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[Fünfzehntes Capitel.]
Von 1851 bis April 1855.

Besuch auf Christinelund und Glorup. – Reise nach Deutschland. – In Schleswig. – Oberst Helgesen. – In Maxen bei v. Serre's. – »Der Baum des dänischen Dichters«. – Demoiselle Bourbon (Naundorf). – König Frederik VII. verleiht mir den Professor-Titel. - In Weimar. – Beaulien de Marconnay. – Liszt. – Wagners »Tannhäuser«. – Sein »Lohengrin«. – Nürnberg. – München. – König Ludwig. – Dr. Dingelstedt. – Münchens Repertoire. – König Max im Schloß Starnberg. – Geheimrath Dönniges. In der Schweiz. – Eine ergreifende Scene auf einer Station. – Heidelberg. – Kestner. – Daheim. – Besuch bei der Königin-Wittwe. – »Fliedermutter«, Märchencomödie. – Der Dichter Boye. – Die Oper »Der Nix« mit Musik von Gläser. – Besuch bei Ingemann. – Cholera in Kopenhagen. – Fest auf Glorup. – Besuch bei Drewsen in Silkeborg. – Tod meines Verlegers Reitzel. – Die kleine Ausgabe: das Märchen meines Lebens erscheint dänisch und deutsch. – Kritik darüber. – »Meine gesammelten Werke«. – Die Studenten geben mir ein Fest. – Prof. Clausen. – Der Dichter Paludan-Müller. – In Maxen. – Wien. – Jenny Lind – Goldschmidt daselbst. – Triest und Venedig, Verona, Riva, Trient, Innsbruck, München. – Auf Schloß Hohenschwangau bei dem Königspaar. – Dönniges. – Prof. Liebig. – In Weimar und auf Schloß Wilhelmsthal beim Großherzog Carl Alexander – Die Wartburg. – Die Herzogin von Orleans mit ihren Söhnen in Eisenach – Daheim. – Bearbeitung von Mosenthal's »Sonnenwendhof«. – Meine »Märchen« und »Geschichten«.


 

Friede ruhte über den Landen; die Frühjahrssonne schien. Ich fühlte wieder Reisesehnsucht, das Bedürfniß abzureisen und deshalb flog ich hinaus aus der Stadt nach den lichtgrünen Wäldern zu lieben Freunden an der Prästöbucht, nach Christinelund Christinelund ist ein ganz in der Nähe der Stadt Prästö – die wegen ihrer wunderschönen Lage an der Ostsee berühmt ist – gelegenes Gut, das zur Baronie Stampenborg gehört. Der Hauptsitz der freiherrlichen Familie Stampe ist Nysöe, wo Thorwaldsen und Andersen so oft weilten. (Siehe unser Bild im vor. Theil Seite 254.) Christinelund, wohin der junge Baron Stampe sich mit seiner Neuvermählten zurückzog, ist eigentlich der Wittwensitz der Baronie, und wurde dort 1858 ein neues Hauptgebäude vom Prof. Meldahl aufgeführt. Der Uebers.. Die jungen Leute daselbst wollten gern, daß der Storch auf ihrem Haus sein Nest baue. Ein Rad war auf den Giebel gelegt worden als Grundlage für das Nest, aber es kam kein Storch. »Wartet bis ich komme,« schrieb ich, »dann kommt auch der Storch!« Und gerade, als ich das geschrieben hatte in der frühen Morgenstunde des Tages, an dem man mich erwartete, kamen zwei Störche, setzten sich auf's Dach. Sie begannen mit der Arbeit, sich hier niederzulassen, als ich in den Hof einfuhr. Ich sah in diesem Jahr den Storch fliegen. Das bedeutet nach altem Aberglauben, daß man davon fliegen, eine Wanderung machen werde. Mein Ausflug in diesem Jahre war indeß mir kurz. Prags Thürme waren die südlichsten, die ich sah. Das erste Capitel dieses Jahres hat nur wenige Blätter, allein auf dem ersten Blatt bildet, wie man sieht, die Vignette die fliegenden Störche, welche auf dem Dache im Schutz des neu erblühenden Buchenwaldes ihr Nest bauten.

Bei Christinelund hatte übrigens der Lenz seine Vignette gesetzt: Ein blühender Apfelzweig, welcher am Feldgraben wuchs. Das war der Lenz selbst in seiner schönsten Offenbarung, und bei seinem Anblick entsprang die kleine Geschichte: » Es ist ein Unterschied! Siehe die »Märchen« Band III. S. 315. Der Uebers. Die meisten meiner Dichtungen haben eigentlich von außerhalb ihre Wurzel erhalten. Ein Jeder wird, wenn er das Leben in der Natur rundum sich mit einem Dichterauge betrachtet, solche Schönheitsoffenbarungen gewahren und in sich aufnehmen, die man die Poesie des Zufalls nennen könnte. Ich werde ein paar Beispiele anführen: Gerade an dem Tage, als Christian VIII. starb, flog ein wilder Schwan gegen die Thurmspitze des Roeskilde-Doms und zerschmetterte seine Brust. Oehlenschläger hat in seinem Erinnerungsgedicht an diesen König diesen Zufall bewahrt. Als man auf Oehlenschläger's Grab frische Kränze hängen und deshalb die verwelkten fortnehmen wollte, fand man, daß in einem dieser ein kleiner Singvogel sein Nest gebaut hatte. – Als ich mich zur Weihnachtszeit auf dem Gute Bregentved Siehe den vor. Band S. 255. Der Uebers. befand und an einem ziemlich milden Morgen im Park promenirte, der von einer dünnen Schneedecke bedeckt war, und über die breiten Steine an den dort im Garten errichteten Obelisken schritt, schrieb ich gedankenlos mit einem Stock in den Schnee die Worte:

»Unsterblichkeit ist gleich dem Schnee,
Morgen wirst Du ihn nicht mehr seh'n!«

Ich entfernte mich. Bald darauf trat Thauwetter ein und einige Tage nachher wieder Frost. Als ich wieder zu der Stelle kam, war der Schnee überall bis auf einen kleinen Fleck geschmolzen und auf diesem fand ich noch das Wort: » Unsterblichkeit!« Ich wurde tief ergriffen durch diesen Zufall, und mein lebhafter Gedanke war: Mein Gott, ich habe niemals daran gezweifelt!

Mein eigentlicher Sommeraufenthalt in diesem Jahr war auf dem mir so lieb gewordenen Glorup, Siehe das Bild im vor. Bande S. 331. Der Uebers. bei dem Freunde, dem alten, edlen Grafen Gebhardt Moltke-Hvitfeldt. Es war das letzte Jahr, das wir zusammen verlebten, Gott rief ihn im nächsten Frühjahr zu sich. Allein dieser Sommeraufenthalt setzte gleichsam den Kranz auf all die schönen Tage, die ich hier verbracht habe. Der Graf gab den Soldaten, welche auf seine Güter aus dem Kriege heimgekehrt waren, ein Fest. Ich habe früher den Aufenthalt der schwedischen und dänischen Truppen auf Glorup besprochen. Jetzt war die Glocke des Sieges erklungen, jetzt sollte den Soldaten hier ein froher Tag und eine frohe Nacht bereitet werden. Das Festarrangement wurde mir übertragen, und da ich von meiner Aufgabe ganz erfüllt war, gelang sie mir, und es verschaffte mir große Freude. Kein Dichterwerk hat mir eine so einstimmige Anerkennung und solch Lob eingebracht, wie hier mein Talent als Arrangeur, das mir übrigens sehr leicht wurde, da ich großartige Feste dieser Art so oft gesehen hatte. Die Freude, die mir diese festlichen Stunden bereiteten, stehen als ein strahlendes Bild in den Märchen meines Lebens!

Es war das letzte Fest, das der Graf gab.

*

Zwischen meinem letzten Aufenthalt in Deutschland und jetzt lagen die unglücklichen Kriegsjahre. Den Kriegsschauplatz hatte ich noch nicht besucht, denn allein aus Neugierde dahin zu gehen, während die Anderen wirkten, widerstrebte meinen Gefühlen. Nunmehr war der Friede abgeschlossen. Jetzt konnte ich meinen Freunden in Deutschland wieder frohen Muths begegnen. Allein meine Gedanken weilten bei den blutigen Begebenheiten, bei den Gegenden, wo man gestritten und gelitten hatte. Dorthin mußte ich jetzt zunächst. Einer meiner jüngeren Freunde machte die Reise mit mir. Wir trafen uns bei Svendborg An der Nordostküste der Insel Fyen, herrlich gelegen. Der Uebers., und bald führte uns ein Dampfschiff nach Alsen, wo man noch Verschanzungen und Erdhütten sah. Beim Einsegeln in den Fjord bot jede Ziegelei, jede vorspringende Landspitze eine Erzählung von dem Kriege. In Flensburg selbst galt besonders mein Besuch dem » Grabe der Gefallenen«. Hoch über Stadt und Meerbusen erhebt sich der Garten der Todten, und hier war es besonders ein Grab, das ich suchte und fand: Es war Frederik Lässöe's Grab, der hier zwischen Schleppegrell und Trepka ruht. Ich pflückte hier ein grünes Blatt für seine Mutter und eins für mich, gedachte seines thatenreichen Lebens und seiner freundlichen Gesinnung gegen mich. Bald näherten wir uns dem eigentlichen Kampfplatz. Neue Häuser statt der abgebrannten standen im Bau, aber rundum zeigte noch die nackte Erde, wie der Kugelregen gleichsam die Grasmatten abgemäht hatte. Ein Ernst, eine Wehmuth erfüllten meine Seele, als ich über diesen geheiligten Boden dahin fuhr. Ich mußte an Lässöe denken, an seine letzten Augenblicke, denken an die Vielen, welche hier ausgeathmet hatten!

Die Stadt Schleswig befand sich noch im Belagerungszustande. Der Oberst Helgesen war Commandant. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, und er sollte gerade der Erste sein, dem ich begegnete, indem ich in das Hotel der Madame Esselbach Die Besitzerin des Hotels Stadt Hamburg in Schleswig verstand es während der beiden schleswigschen Kriege sich bei allen Offizieren der Truppen, welche gerade Schleswig beherrschten, durch ihre Sorgfalt für Alle beliebt zu machen, obgleich es allgemein bekannt war, daß sie Sympathie für Dänemark hegte. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die sich durch Energie auszeichnen. Sie verwaltete sogar während der unruhigen Kriegsjahre das nicht wenig verantwortliche Amt der Posthalterei in Schleswig, ein Amt, welches im ersten schleswigschen Kriege um so umfangreicher war, als es damals noch keine Eisenbahn zwischen Rendsburg und Flensburg gab. Sie starb hochbetagt 1866. Der Uebers. eintrat. Die kräftige Gestalt lenkte sofort meine Aufmerksamkeit auf sich; seine Gesichtszüge erinnerten an das Portrait, das ich von ihm gesehen hatte. Das mußte der Held von Friedrichstadt Kleine Stadt an der Eider mit kaum 2500 Einwohnern. Sie wurde am 7. August 1850 von den Dänen unter Oberst Helgesen genommen, der sie mit Festungswällen umgab und sie heldenmüthig am 4. October 1850 gegen die Schleswig-Holsteiner, die sie bombardirten und in Brand schossen, behauptete. Der Uebers. sein. Ich trat zu ihm, fragte, ob er Commandant sei, und er bejahte dies. Als ich ihm meinen Namen nannte, nahm er sich sofort meiner freundlich an und einer seiner Offiziere führte mich hinaus zu den Danewerken Dänisch: Danewirke, wurde – soweit man weiß – ursprünglich von dem jütischen Könige Godfred (Gotfried) im Kampfe gegen den deutschen Kaiser Karl den Großen, südlich von dem Orte Hadeby (Schleswig) errichtet und später, während Gorm der Alte in England war, von seiner Gemalin Thyra Danebod in den Jahren 936-950 als Grenzfeste Dänemarks gegen Süden erbaut und spielte im 11. und 12. Jahrhundert gegen die Wenden und Norweger keine unwichtige Rolle. Erst unter König Waldemar dem Großen wurde das erste Mauerwerk aufgeführt, das man Danewirke nannte; aber nach seinem Tode verfielen die Befestigungen; sie wurden 1848 restaurirt und 1863 erweitert; aber von den Dänen im Februar 1864, nachdem die Preußen über die Schleie gegangen waren, ohne Kampf aufgegeben. Jetzt sind diese alten Befestigungen geschleift. Der Uebers. und gab mir Erklärungen über die dortige Situation. Der mächtige Erdwall der Königin Thyra schien sich wieder erhoben zu haben; eine ganze Barackenstadt stand noch dort. Die Häuser der Offiziere prangten mit Fenstern, und in einem dieser hatten die Soldaten ihre Wachtstube.

