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[Achtzehntes Kapitel.]
Vom November 1863 bis Ende 1865.

König Frederik VII. stirbt auf Schloß Glücksburg. – Ankunft in Kopenhagen; Castrum doloris. – Beisetzung. – Der Krieg mit Preußen und Oesterreich bricht aus. – Das Gedicht »Der Trost.« – Der Kriegsenthusiasmus. – Die,»Dannewirke« wird vom General de Meza aufgegeben. – Der Feind geht über die Königsau. – Die Landgräfin Charlotte stirbt. – Im Lazareth in Flensburg. – Die Düppler Schanzen fielen. – Die Preußen drangen bis Skagen vor. – Die Insel Alsen wurde genommen. – Frau Neergaard in Sölleröd. – Prof. Rasmus Nielsen. – Marienlyst. – Besuch bei Frau Ingemann. – Auf Basnäs. – Auf Espe. – »Als die Spanier hier waren.« – Etatsrath Kranold. – Prof. Höedt. – Frau Södring. – Basnäs. – Frijsenborg. – Christinelund. – Daheim. – Nach Schweden. – Stockholm. – Henriques. – Der Erzbischof Böttiger in Upsala. – Graf Hamilton. – Josephson. – Fest der Upsala-Studenten für mich. – Der Naturforscher Elias Fries. – Der Dichter Björk. – Einladung König Carl's XV. nach Schloß Ulriksdal. – Die Kronprinzessin Lovisa. – Die Königin Josephine und Prinz Oscar (König Oscar II.) auf Schloß Drottingholm. – Strömparterrn. – Der Dichter August Blanche. – Frederike Bremer. – Baron von Beskow. – Der Dichter Franz Hedberg. – Johan Jolin. – Die Studenten in Lund. – Prof. Linngreen. – In Kopenhagen. – Ein trauriger Friede wurde geschlossen. – Bei Frau Ingemann. – Auf Schloß Basnäs. – »Als die Spanier hier waren.« – Auf Schloß Fredensborg bei der königlichen Familie. – Kronprinz Frederik, König Georg von Griechenland. – Die Prinzessinnen Alexandra, Dagmar und Thyra, Prinz Waldemar. – Der Dichter Paludan-Müller. – Der Balletmeister Bournonville. – In Kopenhagen. – Bei Frau Ingemann. – Auf Holsteinborg und Basnäs.


 

König Frederik VII. hielt sich in Schleswig auf dem Schlosse Glücksburg aus. Es circulirten beunruhigende Gerüchte über seinen Gesundheitszustand. Es war am 15. November 1863, als ich mich beim Kultusminister, Bischof Monrad befand, der sichtbar verstimmt war. Das Wetter war rauh und grau, die nasse Luft drückte mich, es schien mir, als befände ich mich in einem Trauerhause und unwillkürlich dachte ich an den König, fühlte eine unerklärliche Angst, und als ich wenige Stunden später zu Freunden in dem Hause, in welchem der Minister Fenger wohnte, kam, begegnete ich dem Telegraphen-Direktor Faber Dem Dichter des Nationalliedes: »der tapfere Landsoldat.« Der Uebers. der selbst ein Telegramm überbrachte. Ich wartete in banger Ahnung auf der Treppe, bis er zurückkehrte und fragte, ob ich wissen dürfe, was das Telegramm gemeldet habe. Er antwortete nur: »Wir müssen auf das Schlimmste gefaßt sein.« Ich ging zu dem Minister hinein, und mit kurzen Worten sagte er zu mir: »Der König ist todt!« Ich brach in Thränen aus. Als ich hinauskam, standen die Leute in Gruppen beieinander; sie kannten bereits die Trauerbotschaft. Ich war auf's Tiefste ergriffen, mußte meine Freunde aufsuchen und ging zu Eduard Collin's Familie. Bald kamen Leute, die im Theater gewesen waren; aber als die Vorstellung beginnen sollte, hatte eine Stimme vom Parterre aus gerufen, daß es nicht passend sei, wenn der König auf dem Todtenbette liege, Comödie zu spielen. Man forderte das Publikum zum Gehen auf. Bald rollte der Vorhang empor, und der Schauspieler Phister sagte, daß es so natürlich sei, wenn die Leute unter diesen Umständen keine Lust hätten, die Vorstellung mit anzusehen und daß auch die Schauspieler sich durchaus nicht in der Stimmung befänden, um ihrer Pflicht genügen zu können. Die Vorstellung wurde daher aufgegeben. Im Casino-Theater wurden ein paar Acte gespielt, da kam die Trauerbotschaft vom Tode des Königs. Es ertönte ein Seufzer durch das Haus, und die Leute entfernten sich sofort schweigend.

Am nächsten Vormittag – die Luft war grau und schwer wie die Stimmung des Volks – ging ich zum Christiansborger Schloß. Der Platz war von Menschen erfüllt. Der Conseilspräsident Hall trat auf den Altan des Schlosses hinaus und verkündete: » König Frederik VII. ist todt! Es lebe König Christian IX.!« Es ertönten Hurrahrufe. Der König zeigte sich, und als der Jubel fortdauerte, erschien er mehrmals wieder.

Von der Ruhe und Freude des glücklichsten Familienlebens wurde König Christian IX. jetzt auf den Thron erhoben, um schwere Tage der Prüfung zu bestehen, die Gott über uns Alle verhängte.

Ich fühlte mich krank, geistig und körperlich leidend. Am Abend schrieb ich ein kleines Gedicht, worin ich dem Schmerze des Volkes Ausdruck zu verleihen suchte.

*

Am Abend des 2. December kam Frederik VII. Leiche in Kopenhagen an. Von meiner Wohnung in Nyhavn sah ich das Sarkophagschiff über das Wasser unter Trauermusik und Geläute der Kirchenglocken dahin gleiten.

Das Castrum doloris fand im Schlosse Christiansborgstatt. Alles strömte dahin. Ich fürchtete durch das Gedränge und dieses langsame Fortschreiten Schritt vor Schritt eingeschlossen zu werden und nicht zurückkehren zu können, bevor die Wanderung zu Ende war. Der bloße Gedanke hieran machte alle meine Nerven erbeben. Ich schloß mich aus diesem Grunde der Huldigung nicht an. Als also die Zeit vorüber war, während welcher man Zutritt zum Sarge erlangen konnte, war ich nicht dort gewesen; aber ich mußte und wollte mich noch einmal dem freundlichen, guten Könige nähern und an seinem Sarge stehen! Es wurde mir gestattet und als ich kam, brannten noch matte Lichter in den schwarz verhängten Sälen; die Arbeitsleute waren beschäftigt, die Seitenstücke des Katafalks mit den Inschriften fortzutragen; noch prangte im Paradesaal der weiße Atlasbaldachin unter der Decke, die Lichter brannten in den Kandelabern und Leuchtern, die Wappenschilder waren noch an ihrem Platz, nur die Tabourets mit den Ordenszeichen waren entfernt. Ich kam gerade in dem Augenblick, als man den Deckel von dem äußern Sarge abhob, um ihn zur Beisetzung zu schmücken. Ich sah den innern schwarzen hölzernen Sarg, welcher die Leiche umschloß, und beugte mich über dieselbe hinab, während ich in der Hand einen blumenlosen Mooskranz, den Arme gebracht hatten, hielt.

Kopenhagens Gesangvereine wollten gemeinsam dem entschlafenen Könige ihren »Abschiedsgruß« bringen, wenn man seinen Staub nach der Roeskidna-Domkirche brachte. Es wurde mir übertragen, die Worte zu schreiben. Der Tag der Huldigung kam. Es war gegen Abend. Der Zug hielt am Westerthor, während der Gesang ertönte; die Fahnen der Corporationen wehten, Kanonenschüsse ertönten, und der Rauch derselben schwebte in lilienfarbigen Wolken beim Sonnenuntergang.

