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Zwanzigstes Capitel.
Vom Januar 1868 bis Juni 1875.

Basnäs. – »Des Gevatters Bilderbuch.« – »Peiter, Peter und Peer.« – Frau Ingemanns Tod. – »Welche ist die Glücklichste.« – Der holländische Dichter Ten Kate übersetzt meine Märchen in Versen. – Bournonville's neues Ballet »Thrymsqviden.« – Hartmann's Musik. – »Die Tage der Woche.« – Prof. Bissen's Tod. – Mein Geburtstag. – In Odense. – Hamburg. – Minden. – Amsterdam. – Georg Brandt und Wilh. Boye. – Ten Kate. – In Paris. – Philarete Chasles. – Genf. – Jürgensen. – Bern. – Pastor Baggesen. – Rückreise. – Mißgeschick in Cassel. – Cöln. – Altona. – Banquier Marburg. – Hebbels »Jüdin«. – Villa »Rolighed«. – Meine Märchen in russischer Sprache. – Verlobung des Kronprinzen. – Brief an denselben. – Björnson's »Fischermädchen.« – Auf Schloß Holsteinborg und Frijsenborg. – Prof. Carl Bloch. – Glorup. – In Kopenhagen. – »In Portugal.« – »Die Dryade.« – »Das Glück kann in einem Zweige liegen.« – »In den Jurabergen« – Neujahr 1809. – Neue Märchen. – Vollende »das Märchen meines Lebens« bis Ende 1867. – Ten Kate's Buch. Audienz beim König. – Basnäs. – »Was die Distel erzählte.« – »Rolighed«. – »Hühnergrethe 's Familie«. – Etatsrath Thiele. – Alte Erinnerungen an Frau Rahbeck. – Correspondenz mit Dr. Georg Brandes über meine Märchen. – Bei Henriques. – Kopenhagen. – »Die Dryade« erscheint deutsch. – Feste in Veranlassung meiner 50jährigen Abreise von Odense: im Studentenverein. – Der 6. September. – Allgemeine Theilnahme. – Ein silbernes Klettenblatt. – Fest bei Vincent. – Fremde Gäste. Der Cultusminister überreicht mir vom Könige das Commandeurkreuz. – Billäs Festrede. – Meine Antwort. – Andere Festreden. – Audienz im Schloß Bernstorfs und Schloß Charlottenlund. – Eigenhändiges Schreiben von der Königin-Wittwe. – Festlicher Empfang auf Schloß Basnäs. – Holsteinborg. – Glorup. – In Maxen. – Frau von Serre. – Die Malerin Clara Heincke. – Dresden. – Geheimrath Beaulien. – Prag und Brünn. – Familie Neruda. – Wien. – Der Gesandte, Kammerherr Falbe. – Münch-Bellinghausen. – Lytton Bulwer. – Graf Paars. – Theophilus Hansen. – Prof. Marstrand. – Dr. v. Dingelstedt. – Hackländer. – In Salzburg. – München. – Kaulbach. – Gietl. – Björnson's Auslassung über Kaulbach. – Die Königin-Wittwe. – Reise nach Nizza. – Fräulein Manderstjerna. – Buchhändler Geibel aus Leipzig. – Dr. Mörch. – Offenbach. – Mademoiselle Schneider. – Der Herzog von Glücksburg. – Das Weihnachtsfest 1869 in Nizza. – Brief an Eduard Collin. – Brief an Hartmann. – Jonas Collin kommt nach Nizza. – Ausflug nach Villafranca. – Reise nach Paris. – Dr. Müller. – Cöln. – Carneval. – Henrik Hertz' Tod. – Das Anker'sche Legat. – Heimreise. – In Melchior's Hause. – Neue Märchen. – Geburtstag des Dichters Hauch. – Basnäs und Holsteinborg. – »Höllenfeuer«. – Ein Brief aus meiner Jugendzeit. – Hartmann's Antworten in Tönen. - In Kopenhagen. – Bei Henriques: – Aus »Rolighed«. – »Der Glückspeter«. – Der Dichter Henrik Ibsen. – Neue Wohnung. – Die Presse. – Der Schriftsteller Winkel-Horn. – Die Kriegsbegebenheiten in Frankreich. – Weihnachten (1870) in Kopenhagen. – Auf Espe und Basnäs. – Der Dichter Carl Bagger. – Brief von Mary Livingstone. – »Tante Zahnweh.« – Einladungen von Prof. A. Munch und Consul Rambusch nach Norwegen und Amerika zu kommen. – In Melchior's Villa. - Melchior's silberne Hochzeit. – Reise nach Christiania. – Aufenthalt daselbst. – Björnson und seine Frau. – Ringerike und Hönefoss. – Drammen. – Mjösensee. – Fest für mich im botanischen Garten. – Der frühere Minister Birch, – Fest der Studenten. – Fest des Consuls Petersen. – Erik Bögh. – Ministerpräsident Stang. – Proi. Feanrley's Töchterchen. – Björnson's Vater stirbt. – Politische Parteiungen. – »Eiserne Nächte«. – Rückreise. – Auf »Rolighed«. – »Die große Seeschlange«. – König Carl XV. sendet mir das Commandeurkreuz des St. Olafsordens. – Neue Wohnung. – Unwohl. – Weihnachten (1871) daheim. – Bournonville's neues Ballet. – Studenten-Comödie. – Ein Brief von Jenny Lind Goldschmidt aus Florenz. – Mein Verleger in New-York bietet mir freie Reise nach Amerika an. – Fest im Kinderasyl. – Weihnachten (1872) daheim. – Vertiefung in alte Erinnerungen. – »Der Gärtner und die Herrschaft« – Auf Basnäs. – Reise mit William Block. – Dresden. – Geheimrath Bieulien. – Prag, Wien, Salzburg, Innsbruck, Botzen, Riva, Verona, Venedig und zurück nach München. – Mißgeschick in Innsbruck. – Geheimrath Gietl. – Heimreise. – Auf »Rolighed«. – Basnäs. – In Kopenhagen. – Hartmann's neue Oper – Mein alter Lehrer Carstens. – Meine Krankheit. – Der Kronprinz. – Brief von der kleinen Mary Livingstone – Weihnachten daheim. – Meine Krankheit. – Meine Pflege. – Besuch des Königs. – Wanda Dauneskjold schenkt mir einen barocken Ofenschirm. – Mein Geburtstag (1873). – Abschiedsbesuch bei der königlichen Familie. – Besuch des Königs. – Graf Holstein. – Reise mit dem Schriftsteller Nicolai Bögh nach der Schweiz. – Im »Hotel Schwan« in Frankfurt. – Heidelberg. – Basel. – Bern. – Dr. Dor untersucht mich. – In Vevey und Montreux. – Das »Intelligenzblatt für die Stadt Bern.« – Molkenkur in Glion. – Schönes Wetter. – Veränderung. – In Genf. – Jules Jörgensen. – Freiburg. – Bern. – Dr. Dor und seine Familie. – Lese wieder Märchen vor. – Interlaken. – Brief an Kronprinz Frederik. – Eine amerikanische Ente. – »Der kleine Hans«, eine andere Ente. – Brunnen. – Chur. – Mißgeschick bei Chiavenna. – Engadin. – Reise nach München. – Mittag bei Kaulbach. – Krank in München. – Bögh über Kaulbach. – Kaulbach's Toast. – Schnelle Heimreise. – Auf »Rolighed« (siehe Bild). – Brief an Bögh. – Trübe Stimmung. – Bekomme eine Wärterin. – In Kopenhagen in meiner alten Wohnung. – Allgemeine Theilnahme. – Bejuch des Königs und des Kronprinzen. – Verfertige eine »Schirmwand« ans Bildern. – Bögh liest mir alte Briefschaften vor. – Trübe Stimmung. – Promenade und Erkältung. – Frau Melchior bereitet mir einen Christbaum (1873). – Gregoire's Uebersetzung meiner »Märchen und Geschichten« ins Französische. – H. P. Holst's »Aus meiner Jugendzeit« und eine Anekdote über mich aus dem Jahre 1841. – Komme nicht in's Theater. – Mache wenig Besuche. – Prof. Hornemann über mein Befinden. – Die Jahreszeiten in meinem Zimmer. – Nachricht über Livingstone's Tod. – Brief von seiner Tochter Mary. – Mein Geburtstag (1874). – Der König ernennt mich zum »Conferenzrath«. – Telegramm vom Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar mit der Einladung nach Weimar zu kommen. – Antwortschreiben. – Kaulbach's Tod. – Neue Lust zu reisen. – Holsteinborg. – Bregentved. – Erhalte von einem Kinde in Amerika einen Dollar. – Honorar meiner Werke von Deutschland und Amerika. – Die Wahrheit wird auf den Kopf gestellt. – Frau Kaulbach schreibt an mich. – Fritz Reuter's Tod. – Worfaae wird Kultusminister. – Baronesse Jonna Stampe ladet mich nach Cristinelund ein. – Geburtstagsfest der Gräfin Moltke. – Auf »Rolighed«. – Dr. Brande's Buch »Die Strömungen in der Literatur des 19. Jahrhunderts«. – Ein Toast auf mich und meine Antwort. – Nachrichten aus Amerika. – Brief an den Herausgeber von »The Evening Bulletin« in Philadelphia. – Besuch des Fräulein Clara Heincke aus Berlin. – Umzug in die Stadt. – Besuch bei der Königin-Wittwe auf Sorgenfrei und bei der königlichen Familie auf Bernstorff. – Prinzessin von Wales. – Brief des Generals Christensen in New York. – Eröffnung des neuerbauten königlichen Theaters. – Dr. Georg Brandes neue Monatsschrift. Holger Drachmann. – Frau Areline Lund verfertigt in Rom meine Büste. – Erste Nachricht, daß man meine Statue errichten will. – »Liden Kirsten.« – Wilhelm Wiehe. – Bournonville's neues Ballet und Hartmann's Musik. – Weihnachten 1874. – Mache Sophie Rassmussen, Ingemann's alter Haushälterin, ein Geschenk. – Die Geldsammlungen zu meiner Statue. – Meine neuen Arbeiten. – Die Errichtung eines H. C. Andersen's Kinder-Asyl. – Neue kleine Gedichte. – Lust zu reisen. – Audienz bei den Majestäten. – Erhalte das Commandenkreuz des Danebrogordens erster Klasse. – Mein siebenzigjähriger Geburtstag (1875): – unzählige Briefe und Telegramme vom In- und Ausland; Deputationen; Adresse des Comites zur Errichtung meiner Statue; Deputation meiner Vaterstadt Odense; meine Erwiderungen; Festlichkeit im königlichen Theater; Fest in Odense: man bringt an meinem Geburtshause eine Erinnerungstafel an; Fest im Theater. – Adresse des Vereins der Berliner.Presse. – Ein Festmärchen vom holsteinischen Dichter Johann Meyer. Frau Dora Enking, geb. Klewing. – Von Amerika's Kinderwelt geht das illustrirte Werk »Pituresque America« ein. – Man will meinen Briefwechsel mit meinen Zeitgenossen veröffentlichen. – Dankschreiben an den Redakteur der »New-York-Tribüne«. Ich erhalte vom Großherzog von Sachsen-Weimar das Commandenrkreuz des Weißen Falken-Ordens. – Dankschreiben an den Dichter Johann Meyer in Kiel – Reisepläne. Die Ausstellung der Modelle dänischer Bildhauer zu meiner Statue im Rosenborger Garten. – Der Maler Carl Bloch und der Bildhauer Saaby sprechen zu mir über mein Denkmal. – Begebe mich nach der Villa »Rolighed« zu Melchior's.


 

Durch Andersen's Ueberschrift am Schlusse seiner amerikanischen Ausgabe » The Story of my life«, die nur bis zum Ende des Jahres 1867 gebt und vom 29. März 1869, an welchem Tage er diese Arbeit beendigte, datirt ist, verleitet, ist die Ueberschrift des neunzehnten Capitels – Seite 355 – nicht korrekt geworden; sie muß lauten: »Vom Januar 1866 bis Ende 1867.« Als ich den Irrthum entdeckte, war es zu spät: der Bogen war bereits gedruckt. Ich bitte daher diesen Fehler zu entschuldigen und an der betreffenden Stelle zu berücksichtigen.
Mit dem Schluß des vorstehenden Capitels endet Andersen's Ausarbeitung des »Märchen meines Lebens«; zu dem nachfolgenden Capitel mußte ich das zerstreute Material mit großen Schwierigkeiten sammeln, wodurch das Erscheinen der einzelnen Hefte eine unliebsame Verzögerung erfuhr, zumal der mir von einem der Andersen'schen Erben gegen Honorar versprochene Auszug aus Andersen's Tagebüchern mehr als kärglich ausfiel. Ich habe geglaubt, gestützt auf das von mir zusammengetragene, auf authentischen Quellen beruhende Material in derselben Weise, wie Andersen es gethan, dasselbe in erster Person selbsterzählend, der Uebereinstimmung halber, geben zu sollen. Der Uebers.

Nachdem Weihnachten und Neujahr in gewohnter Weise auf Schloß Basnäs verflossen war. kehrte ich nach Kopenhagen in meine bescheidene Wohnung zurück. Angespornt durch die Huldigung meiner Vaterstadt Odense vollendete ich im Laufe des Januar die bereits im vorigen Sommer begonnene Geschichte » Des Gevatters Bilderbuch«, Siehe die Märchen Band I. S. 166. Der Uebers. die in der dänischen »Illustrirten Zeitung« zuerst veröffentlicht wurde, und schrieb » Peiter, Peter und Peer«. Siehe diese Band I. S. 378. Der Uebers.

Wie in der Natur Sonnenschein mit Regen und Sturm abwechselt, so wurde auch mein frohbewegtes Herz von einer Trauerbotschaft heimgesucht. – Meine innige Freundin, die mich von Beginn meiner Laufbahn in Gemeinschaft mit ihrem vorlängst vorausgegangenen Gatten mit Wolwollen und Liebe umfaßt hatte, Frau Lucie Marie Ingemann, geborene Mandix, die trauernde Wittwe des Dichters, deren ich so oft gedachte, starb am 15. Januar in Sorö und ruht nunmehr neben dem theuren Gatten in Frieden. –

Um mich aus den trüben Betrachtungen, in die ich durch die Dichtung des Kreises der mir Theuren versank, herauszureißen, suchte ich mehr als je, mich in Arbeit zu vertiefen. Ich vollendete im Februar das Märchen » Welche ist die Glücklichste«. Siehe die Märchen Bd. I. S. 228. Der Uebers. Durch meinen Freund in Amsterdam, Hrn. A. L. Brandt, bei dem ich, wie erwähnt, während meines letzten Aufenthalts daselbst, so gastfreie Aufnahme gefunden hatte, brachte ich in Erfahrung, daß der Dichter Ten Kate, den ich ebenfalls kennen und lieben gelernt hatte, sich mit Uebertragung meiner Gedichte beschäftige und zu dem Zweck eine Vorrede von mir wünsche. Ich wußte, auf welche hübsche Weise er meine Märchen, die ich ja alle in Prosa geschrieben, in Versen wiedergegeben hatte; ob es nun diese waren, welche jetzt gesammelt erscheinen sollten, oder meine lyrischen Gedichte, wußte ich nicht und schrieb daher sofort an Ten Kate deswegen, indem ich hinzufügte, daß diejenigen meiner »Gedichte«, welche ich am liebsten verbreitet sehen möchte, sich in der neuesten Sammlung befänden, die jetzt zu Neujahr unter dein Titel » Bekannte und vergessene Gedichte« erschienen seien. Was nun die gewünschte Vorrede betrifft, so hielt ich diese für ganz unnöthig, ja, sogar sehr sonderbar; denn wenn ein Dichter von der Bedeutung, wie Ten Kate, mich damit beehrt, mich dichterisch noch weiter bei seinen Landsleuten einzuführen, dann scheint mein Vorwort wahrlich überflüssig zu sein. Beharrt er jedoch bei seiner Ansicht, dann weiß ich dafür keine bessere als die Brief-Form zu finden, worin ich ihm für die Ehre, welche er mir durch seine Arbeit erweist, danke. Später erfuhr ich durch Herrn Brandt, daß es meine Märchen seien, die er in Gedichtform wiedergiebt.

Am 21. Februar wurde Bournonville's neues Ballet » Thrymsqviden« Thryms Qualen. Thrym ist in der nordischen Mythologie ein Riese, der in Jotunheim (Unterwelt) wohnt, der Thor's Streithammer stahl, indeß dieser schlief, und denselben tief in der Erde verbarg, und ihn erst wieder verausgab, als er den verkleideten Thor für die Göttin Freya hielt, mit der er sich vermählen wollte, und dann von Thor mit dem Hammer erschlagen wurde. Der Uebers. mit Musik vom Professor Hartmann königlichen Theater ausgeführt. Das ist eine großartige Balletdichtung, die Bournonville alle Ehre macht. Die Kritik widerspricht sich; Einige greifen die Dichtung sehr stark an. Andere lächeln vor Entzücken.

Im März vollendete ich die kleine Geschichte » Die Tage der Woche« Siehe die »Märchen« Band I. S. 273. Der Uebers. und obgleich das Alltagsleben in gewohnter Weise im Kreise lieber Freunde verfloß, so lichtete der unerbittliche Tod denselben immer mehr. Der berühmte Bildhauer, Professor Hermann Wilhelm Bissen Siehe den vorigen Band S. 276. Der Uebers. starb in Kopenhagen am 10. Marz in einem Alter von 70 Jahren, das gewöhnliche Ziel der Menschen.

Meinen Geburtstag feierte ich im Kreise der mir so lieb gewordenen Familie des Großhändlers Etatsrath Melchior, welche mir bei meinen fast täglichen Besuchen immer mehr Wolwollen erwies. Selbst die Kinder schlossen sich mir gleich einem älteren Bruder an.

Der herrliche Lenz mit seinen grünen Bäumen, seiner warmen Luft und seinem freien Flügelschlage nahete wieder und schon wieder regte sich mit unwiderstehlicher Gewalt die Reiselust. Diesmal stand mein Verlangen nach Südfrankreich.

Als es unter meinen Freunden in Odense bekannt wurde, daß ich wieder reisen wollte, erhielt ich von dort eine Einladung vom Bischof Engeltoft und dem Rektor, Professor Hendrichsen, der ich am 21. April Folge gab. Die ersten Tage meines erneuerten Aufenthalts in meiner Vaterstadt gehörten den Freunden ausschließlich; am 24. April hielt ich vor überfülltem Hause eine Vorlesung einiger meiner Märchen. Ich fühlte mich niemals früher so frei und habe gewiß niemals so gut vorgelesen. Ich las: » Das Kind im Grabe«, »Das häßliche Entelein«. »Was Vater thut, ist stets das Rechte«, »Kindergeschwätz« und » Die Schnecke und der Rosenstock«. siehe die »Märchen« Band I. Seite 160, Band III. S. 494, Band I. S. 354, Bd. II. S. 141 und Bd. I. S. 261. Der Uebers. Die Zuhörer schienen entzückt zu sein. Abends war ich im Theater, wo man mein Lustspiel » Die neue Wochenstube« gab. Der Direktor hatte mir eine ganze Loge zur Verfügung gestellt. Bei meinem Eintritt in dieselbe fand ich Blumen auf meinen Platz gelegt, und als das Stück beendigt war, erhob sich der Bürgermeister Mourier und brachte ein Hoch auf mich aus, in das das ganze Publikum einstimmte und durch eine Fanfare des Orchesters verstärkt wurde. Am nächsten Tage besuchte ich König Frederik des Siebenten Stiftung für arme Handwerksmeister und deren Wittwen, und gerade zu Gunsten dieser hatte ich die Vorlesung gehalten, deren Resultat 220 Reichsthaler Ca. 500 Reichsmark. Der Uebers. ergab. Der Dannebrog wehte vom Dache des Hauses und der Empfang zeugte von rührender Herzlichkeit und Dankbarkeit, als ob ich etwas Großes für sie gethan hätte. Am Sonntag Mittag verließ ich Odense, von einer Menge Freunde und Freundinnen nackt dem Bahnhofe begleitet, die sich dort von mir verabschiedeten und mir Blumen-Bouquets überreichten.

Am Abend des 26. April erreichte ich Hamburg, wo ich den nächsten Tag blieb und den Mittag bei einem Bruder der Frau Melchior, dem Großhändler Henriques, verbrachte. – Am 28. April verließ ich Hamburg und blieb die Nacht in Preußisch-Minden, wo ich schlecht logirte und daher eine schlechte Nacht hatte. Das Wetter war regnerisch und kalt, infolge dessen ich mir eine Erkältung zuzog; aber als ich am Mittag des nächsten Tages nach Arnheim fuhr, schien die Sonne, die Bäume waren bereits alle grün und die Wiesen prangten mit gelben Blumen. Am letzten Tage des Monats gelangte ich in stürmischem Wetter nach Amsterdam, wo mich meine Landsleute Georg Brandt und Wilhelm Boje, mit dem ich in letzterer Zeit wegen der Herausgabe der Ten Kate'schen Ausgabe meiner Märchen korrespondirt hatte, auf dem Bahnhof in Empfang nahmen. Eins der schönsten, großen Zimmer, der Straße zugekehrt, stand für mich bereit; ein großer Dannebrog wehte mir im Hausflur ein Willkommen entgegen. Bald fanden sich auch der ältere Brandt und seine liebenswürdige Gattin zur Begrüßung ein. Das Wiedersehen war ein sehr herzliches. Das Wetter war rauh und im Kamin prasselte das Feuer, obgleich die Natur ihr Frühlingsgewand angelegt hatte, denn die Bäume waren belaubt und der offene Garten des Hauses prangte in Blumen. – An den ersten Maitagen machte und empfing ich viele Besuche; den ersten Mittag brachte ich bei dem älteren Brandt zu; es war ein reiches Diner, wo der Champagner knallte; Abends kamen Freunde und Bekannte, um mich zu begrüßen. Die Sonne schien zwar während der nächsten Tage sehr warm, weshalb meine Wirthe eine Landpartie arrangirten, allein ich zog es vor, daheim zu bleiben und mit Ten Kate eingehend zu sprechen.

Am siebenten Mai verabschiedete ich mich von meinen Amsterdamer Freunden und reiste über Antwerpen, Gent nach Paris, wo ich am elften eintraf, überall die alten Freunde besuchend und die Merkwürdigkeiten der Städte in Augenschein nehmend. In Paris verkehrte ich viel mit meinem Freunde Philarète Charles, der, wie seine Cousine, großes Interesse für mich und meine Schriften, namentlich meine Märchen, bekundete. Beide trugen sich mit dem Gedanken, eine Sammlung meiner vielen, bisher noch nicht übersetzten Märchen in französischer Uebersetzung herauszugeben, um, wie sie sagten, mir auch in Frankreich die Anerkennung zu verschaffen, deren ich mich in Deutschland und England erfreute. Daß mir dieser Gedanke sehr lieb war, liegt auf der Hand, denn sprachen meine Arbeiten in Frankreich an, dann wären ja meine schönsten Träume erfüllt: ein in Europa viel gelesener Dichter zu sein.

Da mein Reiseziel jedoch die Schweiz war, verließ ich Paris nach einem Aufenthalt von acht Tagen und reiste über Dijon nach Neuchatel und erreichte am dreiundzwanzigsten Mai Genf, wo mich mein Landsmann A. Jürgensen empfing und nach seiner schönen, am Genfersee gelegenen Villa führte. – Nach einem genußreichen Aufenthalt von acht Tagen ging ich zunächst nach Onchy, dem reizend am Genfersee gelegenen Hafenort der Stadt Lausanne, welche eine halbe Stunde vom See entfernt ist, und reiste dann weiter nach Bern, wo ich den Sohn des dänischen Dichters Baggesen, den alten Pastor Baggesen, besuchte, der mich wie immer herzlich aufnahm.

Da mir die inzwischen eingetretene Hitze schon unbequem wurde, reiste ich nach wenigen Tagen über Basel und Baden-Baden nach Darmstadt, das ich zuvor noch nicht besucht hatte. Schon Tags darauf erreichte ich Cassel, wo ich einige Tage durch ein Mißgeschick das Bett hüten mußte. Man hatte nämlich in dem Hotel in dem Gange, der zu meinem Zimmer führte, einen großen Koffer hingesetzt, aber aus Sparsamkeitsrücksichten das Gas ausgelöscht. Als ich Abends spät heimkehrte, stieß ich das rechte Schienbein so hart gegen denselben an, daß ich vor Schmerz laut ausschrie und einen Arzt holen lassen mußte. Ich war über den unfreiwillig verlängerten Aufenthalt in hohem Grade verzweifelt, zumal die Schmerzen nicht unerheblich waren, und nur mit größter Schwierigkeit vermochte ich nach Verlauf von sechs Tagen nach Cöln und am Tage darauf nach Hannover zu gelangen, und kam am fünfzehnten Juni in sehr leidendem Zustande in Hamburg an, wo mich der Bankier Warburg aus Altona empfing und mich als Gast in sein Haus einführte, in welchem ich denn auch solche große Zuvorkommenheit und Pflege während meines vierzehntägigen Aufenthalts fand, daß ich dieses gastfreie Haus völlig hergestellt verlassen konnte. Während dieser Zeit las ich Hebbel's Tragödie » Die Jüdin«, und ich muß aufrichtig gestehen, »die handelnden Personen scheinen mir verrückte Leute zu sein, denn ihr Auftreten ist in dem Grade exaltirt, daß die Tragödie fast zur Parodie herabsinkt.« Citat aus Andersen's Tagebuch, – Der Dichter Friedrich Hebbel ist geboren im Dithmarschen (Holstein), im Flecken Wesselburen den 13. März 1613, gestorben den 13. December 1863 in Wien, wo er seit 1842 lebte. Die von Andersen citirte Tragödie »Judith« erschien 1841 und seine Aussprache über dieselbe ist nicht ganz unbegründet, denn trotz seines großen dramatischen Talents neigte Hebbel doch zum Unnatürlichen hin. Der Uebers.

In den ersten Tagen des Juli trat ich meine Rückreise nach Kopenhagen an, wo ich am vierten eintraf und vom Etatsrath Melchior in gewohnter liebenswürdiger Weise nach seiner Villa » Rolighed« hinausgeführt wurde, wo ich von den Fenstern meines Zimmers wieder auf das von Schiffen aller Art bewegte Meer schauen, frische Luft und Sonnenschein einathmen konnte. Im Laufe des Monats wurde ich durch die Zusendung einer Uebersetzung meiner Märchen in russischer Sprache überrascht und erfreut. – Gestärkt durch den in jeder Beziehung wohlthätigen Aufenthalt auf der Villa » Rolighed«, arbeitete ich ziemlich fleißig und schrieb unter andern die Einleitungsverse zu der Geschichte » Der Freundschaftsbund Siehe Band II, der Märchen S. 395. Der Uebers. und eine Fortsetzung der Entstehungsgeschichte der Märchen.

Für Dänemark war indessen ein Tag der Freude angebrochen, denn der Kronprinz Frederik hatte sich mit dem einzigen Kinde des in meinem Vaterlande so sehr populären Königs Carl's XV. von Schweden und Norwegen, der Prinzessin Lovisa, verlobt. Auch für mich war die Nachricht eine hohe Freude, denn ich hatte beide Verlobte schon als Kinder kennen und lieben gelernt. Ich fühlte einen inneren Drang diese meine Freude, meine innige Theilnahme auszudrücken, allein ich kämpfte mit mir selbst, ob dies wol anginge. Persönlich wollte ich mich nicht herandrängen, aber ich meinte, daß ein Brief, der in Liebe und tiefer Bescheidenheit geschrieben sei, gnädig aufgenommen werden würde und schrieb daher:

 

»Rolighed, den 14. Juli 1868.

»Euer Königliche Hoheit!

»Schon von der Zeit her, wie Ew. Königliche Hoheit noch Kind waren, kamen Sie mir so froh, so herzlich entgegen, daß jeder Moment noch heute lebhaft in meiner dankbaren Erinnerung bewahrt ist, ebenso bewahre ich jeden kleinen Brief, der mir seit jener Zeit zuging, gleichviel ob er aus Ihrer Kindheit oder aus Ihrer Jugendzeit stammt, Dänemark's Kronprinz ist unverändert derselbe herzensgute, erhabene junge Mann geblieben, wie er immer war, dessen zukünftiges Glück ebenso sehr meine Gedanken als mein Herz erfüllt, Gott beschütze und erfreue und begleite Sie, mein innig geliebter Kronprinz! Die junge, edle Königstochter habe ich gesehen und im Hause ihrer Eltern gesprochen; sie kam mir so offnen Gemüths, so mild entgegen und dankte mir auf so hübsche Weise für meine »Sagen«, die sie kannte und an die sie sich erfreut hatte. Ich entsinne mich des klugen, sanften Ausdrucks ihrer Augen, des offnen, hellen Verstandes, und deshalb fühlte ich von der ersten Stunde an, wo ich von einer Verbindung zwischen Ihrer königlichen Hoheit und Ihnen, meinem guten, erhabenen Herrn, sprechen hörte, Freude darüber und bat zu Gott um seine Gnade und seinen Segen für Sie Beide, Darf ich nicht auf solche Weise aus meinem vollen Herzen an Euer königliche Hoheit schreiben? Sie verzeihen und werden Ihr gnädiges Wolwollen einem dankbaren, treuen Herzen bewahren, der sich in allerunterthänigster Ehrfurcht an Sie wendet,

H. C. Andersen«.

 

Dieser Brief wurde vom Kronprinzen in liebenswürdigster Weise ausgenommen.

Der norwegische Dichter Björnstjerne Björnson sandte mir durch Vermittelung eines Freundes seine neueste Erzählung » Das Fischermädchen«. In meiner Uebertragung bereits in 2, Auflage bei Otto Janke in Berlin erschienen. Der Uebers. Der erste Theil des Buches ist ganz vorzüglich und ich erfreute mich wahrlich daran; allein die zweite Hälfte erfüllt durchaus nicht die angeregten Erwartungen; die Erzählung ist dort höchst unklar und zu breit. Hatte ich oder irgend Jemand Anders dieses Buch geschrieben, wie würde dann der Recensent des »Fäderlandet«, Herr Clemens, die Handlung zerzaust haben! Der sonst ganz charakteristische Besuch der »Gottesfürchtigen« bei dem Pastor ist ohne alle Bedeutung für die Handlung und hat durchaus nichts mit dem »Mädchen« zu thun. Und woher weiß ich denn, daß dieses Fischermädchen ein großes dramatisches Talent besitzt und absolut Glück beim Publikum machen muß? Ihr erster Besuch des Theaters erinnert auch etwas gar stark an meinen ersten Theaterbesuch im Jahre 1819.

Anfangs August reiste ich nach dem Schlosse Holsteinborg, wo ich bei der gräflich Holstein'schen Familie nur eine Woche blieb, um mich nach Jütland nach dem Schlosse Frijsenborg zu begeben und einer Einladung des Grafen und der Gräfin Frijs zu entsprechen, die beide mit gleicher Liebenswürdigkeit mir stets entgegengekommen sind. Schloß Frijsenborg ist sowol mit Rücksicht aus das Gebäude wie auf das gesellige Leben als fast königlich zu bezeichnen. Die großen Säle prangen in Gold und Gemälden, die Thüren sind reich geschnitzt, die Gänge werden von Marmorsäulen aus Belgien getragen und mit Malereien und Basreliefs geziert. Das Innere des einen großen Thurms enthält eine großartige Waffensammlung und die Decke der Bibliothek ist mit den Portraits von Tycho de Brahe, Holberg, Oehlenschläger, Kingo, Thorwaldsen und Anderen geschmückt. Dazu gehört die Umgegend zu den reizendsten der wegen ihrer Schönheit bekannten Ostküste Jütlands. – Während meines Aufenthalts auf Frijsenborg kam auch Professor Carl Bloch nebst seiner Frau zu Besuch, der die Gräfin Danneskjold portraitirte. – Anfangs war das Wetter ziemlich warm und recht schön, allein nach einigen Gewittern ward es kalt; der Regen strömte herab und füllte alle Kanäle des großen Parks bis an den Rand. Während der schönen Tage fuhren alle im Schlosse Anwesenden in die Umgegend, ich aber blieb daheim, weil die mir in Cassel zugezogene Wunde am Bein, wahrscheinlich durch die Anstrengung der Reise, wieder schmerzte. Das Jucken und Brennen in derselben war unerträglich und versetzte mich in üble Laune. Der Doktor, der jeden Tag kam, versuchte Alles, aber nichts wollte helfen. Ich saß, wie gesagt, daheim und arbeitete sehr fleißig an der Beschreibung meiner Reise in Portugal; ich arbeitete während meines Aufenthalts aus Frijsenborg, der am dreißigsten August zu Ende ging, mehr als ich in dem sechs- bis siebenwöchentlichen Aufenthalt auf » Rolighed« geleistet hatte. Der Doktor sagte immer, die Sache habe nichts zu bedeuten und Alle sagten: »Jetzt ist die Wunde ja fast geheilt, in ein paar Tagen ist Alles vorbei!« So werden Sie immer sprechen, bis es wahr wird und Alles vorbei ist. Dieser plötzlich mir überkommene Gedanke, der mich höchst wehmüthig stimmte, erhob sich in meiner Phantasie zur Dichtung; vielleicht wird Gade oder Hartmann einst ihr Melodie verleihen.

Auf diese Weise entstand die Erzählung » Glückspeter«, worin ich den Satz » Es kommt niemals wieder!« variirte.

Von der mir so lieb gewordenen Familie Melchior erhielt ich oft die herzlichsten Briefe, die ich stets erwiederte. Dadurch weilte ich oftmals in Gedanken bei den lieben Menschen, namentlich beschäftigte ich mich viel mit dem kleinen, schwachen William, meinem kleinen Freunde und Liebling, und an seinem Geburtstage, den 28. August, sandte ich ihm mit jedem Vogel, der gen Osten flog, einen Gruß!

Die Rückreise von Jütland legte ich über Fyen zurück, um noch die Gräfin Moltke auf Glorup, wo ich lange nicht gewesen war, zu begrüßen und von dort reiste ich direkt nach Kopenhagen und befand mich Mitte September wieder bei Melchiors am Meeresstrande. Hier vollendete ich das Gedicht » Korsör« und beendigte die Reinschrift meiner Reisebeschreibung » In Portugal«.

Der Herbst nahte mit starken Schritten, Sturm und Regen stellten sich ein. Ich zog daher nach der Stadt in meine alte Wohnung auf dem Königs-Neumarkt. – Trotz meiner Furcht über die Pariser Weltausstellung weswegen ich in einem Jahre zwei Mal nach Paris gereist war, kein dichterisches Bild dieser wirklichen Fata morgana. wiedergeben zu können, konnte ich mich nicht entschließen, den einmal gefaßten Entschluß, dieselbe in Märchenform zu behandeln, ganz aufzugeben, und infolge dessen ging ich während des Octobermonats wieder an diese Arbeit und lieferte dieselbe unter dem Titel » Die Dryade« Siehe Band I. S. 234. Der Uebers. noch am Schlusse desselben Monats zum Druck ab. Dieser Arbeit folgte das Märchen » Das Glück kann in einem Zweige liegen«, Siehe Band I. S. 269. Der Uebers. dann vollendete ich kurz vor Weihnachten eine Beschreibung meines Aufenthalts » in den Jurabergen«, die zunächst in der in Kopenhagen erscheinenden »Zeitschrift für Romantik und Geschichte« erschien.

*

Das neue Jahr (1869) brachte neue Arbeitslust und neue Befriedigung und während meines Winteraufenthalts in Kopenhagen schrieb ich die Märchen » Der Komet«, » Sonnenscheingeschichten« und » Die kleinen Grünen«. Siehe Band I. der Märchen S. 325, 298 und 366. – Es muß hier jedoch hervorgehoben werden, daß in Andersen's Tagebüchern verschiedene Namen für einzelne seiner Märchen und Geschichten angeführt sind, woraus vielleicht einerseits eine Ungenauigkeit der Entstehungszeit derselben entspringt, was anderseits aber beweist, daß der Dichter dieselben vielfältig umarbeitete und dann ihnen andere Titel gab. Der Uebers. Außerdem arbeitete ich seit längerer Zeit an der Fortsetzung der großen dänischen Ausgabe » des Märchens meines Lebens«, die ich zunächst für eine amerikanische Ausgabe bestimmt hatte. Ich vollendete dieselbe, welche mit dem Jahre 1867 vorläufig schloß, am 29. März 1869. –

Indessen erhielt ich im Januar von meinem Freunde Ten Kate aus Amsterdam die von ihm verfaßte versificirte Ausgabe meiner Märchen. Das Buch war sehr reich und prächtig ausgestattet, mein dem Buche einverleibtes Portrait sehr ähnlich; aber der Text überstieg alle meine Erwartungen, denn die Wiedergabe der in Prosa verfaßten Geschichten war erstaunenswerth, da sie fast den Wortlaut derselben in gebundener Form enthielt. Ich war hoch erfreut darüber und drückte dem Dichter brieflich meine Bewunderung und Dankbarkeit dafür aus. Ten Kate hatte mir gleichzeitig ein Exemplar zur Ueberreichung an den König mitgesandt. Ich versuchte einige Tage später, obgleich der Monarch jeden Montag öffentliche Audienz ertheilt, an einem Freitag Zutritt zu erlangen und in der That war König Christian so gnädig, mich sofort zu empfangen. Ich sprach zu ihm von Ten Kate's Bedeutung als Dichter und überreichte ihm dann erst das für ihn bestimmte Exemplar. Der König nahm in seiner gewohnten Leutseligkeit das Buch entgegen und war sichtlich von dem Begleitschreiben überrascht, denn Ten Kate, der die dänische Sprache gründlich studirt hatte, hatte den Brief dänisch abgefaßt. Der König las mir das Schreiben vor und sagte dann, ich möchte dem holländischen Dichter, über dessen Kenntniß der dänischen Sprache er erstaunt sei, vorläufig für die Uebersendung des Buches danken. Ob später etwas » Weiteres« ersetzte, habe ich nicht entdecken können. Vielleicht war es die gewöhnliche façon de parler. Der Uebers. Kurze Zeit darauf wurde die Ten Kate'sche Uebersetzung in der dänischen Presse in anerkennendster Weise besprochen.

Mit der Frühlingssonne erwachte auch wiederum meine Reiselust und beeilte ich mich daher, in den ersten Tagen des Junimonats nach dem Herrensitz Basnäs zur Frau Kammerherrin Scavenius zu gelangen, wo ich, wie ich aus langjährigen Erfahrungen wußte, stets willkommen war. Hier schrieb ich das Märchen » Was die Distel erzählt«, Siehe Band I. der Märchen S. 290. Der Uebers. und nach einem dreiwöchentlichen Aufenthalt reiste ich nach Kopenhagen zurück, um einer erneuten Einladung der Familie Melchior, auf ihrer Villa » Rolighed« den Sommer zu verbringen, Folge zu leisten.

Obgleich, mir ganz unerklärlich, von jetzt ab mein Gemüth oftmals von einem Anflug von »Lebensmüdigkeit« beschlichen wurde, infolge dessen meine frohe, zuversichtliche Laune verschwand, schrieb ich während des Monats Juli die Geschichte » Hühner-Grethe's Familie«, Siehe Band I. der Märchen S. 307. Der Uebers. die in der Kopenhagener » Illustreret Tidende « zuerst veröffentlicht worden ist und im Allgemeinen günstig ausgenommen wurde.