Den Abend verbrachte ich bei Helgesen. Er war freundlich und geradezu und erinnerte in seinem Wesen an Thorwaldsen. Er sprach sich sehr freundlich über eins meiner Märchen, das ihn sehr interessirt habe, aus, und es ist dies ganz charakteristisch, denn es war gerade das Märchen: » Der standhafte ZinnsoldatSiehe Band II. Seite 254. Der Uebers. Beim Kronenwerk vor Rendsburg standen dänische Soldaten. Ich winkte ihnen zu, und die ehrlichen Leute begriffen sofort, daß ich ein Däne sei, denn sie lächelten und nickten mir wieder zu. Aber die Fahrt durch Rendsburg war mir unheimlich; es war mir, als führe ich durch eine Todtengruft, denn hier hatte die Empörung ihren Kern gehabt. Alle düsteren Erinnerungen kehrten in meine Gedanken zurück. Die Stadt selbst ist mir stets unheimlich erschienen, jetzt war es ein schmerzliches, unheimliches Gefühl für jeden Dänen, hierher zu kommen. Auf der Eisenbahn erhielt ich einen Platz bei einem alten Herrn, der mich für einen Oesterreicher hielt und die, welche er meine Landsleute nannte, sehr lobte, und dann feindlich gesinnt von den Dänen sprach. Als ich ihm erklärte, daß ich ein Däne, sei, war unser Gespräch zu Ende.

Uebelwollende Blicke glaubte ich überall zu sehen. Ich athmete erst freier, als ganz Holstein und Hamburg hinter mir lagen.

Auf der hannöverschen Eisenbahn in dem Wagen dicht an dem meinen ertönten dänische Lieder, dänische Mädchenstimmen, und ein Blumenbouquet flog zu mir herein. Allein dieses Bouquet bestand nur in Worten; dänische Worte umtönten mich, also jenseits der Elbe und mit dänischen Worten flog ich nach Deutschland hinein.

In Leipzig und Dresden sah ich erst Bekannte und Freunde wieder, die gegen mich ebenso freundlich und herzlich waren als früher, und daher war die Begegnung für mich eine Stunde der innigen Freude. Es that meinem Gemüth wohl, daß die schwere, blutige Zwischenzeit zurückgelegt war. Fast Alle erkannten auf hübsche Weise die Kraft und das Zusammenhalten des dänischen Volkes während des Krieges an und Viele sprachen sich auch dahin aus. Ich hatte keine Ursache, mich zu beklagen; ich sah und vernahm überall Freundschaft und herzliche Stimmung, ja selbst die Poesie des Zufalls, wenn ich dieses Wort wiederholen darf, gab Veranlassung zu einer Dichtung zur Ehre der Dänen. Ich muß diese kleine Begebenheit erzählen.

In dem schönen Maxen, einige Meilen von Dresden, bei der gastfreundlichen Familie von Serre, deren ich früher gedacht habe, war ich seit sieben Jahren nicht gewesen. Gerade damals, bevor ich abreiste, fand ich auf einer Spaziertour mit der Gattin des Gutsbesitzers einen kleinen Lerchenbaum, nicht größer, als daß ich denselben in die Tasche stecken konnte. Er lag hingeworfen auf dem Wege, ich nahm ihn auf, – er war gebrochen. – »Der arme Baum,« sagte ich, »darf nicht sterben!« Und nun suchte ich rund umher auf dem felsigen Grunde in einer Kluft mir ein Fleckchen Erde, in die ich den Baum pflanzen konnte. »Man sagt, ich habe eine glückliche Hand,« bemerkte ich; »vielleicht gedeiht dieses Bäumchen doch noch.« Ganz vorn an einem Felsenabhang fand ich ein wenig Erde in einer Steinritze. Dort steckte ich das Bäumchen hinein, entfernte mich und vergaß diese kleine Begebenheit.

»Ihr Baum in Maxen wächst ganz vortrefflich!« erzählte mir der Maler Dahl Siehe den vorigen Band Seite 323. Der Uebers. einige Jahre später in Kopenhagen, als er gerade von Dresden kam. In Maxen hörte ich wieder von dem Baume sprechen, den man » den Baum des dänischen Dichters« genannt, und der nun seit Jahren diese Inschrift getragen hatte.

Der Baum hatte Wurzel geschlagen, Zweige geschossen und war emporgewachsen, denn er wurde sorgfältig gepflegt. Frau Serre hatte rund um denselben Erde legen und später ein Stück Felsen absprengen lassen, und in der letzten Zeit hatte man dicht an demselben vorüber einen Weg angelegt. Vor dem Baum stand die Inschrift: » Der Baum des dänischen Dichters.« Während des Krieges mit Dänemark war derselbe unbelästigt geblieben. Er würde von selbst ausgehen, sagte man, denn nie würde etwas aus dem Baume werden, weil eine mächtige Birke dicht daneben wuchs und ihre großen Zweige über den Lerchenbaum ausbreitete, der dadurch in seinem Wachsthum gehemmt und verkommen werde. – Aber eines Tages während des Krieges zog ein Gewitter herauf. Der Blitz schlug ein, zerschmetterte die Birke, die vom Felsenabhang hinunterrollte und – » der Baum des dänischen Dichters« stand frei und unversehrt!

Ich kam nach Maxen, sah den üppig wachsenden Baum und dicht daneben den Stubben der vom Blitz getroffenen Birke. Eine neue Tafel prangte mit der erwähnten Inschrift, und da gerade der Geburtstag des Majors v. Serre war, fand sich Alles, was Intelligenz hieß, von Dresden hier ein und die Arbeiter aus den Marmorbrüchen und von den Kalköfen des Gutes schmückten den Platz mit Blumen und ließen zur Verherrlichung des Tages Gesänge ertönen.

Auf jeder meiner Reisen habe ich das Glück gehabt, etwas Besonderes zu erleben oder etwas Interessantem zu begegnen, und dies war auch der Fall auf der Eisenbahn zwischen Leipzig und Dresden. Es saß nämlich in demselben Wagen, in dem ich mich befand, eine Dame mit einem großen Eßkober auf dein Schooß. Neben ihr saß ein zwölfjähriger Knabe, Henry, der, müde durch das tagelange Reisen, sehnsuchtsvoll nach den Thürmen Dresdens ausschaute. Mein vis-à-vis war eine junge, lebhafte Dame, die sich dreist über Kunst, Literatur und Musik aussprach, über die sie ziemlich gut Bescheid zu wissen schien. Sie war mehre Jahre in England gewesen. Sie kamen alle von Breda in Holland. – Während auf einer Station der Zug hielt, war ich mit zwei anderen Reisenden auf den Perron getreten. Wir gaben uns Mühe, zu errathen, wer diese Dame wol sein könne. Ich hielt sie Anfangs für eine Schauspielerin; ein anderer Herr meinte, sie sei Gouvernante in einer sehr vornehmen englischen Familie. Während der Fahrt stieß mich die ältere Dame an und flüsterte mir leise zu: »Das ist eine merkwürdige Person!« – »Wer ist sie?« fragte ich schnell. – »Demoiselle –!« Plötzlich hielt sie inne, denn die junge Dame, die sich aus dem Wagen hinausgelehnt hatte, sprach wieder zu uns. Meine Neugierde war stark erregt. » Antoinette!« rief ihr der Bruder zu, »da haben wir endlich Dresden! – Antoinette!« – Als wir aus dem Wagen stiegen, flüsterte ich der Alten zu: »Wer ist denn die junge Dame?« Und geheimnißvoll raunte sie mir in dem Augenblick der Trennung in's Ohr: »Demoiselle Bourbon!« – »Und wer ist Antoinette Bourbon?« fragte ich in Dresden. Man erzählte mir dann, sie sei die Tochter des bekannten Uhrmachers in Genf, der sich für den Sohn des unglücklichen Dauphin Ludwig's XVI. und Marie Antoinettens ausgab, daß die Kinder längere Zeit in England gelebt und sich in Breda aufgehalten hätten, hin und wieder aber incognito nach Dresden zurückkehrten. Eine alte französische Dame, welche sich überzeugt fühlte, daß es wirklich die Kinder des Dauphins seien, lebt mit ihnen und für sie. Das erzählte man mir, und ich muß gestehen, daß Antoinettens Gesicht königlich keck war; man konnte sie wirklich für eine Tochter des Dauphin halten oder wenigstens für die eines Mannes, der die Gesichtszüge der Bourbonen besessen hatte. Es traten seiner Zeit mehrere Prätendenten als Söhne des Dauphins Ludwigs XVI. auf, die alle als Betrüger demaskirt wurden. Der merkwürdigste war der Uhrmacher Karl Wilhelm Naundorf, der 1785 in der Niederlausitz geboren wurde, aber den Bourbonen sehr ähnlich gewesen sein soll. Er ging 1833 nach Paris, um seine Ansprüche geltend zu machen, wurde jedoch von den Gerichten abgewiesen, fand aber bei dem reichen Adel um so mehr Anklang, als die Erzieherin des Dauphins ihn anerkannte. Er führte ein sehr abenteuerliches Leben, nannte sich bald Herzog der Normandie, bald Graf Naundorf, und starb in Holland um 1844. Seine Kinder lebten lange bei Dresden, von denen der Sohn, von dem hier die Rede ist, in den 60ger Jahren in Holland gestorben sein soll. Der Uebers.

Wie ich wußte, war es zu dieser Zeit leer in Weimar. Alle Freunde waren zerstreut, und deshalb beschloß ich, den Besuch hier und eine Erweiterung der Reise bis zum nächsten Jahr zu verschieben.

Als ich im Herbst von meiner Reise nach Kopenhagen zurückkehrte, erhielt ich am 6. October 1851, am Geburtstage König Fredrik's VII., den Titel Professor.

Beim Herannahen des Frühling, sobald der Wald sproßte, rüstete ich mich, um meine Reise vom vorigen Jahre fortzusetzen, und nunmehr ging ich nach dem lieben Weimar. Die Freunde dort begrüßten mich wieder so treu und innig, wie ehedem, der Empfang war so herzlich wie immer von dem Großherzoglichen Hause an bis zu den vielen Freunden und Bekannten in der Stadt. Beaulieu de Marconnay war während der Zeit, die wir uns nicht gesehen hatten, Hofmarschall, Theaterintendant und Ehemann geworden. Er hatte ein glückliches Heim, wo ich wie in alten Tagen als Freund aufgenommen wurde, ja, ich könnte fast sagen, als Bruder. Ein paar liebliche Kinder spielten bereits im Zimmer und streckten mir ihre kleinen Händchen entgegen. Die Hausfrau selbst waltete als guter, beschützender Geist im Hause, wo Glück und Segen wohnten.