In Herzen und Gedanken wehte Trauer und Angst. Die Blutwogen des Krieges sollten wieder über unser Vaterland dahin rollen. Ein Königreich und ein Kaiserreich standen unserem kleinen Lande gegenüber. Der Weg eines Dichters ist nicht der der Politik, er hat seine Mission im Dienste des Schönen; aber wenn der Erdboden unter ihm erbebt, so daß Alles zusammenzustürzen droht, dann hat auch er nur Gedanken für diese; es ist eine Lebenssache, eine Wohlfahrtssache, denn er steht nicht außerhalb der Begebenheiten, sondern kennt vollkommen ihre Bedeutung, die ihn zu ernstem Nachdenken auffordern. In seinem Vaterlande ist er gleich einem Baum gepflanzt, dort setzt er seine Blüten und Früchte an, und wenn man sie auch weit in die Welt hinaussendet, die Wurzeln des Baumes sind doch in dem Erdboden der Heimat und fühlen, was denselben erschüttert, was ihn zum Tode ersterben macht.

Die ganze Welt kennt diesen für Dänemark so schweren, bittern Krieg. Der dänische Soldat ist ausdauernd, brav, gerade und ehrlich. Mit Gesang und Hurrah zog das Heer von dannen, um Dänemark an der » Dannewirke« zu schützen, das Schild des Landes gegen das Eindringen der Deutschen, die jetzt mit großer, vernichtender Uebermacht heranrückten.

Beim Morgengrauen erwachte ich manchen Morgen durch den Gesang und Marsch fortziehender Soldaten. Ich sprang aus dem Bette, öffnete das Fenster und mit nassen Augen bat ich Gott, die jungen, lebensfrischen Männer zu segnen und zu bewahren. In einer solchen bewegten Stimmung schrieb ich das Gedicht » Trost!« Es wurde im » Dagbladet« abgedruckt. Am Abend erhielt ich einen Brief, unterschrieben » Nur ein Weib.« Derselbe hatte folgenden Inhalt:

»Wenn Sie, Herr Professor, sich häufiger aufgefordert fühlen sollten, Leute in Veranlassung des bevorstehenden Feldzuges zu trösten, dann dürften Sie die Güte haben, eine andere Form zu wählen, um unsere fortziehenden Brüder zu begeistern, als diesen unsern gegenwärtigen Zustand als eine Sturmnacht, worin unser kleines Fahrzeug der Tiefe zusteuert, vor Augen zu stellen. Der dänische Krieger, der stolz und froh in's Feld zieht, um für unsere gerechte Sache zu kämpfen, kann nicht begreifen, daß irgend eine Veranlassung zu finstern Gedanken über die gegenwärtige Zeit vorhanden ist.«

Noch glaubte ich an Rettung von Gott, aber oft zog Angst und Schmerz in mein Herz ein. Niemals habe ich inniger gefühlt, wie fest ich an mein Vaterland gewachsen war. Ich vergaß nicht die große Liebe, Anerkennung und Freundschaft, die ich in Deutschland gewonnen hatte, wie lieb meine vielen Freunde und Freundinnen mir waren: aber jetzt war ein gezogenes Schwert zwischen uns gelegt worden. Ich vergesse nicht Wolthaten und Freunde, aber mein Vaterland ist für mich gleichsam meine Mutter: sie ist und bleibt die Erste!

Wie lag doch Alles schwer auf meinem Herzen! Ich litt und glaubte nicht, daß ich es zu ertragen vermöchte, und niemals hat Weihnachten sich so finster und schwer für mich gezeigt, wie in diesem Jahre. Beim Wechsel des Jahres in der Neujahrsnacht stand ich ängstlich besorgt, was das neue Jahr bringen würde. Gott war die Großmacht, auf die ich mich verließ, er würde Dänemark nicht verlassen.

*

Der Neujahrstag 1864 war ein barscher Frosttag. Ich dachte an unsere Soldaten da drüben auf Vorposten und an die kalten Baracken; ich dachte, jetzt schlägt der Frost eine Brücke über das Wasser für den Feind, und ein ganzer Volksstrom wälzte sich über uns. Was wird dann geschehen? Ich besaß nicht den stärkenden Glauben, der so Viele meiner Umgebung erhellt: daß die » Dannewirke« nicht zu nehmen sei. Ich wußte ja, daß aus dem großen Deutschland die Eisenbahnzüge uns Soldaten, wie das Meer im Sturme Wogen gegen unsere Ufer wälzt, entgegenwerfen konnte. Ich fragte einen meiner hochherzigen Landsleute: »Wenn nun » Dannewirke« genommen wird, auf welche Weise können dann unsere Soldaten Alsen und Düppel erreichen, ohne abgeschnitten zu werden?« – »Wie kann ein Däne so etwas fragen?« brach er aus. »Wie kann er nur in seinem Gehirn dem Gedanken Raum geben, daß die Dannewirke genommen werden konnte?« So fest war der Glaube an Gott, an unsere Großmacht.

Fast jeden Tag zogen die Soldaten von dannen zum Kampfplatz; junge Männer, lebensfroh, fröhlich, als gingen sie zu einem heiteren Feste. Während Wochen und Monate fühlte ich mich wenig aufgelegt zu arbeiten, alle meine Gedanken befanden sich drüben auf dem Kampfplatze. Am ersten Februar 1864 verkündete ein Telegramm, die Deutschen wären über die Eider gegangen, die Feindseligkeiten hätten begonnen. Am Schluß der Woche verbreiteten sich üble Gerüchte, daß die » Dannewirke« aufgegeben, daß General de Meza mit unseren Truppen ohne Schwertstreich die Grenze verlassen und gen Norden gezogen sei. Ich glaubte, einen entsetzlichen Traum zu träumen; ich war innig betrübt und Viele, Viele waren es wie ich. Lärmende Volksscharen zogen durch die Straßen; welcher Abend, welche Zeit! Es waren die Tage der Prüfung für uns Alle; aber es war überall derselbe Gedanke: die Vertheidigung des Vaterlandes und unser tapferes Heer. Am 17. Februar ging der Feind über die Königsau. Name des kleinen Flusses, der bis 1864 die Grenzscheide zwischen Dänemark und dem Herzogthum Schleswig bildete. Im Friedensschluß ist nur ein Theil dieses Flüßchens als Grenze beibehalten worden. Der Uebers. Aber noch besaßen wir Düppel und Alsen.

Die Mutter der Königin, die Landgräfin Charlotte von Hessen, starb gerade in dieser Zeit. Es wurde mir vom Könige aufgetragen, den Psalm zu schreiben, der an ihrer Bahre in der Roeskilder Domkirche gesungen werden sollte. Einige Tage später wurde ich zur Königin gerufen, welche mir für den Text besonders dankte. Wir standen am Fenster. Militärmusik tönte zu uns herauf; es waren Soldaten, die fortzogen, hinüber zum Heer, nur ihr Leben und Blut zu lassen. Große Thränen traten in die Augen der Königin, Abschiedsthränen an Dänemarks Söhne.

Der vorige Krieg hatte etwas Erhebendes, es waren Siege und glänzende Augenblicke: jetzt standen wir allein gegen die Uebermacht und besaßen nur den einen Trost:

»Gott kann demüthigen, aber wieder erheben!«

Collin's Tochtersohn, Viggo Drewsen, den ich so oft auf meinen Armen hatte tanzen lassen, als er ein kleiner Knabe war, und für den ich eins meiner meistgekannten Lieder: »Kleiner Viggo, willst Du auf meinen Knien reiten?« gesungen hatte, war als Freiwilliger mitgegangen. Er war bei Düppel schwer verwundet worden, lag dort unter den anderen Verwundeten und Todten, bis der Kampf beendigt war, und wurde von den Preußen nach ihrem Lazareth geführt. Wer im Lande hatte nicht wenigstens einen Verwandten beim Heer, oder, wie ich, einen lieben Freund, für den man in banger Unruhe lebte.