Der Direktor der Kopenhagener Kunstakademie, der auch als Schriftsteller im Auslande bekannte Etatsrath J. M. Thiele, arbeitete gerade zu dieser Zeit au seiner Selbstbiographie und las mir bei Gelegenheit eines Besuches meinerseits eine mich betreffende Stelle vor. Wie ich dort geschildert bin, erkenne ich mich nicht wieder, und ebenso wenig erinnere ich mich der Art und Weise, wie ich mich zu Anfang meiner Laufbahn ausgedrückt haben soll; aber möglich ist ja immerhin, daß Thiele meine Jugendzeit richtig geschildert hat. Ist es mir doch oft, als ob ich gleich dem Schmetterling verschiedene Gestalten angenommen; denn meine Entwickelung ist von der aller Anderen durchaus verschieden gewesen; ich habe, so zu sagen, in den verschiedensten Lebensverhältnissen und mit den verschiedensten Menschen gelebt. Thiele, der von meinem ersten Auftreten an, mit milden Augen auf den sonderbaren Knaben – der zwar hoch emporgeschossen, aber dennoch Kind war, der an alle Menschen glaubte und jeden seiner Gedanken offen aussprach – blickte: er ist vielleicht der Einzige, der mich aus jener Zeit zu schildern vermag und das Recht dazu hat. – In den verschiedenen Lebensaltern sieht man die Begebenheiten und Personen durch ein verschiedenes Glas; aber das Bild, welches Thiele von mir entworfen, scheint mir nicht ganz correct zu sein; denn wenn er mich sprechend citirt, kommt mir die Art und Weise vor, als rufe der Vorzeiger von Raritäten: »Hier, meine Herrschaften, sehen Sie etc.«, aber sie giebt nicht die Art und Weise wieder, wie ich in meiner jugendlichen Treuherzigkeit in den Tag hineinsprach. Thiele hatte mich mündlich ersucht, ihm aus meinen Erinnerungen einige Mittheilungen über die Bewohner von » Bakkehus«, wo der berühmte Staatsmann Christian Colbjörnsen, die hochbegabte Schauspielerin Madame Andersen, Thiele und der berühmte Gelehrte Rahbeck und seine von Allen hochverehrte Gattin wohnten, Man vergleiche das zweite Kapitel in: vorigen Bande, namentlich Seite 43 und 44. Der Uebers. zu machen. Demzufolge schrieb ich an Thiele:

 

»– – – Wenn ich Ihrem Wunsche entsprechen soll, ist es vielleicht unvermeidlich, etwas zu wiederholen, was ich irgend wo bereits geschrieben habe. Ich entsinne mich der liebevollen Aufnahme, die ich bei der Wittwe des Ministers Colbjörnsen fand; diese Dame war die erste, welche den armen Knaben in ihrem Sommerheim freundlich empfing, und bald war ich auch heimisch bei den anderen freundlichen Bewohnern von » Bakkehus«. Madame Andersen, die mich einige Male Gedichte deklamiren gehört hatte, nannte mich seither »Der kleine Deklamator«. Frau Rahbek, diese lebhafte und geistreiche Dame, schien sich zu unterhalten, wenn sie mit mir sprach und meine ersten dramatischen Versuche vorlesen hörte. – Das erste und einzige Mal, als Rahbek mit mir sprach, war in dem Bureau des königlichen Theaters, als die von mir eingesandte Tragödie » Alfsol« von den Direktoren gelesen und ich zu erscheinen berufen worden war, um das Urtheil zu hören. Rahbek führte das Wort; er übergab mir das Manuskript mit dem Bemerken, daß das Stück für die Bühne unbrauchbar befunden worden sei, aber daß man »so viele Goldkörner« in demselben vorgefunden habe, die zu der Hoffnung berechtigten, daß ich durch ernste Studien, durch einen geregelten Schulbesuch dahin gelangen würde, zu erkennen, was nöthig sei, um Stücke für die dänische Bühne schreiben zu können, die zur Aufführung dort würdig befunden werden. Dann theilte Rahbek mir mit, daß der Conferenzrath Jonas Collin meine Angelegenheit dem Könige Frederik VI. vorgetragen habe, und daß ich infolge dessen jährlich aus der Staatskasse eine Summe zum Zweck des Unterhalts erhalten und endlich, daß man mir in der Lateinischen Schule zu Slagelse freien Unterricht ertheilen würde. Für die letzte Wohlthat hätte ich dem Bischof Mynster persönlich meinen Dank abzustatten. Ich ging zu diesem hochbegabten, ehrwürdigen Mann; er sprach in ernsten, ja, fast strengen Worten über das Glück, das mir zutheil geworden, und wie ungewiß es sei, ob dieses zu einem glücklichen Resultat führen würde; ich hätte daher durch Fleiß meine Dankbarkeit zu bekunden. Diese Worte waren sicherlich wolgemeint, und seiner Ansicht nach gewiß die richtige Art und Weise, den sonderbaren, phantasiereichen Knaben anzureden; aber mein Gemüt war sehr zart, die Worte schlugen mich gleich einer Peitsche und mit bittren Thränen entfernte ich mich. Auch in » Bakkehus«, wohin ich vor der Abreise ging, flossen Thränen, aber es waren die der Freude über all die Freundlichkeit und Theilnahme, die mir dort Alle, darunter auch Sie, erwiesen. Beim Abschiede drückte mir Frau Rahbek die Hand, indem sie den Wunsch aussprach, mich in einigen Jahren als einen tüchtigen Studenten wiederzusehen, »und dann gedeiht auch der Poet!«

»Ich war bereits Student geworden, als Frau Rahbek starb; ich folgte ihrem Sarge von ihrer Wohnung nach der Frederiksberger Kirche, von wo ich den Anblick des stillen, gebeugten, alten Gatten, der sein Alles verloren hatte und tief bewegt an dem Grabe stand, treu in meiner Erinnerung bewahre. An ihrer letzten Ruhestätte durchliefen viele Erinnerungen mein Gehirn, die Erinnerung an ihre freundlichen Worte und an die kluge Seele, die aus ihren Augen leuchtete.

»Bald, nachdem ich Student geworden war, erschien, wie bekannt, mein Buch » Die Fußreise«. Dies war für mich eine Lebensfrage. Ich glaubte, daß alle Freunde und Bekannte ebenso sehr von derselben eingenommen sein müßten, wie ich es war, und eine der Ersten, welcher ich mein Buch sandte, war Frau Rahbek. Sie war damals schon krank, und einige Tage später erfuhr ich vom Admiral Wulff, daß sie gestorben war. Mein erster Ausruf war: »Ob sie wol meine Fußreise gelesen hat?« – »Aber, Mensch!« rief der Admiral erstaunt aus, »sind Sie denn ganz von Sinnen! Glauben Sie, daß man sich um Ihre »Fußreise« bekümmert, wenn man die große Reise zum lieben Gott antritt?« – Er schüttelte sehr ernst den Kopf. Aber meine Meinung war, daß ich ihr gern eine Freude gönnte, und eine solche, glaubte ich, müsse es sein, mein neues Buch zu lesen.

H. C. Andersen

Während meines Aufenthalts auf » Rolighed« erhielt ich folgenden Brief von Dr. Georg Brandes:

 

»Kopenhagen, den 10. Juli 1869.

»Mein lieber Herr Etatsrath!

»Sie sind von allen Schriftstellern derjenige, welcher der Kritik das größte Unrecht zugefügt, alle vulgären Vorurtheile gegen dieselbe unterstützt, sie der Verachtung preisgegeben und sie in Mißcredit gebracht hat.

»Für mich ist die Kritik eine Wissenschaft und eine Leidenschaft, und ich bilde mir natürlich wie alle Menschen ein, daß alle Anderen das Vortreffliche meines Metiers einsehen müssen.

»Ich habe in der »Illustreret Tidende«, die morgen erscheint, eine kleine Reihe Artikel über Ihre Märchen zu veröffentlichen begonnen. Ich bitte Sie, dieselben nicht zu beurteilen, bevor Sie sie zu Ende gelesen haben, und, wenn Sie sehen, daß ich mich nicht gerächt habe wegen Ihrer vielen bösen Worte über die Kritik, so glauben Sie ein wenig Gutes von der ästhetischen Wissenschaft und vergessen Sie nicht die Güte, die Sie früher erwiesen haben

Ihrem ganz ergebenen und herzlich
zugethanen Kritikus
G. Brandes

Darauf antwortete ich:

 

»Rolighed, den 13 Juli 1869.

»Lieber Freund!

»– – – Von Basnäs zurückgekehrt, fand ich Ihren Brief vor. Als ich einen zufälligen Blick in die »Illustrerer Tidende« warf, las ich den ersten Artikel über meine Märchen. Ich war sehr erfreut, Ihre Initialen unter demselben zu sehen, denn ich habe lange gewünscht, Sie möchten sich über eine meiner Arbeiten aussprechen. Sie wissen, mit welcher Befriedigung ich stets Ihre Kritiken gelesen habe, weil ich in denselben Geist und Herz finde, ja, stets etwas aus denselben lerne. Dies habe ich auch schon früher zu Ihnen ausgesprochen. Sie haben mit Verstand und jugendlicher Innigkeit bis in's Herz meiner kleinen Geisteskinder hineingeschaut, und ich fühlte während des Lesens eine Freude, die ich Gott bitte, Ihnen zu vergelten. Ihre Auslassung über meine Erzählungsweise ist so richtig und so sehr hervorzuheben, daß ich sogar in einem Brief an meinen Verleger in New-York derselben erwähnte.

»Für Ihr Schreiben meinen besten Dank! Doch muß ich Ihnen, mit Rücksicht auf dessen Anfang, ausrichtig gestehen, daß ich diesen für einen Scherz halte und daher nicht ernstlich nehme. Keiner ist mehr als ich, in früherer Zeit, härter und schonungsloser von der sogenannten Kritik behandelt worden; sie hat Alles gethan, um mich zu vernichten und todt zu machen. Ich schwieg und litt. Wie haben dahingegen Heiberg, Hertz und Paludan-Müller durch Angriffe – so zu sagen – um sich gebissen, wo man ihnen doch jedenfalls Achtung erwies? Hauch lobte mich sogar einmal wegen meiner Geduld und meines Schweigens. Wie ungerecht und boshaft war nicht die »Monatsschrift für Literatur« gegen mich. » Andersen vermochte nicht, selbst im hohen Alter und als er so zu sagen von der Bewunderung der ganzen civilisirten Welt getragen wurde – sagt Lobedanz – sich gegen die Dornenstiche einer ungerechtfertigten Kritik zu stählen, weil es ihm im Grunde an einer gewissen Charakterstärke fehlte, aber auch zum Theil war es das natürliche Resultat seiner traurigen Jugendjahre, die ihm all die Seelenqualen bereiteten, welche ein braver, edler und reichbegabter Mensch zu erdulden hat, wenn er arm und von geringer Herkunft, sich zu einer demüthigenden Rolle verurtheilt sieht, während Personen, die in der Welt glücklicher gestellt sind, aber denen es sowol an Seelengröße als Talent fehlt, oftmals mit grausamem Wohlbehagen den Unbeschützten und Wehrlosen mißhandeln, dessen reagirende edle Natur hin und wieder gleich einem Blitz in einem allzu stark ausgeprägten Selbstgefühl zum Durchbruch gelangt und dieses Gefühl empört oder reizt«. Der Uebers. Lesen Sie doch nur eine der Bemerkungen zu Paludan-Müller's »Trochäen und Jamben.« Wie oft sagte nicht mein einziger, mich ermunternder Freund H. C. Oersted zu mir: »Man ist im höchsten Grade ungerecht gegen Sie, und es ist erstaunlich, wie lange dies dauert; aber ich nähre die feste Zuversicht, daß eine Zeit kommen wird, die sich ganz anders ausspricht, und daß Sie sich mit der heimischen Kritik ebenso zufrieden erklären werden, wie Sie es bereits jetzt mit der des Auslandes sind.« Und in der That, diese Zeit ist gekommen! Das junge Geschlecht macht wieder gut, was das alte verbrochen hat, und Sie, lieber Freund, gehören zu den jungen Männern, die ich schätze und auf die ich Werth lege. Auf die inhaltslose, schlechte, boshafte Kritik habe ich wegen ihres Gekläffes losgeschlagen, und werde es noch heute thun: denn die alte Rechnung muß berichtigt werden; aber wenn Sie » das Märchen meines Lebens« lesen, dann werden Sie sehen, mit welchen innigen Gefühlen, mit welcher Dankbarkeit ich jedes milde Urtheil, jede Ermunterung anerkannte und bewahrte. Meinem Herzen fehlte es nie an Dankbarkeit.

»Wir werden eines Tages über Alles, was ich hier berührt habe, sprechen; aber jetzt will ich Ihnen danken für die Gesinnung und das geistige Auge, womit Sie meine Schriften lesen, wie für das Licht, das Sie für Viele auf meine Dichtungen fallen lassen. Sie suchen nicht des Dichters Arbeiten hervor, um dadurch Ihren eigenen Geistesreichthum und Ihre Ueberlegenheit leuchten zu lassen, sondern um sich selbst und Andere über das Schöne in denselben zu erfreuen, und dann manch welkes Blatt, das nicht dorthin gehört, aber allen menschlichen Werken anklebt, abzupflücken. Ich freue mich daher, Ihre Abhandlung in ihrem ganzen Umfange zu lesen und werde später mit Ihnen darüber sprechen. Gott schenke Ihnen eine Zukunft, wie er Ihnen reiche, glückliche Gaben bereits verliehen hat!

Ihr Freund
H. C. Andersen

 

Auf diesen Brief erwiderte Dr. G. Brandes am 19. Juli:

 

»Meinen besten Dank für Ihren freundlichen Brief. Es gereichte mir zur wahren Freude, zu sehen, daß Sie meine kleine Abhandlung in bonam partem genommen haben. Sie ist in guter Meinung geschrieben worden; aber ich bin bereits daran gewöhnt, mit allem Andern als Dank für das, was ich schreibe, belohnt zu werden, daß ich auch diesmal nicht sicher war, wie dieselbe aufgenommen werden würde. – Mein letzter Artikel erscheint nächsten Sonntag. Derselbe bestrebt sich, die Vorzüge Ihrer Begabung in ein klares Licht zu stellen.

»Was ich über Ihr Verhalten zur Kritik schrieb, war freilich Ernst; aber ich verehre Sie nicht weniger deshalb. Sie haben der – bereits schon hinlänglich schwierigen – Stellung eines Kritikers hier in diesem kleinen, nur wenig entwickelten Lande außerordentlich geschadet; Sie haben das Ihrige dazu beigetragen, die Meinung zu verbreiten, daß Neid seine Inspiration ist und daß er mit einem Leibgürtel von Schlangen einhergeht. Ich kann Ihnen nicht einräumen, daß Sie in Ihren Märchen einen Unterschied zwischen schlechter und guter Kritik gemacht haben. Der Kritiker ist für Sie »der Raisonneur«, der unfruchtbare und unnütze Kritikastler. Indessen giebt es ja dennoch eine historische und eine philosophisch-ästhetische Wissenschaft, die doch nicht Schuld daran ist, daß so mancher Kritler und Prahlhans sich mit der Gunst der Muse dieser Wissenschaft brüstet, obgleich er niemals ihren Gürtel löste. Die wahre Inspiration des ästhetischen Kritikers ist die biegsame Sympathie, mit der er sich wechselweise mit den verschiedenen Geistern und dem Geist der verschiedenen Länder identificirt. Kraft dieser Sympathie versucht er, alle die Gefühle, welche den Werken der Literatur zu Grunde gelegen haben, mit zu empfinden. Ein Kritiker ist ein Mensch, der zu lesen versteht, und der die Anderen lesen lehrt. – Was ich in Ihren Werken vermisse, ist das Hervorheben dieses Umstandes. Sie nehmen in der Literatur einen Platz ein, von welchem jedes Wort ein tausendfaches Echo erweckt. Daß Sie selbst unter einer faden und ungerechten, oft lümmelhaften Kritik zu leiden gehabt haben, weiß ich wol; ich selbst, der – das weiß der Himmel – in keiner andern Hinsicht sich mit Ihnen vergleicht, habe unter einer ähnlichen gelitten, und ich werde durch meine Richtung als Freidenker ferner größeren Widerstand zu erdulden haben, als Sie jemals begegnet sind oder begegnen konnten. Aber es scheint mir, daß Sie im Zorn über das, was Ihnen persönlich widerfahren ist, den Pflegern einer ganzen Wissenschaft Unrecht gethan haben. Deshalb schrieb ich, wie es gethan. Ich räume Ihnen bereitwillig ein, daß Sie einen Unterschied zwischen herabsetzende und milde Urtheile gemacht haben; jedoch scheint es mir, als hätten Sie die Linie nicht richtig gezogen. Es giebt nur eine Linie, und diese ist zwischen wahrer und falscher, ernster und boshafter Beurtheilung zu ziehen, und diese letzte Sonderung verwechselt das Publikum – besonders gestützt auf eine große Autorität – nur allzu häufig mit der ersteren.

»Doch hier ist meine Hand; nichts liegt ferner von mir, als Haß zu Ihnen zu nähren, dem ich eine wahre geistige Bereicherung verdanke. Ich habe nur mein Scherflein dazu beitragen wollen, um den Leuten die Augen zu öffnen, damit sie erfahren, was Dänemark in Ihnen besitzt. Gelingt mir dies, dann bin ich befriedigt. Noch einmal meinen Dank; meinen Dank besonders, weil Sie mir eine Zukunft wünschen. Ich, der ich meine Fähigkeiten kenne, weiß nur zu wol, daß dieselbe weder groß noch glänzend werden wird; aber ich möchte gern, daß sie unserer Literatur zum Nutzen gereichten, damit ich nicht gänzlich von der Erde verschwinde, ohne eine Spur hinterlassen zu haben.

Ihr ergebener
Georg Brandes

 

Auf diesen interessanten Brief antwortete ich am 21. Juli:

 

»Lieber Freund!

»Nehmen Sie meinen Dank für Ihren Brief und die darin enthaltenen Auslassungen! Aber ich bin dem Ziele gleich nah; ich kann, mit dem besten Willen, nicht einsehen, daß Sie im Rechte sind; ja, ich wundre mich sogar darüber, daß Sie, mit Ihrem klaren, auffassenden Blick, die Sache auf solche Weise betrachten. In Gedanken durchlief ich die Reihe meiner Märchen und finde, was meiner Natur ganz entspricht, daß ich, nachdem ich in einer früheren Zeit förmlich mit Füßen getreten und von der Bornirtheit, Bosheit und Unwissenheit verletzt worden bin, endlich um mich gehauen habe; aber ich will nur diese Art der Kritik treffen. In dem Märchen » Ein Blatt vom Himmel«, wie in » Das häßliche Entelein, Siehe die Märchen Band III. S. 289 und 494. Der Uebers. befindet sich eine Abspiegelung meines eigenen Lebens; in der Geschichte » Etwas« Siehe das. Bd. II. S. 202. Der Uebers. ist es derjenige der fünf Brüder, welcher, aller Begabung entblößt – er vermag nicht einmal Mauersteine zu machen – als Richter auftritt, weshalb ich seine Ohnmacht vor die Pforte des Himmels stellte. Verwandt hiermit ist eins meiner in diesem Frühjahr geschriebenen Märchen: » Was man Alles erfinden kann«; Siehe Bd. I. S. 303. Der Uebers. es gehört, sagt man allgemein, zu den schärfsten, aber besten Märchen. Sie kennen es nicht, obgleich es bereits in Amerika erschienen ist, auf dieses können Sie also nicht abzielen. Sagen Sie mir also, lieber, begabter Freund, wo ich ein »großes Unrecht« gegen die Kritik, im Allgemeinen genommen, begangen habe? Es sind ja einzig und allein die schlechten, unerlaubten Skribler, die ich aus dem Tempel zu jagen suche, und dafür, scheint mir fast, müßten die von Gott berufenen Richter mir Dank wissen. Mit welcher Freude bin ich Ihnen nicht stets gefolgt, der mir immer mehr die Augen für das Schöne öffnete! Und gerade das war es, was mich sofort zu Ihnen hinzog. Sie müssen es gehört haben, obgleich die Leute selten das Gute weitererzählen, wie befriedigt ich von jeder Ihrer Auslassungen gewesen bin; denn ich fühlte, daß Sie mit Liebe Ihrem Berufe obliegen, mit den Augen des Herzens und des Verstandes sehen und ein guter Arzt für Viele sind. Gott erhalte Sie in Ihrer Entwickelung und bleiben Sie so, wie Sie jetzt sind, dann werden Sie der gute Gärtner im Garten der Literatur sein!

»Nochmals meinen Dank für Ihre Gesinnung gegen mich! Es ist, wie Sie wissen werden, am sechsten September d. J. fünfzig Jahre her, daß ich als Knabe nach Kopenhagen kam; es liegt viel bittere Erinnerung zwischen diesem Zeitraum, und jetzt, aber auch unendlich viel Gutes für mich. Ich kam vom Schatten in den Sonnenschein hinein, und aus vollem Herzen sage ich Ihnen, daß Ihre durchdachte, herzlich gemeinte Abhandlung über meine »Märchen« für mich ein belebender Sonnenstrahl ist.

Ihr herzlich zugethaner
H. C. Andersen

 

Nachdem die Abhandlung in der »Illustreret Tidende« abgeschlossen war, schrieb ich an den liebenswürdigen Verfasser folgenden Brief:

 

»Rolighed, den 26. Juli 1869.

»Mein lieber Herr Brandes!

»Gestern las ich den Schluß Ihrer vorzüglich geschriebenen, interessanten Abhandlung in der »Illustreret Tidende« vom 25. Juli; meinen herzlichen Dank dafür! Sie haben auf eine günstige und klare Weise diese Märchen beleuchtet, und viele Leser werden dadurch diese Dichtung mit ganz anderen Augen betrachten. Man fühlt es aus der Abhandlung heraus, daß Sie dieselbe mit Liebe zur Sache geschrieben haben, und deshalb bin ich Ihnen verbunden und dankbar. Daß ich wol Dies und Jenes dagegen zu bemerken hätte, werden Sie gerechtfertigt finden, und Sie mißverstehen mich wol nicht, wenn ich dies berühre? In einem so vollständigen Bilde, wie Sie es hier gegeben haben, und wo es für die Meisten aussieht, als ob alle Märchen mehr oder weniger eingehend besprochen worden seien, fehlen mir ein paar, denen ich ganz besondere Bedeutung beilege, z. B.: » Das kleine Mädchen mit den Streichhölzern« und » In der Kinderstube«, endlich zwei von denen, die meiner Meinung nach zu den tiefdurchdachtesten aller meiner Märchen gehören: » Anne Liesbeth« und » Das Mädchen, das auf's Brod trat. Siehe Band I. S. 57 u. 443; Band II. S. 144 u. Band I. S. 145. Der Uebers. Es hat mich gewundert, daß Sie » Die Dryade« nicht erwähnt haben, in welchem Märchen ich es versucht habe, dem Materialismus unserer Zeit Poesie abzugewinnen. Eine wegen ihres historischen Inhalts und der Sprache wegen bedeutende Arbeit ist gewiß » Waldemar Daa«. Siehe Band I. S. 234 u. Band II. S. 13. Der Uebers. Sie werden mich verstehen; denn dies soll kein Tadel sein, sondern nur eine Auffassung meinerseits, die ich vor Ihnen auszusprechen wünschte, der Sie mit solcher Liebe und Tüchtigkeit mein Talent in dieser Richtung beleuchten. Was Sie über mich als Romanverfasser und dramatischen Dichter schreiben, darin haben Sie sicherlich ganz Recht; aber als »Lyriker« scheinen Sie mich ein wenig zu leicht behandelt zu haben. Einen Vorzug habe ich hier dennoch, dessen Sie nicht erwähnen, und der ist: in wenig Strophen viel zu sagen, was die Leute im Allgemeinen bezeichnend finden. In Ihrer Auslassung über die Heiberg'schen Vaudevillen bin ich auch nicht ganz einig mit Ihnen und durchaus nicht mit den meisten Kritikern. Ich sehe in Heiberg's Vaudevillen keine neue, eigenthümliche Dichtung. Die deutsche Schauspielerin, Fräulein Pohlmann, brachte zu uns die neue deutsche Posse: » Die Wiener in Berlin« und die Kopenhagens waren entzückt. Da schrieb Heiberg das Stück » König Salomon«, welches mit der deutschen Posse sehr nah verwandt ist; einige der Melodien aus »Die Wiener in Berlin« klangen ihm aus solche Weise in's Ohr, daß sie in »König Salomon« wiederklangen. Heiberg's Vaudevillen sind kleine Operetten, z. B. » Das Abenteuer im Rosenburger Garten«. Doch, hier entferne ich mich von dem, wovon ich schreiben wollte, denn diese Bemerkungen kann ich mit Ihnen mündlich besprechen, wenn wir uns sehen. Heute wollte ich Ihnen nur meinen Dank aussprechen für das, was Sie mit der Klarheit des Verstandes und mit innigem Herzen geschrieben haben. Wenn Sie einst die jetzt vollendete Fortsetzung » Das Märchen meines Lebens« Andersen meinte hier die in Amerika erschienene Ausgabe, die ich in den Kapiteln 17 bis 20 incl. wiedergegeben habe. Der Uebers. lesen werden, dann werden sie mich auf einem andern Standpunkt stehen sehen, als Sie mich, freilich mit Recht, während früherer Zeitbegebenheiten beleuchtet haben, Zeiten, wo ich, wenn auch nicht ganz in meinem eigenen »Ich« vertieft, doch in der Welt der Dichtung lebte.

Ihr dankbar ergebener Freund
H. C. Andersen

 

Auf die Einladung der Familie Henriques, die Melchior's so nah verwandt ist, vertauschte ich am 16. August den Aufenthalt auf der Villa » Rolighed« mit dem in der Landstelle der ersteren, wo ich mich gleicher Zuvorkommenheit und Liebe zu erfreuen hatte; ich zog von dort am 25. August nach Kopenhagen, wo man, wie ich wußte, für mich Feste vorbereitete: denn in wenigen Tagen waren 50 Jahre verflossen, seit ich als Knabe meine Vaterstadt, auf Gott und mein Glück vertrauend, verließ.

Indessen hatte ich die »Deutsche Originalausgabe« meines neuen Märchens » Die Dryade« zugeschickt erhalten. Edmund Lobedanz schreibt in seinen »Erinnerungen an Andersen«, daß Andersen selbst niemals etwas in deutscher Sprache geschrieben hat, weil er derselben nicht hinlänglich mächtig war. Wenn seine deutschen Bücher unter der Bezeichnung » Deutsche Original-Ausgabe« erschienen, so war dies ganz einfach eine Fiktion, die der deutschen Ausgabe den Vorrang auf dem deutschen Buchmarkt sichern sollte. »Er erhielt – fährt Lobedanz fort – übrigens, soweit mir bekannt, ein verhältnißmäßig nur sehr unbedeutendes Honorar für diese deutsche Ausgaben – so z. B. nur 100 Thlr. für »In Spanien«. Vielleicht war dies die Ursache, daß er sich bei der Revision der deutschen Uebersetzungen keine besondere Mühe gab; wenigstens sind, wie ich zufälliger Weise entdeckte, viele ziemlich meinungslose Fehler, ja, geradezu mehrere unverzeihliche Nachlässigkeiten und Uebersetzungssünden seiner Aufmerksamkeit entgangen. Der Uebers.

Der vierte September, ein Sonnabend, brach an. Vor fünfzig Jahren ging ich als armer Knabe von Odense nach Kopenhagen. Auf Einladung des Seniorats des »Studentenvereins« sollte ich am Abend dieses Tages dort einige Märchen vorlesen. So wie ich das festlich geschmückte Vereinshaus am Holmanskanal betrat, begann die für mich bereitete Feier. Der Saal war mit Fahnen und Guirlanden geziert, meine Büste war neben der des Dichters Ingemann und J. L. Heiberg gegenüber aufgestellt worden. Auf der Rednerbühne fand ich ein prachtvolles Bouquet. Der Schriftsteller P. Hansen, einer der Senioren des Vereins, hieß mich in einer rhetorisch vollendeten Ansprache willkommen, bei deren Schluß mir von den zahlreich versammelten Studenten ein neunmaliges Hoch entgegenklang. Der Abend verlief in herzlichster Weise unter meinen jungen Freunden, und glücklich kehrte ich heim in's Hôtel d'Angleterre, wo ich interimistisch meine Wohnung aufgeschlagen hatte.

Schon glaubte ich die Feier des für mich ereignißreichen Tages damit beendigt, als am Montag, dem sechsten September, dem Tage meiner Ankunft in Kopenhagen – nachdem die Leute im Hôtel während der Nacht die Corridore und die Thür zu meinem Zimmer mit Kränzen und Blumen geschmückt hatten – mir der Beweis geliefert wurde, daß meine Freunde diesen Tag nicht vergessen hatten. Von Sr. Majestät dem Könige an bis hinab zu dem einfachen Arbeiter, mit dem ich je in Berührung gekommen war, empfing ich Zeichen des Gefühls, das Alle beseelte. Von allen Seiten strömten herrliche Blumensträuße herbei und bald schien mein Zimmer in ein Treibhaus verwandelt zu sein, denn mehr als fünfzig Bouquets schmückten dasselbe, ja, sogar von den Schweizer Alpen hatten dortige Freunde Rosen gesandt und ebenso die prächtigsten Blumen aus Belgiens Hauptstadt. Ein Theil des Personals des königlichen Theaters hatte mir eine Blumenspende überbracht; es waren Künstler desselben Theaters, vor welchem ich vor fünfzig Jahren als verlassener Knabe gestanden und dasselbe mit Ehrfurcht betrachtet hatte. Die Vorsteherin einer der ersten höheren Töchterschulen, Fräulein Zahle, erschien, gefolgt von mehreren der Lehrerinnen ihres sehr angesehenen Instituts, und überreichte mir einen großen Korb mit Rosen und Lorbeeren, in dem mitten darin ein großes, prächtiges Klettenblatt Lateinisch: Lappa. Der Uebers. von Silber lag, auf dem sich eine aus Silber verfertigte Schnecke befand, als Erinnerung an mein Märchen: » Die glückliche Familie. Siehe Band III. S. 118. Der Uebers. Telegramme und Briefe mit den herzlichsten Glückwünschen füllten meine Tische. Ich war überwältigt! Und dennoch fand die eigentliche Feier erst später am Tage statt.

Meine Freunde hatten mich zu einem Diner in den hübschen Lokalitäten des Restaurateurs Vincent, Jetzigen Pächters des prachtvollen Hôtel d'Angleterre in Kopenhagen. Der Uebers. neben dem Hôtel »König von Dänemark« gelegen, eingeladen. Um fünf Uhr Nachmittags fand sich mein alter, langjähriger Freund, Conferenzrath Drewsen, bei mir ein, um mich zu dem Diner abzuholen, an dem 250 Gäste, aus den hervorragendsten Männern der Kunst und Wissenschaft bestehend, theilnahmen. Darunter befanden sich der Kultus- und Kriegsminister, der Polizeidirektor, Conferenzrath Brästrup, der Professor der Medizin, Conferenzrath Ole Bang, die Archäologen Henry Martin, Quatrefages und Lair aus Paris, Professor Nyblom aus Upsala und der Dichter A. Munch aus Christiania Es fand gerade zu der Zeit der internationale archäologische Kongreß in Kopenhagen statt. Der Uebers.. Ferner die Componisten Hartmann und Gade, die Dichter Kaalund, Richardt, C. Ploug und H. P. Holst, die Professoren Jerichau, Höedt und Holten, Frau Etatsräthin Heiberg und Frau Jerichau- Baumann, der Maler Carl Bloch, sowie verschiedene Mitglieder der Theater und der größte Theil der jungen Schriftstellerwelt.

Es wurde mir die Ehre zutheil, die Conferenzräthin Koch unter den Klängen der Tafelmusik zu Tisch zu führen; man spielte den Marsch aus Hartmann's neuem Ballet » Thryms qviden «. Mein Platz war mit einer Menge Blumen und einem Lorbeerkranz geschmückt. Nachdem Alle Platz genommen, theilte Conferenzrath Drewsen mit, daß er, als mein ältester Freund, vom Comité aufgefordert worden sei, den Platz als Dirigent einzunehmen, in welcher Eigenschaft er Alle willkommen hieß. Dann brachte er zunächst, als alte nordische Sitte, ein Hoch auf den König aus, indem er daran erinnerte, daß ich mehr als die meisten Anderen Veranlassung hätte, ein »Lebehoch« auf den König auszubringen, weil ich während der Lebenszeit von vier dänischen Königen Gutes von dem Wolwollen, das vom Throne ausströme, genossen hätte. Frederik VI. habe mit mildthätiger Hand mich, den jungen vorwärtsstrebenden Mann, aus den Weg zu Kenntnissen und Bildung geleitet: Christian VIII. habe, was zu jener Zeit etwas ganz ungewöhnliches war, mich, den jungen Studenten, in sein Haus eingeladen: Frederik VII. hatte bei vielfältigen Gelegenheiten gezeigt, in wie hohem Grade er es verstanden, meine Dichtungen zu würdigen, und das jetzige Königshaus habe mehr als einmal unzweideutig zu erkennen gegeben, daß es meine dichterischen Schöpfungen mit denselben Gefühlen umfasse, womit das Volk sie umfasse und daher mit den besten Gefühlen und Gedanken der Nation in voller Uebereinstimmung lebe.

Nachdem dieser Toast mit lebhaften Hurrahrufen beantwortet worden war und das Orchester das Nationallied »König Christian stand am hohen Mast« gespielt hatte, wurde ein in Veranlassung des Tages von P. Hansen verfaßtes Lied gesungen. Nach dem ersten Gange hielt der Redakteur des »Dagbladet«, Carl Bille, die Festrede. Der Inhalt seiner Rede war ungefähr folgender:

» Andersen hat nicht allein seinen eigenen Namen, sondern auch den seines Vaterlandes durch seine Märchen auf den Schwingen seiner Phantasie über Europa hinausgetragen. Wir Dänen sind ein wenig zu geneigt, erst unsere großen Männer zu ehren, wenn sie gestorben sind, aber wir begehen ein Unrecht gegen sie. Wir haben deshalb mit großer Freude die Gelegenheit ergriffen, Andersen zu huldigen und dieser Drang hat lange in uns unter der Asche geglommen; denn wir wollten ihm nicht allein einen Dank bringen für Alles, was er unserer Literatur geschenkt hat, sondern auch für die Dichtungen, welche er uns noch schenken wird. Wir stehen in hoher Schuld zu ihm; das jetzige Geschlecht hat auf gewisse Weise ein Unrecht gegen ihn wieder gut zu machen, weil das vorangegangene Geschlecht ihn nicht zu schätzen wußte, wie er es verdiente. Wir folgen Andersen ein halbes Jahrhundert in die Zeit zurück und folgen seinen Schicksalen in »dem Märchen seines Lebens«, dieser merkwürdig ergreifenden, naiven Schilderung, welche während des Lesens uns Thränen und Lächeln entlockt – und das ist ja das Höchste, wohin wir Sterbliche es bringen können. Andersen hat uns darin geschildert, wie er als armer Knabe hierher nach Kopenhagen gekommen ist; wir sind ihm gefolgt während der sieben Jahre der Arbeit von 1819-1825, und während der fünf Jahre der Verzweiflung, in welcher Periode » Die Fußreise« erschien, und wo seine erste italienische Reise gleichsam die Räthsel seines Lebens klärte, indem »Der Improvisator« uns erst seine rechte Bedeutung darthat. Von dem Tage an, wo die Blütenknospe ihre Fesseln brach, hat er uns viele Dichterwerke geschenkt. Jetzt aber ist sein Name gekannt, nicht allein hier im Lande, sondern auf der ganzen Erde. Seine Gedanken haben sich Bahnen gebrochen durch die ganze Welt. Zwischen Norwegens Bergen, unter Schottlands Clanen und am Himalaya – überall lesen die kleinen Kinder dieselben Märchen, deren Gedanken in dem Gehirn des dänischen Dichters entstanden sind. Die Kinder ernten Nutzen aus dem Lesen derselben, sie lernen vor allen Dingen größere Liebe zu Gott und die Welt fassen. Solche Männer sind selten, und deshalb müssen wir Dänen einem solchem Dichter unsern Dank darbringen; doch nicht allein die hier Versammelten, sondern die ganze weite Welt wird ihm den Dank der Sympathie darbringen. Wir aber danken dem Dichter, dem Freunde; möge seine wunderbare Jugendlichkeit, die er seinen 64 Jahren zum Trotz bewahrt hat, ihn niemals verlassen. Möge er uns noch recht viele Dichterwerke schenken. Hans Christian Andersen lebe hoch

Nach der oft von Beifallsrufen und mit lebhaften Zurufen beantworteten Rede, erhob sich der Kultusminister und theilte in wenigen Worten, durch die er Anerkennung meines Werthes als Dichter von Seiten des Königs-Hauses darzuthun suchte, mit, daß der König ihn beauftragt habe, mir das Commandeurkreuz des Dannebroges-Ordens zu überreichen, indem er noch ein »Hoch« auf mich ausbrachte.

Tiefbewegt erhob ich mich von meinem Platze und erwiederte ungefähr folgende Worte:

»Jeder von Ihnen, meine Freunde, wird es sicherlich begreifen, wie schwer es mir wird, jetzt das Wort zu führen, denn in diesem Augenblick durchkreuzen so viele Strömungen mein Herz und meine Sinne. Wenn ich an den Morgen denke, an dem ich vor fünfzig Jahren auf dem Berge bei Frederiksberg stand und über die große Stadt Kopenhagen zum ersten Male hinausschaute, so erscheint mir das ganze spätere Leben ein Märchen. Damals ahnte ich nicht, was kommen würde. Es ist mir so sonderbar zu Muthe. Alle die finsteren Schatten aus jener Zeit sind entschwunden, jetzt sehe ich nur noch die lichten Punkte vor mir. Es war gleichsam eine Fügung des Schicksals, gleichsam ein Instinkt bei mir, daß ich damals gerade die vielen vortrefflichen Männer aufsuchte, die mir während der Tage des Mißgeschicks vorwärts halfen. Zuerst muß ich die Componisten Weyse und Siboni nennen, dann Emanuel Balling, denn er war der erste bürgerliche Mann, der mir half, und endlich Admiral Wulff, dessen Haus sich gastfrei vor mir öffnete. Aber mein Heim fand ich bei Jonas Collin. Die alten Leute wurden meine Eltern, die jungen meine Geschwister. Zwei Dichter reichten mir damals auch die Hand: es war Ingemann und Thiele. Dann muß ich Frau Lassöe als einer liebevollen, zärtlichen Mutter gegen mich gedenken; aber Derjenige, bei dem vor Allen ich Trost fand, war H. C. Oersted. War ich niedergebeugt und von den harten Worten, die man gegen mich gebrauchte, vernichtet, dann tröstete er mich, und spät des Abends kam Oersted in mein ärmliches Zimmer und sagte mir, daß ich in die Zukunft schauen sollte und anerkannt werden würde, gerade so wie ich heute Anerkennung in so reichem Maße finde. Später wuchs die Zahl meiner Freunde; ich vermag sie hier nicht Alle zu nennen; aber Sie dürfen deshalb nicht glauben, daß ich undankbar gegen sie bin. Ich danke Ihnen Allen. Sie sehen es selbst, wie unendlich froh und glücklich Sie mich durch dies Fest gemacht haben. In des Königs Hause hat man mich stets gnädig ausgenommen; ich habe mich dort wie zuhause gefühlt und Seine Majestät hat mir heute einen neuen Beweis seiner Güte für mich gegeben.«

Im höchsten Grade ergriffen, schloß ich meine Rede, die sichtbar auf die Anwesenden einen großen Eindruck hervorgerufen hatte. Nach einer kurzen Pause erhob sich der als Redner bekannte Präsident des » Arbeitervereins von 1860«, Redakteur des »Dagstelegrafen«, Herr C. W. Rimestad Man vergl. S. 242 dieses Bandes. Der Uebers. und leitete seinen vortrefflichen Vortrag mit Charles Dickens' Worten ein: »Glücklich der Mann, der Märchen schreiben kann« und endete mit einem wiederholten Hoch auf mich, dem er in beredter Weise einen Gruß und eine Huldigung von der »arbeitenden Klasse« brachte, die ihm auferlegt habe, mir ihren Dank zu überbringen und die sich nach meiner Wiederkehr von einer beabsichtigten Reise sehne, die mich verstehe und stets es als einen Festtag betrachtet habe, wenn ich in ihrem Kreise durch Vorlesen meiner Märchen das Verständniß derselben erleichtert und die Saat der Phantasie befruchtet hätte, welche sie während der schweren Stunden der Arbeit abweisen müsse, aber um so begehrlicher nach derselben während der Stunden der Ruhe griffe.

In einigen Worten der Erwiderung bezeugte ich dem Redner, daß ich die besten Stunden in dem Kreise der Arbeiter zugebracht hätte, denn es bereitete mir stets die größte Freude, zu gewahren, wie sie zu lachen und zu weinen vermochten, wie keine Anderen, und wie gerade der Verein der Arbeiter stets mein aufmerksamstes Publikum geliefert habe.

Professor A. Munch aus Christiana überbrachte mir in einem poetischen Vertrag einen Gruß aus seiner Heimat und eine Einladung zum Besuche seines schönen Vaterlandes, wo ich ein Verständniß meiner Dichtungen wie irgendwo sonst finden würde, worauf ich meinen Dank aussprach an das Land, welches uns Dichter wie Holberg und Wessel geschenkt habe, und das zu sehen, ich mich schon längst gefreut hätte. Dann sprach die frühere Schauspielerin Marie Benedixen, die Gattin des Großhändlers Meyer, welche sich als Schriftstellerin versucht hat, in Versen ein neues »Hoch« auf mich aus: »für den großen Politiker, der die große politische Kunst versteht, Alle für sich zu gewinnen: erst die Kinder, dann die Mutter und dann den Vater«.