Was mich übrigens während dieses meines Besuchs in Weimar im höchsten Grade interessirte, war das Zusammenleben mit Lißt, Siehe den vor. Band Seite 247. Der Uebers. der, wie bekannt, damals als Kapellmeister hier angestellt war und auf das musikalische Element des Theaters großen Einfluß ausübte. Die Aufgabe, die er sich ganz besonders gestellt hatte, war dramatische Compositionen von Bedeutung zur Darstellung zu bringen, die sonst vielleicht schwer genug auf das deutsche Theater gelangt wären. Weimar hat auf diese Weise zur Aufführung gebracht: Berlioz' »Benvenuto CelliniDer Componist Hector Berlioz, geboren den 11. Decbr. 1803 im Departement Isère, gest. in Paris den 9. Marz 1869, war ursprünglich Mediziner. Er trat zuerst 1832 als Componist auf und machte 1843 eine Reise nach Belgien und Deutschland und blieb, mit Lißt eng befreundet, lange Zeit in Deutschland. Er kehrte dann nach Paris zurück, wo er 1850 Leiter der philharmonischen Gesellschaft und 1856 Mitglied der Academie der Künste wurde. Er zeichnete sich später durch seine musikalischen Kritiken aus. Außer der von Andersen erwähnten Oper, die er 1838 veröffentlichte, hat er andere Opern, Symphonien, Ouvertüren componirt. – Benvenuto Cellini war ein berühmter Bildhauer und Erzgießer, und lebte von 1500-1571 theils in Florenz und theils in Rom. Er starb in Florenz, seiner Vaterstadt. Der Uebers. der durch die Hauptpersonen für die Weimeraner wegen Göthe's »Benvenuto« ein eigenes Interesse haben mußte. Es war indessen Wagner's Der bekannte Componist Richard Wagner ist am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren und war Weinlig's Schüler. Er wurde 1834 als Kapellmeister in Magdeburg am Theater angestellt, ging dann in gleicher Eigenschaft nach Königsberg und 1839 nach Paris, wo er seine Oper »Rienzi« vollendete und die Oper »Der fliegende Holländer« componirte. Er kam 1843 nach Dresden, wo der »Tannhäuser« (1845) zur ersten Aufführung gelangte. Da er sich 1849 an dem Dresdener Aufstande betheiligte, entfloh er nach der Schweiz, wo er bis 1858 blieb; er ging dann nach Italien und Frankreich und kam, nachdem er 1862 amnestirt worden war, nach Dresden, lebte dann in Petersburg, Wien, München und wieder in der Schweiz. 1872 ging er nach Baireuth, um dort seine Nibelungen-Trilogie zur Aufführung zu bringen, ein Unternehmen, das ihm 1876 durchzuführen gelang, aber viel Staub zwischen seinen musikalischen Freunden und Feinden aufwirbelte, zu denen meist die Anhänger Meyerbeer's und Mendelsohn's, vornehmlich aber die Israeliten gehörten, die er in seiner Broschüre »Das Judenthum in der Musik« (1869) herausgefordert hatte. Abgesehen von seiner unleugbar großen musikalischen Begabung, die ich nicht zu beurtheilen vermag, ist er mit einem Größenwahn begabt, der fast an's Unglaubliche grenzt. Als Beispiel führe ich nur Folgendes an: Wagner hatte während seines Aufenthalts in Petersburg den großartigen Wasserfall » Imatra« in Finnland besucht, der jetzt in einem Tage von Petersburg aus zu erreichen ist. Der Anblick der mächtigen Wassermassen des Imatra – nach angestellten Berechnungen 67 Millionen Kubikfuß Wasser in der Stunde –, welche selbst die Felsen durchbrochen haben und jedes Gemüth, das für großartige Naturspiele empfänglich ist, tief ergreifen, hatte es nicht vermocht, eine unbedeutende Rinne in der Eigenliebe Richard Wagner's zu öffnen. Er hat nämlich mit Bleistift – neben anderen Kiselaks – sich in dem dortigen Pavillon durch folgende Zeilen zu verewigen gesucht: » Je pars pour l'Allemagne. Adieu, charmant pays! Adieu Russes bien aimés, noble et intelligente nation! Vous seuls avez su apprécier ma musique divine; vous seuls avez applaudi mes créations sublimes, pendant que Paris, ce centre de l'ignorance, les sifflait! … Pour vous recompenser, chers Sarmathes mélomanes, je jure devant ce torrent, de composer un opéra, dont le héros principal sera l'Imatra; les autres rôles seront remplis par les rochers, les sapins, les poissons, etc … Peut-être trouverai-je utile de mettre aussi en scêne un homme – mais ce point n'est pas encore décidé. Richard Wagner.« – So steht es in den »Abo-Nachrichten für 1865« zu lesen. – Nicht einmal am Imatra vermochte er seine verletzte Eitelkeit zu vergessen, und eine der großartigsten Naturscenerien erschien ihm als ein Opernlibretto, geeignet, ihm als Unterlage seiner eigenen »großartigen Schöpfungen«, zu einer Oper zu dienen, die er schwört, als Belohnung für den Beifall, der ihm in Petersburg zutheil geworden ist, zu componiren. – Eine Oper, die auf solchen Motiven beruhend entsteht, muß in der That eine »göttliche Musik« enthalten. Der Uebers. Musik, welche Lißt im höchsten Grade ansprach, und für deren Verbreitung und Anerkennung wirkte er mit allen Kräften, theils dadurch, daß er sie auf die Bühne brachte, theils durch das geschriebene Wort. Er hat in französischer Sprache ein ganzes Buch über die beiden Compositionen » Tannhäuser« und » Lohengrin« geschrieben. Erstere hat schon durch ihren Inhalt Bedeutung für Weimar, weil sie sich an eine Reihe Thüringer Sagen anschließt und die Handlung in und auf der Wartburg Siehe Seite 317 des vor. Bandes. Der Uebers. spielt. Wagner wird als der bedeutendste Componist unserer Zeit bezeichnet, eine Bezeichnung, die ich mit meinem hausbackenen, natürlichen Gefühl nicht anerkennen kann, weil, wie mir scheint, seine ganze Musik mit dem Verstand componirt ist. Ich muß im Tannhäuser die ausgezeichneten, woldeclamirten Recitative bewundern, z. B. wo Tannhäuser von Rom zurückkehrt und seine Pilgrimsfahrt erzählt. Das ist hinreißend! Ich erkenne das Großartige, das Malende in der ganzen Tondichtung, aber für mich fehlt hier die Blume der Musik: Die Melodie. Wagner hat selbst die Texte zu seinen Opern geschrieben, und als Dichter in dieser Beziehung nimmt er einen hohen Rang ein. Es finden sich in denselben Abwechselung, Situationen, und die Musik, als ich sie zum ersten Mal hörte, war gleich einem großen See der Töne, welcher über mich dahin rollte, mich geistig und körperlich ergriff! Als spät am Abend, nach der Vorstellung des » Lohengrin« Lißt, noch ganz Feuer und Flamme in meine Loge trat, saß ich dort auf's Höchste ermüdet.

»Was sagen Sie jetzt?« fragte Lißt, und ich antwortete: »Ich bin halb todt!« – Lohengrin schien mir ein wundervoll sausender Baum ohne Blume und Frucht. Man mißverstehe mich nicht, denn mein Urtheil über Musik ist außerdem von geringer Bedeutung; aber ich verlange von dieser Kunst wie von der Poesie die drei Elemente: Verstand, Phantasie und Gefühl, und dieses letztere muß sich in Melodien offenbaren! Ich erblicke in Wagner einen denkenden Componisten der Gegenwart, groß durch Verstand und Wollen, einen mächtigen Niederreißer von verwerflichem Alten, aber ich entbehre bei ihm das Göttliche, das wir bei Mozart und Beethoven Der berühmte Componist Wolfgang Amadeus Mozart, geboren den 27. Januar 1756 in Salzburg, gestorben den 5. December 1791 in Wien, machte schon als 6 jähriger Knabe Kunstreisen in Deutschland, Frankreich und England als Clavier- und Violinvirtuose. Er schuf sich aber seinen unsterblichen Namen durch seine eigenartigen Compositionen, unter denen heute noch seine Symphonien und Opern in der ganzen musikalischen Welt beliebt und unübertroffen sind. – Seine Paterstadt hat ihm ein Denkmal gesetzt und außerdem ein Mozart-Museum errichtet, das Alles birgt, was an ihn erinnert. Er ist neben Haydn der Schöpfer der deutschen National-Musik. – Der berühmteste Componist unseres Jahrhunderts Ludwig van Beethoven, geboren in Bonn den 17. Decbr. 1770, gestorben den 26. Marz 1827 in Mödling bei Wien, machte schon als Jüngling Aufsehen durch seine Compositionen. Er kam 1792 nach Wien, um unter Haydn's und Schenk's Leitung weiter Musik zu studiren. Er lebte fortdauernd in oder bei Wien und in den letzten 20 Jahren seines Lebens, während welcher er an Taubheit litt, sehr zurückgezogen, nur seinen Compositionen lebend, die die Zahl von ca. 150 erreichten, darunter Messen, Oratorien, Symphonien etc. Seine Vaterstadt, wie Wien haben ihm Denkmäler gesetzt. Der Uebers. bewundern. Eine große, talentvolle Partei, wie Lißt und Andere spricht für ihn, die Menge schließt sich an vielen Orten dieser an. Ich glaube, in Leipzig hat Wagner eine solche Anerkennung jetzt erreicht, früher war es nicht der Fall, denn vor vielen Jahren, als ich mich eines Abends im »Gewandhause« Namen des Gebäudes, in dessen Saal seit vielen Jahren die berühmten Concerte der musikalischen Gesellschaft in Leipzig stattfinden. Das Gebäude diente früher als Kaufhaus, daher der Name. Der Uebers. befand, spielte man nach mehren Nummern verschiedener Componisten, die stark applaudirt wurden, die Ouvertüre zum »Tannhäuser«; es war das erste Mal, daß ich sie hörte, das erste Mal, daß ich den Namen Wagner vernahm. Das Malende in dieser Tondichtung ergriff mich und ich brach in Beifall aus – aber ich war fast der Einzige; man blickte von allen Seiten auf mich; man zischte, allein ich blieb meinem Eindruck, den ich von der Musik erlangt hatte, treu, applaudirte noch einmal und rief »Bravo!« Aber in meiner Seele fühlte ich eine Verlegenheit, das Blut schoß mir in die Wangen. Jetzt dagegen applaudirten dort Alle Wagner's »Tannhäuser«. Ich erzählte dies Lißt, und er und seine ganze musikalische Umgebung belohnte mich mit einem »Bravo«, weil ich meinem richtigen Gefühl gefolgt war.

Von Weimar ging die Reise nach Nürnberg. Der electromagnetische Draht ist längs der Bahn geführt! – Mein Herz schlägt mit starken Schlägen bei der Ehre meines Vaterlandes, und das fühlte ich hier auf dieser Eisenbahnfahrt. Es saß in demselben Wagen mit mir ein Vater mit seinem Sohn. Der Vater zeigte auf den elektrischen Draht und sagte: »Das ist eine Erfindung eines Dänen, Namens OerstedH. C. Oersted ist bekanntlich der Erfinder des Electro-Magnetismus, aber nicht des elektrischen Telegraphen. Der Uebers. Ich fühlte mich glücklich, einer Nation anzugehören, in der er geboren ist.

Nürnberg lag vor uns. Ich habe in einer meiner Geschichten » Unter dem Weidenbaum« Siehe die »Märchen« Band III. Seite 351. Der Uebers. eine Beschreibung der alten prächtigen Stadt zu geben versucht, wie auch die Reise durch die Schweiz und über die Alpen mir den Hintergrund zu dieser Dichtung geliehen hat.