In dem Lazareth lagen Dänen und Deutsche neben einander. In Flensburg kamen täglich mehrere Damen als barmherzige Schwestern und brachten den Verwundeten Erfrischungen. Ich habe einen Zug gehört, den ich hier wiedergeben will. Eine deutschgesinnte Dame reichte einem verwundeten dänischen Soldaten eine Erfrischung; aber als er ihr dankte und sie hörte, daß er dänisch sprach, nahm sie ihm wieder das weg, was sie ihm gegeben hatte; sie wandte sich dann an einen andern verwundeten Soldaten und fragte ihn, was für ein Landsmann er sei. »Ein Preuße!« antwortete er, und da reichte sie ihm die Erfrischung; aber er stieß sie zurück. »Ich nehme keine Gabe an, die dem Dänen fortgenommen wurde; er ist jetzt mein Kamerad, hier sind wir nicht auf dem Kampfplatz!«

Am zweiten April wurde Sonderburg, die offene, wehrlose Stadt, vom Feinde in Brand geschossen, der bald bis Skagen hinauf vordrang und ganz Jütland besetzte.

Ich hatte, während die Soldaten von den halb niedergeschossenen Schanzen kämpften, im Glauben und in der Ueberzeugung gesungen:

»Eine kleine Schar im Glauben an Gott
Und an sein Recht hält aus bis zum Tod!«

Aber was vermag in unseren Tagen eine kleine Schar gegen eine solche Uebermacht! Ich hatte das Gefühl, daß mein Vaterland stückweise amputirt werden und sich verbluten würde; meine Muttersprache würde verschwinden und nur als ein Echo von Norwegens Küste ertönen; selbst unsere alten Gesänge würden nicht mehr über unsere Lippen kommen, sie klangen gleich einer Täuschung.

Dennoch hielt das Volk fest an dem Glauben und dem Schutz des Herrn, und die Hoffnung erstarb nicht, daß morgen die Sonne wieder scheinen werde. Aber kein Sonnenstrahl schien! Die Schiffe brachten Verwundete nach Kopenhagen; sie wurden durch die Straßen nach den Lazarethen gefahren oder getragen, und Einige starben auf dem Wege dahin. Ich sah einige dieser gestorbenen Freunde; es war eine Ruhe, eine Milde über ihr Gesicht verbreitet, als hätten sie sich nach den Mühen des Tages zur Ruhe gelegt, um wieder gestärkt und froh zu erwachen.

So langsam und todesschwer verging die Zeit. Die Sonne schien warm, die Bäume und Büsche standen in der Frische des Lenzes. Ich fühlte gleichsam eine Bitterkeit darüber, daß Alles in der Natur so herrlich aussehen konnte, als ob Alles in der Welt in seiner guten, alten Ordnung wäre. Ich hatte keine Gedanken mehr für meine Freunde und Bekannte oder für eine lichte Zukunft; ich glaubte nicht mehr an Glück für mich.

Meine Umgebung, meine Freunde und Bekannte waren leidend und niedergedrückt wie ich; in Einem begegneten wir uns Alle, in der Liebe zu unserem Vaterlande.

Alsen wurde genommen! Vorbei! Vorbei! Niemand half uns, Alle sahen zu, – das Schlimmste war ja geschehen! Ich verlor für den Augenblick meinen Glauben an Gott und fühlte mich so unglücklich, wie ein Mensch es nur zu sein vermag. Es folgten Tage, während welcher mir Alles gleichgiltig war und ich glaubte, Niemand bekümmere sich um mich. Ich fühlte keinen Trost darin, mich Jemandem gegenüber auszusprechen, das führte ja zu nichts. Mild und verständnißvoll und herzensgut kam mir da ein Wesen in diesen Tagen schweren Kummers entgegen: es war Eduard Collin's vortreffliche Gattin; sie ging auf meinen Schmerz ein, hatte theilnehmende Worte und bat mich, die Gedanken auf eine Arbeit zu richten. Eine andere ältere, treue Freundin, die Kammerherrin Neergaard nahm mich nach ihrem reizenden Heim in dem waldreichen Sölleröd Das Kirchdorf Sölleröd, etwa 2 Meilen von der Hauptstadt entfernt, jetzt mit der Eisenbahn in einer Stunde zu erreichen, gehört wegen seiner herrlichen Lage zu den besuchtesten Sommerfrischen der Stadt. Die Villa der Kammerherrin Neergaard ist in den Besitz des mehrfach von mir erwähnten Componisten Emil Hartmann übergegangen. Der Uebers. an dem stillen, blanken Binnensee mit. Milde Augen leuchteten, volksthümliche Melodien erklangen hier; sie hatte das Gemüt einer Mutter für mich als Dichter und Mensch. Ein Jahr daraus rief Gott sie zu sich.

Als ich nach ihrer Villa » Karlsminde« hinaus kam, war es ein förmliches Fest. Der kleine Garten wurde von bengalischen Flammen und bunten Rampen erleuchtet. Man hätschelte den Herzenskranken, und ich fühlte mich bald wieder ganz wohl. Ein liebenswürdiger und geistreicher Kreis schloß sich um die Wirthin, und es ist besonders in diesem Heim, wo ich den alten, begabten Philosophen Rasmus Nielsenkennen lernte. Auch Frau Neergaard forderte mich auf, die Gedanken auf eine Dichtung zu richten, mein lieber, genialer Freund, Professor Hartmann, bat mich um eine solche, und ich schrieb den Text zu einer fünfaktigen Oper » Saul«.

Später verbrachte ich einige Zeit auf Marienlyst, der fashionablen Badeanstalt bei Helsingör. Es war meine Bestimmung, daß ich, wenn der Friede, der jetzt geschlossen werden sollte, eine bessere Zeit für Dänemark bringen würde, nach Norwegen reisen wollte, das ich bisher noch nicht besucht hatte; denn ich wollte die brausenden Wasserfälle, die stillen tiefen Seen, das Land sehen, wo meine Muttersprache mit dem Erzklange vom Felsen erklingt, während sie bei uns von den weichen Blättern der Buchen wogt. Ich wollte Munch Der norwegische Dichter Andreas Munch, geboren den 19. October 1811 in Christiania, hat Gedichte und Dramen geschrieben, die meist deutsch übersetzt sind. Der Uebers. und Björnstjerne Björnson besuchen. Liebe Briefe, voll von Herzlichkeit und Trost wurden mir während der schweren Tage der Prüfung zugesandt.

Wie freundlich Björnson mir gesonnen war, ging daraus hervor, daß er vorn in sein Buch: » Sigurd Slembe«, das er mir sandte, einige Strophen eingeschrieben hatte, die für mich sehr schmeichelhaft waren. Die von Andersen so hoch angeschlagenen Strophen enthalten so verschrobene Gedanken, daß ich fürchte, wollte ich dieselben wörtlich übersetzen, Björnsen lächerlich zu machen; dieselben aber in metrischer Form wiederzugeben, dazu sind dieselben durchaus nicht angethan. Der Uebers.

Der Friede erklang nicht trostreich, und ich kam nicht nach Norwegen.

Am Abend vor Sylvester, in Dänemark der kleine Weihnachtsabend genannt, befand ich mich in Sorö bei Frau Ingeman. Drinnen in den Zimmern stand Alles auf dem gewohnten Platze, aber draußen – wie verändert! Der Schloßgärtner hatte große Veränderungen vorgenommen, freilich Verschönerungen. Der Garten der Akademie war in offene Verbindung mit dem Platze außerhalb der Akademie gesetzt worden, aber die Hälfte des Ingemann'schen Gartens war dadurch verloren; die Partie desselben, welche ihm der liebste gewesen war, eine kleine Anhöhe unter mächtigen Bäumen, war nunmehr verschwunden; der große Säulencoloß, der bis dahin als Tisch gedient hatte, lag auf die Erde geworfen. Frau Ingemann hatte rechtsgiltige Versprechungen, daß hier nichts vor ihrem Tode verändert werden sollte; allein man fragte sie um Erlaubniß, die Veränderung vornehmen zu dürfen, und die bescheidene, alte Dame gab sofort ihre Einwilligung. »Es ist ja eine Freundlichkeit, daß man mich zuvor fragte,« sagte sie, »eine Güte, daß man mich hier wohnen läßt.« Bei der Abreise erhielt ich ein großes Bouquet von Frau Ingemann und ihrem Mädchen Sophie, welche letztere die Blumen von ihren eigenen Topfpflanzen an dem kleinen Fenster abgeschnitten hatte.