Professor Höedt las darauf ein Gedicht vom Dichter I. C. Hauch vor, mit dem ein Lorbeerkranz der Damen gefolgt war und sprach dann den Dank der jüngeren, meiner ersten Gönner aus, indem er bemerkte, daß es jetzt leichter sei, den Dichter anzuerkennen, als vor 40 bis 50 Jahren. Unsere Gedanken richteten sich in dieser Stunde auf meine ersten und besten Freunde, die mir nicht nur eine Unterstützung gegeben hatten, welche zu ertheilen stets angenehmer sei, als zu empfangen, sondern mir auch eine Anerkennung, deren ich so sehr bedurfte, hatten zutheil werden lassen, eine Anerkennung, die entgegenzunehmen, nach den damaligen allgemeinen Verhältnissen, viel angenehmer war, als dieselbe zu ertheilen. Während der Zeit, wo Alles Harken, Pflügen und Beschneiden unnütz war, weil die junge Pflanze vor allen Dingen des Sonnenscheins bedurfte, ließen mir diese Freunde diesen Sonnenschein in reichem Maße und andauernd zutheil werden, obwol ich viel davon zu consumiren vermochte, und dies sei um so mehr der Anerkennung werth, als die Dänen im Allgemeinen etwas schwerfällig wären, das Talent zu schätzen, während es jung sei. Diese, meine ersten Freunde, bedürften nicht des Dankes, denn der werde ihnen in ihrem eigenen Bewußtsein zu Theil, und ich hätte in meinen Werken die Namen meiner Freunde, die Namen Wulff, Oersted, Thiele, Hartmann, Collin verewigt. Er schloß mit dem Wunsch, daß bedürftige Talente stets solche Freunde finden möchten.

Nachdem ein humoristisches Gedicht von Chr. Richardt gesungen worden war, brachte Etatsrath I. M. Thiele mir den Dank der Kinder. An diese Rede knüpfte Kapitain Wilde den Dank der Kinder aller Lande. Der Banquier Adler und Redakteur Bille brachten »Lebehochs« auf die Archäologen Quatrefages und Henry Martin, die Beide mit langen Vorträgen, welche für Dänemark sehr schmeichelhaft waren, beantworteten. Endlich sprachen noch Frau Jerichau-Baumann und Professor Hartmann, erstere sich an mich wendend, letzterer an Frau Heiberg, was mit allgemeinem Jubel aufgenommen wurde. Mein Freund aus Amsterdam, bei dem ich mehrmals Gast gewesen war, der Kaufmann Brandt, überbrachte mir einen Gruß von meinen Freunden in Holland und schließlich erhob sich der Naturforscher Professor Holten, der mit Akklamation begrüßt wurde und brachte einen humoristischen Toast auf mich, » den Zoologen Andersen«, aus, dem man sehr genaue Untersuchungen des Storch-Vaters und der Mäuse in dem alten Tannenbaum schulde, und der unter dem kindlichen Scherz die tiefste Weisheit zu entfalten wisse.

Ich drückte nunmehr in wenigen Worten meinen jüngeren Freunden meinen Dank aus, nicht blos hier im Lande, sondern auch im Auslande, in Deutschland, in der Schweiz, in Belgien, Salzburg u. s. w., von wo ich heute briefliche und telegraphische Grüße erhalten hatte. Mit einem Gesang, vom Conferenzrath Ole Bang gedichtet, worin er mir den Dank Aller aus der Thier- und Pflanzenwelt, die ich besungen hatte, brachte, schloß das für mich so inhaltsreiche Festmahl. – Es war bereits neun Uhr vorüber, als der Kaffe gereicht wurde, worauf man nach dem Piano ein Tänzchen improvisirte.

Es war ein durchaus gelungenes Fest, eines der schönsten meines Lebens, und wiederum mußte ich mir selber gestehen, daß ich ein »Kind des Glückes« bin; aber wie lange wird dies Glück dauern?

Als mein Freund, Etatsrath Thiele, am nächsten Tage zu mir kam, sagte er, als wir von dem Feste sprachen: »Mir war während der ganzen Zeit, als befände ich mich im Himmelreiche, denn alle Menschen schienen so gut und fröhlich zu sein; man fühlt die unwillkürliche Neigung, Allen ohne Ausnahme die Hand zu drücken!«

Da die königliche Familie mir, wie schon erwähnt, große Theilnahme in Veranlassung des Tages erwiesen hatte, wollte ich tags darauf persönlich meinen Dank abstatten. Es war gerade der Geburtstag der Königin Louise, in welcher Veranlassung sämmtliche königlichen Personen eine Landtour unternommen hatten. Infolge dessen fuhr ich erst am nächsten Tage nach der Sommerresidenz des Königs, dem Schlosse Bernstorff. Der König war im höchsten Grade liebenswürdig gegen mich; auch die Königin kam hinzu und sprach sich mit großer Theilnahme über das Fest aus. Dann führte der König mich selbst in den Garten und pflückte für mich eine der schönsten Rosen, ließ dann einen Wagen vorfahren und befahl, mich zunächst nach der nahen Sommerresidenz des jungvermählten Kronprinzen, Schloß Charlottenlund, am Strande gelegen, zu fahren und mich später nach dem Bahnhof zu bringen. Der Kronprinz und seine Gemalin, die mir außerordentlich gnädig entgegenkamen, luden mich zum Frühstück ein. Nach demselben, als ich zum Bahnhof fahren wollte, führte mich der Kronprinz durch den Garten bis zu der Stelle, wo der Wagen hielt. Als ich heimkam, fand ich ein eigenhändiges Schreiben von der alten Königin Wittwe Caroline Amalie vor, in dem sie mich ihrer Theilnahme versicherte. Ich stattete der guten Königin aus dem Schlosse Sorgenfrei am nächsten Tage persönlich meinen Dank ab; sie war zu Thränen gerührt, und nachdem sie sich lange mit mir unterhalten hatte, ließ sie in ihrem Zimmer ein Frühstück für mich serviren und mich später mit einem Hof-Wagen nach der Bahn bringen.

Die mir angeborene Reiselust war wieder erwacht. Ich reiste am zehnten September von Kopenhagen ab, um mich zunächst nach Basnäs zu begeben. Als ich Mittags nach dem Bahnhof kam, fand ich dort viele Freunde, die Abschied von mir nehmen wollten. Das Wetter war sommerlich heiß, ja, es war so warm im Coupé, daß ich halb gekocht Korsör erreichte, wo mich der Wagen der Frau Kammerherrin Scavenius erwartete. Ich war sehr müde, denn ich hatte während mehrerer Nächte, wol zunächst in Veranlassung der mir bereiteten Feste, nicht schlafen können. Ich hoffte daher bald Ruhe zu finden; als ich aber bald nach acht Uhr Abends auf dem Herrensitze Basnäs eintraf, war der Vorhof von Menschen erfüllt, und ich gewahrte eine große Ehrenpforte, vor der Brücke, die zum Schloßhof führte, mit bunten Lampions behängt; mächtige Dannebrogsfahnen flatterten und auf der Schloßtreppe empfing mich Frau Scanevius, die von Freunden aus der Umgebung umringt war, darunter die Familie von Borreby und Holsteinborg. Man hatte mir auch hier ein großes Fest bereitet. Im Garten wurde ein sehr geschmackvolles Feuerwerk abgebrannt, in welchem schließlich mein Name in allen Farben prangte. Die Menge brach in ein jubelndes Hurrah aus, und Graf Holstein-Holsteinborg hielt eine herzliche Begrüßungsrede an mich. Aber, wie war ich müde an Seele und Körper! Erst gegen zwölf Uhr Nachts kam ich zur Ruhe und schlief bis zum lichten Morgen.

Nach einem Aufenthalt von acht Tagen, während welcher ich mich sehr erholte, verbrachte ich drei Tage auf Schloß Holsteinborg, und nach einem kurzen Besuch auf Glorup reiste ich wieder in die Welt hinaus.

Ueber Hamburg, Braunschweig und Leipzig, wo ich mich überall nur kurze Zeit aufhielt und alte Freunde besuchte, gelangte ich am zweiten October nach Dresden, von wo ich so bald als möglich nach Maxen zur Frau von Serre hinauseilte. Man vergleiche S. 218 d. B., wo Andersen eine Schilderung von Maxen und der Frau von Serre giebt. Der Uebers. Ich war seit acht Jahren nicht hier gewesen, wo ich sonst alljährlich einige Wochen in der angenehmsten und anregendsten Weise zu verbringen gewohnt war. 1861 war ich zum letzten Male in Maxen, dem Sammelplatz aller hervorragenden Persönlichkeiten der Kunst und Wissenschaft, gewesen. 1662 machte ich meine große Reise nach Spanien und Afrika, und dann brach der unglückliche Krieg zwischen Dänemark und Preußen-Oesterreich aus. Ich sah, wie man stückweise mein Vaterland zerfleischte, wie die dänische Jugend im ungleichen Kampfe sich verblutete und die Hoffnung des Landes vernichtet wurde – ich litt unsäglich darunter, umsomehr, als ich durch so viele und innige Freundschaftsbande an Deutschland gefesselt war. Ich konnte mich während der für mich ewig langen Zeit des Krieges nicht entschließen, mit meinen deutschen Freunden zu correspondiren, denn ich fürchtete, im Uebermaß meines Schmerzes über das meinem Vaterlande zugefügte Unrecht Aeußerungen zu machen, die mich für immer ihrer Freundschaft berauben konnten. Ich hoffte auf bessere Zeiten, beruhigtere Gemüther und geklärte Ansichten – jetzt, nachdem der Frieden fünf Jahre zuvor abgeschlossen und die Wunden, wenn auch nicht geheilt, doch vernarbt sind – jetzt war die Zeit der Annäherung gekommen!

Frau von Serre, die mich zwar mit alter Zuneigung empfing und über mein endliches Wiederkommen höchst erfreut war, hatte indessen ihren theuren Gatten verloren und war ebenso gebeugt als leidend. Hier hatte ich die Freude, wieder meine liebe Freundin, Fräulein Clara Heincke Fräulein Clara Friederike Heincke, Tochter des 1857 verstorbenen Polizei-Präsidenten und Curators der Universität, Geheimen Oberregierungsraths Heincke in Breslau, ist daselbst am 15. Juni 1825 geboren. Neun Jahre alt, kam Clara, die an den Folgen einer langen, heftigen Krankheit litt, nach Berlin, wo sie bei der Schwester ihrer Mutter sorgsame Pflege und Unterricht fand. Wenn sie auch später ins Elternhaus zurückkehrte, so blieb Berlin seitdem stets ihre zweite Heimat. Fast spielend hatte sie zu zeichnen begonnen und große Anlagen an den Tag gelegt, infolgedessen sie ihren ersten Unterricht beim Professor Julius Schrader in Berlin erhielt, unter dessen Anleitung sie zum Verständniß der Kunst gelangte – und sich derselben ganz ergab. Bei einem Besuch in der Heimat erkrankte Clara, ward völlig gelähmt und verbrachte so sechs Jahre, an einen Rollstuhl gefesselt, und daher schien es mit dem Kunststudium zu Ende zu sein, nur aus Lektüre war sie angewiesen. Während dieser Zeit war es, wo Andersen's » Märchen und Geschichten« sie über manche Schmerzensstunde hinweghalfen, und nachdem sie sein » Bilderbuch ohne Bilder« gelesen hatte, versuchte sie es, sich ebenfalls etwas vom Monde erzählen zu lassen, und daraus entsprangen kleine Schöpfungen – »Mondbilder« und kleine Gedichte – die ihr in ihrem Leiden, mochten sie noch so unbedeutend sein, Freude bereiteten. Gleichzeitig entstand in ihr der Wunsch, diese kleinen poetischen Ergüsse ihrem Lieblingsdichter Andersen zur Beurtheilung zu überlassen, welchen Plan sie im Jahre 1853 zur Ausführung brachte – umgehend erhielt sie Andersen's liebenswürdige Antwort und das neueste Heft seiner »Geschichten«. Hochbeglückt, griff sie nach Verlauf von vielen Jahren wieder zum Stift, um für Andersen ein Albumblatt zu zeichnen. Es war dies eine Zusammenstellung seiner Märchen – und aus der Zeit her schreibt sich der Freundschaftsbund zwischen ihr und Andersen; denn »die Brieftaube flog hin und her über das Meer«. Er trug damit den hellsten, goldigsten Sonnenschein in das Krankenstübchen und gleichzeitig fand sich die Liebe zur Kunst wieder ein. Gebunden an ihren Stuhl, versuchte sie es mit der Miniatur-Malerei, und von neuer Hoffnung getragen, lösten sich – trotz aller Erwartung der Aerzte – die Bande der Lähmung, und frei, wie der Vogel in der Luft, eilte sie wieder in die Welt hinaus, um nun ihre so lange gebundenen Kräfte ganz der Malerkunst zu widmen. Dresden war zunächst das Ziel, wo sie sich mit der Miniaturmalerei beschäftigte, indem sie die Meisterwerke der dortigen Gallerie copirte. Hier lernte sie Andersen auch persönlich kennen und durch ihn kam sie in das Haus der Frau v. Serre in Maxen, wo sie Gelegenheit fand, mit den hervorragendsten Künstlern und Schriftstellern zu verkehren. Je öfter sie mit Andersen in Dresden und Maxen zusammentraf, je inniger ward die Freundschaft. – Der künstlerischen Entwickelung Clara's genügte das ängstliche Copiren nicht mehr – sie griff zu den Borstenpinseln und unter der Leitung des Malers Moritz Müller in Dresden begann sie neue Studien, um Malerin zu werden, und es gelang ihr. Skizze auf Skizze entstand und bald fanden die ausgeführten Bilder die besten Käufer, aber befriedigt fand sich die nunmehrige Künstlerin nicht. Da verfiel sie 1870 auf die Idee, nach einer Photographie das Oelbild eines bei Gravelotte gefallenen Sohnes einer ihrer Freundinnen zu malen, das allgemein gefiel und von der Stunde an ist sie Portraitmalerin geworden. Sie zog nach Berlin, wo sie durch ihre Kunst sich viele Freunde erworben und vollauf zu thun hat, so daß es ihr zur Unmöglichkeit geworden ist, ihre Skizzen ausführen zu können.
Fräulein Clara Heincke, die von Andersen's zunehmender Krankheit erfahren hatte, besuchte ihn im September 1874 in Kopenhagen. Es war das letzte Mal, daß sie ihn sah, aber sein Andenken ist bei ihr treu bewahrt, wovon eine » Andersen's- Ecke« in ihrem Zimmer Zeugniß ablegt; denn hier bewahrt sie gleich einem Heiligthum alle Erinnerungen an ihren alten Freund! Der Uebers.
zu treffen, die seit einer Reihe von Jahren mir treue Freundschaft bewahrt hatte, und die alljährlich ebenfalls Maxen zu besuchen pflegte.

Trotz aller Freundschaft, die man mir hier erwies, vermochte ich dennoch nicht den Aufenthalt in vollem Maße zu genießen. Die Gespräche drehten sich zu oft um den letzten Krieg mit Dänemark, wodurch natürlich meine patriotischen Gefühle verletzt wurden, und ich empfand nur zu sehr, mit welchen mächtigen Banden ich an das theure Vaterland hing.

Mit getheilten und wehmüthigen Gefühlen verließ ich am elften Oktober Maxen. Ich glaube nicht, daß ich Frau von Serre je im Leben mehr sehen werde, denn sie war sehr kränklich und alt geworden. Sie war mir stets eine treue Freundin, und hat sicherlich nicht wenig darunter gelitten, daß ich während des Krieges nicht an sie schrieb. Die Gräfin Holstein, die Schwester der Marquise Roberedo, die ich in Paris und Spanien getroffen hatte, Töchter des verstorbenen Marineministers Zahrtmann, hatte mir einen Brief an Frau v. Serre mitgegeben. Ich läugne nicht, ich war sehr wißbegierig, den Inhalt desselben kennen zu lernen; er war sehr gut gemeint, theilnahmsvoll und dennoch überraschend, wenn ich den Worten der Frau v. Serre Glauben schenken darf, welche ängstlich zu sein schien, weil ich diesmal allein reiste. Sie theilte mir nämlich mit, daß die Gräfin Holstein ihr an's Herz gelegt habe, dafür zu sorgen, daß ich einen aufmerksamen und treuen Begleiter erhielte, denn es konnte mir ja unterwegs etwas begegnen. Ich bin also schon so alt geworden! Frau v. Serre wollte mir ihren alten, bewährten Diener überlassen, doch ich schlug dies Anerbieten natürlich aus. Es ist theuer genug, allein zu reisen! Mir schien die ganze Sache aus einen: Mißverständnis; zu beruhen, oder war es Sorgfalt der Frau v. Serre, die sich auf irgend einen Ausdruck in dem Briefe der Gräfin stützte?

Ich reiste indessen allein und zunächst nach Dresden, wo ich einen Tag blieb, um die Gallerie zu besehen und meinen alten Freund Beaulieu zu besuchen, der schon seit einigen Jahren von Weimar fortgezogen – und seitdem hier in Dresden lebt. Er ist Geheimrath geworden und führt den Titel »Excellenz«, also sehr vornehm, aber immer noch der alle Freund, der mir bei meinem Eintreten, so zu sagen, entgegenflog. Ich war einen Mittag bei ihm; seinen Sohn und seine Tochter aus erster Ehe hatte ich nicht gesehen, seit sie Kinder waren; jetzt ist der Sohn Offizier und die Tochter eine junge, stattliche Dame; sieben kleine Kinder begrüßten mich als »Papas alten Freund«. Nach eintägigem Aufenthalt trennten wir uns; er wollte mich zum Bleiben überreden, aber – ja, ich weiß nicht, was mit mir vorging, ich befand mich auf der ganzen Reise in einer Stimmung, die mich unaufhörlich verfolgte; ich fühlte mich gedrückt, fast unheimlich in Deutschland; ich fühlte mich als »Dänemark's Sohn«, für den man mich jetzt ja in der Heimat erkannt hat! Und dennoch war man überall in Deutschland so liebenswürdig, so herzensgut, die alten Freunde so liebevoll!

In Prag blieb ich anderthalb Tage und reiste dann nach Brünn. Hier fragte ich im Hotel nach den Eltern der Geschwister Nernda, die sich in der musikalischen Welt einen Namen gemacht haben; aber man wußte nur, daß der Schwiegersohn, der jetzige Kapellmeister der königlichen Oper in Stockholm, Normann, in demselben Zimmer, das ich jetzt bewohnte, logirt habe.

Am 17. October kam ich nach Wien. Ich mußte von Hotel zu Hotel fahren, allenthalben war es überfüllt; endlich erhielt ich »Am Graben« ein Zimmer nach dem Hofe, wo fast fortwährend Dunkelheit herrschte. Hier ist Alles theuer, kaltes Wetter und wie mir scheint, gar nicht mehr so heimisch wie ehedem. Ich besuchte unsern Gesandten, Kammerherrn Falbe, den ich als Knaben gekannt hatte, den Dichter Münch- Bellinghausen, der Excellenz, Geheimrath und kaiserlich-königlicher Theaterintendant ist. Wir sprachen über seine Tragödien » Der Sohn der Wildniß« und » Griseldis«, bei deren erster Aufführung in Kopenhagen Thorwaldsen im Theater starb. Ich habe hier auch einen englischen Freund, Lytton, einen Sohn Bulwer's, gefunden, der ja selbst Dichter ist. Der gegenwärtige Lord Lytton, zur Zeit Vicekönig in Indien, als Verfasser unter dem Namen Owen Meredith bekannt. Vergl. S. 42 dieses Bandes. Der Uebers. Das letzte Mal sahen wir uns in Cintra in Spanien. – Außerdem verkehrte ich mit dem Grafen Paar, mit dem ich seiner Zeit in Italien reiste und mit meinen Landsleuten, dem berühmten Baumeister Theophilus Hansen Siehe S. 232 des vorigen Bandes Der Uebers. und dem Maler Professor Marstrand. Siehe S. 130 d. B. Der Uebers.

Der Direktor des Burgtheaters, der Dichter Dr. Franz von Dingelstedt, Siehe Seite 189 d. B. Der Uebers. mit dem ich in Briefwechsel seiner Zeit gestanden hatte, erwies mir große Aufmerksamkeit, und in seinem Hause lernte ich den Dichter Hackländer Der Schriftsteller Friedrich Wilhelm Hackländer, geb. den 1. November 1816 in Burtscheit, starb den 6. Juli 1877 in Stuttgart, wo er seit 1840 lebte und als Sinecure den Platz eines Bau- und Garten-Direktors einnahm. Er war sehr productiv und schrieb Novellen, Romane und Theaterstücke, die einige 60 Bände umfassen. Er gab seit 1859 die allgemein verbreitete illustrirte Zeitschrift »Ueber Land und Meer« heraus. Der Uebers. kennen.

Am vierten November verließ ich endlich Wien und ging über Linz nach Salzburg, wo ich das Geburtshaus und das Wohnzimmer Mozart's besuchte und die ihm zu Ehren angelegten Sammlungen besichtigte. Mein nächstes Ziel war München, wo ich acht Tage, trotz des herbstlichen Wetters und des unaufhörlichen Regens, aus die angenehmste Weise verlebte. Ich verkehrte indessen nur mit zwei Familien: mit der des alten Geheimraths Gietl, in dessen Hofloge ich jeden Abend den Theatervorstellungen beiwohnte, und mit der meines berühmten, genialen Freundes Kaulbach. Siehe den vor. Band S. 223. Der Uebers. Sein Bild zu meinem Märchen »Der Engel« ist weltberühmt geworden. Der Kunsthändler in Berlin, welcher den Kupferstich verlegte, ist durch dasselbe zum reichen Mann geworden. Wie war es geistreich und glücklich in Kaulbach's reichem Hause, wie waren sie Alle aufmerksam und herzlich gegen mich, und Kaulbach ganz besonders!

Unbegreiflich ist es mir heute noch, wie Björnstjerne Björnson dazu kam, während unseres Beisammenseins in Paris mir zu sagen, daß Kaulbach durchaus nicht mein Freund sei, und daß er zu ihm sich in solch arger Weise über mich ausgesprochen hätte, daß er, Björnson, sich als mein Freund darüber verletzt gefühlt habe. Diese Nachricht betrübte mich damals sehr, weil ich Kaulbach so unendlich hoch schätzte. Ich drang daher in Björnson, mir zu wiederholen, was Kaulbach denn eigentlich gesagt habe, und Björnson sagte dann nach langem Zögern, Kaulbach's Worte seien: »Andersen ist ein Kind und wird es immer bleiben!« Aber diese Worte muß man in Verbindung mit dem Stoff der Unterhaltung hören, hören, wie solche betont worden. Sie können in der allerbesten Meinung gesagt sein, und das sind sie unzweifelhaft; aber von Björnson war es sehr Unrecht, mein Mißtrauen gegen eine Künstlernatur wie Kaulbach zu erregen. Alle Dänen, welche während der letzten Jahre von München heimkehrten, sprachen zu mir von Kaulbach's freundlichen Auslassungen über mich, und Bournonville, dem ich einen Brief an ihn mitgegeben hatte, sagte mir, daß er mit der herzlichsten Theilnahme nach mir und meiner dichterischen Wirksamkeit sich erkundigt habe. Jetzt fand ich ein wahres Heim bei ihm, und er theilte mir unter Anderem mit, daß er noch ein Bild zu einem meiner Märchen zeichnen und mir dasselbe nach Kopenhagen zur Ansicht schicken wolle. Zwei Mittage brachte ich in seiner Familie zu; der Champagner knallte, wie sein Toast für mich von Freundschaft überschäumte – es war für mich ein segensvoller Augenblick!

Aber Björnson durfte nicht so unüberlegt sprechen!

Der junge König Ludwig II., den ich seit seiner Kindheit nicht gesehen hatte, befand sich in einem Schlosse in den Alpen; seine Mutter dagegen, die Königin-Wittwe, Siehe diesen Band S. 206. Der Uebers. empfing mich, als sie hörte, daß ich in München sei, am 10. November und unterhielt sich mit mir in der herzlichsten und huldreichsten Weise während einer Stunde und erkundigte sich eingehend über die dänische Königsfamilie.

Am sechszehnten verabschiedete ich mich von München und trat nunmehr in kleinen Abtheilungen meine Reise nach Nizza an. Ueber Kempten, Zürich, Bern, Genf, Lyon, Avignon, Marseille, Toulon kam ich dort nach vierzehn Tagen, trotz der langen Reise, sehr gestärkt an, denn die Lust zwischen den Schweizer Bergen und die südliche Wärme hatten mir sehr zugesagt.

Als ich das erste Mal Nizza aus der Reise nach Italien besuchte, war der junge Jonas Collin mein Begleiter; wir blieben hier nur kurze Zeit. Wir wohnten damals bei denselben guten Leuten aus der Schweiz, bei welchen ich jetzt wieder eingezogen bin. Zu jener Zeit hatten sie ein kleines Hôtel in der Rue Massena, seitdem aber haben sie sich emporgearbeitet und sind nunmehr die Besitzer eines der am schönsten gelegenen Häuser, der Pension Suisse. dicht am Meere, dessen Hinterseite an den großen Felsen stößt, der das neue Nizza vom Meere trennt. Ich fühlte mich sehr wohl bei diesen Leuten, die mich in jeder Hinsicht bevorzugten; ebenso erwiesen mir die anderen Pensionaire große Aufmerksamkeit, denn Alle schienen mich aus meinen Schriften zu kennen. Wie dankte ich meinem Schöpfer für alles Gute, das mir zu Theil ward.

Ich dachte oft an Jonas Collin und an die Zeit unseres Beisammenseins auf der Reise; es kam aus der Tour nach Rom und später auf der Reise nach Tanger zu Reibungen zwischen uns; er war oft »unbändig« jung und ich sehr nervös – Collin mag diesem Zustand vielleicht einen andern Namen beilegen; aber später, ungefähr vor einem Jahre, hatte er mir geschrieben, daß alle unsere Reibungen auf der Reise ihm jetzt als »lichte Abwechselungen« – vielleicht brauchte er ein anderes Wort, aber so war jedenfalls seine Meinung – erschienen: auch ich vermag jetzt auf diese Betrachtung einzugehen, denn ich sehne mich sehr nach ihm. Ich glaube, wir werden uns jetzt besser verstehen können. Er hat jetzt bereits erprobt, was die Welt bietet und wie die Menschen in Wirklichkeit sind.

Von alten Bekannten traf ich hier zwei Fräulein Manderstjerna aus Rußland, deren Bekanntschaft ich bereits 1862 in Montreux gemacht hatte. Siehe die Note S. 304. d. B. Der Uebers. Wir verkehrten viel mit einander. Ich machte hier die Bekanntschaft des Buchhändlers Geibel aus Leipzig, der mit seiner kleinen Tochter Marie hier weilte. Das kleine Mädchen wurde bald mein Liebling. Ein Landsmann von mir und ein Freund Jonas Collin's, der Conchyliologe O. A. L. Mörch, Gestorben 1878. Der Uebers. besuchte mich oft und brachte mir dänische Zeitungen. –

Von der fünften Etage meines Hotels gelangt man auf die Felsenterrasse; man wandert dort unter Citronen- und Orangenbäumen, die Alleen bilden. Es befindet sich hier ein alter Thurm, in dem, der Legende nach, Nizza einst seine Schätze verbarg, und wo Meyerbeer gewohnt und einen Theil seiner Oper » Die Afrikanerin« componirt hat. Von dort hat man eine entzückende Aussicht.

Einige Tage vor Weihnachten begegnete ich auf der Promenade dem Componisten Offenbach mit der bekannten pariser Schauspielerin Mademoiselle Schneider; etwas später sah ich den Bruder unseres Königs, den Herzog Carl von Glücksburg, Gestorben 1878. Der Uebers. er befand sich in Begleitung seiner Gemalin, einer Tochter des Königs Frederik's VI. von Dänemark.

Das Weihnachtsfest wurde im Familienkreise des Wirthes gefeiert, woran alle Pensionaire theilnahmen. Die Tochter des Buchhändlers Geibel, die kleine Marie, überreichte mir im Namen aller kleinen Mädchen der Welt einen großen Kranz, an dem rothe und weiße Bänder hingen. Ich küßte sie zum Dank auf die Stirn. Eine Dame, deren Namen ich nicht erfuhr, sandte mir als Weihnachtsgruß eine Rose, so groß wie eine Päone.

Am 28. December schrieb ich an meinen Freund Eduard Collin:

 

»Lieber Freund!

»– – Sie lächelten gewiß, als Sie meinen vorigen Brief lasen, in dem ich Sie bat, mir zu telegraphiren, wenn ich ein paar Tausend Thaler in der Lotterie gewinnen würde, denn ich hatte große Pläne vor. Ich weiß wol, daß ich nichts gewinnen werde; aber ich hatte den Einfall, daß ich dennoch Jemand erfreuen könnte, wenn es meine Mittel erlaubten. Darf ich jetzt ganz offen sprechen, aber es bleibt ein Geheimniß für Alle Anderen. Wie steht es mit meinen Mitteln jetzt am Schlusse des Jahres? Habe ich, nachdem ich kurz vor meiner Abreise Geld aus der Sparkasse nahm, und nachdem Sie an die Privatbank den Betrag meines Creditives für Wien und Nizza bezahlt haben, noch 14,000 Reichsthaler 28,000 Kronen jetziger Währung oder 31,500 Reichsmark. Der Uebers. im Vermögen? Es ist mein fester Entschluß, daß – so lange Gott will – stets 12,000 Thaler unberührt bleiben sollen; aber was darüber ist, damit will ich nicht so sparsam verfahren. Habe ich also 14,000 Thaler, so kann ich wol 600 davon nehmen und Jemand erfreuen und nützen. Es würde mir in diesem Fall eine große Annehmlichkeit sein, wenn Ihr Sohn Jonas Lust hätte, hierher zu kommen und eine zweimonatliche Reise mit mir zu machen. Er kann in zehn Tagen mit aller Bequemlichkeit Nizza erreichen. Ich glaube, es wird Jonas gut bekommen, einige Wochen sich von allen Streitigkeiten, Federkriegen und Reibungen loszureißen. Der Herr scheint also etwas sehr heftiger Natur zu sein, und oft mit Anderen in Streit zu gerathen. Der Uebers.

*

»Was sagen Sie zu diesem Plan, und was sagt meine Kasse? Ist diese mit meinem guten Willen einig, so zeigen Sie Jonas diesen Brief oder sprechen Sie mit ihm darüber; aber eine Bitte habe ich: es bleibt ein Geheimniß vor der Welt, daß Jonas von mir eingeladen ist, und daß ich die Reise bezahle – Niemand darf es erfahren. Ich erwarte umgehende Antwort, denn ich bleibe nicht lange hier. Möchte Ihre Antwort lauten: »Indem dieser Brief abgeht, reist Jonas

 

Indessen war es kalt geworden; eines Tages bildete sich Eis auf dem Wasser, es war ein Grad Kälte, etwas ganz Unerhörtes für Nizza.

*

Das Jahr 1870 brach in Nizza mit warmem Sonnenschein an; es war so warm, wie im April daheim. – Bon meinem treuen Freunde, Professor Hartmann in Kopenhagen, erhielt ich einen vom 1. Januar datirten Brief, worin er sich aus lakonische Weise wegen Nichtbeantwortung meiner Briefe entschuldigte. Ich war bereits von ihm daran gewöhnt worden. Eine Stelle aus diesem Briefe will ich jedoch anführen: »Dagegen will ich Dir einen Vorschlag machen: Du sendest mir ein neues Gedicht und ich sende es Dir componirt zurück, dann ist uns Allen geholfen: ich habe einen Brief bekommen und Du die Antwort darauf; die Welt erhält ein neues Gedicht von Dir, und sie kann dann ja, je nach Belieben, meine Musik dazu singen oder spielen. Infolge dieser Aufforderung dichtete Andersen sogleich das Frühlingslied. das später im » Glückspeter« Aufnahme fand, und sandte es an Hartmann, der es in der That in Musik setzte. Der Uebers.

Am 18. Januar wurde ich durch die Ankunft meines jungen Freundes Jonas Collin, der meinem Rufe gefolgt war, überrascht.

Bevor wir Nizza verließen, machten wir einen Ausflug nach Villafranca, dem jetzigen kleinen Kriegshafen Frankreichs im Golfe gleichen Namens. Die Umgebungen sind reizend, die Höhen mit Olivenwäldern bestanden, der Weg sowol zu Wasser als zu Lande herrlich.

Am letzten Tage des Januar brachen wir auf und gingen zunächst über Cannes nach Marseille, von wo wir am 8. Februar in Paris anlangten. Hier verkehrten Jonas Collin und ich viel mit unserem gemeinsamen Freunde und Landsmann Dr. phil. P. E. Müller. Nach einer Anwesenheit von 14 Tagen reisten wir nach Brüssel, das wir nach drei Tagen verließen, um nach Cöln zu eilen, wo wir dem großartigen Carnevalsfeste beiwohnten. Die Sonne war hier sehr warm, es schien, als wollte der Frühling schon seinen Einzug halten. In Cöln erreichten uns dänische Zeitungen, aus denen ich die betrübende Nachricht entnahm, daß der Dichter Henrik Hertz Siehe S. 115 des vor. Bandes. Der Uebers. am 26. Februar, 72 Jahre alt, gestorben war. Diese Trauerbotschaft erregte mich sehr! Wir Beide waren uns auf so sonderbare Weise begegnet, wir waren an einander gerathen, hatten uns dann die Hände gereicht, wir wurden später wieder getrennt und begegneten uns wieder. Ich glaube, ihn besser verstanden zu haben, als er mich, oder richtiger: ich schätzte ihn höher, als er mich zu schätzen vermochte. In Paris erhielt ich kurz vor seinem Tode noch einen Brief von ihm. Er schrieb mir wegen Verleihung des » Anker'schen Legats« und schlug mir für dies Jahr den Dichter Paludan-Müller Siehe den vorigen Band S. 74. Der Uebers. dazu vor. Ich war mit ihm darin völlig einig, wie wir auch alljährlich über unsere Legatbestimmung merkwürdiger Weise immer sehr bald einig wurden. Ein reicher Privatmann, Namens Anker, der viel mit Dichtern und Künstlern verkehrte, setzte einen wesentlichen Theil seines großen Vermögens zu Legaten für Künstler und Gelehrte aus. Als erste Verwaltung des Legats für die Schriftsteller wurden die Dichter Hertz und Andersen testamentarisch eingesetzt. Der Uebers. Am 2. März reisten wir von Cöln ab, übernachteten in Hamm und gingen über Hannover, Hamburg, Odense, in welchen Städten wir überall einen Tag verweilten, nach Kopenhagen, wo wir am elften ankamen. Da ich für jetzt keine eigene Wohnung mehr hatte und des Hôtellebens überdrüssig war, lud mich Etatsrath Melchior ein, in sein Haus am Höibroplatz zu ziehen, zumal er die Absicht hatte, demnächst mit Frau und Töchtern eine längere Reise nach Paris, Algier, Südfrankreich und vielleicht nach Ems zu unternehmen. Ich nahm dies freundliche Anerbieten an und fühlte mich dort sehr heimisch, umsomehr als der Frühling sehr kalt war und der lang andauernde eisige Wind mir alle Glieder durchrieselte. Indessen litt ich fortwährend an Zahnschmerzen.

Während meines sechswöchentlichen Aufenthalts in diesem gastlichen Hause schrieb ich die Märchen: » Was die ganze Familie sagte«, » Die Lichte«, » Der Urgroßvater« und » Das Unglaublichste«, Siehe die »Märchen« Band I. S. 439, Band III. S. 463, Bd. I. S. 331 u. 360. Der Uebers. und endlich begann ich mit der Ausarbeitung der Geschichte » Glückspeter«.

Am zwölften Mai feierte der alte liebe Dichter Hauch Siehe den vorigen Band S. 173. Der Uebers. seinen 80sten Geburtstag. Mein Gratulationsbesuch schien ihn zu erfreuen. Er sprach noch immer sehr lebhaft und jugendfrisch. Vom Studentenverein erhielt er eine Adresse und vom Dichter Munch aus Christiania ein Telegramm. Nachmittags besuchte ich mit ihm Oehlenschläger's Grab: wir waren Beide wehmüthig gestimmt; er meinte, er werde ihm bald folgen und bat zu Gott, bald zu sterben und zu Füßen Oehlenschläger's ruhen zu dürfen. – – Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Er starb in Rom und ist dort auf seinen Wunsch begraben worden. Der Uebers.

Ohne Melchior's Rückkehr aus dem Auslande abzuwarten, reiste ich am 21. Mai nach Basnäs zur Frau Kammerherrin Scavenius, denn der Wald hatte sich bereits völlig entwickelt. Hier verblieb ich, bis ich Ende Juni nach Holsteinborg ging. Indessen hatte ich einen ungewöhnlichen Schmerz unterhalb des linken Armes gefühlt, der mir Fieberschauer verursachte. Ich suchte deswegen den Dr. Möller in Skelskjör auf, der mir erklärte, es sei das sogenannte »Höllenfeuer«, das die Mediziner Zona nennen. Auch dies Fegefeuer werde ich überwinden, obgleich das Wetter sehr wenig sommerlich ist, und dazu der ewige Regen, »der so gut für die Landleute ist«. Aber sowie ein Tag anbricht voll Sonnenschein, erwacht meine Sehnsucht, über das Meer nach fremden Ländern zu fliegen, um mich dann schließlich wieder nach der Heimat zu sehnen. Ich bin sicherlich unter einem Himmelszeichen geboren, das man Perpendikel nennt. Ich muß mitunter von dannen, hin und her: »tik, tak!« bis die Uhr stille steht und ich »auf dem Rücken liege«. – Als ich hier auf Basnäs zum ersten Mal den Kukuk rufen hörte, fragte ich ihn: »Wie lange werde ich leben?« und da antwortete er zwei Mal. Ich fand aber, dies sei eine zu kurze Lebenszeit und bat ihn um eine Wiederholung, und er rief zwölf Male. Da war doch Verstand darin! Ich werde 77 Jahre alt werden: das ist 7 Mal zehn – die Jahre des Staubes, und noch sieben dazu! Schade, daß mir aber auch der alte Volksglaube bekannt ist, wonach Alles, worin die Zahl sieben aufgeht, Lüge ist. Man kann sich also auf nichts auf dieser Welt verlassen!

Während dieser Tage las ich den zweiten Theil von » Briefe an und von H. C. Oersted«, die mich sehr interessiren. Ich finde darin einen Brief von mir, den ich 1833 geschrieben habe, also vor 87 Jahren. Es macht einen sonderbaren Eindruck, so in die Vergangenheit zurück zu blicken. Doch in meinen Träumen habe ich oft einen solchen Rückblick in die längst verflossene Zeit. Wie oft sehe ich mich auf diese Weise in Rektor Meisling's Haus Siehe den vor. Band S. 63 u. 86. Der Uebers. zurückversetzt; der Druck, den er auf mich ausübte, muß sehr hart und meine Abhängigkeit von der Umwelt unaussprechlich bitter gewesen sein. Mir träumte z. B. kürzlich, daß ich von Meisling geistig mißhandelt würde, aber ich wollte es nicht länger dulden und lief davon. Ist es nicht wunderlich, daß ich als 66jähriger Mann noch solche Jugend-Qualen haben und fühlen und mich in diese drückenden Fessel der Abhängigkeit, aus denen ich mich mit Gottes Hülfe zu befreien wußte, hineinleben kann. In meinen Träumen sitze ich noch immer auf der Schulbank, und Meisling ist sehr grob gegen mich, aber während der letzteren Jahre nennt er mich stets Herr Etatsrath. Auf solche Weise vermischen Träume die Vergangenheit mit der Gegenwart.

Meinem Freunde Hartmann, der mir nur mit Musik antwortet, wenn ich ihm ein Gedicht dazu schicke, sandte ich im Juni ein Lied, das in meiner Gedichtsammlung noch keine Aufnahme gefunden hat. Möge er es in Musik setzen! Töne sind für uns Alten gleich einem Lebenselixir, ja, vielleicht machen sie uns unsterblich! Das Gedicht trägt den Titel » Alles fährt dahin!« und hat in der Geschichte »Glückspeter« Anwendung gefunden. Der Uebers.

Von Holsteinborg reiste ich Anfangs Juli zunächst nach Kopenhagen und ging einige Tage später auf's Land zu Henriques, wo ich über eine Woche blieb, und dann in meine gewöhnliche Sommerresidenz » Rolighed« einzog.

Ich lebte hier ziemlich still, weil in dieser Zeit des Krieges Der letzte deutsch-französische Krieg brach bekanntlich am 15. Juli 1870 aus. Der Uebers. nicht viele Freunde zu Melchior's kamen. Ich vollendete indessen » Glückspeter«, den ich jetzt in's Reine schrieb; es war gut, daß ich diese Geschichte vor Ausbruch des Krieges vollendete, denn jetzt hätte ich keine Seelenruhe mehr gefunden, die Arbeit abzuschließen. Jetzt lese ich nur die Zeitungen. Es ist ja ein entsetzlicher Kampf, ein grauenvolles Blutvergießen! Welcher Baum der Erkenntniß wird aus demselben emporwachsen?