München hatte ich seit 1840 nicht wieder besucht, und da stand es, so schrieb ich im » Bazar«, gleich einem Rosenstock, von dem jährlich neue Zweige ausschießen, aber wo jeder Zweig eine Straße ist, jedes Blatt ein Palais, eine Kirche oder ein Monument. Jetzt war der Rosenstock zu einem mächtigen Baum geworden, voll ausgesprungen, und eine Blume nannte man Basilika, eine andere Bavaria Die prachtvolle Kirche, in Form einer Basilika – nach dem Muster der alten griechischen Königshallen und ersten christlichen Kirchen – erbaut, ist während der Jahre 1835-40 unter König Ludwig I. aufgeführt worden. – Die Bavaria ist eine 18 Meter hohe mächtige Erzfigur, von Schwanthaler modellirt, die ihren Platz vor der an der Theresienwiese – wo die Münchener Octoberfeste stattfinden – 1843-53 errichteten Ruhmeshalle gefunden hat. Der Uebers.. So mußte ich mich wieder aussprechen, als König Ludwig König Ludwig I. von Baiern, geboren den 25. August 1786 in Straßburg, gestorben den 29. Februar 1868 in Nizza, bestieg 1825 den Thron. Er war ein hochherziger Förderer der Künste und Wissenschaften und verschönerte München durch eine große Zahl von Prachtbauten. Er selbst Pflegte die Dichtkunst. Durch die revolutionäre Strömung zu Anfang des Jahres 1848 sah er sich veranlaßt, die Regierung niederzulegen und lebte dann als Privatmann. Der Uebers. mich über den neuen Eindruck von München befragte. »Dänemark hat einen großen Künstler und ich einen Freund verloren!« sagte er, und unser Gespräch drehte sich um Thorwaldsen.

München ist für mich Deutschlands interessanteste Stadt, und König Ludwig ist es ganz besonders, der durch seinen Kunstsinn und seine unermüdliche Wirksamkeit dies hervorgerufen hat. Auch das Theater befindet sich in Blüthe; es besitzt einen der tüchtigsten Theaterintendanten Deutschlands, den Dichter Dr. Dingelstedt Franz von Dingelstedt, geboren den 30. Juni 1814 bei Marburg, war ursprünglich Lehrer am Gymnasium in Fulda, kam 1843 nach Stuttgart, wo er Lektor beim König wurde. Er ging 1850 nach München und leitete dort das Hoftheater als Intendant. Er wurde vom Könige Maximilian von Baiern in den Adelstand erhoben. 1857 übernahm er in Weimar die Generalintendantur des Hoftheaters und der Hofkapelle und wurde 1867 Director der kaiserlichen Oper in Wien und 1871 des Burgtheaters, in welcher Eigenschaft er heute noch segensreich wirkt. Als Dichter hat er viel geleistet, namentlich sich durch die Bearbeitung der Shakespeare'schen Tragödien sehr verdient gemacht. Außerdem schrieb er Lieder, Novellen und Romane. Der Uebers.. Jährlich macht er Reisen nach den bedeutendsten deutschen Theatern, um die sich dort entwickelnden Talente kennen zu lernen; ebenso besucht er Paris, kennt das Repertoire und die Forderungen des Theaters und des Publikums, und das königliche Theater in München wird bald unter seiner Leitung ein Musterrepertoire besitzen; Für die »Inscenirung« eines Stückes verwendet man eine Aufmerksamkeit, die bei uns zu Hause ganz unbekannt ist, wo man z. B. zur »Regimentstochter«, deren Handlung in Tyrol vor sich geht, Coulissen mit Palmen und Cacteen benutzt; man läßt »Norma« in einem Akt in Socrates' griechischem Zimmer vorgehen und in dem zweiten Akt in Robinson's Palmenhütte; man bietet uns Tagescoulissen, wo die Sonne hineinscheint, während wir im Hintergrund einen offenen Altan und den tiefblauen Sternenhimmel sehen! – Alles ohne Nachdenken oder Aufmerksamkeit. Aber wer bemerkt so Etwas bei uns, wer bekümmert sich darum? sagt man, und kein Journal macht dies zum Vorwurf! – Münchens Repertoire hat eine große Abwechselung; hier besitzt man Eifer, um die bedeutendsten Arbeiten der verschiedenen Nationen kennen zu lernen und mit den bekanntesten Verfassern setzt der Intendant sich in Verbindung. Ein ehrender Brief, den ich von Dr. Dingelstedt erhielt, brachte uns in Briefwechsel. Er wünschte nämlich Nachrichten über das dänische Theaterrepertoire mit Rücksicht auf Originalstücke, besprach in demselben Brief die Bekanntschaft des jetzt regierenden Bayerischen Königs König Maximilian II. von Baiern, Ludwig's I. Sohn, ist geboren den 28. November 1811 in München, wo er am 10. März 1864 starb. Er bestieg am 21. März 1848, als sein Vater der Regierung entsagte, den Thron. Er war gleich diesem ein Beschützer der Künste und Wissenschaften, wie er auch Dichter und Gelehrte um sich versammelte. Auch er that viel zur Verschönerung Münchens und stiftete einen Verdienstorden für Kunst und Wissenschaft, den Maximilian-Orden. Der Uebers. mit meinen Schriften und sein gnädiges Interesse für mich. Der Intendant Dingelstedt war daher derjenige, den ich zuerst in München besuchte. Er gab mir augenblicklich eine der ersten Logen im Theater, die während meines ganzen Aufenthalts für mich und meine Reisebegleitung zur Verfügung stand. Er benachrichtigte König Max von meiner Ankunft, und am Tage darauf erhielt ich eine Einladung zur Tafel auf dem Jagdschloß Starnberg, wo der König sich damals aufhielt. Der Geheime Legationsrath v. Dönniges Wilhelm v. Dönniges, geboren 1814 in der Nähe von Stettin, gestorben den 4. Januar 1872 in Rom, war anfangs Professor der Berliner Universität. Er wurde 1842 beim Kronprinzen Max von Baiern zum Gouverneur ernannt und 1851 Legationsrath. Er blieb dann der Diplomatie treu und kam 1855 nach Turin, 1862 nach der Schweiz, wo er bis 1865 als Geschäftsträger verblieb. 1860 wurde er von König Max geadelt. Der Uebers. holte mich ab. Wir flogen mit der Eisenbahn dahin und trafen kurz vor der Tafel in dem kleinen Schlosse ein, das herrlich an dem See gleichen Namens, welcher von den Alpen begrenzt wird, gelegen ist. König Max ist ein junger, höchst liebenswürdiger Mann; ich wurde von ihm auf das Allergnädigste und Freundlichste empfangen. Er sagte mir, daß meine Schriften, namentlich » der Improvisator«, » der Bazar«, » die kleine Meerjungfrau« und » der Garten des Paradieses« Siehe die »Märchen« Band III Seite 427 und 477. Der Uebers. einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht hätten. Er sprach von anderen dänischen Verfassern; er kannte Oehlenschläger's und H. C. Oersted's Schriften und schätzte das geistig frische Leben in Kunst und Wissenschaft, das sich in meinem Vaterlande bewegte, sehr hoch. Durch v. Dönniges, der Norwegen und die Insel Seeland bereist hatte, waren ihm die Pracht des Sundes und die Schönheit unserer Buchenwälder bekannt, ebenso kannte er den Schatz, den wir vor allen Anderen in dem altnordischen Museum besitzen.

Bei der Tafel beehrte mich der König durch einen Toast auf meine Musa, und als wir uns erhoben, lud er mich zu einer Segelfahrt auf dem schönen See ein. Es war graues Wetter. Die Wolken jagten dahin. Am See lag ein großes, geschlossenes Boot, zierliche Ruderer präsentirten mit den Rudern, als wir kamen, und bald glitten wir über das Wasser dahin. Ich las am Bord das Märchen » das häßliche junge Entelein« Siehe die »Märchen« Bd. III. S. 494. Der Uebers. vor, und unter lebhaftem Gespräch über Poesie und Natur kamen wir nach einer Insel, wo gerade auf Befehl des Königs eine hübsche Villa gebaut wurde; daneben hatte man einen großen Hügel durchgraben, den man für ein Hünengrab hielt, wie die bei uns im Norden; hier hatte man Knochen und ein Messer aus Flintenstein gefunden. Das Gefolge hielt sich etwas zurück. Der König lud mich ein, Platz neben ihm auf einer Bank dicht am See zu nehmen. Er sprach über meine Dichtungen, über Alles, was Gott mir verliehen hatte, sprach davon, wie wunderbar verschieden das Loos der Menschen hier auf Erden sei, und von dem Trost, welcher in dem Glauben an Gott liege. In der Nähe, wo wir saßen, stand ein großer blühender Fliederbaum, und dieser gab Veranlassung, der dänischen Dryade, welche sich in meinem Märchen » Fliedermutter« Siehe Bd. III. S. 171. Der Uebers. offenbarte, Erwähnung zu thun. Ich sprach von meiner letzten Dichtung, der dramatischen Benutzung desselben Wesens, und als wir an dem Baum vorüberschritten, bat ich um die Erlaubniß, eine seiner Blüten als Erinnerung an diese Stunde pflücken zu dürfen. Der König brach selbst eine Blüte ab und reichte sie mir. Ich bewahre sie zwischen lieben Erinnerungen und erzähle hier von diesem Abend.

»Wenn doch die Sonne schiene!« sagte der König; »Sie würden dann sehen, wie schön die Berge auch hier flammen können!«

»Ich pflege stets Glück zu haben!« brach ich aus. »Sie wird gewiß vor ihrem Untergang noch scheinen!« Und wenige Augenblicke darauf brach wirklich die Sonne hervor. Die Alpen glänzten im herrlichsten Rosenroth. Als wir später zurückfuhren, las ich auf dem See die » Geschichte einer Mutter«, » der Flachs« und » die Stopfnadel« Siehe Bd. III. S. 506, 37 und 284. Der Uebers. vor.

Es war ein herrlicher Abend, die Wasserfläche spiegelblank, die Berge erschienen ganz blau, die Schneespitzen glühten. Das Ganze glich einem Märchen.

Um Mitternacht erreichte ich München. Die »Augsburger Allgemeine Zeitung« besprach diesen Ausflug unter dem Titel: » König Max und der dänische Dichter« auf sehr hübsche Weise.

Von München ging ich nach der Schweiz, nach dem Comersee und nach Mailand. Diese Stadt war noch immer im Belagerungszustande. Als ich von dort wieder abreisen wollte, konnte man auf der »Polizei« meinen Paß nicht finden. Ich wurde vorgeladen, und eine solche Begebenheit war hinlänglich, um mir meine ganze Reise zu verderben. Ein offenes Schreiben von dem österreichischen Gesandten in Kopenhagen, der mich an alle Civil- und Militärbeamten empfahl, kam mir jetzt zu Nutze. Man war sehr zuvorkommend gegen mich, aber mein Paß war nicht zu finden. Endlich brachte man all' die eingegangenen Pässe, und ich entdeckte wirklich den meinigen; ein Gensdarm hatte ein Versehen begangen. Alles wurde natürlich wieder geordnet, aber, wie gewöhnlich, sollte ich vor allen Anderen stets Plage mit meinem Passe haben, den ich auf der Reise bis zum Komischen hütete.

Die Rückreise ging über den St. Gotthard und den Vierwaldstädtersee, an dessen herrlicher Umgebung ich einige Tage verweilte. Bei Schaffhausen sagte ich der Schweiz Lebewohl und ging durch das Heim der Auerbach'schen » Dorfgeschichten«, den romantischen » Schwarzwald«. Schwarze Kohlenmeiler sandten hier ihren bläulichen Rauch empor; schöne Menschen sah ich; der Bergweg, » die Hölle« war eine wahre Alpenpartie.

Auf einer Eisenbahnstation zwischen Freiburg und Heidelberg war ich Zeuge einer ergreifenden Scene. Eine große Schar Auswanderer nach Amerika, Alt und Jung, stiegen in die Wagen. Ihre Familien und Freunde nahmen Abschied von ihnen. Es herrschte eine Verzweiflung, die durch lautes Weinen und Jammern sich kundgab. Ich sah eine alte Frau sich an einen Wagen anklammern, von dem man sie förmlich losreißen mußte. Der Zug ging ab. Sie warf sich auf die Erde. – Wir aber flogen von diesem Jammer, diesem Hurrahrufen fort. Stets wechselte die Gegend für die, welche von dannen fuhren, aber denen, welche zurückblieben, blieb nur die Sorge, die Trauer, und jedes Ding, das sie an die Fortziehenden erinnerte.