Auf Basnäs schloß sich das Jahr, das schwerste, das bitterste meines Lebens.

*

Am Neujahrstage 1865 war stilles, klares Frostwetter. Die Sonne schien. Alle Bewohner von Basnäs fuhren zur Kirche, ich jedoch fühlte ein weit größeres Bedürfnis, allein zu sein. Festlich gestimmt ging ich in dem Garten spazieren. Es herrschte ein Friede in der Natur, eine herrliche Stille. Ich fühlte keine Angst vor dem, was das nächste Jahr bringen werde, aber auch keine Hoffnung. Dieser Neujahrsmorgen war der einzige, soweit ich mich erinnere, an welchem ich nicht mit kindlichem Glauben einen Wunsch ausgesprochen habe, den ich gern erfüllt gesehen hätte. Gleich einer finstern Schreckensnacht lag das entschwundene Jahr vor mir.

Wir waren Alle zu Mittag auf den benachbarten Herrensitz Espe eingeladen; ich bat, zu Hause bleiben zu dürfen, und da in der Einsamkeit gewannen die Gedanken plötzlich Flug. Es entfaltete sich eine ganze dramatische Dichtung: » Als die Spanier hier waren«, Die spanischen Hilfstruppen wurden von Napoleon I. nach der Insel Fyen und Jütland gesandt, um das Land gegen die Einfälle Englands zu schützen. Man vergleiche den vorigen Band S. 6. Der Uebers. ein romantisches Lustspiel in drei Acten. Ich hätte, als die Anderen spät Abends heimkehrten, den Gang der Handlung Scene für Scene erzählen können.

Die Gedanken hatten wieder Elasticität erlangt, ich war wieder in geistige Wirksamkeit versetzt und mein Gemüt fühlte sich erleichtert. Der erste Act meines Lustspiels wurde auf Basnäs vollendet, die beiden anderen schrieb ich bald nach meiner Heimkunft in Kopenhagen. Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, die Hauptperson, den jungen Spanier, nicht sichtbar werden zu lassen; ich konnte ihn nicht dänisch sprechen lassen, wie die anderen Personen im Stück; man hörte nur seine spanischen Gesänge und sein Castagnettenspiel hinter der Scene; seine ganze Persönlichkeit sollte klar, schön und edel erscheinen, ohne daß er sichtbar wurde. Man sollte ihm in seiner Liebe, in seiner Flucht und Gefahr folgen, überzeugt, daß nach Jahr und Tag die Stunde des Wiedersehens in Liebe und Glück kommen werde.

Das Stück wurde beim königlichen Theater eingereicht, dessen damaliger Chef, Etatsrath Kranold, sich lebhaft für dasselbe interessirte. Mein Freund, Professor Höedt, der großen Einfluß auf die Wirksamkeit des Theaters hatte, zeigte eine ähnliche Theilnahme. Der Abend der Vorstellung brach an. Das ganze Haus war ausverkauft, aber vom ersten Augenblick an ruhte eine solche Schwere, eine solche unheimliche Stille auf die Zuschauer, daß ich ein Gefühl hatte, als befände ich mich bei einem Trauerfest. Die junge, talentvolle Schauspielerin, Fräulein Lange, welche die Rolle der romantischen Liebhaberin spielte, wurde gegen alle Gewohnheit sehr streng beurtheilt. Frau Södring, der erklärte Günstling des Publikums, hatte aus dem alten Mädchen, Jungfer Hagenau, ein kleines meisterhaftes Bild geschaffen, aber erst später, nicht bei der ersten Vorstellung wurde dies vollkommen anerkannt; diese Rolle wird noch heute zu ihren unvergeßlichen gezählt. Jastrau sang die spanischen Romanzen ausgezeichnet; aber auch er, dessen Gesänge sonst mit jubelndem Beifall begrüßt wurden, schien an diesem Abend ebenfalls nicht zu genügen. Beim Fallen des Vorhanges mischte sich Beifall mit Zischen.

Bei den späteren Ausführungen folgte stets ungetheilter Beifall. Die Künstler verdienten alles Lob, besonders die unvergeßliche Frau Södring. Das Publikum ist oft mit nassem Holz zu vergleichen, das nicht Feuer fangen will. Die Schuld mag auch wol an der dramatischen Arbeit liegen. Es ist schwierig ein Urtheil zu fällen, wenn man selbst Partei in der Sache ist; aber eine Erfahrung habe ich gemacht, dass nämlich meine dramatischen Arbeiten bei den ersten Vorstellungen am strengsten beurtheilt worden sind.

Die Oper » der Rabe«, Hartmann's erstes Werk für die Scene, war während einer Reihe von Jahren zurückgelegt worden, aber einzelne Nummern hörte man mitunter im Musik-Verein, wo sie auch stets mit lauter Freude begrüßt wurden. Hartmann und ich wurden einig darüber, die Oper auf's Neue durchzuarbeiten und überall sprach sich die Freude der Musikfreunde darüber aus, die italienischen Masken, die ich von Gozzi beibehalten hatte, waren nicht verstanden worden: ich gab ihnen andere Namen und andere Kleidung, arbeitete einen Theil des ersten Actes um und ebenso den größten Theil des zweiten, so wie Hartmann es wünschte.

Während mehr als Jahr und Tag hatte ich kein Märchen geschrieben; mein Gemüt war zu überfüllt gewesen. Jetzt, als ich auf's Land hinauskam, nach dein freundlichen Basnäs, zu den frischen Wäldern am offenen Strande, schrieb ich: » Die Irrlichter sind in der Stadt«, Siehe die Märchen Band II. Seite 61. Der Uebers. worin auch die Ursache erzählt wird, weshalb die Märchen so lange nichts von sich hatten hören lassen, denn draußen herrschte Krieg und drinnen Noth und Sorge, die der Krieg mit sich führt. Die Scenerie dieses Märchens war Basnäs. Jeder, der dort gewesen ist, wird sich der großen Alleen und des alten Grabsteins, der einst in Skjelskjör über einen Rathsherrn und dessen sechs Frauen errichtet gewesen war, erinnern.

Noch ein Märchen sproßte wenige Wochen später auf dem prächtigen, waldreichen Frijsenborg Das Schloß Frijsenborg, dem Grafen Frijs, ehemaligem Conseilpräsidenten und Minister des Aeußern gehörend, liegt an der Ostküste Jütlands in herrlicher Gegend. Der Uebers. empor. Seit meinem vorigen Besuch war der Feind hier gewesen; setzt herrschte im Schlosse wieder Ruhe und Friede. In den schön eingerichteten Wohnungen, in dem blumenreichen Garten, bei herzensguten Menschen, voll des Glückes, das Wolstand und Wolwollen einem Menschen zu schenken vermag, entflohen mehre Wochen, und ich dichtete hier die Märchen » Goldschatz« und » In der Kinderstube«. Siehe B. II. S. 113, B. I. S. 443. Der Uebers.

Mein Sommerausflug schloß in Seeland bei den Freunden auf Christinelund, wo ich das Märchen » Der Sturm versetzt die Schilder« Siehe Band II. Seite 1. Der Uebers. schrieb. Es war noch naß auf dem Papier, als ich es der Familie vorlas, und gerade in dem Augenblick, als ich mit dem Lesen schloß, kam ein gewaltiger Windstoß; der Staub wirbelte auf und die Blätter wurden von den Bäumen gerissen, es wurde ein förmliches Sturmwetter, als ob die Natur über das eben geschriebene Märchen phantasiren wollte. Als ich ein paar Tage später Christinelund verließ, gewahrte ich auf dem Landwege große Bäume mit den Wurzeln ausgerissen. Das war ein Sturm, der wol im Stande war, Schilder zu versetzen. Man sagt ja, der Dichter ist stets seiner Zeit voraus; diesmal war ich dem Sturm voraus.