» Glückspeter« las ich Frau Heiberg vor; die Geschichte schien sie sehr zu interessiren, nur meinte sie, ich hätte mich für Wagner's Musik zu sehr echauffirt. Sie fand die erste Hälfte der Erzählung am unterhaltendsten, die zweite Hälfte dagegen sehr poetisch, und die Schilderung einer Oper, die ich Peter componiren lasse, sprach sie sowol als Andere sehr an. – Es ist Schade, daß ich nicht Generalbaß studirt habe und Componist geworden bin. Diese meine gut componirte Oper im »Glückspeter« heißt » Aladin«.

In der Mitte des August-Monats befand sich Henrik Ibsen Ibsen ist 1827 in Drammen geboren und lebt seit Jahren schon in Deutschland, erst in Dresden, jetzt in München. Seine großartigen historischen Dramen sind vielfältig in Deutschland zur Aufführung gelangt, und wenn sie im Allgemeinen beim großen Publikum kein Glück machten, so lag dies zunächst wol nur an den fremden, der altnorwegischen Geschichte entnommenen Stoffen. Die Kritik, welche die Buchausgabe besprach, erkannte aber Ibsen's große dichterische Begabung und die Schönheit seiner Sprache an. Sein sociales Drama » Stützen der Gesellschaft«, von dem 3 Ausgaben erschienen sind, hat die Runde auf den deutschen Bühnen gemacht. Meine Bearbeitung dieses Dramas ist bei Otto Janke in Berlin erschienen und ist allein von über 50 Bühnen der concisen Bearbeitung wegen angenommen worden. Der Uebers. in Kopenhagen. Er verkehrte mit fast allen meinen Freunden, namentlich mit dem Maler Carl Bloch. Mich besuchte er nicht, vielleicht weil ich auf dem Lande wohnte, aber ich kann nicht läugnen, ich hätte gern die Bekanntschaft dieses norwegischen Dichters gemacht, der Norwegen nicht sehr zu lieben scheint.

Als der Herbst nahte, miethete ich mir wieder eine eigene Wohnung in dem neuen Stadtviertel Gammelholm und zwar in der Tordenskjoldsgade Nr. 17, in die ich am 19. September einzog, als ich die Villa »Rolighed« verließ. Lobedanz sagt in dieser Beziehung: »Andersen bewohnte, wenn er sich in Kopenhagen während des Winters aufhielt, eine ziemlich elegant ausgestattete Wohnung, die während der letzteren Jahre seines Lebens aus drei mit einander verbundenen Zimmern bestand, und wo zwei ältere, wenn ich nicht irre, schwedische Damen halb seine »Wirthinnen«, halb seine Haushälterinnen und Gesellschaftsdamen waren«. Der Uebers.

Die Kriegsereignisse in Frankreich ließen mein Gemüth nicht zur Ruhe kommen, und meine Arbeitskraft schien daher auf lange Zeit hinaus gelähmt zu sein. Es fehlte mir an Ideen und dazu fühlte ich mich durchaus nicht wohl.

Die Presse schien meine neueste Erzählung » Glückspeter« todtschweigen zu wollen, obgleich mir vielfältig von Seiten des Publikums Dankschreiben für diese Dichtung zugingen. Nur die Zeitung » Fädrelandet« enthielt die Besprechung eines jungen Mannes, Namens Winkel-Horn; Dieser junge fruchtbare Schriftsteller giebt jetzt in Leipzig eine skandinavische Literaturgeschichte heraus. Der Uebers. aber ich bin mit seiner Meinung durchaus nicht einverstanden. Er geht von der Ansicht aus, es sei ganz falsch, daß ich Peter sterben lasse, daß es ein zufälliges Unglück sei. Ich vermeine, es sei das höchste Maß des Glücks, und das wollte ich gerade zeigen. Der Kritiker ist übrigens höflich, gerade so, wie man sagt, daß die Russen es sein sollen, wenn sie ihren Popen durchhauen wollen: sie küssen ihm erst die Hände, und dann schlagen sie zu, aber hernach küssen sie ihm wieder die Hände. »Wer Andersen kannte, der weiß auch, daß in seinen Augen die Anerkennung der Welt das höchste Glück war, weshalb denn auch der Schmerz, den er während der langen Zeit, in welcher ihm die Anerkennung fehlte, gefühlt hat, ihm sicherlich als das größte, vernichtende Unglück erschienen sein muß, das sich überhaupt denken läßt. Sein Antipode in dieser Hinsicht war der ihm als Denker freilich weit überlegene, von Dr. Georg Brandes in seiner Abhandlung in der »Deutschen Rundschau« (die 1879 in Leipzig bei J. A. Barth in Buchform erschienen ist) so trefflich geschilderte Gelehrte Sören Kierkegaard, der Andersen auf herbe Weise sein oft viel zu demüthiges Haschen und Werben nach dem Beifall der Menge und deren Kinder und Affen vorwarf, während er, Kierkegaard, selbst das höchste Glück darin suchte, für die Wahrheit dulden zu müssen, als deren Bekenner er aufzutreten erklärt hatte. Es ist sicherlich keinem Zweifel unterworfen, fährt Lobedanz fort, »daß die Eitelkeit dieser Männer ungefähr gleich groß war; aber dennoch war Kierkegaard's Standpunkt der höchste und richtigste, was Andersen nie zugestehen wollte.« Der Uebers.

Der dänische Büchermarkt zu Weihnachten schien sehr reich zu werden, auch ich trug das meinige dazu bei, denn von meinen neuesten » Märchen und Geschichten« erschien eine illustrirte Ausgabe.

Der Winter rückte mit mächtigen Schritten heran. Ende November fiel der erste Schnee und am ersten December zeigten meine Fensterscheiben Eisblumen, doch besser war das Wetter auch nicht im vorigen Jahre im Süden Frankreichs, als ich mich damals in Nizza aufhielt. Ich blieb also diesmal zum Feste in Kopenhagen im Kreise meiner vielen Freunde.

*

Die ersten Monate des Jahres 1871 entschwanden in gewohnter Weise. Ich vertiefte mich immer mehr in die Zeitungen; ich malte mir die Begebenheiten in Frankreich mit allen Schrecken des Krieges aus und gelangte nicht zur Ruhe; denn die Nachrichten überwältigen mich, namentlich die späteren aus Paris. Es ist mir, als sei es ein entsetzlicher Traum, ein Vandalismus von den eigenen Kindern des Landes. Die unglücklichen, braven Familien, die in all diesen Schrecknissen leben müssen! Gott weiß, wie viel von allen Denen, die ich dort kennen gelernt habe, leben? Die Tage der Menschen sind bald gezählt. Außerdem sagte mir meine Wohnung nur wenig zu, zumal ich mich dort seit meinem Einzug unwohl gefühlt hatte. Aus diesem Grunde schon gab ich sie wieder auf und eilte, sobald die Bäume die ersten Zeichen des nahen Lenzes zeigten, Anfangs Mai, auf's Land, zunächst zur Gräfin Moltke auf dem Herrensitz Espe und nach einigen Tagen darauf nach Basnäs. Eigenthümlich war es mir in der Wohnung in der Tordenskjoldsgade, daß mich die Muse nicht ein einziges Mal dort besuchte; nicht einmal ein kleines Gedicht wollte dort entspringen, obgleich außer mir noch zwei Poeten in demselben Hause wohnten: zu ebener Erde Hauch und im ersten Stock der Norweger A. Munch.

Auf dem Schlosse Basnäs war es ganz anders. Dort hatte ich zwei Zimmer nach dem Garten und von meinen Fenstern schaute ich über zwei tiefe Schloßgraben, in welchen die Schwäne schwammen. Ein schmaler Arm der Ostsee berührt den Garten, so daß ich in der Ferne die Insel Lolland gewahren kann, und draußen auf einer der kleinen Inseln sehe ich Abends ein Leuchtfeuer, von den Zimmern des Thurmes sieht man sogar die Insel Langeland. Eine kurze Wanderung längs des Strandes führt von dem Garten in einen Tannenwald, an den sich ein Buchenhain anschließt. Der Aufenthalt ist idyllisch! Morgens um 8 Uhr trinke ich Kaffee in meinem Zimmer, Mittags um 12 Uhr versammeln sich alle Bewohner des Schlosses zum Frühstück und das Diner findet um 5½ Uhr statt. Der Abend beginnt um 8½ Uhr und dann lese ich eine halbe Stunde etwas vor, oder ich erzähle von meinen Reisen, Lobedanz bemerkt in seinen »Erinnerungen«: » Andersen war freilich vorzugsweise Märchendichter, aber dann auch, infolge seiner natürlichen Anlage als Reisender und Reisebeschreiber ein Talent ersten Ranges; aber seine schönsten Reisebeschreibungen von Italien, Spanien u. s. w. standen hinter seinen mündlichen Mittheilungen zurück. So entsinne ich mich eines Mittags bei Oehlenschläger bald nach seiner Rückkehr aus Schottland, wo er, noch getragen von den großartigen Erinnerungen der Reise, nicht nur an die Schönheiten der Natur, sondern auch an Robert Burns, Walter Scott, überhaupt an Edinburgh, Maria Stuart u. s. w., unwillkührlich eine so glänzende Schilderung seiner Reise gab, daß die Geschwätzigen verstummten und alle übrigen Gäste und Oehlenschläger selbst mit aufrichtiger Bewunderung an seinen Lippen hingen. Die Schilderung floß improvisatorisch und fast unter einer Art unbewußten Entzückens aus seinem Munde, wo ein Kreis geistvoller Zuhörer ihn im Athem erhielt. Seine sonst nicht gerade schönen Züge verklärten sich auf wunderbare Weise, seine Augen strahlten gleich zwei Sonnen, und seine schon ungewöhnlich einnehmende, weiche Aussprache des Dänischen wurde modulirt, so daß sie wie Musik klang, je nach dem Gegenstand, den er berührte. Diese Stunde werde ich nie vergessen und niemals später habe ich Andersen so schön, so liebenswürdig und interessant gesehen!« Der Uebers. bevor wir das Nachtmahl einnehmen. Ich lese viel in meinem Zimmer und laufe vier Mal täglich im Garten und im Walde umher, jedesmal eine Stunde und fast immer allein. Die Frau Scavenius legt ihren Gästen durchaus keinen Zwang auf, sie sorgt auf die liebevollste Weise für sie. –

Basnäs, d. h. das Schloß, welches seit seiner Entstehung vielfältig umgebaut worden ist, erinnert mich oft an meinen Jugendfreund, den Dichter Carl Bagger, Siehe den vorigen Band Seite 57 u. 205. Der Uebers. denn er kam hierher oft, als das Gut dem vorigen Besitzer, Etatsrath Fiedler, gehörte: er liebte dessen Tochter, weswegen die Eltern sie nach Hamburg schickten, um ihre Liebe zu dem armen Dichter zu vergessen. Er hat Basnäs und seine Liebe sehr schön besungen:

»Basnäs mit den hohen Thürmen
An der Ostsee Gestade!«

Wenn man ein geräuschloses Leben führt, wie ich es hier thue, dann fließt wol ganz unbewußt ein flüchtiger Gedanke, eine Erinnerung aus der herrlichen Jugendzeit in die Feder – und dabei enteilt die Zeit! Freilich hat das für die Jugend keine Bedeutung, aber wird man alt, wie ich, dann weiß man freilich nicht, wie lange Zeit Einem noch zugemessen ist zur Wanderschaft auf dieser Welt, der schönsten, die wir kennen. Man fliegt hernach in eine andere hinein, und weiß gar nicht, ob man dort etwas von dieser Welt oder von Denen erfährt, die man hier auf Erden liebte. Es giebt dort keinen Telegraphen, keine Brief- und Taubenpost; man wird schon durch den Gedanken daran wehmüthig gestimmt, und wenn man, wie ich, es gut hat auf dieser Welt, will man sie nicht gern verlassen, und – die Zeit enteilt – sie fliegt dahin! Oft kommt mir in letzter Zeit der Gedanke: »Wie lange habe ich denn noch zu leben?« und dann steigt urplötzlich die Lust in meiner Seele empor, mich noch recht nach Herzenslust in dieser schönen Welt zu bewegen!

Von meiner kleinen Freundin Mary Livingstone, der Tochter des berühmten Afrika-Reisenden, erhielt ich nach langer Zeit wieder einen Brief, den ich von Basnäs aus beantwortete. Andersen's Concepte zu seinen Briefen nach England wurden vom Etatsrath Melchior übersetzt und dann von A. abgeschrieben. Der Uebers.

Der Pfingstsonntag, der 28. Mai, brach an. Es war herrlicher Sonnenschein; alle Fruchtbäume standen in Blüte, als ob Schnee auf sie herabgefallen wäre. Alle Bewohner des Schlosses waren zur Kirche gefahren, ich saß allein und schrieb den Schluß eines neuen Märchens, das ich » Tante Zahnweh« Siehe die Märchen Band II. Seite 480. Der Uebers. benannte, und welches ich bald darauf, in's Reine geschrieben, an die » Illustreret Tidende« zur Veröffentlichung nach Kopenhagen sandte.

Vom Professor A. Munch, der noch immer in Kopenhagen behufs Studien in den Archiven und wegen Aufführung einiger seiner Dramen weilte, erhielt ich einen Brief, worin er mich bat, im Juni nach Christiania zu kommen und in seinem Hause zu wohnen, da er zu der Zeit dort sein, aber später auf's Land ziehen würde. Da aber gerade in diesem Monat der Etatsrath Melchior und seine Gattin Johanna, geb. Henriques, ihre silberne Hochzeit feiern und Björnson auch nicht in Christiania anwesend ist, so beklagte ich in meiner Antwort, Norwegen wahrscheinlich auch in diesem Sommer nicht besuchen zu können.

Ebenso erhielt ich um diese Zeit einen freundlichen Brief vom dänischen Consul in den nordamerikanischen Weststaaten, Herrn Rambusch, den ich nicht persönlich kannte. Er theilte mir darin mit, daß die dortigen Zeitungen meine Ankunft in Amerika meldeten; er bittet mich daher, doch ja die Weststaaten zu besuchen, wo ich viele Freunde haben soll, und dann müßte ich bei ihm wohnen. Ich komme natürlicherweise nicht! Wäre ich 30 Jahre jünger, dann reiste ich vielleicht, obgleich ich über das unendliche Meer reisen müßte, das mehrere meiner Freunde verschlungen hat.

Am 6. Juni endlich verließ ich Basnäs nach einem einmonatlichen Aufenthalt und ging nach Kopenhagen, wo mich Melchiors nach ihrer Villa hinausführten.

Ich will meine Leser nicht mit der Beschreibung der Festlichkeiten ermüden, die in Veranlassung der silbernen Hochzeit der Gatten Melchior stattfanden, an deren Glück ich innigen Antheil nahm. Für den kleinen Enkel Paul schrieb ich ein kleines Gedicht, das er recht hübsch vortrug.

Infolge erneuter Aufforderung von Seiten Björnstjerne Björnson's entschloß ich mich dennoch, Norwegen zu besuchen und verließ Kopenhagen am 25. Juli, um über Helsingör, Jönköping, Laxå nach Christiania zu gehen, wo ich am 4. August ankam, von Björnson und einem Comité, das sich Zwecks meines Aufenthalts gebildet hatte, empfangen, welche mich nach meinem Hôtel führten.

Einladungen aller Art, zu Mittag, zu Abend, zu Ausfahrten und Besichtigungen der Stadt und Umgebung gelangten von den hervorragendsten Persönlichkeiten an mich. Ich fürchtete mich schon vor der Uebersättigung und der Anstrengung. Professor A. Munch, der auf einem Hofe in der Landschaft Hadeland wohnte, lud mich im Namen seines Wirthes ebenfalls zum Besuche ein. Allen konnte ich für diesmal nicht entsprechen; vielleicht komme ich, wenn Gott mir das Leben schenkt, ein anderes Jahr nach diesem schönen Lande zurück, wo man mir so große Freundlichkeit und Aufmerksamkeit erwies.

Erst einige Tage nach meiner Ankunft in Christiania gelang es mir, mich für einen Tag frei zu machen und mit Björnson und seiner Frau einen wunderherrlichen Ausflug nach dem Ringerike und zum Wasserfall in Hönefoss zu machen. Wer sich über Norwegen näher informiren will, den verweise ich auf mein » Illustrirtes Reise- und Skizzenbuch für Norwegen«, das bei Bichteler u. Co. in Berlin erschienen. Der Uebers.

Tags darauf, am 10. Juli, gingen wir von dort mit der Bahn nach dem schön gelegenen Drammen, einer der schönsten Wege, die man sich denken kann, und fuhren dann mit dem Dampfschiff nach Christiania zurück, wodurch ich Gelegenheit fand, den prachtvollen Fjord und die unvergleichliche Einsegelung in den Hafen kennen zu lernen. Aber ich war sehr ermüdet von der Tour, und dennoch löste eine Einladung die andere ab. Am 15. August riß ich mich jedoch wieder los, und machte wieder mit Björnson und seiner Frau einen Ausflug nach dem Mjösensee. Er und seine Frau erwiesen mir eine Theilnahme, eine Sorgfalt, die mich rührten; alle Menschen sind hier hoch oben im Norden so gütig gegen mich und jeden Tag sendet man mir die herrlichsten Blumen.

Am achtzehnten August gab man mir zu Ehren im botanischen Garten ein Fest. Die Einladung zu demselben war von 24 der hervorragendsten Männer aus den Kreisen der Beamten, Gelehrten, Künstler und Schriftsteller unterzeichnet. Um 4½ Uhr Nachmittags wurde ich von einer Deputation des Comités aus meiner Wohnung abgeholt, und fand eine Menge Menschen auf dem Wege nach dem botanischen Garten aufgestellt, die mich freundlich begrüßten. Die Wohnung des Professors, im Garten gelegen, war mit Blumen geschmückt; im Garten, wo man meine Büste aufgestellt hatte, standen gedeckte Tische. Der berühmte Sammler norwegischer Volksmärchen Moe hielt die Festrede. Als er in seiner Rede darauf anspielte, daß ich alle Länder Europa's bereist hätte, nur nicht Norwegen, ward ich sehr verlegen und fühlte mich nervös; aber als er mir im Namen Aller seine Huldigung aussprach, die so recht vom Herzen zu kommen schien, da wurde ich bis zu Thränen gerührt. Dann sprach ich; Gott weiß, was ich sagte – ich weiß es nicht mehr! Meine Worte schienen aber Eindruck gemacht zu haben, denn ich sah Thränen in vielen Augen. Man dankte mir allgemein, und Björnson sagte mir, daß ich nie zuvor besser gesprochen hätte. –

Infolge allgemeiner Aufforderung las ich dann zwei meiner Märchen vor: » Der Schneemann« und » Es ist ganz gewiß«. Siehe die »Märchen« Bd. I. S. 138 u. Bd. III. S. 146. Der Uebers. Man sagte mir, ich hätte so deutlich und schön vorgetragen, daß mich Alle trotz des fremden Accents verstanden hätten. Ein Redner forderte mich auf, Dänemark und allen Dänen einen Gruß zu überbringen, worauf das Orchester dänische Nationallieder spielte, und die Gäste mitsangen. Am Schlusse warfen mir die Damen ihre Bouquets zu – es herrschte eine herrliche Stimmung!

Der frühere Staatsminister Birch(- Reichenwald?) begleitete mich vom Feste nach meiner Wohnung, wo ich ein Telegramm vom Etatsrath Melchior vorfand, der mich zu meinen Erfolgen in Norwegen beglückwünschte. – Wie das ihm ähnlich sah! Wie treu und gut er ist! Ich zeigte es dem Minister. »Sie sind doch ein glücklicher Mensch! Sie haben treue und theilnehmende Freunde! Das muß eine große Freude sein!« lauteten seine Worte, die mir aus der Seele gesprochen waren.

Es war in der That ein herrliches Fest, und obgleich Viele während der Ferien abwesend waren, war die Zahl der Teilnehmer doch sehr groß. Björnson hatte wol absichtlich die Einladung an mich nicht mit unterschrieben; aber er hatte einen Tischgesang gedichtet, worin er mich willkommen hieß. – Schon am Morgen des Festtages las ich im »Morgenbladet« – eine Zeitung, die Björnson's entschiedenste Gegnerin ist – ein Gedicht an mich, das mich umsomehr erfreute, als ich daraus ersah, daß meine Person, trotz meiner Freundschaft zu Björnson, nicht in die Parteistreitigkeiten mit hineingezogen worden war.

Auch von den jungen Leuten, welche in wenig Tagen Studenten werden sollen, erhielt ich eine Einladung zu einer »Rus-Gilde« (Fuchsfeste), der ich auf kurze Zeit Folge gab, mich mit »meinem Alter« entschuldigend. Die jungen Menschen waren außerordentlich begeistert für mich, und als ich die Rednerbühne betrat, um zu danken, umringten sie dieselbe so, daß ich fürchtete, sammt der Tribüne umzufallen. Das war ein Händedrücken und ein Hurrahrufen!

Jeden Tag war ich zu einem Festmahl geladen, mit Ausnahme eines Tages, an dem ich an Uebersättigung litt; meine Kräfte reichten nicht mehr aus, um während so langer Zeit – ich war drei Wochen in Norwegen – immer in Bewegung sein zu können. Unter diesen hebe ich ein »stehendes Diner« am 23sten beim Consul Petersen hervor, wo Alles überreich und unendlich gut gemeint, aber so ganz verschieden von solchen Diners in der Heimat war. Hier traf ich auch den Dichter Erik Bögh, den vortrefflichen Feuilletonisten aus Kopenhagen, der an dem Abend einen Vortrag in literarischen Kreisen hielt. Ich ging nicht dahin, sondern zog es vor, auf einige Zeit in's Theater zu gehen, wo eine Kopenhagenerin, Frau Ursin, die Hauptrolle spielte.

Am letzten Tage meines Aufenthalts in Christiania dinirte ich beim Ministerpräsidenten Stang, wo die ersten Beamten der Stadt anwesend waren. Mir wurde die Ehre zutheil, die Frau des Hauses zu Tische zu führen. Es war ein animirtes Mittagsmahl und Alle waren höchst freundlich gegen mich. – An demselben Morgen kam ein kleines sechsjähriges Mädchen zu mir, gekleidet als norwegische Bauerndirne; es war die Tochter des Professors Fearnley. Ein Dienstmädchen folgte ihr; sie überbrachte mir einen Brief ihrer Mutter und ein ungeheuer großes, geschmackvolles Bouquet aus Feldblumen und Küchengewächsen, herrlich zusammengestellt. Wie gern brächte ich es mit heim!

Björnson hatte ich während der letzten Tage nur flüchtig gesehen; sein Vater lag aus dem Todtenbett, und er ist davon sehr niedergebeugt. Björnson's Vater starb am 25. August 1871. Björnson schrieb folgenden charakteristischen Brief, der darauf Bezug nimmt, an Andersen:
»den 21. September 1871.
»Lieber Freund!
»Zu derselben Zeit, als Du reistest, starb mein geliebter, rechtschaffner Vater, bis zur letzten Minute von uns Allen umringt, mit herrlichen Worten des Glaubens aus seinen Lippen, und die allerletzten waren: »Nun sehe ich David!« Das ist eine große Prüfung, die ich gehabt habe, und das erste Todtenbett, an dem ich stand. Gott gebe uns einen Heimgang wie der seinige, so geduldig und so erhebend an Glauben und Seligkeit!
»Alle, mit denen ich gesprochen habe, reden nur von dein günstigen Eindruck, welchen Du hier Hinterlagen hast, so wahr, so heiter, so kindlich gut, wie Du Dich unter uns bewegtest. Sie danken Dir durch mich für die späte, aber wohlthuende Bekanntschaft, die sie mit Dir machten, Du jüngstes Kindesauge der Jugend!
»Meine Frau kann Dir die innigsten Grüße von Allen senden. Du verstandest sie ja gleich vollkommen; – wie Du mich damit erfreutest! – – – Ich reise nach Stockholm und halte dort im November Vorlesungen. Vielleicht reise ich weiter im Lande umher, vielleicht auch nicht. – Mir geht es nicht gut. Meine Frau ist unwohl, viele Verhältnisse peinigen mich, der Tod meines Vaters hat mich wehmüthig gestimmt, und die Menschen hier verstehen mich nicht. Das Letztere ist das Schlimmste. Wie viele Jahre soll ich das noch ertragen? Wie lange soll ich noch kämpfen, bis meine Ideen im Volke Anklang finden, oder doch wenigstens, bis man mir das Recht einräumt, meine eigenen Meinungen zu haben, und daß ich ein braver Mensch bin, wenn ich auch mit dem Alten breche.
»Dies soll kein eigentlicher Brief sein; ich bin sehr wenig zum Schreiben aufgelegt. Ich will Dir nur danken für Deinen lieben Brief und Dir sagen, daß man hier oben viel von Dir hält! Grüße unsere gemeinsamen Freunde von
Deinem innig ergebenen
Björnst. Björnson
– Es giebt hier Parteien und Reibungen, das fühlte ich heraus; ich glaube indessen, daß ich es verstand, mich zwischen ihnen hindurch zu winden. Ein deutscher Staatsmann sagte einst zu mir: »Sie sind der beste dänische Diplomat, den ich je kennen gelernt habe«. Er hatte Recht, denn mein Herz und Instinkt, wenn man will, zeigen mir stets den richtigen Ausweg; ich habe das hier erprobt. Aber ich kann es nicht genugsam hervorheben, ich fühlte mich sehr glücklich über die außerordentliche Herzlichkeit, mit der man mir begegnete. Die Herzen pulsiren hier oben sehr warm; hier ist eine herrliche Natur, und als ich zum Abschied äußerte, daß ich wiederkommen würde, vielleicht schon im nächsten Jahre, ertönte von allen Lippen ein herzliches »Willkommen!« Wie wunderbar ist es doch, daß der liebe Gott mir so viele Freuden vergönnt, Segen und Glück über mich ausschüttet, während Tausende in Sorgen und Entbehrungen um das Leben kämpfen! Ja, ich bin in Wahrheit ein Glückspeter!

Während der letzten Tage meines Aufenthalts in Christiania war es regnerisches Wetter und kalt; es sind das die sogenannten »Eis-Nächte«, die sich jetzt schon einstellen und oft der Ernte unermeßlichen Schaden zufügen. Die Zeit war zu weit vorgeschritten, um weiter gen Norden zu reisen. Daher entschloß ich mich über Kongsvinger und durch Schweden in kleinen Tagesreisen heimzukehren und langte am 31, August in Kopenhagen wieder an, wo mich Melchior und seine Gattin am Hafen erwarteten und mich nach Villa » Rolighed« führten, wo ich mein Wohnzimmer auf das Prächtigste mit Blumen geschmückt Versand.

Den größten Theil des September brachte ich theils bei Melchior's, theils bei der Familie Henriques, den Rest des Herbstes jedoch ausschließlich auf Villa »Rolighed« zu. Während dieser Zeit schrieb ich das Märchen: » Die große Seeschlange« Siehe die Märchen Band I. S. 242. Das Märchen wurde zuerst im December 1871 in der »Illustr. Tidende« veröffentlicht. Der Uebers., und wurde vom König Carl XV. von Schweden und Norwegen mit dem Commandeurkreuz des norwegischen Sanct Olaf-Ordens ausgezeichnet, in welcher Veranlassung ich dem hohen Geber schriftlich in wenigen, aber herzlichen Worten meinen Dank für diese neue Auszeichnung aussprach.

Am 23. October verließ ich das gastliche Haus, Melchior's Villa, und zog in eine eigene neue Wohnung im Nyhavn Nr. 18, nicht fern von dem Gebäude der Kunst-Academie, dem Charlottenborger Palais. Hier richtete ich es mir so bequem als möglich ein.

Das Wetter während der Herbstmonate war so unbeständig, ich zog mir eine Erkältung zu, die nicht weichen wollte. Alle Leute husteten und litten an Rheumatismus wie ich, namentlich waren mir die Beine über den Schenkeln wie gelähmt. Infolge dessen konnte ich nicht daran denken, das Weihnachtsfest wie sonst auf Basnäs zu verbringen, zumal ein neues Ballet meines Freundes Bournonville am zweiten Festtage aufgeführt werden sollte. Das Motiv zu dem Ballet hat er meinen Märchen entnommen, namentlich spielt » Der standhafte Zinnsoldat« Siehe die Märchen Band II. Seite 254. Der Uebers. die erste Rolle darin.

Im Studentenverein fand am 23. November eines jener vom Jugendmuth überströmenden jährlichen Arrangements statt, dessen Titel » Der 12. dänische Wasserleute-Congreß« war. In dem Programm war auch ein neues »Fischballet« eingelegt worden, wozu man das Motiv ebenfalls meinem »standhaften Zinnsoldaten« entnommen hatte. Das Stück, » Der standhafte Haiduck« benannt, war sehr komisch, voll von Kalauern.

Tags darauf wurde ich freudig überrascht, als mir der Postbote einen Brief von Jenny Lind-Goldschmidt Siehe den vorigen Band Seite 306. Der Uebers. überbrachte, von der ich seit zwanzig Jahren keinen Brief erhalten hatte. Sie befand sich mit ihrem Gatten und den Kindern während des Winters in Florenz. Der Brief war 16 Seiten lang und reizend, echt weiblich geschrieben.

Auch von meinen Verlegern in New-York, Hurd und Hougthon, erhielt ich einen liebenswürdigen Brief. Sie boten mir freie Reise und freien Aufenthalt an, wenn ich Amerika besuchen wollte, und der Besuch dürfte auf nicht weniger als 6-8 Monate bemessen sein; aber so viel steht fest: ich komme nicht, die Seereise ist mir zu lang.

Indessen wurde ich nach dem Kinder-Asyl der Königin-Wittwe eingeladen; die Kinder desselben hatten Geld zusammengeschossen, um ein Portrait von mir, eine Kohlenzeichnung, dafür zu kaufen; sie hatten schon früher solche Bilder von Ingemann und Oehlenschläger angeschafft. Die Kleinen empfingen mich bei meinen: Eintritt mit Jubel und einem kleinen Gesang. Das ganze Asyl besteht aus Mädchen; alle wollten sie mir die Hand reichen, als ich ging, ja, eins der kleinsten wollte sie gar nicht wieder loslassen. Der Prediger Rördam richtete einige herzliche Worte an mich, und ich las einige Märchen den Kindern vor. Die Königin-Wittwe hatte versprochen, dem Feste beizuwohnen, wurde jedoch durch eine Erkältung daran verhindert.

Immer noch hatte ich gehofft, so weit hergestellt zu werden, daß ich gleich nach Weihnachten nach Basnäs reisen könnte; allein das kalte, regnerische und wechselvolle Wetter bekommt mir gar nicht gut. Ich litt an Katarrh und Rheumatismus – ich durfte nicht daran denken, aufs Land zu gehen, obgleich ich mich nach den warmen, festlichen Zimmern, dem reichen Tannenbaum und den freundlichen, milden Gesichtern dort sehnte. Ein trauriges Weihnachtsfest stand mir bevor.

*

Das Jahr 1872 begann, wie das alte Jahr verflossen war. Ich fühlte mich nicht wohl und vertiefte mich oft bei der Ordnung meines Briefwechsels mit befreundeten Persönlichkeiten des In- und Auslandes in alte Erinnerungen, aus denen ich mich schwer herauszureißen vermochte. Der Schriftsteller Nicolai Bögh, der Andersen auf seiner letzten Reise in's Ausland begleitete, und daher Gelegenheit hatte, Beobachtungen während der letzten Jahre des dahinsiechenden Dichters anzustellen, schreibt unter Anderem:
»Im Laufe des Winters begann Andersen seine Privatsammlung durchzusehen, die ganz außerordentlich groß war. Er wollte gern des Abends einige dieser Briefe verlesen hören, und mitunter wurde er bei der Erinnerung an die entschwundenen Zeiten sehr bewegt. Es konnten auch bei solchen Gelegenheiten Geschichten aus alten Tagen in ihm auftauchen, und er erzählte sie dann mit einer unvergleichlichen Laune und großem dramatischen Talent; es war gleichsam, als ob urplötzlich jede Krankheit entwichen wäre. Bei solchen Geschichten konnte er sich der geringsten Einzelheiten erinnern, und er war trotz seiner Phantasie sehr treu in der Wiedergabe, denn wenn man sie zwei bis dreimal hörte, waren sie stets übereinstimmend, und die Frische, mit der er sie jedesmal auf's Neue erzählte, machte, daß man sie gern wiederholen hörte. Es war ihm gleichgültig, ob er sich durch die Erzählung derselben bloß stellte, denn er hätte im Ganzen genommen einen sehr klaren Blick für seine eigenen Eigenthümlichkeiten. Er äußerte einmal: »Sie dürfen mir glauben, daß ich sehr oft da, wo ich in meinen Märchen menschliche Schwächen und Lächerlichkeiten geschildert habe, mich selbst zum Modell genommen habe.« Der Uebers.

Seit meiner Anwesenheit in Norwegen hatte ich nichts wieder von Björnson gehört, und doch war er während meines Besuches in seinem herrlichen Vaterlande so liebenswürdig und gut gegen mich gewesen. Ich bat ihn damals: »Laß nun das klare, reine Wasser unserer Freundschaft durch Niemanden trüben!« Und obgleich er mich vergessen zu haben scheint, so glaube ich dennoch an ihn; denn ich weiß, kein Mensch will mir Uebles zufügen, und Alle fassen mich mit Freundlichkeit gerade so auf, wie der liebe Gott mich geschaffen hat. Björnson aber muß es wissen, wie hoch ich ihn schätze, wie sehr ich ihn liebe, aber es betrübt mich um so mehr, anscheinend von ihm vergessen zu sein.

Während der trüben Wintertage schrieb ich die Geschichte: » Der Gärtner und die Herrschaft«. Siehe Band I. S. 369. – In Andersen's Tagebuch ist der Zeitpunkt nicht angegeben. Meine Angabe beruht nur auf Wahrscheinlichkeit. Der Uebers.

Zu meiner Freude fand sich der Frühling diesmal rechtzeitig ein und neue Reise- und Lebenslust zog in meine Seele. Bald nach meinem Geburtstag reiste ich von Kopenhagen ab und ging zunächst nach Basnäs, wo ich einige Tage blieb. Von dort fuhr ich nach Korsör, um daselbst den Bruder des Geschichtsmalers Bloch, William Bloch zu treffen, den ich eingeladen hatte, auf einer kurzen Reise im Auslande mein Begleiter zu sein. Ursprünglich hatte ich meinen jungen Freund Jonas Collin dazu aufgefordert, allein er sah sich durch seine Studien verhindert, meinem Wunsche zu entsprechen.

In kleinen Tagereisen setzten wir am 12. April gemeinsam unsere Reise fort und gelangten über Odense, Hamburg, Hannover, Braunschweig und Magdeburg am achtzehnten nach Dresden, wo wir 8 Tage verblieben. Ich besuchte hier meinen alten, lieben Freund, Geheimrath Beaulieu und in Gesellschaft von Bloch die Galerien. Nach einem Aufenthalt von 8 Tagen reisten wir nach Prag und weiter nach Wien, wo wir am 27. April ankamen. Hier blieben wir 10 Tage, besahen alle Sehenswürdigkeiten, fuhren dann über Salzburg nach Innsbruck und weiter über den Brenner nach Botzen und Mori, und mit einem Wagen nach Riva am Gardasee, den wir am nächsten Tage mit dem Dampfer durchflügelten. Dann gingen wir über Verona und Padua nach Venedig, wo wir Mitte Mai, in der schönsten Jahreszeit, ankamen.

Nur drei Tage blieben wir dort; eine unerklärliche Kraft gleich einem Magnet schien mich nach der Heimat zu treiben, weshalb wir über Verona, Botzen und Innsbruck den Rückweg antraten. Hier stieß mir in der Nacht ein Mißgeschick zu, das gar leicht ein Unglück hätte werden können; aber Gottlob ich kam noch ziemlich gut davon. Mein Bett war nicht gut gemacht, die Matratze lag schief und ich war nahe daran, hinaus zu fallen; im Zimmer war es ganz finster. Ich erhob mich halb, um die untere Matratze etwas emporzuheben und wollte mit der einen Hand mich dabei auf einen Stuhl stützen, den ich am Bette stehend wähnte; aber kein solcher war dort; ich streckte den Arm unvorsichtig zu weit hinaus, verlor das Gleichgewicht und stürzte mit dem Kopf weit hinaus auf den Boden, Tisch und Leuchter umwerfend. Ich fiel so hart, daß das ganze Haus erdröhnte und alle Leute aus dem Schlafe emporschreckten, und Bloch schrie laut: »Um Gotteswillen, was ist geschehen?« Er sprang aus dem Bett, zündete Licht an; ich lag noch am Boden und hatte eine Wunde an der Nase, die blutete und sehr weh that. Bloch badete die Stelle mit kaltem Wasser und brachte mich wieder zu Bett. Ich hatte mir das Schienbein gestoßen, so daß es die Farbe einer Orange annahm; die Schulter, die Hüfte und die Schläfe zeigten Stellen vom Falle. Ich fürchtete am meisten die Folgen dieses Mißgeschicks; das Gehen ward mir beschwerlich. Nichtsdestoweniger beschloß ich doch, so schnell als möglich nach München zu fahren, weil ich doch lieber dort das Bett hüten wollte, als hier in Tyrol; außerdem besaß ich ja dort den Leibarzt des Königs, den alten Geheimrath Gietl, als Freund. Am 21. Mai reiste ich in der That; aber es war eine beschwerliche Tour. Bloch war sehr aufmerksam gegen mich und namentlich war seine Geduld, womit er meine Klagen anhörte, bewundernswerth. In München blieb ich vier Tage, und das Mittel, welches ich anwandte, die verletzten und schmerzhaften Stellen mit Arnika zu baden, war ganz richtig. Der Geheimrath Gietl sagte, der Schmerz würde in einigen Tagen aufhören. Trotz alledem führte ich dennoch Bloch zu allen Sehenswürdigkeiten, d. h.: wir fuhren dort hin. In einer der Galerien war ich bei ihm, mußte mich aber auf ihn stützen, und als wir die Zimmer des Schlosses besahen, mußte ich ihn während der Vorzeigung verlassen; meine Kräfte verließen mich, ich bekam plötzlich heftige Kopfschmerzen, es schwindelte mir vor den Augen – man führte mich hinaus. Glücklicherweise befand ich mich nicht fern von Gietl's Wohnung, die im Schlosse sich befand.

Am 25. Mai verließ ich jedoch München, aber wir machten nur kurze Reisen. Wir blieben in Augsburg, weil ich mich zu schwach fühlte, um acht Stunden lang mit der Bahn nach Nürnberg fahren zu können. In dieser Stadt, die ich auf einer meiner ersten Reisen besucht hatte, und wo ich eins meiner Märchen, » Unter dem Weidenbaum«, Siehe Bd. III. der Märchen S. 351. Der Uebers. spielen ließ, blieben wir drei Tage lang, um mich für die lange Heimreise zu kräftigen. Von hier reisten wir dann in kurzen Touren über Hof, Leipzig, Halberstadt, Braunschweig, Hannover, Hamburg, Odense nach Kopenhagen, wo wir glücklich am 7. Juni eintrafen. Wie immer liebevoll gegen mich, führten Melchior und seine Gattin mich nach ihrer Villa » Rolighed«, wo ich – von der kleinen Reise nach dem Süden etwas erfrischt – ganz in dem Genusse der schönen Natur und der Liebe und Hingebung der mich umgebenden Menschen schwelgen konnte: es waren herrliche Sommertage, die ich auf » Rolighed« verlebte.

Gegen Ende August, mich wenig wohl fühlend, folgte ich einer Einladung der Frau Scavenius und reiste nach Basnäs, der Luftveränderung wegen; aber ich verließ diesmal die Melchior'sche Villa sonderbar wehmüthig gestimmt; ich weiß es nur zu wol, daß jeder Abschied aus diesem reizenden Sommerhause ein Jahr bedeutet, das ich von den wenigen Jahren, die ich noch zu leben haben werde, weniger besitze. Wie war Frau Melchior unverändert mild und theilnehmend, stets dieselbe während der langen Zeit, die sie und ihr Gatte mir gestatteten, ihrer Familie anzugehören. Fröhlich und herzlich tönte stets ihr Gruß an jedem Morgen, wie in früheren Jahren, als ich Gast ihres Hauses zu sein begann. Wie soll ich ihr jemals meine Dankbarkeit bezeugen können? Oft sagte ich zu ihr: »O, wär' ich doch reich! Möchte ich doch das große Loos gewinnen!« Dann sagte sie stets: »Was wollen Sie mit dem Gelde? Sie bedürfen dessen nicht!« Zweifelsohne begriff sie meine Absicht, meinen Wunsch; denn es ist ein eigenthümliches Gefühl, stets der Empfänger, nie der Spender zu sein. Ich reise lieber in's Ausland und nehme einen Freund als meinen Gast mit, als stets Derjenige zu sein, den man mitnimmt. Das ist nun einmal so! Ich bin in meinem Herzen Gott dankbar für Alles, was er mir im Leben gewährte; aber ein großer Sack mit Goldmünzen wäre dennoch wünschenswerth!

