Willibald Alexis
Der Werwolf. Erster Band
Willibald Alexis

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Zweites Kapitel

Konfessionen

Zwei Frauen standen im Schloß zu Köln, beide edel, beide schön und beide Mütter blühender Kinder; aber wenn Du hier aus dem Gewächshaus, dessen verglaste Fenster im Abendsonnenschein glühten, eine Limone von der Staude brächst, und dort der Hökerin an der langen Brücke einen rotbackigen Apfel aus dem Korbe nähmst und hieltest beide zusammen: die Limone und der Apfel sähen nicht verschiedener aus als die schöne Fürstin und die schöne Edelfrau.

Die Limone ist nicht im Lande geboren; im engen Hause atmet die fremde Pflanze fremde, gewärmte Luft; die Strahlen der Sonne saugt sie ein durch eine künstliche Glasdecke; der Tau des Himmels, der Regen, den die Wolken spenden, die Stürme, in deren Wüten ein Baum stark wird und die eigene Kraft mißt, der tiefe Erdboden, wo ihre Wurzeln Nahrung suchen, das alles fehlt ihr, und mehr. Nicht der Himmel, der Gärtner sorgt für sie. Wenn er sie tage-, wochenlang zu netzen vergißt, verdorrt und stirbt das köstliche Gewächs. Der wilde Apfelbaum im Garten grünt und blüht und trägt Früchte, so auch keines Menschen Hand sich um ihn kümmert.

Die Fürstin war die hochgeborene Frau Elisabeth, Tochter und Schwester zweier Könige von Dänemark, die Gemahlin des Markgrafen von Brandenburg, eine reiche, gewaltige Frau; reich auch durch den Segen an blühenden Kindern, gewaltig auch, wenn ihr trübes Auge hätte in die Zukunft schauen können, welchen Stammes Mutter sie werden sollte. Aber glücklich war sie nicht. Sie war die schöne, prangende Limone im Gartenhaus gewesen, die alle angestaunt. Hatte der Gärtner sie zu pflegen vergessen? Langer Jahre Kränkungen schienen auf dem blassen Gesicht der hohen Frau wie stumme Klagen zu sprechen.

Vielleicht nur um weniges jünger, und Mutter schon keck aufwachsender Buben und Mädchen, schwebte doch noch ein rosiger Jugendhauch um das liebliche Gesicht der Edelfrau. Ihre Wangen waren, wenn nicht wie Sammet, doch aber wie die Backen des Apfels, wenn die Herbstsonne den Morgentau trocknet; er will vom Ast herunter. Ihre wohlgeformten Lippen luden noch wie zum Küssen ein, doch meinte man, sie konnten wohl auch schmollen; aber wenn sie schmollten und die kleinen Perlenzähne zum Vorschein kamen, hätte der wohl kaum wieder geschmollt, dem es galt. Die blauen Augen konnten noch so unschuldig in die Welt blicken, als wär's vor fünfzehn Jahren; aber ich weiß nicht, ob nicht der Schelm dahinter lauerte; denn auch recht klug und scharf konnten sie umschauen, und die Taub' wär sie nicht gewesen, wenn der Falke auf ihr Junges stürzte. Wo sie die Wimpern züchtig niederließ, hättest Du gemeint, es sei noch eine Jungfrau, und wenn sie mit der Agnes oder der Brigitte um die Wette lief und aus Herzensgrunde lachte, hätte sie einer, der's nicht wußte, noch für ein Mädchen gehalten, und war doch Mutter von dreien, und noch drei Buben.