Bald befand ich mich wieder in Kopenhagen in meinen kleinen Zimmern zwischen Bildern, Büchern und Blumen. Diese Zimmer befanden sich in dem »Hotel Kronprinzen«, einem Gasthause dritten Ranges, im Nyhavn Nr. 21; sie bestanden aus drei kleinen, niedrigen Zimmern im dritten Stockwerk. Sein Arbeitszimmer befand sich dicht am Corridor, und wenn man zu ihm kam, öffnete er stets selbst. Der Uebers. Die Besitzerin des Hauses war eine vortreffliche, praktische und sehr gebildete Frau, bei der ich achtzehn Jahre gewohnt, und niemals an ein Fortziehen von ihr gedacht hatte; doch schien diese Eventualität näher zu sein, als ich dachte. Ich hatte gerade an diesem Tage Briefe von meinem Freunde, dem dänischen Consul in Lissabon, Georg O'Neil, erhalten, der gleichzeitig mit seinem Bruder in Admiral Wulff's Hause, wohin ich, wie bekannt, täglich kam, erzogen worden war. Georg O'Neil und ich hatten während der letzten Zeit in lebhaftem Briefwechsel gestanden; er lud mich jetzt ein, ihn zu besuchen, sein schönes Vaterland zu sehen, bei ihm und seinem Bruder zu wohnen und mit dem fürlieb zu nehmen, was sie mir verschaffen konnten. Ich fühlte große Neigung zu diesem Besuch und Lust mit meinen Jugendfreunden wieder zusammenzutreffen, aber die Erinnerung an die Beschwerlichkeiten, die ich in Spanien erlebt hatte, machte mich wankend. Da kam eines Morgens meine vortreffliche Wirthin ganz mißmuthig zu mir und erzählte, daß wir uns trennen müßten und das schon in einem Monat; ihr Sohn sei Student geworden, sie hatte ihm versprochen, daß wenn er ein gutes Examen mache, er ein besseres Zimmer als das bisherige haben solle, und sie hatte dazu das Versprechen gegeben, einen jungen Pensionär aufzunehmen, und brauche daher meine Zimmer. Das war mir sehr unlieb. Ich hatte hier achtzehn wechselvolle Jahre bei den lieben Leuten verbracht, und ich wohnte fast Thür an Thür mit meinem Freunde, dem Componisten Hartmann, den ich täglich sah. Alles sollte also hier verändert werden. Ich betrachtete dies als einen Fingerzeig von oben, daß ich reisen solle, und ich beschloß es auch. Indessen brachten die Zeitungen die Nachricht, daß in Spanien die Cholera sei und daß sie auch nach Portugal eindringe. Ich sprach mich in einem Briefe an Georg O'Neil darüber aus; seine freundliche Antwort war, daß er mich nicht überreden wolle, aber besonders glücklich sein werde, wenn ich mich zu kommen entschließen würde und dort so lange, als es mir gefiel, bleiben möchte, die Cholera sei in Spanien im Zunehmen, aber in Portugal habe sich nur ein einziger Fall gezeigt.

Ich beschloß zu reisen, aber nicht sofort gen Süden. Ich wollte die Zeit abwarten und begann mit einem Besuch in Stockholm, wo ich seit längerer Zeit nicht gewesen war und wo die lieben Freunde, die Dichterin Frederike Bremer und der Dichter Baron Beskow noch lebten. »Andersen hatte große Vorliebe für Alles, was Schwedisch hieß; denn die Studenten in Lund hatten ihm die erste öffentliche Ovation bereitet, wo er Gelegenheit fand, zu einem »jubelnden Volke« zu sprechen, und schon aus dem Grunde war er dem ganzen schwedischen Volke dankbar,« sagt Lobedanz und fügt hinzu: »Nicht blos das schwedische Volk, sondern auch zwei berühmte schwedische Damen, Frederike Bremer und Jenny Lind, umfaßten ihn mit einer freilich sonderbaren, aber doch treuen »Schwesterliche«, ohne daß er sich dadurch in seiner vollkommen naiv-unschuldigen Betrachtung der Menschheit, die aus zwei Geschlechtern besteht, wankend gefühlt habe. Andere Männer würden vielleicht sehr bald in dieser Schwesterliche etwas Beleidigendes gefunden haben; doch das Fundament, auf dem Liese in gewissem Sinne beruhte, war der felsenfeste Glaube an Andersen's geringe Gefährlichkeit als Mann.« Der Uebers. Es war das schönste Herbstwetter, als ich reiste. Als ich vor einer Reihe von Jahren zum ersten Mal Stockholm besuchte, dauerte die Reise mit der Diligence eine ganze Woche, nun besaß Schweden Eisenbahnen. Wie verändert! Welche Flucht! Unsere Kinder und Kindeskinder leben in der Zeit der Bequemlichkeit, wir Alten haben den Kampf zwischen den beiden Zeitaltern erlebt, wir stehen, wie man zu sagen pflegt, mit dem einen Beine in dem einen und mit dem andern Beine in dem andern Zeitalter: aber das ist meiner Ansicht nach gerade das Interessante.

Beskow Siehe S. 116 d. B. Der Uebers. war aus dem Lande, als ich in Stockholm ankam; Fräulein Bremer ebenso, aber Beide versprachen, nach Verlauf einiger Tage nach der Stadt zu kommen. In der Zwischenzeit ging ich nach Upsala.

Ich kam nicht allein: die liebenswürdige Familie Henriques, Diese in Kopenhagen ansässige Familie gehört zu denen, in deren Heim Künstler und Gelehrte verkehren. Der Mann ist Banquier und der Bruder der Etatsräthin Melchior, die Andersen bis zu seinem Tode eine treue Freundin und sorgsame Pflegerin war. Die Frau Henriques, die sich sowol durch Schönheit als Geist auszeichnet, gilt in Kopenhagen als tonangebende und ausübende Musikfreundin. Der Uebers. die ich während der letzten Jahre kennen gelernt hatte, und von der ich mich angezogen fühlte, war in Stockholm anwesend und reiste jetzt mit mir nach Upsala. Ich sah hier meinen lieben Freund Böttiger Professor Böttiger – siehe S. 127 d. B. ist im Herbst 1878 in Upsala gestorben. Der Uebers. wieder, der, wie erwähnt, mit Tegnér's Tochter Disa verheirathet ist. Er ist der Verfasser so mancher schönen Gesänge, die zu Lindblad's Siehe S. 114 d. B. Der Uebers. Melodien von Jenny Lind in Europas Musikwelt hinausgetragen wurden. Hier traf ich wieder mit dem Grafen Hamilton und seiner Gattin, Tochter des Dichters Geijer, Siehe S. 134 d. B. Der Uebers. zusammen; er war jetzt Gouverneur der Provinz und wohnte in einem romantischen alten Schlosse. Ich sah wiederum den Componisten Josephson, Siehe S. 137 d. B. Der Uebers. Jenny Lind's Täufling, als er Christ wurde; seine Gesänge klingen melodisch gleich Drosselschlag in den Birkenwäldern des Nordens. Ich besuchte ihn, er wohnte in dem Hause, wo Schwedens berühmtester Naturforscher Linné Der berühmte Naturforscher Carl von Linné, Sohn des Landgeistlichen Linnaeus in Råshult in Småland, ist geboren den 2./13. Mai 1707 und gestorben auf seinem Gute Hammarby bei Upsala den 10. Januar 1778. Dies Gut ist jetzt (1879) von der Universität Upsala angekauft worden, um das Wohnhaus und die dort noch befindlichen Sammlungen für immer zu bewahren. Man wird ihm demnächst in Stockholm ein Denkmal errichten. Der Uebers. während mehrerer Jahre gelebt hatte. Als ich, nachdem ich einen schönen musikalischen Abend verbracht hatte, in mein Hotel zurückkehrte und mich bereits zur Ruhe gelegt hatte, hörte ich Bewegung auf der Straße und herrlichen Gesang. Es war eine Serenade. Ich sprang aus dem Bette, ging an's Fenster und guckte hinter der Gardine hinaus. Galt der Gesang mir oder Frau Heuriques? Die Singenden wandten alle ihre Gesichter gegen die Fenster meiner Nachbarin und – selbstverständlich war die Serenade – ihr gebracht worden.