Hier auf Basnäs wohne ich in denselben Zimmern, wie sonst. Ich sehe von meinen Fenstern auf den Garten hinaus und habe die Ostsee, oder richtiger den Großen Belt im Hintergrunde. Das Gras ist hier nicht so grün wie auf » Rolighed«, aber hier blühen noch eine Menge Rosen. Auf dem Felde steht das Getreide in Schobern; ich sehe es nur zu wol, die Sommerzeit ist entschwunden und Alles deutet schon auf den Herbst hin: die rothen Beeren, die blauen Astern und das braune Rohr im Moore! Es war ein schöner warmer Sommer, aber der Herbst bricht herein!

In den ersten Tagen des September rüstete ich mich jedoch zur Abreise nach Kopenhagen, wo ich wieder meine eigene Wohnung im Nyhavn beziehen werde. Das königliche Theater wird wieder geöffnet, ich freue mich wieder einmal gute Musik zu hören und mehrere meiner Freunde in der Stadt zu sehen, die ich seit langer Zeit nicht sah, besonders verlangt es mich nach Hartmann! Ich bin begierig, seine neue Musik zum » Siebenschläfer« zu hören, möchte man ihr Beifall zollen!

Heimgekehrt nach Kopenhagen, schrieb ich am 8. September einen Brief an meinen alten Lehrer Carstens, Man vergl. S. 11 des vor. Bandes. Der Uebers. der seit Jahren auf Thorseng, der Insel Fyen gegenüber, wohnte, und der am 12. September die 50jährige Wiederkehr des Tages feierte, an welchem er sein Geschick an das seiner Frau band. Gern würde ich ihn an dem Tage besucht haben, aber mein Befinden gestattete mir nicht, ihm und seiner Gattin persönlich die Hand reichen zu können. Daher mußte mein Brief die herzlichsten Glückwünsche überbringen, mit dem gleichzeitig eine kleine Erinnerung folgte. Andersen's Büste. Der Uebers. – Es sind jetzt gegen sechzig Jahre verflossen, seit ich den alten, lieben Lehrer gesehen habe; aber ich entsinne mich noch Alles aus diesen Kinderjahren: Seiner Wohnung, des Schulhauses, das damals mir außerordentlich groß erschien, der alten Kastanienbäume dicht außerhalb des Stadtthors au der »Mönchsmühle«, aber ganz deutlich erinnere ich mich meines Lehrers, Herrn Carstens, zu jener Zeit ein junger, kräftiger Mann; ich entsinne mich der weißen Zähne, die stets sichtbar wurden, wenn er lächelte, der milden Augen, mit welchen er mich anblickte, indem er mich an der Hand hielt, um nicht von den großen Knaben über den Haufen geworfen zu werden. Wie klar steht nicht alles dies vor meinen Gedanken, und dennoch ist es so lange her! Daß wir uns seitdem nicht wiedersahen! Oft hatte ich daran gedacht, meinen alten Lehrer zu besuchen; aber stets hieß es: »Ja, im nächsten Jahre!« und ich verschob es, überzeugt, daß eine ganze Ewigkeit vor mir läge; aber die Ewigkeit hat keine Heimstätte hier auf Erden. Ich bin jetzt selbst ein Mann, hoch in den Jahren; ich muß mich beeilen, wenn ich meinen Vorsatz in Ausführung bringen will. Also im nächsten Jahre, so Gott will!

Mit der rauhen Jahreszeit, die niemals meinem Körper zusagte, erlag ich allen Ernstes der Krankheit, an die ich schon seit zwei Jahren, wenn auch in geringerem Grade, litt. Ich fühlte einen schmerzlichen Druck unter der Herzgrube, der mir theils den Athem benimmt, theils mir ein fortwährendes Uebelbefinden verursacht. Die Krankheit zeigte sich sofort als eine mit der Leber in Verbindung stehende; seine Gesichtsfarbe wurde gelb; er war sehr matt. Er glaubte indessen, daß die Krankheit etwas Vorübergehendes wäre, es zeigte sich indessen, daß sie eher zu- als abnahm, wovon er jedoch keine Ahnung hatte. Der Uebers. Wie oft habe ich nicht während dieser trüben Tage daran gedacht, daß diese Krankheit meine letzte, oder richtiger meine einzige sein würde, und daß dies Erdenleben jetzt seinem Ende nahe; aber ich fühlte gleichzeitig, daß meine Krankheit segensvolle Blumen und Früchte trägt, denn wie theilnehmend erwiesen sich alle Freunde, wie aufmerksam ist man nicht vom Königshause an bis herab zu den Armen! Unser lieber, herzensguter Kronprinz besuchte mich oft. – Theilnahme, ja allgemeine Theilnahme besaß ich in reichem Maße, aber es geht nur langsam vorwärts mit der Besserung. Schreiben kann ich nicht und ist mir auch verboten und Lesen ermüdet mich; oftmals diktire ich meinen Freunden, um mein Tagebuch nicht zu versäumen.

Ende November erhielt ich wieder einen reizend-kindlichen Brief von der kleinen Mary Livingstone, die damals in Hamilton, Uva Cottage, weilte. Sie sandte mir gleichzeitig die Hälfte ihrer Sparbüchse, ½ Sovereign, für die durch die Sturmfluth Heimgesuchten an der Ostküste Lollands. Das liebe Kind! Erst im December, kurz vor Weihnachten, diktirte ich einem Freunde die Antwort in die Feder, womit ich ihr meinen Dank für Brief und Gabe ausdrückte und ihr gleichzeitig meine Photographie sandte.

Weihnachten saß ich daheim; o, wie oft weilten die Gedanken am heiligen Abende auf Basnäs, wo ich seit so vielen Jahren dies Fest der Freude und der Gaben in trauten Familienkreise verlebt hatte. Aber auch an diesem Abende fehlte es mir nicht an Aufmerksamkeit.

*

Das neue Jahr (1873) brachte keine Besserung, keine Linderung; erst im Monat März schien es mir, als ob sich mein Zustand bessere, aber jedenfalls geht es sehr langsam damit. Seit fünf Monaten sitze ich in meinen kleinen Zimmern gebannt, und selbst hier erkältete ich mich zwei Male, so daß meine wiederkehrende Gesundheit und mein Wohlbefinden darunter litt. – Die Aufmerksamkeit aller meiner Bekannten und Freunde hat in keiner Weise nachgelassen. Frau Melchior, die Gräfin Holstein und Frau Henriette Collin, die Frau meines Freundes, Etatsraths Eduard Collin, erweisen mir fortwährend die größte Sorgfalt und Fürsorge; ich bin in der That auf's Beste gepflegt worden, und außer meinem Arzt, dem Dr. Collin, hat mich täglich mein Freund Professor Dr. Hornemann besucht.

Der Kronprinz besuchte mich wiederholt, und eines Tages erschien zu meiner Ueberraschung sogar der König, den der junge Prinz Waldemar begleitete. Wie war der edle Monarch doch herzlich und theilnehmend gegen mich! Er träufelte gleichsam Lebensbalsam in meinen kranken Körper.

Meine Aerzte und Freunde haben beschlossen, daß ich so bald als möglich nach dem Süden reisen, und mich in der Schweiz aufhalten und die »Molkenkur« gebrauchen soll. Die beste dieser Anstalten befindet sich im Canton Appenzell, aber die Saison beginnt dort erst im Juni, und ich habe erst die zweite Hälfte des März erreicht: es ist noch eine lange Zeit bis dahin! Dr. Dor in Bern hatte mich durch einen meiner Freunde benachrichtigen lassen, daß ich bereits im Mai die Kur in Glion, das oberhalb Montreux am Genfer See gelegen ist, beginnen kann. Es gilt also nun Glion zu erreichen! So schwach, wie ich mich fühle – das Treppensteigen wird mir mehr als beschwerlich – werde ich dennoch genöthigt sein, dorthin zu reisen und zwar täglich nur eine kurze Strecke zurückzulegen. Ich möchte so gern den Weg über Dresden und Weimar zurücklegen, um liebe, theure Freunde und Bekannte wieder zu sehen; allein der Umweg ist für mich zu groß, und außerdem fehlt es mir an Kräften, um Besuche machen zu können. Vielleicht sehe ich die Lieben auf der Heimreise.

Um mich zu erfreuen, machen meine Freundinnen mir oft die reizendsten Geschenke. Unter anderen hat mir die Gräfin Wanda Danneskjold, eine Tochter des Marineministers Zahrtmann und jüngste Schwester der Vicomtesse Roberado, deren ich oft gedachte, einen Ofenschirm übersandt, den sie selbst mit großem künstlerischen Geschmack verfertigt hat. Er besteht aus schwarzen und buntgedruckten Bildern, die sie ausgeschnitten und in einander gesetzt hat, so daß es zu einem Bilde geworden ist; aber es ist ein barockes und kühnes Bild, als wäre es ein Blatt aus der Welt der Träume, wo auch die Erscheinungen in einander gleiten. Dieser barocke Schirm scheint – wie wir später noch sehen werden – Andersen auf die Idee gebracht zu haben, während seiner Krankheit etwas Aehnliches zu vollenden. Der Uebers.

An meinem Geburtstage, dem 2. April, wurden mir wieder vielfache Beweise der Theilnahme; ich erhielt eine Menge der herrlichsten Blumen, besonders prangte darunter ein blühender Baum, den ich von der Gräfin Wanda Danneskjold erhielt; viele, liebe Besucher folgten und unter diesen muß ich den unseres lieben, edlen Kronprinzen, der sich stets gegen mich so theilnehmend und gütig erwiesen hat, nennen. Aber die Aufregung dieses Tages schien einen schädlichen Einfluss auf mich ausgeübt zu haben, denn seit dem Tage, fühlte ich mich, trotz der Freude, die mir durch die Zuneigung so vieler Menschen zutheil geworden war, fieberhaft erregt. Dazu kam noch die Unruhe des Umzugs, bei dem ich freilich nicht viel helfen konnte.

Einige Tage vor meiner Abreise nach der Schweiz machte ich bei der königlichen Familie einen Abschiedsbesuch, bei welcher Gelegenheit beide Majestäten außerordentlich gnädig und bedachtsam waren, mich nicht die hohen Treppen emporsteigen zu lassen; denn die ganze hohe Familie war bei meiner Ankunft in der unteren Etage des Palais versammelt: der König, die Königin, der Kronprinz und Gemalin nebst ihren beiden kleinen Kindern, sowie Prinzessin Thyra und Prinz Waldemar. Beim Abschiede schenkte mir der König seine eigene Reisetasche, die er im vorigen Jahre selbst benutzt hatte, und nicht genug damit: am Abend, als ich daheim mit dem Einpacken beschäftigt war, wurde ich durch den Besuch des Königs überrascht; er wollte mich noch einmal vor meiner Abreise sehen; Prinz Waldemar und sein Bruder, Prinz Hans, begleiteten ihn. Ich war tief bewegt über diese edle, liebe und herzliche Gesinnung des Königs. – Andere Freunde und Bekannte zu besuchen, dazu fehlte es mir an Kräften.

Am 12. April verließ ich meine Wohnung und nahm während zweier Tage im »Hôtel Royal« in Kopenhagen Aufenthalt. Dies geschah auf Anordnung des Professors Hornemann, um zu beobachten, wie mir diese Veränderung bekommen würde.

Wie bestimmt, trat ich meine Abreise am 14. April an, begleitet von dem jungen talentvollen Schriftsteller Nicolai Bögh, Bögh hat, gestützt auf seine innige Bekanntschaft mit Andersen, einen höchst interessanten Aufsatz über » Andersen's letzte Tage« veröffentlicht, aus dem ich in der Folge manche Stelle, zur Vervollständigung seines Lebensbildes, entnehmen werde. Der Uebers. den ich seit lange als einen liebenswürdigen, ruhigen Menschen kannte, der, wie ich wußte, mir mit Liebe zugethan war, und der gewiß Alles vermeiden würde, um jede Ungleichheit in unseren Anschauungen in Reibereien ausarten zu lassen. Kurz bevor ich das Hôtel verließ, fand sich noch Graf Holstein bei mir zum Abschiede ein, und viele Bekannte sah ich auf dem Bahnhof: Collins, Melchiors, Gräfin Frijs, Hartmanns u. s. w.

Die Reise wurde in kleine Touren eingetheilt und wir übernachteten daher in Korsör, Fredericia, Schleswig, bevor ich Hamburg am 17. erreichte. Hier hatten die Bäume schon große Knospen, und als ich nach Hannover und Cassel am 21. April kam, blühten schon die Fruchtbäume. Am 23. kam ich nach Frankfurt. Wir wohnten in dem neuen, großartigen Hotel » Schwan«, in welchem bekanntlich Fürst Bismarck den Frieden mit Frankreich abschloß. Wir kamen hier gerade am Tage nach den Unruhen an und hatten das Schießen gehört, ohne die Ursache zu kennen, bis wir darüber in den Zeitungen lasen. – Es war mir auch hier noch sehr beschwerlich, die Treppen zu steigen, und zum Ausgehen fehlt es mir an Kräften, ebensowenig will mich der Schleimhusten verlassen. Mir jedem Tage sehe ich mehr ein, wie vortrefflich die Wahl meines Begleiters war, ohne seine liebevolle Hülfe würde ich nicht haben reisen können. Ich fühlte mich ziemlich müde von der Reise und hatte einige Schmerzen in der Seite, sonst war der Humor ganz gut.

Nach eintägigem Aufenthalt in Frankfurt gingen wir nach Heidelberg. Schon in Frankfurt war das Wetter plötzlich kalt geworden und der Weg nach Heidelberg war ganz winterlich, und ungeachtet wir drei Tage dort blieben und im »Hôtel Prinz Carl«, dicht unterhalb der Schloßruine, wohnten, kam ich dennoch nicht dort hinauf. Ich versuchte es zweimal zu gehen, kam aber nur bis zum Fuße des Berges. Als ich hinauffahren wollte, fing es stark zu schneien an und dabei wehte ein eisiger Wind. Bögh sorgte nun für Comfort im Hause und bald saß ich wieder am warmen Ofen, freilich vom Husten sehr geplagt.

Am 27. fuhren wir in fünf Stunden nach Offenburg, wo wir wieder übernachteten, und Tags darauf gingen wir dann nach Basel. Das Wetter war andauernd kalt. Ich fühlte mich weniger wohl. Als wir von Basel nach Bern fuhren, war mein schlimmster Tag auf der ganzen Reise, denn bei Olten mußte ich in Schnee und Sturm eine lange Strecke gehen, um von einem Waggon in den andern zu gelangen und höchst entkräftigt, erreichte ich Bern am 29. April. – Bögh überbrachte sofort meine Visitenkarte an Dr. Dor, der glücklicherweise hier anwesend war, aber schon am nächsten Tage wieder abreisen wollte. Er fand sich bald bei mir ein. Ich übergab ihm Professor Hornemann's Schreiben, worin dieser sich über mein Befinden ausgesprochen hatte, und er versprach mir, am nächsten Tage wieder zu kommen, um mich gründlich zu untersuchen. Er hielt Wort und besichtigte meine Brust. Seine Erklärung war: die Lungen sind gar nicht angegriffen, der Herzschlag ist gut, aber der Schleimhusten und der Schwindel, der mich in letzterer Zeit heimgesucht hatte, schien ihm weniger zuzusagen; aber er versicherte, daß ich ein sehr gesunder Mensch, nur angeblich etwas sehr nervös sei. Ich sollte kräftige Sahne genießen, Wein trinken und mich in guter, warmer Lust aufhalten; er hoffte, daß ich in einem Monat wieder ganz wohl sein würde, aber noch dürfte ich nicht nach Glion hinaufgehen. Vor acht Tagen wäre es dort schon sehr schön gewesen, jetzt aber sei es kalt. Ich sollte 2 bis 3 Tage in Vevey bleiben und dann vielleicht eine Woche in Montreux, Dr. Dor wollte den Arzt dort ersuchen, mir wegen der gelegensten Zeit Mittheilung zu machen. Bögh fand diese Auslassungen ganz vortrefflich, aber ich theilte diese Ansicht nicht; mein Humor war gedrückt, und ich schlief auch die folgende Nacht sehr schlecht.

Am 1. Mai, begleitet von Dr. Dor, der nach Genf reiste, kam ich wieder nach Vevey, wo Carl Melchior, der sich dort aufhielt, infolge meiner Aufforderung, zwei Zimmer im Hôtel » Les trois couronnes« für mich bestellt hatte. Ich wohnte in der ersten Etage, mit einem Balkon und Aussicht nach dem Platze, kurz, mit allen Bequemlichkeiten für 8 Frcs. täglich. – Der Arzt, an welchen ich den Brief von Dr. Dor überbrachte, besuchte mich Abends, aber er gefiel mir gar nicht. Ungeachtet Professor Hornemann und Dr. Dor mich untersucht und an ihn geschrieben hatten, daß ich mich mit Rücksicht auf Herz, Lunge u. s. w. wohl befände, mußte ich mich von ihm noch einmal untersuchen lassen, und er fand dann heraus, daß das Herz etwas schwach gehe. Er machte so viele Vorschriften, daß die Hälfte schon mehr als genug gewesen wäre. Ich sollte Chocolade und keinen Kaffe mit Milch trinken, wie die anderen Aerzte gesagt hatten, auch dürfte ich nicht zu viel moussirende Wasser zu mir nehmen. Ich erwiderte ihm, daß ich mich besser befände, als er glaube, aber daß seine Nähe und seine Worte meinen Puls in Bewegung gesetzt hätten. Gottlob, ich sehe ihn erst in Vernex in einigen Tagen wieder; ob er mir dann besser gefällt – das ist ja möglich. – Indessen ist es hier herrlich sonnenwarm, und dabei ist die Luft so leicht; aber noch vor wenigen Tagen soll es hier gefroren und der Wein hier wie in Südfrankreich Schaden genommen haben.

Als ich von Bern fortfuhr, kaufte ich mir zum Lesen auf der Eisenbahn das »Intelligenzblatt für die Stadt Bern« vom 1. Mai. Darin stand folgende Notiz:

 

» Der Dichter Andersen in Bern.

»Es dürfte in weitern Kreisen eine gewisse, freudige Aufregung hervorrufen, zu vernehmen, daß der geistvolle Dichter der berühmten neuern Märchen, der Däne Andersen, in den Mauern unserer Stadt weilt. Er logirt in: »Hôtel Bellevue«, ist jedoch leider nicht wohl genug, um Besuche annehmen zu können. Sollte er sich jedoch soweit erholen, daß er ohne Unbequemlichkeit an einem Abende im größeren Kreise einige Märchen vortragen könnte, so würde der edle Gast den Bewohnern unserer Stadt damit eine große Freude bereiten, denn Andersen gehört nicht zu denjenigen Dichtern, nach deren Werken man erst in einer Literaturgeschichte nachschlagen muß. Er ist im eminentesten Sinne populär bei Alt und Jung, bei Groß und Klein, im Palast und in der Hütte geliebt und bewundert.«

 

Am 4. Mai begaben wir, Bögh und ich, uns nach Vernex, das gerade unterhalb Montreux gelegen ist, um dort etwa 8 Tage das Wetter mit anzusehen, bevor wir nach Glion gehen. Am 11. des Morgens mietheten wir einen Wagen, in dem wir nach Glion hinauffuhren. Wir erhielten im Hôtel » Righi Baudois« zwei Zimmer, die mit einander in Verbindung standen, und dort hatten wir Sonnenschein vom Sonnenaufgang bis zu deren Untergang und jeden Tag Sonnenschein, dazu die schönste Aussicht auf den Dent du Midi und über den Genfer See bis an die Juraberge, wo noch Schnee liegt; hier aber wächst das Gras schon üppig, hoch über Kleber, Knabentraut ( Orchis) und Pfingstlilien. Ueberall gewahrt man Leinen auf der Bleiche. Der Kuckuk ruft, hört aber sofort damit auf, wenn ich ihn frage, wie lange ich noch zu leben habe, und es ist doch schön zu leben, Freunde zu haben, wie ich sie besitze und in einer Natur leben zu können, wie diese! Die Schweiz hat in ihrer Schönheit doch vieles, das mich an Dänemark erinnert, besonders die grünen Matten und die herrlichen, frischen Buchen. Ja, die Schweizerflagge: daß weiße Kreuz aus rothem Grunde, erinnert an den Dannebrog. Ich fühlte mich auch hier in dieser milden Luft wunderbar wohl, denn hier ist es weit wärmer, als dort unten in Montreux, wo der See noch eiskalte Dämpfe ausathmet.

Ich begann am Tage nach meiner Ankunft sofort mit der »Molkenkur«; die »Molke« schmeckt so dünn und fade wie Hühnersuppe. Dann ging ich über eine Stunde spazieren. Wenn ich bergan ging, versagten die Kräfte, aber war der Weg eben, dann ging es besser. Ich mußte indessen mehrmals ausruhen, aber ich konnte schon ganz anders marschiren als im Beginn des Frühlings. Auch schien der schlimme Schleimhusten mich immer mehr und mehr zu verlassen. Indessen fühlte ich eine große Trockenheit im Halse. Einen Arzt konnte ich nicht befragen, denn ich hatte keinen. Der Doktor, welcher mich in Vevey besuchte und mich durch seine Worte erschreckte, hat sich seit dem Abend nicht wieder bei mir sehen lassen; wahrscheinlich wollte er nach dieser Consultation mit mir nichts mehr zu thun haben. Indessen schrieb ich an Dr. Dor, mit dem ich am liebsten zu schaffen haben möchte, obgleich ein Arzt, sogar ein Landsmann, Dr. Leerbech, ganz in der Nähe, unten in Clarence wohnte ihn konnte ich ja immer rufen lassen, wenn es nöthig sein sollte; aber ich verspürte wenig Neigung, mit Aerzten über mein Befinden zu sprechen, denn sie bekommen doch nicht mehr heraus, als das, was ich meinen Empfindungen nach mir zusammensetze. Uebrigens hatte ich einen gesegneten Appetit, der Magen war in Ordnung, und ich schlief jetzt, wenn auch mit Unterbrechung, gewiß 8 bis 9 Stunden. Der Humor war bald so, bald so, wozu die Trockenheit des Halses wol beitrug, wie diese oder jene körperliche Empfindung, die mich ein neues Krankheitssymptom fürchten ließ.

Die Tage entfliehen! Wir, Bögh und ich, konnten es kaum fassen, daß wir bald einen Monat hier in Glion verbracht hatten, mit dessen Ende auch die Kur zu Ende ging; aber es herrschte hier auch fortwährend das prächtigste, stille Sommerwetter. Es liegt etwas Paradiesisches in solcher Ruhe, in der wir nichts erlebten, aber, wie Oehlenschläger einst sagte: »Das paradiesische Glück hat keine Geschichte«. Paradiesisch war es in der That rund um mich! Die Schneeberge erhoben sich in dem klaren Sonnenschein, hier strömte mir der Duft von gemähtem Grase und von Blumen entgegen; die Buche ließ ihre grünen, frischen, gezackten Blätter während meiner Wanderungen über mich herabhängen, die freilich noch immer nicht sehr lang waren, denn die Kräfte reichten noch immer nicht aus und manchmal kam eine Mattigkeit über mich, daß ich kaum auf den Beinen stehen konnte. Das ängstigte mich oft!

Durch die Liebenswürdigkeit des Etatsraths Melchior erhielten wir täglich das Kopenhagener » Dagbladet«, und durch dasselbe versetzten wir uns in alle Neuigkeiten und Zänkereien in der Heimat.

Bögh genoß in Freude und großen Zügen die Großartigkeit der für ihn neuen Natur und machte manche Wanderung, auf der ich ihn gern begleitet hätte – aber es ging nicht! – – Es ist herrlich zu leben – aber man muß auch noch das Gemüth des Jünglings besitzen! Die Beine wollten, wie gesagt, mich nicht tragen, es war mir, als wären mir die Beine überhauen und schlecht wieder zusammengenietet worden! – – Es ist ein Leiden, nervös zu sein! Ist es mir doch gerade, als wäre ich ein Saitenspiel, in welches die geringsten Bewegungen von Seiten der Natur oder der Menschen Thun und Lassen greifen!

Ich hatte zu früh gejubelt! Das Wetter, welches während so langer Zeit außerordentlich schön gewesen war, schlug plötzlich um; es herrschte in der letzten Zeit meines Aufenthaltes Regenwetter und Kälte. Die Wolken senkten sich ganz hinab auf den Genfer See, ich ließ im Kamin Feuer machen und dennoch fror mich. Natürlich setzte mich dies wieder in meiner Genesung zurück, daher verließ ich am zweiten Pfingsttage (1. Juni) Glion, und ging nach Genf, wo mein Freund Jules Jürgensen uns empfing und uns nach seiner Villa am Genfer See führte. Am 6. Juni fuhren wir nach Freiburg, wo ich die mächtige Orgel und das schöne Orgelspiel im Dom hörte. Weiter gingen wir nach Bern, wo ich den Dr. Dor wieder consultirte. Ich verbrachte einige Tage hier mit diesem liebenswürdigen Doktor und seiner Familie, die eines Abends einen Kreis meiner Freunde um mich versammelt hatte. – Ich las ihnen zwei Märchen vor; es war das erste Mal seit neun Monaten, das ich vorlas, bei welcher Gelegenheit Dr. Dor's Kinder mir einen Lorbeerkranz überreichten; aber das Vorlesen hatte mich in dem Grade angegriffen, daß ich sofort heimfahren mußte. – Der Doktor war übrigens zufrieden mit meinem Befinden und meinte, daß ich bald gesunden würde. Ich selbst jedoch theilte durchaus nicht diese Meinung. Ich fühlte mich sehr matt und hatte noch immer große Beschwerde beim Gehen, dazu kam meine Nervosität: ich erschrak bei jedem unerwarteten Dinge und bei jeder Gemüthsbewegung traten mir Thränen in die Augen. Infolge Dr. Dor's Anrathen, was ganz meinem Wunsch entsprach, gingen wir über Thun am 10. Mai nach Interlaken, wo es wärmer war, als unten am See, und wo ich ja ebenfalls »Molken« trinken konnte, wenn es sich als nöthig erweisen sollte.

Vor meiner Abreise von Glion sandte ich ein Gratulationsschreiben an den theuren Kronprinzen Frederik in Veranlassung seines Geburtstages am 3. Juni. Ich wußte, daß er zu jener Zeit von der Wiener Weltausstellung nach Kopenhagen zurückgekehrt sein würde.

Die Nummer des »Dagbladet's«, welche ich am 12. in Interlaken erhielt, hatte einen Artikel aus der » Chicago Times« entnommen, worin über einen Besuch eines Amerikaners bei mir in Dänemark berichtet wurde. Ich wurde beim Lesen desselben, bei den Worten, die er mir in den Mund legt, im höchsten Grade erstaunt und gerieth in eine sehr erregte Stimmung; denn ich erinnerte mich durchaus nicht, einen solchen Besuch gehabt und jemals zu irgend Jemand diese Worte gesprochen zu haben. Es kamen in letzterer Zeit freilich eine Menge Fremder, besonders Amerikaner, zu mir, um mir ihren Besuch abzustatten oder eine Handschrift von mir zu erlangen. Der Letzte, dessen ich mich entsinne, war gerade ein solcher Autographensammler, und wenn ich nicht irre, sagte er, er sei Herausgeber eines Blattes. Dieser Mann suchte mich aus » Rolighed« auf und war nur wenige Augenblicke bei mir, und ich bin fest davon überzeugt, daß nichts von alledem wahr ist. Wie sollte ich auch so etwas gesagt haben können! Ein Jeder, der mich kennt, wird sofort sehen, daß es nicht Andersen ist, der hier spricht.

Doch ich glaube, daß es dieser Mann sein kann, welcher den Artikel geschrieben hat, denn er sagt, daß ich gerade mit dem Lesen der letzten Augenblicke des Kaisers Napoleon III. in Chislehurst beschäftigt gewesen sei; aber damals, als der Kaiser starb, war ich ja sehr krank und empfing keine Fremde. Das können Diejenigen, die um mich waren, bezeugen, namentlich daß ich zu langen Gesprächen wenig aufgelegt war. Er sagt, ich hätte ihm erzählt, daß ich mit Napoleon und seiner Mutter Hortense in der Schweiz verkehrt habe. Ich habe sie niemals dort gesehen. Er läßt mich erzählen, daß ich den Czar Alexander mit seinen Kindern hätte spielen sehen. Wo denn? Ich bin niemals in Rußland gewesen, habe niemals dessen Kaiser gesehen. Er läßt mich Aeußerungen über den Kaiser Franz Joseph von Oesterreich und Kaiser Wilhelm und seine Gemalin machen. Ich darf auf's Feierlichste versichern, daß ich mich niemals auf solche Weise ausgesprochen haben kann. Ich weiß von gar nichts!

Das Ganze versetzte mich in das allerhöchste Erstaunen, und ich vermag diese Unwahrheit nicht gelassen zu ertragen, namentlich in einer Zeit, wo ich noch krank und leidend bin. Freilich ist die Geschichte höchst lächerlich, allein ich kann mich nicht dazu verstehen, eine Gegen-Erklärung in der Zeitung zu veröffentlichen. Der Redakteur des » Dagbladet«, Herr Topsöe, hat mir bei jeder Gelegenheit gezeigt, daß er Güte und Interesse für mich hegt; er hat sicherlich diese echt amerikanische Geschichte ausgenommen, um zu zeigen, was man dort » Alles erfinden kann«. Titel eines der Märchen Andersen's, siehe Bd. I. S. 303. Der Uebers. Dies scheint mir auch aus dem Platz hervorzugehen, den er dieser Geschichte einräumte, denn sie steht unter den »Anekdoten«. Obgleich ich dies sehr wol einsah, so hatte ich dennoch nicht Ruhe, bevor ich mir bei Jemand in der Heimat Rath erholt hatte, und daher schrieb ich an den ehemaligen Redakteur des »Dagbladet«, den jetzigen Direktor einer Kopenhagener Baugesellschaft, Carl Steen Andersen Bille. Wahrscheinlich wird er mir schreiben: »Lassen Sie die Ente fliegen!« aber es ist nicht das erste Mal, daß ich in Amerika ganz anders, als ich bin, dargestellt worden wäre. Vor ungefähr einem Jahre hieß es in einem Artikel über mich in einer sehr verbreiteten amerikanischen Zeitschrift, daß man mich in Kopenhagen stets den » kleinen Hans« nenne, und wenn ich mich aus der Straße zeige, würde ich stets von einer Schar Kinder verfolgt, die mich an den Kleidern zögen und bäten, ihnen ein Märchen zu erzählen; der »kleine Hans« war dann sofort so gutmüthig, in die Pforte eines Hauses zu treten und der Jugend ein Märchen zu erzählen! – Ich schrieb seiner Zeit an einen der Mitarbeiter der Zeitschrift, der mir in seiner Antwort sein Bedauern darüber ausdrückte. Er theilte mir mit, daß der Artikel von einem Dänen geschrieben sei, der versichert habe, mich persönlich genau zu kennen; allein aus der ganzen Mittheilung ging zur Genüge hervor, daß er mich gar nicht kannte und mich auch nie gekannt hat. Diese Geschichte ist in keinem dänischen Blatte abgedruckt worden, verdient hätte sie es fast.

Wir wohnten 2 Tage im Hôtel am brausenden Gießbach am Brienzer See, der bei bengalischer Beleuchtung feenhaft aussieht. Hier waren fast gar keine Fremde, wir wohnten daher in großer Einsamkeit in der schönen Alpennatur. Aber ich hatte dennoch keinen Genuß davon, weil mir derselbe durch die amerikanische Ente vergällt worden war. Lebe ich noch und vollende meine Lebensgeschichte, dann werde ich diese Geschichte an den Pranger stellen, wie die Bauern an der Pforte ihres Gehöfts den Habicht festnageln, wo er dann verrottet und verwittert. – – Diese Ente hatte mich mehr erschüttert, als sie werth war, aber ich habe nie an eine Lüge denken können, ohne daß es in meinem Innern kochte; denn ich bin der Lüge machtlos gegenüber und habe Niemand, den ich zur Rechenschaft dafür ziehen kann. Ich litt unverschuldet und mir war es, als wäre nun meine ganze Reisefreude vernichtet.

In Bregenz miethete ich einen Wagen über Brünig nach Luzern und kam bald nach Brunnen, wo wir volle zehn Tage zubrachten. Am 27. Juni gingen wir nach Ragaz und von dort Tags daraus nach Chur. Ich wollte von dort aus sehr gern die Via mala Die Via mala , zu Deutsch: der böse Weg, ist ein schmaler Engpaß im Canton Graubünden, zwischen dem Splügen und dem St. Bernardino und gehört zu den schönsten Punkten der Alpen. Der Uebers. besuchen und auch den Splügen erklimmen, da ich jetzt Italien so nah war und sicherlich nie mehr dahin kommen werde, auch Bögh, der nie zuvor eine Reise gemacht hatte, durch einen Blick auf Italien zu überraschen. Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Chur, wo ich einen Wagen miethete, eilten wir hin über den Splügen nach Chiavenna; aber hier war die Hitze so groß, daß es für mich zu reisen unmöglich war, denn ich litt ja immer, selbst in jüngeren Jahren, an zu großer Wärme, die auch diesmal sehr ermattend auf mich einwirkte. Wir entschlossen uns daher, uns dem Norden wieder zuzuwenden, meinte aber Bellagio am Como-See erreichen zu können; aber als wir auf dem Wege von Chiavenna nach Colico an den See hinabfahren wollten, wurde eins der Pferde von giftigen Fliegen in dem Grade angegriffen, daß es hinten ausschlug, das Sattelzeug zersprengte und vor Wuth und Schmerzen schäumte: es sah sehr gefährlich aus. Bögh sprang zuerst vom Wagen, dann der Kutscher, und während sie das gereizte Thier bändigten, gelang es auch mir, aus dem Wagen zu steigen, gerade in dem Augenblick, als es mit dem Wagen und der Bagage nach Chiavenna zurücklief und der Kutscher hinterher. Wir waren über eine viertel Meile von der Stadt entfernt, der Weg war von hohen, weißen Mauern umschlossen und kein Baum war dort, um uns Schatten gegen die brennenden Sonnenstrahlen zu verleihen; aber gehen mußten wir. Ich war dem Umfallen nah, meine Kräfte reichten nicht zu diesem anstrengenden Marsche aus. Endlich gelangten wir nach Chiavenna, ich natürlich mehr todt als lebend, und lag wol 3-4 Stunden auf dem Bette, bis ich mich einigermaßen erholt hatte. Wir gaben daher die italienische Fahrt auf und wählten nun den Theil der Schweiz, welchen ich nicht kannte und der sehr großartig ist. Wir reisten am dritten Juli von Chiavenna durch das Engadin-Thal, wo wir einen der großen Gletscher besuchten und gingen dann nach St. Moritz. Den 6. Juli weilten wir den ganzen Tag in Samaden und am andern Tage blieben wir, der Hitze halber, im Bade Alveneu und kamen am nächsten wieder in Chur an, wo ich einen Brief von meinem Freunde Professor Hornemann vorfand. Er sprach in demselben seine Ansicht aus, daß es für mich wol am besten sein würde, auch den Winter im Süden zu verleben. Aber das stritt ganz gegen meine Absicht. Ich wollte die Monate August und September, die schönste Sommerzeit in Dänemark, daheim verleben und fühlte ich mich dann noch immer schwach, so konnte ich wieder gen Süden eilen. –

Ueber Ragatz, Lindau am Bodensee und Augsburg setzten wir unsere Heimreise fort und kamen am zwölften Juli in München an, wo ich mehrere Tage der Erholung nach den Anstrengungen der Reise bedurfte. Aber die Hitze war unerträglich! Erst am vierzehnten fuhr ich mit Bögh nach Kaulbach's Atelier; er flog mir um den Hals, küßte mich und suchte es mir in einem Lehnstuhl so bequem als möglich zu machen. – Diesen Mittag verbrachten wir bei Kaulbach in seiner reizenden Wohnung mit herrlichem Garten und erfrischendem Springbrunnen. Er brachte bei Tische mein Wohl in Champagner in so inniger und herzlicher Weise über meine ewige Dichterjugend aus, an das sich alle die Seinen voll Innigkeit anschlossen. Leider fühlte ich mich gar nicht wohl, seit ich nach München gekommen war und mußte mich daher bald von der Familie verabschieden. Am Tage darauf litt ich stark an Diarrhöe, so daß ich fast nichts aß und nur von Salep und Portwein lebte. Ich wollte Geheimrath Gietl, den Leibarzt des Königs, darüber consultiren, aber Bögh machte mir einen plausiblen Vorschlag, nämlich so schnell als möglich Deutschland zu verlassen, den Aufenthalt in Dresden aufzugeben, wo ja auch die Cholera herrschte, durch Hamburg zu eilen, um schnell auf dänischen Boden zu gelangen, wo die Luft viel frischer ist und meiner Natur mehr zusagt. Ich gestehe aufrichtig: ich hatte Angst vor dieser Reise; denn die Hitze und mein Magenübel setzten mich in meiner Genesung sehr zurück. Indessen sprach ich mit Geheimrath Gietl, der mir für die Reise Opiumtropfen verschrieb; auch er meinte, daß ich so schnell als möglich heimkehren sollte, da die Luft in Deutschland setzt keineswegs für mich gut sei und die Kräfte, die ich während meines Aufenthalts in den Bergen neu gewonnen hätte, durch meine Angst aufriebe. – O, wie sehr wünschte ich, bald in der Heimat zu sein, um dort zu gesunden oder zu sterben! –

Bögh war entzückt über den Aufenthalt in München und die Bekanntschaft mit Kaulbach und seiner Familie. Bögh hat nach seiner Heimkehr in der »Illustreret Tidende« einen interessanten Artikel über diesen Besuch bei Kaulbach veröffentlicht. Der Uebers. Wir waren zwei Mittage dort, und wir wurden eingeladen, jeden Tag zu kommen, wenn wir länger dort verweilten. Mich lud Kaulbach ein, bei ihm zu wohnen, wenn ich das nächste Mal nach München käme. Es ist ein glückliches, echt künstlerisches Heim! Mein Trinkspruch für Frau und Herrn Kaulbach schien ziemlich gelungen zu sein, denn alle Gäste brachen beim Schlusse desselben in Jubel aus, und Frau Kaulbach umarmte und küßte mich gerade auf den Mund. Später brachte Kaulbach ein »Hoch« auf all das Tüchtige und Vortreffliche, das sich in Dänemark finde, aus, indem er Holberg, Oehlenschläger, mich, Oersted, Gade u. A. m. nannte. Das war eine große Freude für mich, und diese war es in doppeltem Maße, als ich Bögh anblickte, der vor Stolz über die Lobeserhebung seines Vaterlandes aus diesem Munde überglücklich war.

Am sechzehnten Mittags verließ ich also München und erreichte nach siebenstündiger Fahrt Nürnberg. Das war eine peinvolle Reise, denn ich litt noch immer an Diarrhöe und mußte zweimal Tropfen nehmen. Am nächsten Tage konnte ich wegen Mattigkeit nur bis Bamberg gelangen. Am achtzehnten kamen wir nach Meiningen und am nächsten Tage nach Eisenach, wo ich den plattdeutschen Dichter Fritz Reuter besuchte, aber von dem Besuch der Wartburg abstehen mußte. Dann setzten wir unsere Reise über Cassel, Hannover und Hamburg nach Kopenhagen fort, wo wir am achtundzwanzigsten Juli ankamen. Ich fuhr dann sofort mit Etatsrath Melchior nach der Villa » Rolighed«; Nicolai Bögh schreibt: »In München verweilten wir vier bis fünf Tage. Die Cholera, die bald nachher dort ausbrach, lag schon in der Luft. Andersen bekam einen heftigen Anfall von Cholera, die ihn aller Kräfte, die er in der Schweiz gesammelt hatte, beraubte, und nur mit genauer Noth gelang es ihm, unter fortwährenden Ohnmachten, mehr todt als lebendig, Dänemark zu erreichen, wo er bei seinen alten Freunden auf » Rolighed« gastfreundlich empfangen wurde. Die vorzüglichste und sorgsamste Pflege und die äußerste Aufmerksamkeit wurde ihm hier, namentlich von Frau Melchior, zutheil. Es zeigten sich aber keine sichtbaren Fortschritte zur Genesung«. Der Uebers. aber die Fahrt von der Eisenbahn dort hinaus, in der brennenden Sonnenhitze, beraubte mich der letzten Kräfte.

Siehe Bildunterschrift

Andersen's letzter Sommeraufenthalt auf der Villa »Rolighed« bei Kopenhagen.