Heidelbergs Schloßruine besuchte ich an einem frischen, warmen Sommertage. Drinnen in den Zimmern und Sälen der Ruine wuchsen Kirschen und Fliederbäume, die Vögel flogen zwitschernd umher. Plötzlich rief eine Stimme meinen Namen. Es war Kestner, der hannoversche Gesandte in Rom, der Sohn von Werther's Lotte. Goethe schrieb »Werther's Leiden« im Jahre 1774. Der Uebers. Er befand sich besuchsweise in Deutschland. Es war leider das letzte Mal, daß wir uns begegneten, denn er starb im Jahre darauf.

Am Ende des Julimonats befand ich mich wieder in Kopenhagen. Die Königin-Wittwe Caroline Amalie beehrte mich mit einer Einladung nach dem Schlosse Sorgenfri Der Wittwensitz der Königin, 1½ Meilen von Kopenhagen, in reizender Gegend gelegen. Der Uebers.. Ich verbrachte hier mehrere Tage und wohnte in den Zimmern des verstorbenen Geheimrath Adler Des ehemaligen Kabinetssekretairs des Königs Christian VIII. Der Uebers.. Viele Lebenserinnerungen aus der Kinderzeit gingen während dieser lichten und besseren Tage durch meine Seele, die sich dankbar vor dem liebevollen Gott beugte.

Mit der Gegend rundum, die ich früher nur flüchtig gesehen hatte, wurde ich nunmehr vollkommen bekannt. Ich lernte noch mehr das fromme, herzliche und liebevolle Gemüth der in Sorge geprüften edlen Königin kennen.

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Ich hatte für das Casinotheater die Märchencomödie » Fliedermutter« geschrieben; der Director und alle darin beschäftigten Schauspieler versprachen sich sehr viel von dieser Dichtung. Sie wurde bei der ersten Vorstellung mit großem Beifall aufgenommen, in welchem sich jedoch Zischen bemerkbar machte. Allein dies fand während der letzten Zeit stets bei jeder neuen Arbeit statt. Das » Dagblad« (das Tageblatt) sprach sich freundlich und anerkennend darüber aus, aber » Berlingske Tidende« (die halbofficielle Zeitung) und » Flyveposten« (die fliegende Post), die mich stets so mild beurtheilt hatten, brachen den Stab über diese Arbeit und vermochten keinen Zusammenhang herauszufinden. Ich antwortete Beiden, indem ich ihnen den Inhalt, der eine ganz wol durchdachte Geschichte bildet, erzählte. Dagegen fand ich Anerkennung bei den meisten unserer Dichter. Heiberg und Ingemann schrieben mir in höchst anerkennender Weise Briefe und der Pastor Boye Der Dichter Caspar Johann Boye, geboren den 27. December 1791 in Kongsberg in Norwegen, studirte in Kopenhagen, wo er 1847 Pastor an der Garnisonskirche wurde. Er starb am 6. Juli 1853 als erstes Opfer der damals ausgebrochenen Cholera-Epidemie. Der Uebers. sprach sich sehr warm und innig darüber aus; ich glaube sogar, daß » Fliedermutter« das einzige Stück war, das er jemals im Casino gesehen hatte. Allein die Zeitungskritik im Allgemeinen übte ihre Macht und ließ das Interesse des Volkes erkalten. Ich kam bei dieser Gelegenheit zu der Ueberzeugung, daß die meisten meiner Landsleute keinen großen Geschmack für das Phantastische besitzen; sie wollen nicht zu hoch emporsteigen, sondern auf der Erde bleiben und sich von dürftigen dramatischen Gerichten aus dem gewöhnlichen Kochbuch dürftig ernähren. Director Lange fuhr indessen fort, das Stück zu geben, und nach und nach klärten sich die Ansichten, und schließlich wurde es mit ungetheiltem Beifall aufgenommen.

Auf dem königlichen Theater wurde im Februar 1853 » Der Nix« aufgeführt. Professor Gläser hatte über diese Dichtung eine Fülle von Melodien ergossen, ein nordischer Ton erklang in diesen, und das wurde allgemein anerkannt.

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Pfingsten verließ ich Kopenhagen und begab mich nach Sorö zu Ingemann's in die frische Waldnatur, nach dem Heim, wohin mein Herz schon während meiner Schulzeit in Slagelse mich jeden Sommer hinzog. Alles dort, auch die Herzen waren unverändert geblieben. – Der wandernde Schwan, wie weit er auch fliegen mag, fliegt stets wieder zurück nach der alten, bekannten Stelle am Waldsee, und mir wurde die Natur des Wanderschwans verliehen.

Ingemann ist einer unserer volksthümlichsten Dichter; seine Romane, denen die Kritik sofort beim Erscheinen die Lebensader abschneiden wollte, sind allenthalben verbreitet im Lande und werden viel gelesen. Sie sind bei Hoch und Niedrig in den nordischen Reichen eingedrungen; sie werden vom dänischen Bauern gelesen, der durch dieselben sein Land und seine historischen Erinnerungen lieben lernte. Ein tiefer Akkord klingt hier aus jeder Dichtung und ein Humor aus dem ewig jungen Herzen des Dichters. Es ist ein Glück, eine Natur wie die seinige zu kennen, und es ist ein viel größeres Glück, zu wissen, in ihm einen erprobten, treuen Freund zu haben.

In dem bildergeschmückten Zimmer, hier, wo die Lindenbäume herrlichen Schatten verleihen und der See blank und blau schimmert, wo Alles, was ist, noch fast so ist, wie damals, als ich als Schüler von Slagelse hierher an einem herrlichen Sommertage kam, windet sich jetzt zu einem bunten Kranz eine Dichtung um mich, die Erinnerung an Alles, was ich gesehen und erlebt und gewonnen in der langen Zwischenzeit, das Meiste aus dem Märchen meines Lebens!

Der Frühling begann herrlich in diesem Jahre, begrüßte mich mit grünem Wald und Nachtigallengesang – und nur zu bald war alles dies nur eine leere Herrlichkeit; – schwere, angstvolle Tage harrten unser: die Cholera Die verheerende Cholera-Epidemie, deren A. hier gedenkt, brach Anfangs Juli 1853 in Kopenhagen aus und raffte in wenig Wochen über 4000 Menschen dahin. Der Uebers. brach in Kopenhagen aus. Ich befand mich nicht mehr auf der Insel Seeland, sondern hörte von allen Schrecknissen der Krankheit und Todtenbotschaften. Die erste, die mir zukam, war schmerzlich, denn sie betraf den Dichter Boye. Siehe die Note Seite 195 dieses Bandes. Der Uebers. Während der letzten Jahre war er mir so herzlich und anerkennend entgegengekommen, und ich hatte ihn wahrlich lieb gewonnen.

Einer der weniger schmerzlichen Tage dieser schrecklichen Zeit war gerade ein Tag, der der Freude und der Munterkeit geweiht sein sollte. Ich befand mich auf Glorup, wo Graf Moltke-Huitfeldt gerade seine silberne Hochzeit feierte. Ich war der einzige Fremde, der eingeladen war und das bereits vor Jahr und Tag. Alle Bauern des Gutes waren des Grafen Gäste, ich glaube, es waren hier über 1600 Personen versammelt. Alles war reich und festlich, und Tanz und Heiterkeit herrschten beim Klange der Musik; die Flaggen wehten, die Raketen stiegen hoch gen Himmel empor und – mitten in diesem Jubel erhielt ich einen Brief, daß ein paar meiner Freunde von der schrecklichen Krankheit fortgerissen waren. Der Todesengel ging von Haus zu Haus und am letzten Abende hielt er an meinem Heim der Heimat, an Collin's Hause an. »Wir sind heute Alle ausgezogen!« schrieb man mir; »Gott weiß, was uns in den nächsten Tagen bevorsteht!« Es war mir, als vernähme ich eine Botschaft, daß Alle, an die mein Herz gewachsen war, von mir gerissen werden würden. Ich lag in meiner Kammer in Thränen aufgelöst, während draußen die lustige Tanzmusik und Hurrahrufe erklangen, Raketen die Luft erleuchteten – es war nicht zu ertragen! Täglich kamen neue Trauerbotschaften. Auch in Svendborg brach die Cholera aus. Mein Arzt, meine Freunde, Alle riethen mir auf dem Lande zu bleiben, und in Jütland stand mehr als ein gastfreies Haus mir offen.

Einen großen Theil des Sommers verbrachte ich in Folge dessen bei Michael Drewsen in Silkeborg Ein reicher Fabrikant, der sowol eine große Papierfabrik bei Kopenhagen besaß, als auch eine solche in der kleinen Stadt Silkeborg, die derselben einen ganz ungeahnten Aufschwung gegeben hat.. Eine Schilderung dieser naturschönen Gegend, welche an die Waldfülle des Schwarzwaldes und Schottlands großartige Haideeinsamkeit erinnert, habe ich mit allen ihren Erinnerungen und Sagen in meinen Schriften niedergelegt.

Mitten in dieser herrlichen Natur und in einem gastfreien Heim wanderte ich traurig umher, denn mein Herz war tief betrübt. Ich kam in einen nervösen, leidenden Zustand und litt die Qualen der Ungewißheit. Wenn das Posthorn erklang, lief ich nach dem Posthause, um sofort meine Briefe und Zeitungen zu erlangen, und ich war dem Umsinken während der wenigen Minuten, die ich warten mußte, nahe. Ich fühlte mich gepeinigt, gedrückt, seelenkrank, und sobald daher die Krankheit in Kopenhagen abnahm, daß man vermeinte, ich könne jetzt zurückkehren, eilte ich zu den theuern Menschen, die je wiederzusehen ich nie mehr geglaubt hatte.

Im Frühjahr, kurz bevor die Epidemie ausbrach, war mein braver Verleger, der Kanzleirath C. A. Reitzel Siehe den vor. Band S. 72. Der Uebers. gestorben. Mit wahrer Theilnahme, die in Freundschaft überging, hatten wir uns während meiner Verfasserwirksamkeit an einander angeschlossen. Sein letztes Unternehmen war die Herausgabe einer billigen Ausgabe meiner » Gesammelten Schriften,« wie bereits 7 Jahre vorher in Deutschland eine erschienen war, und mit dieser folgte unter dem Titel: » Das Märchen meines Lebens,« freilich eine Skizze nur, die im Auslande aber mit ungetheiltem Interesse und großer Theilnahme aufgenommen wurde. » Das Magazin der Literatur des Auslandes« 1847, Nr. 30 enthielt eine eingehende, sehr ehrenvolle Anmeldung: »Die Literatur hat in Göthe's Wahrheit und Dichtung, in Rousseau's Bekenntnissen und in Jung Stilling's Leben fast die einzigen Besitzthümer der Art aufzuweisen, aber künftig wird Andersen's neuestes Werk » Das Märchen meines Lebens« unzweifelhaft mit zu denselben gezählt werden.« Aehnliche Auslassungen erhielt ich von England und Amerika, wohin es durch die Uebersetzungen von Mary Howitt und Dr. Spillan gelangte.

Auf diese Weise sollte mir also das Glück zutheil werden, noch jung und frischen Gemüths meine »Gesammelten Schriften« in meiner Muttersprache herauszugeben, ein Wunsch von Bedeutung, indem ich dann das vorhandene Material ordnen und gleichzeitig diesen oder jenen blattlosen Zweig beseitigen konnte. Meine Selbstbiographie sollte dazu das Ganze in das rechte Licht stellen; ich wollte nicht die frühere Skizze, die eben erwähnte kleine Ausgabe des Märchens meines Lebens geben, sondern die ganze frische, volle Erinnerung dessen, was ich lebhaft gefühlt und – gewonnen hatte, eine Art Darstellung des vielen Bedeutungsvollen, mit dem mein Lebensweg mich zusammenführte. Die Eindrücke aus meiner Zeit und meiner ganzen Umgebung, vermeinte ich, müßten, ausgezeichnet für ein kommendes Geschlecht, eine Art zeitgeschichtliches Interesse haben, wie auch eine einfache Darstellung dessen, welchen Prüfungen mich Gott unterworfen und mich glücklich überwinden ließ, manch kämpfendes Talent tröstend stärken würde.