Von den Studenten in Upsala erhielt ich eine Einladung zu einem Fest für mich. An demselben Tage traf ich mit Upsala's älteren, bedeutenden Männern, dem Botaniker Elias Fries, Der berühmte Naturforscher Elias Fries, Professor in Upsala, starb daselbst im hohen Alter, von den gesammten Naturforschern der Welt als erste Größe betrauert. Der Uebers. dem Erzbischof, Dichter Böttiger, dem Docenten Nyblom und mehreren Anderen zusammen, und Abends führte man mich von dem Feste nach dem Sommerlokal der Studenten, das mit Flaggen, besonders dänischen, reich geschmückt war. Hier fand eine große Sexa statt, an welcher der Gouverneur und mehrere ältere Herren theilnahmen. Der Dichter E. Björck, ein Sohn des Bischofs in Gothenburg, ein wahrer Dichter von großer Begabung – Gott hat ihn bereits zu sich gerufen – begrüßte mich mit einem schönen, hoch ehrenden Gedicht.

Lieder wurden gesungen, Reden gehalten; es herrschte Lebhaftigkeit und Herzlichkeit. Ich las drei meiner Märchen: » der Schmetterling«, » der Tannenbaum« und » das häßliche junge Entelein«, S. die Märchen B. II. S. 31, B. III. S. 466 u. 494. Der Uebers. unter lautem Beifall vor, und wurde dann unter Gesang von allen Studenten nach Hause gebracht. Die Sterne leuchteten, der Mond schien, es war ein herrlicher windstiller Abend und im Norden leuchtete der Horizont in Nordlichtsflammen.

Als ich am folgenden Tage nach Stockholm kam, fand ich im Hotel eine Einladung vom Könige, auf Schloß Ulriksdal zu speisen. Dieses liegt einige Meilen von der Hauptstadt entfernt zwischen Wald- und Felspartien.

Nach einem starken Gewitter und heftigem Platzregen brach ein förmlicher Sturm aus, so daß ich sofort das Schloß aufsuchen mußte, ohne mich in der malerischen Umgebung umsehen zu können. Als ich einen Augenblick in dem großen, schönen Saal allein war, trat ein Herr zu mir ein, reichte mir die Hand und hieß mich willkommen; ich erwiderte den Händedruck, aber indem ich sprach, ging es plötzlich auf vor mir, daß es der König sei. Ich hatte ihn nicht sofort wiedererkannt. Er führte mich nunmehr selbst im Schloß umher und stellte mich vor der Tafel der Königin vor, die mich in ihrem Aeußern an die edle, jetzt verstorbene Großherzogin von Weimar, mit welcher sie verwandt ist, erinnerte. Die junge, damals noch nicht confirmirte Kronprinzessin Lovisa reichte mir freundlich die Hand und dankte mir für die Freude, welche sie durch das Lesen meiner Märchen gehabt habe; sie machte einen angenehmen Eindruck durch ihre Natürlichkeit, ihre Liebenswürdigkeit und ihre Verstandesreife; jetzt ist sie des dänischen Kronprinzen Frederik Braut, bald unsere Kronprinzessin. Gott möge dieses junge Paar segnen und es beschützen!

Der König und die Königin, Alle in der Umgebung waren herzlich und wolwollend gegen mich. Nach der Tafel führte mich der König in sein Rauchzimmer und schenkte mir einige seiner eigenen Schriften. Es war ein herrlicher, glücklicher Tag bei meinem königlichen Gönner. Ich legte die Erinnerung an denselben in einem kleinen Verse nieder, den ich vorn in einem Exemplar der dänischen Ausgabe des » Märchens meines Lebens« einschrieb, das ich vor der Abreise von Stockholm dem Könige überreichte.

Wenige Tage später wurde ich zur Audienz und zur Tafel bei der Königin-Wittwe nach Drottningholm, woselbst auch Prinz Oscar Der jetzige König Oscar II. Der Uebers. und Familie wohnte, befohlen. Ich ging mit dem Dampfschiff nach dort hinaus und wurde durch das prachtvolle Schloss mit seiner Gartenanlage überrascht: ich mußte unwillkürlich an die Villa Albani bei Rom denken, doch Drottningholm besitzt eine Schönheit mehr, es liegt an einem Arm des schönen Mälarsees.

Ich hatte die Königin-Wittwe nicht gesehen, seit König Oscar I. gestorben war. Wie viel lag nicht zwischen der Zeit und jetzt! Sie kam mir wie zu jener Zeit fröhlich und lebhaft entgegen, und wir sprachen lange mit einander; sie war mild und herzlich und geradezu. Als sie mir nach beendigter Tafel Adieu sagte, fügte sie hinzu, daß ein Wagen zu meiner Benutzung bereit stände, wenn ich wollte, und trug einem der Kammerherren auf, mich in den Sälen des Schlosses umherzuführen. Als wir unsere Wanderung begannen, kam wieder Prinz Oscar hinzu und zeigte mir die Kunstschätze und historischen Erinnerungen des Schlosses. Als Alles besehen war, führte er mich in seinen eigenen abgeschlossenen Garten zu seinen Kindern. Hier zeigte er mir einen kleinen Buchenbaum und erzählte mir, daß, als er sich am Rhein mit seiner »Frau« verlobt habe und im nächsten Jahre wieder dahin kam, aus einer Buchecker ein zweiblättriges Bäumchen emporgesprossen war, das sie mit nach Schweden nahmen und hier im Garten einpflanzten. Der Baum war jetzt größer als ich. Als ich von einem der nächsten Bäume ein Blatt zur Erinnerung an den Besuch in Drottningholm pflücken wollte, brach der Prinz selbst ein Blatt von seinem deutschen Pflegling und überreichte es mir.

Vor dem Schloß am Mälar wächst der Erde entlang ein alter Weidenbaum. Als Drottningholm unter Carl's XII. Mutter errichtet wurde, war der Baum von ihr in Schutz genommen worden, während viele andere Bäume und Gebüsche dem neuen Plan geopfert werden mußten. Der Volksglaube meldete schon damals, daß dieser Baum so lange lebe und Blätter ansetze, wie das königliche Geschlecht blühe. Unter Carl Johan krankte der alte Baum und war dem Ausgehen nahe, das alte schwedische Königsgeschlecht war dem Aussterben nahe: als aber Carl Johan's Enkel, der jetzige König Carl XV. von Schweden, geboren wurde, grünte der alte Baum auf's Neue.

Es war fast finsterer Abend, als ich das schöne, freundliche Drottningholm verließ. Als ich in den Wagen stieg, kam der Componist der »Gluntarne«, Wennerberg, zu mir. Wir sprachen mit einander; er drückte mir zum Abschied mit innigem Gefühl die Hand, das so natürlich bei Schwedens Dichtern und dessen Jugend ist.

Am nächsten Abend, als ich in Stockholm » Strömparterren«, Eine in die Salzsee hinausschießende Landzunge, wo ein vielbesuchtes Café sich befindet und eine Station der kleinen Dampfer ist, daher ein reges Leben herrscht. Der Uebers. wie die kleine Insel unter der Brücke genannt wird, welche den Schloßholm mit dem Nordholm verbindet, besuchte, traf ich mit einem Theil älterer und jüngerer Verfasser und Künstler zusammen. Unter Anderen war dort der reichbegabte, joviale Lustspieldichter August Blanche, Der Dichter August Blanche, geboren 1811 in Stockholm, gestorben daselbst den 30. November 1868, hat viele Novellen, Lebensbilder und eine Unzahl von Theaterstücken geschrieben, die theilweise noch heute zum Repertoire der schwedischen Bühnen gehören. Einige Romane von ihm sind auch in's Deutsche übersetzt worden. Der Uebers. der mit großer Freude begrüßt wurde und gerade auf mich zu kam.