 

Am 5. August schrieb ich an Bögh: – – »Es geht sehr langsam mit der Wiedergewinnung der Kräfte … Ich habe, seitdem ich nach » Rolighed« kam, mein Zimmer nicht verlassen dürfen, und es ist daher jetzt über acht Tage her, daß ich in demselben sitze ohne Appetit oder Ruhe zu finden … Es ist mir, als wäre ich schwächer wie damals als ich reiste, und ich habe eine entsetzliche Angst, wieder auf die Eisenbahn zu kommen. – – Ich danke Ihnen für Alles, was Sie durch scherzende und lebhafte Unterhaltung für mich auf der Reise gewesen sind! Meinen Dank für all die Fürsorge und Theilnahme, die Sie mir erwiesen haben! Ich freue mich bei dem Gedanken, daß Sie Nutzen von ihrem ersten Ausflüge haben werden. Es war so belohnend und erfreulich für mich, zu sehen, wie Sie alles Neue und Schöne, das der liebe Gott vor uns entfaltete, in sich aufnahmen. – – Heute besitze ich nicht Kräfte genug, um mehr schreiben zu können. Meine Brust thut mir weh, meine Augen schließen sich«.

Ich vermochte kaum den Gedanken zu ertragen, einem Winter, wie dem jüngst verflossenen, entgegen zu gehen, und dennoch hatte ich einen förmlichen Schrecken, wieder zu reisen.

Nicht zu Hause und nicht im Auslande sein zu dürfen – wo soll ich denn sein? –

Melchiors haben in ihrer Güte gegen mich eine Wärterin für mich angenommen, die während des Tages in meinem Zimmer und Nachts in der Nähe ist, wenn mir etwas begegnen sollte; aber diese Güte muß auch eine Grenze haben: denn ein solches Wesen widerspricht meiner ganzen Natur. – Von einer Krankenpflegerin bedient zu werden, ist ein trauriger Zustand. Wie soll das enden?

Ich habe die Zimmer wieder miethen müssen, die ich im vorigen Jahre in Nyhavn innehatte; es waren keine anderen zu erlangen. Es verursachte mir einen wahren Schrecken, wieder in die alten Krankenstuben ziehen zu müssen, die ich, wie ich bei meiner Abreise hoffte, nicht wiedersehen wollte. Ich freue mich jetzt über nichts mehr, mache mir aber auch um nichts mehr Sorge. Die Zeit plätschert hin über mich!

Der Sommer entschwand, der Herbst nahte. Mit meiner Gesundheit ging es, wenn auch langsam, vorwärts. Ich zog am 9. September in die Stadt in die mir so widerwärtige Wohnung und befand mich jetzt Gottlob so wohl, daß ich bei einigermaßen gutem Wetter kleine Spaziergänge und größere Wagenfahrten machen konnte. Bögh schreibt über diese Zeit: »Dennoch schrieb Andersen am 21. September an mich: ›Schwere Tage und Abende habe ich verbracht, seit Sie zum letzten Male bei mir waren. Mein Humor fühlt sich gedrückt, so daß ich mir oft wünsche
»Ueber die Wolken viele Meilen
In das unbekannte Land!‹
Er hatte gute und rücksichtsvolle Menschen um sich, zwei ältere Damen, welche sich aufopferten, um es ihm so bequem als möglich zu machen. Nicht selten verließ er seine Wohnung, um zu Mittag zu speisen, doch niemals mehr ging er in Gesellschaft und ebensowenig las er, wie in früherer Zeit, so lange er sich wohl befunden hatte, nach Tische seine eigenen Märchen laut vor, sondern kehrte sofort wieder heim.« – Hier mag es auch am Platze sein, folgende Bemerkung Bögh's anzuführen:
»Es ist so viel von Andersen's Neigung, seine Arbeiten selbst vorzulesen, erzählt worden. Er that dies meistens, wenn er etwas Neues geschrieben hatte. Als bezeichnend und entschuldigend in dieser Beziehung sei folgende Aeußerung von ihm hier angezogen: ›Wenn ich etwas geschrieben habe, lese ich es selbst sehr oft Anderen laut vor, weil ich dadurch sehe und höre, was an demselben etwa noch zu ändern ist; dann gehe ich nach Hause und schreibe es um, lese und verändere es so lange, bis ich sagen kann: jetzt ist Alles in Harmonie mit mir selbst, jetzt erregt nichts mehr meinen Anstoß, jetzt kann ich es nicht mehr besser machen‹. Ein wenig später fügte er hinzu: ›Wenn ich dann bemerke, wie wol ich überall aufgenommen und hervorgehoben werde, sage ich oft zu mir selbst: Weshalb erreichst Du so viel Gnade und Gaben, die Dir Alle bieten, weshalb gerade Du und kein Anderer?! Ja, oftmals wenn ich wahrhaft von der Volksgunst emporgehoben werde, o, ich versichere Sie, dann könnte ich in Thränen ausbrechen, indem ich an die Anderen denke.‹ Der Uebers.

Ich empfing während der trüben Herbstzelt unzählige Besuche von den hervorragendsten Personen, Männern und Frauen des Landes, Lobedanz besuchte Andersen eines Tages, um ihm Grüße von Berthold Auerbach, den er kurz vorher in Berlin besucht hatte, zu überdringen; er bemerkt bei dieser Gelegenheit: »Eine gewisse Krankenstubenluft schlug mir entgegen, Andersen war bange vor jedem Zug und wagte es daher nicht, seine Fenster zu öffnen. Aber Blumen, die in nicht geringer Anzahl ihm von seinen bewundernden Leserinnen gesandt worden waren, breiteten gleichfalls in dieser tristen Atmosphäre, die Geist und Sinne erdrückte, ihren Duft aus. Andersen war über den Gruß, den ich ihm von Auerbach brachte, sehr erfreut. »Sie finde« gewiß«, begann Andersen, »daß ich mich sehr verändert habe; – es ist ja auch so lange her, daß wir uns gesehen haben«. Was ich eigentlich jetzt dachte, verschwieg ich, weil ihm dies gewiß zu pathetisch erschienen wäre, und ich antwortete daher: »Alt zu werden folgt ja aus unserer sterblichen Natur, und ich hoffe, daß Sie jetzt bald eine Reise machen können und vollkommen Ihre Gesundheit wieder finden werden«. – Er lächelte schmerzlich und brach aus, indem er tief Athem holte, als ob er Brustkrämpfe habe: »Reisen! Ach Gott, ich denke jetzt nur an meine letzte Reise und an mein Begräbniß!« Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich: sein ganzes Aeußere, seine sichtbare Schwäche bestätigten nur in hohem Grade seine Furcht, daß seine Tage gezählt seien. Der Brustkrampf schien sich indessen verloren zu haben, und er schien sich bedeutend erleichtert zu fühlen. Er sprach dann mit großer Lebhaftigkeit von Berlin und Auerbach und fragte mich nach anderen Persönlichkeiten aus der Schriftstellerwelt. Ich erzählte ihm, was ich glaubte, das für ihn Interesse habe, und er schien dadurch angeregt zu sein«. Der Uebers. auch beglückte mich mehrfach der König und noch viel öfter der theure Kronprinz. Aber die Zeit der Märchen war vorüber, nur hin und wieder konnte ich ein kleines Gedicht schreiben. Aber wenn ich nicht mehr Märchen schreiben kann, so will ich doch zeigen, daß ich sie auf andere Weise machen kann. – Um meine Langeweile zu tödten, beschäftigte ich mich damit, eine » Schirmwand« Lobedanz erzählt von diesem Schirm: » Andersen zeigte mir die Raritäten seines Zimmers und fragte mich: ob es nicht hübsch eingerichtet sei. Ich bejahte dies, und dann zeigte er mir die zahlreichen Ausgaben seiner Werke in den verschiedenen Sprachen, mit und ohne Illustrationen, die zusammen schon eine hübsche Bibliothek ausmachten. Gerade am Tage vorher hat er von Paris eine neue illustrirte Ausgabe seiner Märchen erhalten. Ich mußte auch eine große, in der That merkwürdige » Schirmwand« besehen und bewundern, die er während der Zeit, als er zu schwach war, um lesen oder schreiben zu können, von oben bis unten mit Bildern, die aus illustrirten Zeitungen ausgeschnitten waren, beklebt hatte. Diese ungefähr 6 Fuß hohe, 10-12 Fuß breite spanische Wand war ein wahres Kunststück von großem Interesse, namentlich wegen der ganzen Art und Weise, auf welche Andersen äußerst geistvoll und mit echt malerischem Blick, eine unzählige Menge kleiner Bilder zu großen Tableaux zusammengestellt hatte. Ich äußerte meine aufrichtige Bewunderung, was ihn sichtbar zu freuen schien. Nach dieser Probe zu urtheilen, zweifle ich gar nicht daran, daß Andersen unter anderen Verhältnissen gleichfalls ein großer Maler in Kaulbach's Manier geworden sein könnte.« – – » Andersen war offenbar animirt worden durch meinen Beifall, denn seine Bewegungen wurden elastischer und jugendlicher, und er erzählte mir, daß er heute Kräfte genug besessen hätte, um ein Gedicht in Veranlassung des Jubiläums seines Freundes, des Componisten Hartmann, zu schreiben. Er las es mir vor. Der Neigung, ein ganz neues Gedicht, am liebsten wenn das Herz noch davon erfüllt war, und im ausdrucksvollen Tone dem ersten besten Gast vorzulesen, hatte der Krankheit keinen Abbruch gethan. Auch Oehlenschläger besaß diese Neigung, obschon er durchaus nicht Andersen's entschiedenes Talent des Vortrages besaß. Andersen's Gedicht schien mir sehr wolgelungen zu sein und ließ keine Schwächung seiner Geisteskräfte oder seines dichterischen Sinnes bemerken. Aber ich gewahrte dennoch, daß seine physischen Kräfte jetzt erschöpft waren. Er lehnte sich in seinem Armstuhl zurück, bekam wieder heftige Schmerzen in der Seite und bedeckte das Gesicht mit den Händen, die ganz weiß und durchsichtig geworden waren. Ich wollte mich entfernen, allein er bat mich noch einige Augenblicke zu bleiben«.
Bögh sagt über diesen » Schirm«: »Das Ganze verrieth seine mächtige, eigenthümliche Phantasie, seinen malerischen Sinn und zugleich auf eine liebenswürdige, kindliche Art und Weise sein gutes Herz. – Anderseits stand diese seine Arbeit in der That auch in naher Verwandtschaft mit seinen Märchen und nach den Märchen scheint diese » Schirmwand« die bezeichnendste und sichtbarste Erinnerung an ihn zu sein. Nach seiner Bestimmung ging dieselbe in den Besitz der Frau Melchior über« Der Uebers.
anzufertigen, die ich in sechs Felder theilte. In jedes dieser Fächer fügte ich einzelne Bilder planmäßig zu einem großen Ganzen zusammen, und jedes Feld repräsentirte ein Land.

Abends las nur Bögh oft alte Briefe vor, deren Inhalt mich interessirte. Er ist einer von Denjenigen, welchen ich eine solche Kenntnisnahme meiner Correspondenz anvertrauen kann; er meint auch, viele der Briefe verdienen es, der Nachwelt aufbewahrt zu werden. Ich werde ihm ein Packet zum Durchlesen mit nach Hause geben, wenn er sich verpflichtet, keinem Fremden solche zu zeigen.

Sowie das Wetter ungünstig war und ich daher nicht in die frische Luft hinauskommen konnte, litt mein Humor auf's Aeußerste, und dann fühlte ich oft einen Schmerz gerade im Herzen, der mich vollkommen erdrückte. In einem solchen Zustande war es mir nicht möglich, Treppen zu steigen und blieb ich daher in meiner Wohnung. Ich fühlte es jeden Tag mehr, daß ich meine Gesundheit nicht wieder erlangen würde! Es ängstigte mich immer mehr, Besuche zu machen, ja selbst bei meinen liebsten, treuesten Freunden. Ich fühle es nur zu wohl, daß ich ihnen wie mir selbst beschwerlich falle. Gott gebe, daß diese Zeit der Prüfung und unwirksamen Zeit bald ein Ende nehme! – Manchmal erscheint mir Alles in sehr finsterem Lichte!

Vor einigen Tagen schien die Sonne so einladend, daß ich es wagte, in der Hafenstraße zu promeniren, aber ich wurde derartig von dein scharfen Nordostwind erfaßt, daß mir die Thränen an den Backen hinunterliefen, und fast war es mir, als sauge der Wind das Mark aus meinen Gliedern. Ich kehrte sofort heim, aber war gleich sehr erkältet und darf – wer weiß auf wie lange Zeit – meine erwärmten Zimmer nicht verlassen. Während der Zeit, kurz vor Weihnachten, war ich so heiser gewesen, daß ich fast gar nicht sprechen konnte. Es war übrigens ein merkwürdiges Wetter, denn in diesem Winter hatten wir noch gar keinen Schnee gehabt. Einige Tage fror es 2 Grade, aber gewöhnlich hatten wir 2 bis 4 Grad Wärme.

Frau Melchior hatte am Weihnachtsabend, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte, mein vorderes Zimmer geschmückt. Als man die Zwischenthür öffnete, stand dort ein großer Christbaum, strahlend von Lichtern, Blumen und Geschenken! – – Das sieht Frau Melchior ganz ähnlich, denn sie denkt fast immer nur daran, auf welche Weise sie Anderen eine Freude machen soll! Sie gehört zu den gebenedeiten Menschen, welche von Gott auf die Welt gesandt zu sein scheinen, um dort Freude und Dankbarkeit zu verbreiten.

*

Am Neujahrstage 1874 erhielt ich von Paris die sehr viel besprochene neue französische Ausgabe meiner » Märchen und Geschichten«, welche Grégoire im Verein mit dem Historiker Moland, der durch seine vorzügliche Ausgabe Moliére's bekannt ist, herausgegeben hat. Meine Dichtungen sind mit Liebe zur Sache übersetzt worden und die Einleitung ist interessant und für mich sehr schmeichelhaft. Die Bilder von Dargant sind recht schön, aber mein Portrait ist mißlungen. In einem französischen Journal, das Etatsrath Melchior zugesandt worden ist, befindet sich eine sehr hübsche Auslassung über meine dichterische Wirksamkeit, bei welcher Gelegenheit der Verfasser es sich und seinen Landsleuten zum Vorwurf macht, bisher geglaubt zu haben, daß sich außer der französischen Poesie sonst nichts im Auslande vorfinde und daß sie den Reichthum des Nordens in dieser Richtung nicht gekannt hätten. –

Unter den neuen dänischen Büchern, die besonders gelesen und gekauft werden, befindet sich eins vom Etatsrath ProfessorH. P. Holst: Siehe den vorigen Band S. 218 u. 222 und folgende. Der Uebers. » Aus meiner Jugendzeit«, eine Erzählung in Versen. Es enthält eine Sammlung erlebter Anekdoten, die reizend erzählt sind. Eine der charakteristischen ist eine Zänkerei zwischen Oehlenschläger und seiner Frau, Ueber mich bringt er eine Erzählung aus der Zeit, als wir zusammen in Rom waren: Holst sitzt mit unserm Landsmann, dem später Mönch gewordenen Maler Küchler Siehe den vorigen Band S. 133. Der Uebers. in einer Osteria; ich trete ein und erzähle frohen Sinnes: »Ich bin in's Deutsche übersetzt worden!« – »Aber haben Deine Gedichte nicht dadurch verloren?« fragte Küchler, doch Holst fällt schnell ein: »Nein, sie haben eher dadurch gewonnen!« – Soweit Holst. – Der Direktor Bille nahm vor einiger Zeit wegen dieses Gedichts Veranlassung, einen Toast auf mich auszubringen mit der Bemerkung, daß ich wirklich durch die deutsche Uebersetzung gewonnen hätte; denn vor der Zeit wurde ich daheim übersehen, unwillig beurtheilt und nicht verstanden; aber als man in Deutschland begann meine Arbeiten zu übersetzen und das eine Land dem andern darin folgte, da wurde man aufmerksam auf mich, man las meine Dichtungen nochmals, und auf diese Weise hätte ich durch das Uebersetzen in fremde Sprachen unleugbar gewonnen. – Uebrigens halte man bereits 1832 in Deutschland damit begonnen, daher begreife ich den von Holst citirten Ausruf nicht: »Ich bin in's Deutsche übersetzt worden!« zumal mein damaliger Aufenthalt in Rom im Jahre 1841 stattfand. Ob Küchler sich auch dieser Scene erinnern mag? Sonst sind die Verse sehr hübsch und in den wolwollendsten Ausdrücken für mich abgefaßt.

Mit meiner Genesung ging es keinen Schritt vorwärts und habe ich wegen der Erkältung keinen Schritt in der frischen Luft machen können. Was mich dabei am schmerzlichsten berührt, ist, daß ich nicht mehr in's Theater komme, Bögh schreibt: » Andersen's größte Sorge war es, daß er während seiner Krankheit nicht in's Theater kommen konnte; er folgte demselben mit dem lebhaftesten Interesse. Abends 7 Uhr, wenn die Vorstellung begann, sagte er oft: »Jetzt beginnt die Vorstellung!« und später bemerkte er: »Nun sind sie ungefähr da oder da«. Die Theaterzettel hingen jeden Tag an seiner Wand und die häufigen Besuche von Schauspielern und Schauspielerinnen brachten ihm die Mittheilungen, nach denen er sich sehnte.« Der Uebers. wo ich nun schon über Jahr und Tag nicht gewesen bin; auch Musik höre ich nicht. Das ist in der Thal eine Zeit der Prüfung! Meine Freunde kann ich nicht besuchen, selbst wenn ich wieder ausgehen darf, weil mir das Treppensteigen zu schwer wird. Nur bei Melchiors, Collins, Henriques und bei Frau Koch war ich einige Male zu Tisch; aber es ist mir jedes Mal schlecht bekommen und ich konnte dann des Nachts nicht schlafen. Professor Hornemann sagt zwar, der Frühling wird mich wieder ganz herstellen, die Leber und Nerven, die Gicht und die Athemnoth wird ganz in Ordnung kommen; aber dasselbe sagte er auch im vorigen Jahre. Ich habe gewiß Vertrauen zu ihm und seinen Kenntnissen, allein Wunder vermag er nicht zu thun. Es ist der Körper nur, der krank ist, der Geist ist frisch und gesund. Schreiben kann ich nicht; – die Muse der Märchen besucht mich nicht, und das, was ich in mein Tagebuch schreibe, strengt mich schon sehr an.

Um so heimischer suchte ich meine Wohnung Es war sehr heimisch in Andersen's Zimmer, »sagte Nicolai Bögh«. Er hatte ein wahres Talent, solche zu arrangiren, und die unzähligen Gaben, die er erhalten hatte, machten es ihm leicht, etwas Ansprechendes zu Wege bringen zu können. Der Uebers. zu gestalten, die mir freilich nicht so lieb war, wie die, welche ich am Kongens Nytorv inne hatte, aber hier ist es auch schön, und es amüsirt mich, am Fenster zu sitzen und die kleinen Dampfer im Hafen hin und herjagen zu sehen, um Schiffe in's Schlepptau zu nehmen. Das sieht reizend aus. Ich habe die vier Jahreszeiten in den vier Ecken der Fenster stehen. An diesem Fenster stehen nur Zweige – das ist der Winter; hier stehen einige feine Blumen – das ist der Frühling: dort sind große volle Blüten – das ist der Sommer – und in diesem befinden sich Aehren, Weintrauben und andere Früchte – dort die rothen Tomaten – das ist der Herbst. Auf diese Weise versetze ich mich in die Jahreszeiten, wie gerade meine Stimmung ist, und das ist sehr amüsant. Ich habe zwei Stühle neben einander gesetzt und einen Teppich darüber gelegt, an der Seite eine türkische Mütze gehängt, oft setze ich mich dort und befinde mich dann in der Türkei. – Jetzt ist mein Zimmer so eingerichtet, daß ich vielleicht darüber ein Märchen schreiben kann.

Ende Februar brachten die dänischen Zeitungen die mich heftig erschütternde Nachricht, daß der berühmte Afrikareisende Livingstone seinen Anstrengungen erlegen sei; um so mehr erfreute mich ein Brief seiner Tochter Mary, die mir schrieb, daß sie den Vater bald heimkehrend erwarte, wodurch alle Zeitungsnachrichten gleich einem Nebel verschwanden, und ich gebe daher wieder der Hoffnung Raum, daß er lebt und seine Kinder und Freunde wiedersehen werde. –

Mein Geburtstag brachte mir wiederum Beweise der Hingebung und Liebe von allen Seiten. Meine Wohnung war wieder durch liebevolle Hände in einen förmlichen Floratempel verwandelt und mein Herz wieder voll von Dankbarkeit erfüllt worden. Der König ernannte mich in seiner übergroßen Güte gegen mich in Veranlassung des Tages zum » Conferenzrath«, ein Titel, der um so größeren Werth für mich hatte, als Oehlenschläger und Thorwaldsen denselben auch getragen! Lobedanz sagt in dieser Veranlassung: »Sicherlich hat Niemand Andersen um die sonderbaren büreaukratischen Titel »Etatsrath« und schließlich »Conferenzrath«, die ihm in seinem Vaterlande zutheil wurden, beneidet; allein das Faktum, daß er den Dichternamen (der in der ganzen civilisirten Welt als der vorzüglichste angesehen wird) nicht höher veranschlagte, als den Titel eines Conferenzraths, mochte Manchem oftmals sehr sonderbar vorgekommen sein, umsomehr als man in Dänemark für Titel eine sogenannte nicht unwesentliche »Rangsteuer« bezahlen muß. – – – Die einzige Entschuldigung hierfür dürfte die sein, daß sowol Thorwaldsen wie Oehlenschläger und H. C. Oersted (der übrigens als Geheimer Conferenzrath mit dem Titel »Excellenz« starb. E. J.) zu denen er wie zu reinen Göttern emporgeschaut, denselben Titel getragen hatten. Der Uebers. Ja, es ist wahr, das Leben selbst ist doch das schönste Märchen, und oft frage ich mich tief gerührten Herzens: »Weshalb vergönnt Gott gerade mir so viel Glück?« Aber wo so Vieles gegeben wird, da kann man nicht stolz werden, sondern man beugt sich demüthig und dankbar. –

Ich habe jetzt mein 70stes Jahr angetreten, und das ist noch der Bibel das gewöhnliche, längste Lebensalter; viele Jahre habe ich in keinem Falle mehr zu leben!

Um mein Glück zu krönen, erhielt ich am 17. April ein Telegramm vom Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar, worin mir der mir so theure Herr und Fürst seine innige Theilnahme in den gnädigsten Worten ausdrückte und mich nach Weimar zu kommen einlud. » Dieser Beweis«, daß der Großherzog sich meiner noch freundlich erinnerte, » rührte mich tief; wir hatten seit dem letzten deutschdänischen Krieg nicht mehr in Briefwechsel gestanden; ich war oft sehr betrübt darüber, daß Alles zwischen uns vorbei war«. Citat aus Andersen's Tagebuch. Der Uebers. Viele wechselvolle und schwere Zeiten lagen zwischen der Zeit meines letzten Aufenthalts in Weimar und heute; aber treu und dankbar trug ich stets in meinem Herzen die Erinnerung an all die Gnade und die Herzlichkeit, womit der Großherzog und die ganze großherzogliche Familie in Weimar mich geehrt hat. Während der vielen und großen Begebenheiten schrieb ich nicht; Jahr folgte auf Jahr, und bald wußte ich nicht, ob ich einen Briefwechsel erneuern durfte, der mich einst so hoch beglückte. Durch das Telegramm wurde ich aus meinem bangen Zweifel befreit, und infolge dessen schrieb ich an den Großherzog und drückte meinen tiefgefühlten Dank dafür aus und hob hervor, daß es mein inniger Wunsch sei, noch einmal, frisch und gesund, Weimar wieder zu sehen, Bei meinem letzten Besuche bei Andersen im October 1874 sprach er sich ganz ebenso gegen mich aus: er sagte: »Wenn es mein leidender Zustand gestatten würde, in's Ausland reisen zu können, dann möchte ich noch einmal nach meinem lieben Weimar, um den Großherzog zum letzten Male in dieser Welt zu begrüßen und diesem edlen Fürsten den Ausdruck meiner Liebe und Dankbarkeit für seine Gnade und Freundschaft in Worte einzukleiden! »(Man vergleiche meine Dedikation an Se. Königl. Hoheit in Band I. der Märchen.)« Der Uebers. mit dem Großherzog, der Frau Großherzogin und dem ganzen großherzoglichen Kinderkreis zu sprechen. Meine Hoffnung ist immer noch, noch einmal nach Weimar zu kommen!

Indessen blieb mir auch der Schmerz nicht erspart: der geniale Maler Kaulbach, der mir so innige Freundschaft entgegengetragen hatte, schloß in München am 7. April 1874 die Augen. Gott mildere seiner Gattin diese tiefe Prüfung! Diese Nachricht ergriff mich tief und stimmte mich auf lange hin sehr wehmüthig. Ich hatte so sicher gehofft, ihm, dem Freunde, noch einmal die Hand drücken zu können; aber – alles irdische Schöne, Gute und Glückliche fährt dahin!

Der lange Winter, während dessen mir von Seiten der Frau Melchior und Frau Henriette Collin die aufmerksamste Pflege und Trost zutheil wurde, nahete seinem Ende, und obwol ich mich immer noch nicht viel besser befand, so erwachte in mir mit dem beginnenden Frühling die alte Lust zu reisen, was mir selbst als ein gutes Zeichen erschien.

Da ich also nicht in's Ausland reisen konnte, zumal ich immer noch Schmerzen in der Leber und in der Herzgrube verspürte, so entschloß ich mich, eine längere Zeit – sobald es warm geworden – auf dem Lande zuzubringen und mich zunächst nach Holsteinborg zu begeben, wo ich ein willkommener Gast bin, und Ruhe und Besserung finden werde.

Bevor ich mich am 23. Mai bei herrlichem Wetter auf die Reise begab, schrieb ich das Gedicht » Der Greis«, worin ich mein Gottvertrauen und meinen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele aussprach.

Als ich nach Holsteinborg kam, hingen die Fliederbüsche in bläulich-rothen Dolden und der Goldregen guckte aus seiner grünen Umhüllung heraus; bald, während der sommerheißen Tage, entfalteten sie sich in ihrer ganzen Herrlichkeit und Duft; aber jetzt erbleichen sie. Die Fliederblüten erinnern an verblichene Kattunkleider und der Goldregen hat kränkliche weiße Blätter; der Wind jagt sie in den Gängen umher. Ihr Blütenleben ist vorüber; aber ein neues Geschlecht ist an ihre Stelle getreten: der Rothdorn, so frisch, als wäre er in die prächtigsten Wolken des Abendroths getaucht worden; in wenig Wochen ist auch seine Zeit vorbei, dann kommt die Zeit der Rosen, und ehe wir daran denken, kommen die Georginen und Astern in ihrer duftlosen, blendenden Pracht, und ist auch deren Zeit vorüber, dann nehmen wir mit rochen Hagebutten fürlieb. Das ist das Lebensalter der Blumen, kürzer wol als das unsrige; aber sie erfreuen sich an der Lust und dem Sonnenschein; wir dagegen denken viel zu viel daran: zu verschwinden. – Wozu schreibe ich diesen mir urplötzlich überkommenen Gedanken hier nieder? – Ja, vielleicht gebrauche ich denselben noch einmal als Einleitung zu einem neuen Märchen.

Am 6. Juni schrieb ich an Bögh: »Heute ist es bereits 14 Tage, daß ich mich auf Holsteinborg befinde, und für so lange hatte ich auch meinen Aufenthalt hier bestimmt; nun aber habe ich acht Tage hinzugefügt. Ich befinde mich so außerordentlich wohl hier. Die Gräfin ist äußerst aufmerksam und theilnehmend gegen mich, und mit einer gewissen Wehmuth werde ich in diesem Jahre diesen Ort verlassen; in meinem Alter weiß man nicht, wo man sich im nächsten Jahre befindet und ob man dieselbe theure Stätte wiedersieht … Ich habe zwei schöne Zimmer, sie liegen im untern Stock auf der Sonnenseite, und die Fenster sind dem Garten zugekehrt, wo der Goldregen hängt und Frucht- und Fliederbäume in Blüte prangen. Ueber den Fjord, wo die wilden Schwäne fliegen, sehe ich Glänö's Eine Insel an der Küste von Holsteinborg, deren er in dem Märchen » Wänö und Glänö« (siehe Band I. S. 220) gedachte. Der Uebers. Waldküste; die Fischer sangen Abends bei Fackelschein Fische; die Nachtigall singt Nacht und Tag; Alles ist herrlich arrangirt, nur meine Muse will mich nicht besuchen, obgleich ich in das Dickicht der Gebüsche hineinschaue, auf den Steinen am Strande sitze und vor den Portraits der alten Ritter und Ritterfrauen in den Sälen auf- und abgehe. Wo mag meine alte Freundin sich verbergen? Oder denkt sie gar: »Suche frisch und gesund zu werden, denn ich besuche keine kranken Poeten!« Ich habe es übrigens sehr viel besser als früher, vermag eine ganze Stunde allein im Garten zu gehen; der Schwindel, der mich so oft befiel, ist fast ganz verschwunden und die Kräfte kehren wieder. Aber eins ist schlechter als früher, d. h. schmerzlicher und oft des Nachts gar zu schlimm: es ist der Druck, den ich in der Herzgrube und in der rechten Seite, wo die Leber liegt, fühle. Oft glaube ich, es ist der Kobold, den wir »Rheumatismus« nennen, der sich in die Herzgrube gelegt hat und mit meinen Nervensaiten spielt; ergreift mitunter etwas zu stark zu, und ich liebe es nicht, einer von den Poeten zu sein, die man in früheren Zeiten mit einer Harfe in der Brust umherwandern sah – nein, ich will Mannesmuth in der Brust haben, um frisch von der Leber singen zu können …

»Daß ich bei Hartmann's 70jährigem Jubelfest nicht gegenwärtig war, das betrübt mich tief; aber eine Freude hatte ich doch: Mein Lied Man vergl. die Note auf S. 86 im vorigen Bande. Der Uebers. erweckte Freude und Hartmann rührte es – –.«

Als ich am 14. Juni des Nachmittags von Holsteinborg abreiste, war ich sehr wehmüthig gestimmt, denn die Güte und Pflege, welche mir die Gräfin Holstein während meines langen Aufenthalts erwiesen hatte, rührte mich tief. Sie gab mir ihren Kammerdiener bis Nästve mit, von wo ich mit der Bahn nach der Station Haslev fuhr und dort vom Candidaten Olsen mit einem Wagen des Grafen Moltke erwartet wurde, der mich Abends acht Uhr nach Bregentved brachte.

Das Wetter war warm und schön; ich fühlte mich hier um so wohler, als ich wußte, daß ich ein willkommener Gast war; aber meine Muse blieb mir fern. Das ist traurig! Der Dichter Christian Winther behauptete einst: »Wenn ein Dichter ein gewisses Alter erreicht hat, dann ist er fertig mit dem Dichten.« Ich wollte das nicht glauben! Ich bin freilich krank gewesen und bin fast ganz wieder hergestellt, aber Märchen fallen mir nicht ein! Es ist gerade so, als ob ich den ganzen Cirkel mit Märchen-Radien ausgefüllt hätte. Gehe ich in den Garten zwischen Rosen – ja, was haben diese und selbst die Schnecken mir Alles erzählt! Sehe ich das breite Lotusblatt, dann hat Däumelinchen bereits ihre Reise beendet. Lausche ich dem Winde, – der hat schon von Waldemar Daa erzählt und weiß nichts mehr. Im Walde unter dem alten Eichbaum entsinne ich mich, daß mir der Baum vorlängst schon seinen letzten Traum berichtete, ich erlange also keine neuen, frischen Eindrücke, und das ist sehr traurig! Doch, die Gicht konnte mir ja Anderes, als Märchen eingeben; aber dramatische Arbeiten haben mir selten Freude gebracht. Herr Berner Berner war längere Zeit Direktor des königlichen Theaters in Kopenhagen. Der Uebers. hat schon lange meine Dichtungen zurückgelegt, und diese werden nun in dem Bücherschrank des königlichen Theaters von den Motten gefressen. Romane, wie man sie, meiner Meinung nach, jetzt schreiben müßte, dazu fehlt es mir an genügenden Kenntnissen, und so stehe ich hier – verlassen da! Doch, die Gicht verläßt mich nicht; sie hat ihre Sommerwohnung in den Knieen, Ellbogen und Händen aufgeschlagen; sie wohnt mit mir auf dem Lande! Wüßte ich einen Menschen, der Tropfen bereiten könnte, um die gute Laune zu bewahren, den würde ich königlich belohnen; denn wie gut und wohl ich mich hier auch befinde, so bekomme ich wie die jungen Hühner oft den Pips!

Am 11. Juli erhielt ich einen Brief von einem Kinde aus New-York und in demselben lag » one Dollar«, sowie ein Ausschnitt aus einer Zeitung » The children's Debt«; ich entnehme daraus, daß der Artikel eine Art Aufforderung an die amerikanische Jugend enthält, für meine alten Tage einen Nothpfennig zu sammeln. Die Idee mag sehr schön sein, wenn dieselbe von bedeutenden Männern ausginge, oder, es würde ein großes Resultat erzielt werden; denn es würde ja für das junge Amerika eine ebenso große Ehre sein, wie für den dänischen Dichter. Aber so stellt sich nicht die Sache für mich; denn es heißt darin, daß ich für meine Schriften nie etwas von Amerika erhalten habe. Das soll ich selbst gesagt haben; aber so etwas ist nie über meine Lippen gekommen und steht gewiß in Verbindung mit einem unwahren Referat, das in deutschen Zeitungen stand, über den Besuch eines ungarischen Dichters bei mir, daß ich ihm gesagt haben solle, ich hätte von Deutschland niemals einen Heller an Honorar für meine Schriften bekommen, dagegen aber kürzlich von Amerika 800 Thaler. 1800 Reichsmark. Der Uebers. Das ist gerade umgekehrt, denn ich erhielt einmal von Deutschland (durch den Buchhändler Lorck in Leipzig) 800 Reichsthaler für eine Ausgabe meiner gesammelten Schriften und für eine ähnliche amerikanische Ausgabe habe ich eine kleine Summe erhalten. Die Wahrheit ist nur verdreht worden. Als ich Andersen im Herbste vor seinem Tode besuchte, sprach er auch zu mir von den falschen Berichten, die man über ihn in Deutschland in letzteren Jahren zu verbreiten gesucht habe. Er erwähnte auch dieses hier oben angeführten Falles und bat mich, diese Unrichtigkeit in's Klare zu stellen. Außerdem sprach er von einer Erzählung, die den Titel » Andersen's Märchen meines Lebens« oder einen ähnlichen gehabt und in einer Leipziger Zeitschrift für die Jugend gestanden haben soll, welche eine reine Erdichtung sei, und er begriff nicht, wie eine anständige Redaktion solch einen erdichteten Blödsinn über einen Mann habe aufnehmen können, der noch am Leben sei. Er ersuchte mich, auch diesen Punkt zu berichtigen. Ich entspreche hiermit Andersen's letztem Wunsch, umsomehr, als ich mich entsinne, diese »Erzählung«, eine wahre Carrikatur auf Andersen, in der That in einer Jugendschrift, die in Leipzig erscheint, gelesen zu haben.
Lobedanz berichtet Aehnliches: » Andersen hatte kürzlich in einer deutschen Zeitschrift einen Artikel über sich gelesen, der ganz gewiß wolgemeint sei, der aber nichtsdestoweniger so viel Erdichtetes und Unwahres über ihn enthielt, daß er ohne Erröthen denselben nicht habe lesen können. Namentlich peinigte ihn der Gedanke im hohen Grade, daß einige seiner Landsleute glauben könnten, daß er selbst im Auslande solche Ungereimtheiten erzählt habe, um sich interessant zu machen. Er fand es sehr kühn, daß Jemand sich erlaubt habe, solche Mythen zu erfinden, während er, der Gegenstand der erdichteten Ausschmückung seines Lebens, noch im Stande sei, dagegen Einspruch zu erheben. Ich beruhigte ihn, so gut ich es vermochte und meinte, Alle handelten im guten Glauben und die Welt frage weniger nach der realen Wahrheit der Mythe, als nach der poetischen Anziehungskraft derselben. »Ja, das ist Alles sehr schön«, antwortete er mir, »aber wenn man z. B. von mir erzählt, daß ich das Gedicht »Das sterbende Kind« kurz nach dem Tode des Kindes eines meiner Freunde geschrieben habe, das ich sehr lieb gehabt und das wirklich in meinen Armen gestorben sein sollte, daß also das Gedicht ein unmittelbarer Ausfluß eines tiefgefühlten Schmerzes sei, so beruht dies Alles auf Unwahrheit. Ich habe das Gedicht ohne Spur äußerer Veranlassung geschrieben!« – »Nun«, antwortete ich, »dann zeigt sich ja die Stärke Ihrer Phantasie in einem um so stärkeren Lichte, wenn Ihr Gedicht dennoch den Leser das wirklich Erlebte nicht vermissen läßt«. – »Wir sprachen noch weiter über die Sache, und ich mußte ihm versprechen, an die betreffende Redaktion in seinem Namen zu schreiben, um die errichtete Geschichte zu widerrufen. Natürlich that ich das; aber ich erhielt nie eine Antwort daraus.« Der Uebers.
Die Geschichte ging seiner Zeit in die dänischen Blätter über, und die Leute beglückwünschten mich dazu, daß ich von Amerika 800 Reichsthaler erhalten hätte. Nun ist die Geschichte wieder umschrieben worden und in der That in solcher Weise, als ob ich fortwährend jammerte und klagte, was doch aller Welt als unwahr bekannt ist. Wie soll ich jetzt bei der Sache mich benehmen? Den einen Dollar zurückzusenden, erscheint mir unfreundlich gegen das wolmeinende Kind, das ihn sandte; Briefe schreiben ist mir zuwider und macht mir Mühe, und kommt die Geschichte in die dänischen Zeitungen, dann wird aus dem einen Dollar im Volksmunde gleich 1000 Dollars gemacht. Ich weiß nicht, ob ich über die Geschichte lachen oder mich ärgern soll; aber der Brief mit seiner Aufforderung an Amerika's Jugend hat doch mein Gemüth sehr erregt, und jede Gemüthsbewegung ist mir schädlich, obgleich ich täglich Fortschritte in Betreff meiner Gesundheit verspüre.

Der Garten um Bregentved erinnert lebhaft an die schönen Parks in England. Hier sind große grüne Rasenplätze mit Statuen und steinernen Vasen; ebenso befinden sich hier schöne Waldstrecken und unendlich lange Linden-Alleen, Schwäne und glänzend weiße Lotusblumen schwimmen aus den stillen Waldseen und der Storchvater und die Storchmutter sitzen in ihrem Nest bei ihren Jungen, die noch nicht wissen, ob sie gehen oder fliegen können; aber sie werden es bald erfahren. Ich habe es hier herrlich mit allem Comfort, aber der Besuch meiner Muse bleibt immer noch aus, und dennoch scheint es mir setzt, als sei ich fast wieder ein ganzer Mann. Ich kann während einer ganzen Stunde im Garten umherwandern, habe meinen guten, alten Humor wieder und auch, bereits ein paar Mal laut vorgelesen und zwar nicht weniger als vier Märchen, ohne gerade sehr ermüdet dadurch zu werden. Nur am Rheumatismus leide ich noch immer und der ist schlimmer als früher; er sitzt in den Knieen, den Ellenbogen und Händen. Der arge Kobold, der mich so stark heimsucht, daß ich sogar manchmal »Au!« rufe. –

Schon wollte ich um die Mitte des Juli nach Kopenhagen zurückkehren, als mir die Gräfin Moltke aber erklärte, wie gern mich Alle hier zu behalten wünschten, so lange ich mich hier wohl fühlte, so entschloß ich mich auch umsomehr zur Verlängerung meines Aufenthalts, als der Geburtstag der Gräfin am 23. sehr gefeiert werden sollte. Wie mir der Graf sagte, sollte ich dadurch Gelegenheit finden, die ganze Jugend des Gutes und der Umgegend zu sehen. Ich bin also drei Wochen auf dem reichen, schönen Bregentved gewesen. Wie doch die Zeit vergeht! Aber gearbeitet habe ich hier nicht, nur Briefe geschrieben, um Antworten zu erhalten und im Geiste bei »einen lieben Freunden zu weilen. Wie oft sendet mir dann licht Frau Melchior ein Bouquet halb ausgesprungener Rosen mit! Welch eine Frau, und welche Aufmerksamkeit und herzliche Gesinnung nährt sie für mich, den alten, zahnlosen Dichter!