Im Herbst 1853 wurde die Arbeit begonnen, und gerade in diesen Tagen des Monats Oktober waren es 25 Jahre, seit ich Student geworden war. Es ist während der letzten Zeit in meiner Heimat zum Gebrauch erhoben worden, daß alle Jahresstudenten ihr, wenn ich mich so ausdrücken darf, »silbernes Studentenfest« feiern. Das Interessanteste bei dem ganzen Fest war die erste Begegnung in dem Versammlungssaal mit Manchem, dem man schon seit langer Zeit nicht begegnet ist. Einige waren dick und unkenntlich, Andere alt und grauhaarig geworden, aber Jugendsinn leuchtete in diesem Augenblick aus Aller Augen, und diese erste Begegnung war für mich das eigentliche Bouquet. Bei Tisch wurden Reden gehalten und Lieder gesungen. Auch ich hatte einen Gesang dazu geschrieben, der meine ganze Stimmung aussprach.

Ein hübscher, geistreicher Toast wurde hierauf vom Professor Clausen Henrik Nicolai Claussen, geboren den 22. April 1793 in Maribo, gestorben in Kopenhagen den 28. März 1877, besuchte die berühmte Metropolitanschule in Kopenhagen, wurde 1806 Student, 1813 Candidat der Theologie mit vorzüglicher Censur und 1817 Doctor der Philosophie. Er machte dann eine Reise in's Ausland und blieb längere Zeit in Berlin, wo er Schleiermacher hörte, und machte sich dann später in Italien mit dem Katholicismus theoretisch und praktisch bekannt. Heimgekehrt, erhielt er sofort Anstellung als Docent an der Universität und fuhr fort über ein halbes Jahrhundert von dem Katheder des theologischen Auditoriums zu dociren. Professor über 50 Jahre! und dennoch stets sicher in seinen Gedanken, wie in der Form. Obgleich er aus dem Boden der heiligen Schriften stand, so verfocht er die Gedankenfreiheit, aber bekämpfte alle Uebergriffe der sog. speculativen Theologie. Seit 1833 gab er die »Tidsskrift for udenlandsk theologisk Literatur« heraus, welche den Zweck verfolgte, der dänischen Geistlichkeit eine fortlaufende Bekanntschaft mit theol. Literatur des Auslandes, namentlich Deutschlands, zu sichern. Er nahm schon früh Theil an der Politik, war Mitglied der Ständeversammlung in Roeskilde, wie auch deren Präsident. Er trat für die constitutionelle Verfassung und die Preßfreiheit ein, wie er sowol in nationaler als liberaler Beziehung stets an der Spitze der Bewegung stand. Als Christian VIII. 1848 starb, gab er eine Schrift »Beim Thronwechsel« heraus, worin er seine politischen Ansichten niederlegte. Am Schlusse 1848 trat er in das sog. »November-Ministerium« ein und war selbstfolglich Mitglied der verschiedenen Reichstage und des Reichsrath, bis er sich 1865 aus dem politischen Leben zurückzog und nur für seine Wissenschaft lebte. Er war ganz besonders für die Incorporation Schleswigs und für den Anschluß an den übrigen Norden. Der Uebers. für Paludan-Müller Siehe den vor. Band Seite 74. Der Uebers. und mich, die beiden Dichter, welche aus der Zahl der Studenten jenes Jahres sich zu einem hervorragenden, ehrenden Platz in der Literatur erhoben hatten, ausgebracht.

Einige Tage später wurde mir durch ein gedrucktes Circular eine neue Ueberraschung bereitet:

»Unter den Studenten vom Jahre 1828, die am längsten bei dem Feste am 22. Oktober versammelt geblieben waren, wurde der Wunsch laut, gemeinsam dahin zu wirken, eine Erinnerung an das Jahr, das uns vereinigt hatte, durch ein Unternehmen zu bewahren. Nach einiger Ueberlegung kamen wir dahin überein, von dem Gedanken an die »vier großen und zwölf Keinen Poeten« des Jahres auszugehen und ein Legat zu stiften unter dem Namen Andersen-Paludan-Müller-Legat, das mit der Zeit, wenn es durch jährliche Beiträge eine entsprechende Höhe erreicht hat, zur Unterstützung für einen dänischen Dichter, der keine öffentliche Anstellung hat, verwandt werden soll. Die Namen der Unterzeichner waren: Geheimer Legationsrath A. Skrike, Professor M. Hammerich, Professor Fr. Barfod, Conferenzrath L. I. Bruun, Etatsrath F. Liebenberg, Kammerherr C. Rothe und Geheim-Etatsrath I. P. Trap, Cabinetssecretair des Königs. Der Uebers.«

Inwieweit und zu welchem Ziel dieses Legat sich entfalten wird, liegt in der Zukunft. Allein meine Freude, die ich über diesen Gedanken, über diese Anerkennung, die eine Huldigung der dänischen Studenten, der Kameraden aus demselben Jahr, empfand, war groß.

*

Wie ich oft schon erwähnt habe, war das Reiseleben für mich ein erfrischendes Bad für Geist und Körper. In den ersten Wochen des darauf folgenden Jahres verließ ich die Heimat, um in Wien, Triest und Venedig den neuen Frühling in seiner Frische zu genießen. Nur drei, vier Lebensbilder habe ich von diesem Ausflug niedergeschrieben.

Die Kirschbäume blühten in dem lieben sächsischen Heim in Maxen, die Kalköfen dampften, der Königstein, der Lilienstein und alle Berge en miniature erhoben sich und winkten mir zu. Es war wieder, als ob nur eine lange Winternacht dazwischen läge – seit ich hier das letzte Mal stand. Ich glaubte, indem ich mit dem Dampfroß vorübereilte, dieselben Blumen zu sehen, dieselben Wolken und Schatten, dasselbe gastfreie Haus und die theuern Freunde.

Auf den Flügeln des Dampfes ging nun schnell die Fahrt durch die Berge und Thäler. Der Stephansthurm tauchte am Horizont empor. In der Kaiserstadt Wien sollte ich nach Verlauf vieler Jahre mit Jenny Lind-Goldschmidt zusammentreffen. Ihr Gatte, den ich hier zum ersten Mal sah, kam mir herzlich entgegen und ein kleiner, kräftiger Sohn starrte mich mit seinen großen Augen an. Ich hörte sie wieder singen; es war dieselbe Seele, dieselbe Tonquelle! Taubert's Der Kapellmeister und Componist Wilhelm Carl Gottfried Taubert, geboren den 23. März 1811 in Berlin, gestorben im Januar 1879 in Wien, war seit 1842 Dirigent der Oper in Berlin. Er komponirte außer Symphonien, Gesängen und Klavierstücken reizende »Kinderlieder.« Der Uebers. kleines Lied: »Ich muß nun einmal singen, ich weiß nicht warum«, ist gleichsam auf ihren Lippen entstanden. Es war der jubelnde, zwitschernde Vogel, denn so vermag nicht die Nachtigall zu flöten, die Drossel zu trillern. Es gehört eine Kinderseele dazu, eine Gedankenseele; dieses Lied kann nur von Jenny Goldschmidt gesungen werden. Es ist der dramatische Vortrag, das dramatische Wahre, worin ihre Macht, ihre Größe besteht und nur im Concertsaal, in den vorgetragenen Arien und Liedern läßt sie es uns hören, denn sie hat bereits die Bühne verlassen. Es ist das eine Sünde gegen den Geist; das heißt seine Mission aufgeben – aufgeben, was Gott will!

Betrübt und doch erfreut, sonderbar gedankenvoll – flog ich Illyrien zu, dem Lande, wohin Shakespeare so viele seiner unsterblichen Scenen verlegt hat, dem Lande, wo Viola ihr Glück findet.

Es ist ein überraschend herrlicher Anblick bei Sonnenuntergang, wie ich es sah, urplötzlich von dem hohen Felsenrand tief unter sich das rothstrahlende Adriatische Meer zu sehen. Als ich mit dem Wagen dahin fuhr, lag Triest gerade in dieser Abendbeleuchtung noch finsterer da. Die Gaslaternen waren just angezündet worden, und die Straßen strahlten in Feuercontouren. Es war ein herrlicher Anblick wie von einem Luftballon in seinem langsamen Niedersinken; das glänzende Meer, die strahlenden Straßen in wenigen Minuten gesehen, bewahrt die Erinnerung Jahre lang.

Von Triest gelangt man mit dem Dampfschiff in sechs Stunden nach Venedig. »Ein trauerndes Wrack auf dem Wasser,« das war der Eindruck, den Venedig auf mich machte, als ich 1833 zum ersten Mal hierher kam. Diesmal kam ich seekrank hier an, und es war mir, als käme ich gar nicht an's Land, sondern nur von einem kleinen Schiff in ein größeres Fahrzeug, nur mit dem Unterschied, daß die schweigsame Stadt durch die große Eisenbahnbrücke mit dem Festland vereinigt worden ist. – Venedig, im Mondschein gesehen, gewährt einen herrlichen Anblick, ist ein sonderbarer Traum, wol werth geträumt zu werden. Die lautlosen Gondolen gleiten gleich Charon's Böten Charon ist nach der alten Fabellehre der Fährmann, welcher die Todten in der Unterwelt über die Flüsse führen mußte. Der Uebers. zwischen den hohen Palästen, die sich im Wasser wiederspiegeln, dahin. Allein bei hellem Tage ist es hier unschön; die Kanäle bergen schmutziges Wasser, in das sich alle Hausabfälle ergießen; Wasserratten blicken zwischen den Rissen in den Häusern hervor; die Sonne brennt heiß herab zwischen den Mauern.

Froh entfloh ich mit Dampf dem nassen Grabe, hin über den unendlich langen Damm, umgeben von den grünen Wasserstreifen und Sandflächen. Auf dem Festlande hing das Weinlaub in festlichen Guirlanden, die schwarzen Cypressen strebten in die blaue Luft empor. Verona war das Ziel dieses Tages. Hier saßen in dem warmen Sonnenschein auf den Stufen des Amphitheaters Im 3. Jahrhundert n. Chr. erbaut, hat 25,000 Sitz- und 10,000 Stehplätze und einen Umfang von 480 Meter. Der Uebers. einige hundert Menschen, die fast in dem großen Raum verschwanden. Es waren die Zuschauer eines Schauspiels, das aus einem mitten im Circus errichteten Theater mit gemalten Coulissen, gesehen bei italienischem Sonnenschein, aufgeführt wurde. Das Orchester spielte Tanzmusik, und das Ganze machte einen travestirenden Eindruck in den Ueberresten aus dem entschwundenen römischen Alterthum.

Von Scorpionen an Händen und Füßen zerstochen, erreichte ich den Garda-See, das romantische Riva mit seinem üppigen Weinlaubthal. Doch Schmerzen und Fieber von den geschwollenen Wunden der Mückenstiche trieben mich von dannen. Wir fuhren des Nachts im klarsten Mondschein einen wildromantischen Weg, einen der schönsten, die ich je gesehen, ein Naturgemälde, das selbst die Phantasie eines Salvator Rosa Salvator Rosa war ein berühmter italienischer Landschaftsmaler, von dem sich auch einige Hauptwerke im Museum in Berlin befinden. Er ist geboren in Neapel den 20. Juni 1605 und gestorben in Rom den 15. März 1673. Der Uebers. nicht auf die Leinwand würde schaffen können. Es machte auf mich den Eindruck, als sei es ein herrlicher Traum mitten in der Nacht des Schmerzes.