»Bist Du da, mein Bruder?« rief er mit strahlendem Gesicht aus, umarmte und küßte mich. Ich erwähne dies, denn ich wurde durch die Anrede überrascht, die mich dennoch in hohem Grade erfreute; ich wußte nämlich mit Bestimmtheit, daß wir noch niemals Brüderschaft mit einander getrunken hatten. In Schweden ist das jedoch so allgemein, daß ich es sehr wol begreifen kann, daß wenn junge und ältere Männer mit gleichem Interesse sich versammeln, die Titulatur fortfällt und sie sich mit dein vertraulichen »Du« ansprechen, so daß man nach einer Festmahlzeit oder nach einer heiteren Gesellschaft, wenn man sich nach einer Reihe von Jahren wiedersieht, leicht zu der Ueberzeugung kommen kann: Wir kennen einander, wir sind Freunde, also haben wir auch ganz gewiß »Du« mit einander getrunken. Das glaubte natürlich der liebe, herzensfrische Blanche, und ich ging ohne Weiteres darauf ein, antwortete mit »Du« und stieß mit meinem neuen Duzbruder an. Das geschieht nun nicht mehr; denn auch er gehört zu den großen Männern, die uns verlassen haben. Im Jahre 1868 während des Festes zur Feier der Enthüllung des Monuments Carl's XII. Bei dieser Veranlassung hielt der jetzige König Oscar II. einen historischen Vortrag über Carl XII. in der militärischen Gesellschaft in Stockholm, der unter dem Titel: » Carl XII. als König, Krieger und Mensch« in meiner Uebersetzung bei Bichteler & Co. in Berlin bereits in zweiter Auflage erschienen ist. Der Uebers. fiel Blanche plötzlich todt auf der Straße um.

Fräulein Bremer befand sich noch auf dem Lande auf ihrem Eigenthum Arsta; sie lud mich ein, zu ihr zu einem längeren Aufenthalt zu kommen, aber da sich dies damals nicht so ordnen ließ, kam sie nach Stockholm. Ich hatte sie nicht gesehen, seitdem sie mit unserem amerikanischen Freunde Marcus Spring und seiner liebenswürdigen Frau Rebecca Dänemark besucht hatte. Wir sprachen von Dänemarks schwerer Zeit, und die Thränen rollten auf die Wangen des tieffühlenden, edlen Weibes herab. »Stets werde ich Andersen eine treue Freundin sein,« sagte sie, indem ihre feine Hand die meinige drückte. Das war unser letzter Händedruck in diesen Leben. Um die Weihnachtszeit durcheilte die Trauerbotschaft den Norden: Frederike Bremer ist todt! Sie hatte sich in der Kirche eine Erkältung zugezogen, kam heim und schlief fromm und still ein. – Wieder eine der Treuen, die ich in dieser Welt verloren hatte. In ihren Briefen besitze ich einen Schatz, eine unvergängliche Erinnerung.

Der Dichter Baron Beskow kam zur Stadt und hatte einen auserwählten Kreis eingeladen, mit dem ich bei ihm zusammenkommen sollte. Seinen betreffenden Brief besitze ich: dieser giebt das Programm an:

 

»Dienstag, den 3. October 1865.

Lieber Freund!

Ich suchte Dich gestern, um Dir mitzutheilen, wer an unserer kleinen Mittagsgesellschaft morgen theilnehmen wird, nämlich der königliche Bibliothekar Rydquist (unser Jakob Grimmk, der Reichs-Antiquar Hildebrandt (unser Thomsen), der königliche Archivar Browalius (unser Wegener), die Skalden »Talis Qualis« Strandberg (Byron's Uebersetzer), C. G. Strandberg (Anacreon's Uebersetzer), Sander (der Dir bereits persönlich bekannt ist) und Dalgren (der ein nationales Lustspiel verfaßt hat, das 130 Mal gegeben ist und der Calderon u. s. w. übersetzt hat). Du siehst also, der Gäste sind nicht viele, aber ausgewählt sind sie. Also willkommen morgen um 4 Uhr bei Deinem alten Freunde

Beskow

Es war ein herrliches Mittagsfest, durchhaucht von Geistesfrische und Herzlichkeit.

Draußen, rundum, vernahm ich dieselbe Brise; alte Bekanntschaften wurden erneut, so auch mit dem Lustspieldichter Franz Hedberg Der Dichter und Theater-Intendant der königlichen Schauspiele in Stockholm, Franz Hedberg, ist dem deutschen Publikum nicht mehr ganz fremd. 1877 wurde auf den meisten deutschen Bühnen sein Lustspiel » des Majors Töchter« aufgeführt und jetzt versende ich gerade an die deutschen Bühnen ein nach dem Originalmanuscript übersetztes interessantes historisches Lustspiel »Glatteis«. Der Uebers. und dem Schauspieler Johan Jolin.

Der Tag der Abreise kam.

Seit fünfundzwanzig Jahren war ich in Schwedens Universitätsstadt Lund nicht gewesen. Im Jahre 1840 wurde mir hier die erste öffentliche Huldigung zu Theil; die Studenten kamen mit Fackeln, Gesang und herzlichen Reden. Ich habe davon in früheren Abschnitten dieses »Märchens meines Lebens« erzählt und berichtet, wie überwältigt ich durch diese Ehrenbezeugung wurde. Mir schien, daß ich erst nach vielen Jahren hier herkommen durfte, denn ein solches Fest konnte sich niemals wiederholen. Seit der Zeit waren, wie gesagt, fünfundzwanzig Jahre verflossen; ich würde einem ganz neuen, mir fremden Geschlecht begegnen. Mein Heimweg führte dicht daran vorüber. Ich hatte Lust, einen Tag in der freundlichen Stadt zu verbringen, die alte Kirche zu besuchen und das neue Studentenvereinshaus zu sehen, das ich noch nicht kannte. Freunde in Upsala hatten mir Briefe an einige Professoren der Universität mitgegeben, als ich ihnen bemerkte, daß ich in Lund jetzt ganz fremd sei.

Längs der Eisenbahn gewahrte ich noch Farbenspiel im Walde; die Birke war gelb, die Tanne dunkelgrün und die Ahornbäume waren zinnoberroth. Die Holzhäuser, mit schwarzen Dächern und weißen Schornsteinen, der steinvolle Boden, der Felsengrund und große ernste Seen bildeten die stete Abwechselung. Ich kam gegen Abend nach Lund. Ich kannte Niemand und glaubte, Niemand kenne mich. Ich suchte das Hotel auf und ging früh Abends von der Reise ermüdet zu Bett. Bald hörte ich Gesang. Einige Studenten feierten im Hotel ein Abschiedsfest für einen abreisenden Studenten. Der Gesang ertönte hübsch und bald erklang er vor meiner Thür. Die jungen Freunde wußten, daß ich hier war; aber als sie hörten, daß ich mich bereits zur Ruhe begeben hatte, zogen sie sich zurück.

Ich war dem Professor Linngreen empfohlen. Bei ihm verbrachte ich den Mittag in einem geistreichen Freundeskreis. Während ich mich hier befand, kam eine Einladung an mich von den Studenten, welche in aller Eile den Saal in ihrem Vereinshause zu einem Fest für mich geschmückt hatten, jugendfrisch und enthusiastisch wie das Fest, welches mir von den Brüdern in Upsala bereitet worden war.