Nicolai Bögh hat in Veranlassung unseres Aufenthalts in München einen Artikel » Ein Besuch bei Kaulbach« in der »Illustrerer Tidende« veröffentlicht, der reizend geschrieben ist; diese betreffende Nummer ist bis zu Frau Kaulbach gelangt, und derselben von einer Dänin, der Gattin des Professors Baron von Lilienkrone, einer Tochter des ehemaligen preußischen Generalconsuls Tutein in Kopenhagen, mündlich übersetzt worden. Ich erhielt infolge dessen einen langen, herzlichen Brief von Frau Kaulbach, worin sie tiefbewegt mich ersucht, Bögh zu danken und ihm zu sagen, daß das, was er über ihren Mann geschrieben habe, das Schönste und Wahrste sei. was bisher über Kaulbach geschrieben worden. Sie wunderte sich nur darüber, daß Bögh während der wenigen Stunden, die sie mit einander verlebt, den Entschlafenen so vollkommen verstanden und aufgefaßt hätte. –

Der Tod des plattdeutschen Dichters Fritz Reuter hat nur einen geringen Eindruck auf mich gemacht; er interessirte mich nicht sehr, und seine Werke stelle ich nicht sehr hoch in der Welt der Dichtung. Er hatte Laune, war aber viel zu breit und schwer, poesielos, wie ein Ausspruch von Klaus Groth über ihn lautet. Seine Frau sprach mich meinem vorjährigen kurzen Besuche auf ihrer Villa bei Eisenach am meisten an, obgleich er ebenfalls sehr freundlich und zuvorkommend gegen mich war; allein man gebietet ja nicht immer über seine Sympathien! Kaulbach konnte ich sofort um den Hals fliegen; aber Fritz Reuter nicht. Er möge mir das in seinem Himmel, in den er ja schon eingezogen ist, verzeihen! –

Die Zeitungen melden, daß wir neue Minister bekommen haben. Es hat mich überrascht, darunter auch den Namen meines Freundes, des Alterthumsforschers Worsaae als Kultusminister zu sehen; aber er ist in seinem besten Alter md besitzt große Kenntnisse; vielleicht vermag er viel zu vollbringen. Aber jedenfalls ist das keine angenehme Stellung, zu der er sich entschlossen hat.

Die Baronesse Jonna Stampe hat mich zum August nach Christinelund Siehe S. 175 d. B. Der Uebers. eingeladen, wo ich seit vielen, vielen Jahren nicht gewesen bin; aber ich weiß noch nicht, ob ich dieser freundlichen Aufforderung Folge leisten werde, denn ich habe große Lust, wieder eine Reise in's Ausland zu machen, das heißt: Wenn mich der Rheumatismus nicht erdrückt! Er ist manchmal gar zu arg und namentlich des Nachts; er kann mich in dem Grade heimsuchen in den Ellenbogen und Fingern, daß ich zu jammern anfange, und alle Glieder sind so steif, wenn ich mich aus dem Bette erhebe. So habe ich das früher nicht gefühlt und bin nun bald einer solchen Sommer-Einquartierung müde!

Am Geburtstage der Frau Gräfin Moltke war es sehr festlich auf Bregentved: mehrere Hundert Menschen aus der Umgegend hatten sich im Garten versammelt, wo der Danebrog wehte; es wurde ein hübsches Feuerwerk abgebrannt und Theertonnen brannten während der ganzen Nacht rundum auf den Kanälen und den stillen Binnenseen. Ich hatte infolge Aufforderung der jungen Welt für sie dreißig Cotillon-Verse geschrieben, und Alle baten mich, so lange auf dem Feste zu bleiben, bis die Verse vorgelesen würden. Aber das verzögerte sich entsetzlich lange! Das Souper begann erst um Mitternacht und mir wurde eine Dame zugeführt, die ich zu Tisch führen sollte. Ich war unendlich müde und mußte mehrmals Ruhe suchen; aber überall fand ich Leute, die mich anredeten. Die Uhr wurde halb drei, bevor man die Verse vorlas. Der Graf brachte ein Hoch auf mich aus, das von der ganzen frohen Schar beantwortet wurde. Endlich konnte ich Ruhe suchen; aber ich war zu sehr angestrengt. Die Uhr war halb vier, als ich endlich zu Bett kam; ich lag bis zehn Uhr Vormittags, fühlte mich aber beim Erwachen sehr nervös und hatte gräßliche Schmerzen in der Herzgrube, so daß es eine wahre Qual war, sich anzuziehen. Ich legte mich jedoch sofort wieder auf's Sopha, wo ich bald in Schlaf versank und erst um 12 Uhr wieder erwachte. Ich fühlte mich etwas besser, die Gräfin trat zu mir ein, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, und mit ihr ging ich zum Frühstück. Die Speisen und Getränke stillten für eine kurze Zeit die nervösen Schmerzen; aber sie verschwanden nicht. Infolge Aufforderung vom Grafen entschloß ich mich, den Aufenthalt meines Unwohlseins wegen nochmals um einige Tage zu verlängern, zumal die Luft wie alles Andere hier meiner Gesundheit sehr zusagte.

Am 27. Juli verließ ich also Bregentved und eilte nach der Villa » Rolighed«, nach deren Bewohnern, den theuren Freunden, ich mich schon lange gesehnt hatte. –

Ich fühlte mich auf Bregentved so wohl, erlangte meine alten Kräfte und gute Laune wieder, spazierte ganze Stunden lang im Park, der einer der schönsten in Dänemark ist; ich athmete Sonnenschein und Waldluft ein, bekam jugendliche Gedanken wieder: in Gottes herrliche Welt hinauszufliegen, aber sobald ich wieder nach dem gastfreien » Rolighed« zu den treuen Freunden kam, fing ich wieder zu kränkeln an. Die Ufer des Meeres mit dem ausgeworfenen Tang rochen während der ersten Tage, als ob der Strand mit Aas erfüllt wäre. Das Wetter wurde kalt und regnerisch. Mein Magen wurde schlecht, meine Nerven angegriffen und der Rheumatismus erlangte eine solche Uebermacht, daß es mir beschwerlich fiel, zu gehen. Vor wenigen Tagen fühlte ich förmliches Fieber; die zahnlosen Gaumen klapperten an einander; meine Hände zitterten, ich mußte in das erwärmte Bett kriechen. Das ist auch ein Leben! Das Wetter ist heut, am 9. August, wieder recht schön geworden, und ich fühle mich etwas besser.

Während meines Unwohlseins las ich unglücklicherweise Dr. Brandes letzte Vorlesungen über »Die Strömungen der Literatur des 19. Jahrhunderts.« Auch deutsch in der Uebersetzung von A. Strodtmann in Berlin erschienen. Der Uebers. In meiner kränklichen Reizbarkeit war ich empört; es war mir, als segelte ich mit ihm an vielen Kloaken vorüber, und in der Mündung der einen dieser lag ein deutsches Gedicht: ein junges Mädchen, das mich an die arme kranke ** erinnerte, jammert über die Strenge der Mutter; das Mädchen darf dem »süßen Buben« nicht zeigen, wie herrlich es der liebe Gott geschaffen; es darf ihn nicht »küssen«, nicht des Jünglings herrliche »Glieder« umschlingen. –

Am 27. August – gerade ein Monat war, seitdem ich Bregentved verlassen hatte, verflossen – fand sich auf der Villa » Rolighed« ein etwas größerer Kreis von Freunden und Bekannten als gewöhnlich ein. Einer der Anwesenden brachte einen Toast aus mich aus, indem er sagte: »Der Sommeraufenthalt auf Seelands Herrenhöfen habe mich in solcher Weise wieder hergestellt und verjüngt, daß man auch hoffen dürfte, mich stets immer jünger zu sehen; bis zu dreißig Jahren dürfte ich gehen, aber dann nicht weiter, dann sei ich in meinen besten Jahren und dann sagen wir: Halt!« Ich antwortete darauf: »Der alte liebe Gott, der ja jetzt fast aus der Mode gekommen sei, stehe noch immer am Ruder und werde trotz aller Moden stets an demselben stehen. Es sei gut, daß der liebe Gott es sei und nicht meine guten Freunde, die »Halt gebieten« würden, denn sonst würden sie mich vielleicht zu lange leben lassen, da sie mich liebten und wüßten, daß ich ungern diese schöne Welt verlassen wolle. Meiner Meinung nach würde Gott bald sein »Halt« rufen, und ich würde dann hinauffahren zu jener wunderbaren nebelhaften Welt, von der wir doch so wenig wissen, aber mit der sich meine Gedanken so außerordentlich viel beschäftigen«. Ich schloß ungefähr in folgender Weise: »Ich würde dann wünschen, daß ich von dort Botschaft an alle meine Freunde senden könnte. Man hat gesagt, daß ich Gutes durch meine Schriften in der Welt gestiftet, daß ich durch sie manche gute Botschaft zu den Menschen hinausgesandt habe, ich wollte wünschen, daß ich von der Welt, in die ich bald eingehen werde, die beste Botschaft senden könnte, eine wahrhaft erfreuliche, stärkende, lebenserweckende Botschaft allen Denen, welche auf Erden zurückgeblieben sind«.

Von Amerika, von dem ich mich in letzterer Zeit, trotz der guten Absicht, übel berührt gefühlt hatte, kam ein mich erhebender Luftzug, der mir Thränen in die Augen preßte. Die Gräfin Frijs, geborne Haffner, theilte mir in einem Briefe mit, daß der Sohn ihrer Schwester, welcher als Capitain in der französischen Armee diente, bereits seit einigen Jahren ein förmliches Eremitenleben im Innern Amerika's geführt und meist von der Jagd gelebt hatte. Auf einer dieser habe er in einer öden Waldgegend ein Haus gefunden, und in diesem ein einziges Buch: Andersen's Märchen. Dieser Fund habe manche Strömung in der Brust des junges Mannes erweckt.

In Veranlassung der oben berührten Angelegenheit, die von Amerika ausging und mich höchst angenehm berührte, schrieb ich folgenden Brief an Mr. Gibson Peacock, Herausgeber von » The Evening Bulletin« in Philadelphia:

 

»Kopenhagen, den 30. August 1874.

»Sehr geehrter Herr!

»Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für Ihr freundliches Schreiben und hoffentlich werden Sie meine Erwiderung mit derselben Gesinnung aufnehmen.

»Amerikanische Zeitungen haben aus meiner kürzlich überstandenen Krankheit Veranlassung genommen, die äußeren Verhältnisse, in welchen ich lebe, zu besprechen und älteren und jüngeren Leuten »ihre Schuld«, worin sie, nach dem schmeichelhaften Ausdruck, zu mir als Verfasser der »Märchen und Geschichten« ständen, vorzuhalten. Man sagt mir ferner, daß eine allgemeine Subscription an mehreren Orten der Union schon begonnen habe, und Sie, mein unbekannter Freund, haben mir bereits einige eingegangene Beiträge eingesandt.

»Der Gedanke, von dem diese Bewegung ihren Ursprung hat, rührt mich tief. Es ist für mich eine Freude und ein Glück gewesen, daß meine Erzählungen über die Grenzen meines kleinen Vaterlandes und meines wenig ausgebreiteten Sprachgebietes hinaus Leser gefunden und Verbreitung über die ganze Welt gewonnen haben. Ich kann der Vorsehung für diese Wohlthat gegen mich nicht dankbar genug sein, umsomehr, als es mir dadurch vergönnt worden ist, auf die unzähligen Kinderseelen einzuwirken und in so unendlich viele kindliche Herzen, – wie ich hoffe – etwas Gutes und Edles niederzulegen. Es bewegt mich tief und ich anerkenne mit voller Innigkeit, daß sich ein Gefühl der Hingebung und Dankbarkeit gegen mich ausspricht; ich erkenne es doppelt, indem dies Gefühl sich nach einer schweren Krankheit und unter vermeintlich drückenden Verhältnissen ausspricht.

»Eine Liebesgabe, die man mir unter solchen Umständen darbringt, kann ich nicht abweisen. Groß oder klein, trägt sie dennoch den Stempel, der mir diese Gabe kostbar macht. Tief gerührt sende ich den Kleinen meinen Gruß und Dank!

»Aber ich schulde es sowol mir selbst als der Nation, der ich angehöre, ein mögliches Mißverständniß aufzuklären. Ich bin nach meiner Krankheit immer noch sehr schwach und vollende bald mein siebenzigstes Lebensjahr; aber ich befinde mich nicht in Bedrängniß. Mein Vaterland gehört nicht zu denjenigen, welche ihre Dichter Noth leiden lassen. Ohne im Dienste des Staates zu sein, erhebe ich vom Staate jährlich eine für unsere Verhältnisse sehr ehrenhafte »Dichtergage«. Meine Wirksamkeit als Schriftsteller bringt mir auch eine nicht unwesentliche Einnahme, und obschon es eine Thatsache ist, daß ich so gut wie kein Honorar für die vielfältigen Uebersetzungen meiner Arbeiten in fremde Sprachen erhalten habe, so habe ich dennoch hin und wieder einen »Ersatz« bekommen, z. B. von Amerika für die sogenannte » Author's Edition«. Man vergl. S. 517 dieses Bandes. Der Uebers. Meine theilnehmenden Freunde dürfen deshalb an mich nicht denken als einen alten, verlassenen Dichter, der in Sorgen für das tägliche Brod lebt und daher nicht im Stande ist, seinen kranken Körper zu pflegen. Der liebe Gott ist auch in dieser Hinsicht gütig gegen mich gewesen: liebevolle Freunde umgeben mich. Unendlich viel Freude, wenn auch nicht Vermögen, ist mir zutheil geworden, und ich veranschlage die Freude nicht gering, erlebt zu haben, daß in dem großen Amerika viele liebe Kinder ihre Sparbüchsen entzweischlagen, um deren Inhalt mit ihrem alten Dichter, den sie in höchst bedürftigen Verhältnissen wähnen, zu theilen.

»Das Ganze erscheint mir gleich einem Blatt eines Märchens in meiner Lebensgeschichte; aber ich muß es hervorheben, daß ich keine Gabe annehmen kann, die mir von einem Einzelnen übersandt wird. Wie wolgemeint diese auch sein mag, erhält sie dennoch einen Stempel, der weder mit den Wünschen des Gebers wie mit meiner Würde übereinstimmt. Was zu mir als eine Ehre und als ein Zeugniß von Hingebung kommen würde, wenn man mir es von der amerikanischen Jugend als Ganzes darbrächte, das wird für mich eine peinliche Wolthat, wenn es in Gaben von einzelnen Personen zerstückelt, und wo ich sonst Stolz und Dankbarkeit fühlen müßte, würde ich einem Gefühl der Demüthigung ausgesetzt werden.

»Ich bitte Sie, mein Herr, der Sie mir bereits so viel Wolwollen und Theilnahme erwiesen haben, den Inhalt dieses Briefes zur Kenntniß Ihrer Leser zu bringen, und ich hoffe, daß Ihre geehrten Collegen rundum in Ihrem großen Vaterlande ebenfalls derselben Verbreitung verschaffen werden.

»Ich verbleibe
»Ihr ergebener
H. C. Andersen

 

Dieser Brief, den ich mehreren meiner Bekannten vorlas, um ihr Urtheil darüber zu hören, fand ihren Beifall, weil darin Alles gesagt sei, was ich hatte sagen müssen. Ob die Amerikaner wol dasselbe sagen werden?

Einige Tage später überraschte mich meine treue, liebenswürdige Freundin, Fräulein Clara Heincke aus Berlin mit ihrem Besuche auf »Rolighed«. Es war mir in der That eine Freude, mich so wohl zu fühlen, um ihr und ihrer Begleitung während mehrerer Tage als Cicerone dienen zu können.

Mit dem Anbruch des September wurde die Witterung kalt; der Wind heulte, der Zug ging durch die Fenster und Thüren und jagte durch meine rheumatischen Glieder. Bald ziehe ich in die Stadt; aber in's Ausland zu reisen, wie ich erst beabsichtigt hatte, ein Ausflug von drei Wochen, dürfte nicht zur Wirklichkeit werden. Ich wünschte außerdem bei der Eröffnung des neuen königlichen Theaters in Kopenhagen gegenwärtig zu sein, und außerdem ist es nicht gesagt, daß das Wetter in Dresden und im Harz – weiter würde ich in der kurzen Zeit doch nicht kommen – besser als hier und ob die Reisekosten der Ausbeute entsprechen würden.

Vor einigen Tagen, kurz vor meinem Umzug nach Kopenhagen, fuhr ich zu der Königin-Wittwe Caroline Amalie auf Schloß Sorgenfrei, die ich seit einem Jahre nicht gesehen hatte. Sie war, wie immer, schön und liebenswürdig. Von dort legte ich den Heimweg über Schloß Bernstorff, wo ich sofort, ohne angesagt oder vorher angemeldet zu sein, von der ganzen königlichen Familie auf das Herzlichste empfangen wurde. Die Prinzessin Alexandra von Wales, die mit ihren Kindern bei den Eltern weilte, sah jung und glücklich aus; zwei Söhne und drei Töchter – hübsche Kinder – spielten mit dem ältesten Sohn des Kronprinzen, und Alle kannten » the old story-teller«. Den alten Geschichten-Erzähler. Der Uebers. Der König sprach von seinem Besuch auf Island, den er im Frühling gemacht hatte. Alle waren so liebenswürdig und gütig gegen mich. Nicolai Bögh erzählt: »Im Laufe des Herbstes kam Andersen so ziemlich wieder zu Kräften, wie auch sein Aussehen besser war. Er spazierte im Garten und auf den schattenvollen Wegen in der Nähe von »Rolighed« und machte kleine Touren im Wagen. Es war indessen augenscheinlich, daß er immer mehr die Hoffnung aufgab, seine Gesundheit vollkommen wieder zu erlangen. Er kam nach und nach auch dahin, sich selbst als einen alten Mann zu betrachten, was ihm sehr schwer wurde. Er sagte oft: »Weshalb soll man diese schwere Hülle noch länger umherschleppen, wenn man sich noch immer so jungen Gemüths fühlt?« Im Beginn seiner Krankheit sagte er eines Tages: »Sie werden sehen, ich lebe kein Jahr mehr. Ich habe es Ihnen jetzt gesagt; schreiben Sie es auf und sehen Sie zu, ob es nicht zutrifft, wenn ich todt bin. Aber gesetzt nun, ich lebte länger, daß ich sogar achtzig Jahre alt würde – das werde ich freilich nicht – aber wenn dies einträfe, hätte ich nur elf Jahre noch übrig. O, mein Gott, das ist ja gar nichts! Sie können mir glauben, wenn ich jetzt dreißig Jahre alt wäre und dabei meine jetzige Entwickelung erlangt hätte, dann würde ich es wirklich zu Etwas bringen, dann würde ich erst recht berühmt werden! – Wissen sie, was ich dann thun würde? Dann würde ich Purzelbäume die ganze Oesterstraße entlang schlagen, natürlich aus lauter Freude.« – Die jugendliche, kecke Lebenslust, die in einer solchen Auslassung lag, verschwand allmählig. Es war die Krankheit, die dies bewirkte. Eines Morgens auf seiner letzten Reise im Ausland erwachte er und sagte: »Ich habe einen schönen Traum gehabt. Ich fühlte mich so außerordentlich wohl und ausgelassen, aber dann plötzlich war das Bett voll von kleinen » Grünen« (der Titel eines seiner Märchen, siehe Band I. S. 366), die so aussahen, wie die Krankenträger des Frederiks-Hospitals in Kopenhagen und diese bedeuteten meine Krankheit; sie sprangen auf dem Boden umher und zerstreuten sich nach allen Seiten; nur Einer dieser Kleinen blieb zurück und der sagte: »Ich muß hierbleiben und ihn beaufsichtigen, denn sonst wird er viel zu lustig.« – Dieser Traum ist gleichsam eine Illustration an dieser Stelle. Der Uebers.

Endlich am 18. September zog ich in meine alte Wohnung in der Stadt, Nyhavn Nr. 18 und richtete mich dort bald wieder häuslich ein. Jeden Tag, wenn das Wetter es nur irgend gestattete, machte ich eine Wanderung durch die meiner Wohnung zunächst gelegenen Straßen, oftmals an den Ecken von einem starken Windstoß durcheist.

Anfangs October Bei meiner Anwesenheit in Kopenhagen im October 1874 erfuhr ich, daß Andersen infolge seiner langen, unheilbaren Krankheit, fast nie seine Wohnung verließ. Um so freudiger wurde ich überrascht, als ich ihn an einem Tage im offenen Wagen ausfahren und an einem Tage spazieren gehen sah. Ich begrüßte ihn und erbat mir die Erlaubniß, ihn besuchen zu dürfen. Unsere Unterredung – man vergl. die Noten auf S. 512 und 517 – dauerte wol eine halbe Stunde, worauf er erklärte sehr angestrengt zu sein. Als ich mich sofort erhob, bat er mich noch einmal, seine ausgesprochenen Wünsche in Erinnerung zu bewahren und an rechter Stelle zu berücksichtigen. Das war das letzte Mal, das ich Andersen sah. Der Uebers. erhielt ich durch den amerikanischen Gesandten am hiesigen Hofe einen sehr hübschen Brief von einer amerikanischen Dame, die mir darin mittheilte, daß ihre ganze Kinderschar sehr fleißig arbeitet, um Geld für mich zu verdienen. Gleichzeitig erhielt ich einen Brief von Frau Steinhammer, in dem ein Schreiben ihres Bruders, des Generals Christensen aus New-York, lag, worin er mit Rührung erzählt, wie beliebt ich drüben sei, und daß man Anfangs mit der Einsammlung von Beiträgen die Idee verbunden habe, mir irgend einen Gegenstand des Comforts zu schenken, z. B. eine Equipage; daß ich dort beliebter sei, als irgend ein anderer Dichter des In- oder Auslandes, und wenn ich 1876, dem hundertjährigen Jubeljahre der Union, nach dort kommen würde, dann würde man mir einen Empfang wie einem Monarchen bereiten. Ja, so lauteten die Worte! Man könnte ja fast stolz darüber werden, wenn man nicht wüßte, wie wenig Lob zu sagen hat, wenn man das gewöhnliche Ziel der Menschen, das siebenzigste Jahr, bald erreicht hat.

Am 15. October brach der Tag an, an welchem das neuerbaute königliche Theater feierlich eröffnet werden sollte. Etatsrath Meldahl, dem als Architekt ein competentes Urtheil zusteht, hatte mir schon viel von demselben erzählt, so daß meine Neugierde auf's Höchste gestiegen war. Die Spannung des Publikums war allgemein; aber Alle waren überrascht über den schönen Bau und die geschmackvolle Einrichtung des Salons. Nach einer entsprechenden Ouverture trat der Schauspieler Wilhelm Wiehe hervor und trug einen großartigen, geistvollen Prolog des Dichters Carl Ploug in männlich inspirirter Weise vor. Ich war begeistert und ergriffen. Bögh führt hier an: »Er hatte seinen Platz in der Mitte des ersten Parquets, und Viele der Anwesenden erschraken über sein kränkliches Aussehen, wenn er sich erhob und freundlich nach allen Seiten hin grüßte. Im Laufe des Winters wagte er einige Male das Theater zu besuchen, um einen Akt oder zwei an dem Orte zu sehen, wo er früher so manche Inspiration zu seinen Märchen erlangt hatte und dann nach Hause geeilt war, um seinen Stoff auszuarbeiten.« Der Uebers.

Der Herbst brachte nicht nur keine Erleichterung, sondern ich mußte, da ich mir bald eine arge Erkältung wieder zuzog, während langer Zeit die Zimmer hüten und habe viele Wochen hindurch die Straßen nicht betreten können, und wagte ich es ja an einem Mittag, wol eingepackt und zu Wagen, meine Freunde zu besuchen, dann bin ich stets viel angegriffener, als ich zuvor war, nach Hause gekommen. Ich litt noch immer am Schleimhusten sehr arg, und die nervösen Schmerzen in der Brusthöhle, sowie der Rheumatismus, plagten mich sehr. Bögh sagt in dieser Beziehung: »Der Winter kam, aber ohne Besserung, oft mit viel Schmerz, viel Ungeduld und Gereiztheit, oft mit einem sehr gedrückten Humor, eine Folge des ganzen Charakters der Krankheit, die jetzt von den Aerzten als Krebs in der Leber erklärt wurde, was natürlich Andersen niemals erfuhr, wie er ja auch nicht die eigentlichen Schmerzen des Krebses fühlte. Oft, wenn er sich erhob, verging ihm der Athem; dann klagte er über starken Druck in der Herzgrube. Er konnte oft kaum das Zimmer durchschreiten, es fror ihn und er hatte einen argen Schleimhusten. Häufig fand man ihn, wenn man zu ihm hereintrat, in einem Lehnstuhl schlafend; am wohlsten war ihm des Abends und des Nachts, wenn er zu Bett gegangen war; selbst wenn er nicht schlief, so ruhte er doch und die Schmerzen verschwanden. Besuche ermüdeten ihn mehr als gewöhnlich; seine Freude über Neueintretende war daher geringer als früher, und dennoch vermochte er schnell belebt zu werden, wenn er auf einen Gegenstand kam, der ihn interessirte, und merkwürdig war es dann zu sehen, wie sein lebhafter Geist die Müdigkeit und den Schmerz des Körpers überwand. Er sprach dann fast ununterbrochen und war sehr unterhaltend. Hin und wieder unternahm er kleine Spaziergänge von seiner Wohnung durch verschiedene Straßen in der Nähe derselben, fuhr dagegen höchst ungern, obgleich Melchior's Equipage zu seiner Verfügung stand. Der Uebers. Es ist keine Aussicht vorhanden, daß mein Zustand sich im Laufe des Winters bessern werde; wenn ich nur den Winter überlebe, ohne mir eine neue Erkältung zuzuziehen, so wird vielleicht der kommende Sommer noch einmal dem siebenzigjährigen Alten helfen. Ja, dann habe ich das Alter der Bibel, 7 mal 10 – erreicht; doch erst während der drei letzten Winter habe ich es gefühlt, daß ich alt werde.

Die neue Monatsschrift » das 19. Jahrhundert« von Dr. Georg Brandes höre ich oft besprechen, denn sie wird mit großem Interesse gelesen, wenn man auch mit der Auffassung und den Anschauungen des Verfassers sich nicht einverstanden erklären kann.

Weihnachten naht, denn der Büchermarkt bringt die Hülle und Fülle, darunter viele ansprechende Novellen von Damen. Eine weniger glückliche Erzählung von Holger Drachmann verstehe ich gar nicht. Die Aufstellung der Bilder erinnert an mein Märchen: » Die Galoschen des Glücks«; Siehe die Märchen Band III, S. 1. Der Uebers. der Verfasser versetzt – kurios genug – einen unserer Kopenhagener Zeitgenossen in die Vikingzeit und wieder in die Gegenwart zurück.

Frau Axeline Lund, eine angehende Bildhauerin, die sich zur Zeit, gleichzeitig mit Frau Johanna Heiberg, Björnstjerne Björnson, den ich seit meiner Anwesenheit in Christiania nicht wieder gesehen habe, und dem Maler Raynkilde, in Rom aufhält, hatte von Frau Melchior sich mehrere meiner neuesten Photographien behufs Ausarbeitung einer Büste von mir erbeten. Ich entsprach zwar ihrem Wunsche; aber welch sonderbare Idee ist es doch von ihr, meine Büste als alten, zahnlosen Mann darzustellen? Als solcher habe ich nicht gewirkt, wenig oder nichts geschrieben, nichts vorgelesen; es war eine kräftigere Zeit, ja, selbst noch vor wenigen Jahren, und so muß eine Büste von mir sein – nicht als Mitglied eines Hospitals!

Am Sonntag den 14. December war ich fast den ganzen Tag ohne Besuch; mein Zimmer hatte ich nicht verlassen, und dennoch hatte ich einen Besuch zuviel, möchte ich fast sagen, denn derselbe hat mich sehr verstimmt. Es kam nämlich ein Freund zu mir – den Namen will ich verschweigen – der sich sichtbar mit großer Befriedigung darüber ausließ – worüber ich in meinem stillen Sinn mir selbst noch nicht Rechenschaft abgelegt hatte – welche Ehre man mir bereiten wolle, indem man sich im Publikum bereits mit der Idee trage, eine Statue von mir zu errichten, während ich noch lebe. Im Grunde genommen fühle ich mich sehr glücklich über dies neue Zeichen der Liebe, welche mir meine Freunde erweisen wollen; aber ich fürchte die Auslassungen derjenigen, die nicht meine Freunde sind! Hätte ich doch an diesem Abend Jemand, zu dem ich meine Stimmung aussprechen könnte; aber ich habe Niemand, und daher gleitet die Feder über das Papier!

Ich war während der Herbstmonate drei Mal im Theater, vermochte aber nur eine Stunde dort auszuhalten. Es machte mir das Treppensteigen und das Aufsuchen meines Wagens viel Beschwerde. Meine kleine Oper » Liden Kirsten« scheint immer mehr eine Lieblingsoper zu werden, denn sie wird oft wiederholt; sie nimmt sich in dem neuen Hause ganz vortrefflich aus und soll, wie ich höre, immer volle Häuser machen.

Zur Zeit beherrschen Opern und Ballets die Bühne, mit dem Schauspiel, Lustspiel und Trauerspiel kommt man jedoch in große Verlegenheit; es fehlen die Kräfte und Krankheit der Künstler tritt hinzu. Wilhelm Wiehe vermag während langer Zeit nicht aufzutreten, er hat ein Augenleiden und sitzt daheim, der Arme, in einem dunkeln Zimmer; man fürchtet Alles. Nachdem sich Wiehe wieder erholt hatte, mußte er Anfangs 1879 wegen dieses Leidens seinen Abschied nehmen. Der Uebers. Bournonville hat bald sein neues Ballet vollendet; es behandelt die Geschichte des Königs Waldemar und der Tochter Svantevit's. Den Namen hält man sehr heimlich, oder ist vielleicht das Kind noch nicht getauft? Hartmann's Musik soll vortrefflich sein.

Durch die Freundschaft und Herzensgüte der Frau Melchior wurde ich in allgewohnter Weise am Christabend durch einen hellbrennenden Weihnachtsbaum erfreut.

Als ich in der Weihnachtswoche mir ein besonderes Vergnügen machte, Ingemann's Briefe an mich wieder einmal durchzulesen, wurde ich an die Haushälterin der Frau Ingemann, Sophie Rasmussen lebhaft erinnert. Sie war derselben bis zum Tode eine treue Dienerin und Freundin, auch Ingemann schätzte sie hoch – sie bereitete den beiden Alten und auch mir sehr oft, die Weihnachtsfreude. Sie hatte dann den Christbaum mit ihren Topfpflanzen geschmückt. Wenn Frau Ingemann mir bei der Abreise Blumen brachte, dann hatte auch sie ein Bouquet für mich, indem sie ihre Töpfe geplündert hatte. Gern wollte ich ihr auch jetzt, wenn auch spät, eine Weihnachtsfreude bereiten; denn auch sie wird, wie ich, das Fest des Heilandes einsam verlebt haben; da ich aber nicht wußte, womit ich ihr Freude machen würde, sandte ich ihr am 30. December eine kleine Summe, um sich ein Geschenk dafür zu kaufen. Möge sie darin einen Beweis sehen, wie freundlich ich ihrer gedenke, und wie dankbar ich ihr noch heute bin für ihre Fürsorge für die mir so theure Frau Ingemann!

*

Neujahr 1875 brachte keine Veränderung, weder in meinem Befinden, noch in meiner Lebensweise. Die Idee, welche zunächst von meinen Freunden ausging, mir ein Monument im Rosenborger Schloßgarten zu setzen, gerade dort, wo täglich viele hundert Kinder verkehren, fand beim Publikum im ganzen Lande großen Anklang – keine Mißstimmung ließ sich vernehmen und dieses rührte mich tief und innig! Am dritten Juli 1879 begann man im Rosenborger Garten in Kopenhagen den Grundstein zu Andersen's Statue zu legen. Der Uebers. Mir kommt es oft vor, als sei es nur ein eitler Traum, daß auch das mir noch geschehen soll! Und dennoch ist es eine Thatsache, und, was ich anfangs nicht glaubte und nicht zu glauben wagte, die Einsammlung schien zu gelingen. Täglich gehen Beiträge ein! Ob ich indessen das Fest der Enthüllung der Statue erlebe, ist eine andere Frage; ich habe dann doch in dieser Zeit in Gedanken gelebt. Die angesehensten Namen befinden sich unter der Einladung und unter diesen die besten meiner Freunde, Herren und Damen!

Mit meinem Befinden ging es so ziemlich während des Winters. Wol fehlte es mir an Kräften und ebenso wenig hatte ich Muth, auf die Straße zu gehen. Ich habe schon seit fast drei Monaten nicht mehr promenirt; aber sowol seelisch wie körperlich fühle ich mich besser. Einige Male in der Woche fahre ich aus und verbringe die Zeit in meinem Heim theils mit Lesen, theils mit Schreiben. Ich vollendete im Februar zwei Gedichte, » Kopenhagen« und » Odense«, außer anderen kleinen Gedichten. Ich suchte das Singspiel » Das Fest auf Kenilworth« Siehe den vorigen Band S. 88. Der Uebers. hervor, wozu Weyse die Musik componirt und ich 1831 den Text geschrieben hatte. Der Dialog schien mir für unsere Zeit zu lang und zu breit zu sein. Ich verkürze und umschreibe daher jetzt denselben in Recitativen, die der junge Componist Liebmann in Musik setzt, und wir bringen dadurch eine durchgehende Oper zu Stande, die man wieder auf die Bühne bringen kann. Was mich am meisten dabei freut, ist, daß ich auf diese Weise eine Arbeit habe, für die ich Interesse fühle. Außerdem schreibe ich an der Fortsetzung des » Märchen meines Lebens« und habe gerade jetzt das Jahr 1868 erreicht, jene Sommerzeit, wo ich als Gast im Schlosse Frijsenborg weilte. Alle alten Erinnerungen werden wach; volle sieben Jahre sind verflossen, seit ich in diesem glücklichen Heim mich befand, und jetzt – vielleicht komme ich dorthin niemals mehr! Ueber diese Periode berichtet Bögh: »Es gab während des Winters eine Periode, wo Andersen nicht wenige kleine Gedichte schrieb, von denen jedenfalls mehrere Zeugniß von seiner vollen Geistesstärke ablegten. Er arbeitete auch den alten Text zur Oper » Kenilworth« um und schrieb ein wenig an der Fortsetzung des »Märchen meines Lebens«. Regelmäßig schrieb er seine Tagebücher, in welchen man also bis in die geringsten Details sein Leben wird verfolgen können, denn sie waren sehr ausführlich mit Rücksicht auf die Andeutungen des Erlebten, weniger was die Ausführungen betrifft. – Er las während des letzten Winters mehr als früher; alle neu erschienenen Bücher, selbst unbedeutende Sachen lagen bereits durchgelesen auf seinem Tische, und er sprach sich gern über deren Inhalt aus. Er beschäftigte sich mit der Geschichte des Orients, mit Muhamed's Leben und endlich einem Theile der Oehlenschläger'schen Werke, jedoch am meisten mit dessen prosaischen Erzählungen. Er sagte: »Sie besitzen eine ewige Jugend und werden mich stets in herrliche Stimmung versetzen und mich erfrischen.« Den » Dichterbesuch« hatte er eines Tages gelesen und war sehr eingenommen davon; er sagt in dieser Veranlassung: »Ich begreife nicht, daß ich das früher nicht gelesen habe; ich glaubte, ich kenne Alles, was Oehlenschläger geschrieben hat!« Seine Liebe zu diesem Dichter bewahrte er innig bis an das Ende seiner Tage. Einmal sagte er, wenige Wochen vor seinem Tode: » Oehlenschläger war seiner Zeit und ist es eigentlich noch immer für mich, was König Frederik VI. für sein Volk war, das unbedingt glaubte, wenn es in der Zeitung hieß: »Wir allein wissen, was das Richtige ist«. Wäre ich jemals unhöflich gegen Oehlenschläger gewesen, würde ich ihm die Hände küssen und ihn um Verzeihung gebeten haben; aber einem Andern gegenüber würde ich das nicht haben vollbringen können«.
Andersen kam während des letzten Winters, wie früher, zu seinen Freunden zu Mittag, aber er war jetzt noch stiller als früher und hielt fast niemals Reden. Früher war er – kann man wol behaupten – niemals bei Tische mit einigen Gästen anwesend, ohne daß er ein paar Reden hielt, oftmals in Versen, aber stets mit einer Pointe darin und mit seiner dichterischen Eigenthümlichkeit, die er in Wendungen und Bildern auszudrücken verstand. Das erste Mal, daß er daran dachte, auch er könne Reden halten, war auf dem Feste aus Veranlassung des siebzigjährigen Geburtstages Oehlenschläger's; er hatte nie vorher an einem solchen Feste theilgenommen und im Studentenverein, der für Thorwaldsen ein solches Fest gab, war er nicht erschienen aus Furcht, man würde über den Gesang, den er zu dieser Veranlassung verfaßt hatte, lächeln. Als er aber nun die Reden hörte, die man an Oehlenschläger richtete, war er vollkommen enttäuscht; er hatte sich solche Ansprachen viel ausgezeichneter gedacht, und nun glaubte er auch, es versuchen zu dürfen und merkte bald, daß er Glück damit machte. Der Uebers.

Es bildete sich zu dieser Zeit ein Comité aus Damen, um ein neues Kinder-Asyl in Kopenhagen zu gründen. Einige dieser Damen, die mir persönlich bekannt waren, wandten sich an mich mit dem Ersuchen, ihnen zu gestatten, dem Asyl meinen Namen beilegen zu dürfen, wozu ich bereitwillig meine Einwilligung gab, dabei nur von dem Gedanken getragen, meinen Namen an eine Sache geknüpft zu sehen, die den »armen Kindern« zu Gute kommen sollte. Als Etatsrath Melchior und Director Bille dies erfuhren, billigten sie durchaus nicht mein Verfahren, sondern meinten, meine Gegner könnten darin eine »Reclame« für mich erblicken. Infolge dessen ersuchte ich meinen alten, bewährten Freund, Professor Hartmann, sofort mit den betreffenden Damen zu sprechen, und die Aufforderung zu Beiträgen zu »H. C. Andersens Kinder-Asyl« zu verhindern oder doch wenigstens auszusetzen; allein es war zu spät. Die Einladung zur Theilnahme war inzwischen schon erlassen und nicht unbedeutende Beiträge waren bereits eingegangen. Fürchtend, daß in der That irgend Jemand in dieser Sache mich mißverstehen könnte, brachte ich die nächste Nacht in der größten Erregung schlaflos zu; ich war unzufrieden mit mir selbst. Die ruhige Stimmung, welche während der letzten Zeit, gerade durch die allgemeine Theilnahme, welche man mir erwiesen, mein ganzes Sein erfüllt und meine Seele verjüngt hatte, ist jetzt gleichsam urplötzlich verdunstet! Gern würde ich noch einige Jahre mit allen meinen lieben Freunden verleben, aber es übermannen mich, selbst während der Freude und Erhebung, Stimmungen, die mir zurufen: »Am besten wäre es für Dich, wenn jetzt Deine irdische Laufbahn abgeschlossen würde!« Es ist mir so viel Glück und Freude im Leben zutheil geworden, daß ich mit jedem Tage, mit dem ich mich dem Ziel der Menschen, den 7 mal 10 der Bibel, nähere, immer mehr glaube: »Jetzt kommen die schweren Tage!« –

Der Monat März brachte mir Sonnenschein. Ein Freund erzählte mir Folgendes: In einer der Stadtschulen habe ein kleines Mädchen armer Eltern eines Tages unaufhörlich geweint, bis die Lehrerin es nach seinem Kummer fragte, worauf es zur Antwort gab! »Ich habe noch nichts zu Andersen's Statue beitragen können!« – Wie innig rührte mich das!

In diesem Monat schrieb ich die Gedichte » Die kürzeste Nacht«, » Das Mirakel« und » Die Beichte eines Kindes«, welche in der »Illustreret Tidende« veröffentlicht worden sind. Ich erhielt fortwährend eine Menge Briefe, deren Beantwortung mir sehr schwer fiel. Bögh sagt über diesen Zeitpunkt: » Andersen, der im Laufe der Jahre eine unglaubliche Menge Briefe geschrieben hatte, vermochte dies nicht mehr und hatte fast eine Abneigung gegen das Briefschreiben. Er war unglücklich über die Menge Briefe, die er meistentheils vom Auslande erhielt, mit dem Ersuchen um seine Handschrift, und es ärgerte ihn besonders, wenn er im Briefe selbst eine Briefmarke des betreffenden Landes vorfand, deren er sich bei der Absendung der Antwort bedienen sollte. »Das ist ja dumm!« sagte er; »das ist ja unbegreiflich gedankenlos. Wie kann ich diese Marken gebrauchen, wenn ich den Brief von hier absende!« Wenn ihm ein neuer Brief überreicht wurde, zauderte er lange, denselben zu öffnen, umsomehr, als er auch mit Bettelbriefen überhäuft wurde, oder mit Bitten, Gedichtsammlungen und Gesuche in allen möglichen Richtungen zu durchlesen. Es plagte sein Gewissen, wenn er sich der Sache nicht anzunehmen im Stande war. Sein Gemüth konnte von den Plagen, die von außen auf ihn eindrangen, sehr angegriffen werden, wenn diese in der Wirklichkeit auch oft nichtssagend waren, aber unter dem Druck seiner Krankheit erschienen sie ihm als große Begebenheiten. »Man tödtet mich!« rief er aus und fiel matt und schwer athmend auf seinem Stuhl zusammen. Ersuchte man ihn dann, ruhig zu sein und zu bedenken, wie wenig das Ganze bedeute, und konnte man ihn dazu bringen, die immerwährende Erregung, die ihn beherrschte, zu bekämpfen, so daß er Ruhe erlangte, dann kehrte bald die gute Stimmung wieder, und er brach in die Worte aus: »Ich bin so ungereimt in meinem Auftreten, ich fühle es nur zu sehr, daß ich Euch Allen eine Plage bin; aber verzeiht mir; ich bin krank!« Oftmals, wenn seine Bekannten ihn verließen, und er in seinem Stuhl, mit dem Plaid um die Beine, zusammengesunken saß, winkte er zum Abschiede mit der Hand, legte sie dann auf die Stirn und fing zu weinen an.« Der Uebers.

