und Lemonasia zum Essen.«

Die Gouvernante hatte nur eine grüne Seidenschnur um das linke Handgelenk und hielt das Gesicht immer gegen den Wind.

»Sie müssen nicht daran denken, krank zu werden, Fräulein!« sagte der Kriegsrath. »Ich will Ihnen eine kleine Abhandlung vorlesen. Es ist ein Vorschlag für die königliche Theaterdirection und wird das Fräulein vielleicht unterhalten.«

»»Erstens soll und muß jeder Sänger jede Partie singen, die man ihm gibt, Baß oder Tenor! Hat er Stimme, muß er ja singen können!«« »Sehen Sie, Fräulein, das wäre eine gute Wendung zum Besseren.«

»»Dann muß jeder Dichter die Verantwortlichkeit für sein Stück übernehmen. Erreicht die Einnahme nicht eine bestimmte Summe bei der ersten und zweiten Aufführung, so ersetzt er der Theaterkasse das Mangelnde.«« »Sehen Sie, das würde für die Kasse außerordentlich gut sein und das ist doch die Hauptsache; außerdem hemmt es die Schreibwuth bei diesen Originalschriftstellern.«

»Mir wird ganz übel!« sagte die Gouvernante. Im selben Augenblick schlug eine Woge über das Deck und ergoß ihr Salz in das ungesalzene Theaterregulativ.

»Eine kleine Lemonasie!« rief er.

»Gott!« seufzte sie, »ich, die ich so sehr das Meer liebe, wenn ich am Lande bin.«

»Sehr originell gesagt!« rief er, »erlauben Sie, Fräulein, daß ich mir das aufzeichne und mal gebrauche.« Er nahm sein Skizzenbuch heraus und schrieb. Peter Wik trug das Fräulein in die Kajüte hinab.

Der Kriegsrath studirte indeß Navigation, über welche er eine Abhandlung schreiben wollte, denn es gab kein Fach, über das er nicht schrieb, vom Knochendünger bis zu Hamlet's Charakter, Alles verstand er gleich gut. Deshalb war es auch seine Hoffnung, daß die Regierung mal auf ihn aufmerksam werden und ihn anstellen würde, entweder als Gestütsinspector oder Oberlootsen oder Theaterdirector; überall würde seine Brauchbarkeit sich geltend machen.

Am nächsten Morgen saß er im Anblick von Möens Klint versunken, an welchem sie vorüberkamen. In der Hand hielt er das Manuscript der gesammelten Gedichte der Gouvernante. Schade, daß das Gedicht fehlte, das zu dieser Stelle gehörte: »Beim Anblick der Insel Möen im Mondenschein«, welches sie erst schrieb, als sie vierzehn Tage in Kopenhagen war und die Kreidefelsen in Molbech's Jugendwanderungen studirt hatte, wo sie in übernatürlicher Größe sich präsentiren.

» Insula Mona heißt es auf Latein!« sagte der Kriegsrath. »Es ist doch ein eigenthümlicher Wohlklang in der Sprache der Alten! Das waren Menschen!« Nun versank er in stilles Entzücken darüber, daß die Leute vor zweitausend Jahren klüger gewesen als wir, nahm sein Skizzenbuch und schrieb seine goldenen Gedanken auf.

Gegen Abend tauchten Kopenhagens Thürme und Christiansburg aus der Kiögebucht auf; sie wurden gerade sichtbar und das Auge erfaßte eben die Contouren, als das Bild wieder von der Dunkelheit verschlungen wurde. So taucht oft die Erinnerung eines seltsamen Traumes in unserer Seele auf und indem wir das Bild erfassen wollen, stießt die Dunkelheit darüber hin; ob wie hier ein kommender Morgen uns zu näherer Betrachtung seiner Wirklichkeit führen wird?

Immer mehr wurden der Schiffe, denen sie begegneten; weiterhin blitzten schon die Lichter von Kopenhagen und Amager. Christian hörte, wie sich das Bradspill drehte; der Anker fiel; es erschollen Stimmen vom Wasser herauf. Peter Wik stieg in das Boot, der Kriegsrath und die Gouvernante folgten, aber vorher steckten sie dem Schiffsjungen noch ein paar Schillinge in die Hand.

Noch in dieser Nacht sollten sie in der großen wunderbaren Stadt schlafen. Christian aber sollte sie erst morgen sehen. Ob sie wol viel größer war als Svendborg? Ob die Häuser dem Schloß auf Thorseng glichen, und ob es da Musik gab? Wahrend er diese Gedanken still bei sich erwog, erklang das Horn der Jäger von der Citadelle; der Wind trug die sanften, wehmüthigen Töne über die See an sein Ohr; seine Hände falteten sich zum Gebet.


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