Etwas nach Mitternacht erreichten wir Trient, das die ganze Unheimlichkeit Italiens für den Reisenden darbot. Das Warten am Thor, bis ein Gensdarm langsam herankam und uns die Pässe abforderte, die man in der finstern Nacht fremden Händen anvertrauen muß, mit dem Versprechen, dieselben am nächsten Morgen wiederzuerhalten, ohne Beweis in dem paßstrengen Oesterreich dafür in Händen zu haben! Dann schleppt man sich hin auf den langen, stockfinstern Straßen nach einem palastartigen, aber fast ausgestorbenen Hotel, wo nach langem Klopfen und Lärmen ein schläfriger, halbnackter Cameriere erscheint, der uns die kalte, breite Treppe, durch lange Gänge und viele Corridore in einen großen Saal mit zwei Betten hinaufbrachte, wovon jedes eine ganze Familie mit Kindern beherbergen konnte. Eine schläfrige Lampe stand auf dem bestäubten Marmortisch. Die Thüren ließen sich nicht verschließen, man blickte durch dieselben in einen andern großen Saal, wo ebenfalls große Familienbetten standen. In den Wänden befanden sich Tapetenthüren und heimliche Treppen und rother Wein war auf dem Boden ausgegossen, der bei der schlechten Beleuchtung Bluttropfen ähnlich sah. Das war die Umgebung, das war die Station, wo ich die letzte Nacht in Italien weilen sollte. Die Wunden brannten, das Blut brannte, es war gar nicht an Schlaf und Ruhe zu denken. Endlich brach der Morgen an. Die Glocken der Veturinenpferde erklangen, und wir flogen von Trient und dessen nackten Maulbeerbäumen, deren Blätter abgepflückt und auf den Markt gebracht worden waren, um den Seidenwürmern als Nahrung zu dienen, fort über den Brenner, durch Innsbruck und erreichten München.

Hier fand ich Freunde, Fürsorge und Hilfe. Der Arzt des Königs, der liebenswürdige alte Geheimrath Gietl nahm sich meiner auf das Wärmste und Theilnehmendste an, und nach vierzehn sehr peinvollen Tagen war ich im Stande, einer Königlichen Einladung nach Schloß Hohenschwangau Der Lieblingsaufenthalt auch des jetzigen Königs, in Oberbayern, an den Ausläufern der Alpen prachtvoll gelegen. Es wurde 1832 von der Krone erworben und im ursprünglichen Styl neu erbaut, aber in letzterer Zeit großartig erweitert und verschönert. Der Uebers., wo König Max und seine Gemalin die Sommerzeit verbrachten, entsprechen zu können.

Es ließe sich ein Märchen von dem Elf der Alpenrose dichten, welcher aus seiner Blume hinausfliegt durch Hohenschwangau's bildergeschmückte Säle, wo er noch etwas Schöneres sieht als seine Blume.

Zwischen den Alpen und dem Fluß Lech in einem offenen, üppigen Thal, zwischen zwei klaren dunkelgrünen Seen, von denen der eine etwas höher als der andere gelegen ist, erhebt sich auf einem Marmorberg das Schloß Hohenschwangau. Früher stand hier die Burg Schwanstein; Welfen, Hohenstaufen und Schüren waren einst ihre Herren. Die Thaten derselben leben hier noch in Bildern, die die Wände des Schlosses schmücken. – König Max hat als Kronprinz das Schloß restauriren lassen, und dadurch ist es zu der Prachtwohnung geworden, die sie jetzt ist.

Keins der Schlösser am Rhein ist so schön wie Hohenschwangau und keins hat eine solche Umgebung wie dieses, das ausgedehnte Thal und die schneebedeckten Alpen. Prächtig erhebt sich das hohe gewölbte Thor, wo zwei Rittergestalten Bayerns und Schwangaus Wappenschilder – die Raute und den Schwan – tragen. Im Schloßhof, wo ein Wasserstrahl aus der Mauer hervorspringt und der mit dem al fresco Bild der Madonna geschmückt ist, verbreiten drei mächtige Lindenbäume Schatten, und im Garten, zwischen einer Fülle von Blumen, wo die prächtigsten Rosen im Grünen schwellen, glaubt man Alhambras Löwenbrunnen wiederzufinden. Das eiskalte, frische Wasser erhebt seinen Strahl auf dieser Höhe noch 40 Fuß empor.

Das lebende Wort der Dichtung spricht beim Eingang des Schlosses seinen Gruß aus:

»Willkommen Wanderer, holde Frauen,
Die Sorge gebt dahin!
Laßt Eure Seele sich vertrauen
Der Dichtung heiterem Sinn«

Eine Waffenhalle, wo alte Rüstungen, Helme und Lanzen lebende Rittergestalten darzustellen scheinen, ist der erste Ort, wo man eintritt, und dann öffnet sich eine Reihe reich geschmückter Säle, wo selbst das bunte Glas der Fenster Legenden und Geschichten erzählt, wo jede Wand gleichsam ein ganzes Buch ist, das von verschwundenen Zeiten und Menschen spricht.

» Hohenschwangau ist die schönste Alpenrose, die ich hier in den Bergen sah; möge sie stets die Blume des Glückes sein!«

Diese Worte schrieb ich dort in ein Album, sie sind auch in mein Herz geschrieben.

Hier verbrachte ich einige herrliche, glückliche Tage! König Max empfing mich, ich möchte fast sagen, wie einen lieben Gast. Der edle, geistreiche König erwies mir große Theilnahme und Gnade. Es war ein herrlicher Aufenthalt hier. Der Königin, einer geborenen Prinzessin von Preußen Die Königin-Wittwe Friederike Franziska Auguste Marie Hedwig ist die Tochter des Prinzen Wilhelm von Preußen, eines Onkels des Kaisers Wilhelm; sie ist geboren den 15. Octbr. 1825, vermählt seit 1842, Wittwe seit 10. März 1864. Der Uebers., von seltener Schönheit und liebenswürdiger Weiblichkeit, wurde ich vom Könige selbst vorgestellt. Am ersten Tage fuhr ich nach der Tafel mit dem Könige in einem kleinen offenen Wagen eine wunderbar herrliche Tour, gewiß ein paar Meilen, bis in's österreichische Tyrol hinein, und dieses einzige Mal war ich von jeder Nachfrage nach einem Paß, die mir stets eine Plage war, befreit. Herrlich, malerisch wechselt die Gegend; die Landbewohner standen an den Wegen und begrüßten den König, die Fahrenden, denen wir begegneten, hielten an, während der König vorüberfuhr. Ein paar Stunden währte diese herrliche Fahrt zwischen sonnenbeleuchteten hohen Bergen, und während der ganzen Zeit sprach der König mit mir so theilnehmend von dem » Märchen meines Lebens«, das er kurz vorher im Auszuge gelesen hatte. Er befragte mich nach mehreren in demselben genannten dänischen Personen, und sprach sich dahin aus, wie schön und gut sich jetzt Alles für mich gestaltet habe, welch' frohes Gefühl ich jetzt haben müßte, nachdem ich so viel überwunden und mir endlich alle mögliche Anerkennung erkämpft hätte.

Ich sagte, daß mein Leben mir wirklich oft als ein Märchen erschien, so reich, so wunderbar wechselvoll. – Ich hatte es erlebt, bald arm und einsam, bald in reichen Sälen zu sein; ich wußte, was es heißt, verhöhnt und geehrt zu sein, – selbst diese Stunde, in welcher ich an der Seite des Königs zwischen sonnenbeleuchteten Alpen dahin fuhr, war ein neues Kapitel in dem Märchen meines Lebens.

Wir sprachen über Skandinaviens neueste Literatur. Ich nannte Salomon de Caus, Robert Fulton und Tycho de Brahe Titel einiger Werke des dänischen Dichters Johann Carsten Hauch. Siehe den vor. Band Seite 173. Der Uebers., wie die Dichtkunst unserer Zeit die Streber jener Zeit an das Licht zieht. Geist, Herz und Gottesfurcht sprachen sich in den Gesprächen des edlen Königs aus. Es war und ist mir eine unvergeßliche Stunde geworden.

Abends las ich dem liebenswürdigen Königspaar die Geschichte » Unter dem Weidenbaum« und » Es ist ganz gewiß« Siehe die Märchen Band III. S. 351 und 146. Der Uebers. vor. Mit v. Dönniges bestieg ich einen der nahen Berge, sah die herrliche, großartige Natur. – Nur allzu schnell entfloh die Zeit.

Die Königin gestattete mir, einige Worte in ihr Album zu schreiben, in dem die Namen von Kaisern und Königen prangten, und zwischen diesen einen aus dem Reiche des Wissens, der des Professors Liebig, Der berühmte Chemiker Freiherr Justus von Liebig, geboren den 12. Mai 1803 in Darmstadt, gestorben den 18. April 1873 in München, wurde 1834 Professor in Gießen und kam 1852, vom König Max berufen, als solcher 1852 nach München. Seine Thätigkeit war eine sehr vielseitige und seine Untersuchungen gaben der Chemie in allen ihren Theilen neue Impulse. Der Uebers. dessen herzliche, einnehmende Persönlichkeit ich in München kennen lernte und liebgewonnen hatte.

Weichen Herzens, tief dankbar gegen das liebenswürdige Königspaar verließ ich Hohenschwangau, wo man beim Abschiede mir sagte, daß ich dort stets willkommen sein würde. Ein großes Bouquet von Alpenrosen und Vergißmeinnicht führte ich mit mir im Wagen, der mich nach Fössen Der nächste Ort bei Hohenschwangau. Der Uebers. brachte.

Von München trat ich meinen Heimweg über Weimar an.

Der Erbgroßherzog Carl Alexander hatte indessen die Regierung angetreten Am 8. Juli 1853. Der Uebers.; er hielt sich gerade auf dem Schloß » Wilhelmsthal« bei Eisenach auf, wohin ich fuhr, und wo ich reiche, glückliche Tage bei dem edlen Fürsten in der unendlich schönen Natur, mitten im Thüringer Walde verbrachte.

Die alte Wartburg, auf deren Erbauung, ganz im ursprünglichen Styl, der jetzt regierende Großherzog während einer Reihe von Jahren große Summen seines eigenen Vermögens verwandt hatte, stand jetzt so gut wie vollendet da, deren Wände mit prächtigen Bildern aus der Sage und Geschichte des Schlosses geschmückt sind. Der Saal der Minnesänger in seiner ehemaligen Größe prangte bereits mit Säulenreihen, und welche Aussicht man hier über Wald und Berg! Die ganze Scenerie aus der Zeit der Minnesänger: der Venusberg, wo Tannhäuser verschwand, die drei »Gleichen,« selbst die Waldeinsamkeit, wie Walther von der Vogelweide und Heinrich von Ofterdingen Walther von der Vogelweide war einer der bedeutendsten Minnesänger des Mittelalters. Er ist um 1170 in der Schweiz geboren und kam nach Thüringen zum Landgrafen Hermann und wallfahrte später nach Palästina; er soll um 1240 in Würzburg gestorben sein. – Heinrich von Ofterdingen, ebenfalls Dichter und Minnesänger jener Zeit nahm wie Walther Theil an dem sog. Wartburgkriege. Der Uebers. sie gekannt haben. – Sage und Geschichte besitzen hier ihren unveränderlichen Grundriß.