Abends sieben Uhr führte der Professor Linngreen mich in den Verein. Hier sah es großartig festlich aus. Die Wände waren mit den verschiedenartigen Wappen der Provinzen dekorirt und über jedem derselben wehte eine dänische und schwedische Flagge. An der Rednerbühne befand sich die Fahne, welche die Kopenhagener Damen gestickt und den Lundenser Studenten geschenkt hatten. Die Zimmer waren von jüngeren und älteren Männern der Universität erfüllt. Nach der Mahlzeit wurde ich von der Rednerbühne aus von dem Wortführer der Studenten begrüßt.

Ich habe die Gedanken alles dessen, was man sagte, bewahrt, aber nicht die wolgewählten Worte, worin diese gekleidet waren: Vor fünfundzwanzig Jahren hatten Lunds Studenten mir ihren Gruß und ihre Huldigung dargebracht; der Strom sei noch derselbe, doch sei es ein anderes Geschlecht und gerade ein Geschlecht, das während meines Dichtens aufgewachsen, das ihm Nahrung für den Geist gewesen sei und daher sei mir dieses Geschlecht zu weit größerer Dankbarkeit und Liebe verpflichtet.

Dann begann der Gesang. Ein junger Dichter, Wandel, las ein hübsches Gedicht an mich gerichtet vor, und ich erneuerte meinen Dank, indem ich drei Märchen, » Der Schmetterling«, » Die glückliche Familie« und » Es ist ganz gewiß«, S. die Märchen B.II. S.31, B.III. S.118 u. 146. Der Uebers. vorlas. Jedes dieser Märchen wurde mit rauschendem Jubel aufgenommen, und nun folgten in reicher Abwechselung dänische und schwedische Gesänge. Es war so zutraulich, so gut, so herzlich warm, kurz, es war wiederum ein Glücksabend, der in meine Erinnerung hineinleuchtet. Die ganze große Schar folgte mir zum Hotel, wo ich wohnte. Arm in Arm, unter lebhaftem Gesang, schritt der Zug aus dem Studentenvereinshause hinaus, vorbei an der alten Domkirche. Wir blieben einen Augenblick an Tegnér's Siehe den vorigen Band Seite 192. Der Uebers. Monument stehen, und dann ging es weiter unter Gesang durch die stillen, menschenleeren Straßen. Als ich an meiner Thür stand, ertönte ein neunmaliges Hurrah. Glücklich, tief bewegt, sprach ich meinen Dank aus und erreichte wehmüthig und dennoch so erhoben mein kleines Zimmer. Da erklang noch von der Straße her ein Gesang; es war gerade die Melodie, die man vor fünfundzwanzig Jahren an meinem Freudenabend in Lundgesungen hatte. Gott verleihe jedem der lieben jungen Freunde Freude im Leben, wie ich sie an diesem Abend gefühlt habe.

Als ich nach Kopenhagen kam, logirte ich mich in einem Hotel ein; ich war ja jetzt Reisender, wollte nach Portugal. Aber der Weg dahin von Frankreich führte zur See. Das Spanische Meer Der Biscayische Meerbusen, berüchtigt wegen seines hohen Wogenganges. Der Uebers. war durchaus nicht verlockend in dem sturmvollen Herbst; in Spanien war es unruhig. Die Zeitungen meldeten von den Bewegungen der Prim'schen Truppen; sie hatten sich gegen die Grenze bei Badajos hin gezogen, gerade den Weg, den ich reisen mußte, wenn ich über Land gehen wollte. Ich beschloß, noch einige Zeit daheim zu warten und die Begebenheiten mit anzusehen.

Das herrlichste Bild aus dieser Zeit ist ein kurzer erinnerungsreicher Besuch auf Fredensborg. König Christian IX. hatte mich rufen lassen. Zwei Zimmer im Schloß wurden mir zur Verfügung gestellt, und ich fand wie immer den herrlichsten Empfang. Die königliche Familie wollte meine letzten Märchen vorlesen hören. Ich habe alle königlichen Kinder emporwachsen sehen und schon als kleine Kinder reichten sie mir stets freundlich die Hand. Die königliche Familie kennen, heißt auch sie lieben; es herrscht das herrlichste häusliche Leben, Herzlichkeit und Gradheit in derselben. Alle die guten Kinder haben mich meine Märchen vorlesen hören, der Kronprinz Frederik und sein Bruder, der jetzige König Georg von Griechenland, die Prinzessinnen Alexandra und Dagmar waren anwesend, sowie die beiden jüngsten Kinder, Prinzessin Thyra und der kleine prächtige Prinz Waldemar. Dieser hatte an dem Abend Erlaubniß bekommen, eine halbe Stunde länger aufbleiben zu dürfen, um einen Theil meiner Vorlesung mit anhören zu können, sagte die Königin.

Am nächsten Tage stattete ich Besuche bei einigen Lieben ab. Dicht an dem Garten des Schlosses, in einem zu demselben gehörigen Nebengebäude wohnte mein Freund, der Dichter Paludan Müller. Siehe den vorigen Band Seite 74. Der Uebers. Er beherrscht die dänische Sprache wie Byron seine Muttersprache beherrschte: sie wird zur Musik erhoben. Jede seiner Dichtungen offenbart eine tiefe dichterische Seele; seine Werke » Adam Homo«, » die Hochzeit der Dryade,« und » Abel's Tod« u. s. w. werden immer gelesen und bewundert werden. Als Mensch besitzt Paludan Müller etwas so Naives, Offenes und Gutmüthiges, daß man sich sofort zu ihm hingezogen fühlt.

Ein anderes glückliches Haus mußte ich ebenfalls in Fredensborg besuchen. Der Besuch galt einem Freunde und seltenen Künstler, dem Balletdichter August Bournonville, Siehe den vorigen Band Seite 105. Der Uebers. der seine Kunst auf der dänischen Bühne in so hohem Grade gehoben hat, daß sie einen würdigen Platz neben den anderen besten Kunstarten einnimmt. Man mag in Paris ausgezeichnetere Tänzerinnen als bei uns haben, viel blendendere Dekorationen und großartigere Arrangements, aber einen solchen Reichthum von wirklich poetischer Balletdichtung, wie Bournonville uns geschenkt hat, besitzt nur Kopenhagen. Es liegt eine edle Reinheit, etwas anmuthig Charakteristisches in dem großen Cyclus von Balletten, den er geschaffen hat. Bournonville, der der Vertreter des Ballets unserer Zeit auf der dänischen Bühne ist, besitzt gleichzeitig Herz und Gemüt gleich einem Vater für die, welche in seiner Dichtung mitwirken; er besitzt eine warme, feurige Natur und ist ein guter Kamerad. Tritt man nun gar in seine Häuslichkeit ein, wie voll Sonnenschein ist es dort!

Ich sah das Glück des häuslichen Lebens im Schlosse, ich sah es in den geringeren, aber auch sonnenerfüllten Stuben bei den Freunden Paludan Müller und Bournonville. Dem Letzteren hatte ich damals gerade die neuesten Märchen dedicirt, die ich der königlichen Familie vorgelesen hatte. Bournonville drückte mich an seine Brust und sprach auf die herzlichste Weise seinen Dank aus. Wie oft hat er mich nicht ermunternd in Wort und Schrift getröstet und erhoben, wenn dieser oder jener kalte Wind mir Mißmuth in's Gemüt blies.

In Kopenhagen lebte ich fortwährend auf reisendem Fuße, ohne einen Entschluß fassen zu können. In Paris war die Cholera ausgebrochen, und wie es mit der Gesundheit und dem Frieden in Spanien aussah, vermochte ich nicht recht zu erfahren. Hinaus wollte ich indessen sofort beim Anbruch des neuen Jahres. Die Begebenheiten sollten die Reise bestimmen; sie sollten entscheiden, wie weit ich diesmal gegen Süden kommen würde.

Weihnachten und die ersten Tage des neuen Jahres verbrachte ich auf dem Schlosse Holsteinborg und Basnäs. Dort bekam ich einen Brief, gefüllt mit duftenden Veilchen, aus Portugal. Georg O'Neil sandte mir diese als Gruß vom Lenz, der meiner in Lissabon harrte.

*


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