Mit dem Erwachen der Natur stellte sich bei mir das Verlangen wieder ein, sobald als möglich nach meinem bevorstehenden Geburtstage nach dem Süden, nach der Schweiz zu eilen, um mich in den Bergen bei Montreux zu kräftigen und zu stärken. Ich gedachte meines letzten Aufenthalts dort am Genfer See mit allen seinen Erfolgen und sehnte mich nach dem Tage der Abreise. Natürlich werde ich einen meiner jungen Freunde zum Begleiter erwählen, vielleicht fällt diesmal meine Wahl auf Jonas Collin, der mir während der letzten Jahre ein theilnehmender Freund gewesen ist. Bögh berichtet weiter: »Beim Herannahen des Frühlings 1875 begann Andersen, an eine Reise in's Ausland zu denken; er erinnerte sich, wie gut ihm der letzte Aufenthalt am Genfer See bekommen sei und seine Sehnsucht ging wieder dahin. Er saß mit Reisebüchern vor sich ausgebreitet und entwickelte seine Pläne; aber er selbst war der Einzige, der an deren Ausführung glaubte. Er sagte u. A.: »Ich werde einen Herbstmonat in Montreux verbringen und dann in Mentone überwintern. Das wird mir zwar viel Geld kosten, aber ich hoffe, daß ich dann auch ganz gesund heimkehren werde«. Der Uebers.

Mit einem gewissen ängstlichen Gefühl sah ich den ersten Tagen des Aprils entgegen, obgleich ich mich ungewöhnlich wohl fühlte. Am Morgen des ersten April erhielt ich eine Einladung, mich um die Mittagsstunde zu einer besonderen Audienz bei Ihren Majestäten dem Könige und der Königin im Schlosse Amalienborg einzufinden. Als ich in das Audienzgemach eintrat, fand ich die ganze königliche Familie versammelt und, wie immer, wurde ich auf das herzlichste und gnädigste empfangen. Nachdem mir alle königlichen Persönlichkeiten ihre Gratulation zu meinem morgen stattfindenden Geburtstage, an welchem Tage ich das 70. Lebensjahr vollendete, abgestattet hatten, überreichte mir der König, mit Worten der Anerkennung meiner Verdienste als Dichter, die Insignien des Commandeurkreuzes erster Klasse des Danebrogordens, indem er hinzufügte, er habe mir schon heute die Dekoration übergeben wollen, damit ich am morgenden Tage meine Brust damit schmücken könne. Ich war fast sprachlos vor Freude und Ueberraschung und dankte tief gerührt. Beim Abschiede überreichten mir die Königin und die Prinzessin Thyra prachtvolle Bouquets.

Kaum war der Tag am zweiten April angebrochen, als mir die Briefträger ganze Stöße von Gratulationsschreiben und Telegraphendiener Glückwunschtelegramme vom In- und Auslande überbrachten, die mich zu Thränen rührten. Bald fanden sich meine Freunde und Bekannte, und in der Mittagsstunde mehrere Deputationen, namentlich vom Studenten- und Arbeiterverein, zur Gratulation ein. Später erschien eine Deputation, bestehend aus der Lehnsgräfin Holstein-Holsteinborg, der Conferenzräthin Drewsen, geborenen Collin, Frau Dorothea Melchior, geborenen Henriques, Professor Vermehren, Cand. juris P. Andrä mit dem Baumeister, Etatsrath Meldahl als Wortführendem, der mir dann mit einigen Einleitungsworten folgende Adresse überreichte:

 

»Hochwohlgeborener

»Herr Conferenzrath H. C. Andersen!

»Wir Unterzeichneten dänischen Männer und Frauen haben uns vereint und unsere Landsleute, Alt und Jung, die unsere Gefühle theilen, aufgefordert, Ihnen, unserem berühmten Märchendichter, ein Denkmal im Rosenborger Schloßgarten zu errichten. Unsere Aufforderung ist einem allgemeinen Anschluß von Seiten aller Klassen der Gesellschaft begegnet, nicht nur daheim im Vaterlande, sondern auch außerhalb desselben, überall, wo Ihr Name bekannt und geliebt ist. Unser allergnädigster König hat gestattet, daß das Denkmal auf dem Platze, wie wir gedachten, errichtet werde, und die Bildhauer unseres Landes wetteifern jetzt mit einander, die schöne Aufgabe, die ihnen gestellt worden ist, zu lösen.

»Indem sich auf solche Weise Alle zur Durchführung unseres Gedankens vereint haben, können wir heute, an Ihrem siebenzigjährigen Geburtstag, Ihnen die Mittheilung dieser Gabe überbringen, welche Ihnen ein neuer Beweis der Bewunderung und der Dankbarkeit des dänischen Volkes fein wird.«

Etatsrath Meldahl fügte bei der Ueberreichung der Adresse, ein wahres Meisterstück der Kalligraphie und Buchbinderkunst, hinzu: »Indem wir Ihnen diese Adresse, die von allen Comitémitgliedern unterzeichnet ist, überreichen, erlauben wir uns noch hervorzuheben, daß es unsere Hoffnung ist, es werde uns gelingen, unser Vorhaben auf eine solche Weise durchzuführen, daß es Ihnen und Ihren dankbaren Bewunderern zur Freude gereichen werde.«

Den Eindruck zu beschreiben, welchen diese Ansprache auf mich machte, vermag ich in wenigen Worten nicht. Tiefergriffen antwortete ich ungefähr Folgendes: »Es sei heute gerade 56 Jahre her, daß ich als armes Kind von Odense nach Kopenhagen gekommen sei. In dieser langen Zwischenzeit habe sich viel verändert; ich fühlte jetzt, daß ich während der Zeit meines ersten Aufenthalts viele Eigenschaften besessen hätte, die kein Verständnis fanden, und daß ich schwere Tage durchgemacht hätte, aber ich müßte dennoch für diese dankbar sein, weil sie zu meiner Entwickelung beigetragen hätten. Hier in Kopenhagen hätte ich viel Wohlwollen erfahren. Ich wollte nicht bei den einzelnen Persönlichkeiten verweilen, aber ich müßte dennoch in dieser Stunde der Namen Guldberg, Collin und H. C. Oersted gedenken. Ich erinnerte mich sehr oft mit unauslöschlicher Dankbarkeit des Trostes, den Oersted mir in den Stunden des Mißmuths geschenkt hat, namentlich entsinne ich mich in diesem Augenblick seines Trostes, daß bessere Zeiten kommen und die Anerkennung nicht ausbleiben werde; aber von einer solchen Anerkennung, wie sie mir heute zutheil geworden, hätte ich jedoch nicht im Entferntesten träumen können. Gleich nachdem ich in Erfahrung brachte, daß man sich mit der Absicht trage, mir ein Denkmal zu setzen, sei ich von Bekümmerung erfüllt gewesen, weil ich die Kritik darüber fürchtete – denn Viele haben ja wenigstens ebenso viel vollbracht als ich und sind dennoch nicht durch einen Erinnerungsstein geehrt worden. Aber dieser Kummer sei sofort entwichen, als ich sah, wie das ganze Land mit Beiträgen für das Denkmal sich betheiligte. Besonders hätte ich mich gefreut über die vielen kleinen Beiträge, die ja den Beweis lieferten, daß Alle, selbst die Unbemittelten, daran Theil nehmen. Ich hob dann noch hervor, wie lieb es mir sei, daß man den Play zur Statue im Königs-Garten gewählt habe, denn es läge darin ein sonderbarer Zufall. Ich entsänne mich, daß ich während der trüben Tage oft in den Garten eintrat, um dort, versteckt in einem einsamen Gange, mein trockenes Brot zu verzehren, und jetzt solle mir dort ein Denkmal errichtet werden! Ich wüßte zwar nicht, ob die Vorsehung mir Kräfte schenken werde, die Statue noch errichtet zu sehen, aber ich hoffte, daß der liebe Gott es mir vergönnen werde, wenigstens den Platz zu sehen, wo sie sich einst erheben soll.«

Nachdem mich diese Deputation verlassen hatte, erschien eine solche aus Odense, die im Auftrage des Stadtraths nach Kopenhagen gereist war, um mir einen herzlichen Gruß und Glückwunsch meiner Vaterstadt zu überbringen. Die Deputation bestand aus dem Bürgermeister, Justizrath Mourier, Apotheker Lotze und dem Canzleirath Dreyer, sowie dem Etatsrath Petersen, als Vorsitzender der Einsammlung von Beiträgen in Odense zu meinem Denkmal. Bürgermeister Mourier überreichte mir ein mit einem prachtvollen Titelblatt versehenes Exemplar von Musikdirektor C. C. Möller's » Gruß der Kinder an H. C. Andersen, am 2. April 1875«, sowie Exemplare von dem Programm der Festlichkeiten an meinem Geburtstage in Odense. Gleichzeitig erhielt ich eine Copie der Inschrift, welche man auf einer Marmorplatte an meinem Geburtshause anzubringen gedachte, und die Uebersicht der dort eingegangenen Beiträge.

In meiner Beantwortung auf die Anrede dieser Deputation sprach ich mich ungefähr folgendermaßen aus:

»Die ersten Worte, welche ich aussprechen müßte, wären die des heißen Dankes für alle Ehrenbezeigungen, die man mir an diesem Tage erwiesen habe. Man dürfe sich nicht wundern, wenn ich von den Bewegungen, die in diesem Augenblick mein Herz erregten, überwältigt sei, und namentlich gegenüber den Abgesandten meiner Vaterstadt. Hier aber müßten die Erinnerungen um so mächtiger hervortreten; ich erinnerte mich gerade jetzt des Tages, an welchem meine Vaterstadt mich zu ihrem Ehrenbürger erkoren und die zahlreiche Schar mit Fackeln herbeizog, um mir eine Huldigung darzubringen. Damals hatte ich geglaubt, daß nunmehr kein schönerer und größerer Tag für mich anbrechen könne; aber ich müßte gestehen, dies sei dennoch heute geschehen. Nicht allein von meiner Vaterstadt, sondern vom ganzen Lande, vom König und dem ganzen Volke, ja, von fremden Ländern wären heute Ehrenbezeigungen und Zeichen der Theilnahme und des Wolwollens in überreichem Maße mir zugegangen. Die alten nordischen Skalden hatten das Sprichwort: »Ein Mensch vermag vom Glück in dem Grade begünstigt zu werden, daß selbst die Götter ihn um dasselbe beneiden;« aber das Wort habe keine Geltung für uns; denn wir kennen nur einen allliebenden Gott, und er hat mich stets gnadenreich auf den Wegen des Lebens geführt und über die Fügungen des Schicksals wunderbar hinweggeleitet. Gerade in diesem Augenblick trete das kleine Haus, welches meine Vaterstadt heute mit einer Erinnerungstafel, die mein Freund, Bischof Engelstoft, einweihen wollte, geschmückt habe, vor mein geistiges Auge; ich sähe meine Mutter dort walten, denn ich hätte dies Häuschen nie vergessen, davon werde die nächste Nummer der »Sonntagspost« zeugen, die ein Gedicht mit dem Bilde meines Geburtshauses bringen werde, worin ich die Freuden meiner Kindheit geschildert hätte. Schließlich bat ich die Deputation, jetzt selbst meinen Dank anzunehmen und Allen, die in meiner Vaterstadt dazu mitgewirkt hätten, mir an diesem meinem Festtage eine Freude zu bereiten, einen herzlichen Dank und einen liebevollen Gruß von dem alten Dichter, der nie seine Vaterstadt vergessen werde, heimzubringen.«

Nachdem sich die Deputation zurückgezogen hatte, bedurfte ich einer langen Zeit der Erholung; denn die Aufregung hatte meine geringen Kräfte fast erschöpft.

Während das königliche Theater die Feier des Tages mit einer Festvorstellung schloß, war man, wie die Deputation angedeutet hatte, in meiner Vaterstadt Odense bestrebt gewesen, dein Tage meiner Geburt einen festlichen Stempel aufzudrücken. In der Mittagsstunde wurde auf Beschluß des Stadtraths an dein Hause in der Munkemöllesträde, in welchem ich meine Kinderjahre verlebt hatte, eine Marmorplatte mit folgender Inschrift eingesetzt:

 

Til dette Uns
knytte sig
Digteren Hans Christian Andersens
kjäreste Barndomsminder.


Denne Sten satte Odense Kommune
den 2den April 1875,
Digterens 70aarige Födselsdag.
In deutscher Uebersetzung: An dieses Haus knüpfen sich des Dichters Hans Christian Andersen's theuerste Erinnerungen aus der Kinderzeit. – Diesen Stein setzte die Commune Odense am 2. April 1875, an des Dichters 70jährigem Geburtstage. Der Uebers.

 

Gegen 12 Uhr hatten sich mehrere hundert Menschen in der kleinen Straße versammelt, wo die Tafel an dem hervortretenden Ende des Hauses Nr. 28 angebracht worden ist. Nachdem ein Musikchor eine nationale Weise gespielt hatte, wurde das Erinnerungszeichen enthüllt, worauf der Bischof Engelstoft eine kurze Rede hielt, worin er auf meine Kindheit und Entwickelung Bezug nahm und ein »Lebehoch« auf mich, »den großen Dichter, das berühmte Kinde der Stadt Odense« ausbrachte, das mit langandauernden Hurrarufen beantwortet wurde. Darauf übergab der Bischof die Erinnerungstafel der Obhut der Stadt, die es sich angelegen sein lasse, alle schönen und großen Erinnerungen für Odense zu bewahren. Es dauerte lange – so heißt es in dem mir zugegangenen Bericht – bis sich die Menge zerstreute, indeß die Musik wol noch eine Stunde lang spielte.

Ferner hatte die Comune Odense eine Festvorstellung des Nachmittags 5 Uhr im Theater der Stadt veranstaltet, zu der alle Schüler der Bürgerschule freien Eintritt hatten. Den Anfang machte der mir von der Deputation überreichte Festmarsch » Der Kindergruß« von C. C. Möller, worauf der Theater-Direktor Fr. Müller einen vom Oberlehrer W. Ström gedichteten Prolog vorgetragen hatte. Die Kinder, welche sich in einer Anzahl von 800 mit ihren Lehrern eingefunden hatten, sangen dann einen meiner Nationalgesänge: »In Dänemark bin ich geboren, dort gehör' ich zuhaus!« Hier brachte der Canzleirath Borch, der das Ganze arrangirt hatte, ein »Hoch« auf mich, »den Stolz der Stadt Odense, den Dichter der Kinder« aus. Die eigentliche Festvorstellung bestand aus meiner Märchencomödie: »Mehr als Perlen und Gold«. Das Ganze erschien als ein schöner Gruß des kindlichen Gemüths. –

Erst am Tage nach dem Geburtsfeste fand ich Zeit, alle Geschenke, Adressen und Briefe einer Durchsicht zu unterziehen.

Besondere Freude machte mir die vom Dichter Berthold Auerbach verfaßte, in kalligraphischer Hinsicht meisterlich ausgeführte, Adresse des » Vereins der Berliner Presse«; Der Impuls zu dieser Adresse ist damals von mir ausgegangen. Ich war zu jener Zeit noch nicht Mitglied des Vereins der Berliner Presse, daher richtete ich einen Brief an meinen Freund, den Dichter Dr. Rudolph Menger, und bat ihn in eindringlichster Weise, sich der Sache anzunehmen und in der nächsten Generalversammlung, die am ersten Mittwoch des Monats März statthatte, den Antrag zu stellen, Andersen durch eine Gratulations- Adresse zu erfreuen. Dieser Antrag wurde mit Akklamation angenommen und der Dichter Auerbach beauftragt, die Adresse im Namen des Vereins abzufassen und an Andersen einzusenden. Der Uebers. denn diese Huldigung von kompetenten Richtern und wirklichen Kennern der Literatur machte mein Herz vor Freude erbeben. – Eine Dame aus München übersandte mir eine Mappe mit Zeichnungen, in welchen sie einige Scenen aus meinen Märchen auf geistvollste Weise dargestellt hatte. – Von dem holsteinischen Dichter Johann Meyer in Kiel Johann Meyer wurde am 5. Januar 1829 in Wilster in Holstein geboren, besuchte eine Dorfschule und erlernte, da sein Vater später Mühlenbesitzer war, nach seiner Confirmation die Müllerei, sowie das Zimmerhandwerk bei einem Zimmermeister in Schleswig. Nach fleißigem Selbststudium und einer einjährigen Vorbereitung bei einem Landprediger, wurde Meyer, 22 Jahre alt, in die Tertia des Gymnasiums zu Meldorf aufgenommen, dessen Klassen er in 3½ Jahren absolvirte und nach bestandenem Maturitätsexamen im Jahre 1854 die Universität Kiel besuchte, auf welcher er 3½ Jahre Theologie und Philosophie studirte. Im Jahre 1859 bekleidete er eine Lehrerstelle an einem Institut in Altona, war darauf von Ende 1859 bis Anfang 1862 Redacteur der » Itzehoer Nachrichten« und gründete im Jahre 1862 die Idiotenanstalt in Kiel, welcher er seitdem als Direktor vorsteht. Johann Meyer ist hauptsächlich als plattdeutscher Dichter bekannt. Großen Beifall haben seine » Plattdeutsche Gedichte« (J. F. Richter, Hamburg) gefunden, welche bereits in dritter Auflage erschienen sind, sowie sein in demselben Verlage bereits in dritter Auflage erschienener » Plattdeutscher Hebel«, eine freie Uebersetzung der Hebel'schen alemannischen Gedichte. Als hochdeutscher Dichter hat sich Meyer hauptsächlich bekannt gemacht durch seine bereits in zweiter Auflage erschienenen » Kleinigkeiten« (J. F. Richter, Hamburg), Sinnsprüche in hochdeutscher Sprache, sowie durch seine Mitarbeiterschaft an der bei Alphons Dürr in Leipzig erscheinenden » Deutsche Jugend«, in welcher oben erwähntes Märchen mit Bildern von Ludwig Burger zum Abdruck gelangte, an dem » Jugendboten«, einer eingegangenen schleswig-holsteinischen Jugendzeitung, an dem Meyn'schen » Schleswig-Holsteinischer Hauskalender« und an verschiedenen belletristischen Zeitschriften Der Uebers. erhielt ich in liebenswürdigster Weise ein von ihm aus Veranlassung meines Geburtstages in meiner Manier gedichtetes Märchen, das unter dem Titel: » Der gute alte Dichter« mit Illustrationen von Ludwig Burger in Leipzig veröffentlicht und von Frau Dora Enking, Frau Enking ist am 23. October 1836 geboren und die Gattin des Oberlehrers Enking in Kiel. Der Uebers. geb. Klewing, deren Vater während der unglücklichen Kriegsjahre in Flensburg als guter Patriot sich einen geachteten Namen machte, in's Dänische übersetzt worden war, und endlich erhielt ich gerade an diesem Tage, das mir vorlängst als abgesandt angezeigte illustrirte Werk über Amerika: » Picturesque America«, das für die Beiträge, welche die Kinder dort mit der Vermeinung gesammelt hatten, ich lebte in dürftigen Umständen, angekauft worden war. Ich freute mich außerordentlich darüber; etwas besseres könnte man mir gar nicht gesandt haben. Lobedanz besuchte Andersen einige Tage nach seinem 70jährigen Geburtstag und schreibt aus dieser Veranlassung: » Andersen's Wohnung, die man mit Berechtigung sein » Märchenheim« nennen konnte, zeigten noch Spuren der Gratulationen, die Freunde und Freundinnen von nah und fern an seinem Geburtstage überbracht hatten. Der König und der Kronprinz fanden sich persönlich ein, um ihm zu gratuliren. Derjenige, der Andersen kannte, wußte, was ein solcher Augenblick für ihn zu bedeuten hatte: er schwelgte förmlich darin, sein ganzes Leben zog urplötzlich an seinem geistigen Auge vorüber. Er sah sich dann als Knabe, arm und unbekannt, der seine Vaterstadt in dürftigen Kleidern verlassen hatte, um das Glück in der Hauptstadt zu suchen; er mußte dann viel ertragen; er hatte viele Thränen geweint, manchen schweren Seufzer und inniges Gebet zum Himmel emporgesandt, hatte oft thörichten Tadel von unter ihm stehenden Personen, die sich als seine Wohlthäter gerieten, ertragen müssen; aber er hatte dennoch schließlich alle Hindernisse besiegt und war jetzt unbestritten der berühmteste lebende Sohn seines Landes. Ja, er blickte wol in solchen Augenblicken sogar in die Zukunft hinein, wo man alsdann ein sogenanntes » Asyl für kleine Kinder«, das seinen Namen trug, erbaut und wo man seine Statue unter den alt-ehrwürdigen Bäumen des Rosenberger Schloßgartens errichtet hatte, nur wenige Schritte von der Statue König Christian's IV., des berühmtesten und populairsten aller Könige aus dem Oldenburg'schen Hause.« – – »In dem ersten Zimmer Andersen's stand auf einer Erhöhung, die mit einem mit Blumen bestreuten Teppich geschmückt war, eine Gipsbüste des Dichters, mit Lorbeeren bekränzt, und rund umher lagen zahlreiche Gaben, darunter sogar mehrere Etuis mit Orden. Kurz, es herrschte gewissermaßen ein geistiger Weihrauchduft in diesem Zimmer, der vielleicht Manchen unangenehm berührt und wol auch die Satire herausgefordert haben würde: denn Andersen's naiver Kultus seines eigenen Ich's erschien manchmal ein wenig zu weit getrieben«. –
Als ob andere Dichter und Schriftsteller, die sich in keiner Weise mit Andersen vergleichen können, es besser machten! Der Uebers.

Die Aufregung und die Anstrengung an meinem Geburtstage hatten dennoch meine Kräfte überstiegen und es währte lange, bevor ich die Wirkung in so weit überwinden konnte, um mich mit anderen Dingen als meiner Person zu beschäftigen. Mein Gemüth geriet wenige Tage darauf in starke Erregung durch einen Artikel im » Dagstelegrafen«, in welchem mitgetheilt wird, dass, wie verlautet, bald eine Sammlung von Briefen erscheinen soll, die ich an verschiedene Zeitgenossen geschrieben habe. Ungeachtet ich weiß, daß ich niemals etwas geschrieben habe, das mir jetzt zu hören, unangenehm wäre, so weiß man ja doch nie, was man in einem Privatbrief geschrieben hat, besonders wenn man nicht weiß, an wen und zu welcher Zeit die Briefe geschrieben worden sind. Ich muß durchaus erfahren, wie die Sache zusammenhängt, und ob man ohne meine Erlaubniß solche Briefe veröffentlichen darf, so lange ich lebe! –

Als ich wieder einige Ruhe gefunden hatte, schickte ich einige Dankschreiben an Diejenigen ab, welche mir ihre Teilnahme an den Tag gelegt hatten. An Alle, die mich mit Briefen und Telegrammen beehrt hatten, vermochte ich in meinem leidenden Zustande nicht zu schreiben. Unter anderm schrieb ich an den Redakteur der » New-York-Tribune« am 17. April:

 

»Sehr geehrter Herr!

»Lange schon ist es mir eine Herzensangelegenheit gewesen, an Sie zu schreiben und Ihnen meinen Dank für die große Theilnahme, welche Sie mir erwiesen haben, auszusprechen; allein meine schwere Krankheit während des ganzen Winters hat mich so beherrscht, daß es mir jetzt noch sehr beschwerlich wird, überhaupt zu schreiben. Es war für mich eine große Freude, nachdem man auf so herzliche Weise meine Auslassungen über die für mich veranstaltete Einsammlung von Beiträgen in Amerika aufgenommen hat, wo die lieben, kleinen Freunde ihre Sparpfennige hergaben, um ihren, wie sie vermeinten, bedürftigen Märchenerzähler zu unterstützen, daß man den Entschluß faßte, mir ein Werk über Amerika, das mit vielen Illustrationen versehen ist, zu senden. Am Weihnachtstage erhielt ich ein Telegramm mit der Anzeige. Ich erwartete, daß die Bücher in nicht gar zu langer Zeit hier eintreffen würden, und dann war es mein Beschluß, Ihnen, mein edler, teilnehmender Freund, meine Antwort sofort zu senden. Indessen vergingen Wochen und Monate; ich schrieb daher an meinen Freund, Herrn General Christensen in New-York und bat ihn um Aufklärung, ob das Packet bei irgend einem Buchhändler oder auf dem Meeresgrunde liege. Ungefähr gleichzeitig mit seiner freundschaftlichen Antwort erhielt ich die Nachricht, daß das Schiff bald eintreffen werde, und gerade an meinem siebenzigjährigen Geburtstage kamen mir die Bücher in die Hände. Ich bin über diese Gabe sehr erfreut, die liebste, welche mir von dem mächtigsten Lande geschenkt werden konnte, wo ich so viele Freunde unter den Jungen und Alten besitze, und dies macht mich glücklich. Ich bin jetzt nicht allein in die Lage versetzt, mich über das herrliche Land durch Lesen zu informiren, sondern ich habe dasselbe auch durch die schönen Illustrationen vor Augen, das schöne Land, wohin ich meines Alters und meiner Krankheit wegen nicht mehr komme. Wie herrlich wäre es gewesen, wenn dies im nächsten Jahre während der großartigen Festzeit hätte geschehen können. Doch, ich habe ja so unendlich viel Glück erreicht, wie es Millionen anderer Menschen nicht zutheil wird. Mein siebenzigjähriger Geburtstag war ein Tag, reich an Sonnenschein und Segen; rundum in meinem theuren Vaterlande und weit über die Grenzen desselben hinaus kamen schönen Gaben, Briefe und Telegramme, wie auch die willkommene Gabe der amerikanischen Kinder an dem Tage eintraf. Für wie viel unendlich Gutes bin ich nicht dem lieben Gott Dank schuldig! – – Ich fühlte mich von all den Huldigungen indessen überwältigt; mein kranker Körper vermochte es nicht, die Erregung zu tragen, und während der letzten vierzehn Tage nach dem Geburtstagsfeste war ich infolge dessen leidend und nicht im Stande, diesen Brief zu schreiben. Nehmen Sie daher fürlieb mit diesen prunklosen Worten, und ich bitte Sie, dieselben in reicheren und besseren Ausdrücken an Jung und Alt wiedergeben zu wollen. Das kostbare Werk » Picturesque America« ist mir eine theure Gabe und soll vor und selbst nach meinem Tode als eine Erinnerung an die Liebe der amerikanischen Jugend für den alten Geschichtenerzähler bewahrt werden.

Hans Christian Andersen

 

Am ersten Mai erhielt ich wieder ein mich hoch erfreuendes und ehrendes, gnädiges Schreiben von dem Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar, worin der hohe Herr mir mittheilt, daß er mich zum Commandeur seines Hausordens der Wachsamkeit oder vom Weißen Falken ernannt habe. Ich setzte stets auf die Auszeichnung, welche mir von diesem Monarchen zutheil wurde, nicht allein wegen des Zeichens der Zuneigung zu mir großen Werth, sondern ich legte ein ganz besonderes Gewicht auf die Anerkennung meiner dichterischen Wirksamkeit, welche darin lag: denn nach den Statuten dieses Hausordens kommen nur 50 Ritterkreuze erster Klasse und 25 Commandeurkreuze zur Vertheilung und ehe nicht einer der damit Dekorirten stirbt, kann keine neue Ernennung stattfinden. Dadurch erlangt aber die Ertheilung dieses Ordens eine größere Bedeutung als bei sonstigen Orden, deren Kreuze oft zahllos sind. » Die Dekoration liegt bereits im Zollhause (Toldboden).« Citat aus Andersen's Tagebuch. Der Uebers.

Am 28. Mai endlich schrieb ich folgenden Brief an Johann Meyer in Kiel, worin ich ihm meinen Dank für das mir gesandte Märchen ausdrückte:

 

»Lieber, sehr geehrter Herr Meyer!

»In der Voraussetzung, daß Sie besser dänisch lesen als ich deutsch schreibe, trage ich kein Bedenken, Ihnen einen Brief in meiner Muttersprache zu senden. Am Tage vor meinem 70jährigen Geburtsfeste empfing ich die von Dora Enking gelieferte Uebersetzung Ihres hübschen dichterischen Märchens »der gute alte Dichter«, welches in dänischer Uebersetzung zum Besten für das Kinderheim herauszugeben Sie gütig gestatteten. Wollen Sie in dieser Veranlassung auch Dora Enking meinen herzlichen Dank sagen. Das Märchen las ich mit großem Interesse, fand die Idee sehr hübsch, die Märchensprache gut getroffen, und der Schluß von dem Ganzen, wo Ole-Luk-Oie mich im Traum zurückblicken läßt auf mein entschwundenes Leben, rührte mich zu Thränen. Hätten Sie mich, den alten, nun so kränklichen Mann, sitzen sehen, wie ich saß, schluchzend, weinend und Gott dankend, so würden Sie daran gewiß Ihren freudigsten Dank gefunden haben. Ich wünschte, Ihnen gleich damals einen Brief zu senden, aber all die Aufregung an dem für mich übrigens schönsten und glücklichsten Tage, hatte mich so sehr geschwächt, daß ich nicht im Stande war, den Brief zu schreiben. Nun kam vor 14 Tagen Ihr geehrtes, willkommenes Schreiben mit dem deutschen Original-Abdruck des Märchens; ich las es mit derselben Freude und Rührung, wie früher, und gerne wünschte ich, noch ein Exemplar zu erhalten. Die Bilder sind hübsch, nur ist das nicht Ole-Luk-Oie, sondern der »Sandmann«, welcher in dem letzten Bilde gegeben ist. Ich hätte nun damit beginnen sollen, an Sie und mehrere Theilnehmende zu schreiben, deren jedem ich ein längeres Dankschreiben zu senden wünschte, aber ich bin in den letzten zwei Wochen so leidend gewesen, wie in der allerersten schweren Krankheitszeit 1872, wo meine Schmerzen begannen. Am Sonnabend war ich so hinfällig, daß ich glaubte, es würde nun bald mit diesem Erdenleben vorbei sein. Ich hatte es indessen in wenigen Tagen überwunden, und nun schreibe ich an Sie, obgleich es noch sehr beschwerlich für mich ist, in dieser Stellung zu sitzen und die Feder zu führen. Dank für Ihr Wolwollen! Dank für das Märchen! Lassen Sie mich wissen, ob Sie diesen Brief erhalten haben. Will's Gott, ziehe ich in 14 Tagen auf's Land; erhalte ich die Kräfte, reise ich später nach der Schweiz und bleibe, der Heimat fern, ungefähr ein Jahr im Süden. Das einzige, welches mir helfen kann, ist, wie die Aerzte sagen, ein wärmerer Winteraufenthalt; verhilft mir Gott nicht hierzu, so habe ich nichts mehr zu hoffen! Aber ich habe auch so viel Gutes und so viel Segen auf dieser Erde empfangen, daß ich nur zu danken und mich in Demuth zu beugen habe.

Ihr sehr ergebener
H. C. Andersen

 

Mit dem Beginn der wärmeren Jahreszeit reifte indessen mein Plan immer mehr, eine Reise nach dem Süden zu machen und zwar nach Mentone und in Gesellschaft von Jonas Collin, der, mir zu folgen, sich bereit erklärt hatte. Ich traf meine vorbereitenden Maßregeln dazu. Ich kündigte meine Wohnung, ließ nach und nach alle meine Sachen einpacken und sandte diese zur Aufbewahrung bis zu meiner Rückkehr an meine verschiedenen Freunde in der Stadt.

Indessen hatte bereits vorlängst das Comité zur Errichtung meines Denkmals eine Concurrenz dänischer Bildhauer zur Einsendung von Entwürfen zu der Statue ausgeschrieben. Es waren jedoch nur vier Künstler, die an der Concurrenz sich betheiligten, nämlich die Herren Stein, Saaby, Prior und Evers. Unter diesen vier Entwürfen will nun das Comité die Wahl treffen, doch zuvor stellte man die Gipsmodelle in der Kunstacademie im Charlottenborger Palais zur Besichtigung gegen ein Entrée von 25 Öre, die dem Errichtungsfond zugute kommen, aus. Da ich nur wenige Schritte bis zur Kunstacademie zu gehen hatte, begab auch ich mich dahin. Die Namen der Künstler waren nicht an den Statuetten angebracht, sondern mit Nummern bezeichnet. Nr. 1 zeigte mich sitzend mit einem Buch in der linken Hand, während die rechte, die etwas gesenkt ist, eine etwas gesuchte Bewegung macht, als ob ich einen Satz mit der Hand formte; an der linken Seite liegen neben mir zwei Kinder auf den Knieen, die meinem Vortrag zu lauschen scheinen, während ich über diese hinwegsehe nach einem gedachten Zuhörerkreise. Der Kopf, schien mir, sich gerade nicht durch sprechende Aehnlichkeit auszuzeichnen, und das Eigenthümliche meiner Figur scheint ziemlich verwischt zu sein. – Nr. 2 ist die einzige der Skizzen, welche mich ohne Umgebung darstellt, d. h. ohne die vermeintliche Zuthat »der süßen Kleinen«, und darin besitzt sie einen großen Vorzug vor den Arbeiten der Concurrenten. Die Portraitähnlichkeit scheint mir ganz vorzüglich zu sein und in Rücksicht auf die künstlerische Ausführung dürfte die Arbeit obenan stehen, nur vermeine ich, daß die Schulter- und Brustpartie zu idealisirt sei. In der linken Hand halte ich ein Märchenbuch, während ich die rechte gegen die gedachten Zuhörer ausstrecke, wie die Gestalt in Harmonie hiermit eine etwas vorübergebeugte Stellung einnimmt; aber in der ganzen Stellung liegt etwas Forcirtes. – In Nr. 3 scheine ich mich direkt an zwei Kinder zu wenden, die mir zu beiden Seiten stehen, von denen ich das eine mit dem linken Arm umfasse, während ich auf das andere hinabschaue, indem ich mit dem rechten Arm gen Himmel zeige. Die Idee, das kindliche Publikum meiner Märchendichtung in die künstlerische Darstellung mit hineinzuziehen, ist hier also zu einer Aeußerlichkeit getrieben, die die lebenden Zuhörer, für die doch das Monument bestimmt ist, einem Privatkreise gegenüber, unberührt läßt. Außerdem ist der Kopf mit seinen reichen, fast fetten Formen und der mosaische Anstrich nicht glücklich zu nennen, wogegen die Modellirung der Figur, namentlich der Beine, charakteristisch erscheint. – Das letztere gilt auch von Nr. 4, wo mir zur Rechten ein Kind steht; aber der Kopf befriedigt mich weder mit Rücksicht auf den Ausdruck noch was die Form anbetrifft und ebenso fehlt dem rechten Arm das rechte Leben. –

Das Comité hat einen aus Mitgliedern der Kunstacademie bestehenden Ausschuß niedergesetzt und dieser wird nunmehr seinen Entschluß fassen müssen; meinen Beifall haben die Skizzen nicht! Der Ausschuß verwarf auch nach langer Zeit der Berathung – erst nach Andersen's Tode – alle vier Skizzen, die durchaus seinen Beifall nicht gefunden hatten, was er auch offen sowol zu den Künstlern als zu den Mitgliedern des Comités ausgesprochen haben soll. Man schlug dann vor, sich behufs einer Skizze an Professor Jerichau zu wenden, damit er sich für die Sache interessire, und wenn dies nicht gelingen würde, eine europäische Concurrenz einzuladen. – Später jedoch hat man dessen ungeachtet dem Bildhauer Saaby die Ausführung der Statue übergeben, welche demnächst wahrscheinlich am 2. April 1881, im Rosenborger Garten enthüllt werden wird. Sicherlich würde auch diese Statue, wenn Andersen sie zu sehen erlebt hätte, kaum seinen Beifall gefunden haben, denn das fertige Modell zeigt Andersen in sitzender Stellung, zwar ohne belästigende Umgebung: es scheint, als erzähle er dem Publikum Märchen. Der Uebers.

Mit meiner Gesundheit ging es indessen nicht gut; die Aufregung, auf's Neue durch diese Concurrenz hervorgerufen, erschütterte mein Nervensystem, und ich fühlte mich durch jede Kleinigkeit gereizt. Ich sah mich daher genöthigt, da mir vor der Hand das Reisen zu schwierig erschien, meine Reise nach dem Süden vorläufig auszusetzen und in der ländlichen Ruhe neue Kräfte zu gewinnen, und ich entschloss mich daher, in der Mitte des Juni-Monats nach dem gastlichen » Bregentved« mich zu begeben, wo man mich schon am 10. Juni erwartet.

Wenige Tage zuvor besuchte mich der Maler Carl Bloch; er kam gerade zu einer Zeit, wo ich eine meiner schwersten Stunden hatte; denn die alten Schmerzen in der Herzgrube hatten sich wieder eingestellt und meine gute Laune, mit der ich sonst diese zu überwinden vermochte, war dahin. Ich bat Bloch gleich anfangs unseres Gespräches, mit mir nicht mehr über die mir unliebsam gewordene Geschichte des Denkmals zu sprechen; allein bald drehte sich dennoch seine Unterhaltung um denselben Gegenstand, Ich wurde infolge dessen außerordentlich erregt und sagte Vieles, was ich noch jetzt als wahr und richtig erkenne, aber was ich gewiß nicht bei ruhiger Ueberlegung und einem nicht erregten Gemüthszustand ausgesprochen haben würde. Wahrscheinlich ist Bloch jetzt böse auf mich.

Aber nicht genug damit, am 5. Juni Abends kam sogar der Bildhauer Saaby, einer der Concurrenten zu mir, um mir seine Ansichten klarzulegen. Da, ich leugne es nicht, gerieth mein Blut in Wallung, Wenn er sonst zu Jemandem über sein Denkmal sprach, dann wurde er sehr wehmüthig gestimmt, denn er fühlte nur zu wol, daß er es nicht erleben werde, dasselbe errichtet zu sehen, aber er tröstete sich dann damit: »Wie mein ganzes Lebelang mir das Glück folgte, so habe ich auch das Glück gehabt, den Platz zu sehen, wo man mein Denkmal errichten wird.« Der Uebers. und ich sprach frei von der Leber, daß keiner der Bildhauer mich kenne, daß keiner ihrer Entwürfe darauf hindeute, sie hätten das Charakteristische bei mir beobachtet oder bemerkt; denn ich hätte nie vorlesen können, wenn Jemand hinter mir oder an meiner Seite gestanden oder gesessen hätte, um so weniger also, wenn ich Kinder auf dem Schooße oder auf dem Rücken gehabt, oder wenn junge Kopenhagener sich förmlich an mich angelehnt hätten. Es sei eine bloße Redensart, mich » den Dichter der Kinder« zu nennen; mein Ziel war stets ein Dichter für Alle zu sein, und daß Kinder mich nicht repräsentiren könnten; das Naive sei nur ein einzelner Theil des Märchens, die Laune, der Humor sei gleichsam das Salz in demselben, und daß ich meine Schriftsprache auf die Sprache des Volkes baute, entspringe aus meinem Dänenthum u. s. w. Saaby ging nicht sehr befriedigt von mir.

Meine Kräfte waren zu Ende! Ich sah mich daher genöthigt, die Reise nach Bregentved aufzugeben, und entschloß mich daher, weil Gemüthsruhe und frische Luft mir noth that, am 12. Juni mich nach dem nur eine halbe Stunde fernen » Rolighed« zu begeben, wo, wie ich wußte, die beiden schönen Zimmer im ersten Stock mit der Veranda und mit der Aussicht auf den Oeresund, die mir durch die Güte und Freundschaft der Familie Melchior für immer überlassen waren, zu meinem Empfange bereit standen. Dort hoffe ich Ruhe, Gesundheit und die frohe Laune bald wiederzufinden, um im Hochsommer meine lange projektirte Reise nach dem Süden anzutreten. Gottes Wille geschehe!

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