In dem kleinen Palais unten in der Stadt Eisenach wohnte die Wittwe des Herzog von Orleans mit ihren beiden Söhnen, dem Grafen von Paris und dem Herzog von Chartres Die Herzogin Helene Louise Elisabeth von Orleans, eine Tochter des Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig von Mecklenburg- Schwerin († 1819), geboren den 24. Januar 1814 in Ludwigslust, gestorben in England den 18. Mai 1858, vermählte sich 1837 mit dem ältesten Sohn Louis Philipps, Königs der Franzosen, der am 13. Juli 1843 durch einen unglücklichen Sprung aus dem Wagen, als die Pferde durchgingen, das Leben verlor. Als Louis Philipp dem Throne 1848 zu Gunsten seines Enkels, des Grafen von Paris (geb. 24. August 1838) entsagte, wurde seine Mutter, die Herzogin Helene, zur Regentin ernannt. Sie verfocht selbst ihre Rechte in der Deputirtenkammer, mußte aber Frankreich verlassen und lebte dann mit ihren beiden Söhnen (der Herzog Robert Philipp von Chartres ist geboren den 9. November 1840) lange in Eisenach und ging später mit ihnen nach England. Der Uebers.. Ich hörte von den verschiedensten Seiten, wie geliebt sie und die Kinder von Allen waren, wie unendlich viel Gutes die Herzogin aus allen Kräften that, wie herzlich und theilnehmend sie sich erweise, ein wahrer Segen für die kleine Stadt. Auf der Straße begegnete ich den jungen Prinzen mit ihren Lehrern; sie waren ganz einfach gekleidet und sahen sehr geweckt und hübsch aus; der Großherzog selbst stellte mich der Herzogin vor. Es ging mir bei dieser Gelegenheit so lebhaft durch die Gedanken, was sie erfahren, gelitten und durchgemacht hatte, der ganze Wechsel in ihrem Leben, und unwillkürlich traten mir die Thränen in die Augen, bevor ich noch zu sprechen begonnen hatte. Sie gewahrte diese meine Rührung, reichte mir freundlich die Hand, und als ich an der Wand das Bild ihres jungen, blühenden Gemals betrachtete, wie ich ihn seiner Zeit in Paris im HôteI de ville gesehen hatte, füllten Thränen ihre Augen. Sie. sprach von ihm, von ihren Kindern und sagte mir freundlich, daß sie meine Märchen kenne. Es war eine Herzlichkeit, eine Innigkeit, ein Kummer und dennoch etwas weiblich Kühnes, wie ich es mir bei der Fürstin Helena von Orleans gedacht hatte. Sie stand gerade reisegekleidet, um mit ihren Söhnen einige Meilen mit der Eisenbahn zu fahren, als wir sie besuchten. »Wollen Sie morgen bei mir speisen?« fragte sie. Ich mußte antworten, daß ich gerade im Begriff sei, noch heute abzureisen und antwortete daher: »In einem Jahre komme ich wieder hierher zurück!« – »Ein Jahr!« wiederholte sie. »Wie viel kann nicht in einem Jahr geschehen; es geschieht ja so viel in wenig Stunden! – Und Thränen und Ernst leuchteten in ihren Augen.

Sie reichte mir zum Abschied freundlich die Hand, und ganz besonders bewegt verließ ich die edle Fürstin, deren Geschick so traurig gewesen war, aber deren Herz königlich groß und stark im Vertrauen zu Gott ist.

*

Bald befand ich mich in Dänemark und in rastloser Wirksamkeit nicht blos mit der Herausgabe meiner »gesammelten Werke«, sondern auch mit der Wiedergabe des Mosenthal'schen Volksschauspiels » Der Sonnenwendhof.« Ich hatte es während meines Aufenthalts in Wien im »Burgtheater« aufführen sehen; es hatte mich sehr angesprochen, und ich machte daher den Etatsrath Heiberg, den damaligen Theaterdirector, auf dasselbe aufmerksam. Er nahm keine Notiz davon, was jedoch Director Lange that. Er bat mich, es ihm für das Casino zu beschaffen und durch den Intendanten des Burgtheaters erhielt ich von Mosenthal Der Dichter Salomon Hermann Mosenthal, geboren den 14. Januar 1821 in Kassel, lebte als Beamter in Wien, wo er im Sommer 1878 starb. Seine dramatischen Werke erfreuten sich des allgemeinen Beifalls und sein »Sonnenwendhof« erschien 1857. Der Uebers. das Stück und »freie Verfügung über dasselbe.« Verwandt mit Auerbach's »Dorfgeschichten,« wählte ich den für uns Dänen verständlichen Titel, » eine Dorfgeschichte,« und auf die Bühne gebracht, gewann es großen Beifall und ist vielmals wiederholt worden. Außer den hinzugefügten Gesängen, die bei der Aufführung im Casinotheater nothwendig waren, Das Privilegium des königl. Theaters in Kopenhagen ist ein sehr ausgedehntes; es werden dort Opern, Ballets, Schau- und Lustspiele aufgeführt und Stücke, die zu seinem Repertoire gehören, dürfen ohne Erlaubniß nicht von den Privattheatern aufgeführt werden. Um nun Schauspiele – die eo ipso dem königl. Theater vorbehalten sind, für die Privattheater möglich zu machen, werden dieselben mit passenden Gesängen versehen. Dies zur Erklärung der sonst unverständlichen Stelle. Der Uebers. hatte ich vorgeschlagen, daß im letzten Act Anna in der Sennhütte ein brennendes Holzstück ergreift und beim Schein desselben Matthias wiedererkennt, wie sie ihn sah, als Ilsang's Schmiede brannte. – Mosenthal las später durch Hilfe seiner dänischen Freunde in Wien meine Uebersetzung und schrieb mir gleich darauf einen Brief voll von Dankbarkeit und Innigkeit, und fügte mit Rücksicht auf meine geringe Veränderung hinzu: »Die eingelegten Lieder sind trefflich gewählt, der Effect in der letzten Scene, das Schwingen des Feuerbrandes ist so plastisch, daß wir es bei der hiesigen Aufführung zu adoptiren gedenken!«

Meine »Märchen« Einige von diesen sind während der letzten Jahre in Deutschland dramatisirt und auf die Bühne gebracht worden, so z. B. »Der Schweinehirt«, der nach dem gedruckten Textbuch in » Die Prinzessin Marzipan« verwandelt worden und viele Vorstellungen erlebt und im »Kindertheater« von C. J. Görner Aufnahme gefunden hat. » Die kleine Meerjungfrau« ist als Märchencomödie in einem der größeren Theater Wiens zur Aufführung gekommen, und ebenso haben Dr. E. Jacobson und E. Girndt » Die Galoschen des Glücks« als Weihnachtsstück für das Kroll'sche Theater in Berlin mit vielem Glück dramatisirt. Der Uebers. waren, wie früher bereits erwähnt, gleichsam abgeschlossen, die neuen, welche nun folgten und noch folgen konnten, nahm ich Veranlassung unter der Bezeichnung » Geschichten« zu bringen. Dieser Name ist sowol in der dänischen als deutschen Sprache meistbezeichnend für meine »Märchen« in ihrer ganzen Ausdehnung und ihrer Natur nach. Die Volkssprache stellt die einfache Erzählung und die kühnste Phantasieschilderung unter diese Benennung; Ammengeschichten, Fabeln und Erzählungen werden vom Kinde, vom Bauer, vom Volke mit dem kurzen Namen » Geschichten« bezeichnet.

Ein paar Hefte erschienen gleichzeitig dänisch und deutsch. Sie wurden sehr anerkennend aufgenommen. Eine englische Ausgabe mit dem Titel: » A Poet's day dreams« Eines Poeten Tages-Träume. Der Uebers. kam bei Richard Bentley heraus. Die Anmeldung in » the Athenaeum« 1853 bewies, daß Mary Howitt's verändertes Urtheil über mich keine Einwirkung auf diese ehrende Kritik ausgeübt hatte: »Das kleine Buch, welches Charles Dickens gewidmet ist, scheint zunächst zu einer Weihnachts- und Neujahrsgabe bestimmt zu sein, allein es dürfte ebenso willkommen im Blumen- oder Erntemonat, wie in der heiligen Zeit sein, »»wenn die Eiszapfen an den Mauern hängen.«« – Mit Rücksicht auf Originalität, Laune und Innigkeit sind Andersen's Erzählungen alleinstehend in ihrer Art. Wer Beweise für unsere Behauptung wünscht, braucht nur zu lesen: » Sie taugt nichts«, » Herzenskummer«, » Unter dem Weidenbaum« und » Es ist ganz gewiß« Siehe Band III der Märchen Seite 351 und 146. Der Uebers., die sich in diesem Bande befinden, und wenn Jemand möglicherweise vermeint, daß diese Geschichten zu klein sind, so mögen sie es versuchen, etwas so Vollendetes, Feines und Leichtes zu schaffen. Freilich behandeln sie im Allgemeinen unbedeutende Gegenstände und allgemeine Gefühle, allein deshalb sind sie dennoch nicht weniger wahre Kunstwerke, und als solche verdienen sie eine warme Aufnahme bei Jedem, der die Kunst und ihre Erzeugnisse liebt!«

Gerade während der Tage, mit welchen ich mein fünfzigstes Jahr vollendete und meine » gesammelten Schriften« in die Welt hinaussende, bringt die » dänische Monatsschrift« eine von Herrn Grimur Thomsen Grimur Thomsen, ein geborener Isländer, der im Consulats-Bureau des auswärtigen Amtes eine Stellung als Beamter innehatte, war ein talentvoller Schriftsteller, der jedoch durch seine schroffe Persönlichkeit alle Welt abstieß und sich daher nach seiner Heimat zurückzog und seitdem so gut wie verschollen ist. Der Uebers. geschriebene Anmeldung derselben. Die Tiefe und Wärme, welche der Verfasser bereits in seinem früheren Buch über Byron gezeigt hatte, offenbart sich auch hier in dieser kleinen Schrift, die eine Kenntnißfülle, eine Innigkeit für die Arbeiten, die er bespricht, enthüllt. Es ist mir fast, als ob der liebe Gott wollte, daß ich dieses Kapitel meines Lebens mit der Erfüllung der trostreichen Worte H. C. Oersted's an mich während der Tage des Schwermuths und der Mißkennung schließen sollte! Die Heimat hat mir das reiche Bouquet der Ermunterung und der Anerkennung gebracht!

In Grimur Thomsen's Anmeldung ist gerade bei den Märchen in wenigen Worten die rechte Saite angeschlagen, welche von der Tiefe dieser meiner Dichtungen erklingt. Es ist gewiß nicht zufällig, daß die gegebenen Beispiele von dem Kern und der Bedeutung des Ganzen gerade von den » Geschichten« erholt wird, also von dem zuletzt Geschriebenen: »Das Märchen hält einen heiteren Gerichtstag über Schein und Wirklichkeit, über die äußere Schale und den inneren Kern; es zeigt sich ein doppelter Strom darin. Ein ironischer Oberstrom, der mit Großem und Kleinem scherzt und mit Hohem und Niedrigem Fangball spielt, und dann der tiefe Unterstrom des Ernstes, der alles Gerechtfertigte und Wahre an seinen »rechten Platz« stellt. Das ist der wahre christliche Humor!«

Was ich wollte und zu erreichen mich bestrebte, ist hier gleichsam in diesen wenigen Worten ausgesprochen.

*

Das Märchen meines Lebens bis zu dieser Stunde liegt also nun vor mir aufgerollt, so reich, so schön, so tröstend! Selbst aus dem Uebel entsprang Gutes, aus dem Schmerz die Freude, eine gedankentiefe Dichtung, – ich vermochte sie nicht so zu dichten! Ich fühle, daß ich ein Kind des Glückes bin! So viele der Edelsten und Besten meiner Zeit sind mir liebevollen und offenen Herzens entgegengekommen und selten ist mein Vertrauen zu den Menschen getäuscht worden! Die bitteren, schweren Tage haben auch das Samenkorn des Segens für mich enthalten! Welches Unrecht ich auch zu erleiden glaubte, jede Hand, die schwer in meine Entwickelung hineingriff, brachte mir dennoch Gutes.

In der Befestigung unseres Glaubens an Gott verdunstet gewissermaßen das Bittere und Schmerzliche, und nur das Schöne bleibt zurück, man sieht es gleich einem Regenbogen an der finstern Wolke. Die Menschen beurtheilen mich mild, wie ich sie in meinem Herzen beurtheile und sie es verdienen! Die Bekenntnisse und Ereignisse eines Lebens haben für alle Edlen und Guten eine Macht der Heiligkeit der Beichte. Vertrauensvoll lege ich sie hier nieder. Offen und unverhüllt, als säße ich unter lieben Freunden, habe ich hier » das Märchen meines Lebens« erzählt.

Kopenhagen, den 2. April 1855.
H. C. Andersen.

*


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