Diese ihre Kinder rief die Frau von Bredow jetzt zusammen, was schwer hielt, denn die Kleinen tummelten sich noch lustig mit den jüngeren Prinzessinnen und Prinzen, und die Prinzen wollten ihre Spielkameraden noch nicht lassen. Die Brigitte und die Agnes klammerten sich zwar schon an den Rockschoß der Mutter, aber der ausgelassene Lockenkopf, die Eva, hopste noch wie die Frösche mit den Töchtern der Kurfürstin, und der Hans schlug Kobolds mit dem Prinzen Johann auf der Decke von Arras, die recht eigens dazu so gewebt schien, mit den kostbaren Figuren vom griechischen Pferde und dem brennenden Troja. Der Jürgen und der Gottfried waren aber mit dem kleinen Prinzen so eng aneinander – wenn nicht in Liebe, doch in Unschuld – daß die Glastür zum Gewächshaus klirrte. Da der drohende Finger der schönen Mutter bei diesen Wildfängen nichts fruchtete, war sie mit einer Hurtigkeit, die sonst in fürstlichen Gemächern sich nicht schickt, hingeflogen, und wie sie die Knaben auseinander gebracht, die Chronikenschreiber haben sich nicht unterstanden, es niederzuschreiben, aber Jürgen und Gottfried schrieen auf und der kleine Prinz Georg sah der raschen Frau verwundert nach, als er sich hinterm Ohre rieb. –

»Nun verbeugt Euch – so – tiefer!« sprach die junge Mutter, »und dankt den gnädigen Herrschaften, daß sie so gnädig gewesen, mit Euch zu spielen.«

Jürgen aber drohte mit der kleinen Faust auf den Prinzen Georg: »Er hat mir ins Aug' gestoßen. Das gilt nicht. Warte nur, das kriegst Du wieder.«

»Der wird der Vater,« sagte die Fürstin schnell. Die Mutter tat, als hätte sie's nicht gehört; die Mutterfreude glänzte in ihrem Gesicht.

»Ihr seid ein glücklich Weib, Frau von Bredow.«

»Euer Gnaden sind nicht minder eine glückliche Mutter.«

Die Fürstin schwieg eine Weile. Es schienen aber nicht die eigentlichen Gedanken, denen sie nachhing, als sie anhub: »Es ist gut, Bredow, daß Ihr die Kinder früh in strenger Zucht haltet.«

»Ehre dem, dem Ehre gebührt, sagt der Vater: also zuerst Vater und Mutter, das andere, meint er, lernt sich von selber. Es haben ihn auch nicht viele gelehrt, was recht ist und was nicht recht. Er ist aber schon so durchgekommen.«

»Ihr seid ein glücklich Weib,« wiederholte die Kurfürstin mit eigener Betonung, und es war, als rege sich etwas in ihr, der Frau des Marschalls um den Hals zu fallen, »und Euer Mann ist Euch treu?«

»Ich mein's,« entgegnete Eva, die Augen niederschlagend, aber ein Zug um die Lippen hätte einem anderen als dem trüben Blick der Fürstin vielleicht verraten, daß gerad' jetzt etwas vom Schelm hinter den Augenlidern sich verbarg.

»Ihr meint es nur, Ihr seid dessen nicht gewiß?«

»Eine Frau folgt doch ihrem Manne nicht auf Schritt und Tritt.«

»Das ist sehr ruhig gesprochen, Bredow.«

»Ich meine, es sei so am gescheitesten, daß man sich nicht unnötig Sorge macht.«

»Euer Mann, Frau von Bredow, ist ein Ehrenmann. Wir haben am Hofe keinen zweiten Kavalier wie ihn. Einen solchen Gatten zu haben, von so rechtschaffener Gesinnung, und bei hoch und niedrig gleich geachtet, das sollte jede Frau als eine große Gnade Gottes würdigen und in dankbarem Herzen allezeit erkennen.«

Eva neigte sich: »Gnädigste Frau, ich erkenne mein Glück, wie den Wert meines Gatten. Darum ist's mein Dafürhalten, daß ich nicht Gedanken vorsuche, die mir nichts hülfen, als daß sie mich unruhig machten, und dadurch das Glück störten, was ich schätze und genieße.«

»Wenn er nun doch –«

»Ein anderes Weib schön fände und lieb hätte. Dann wär's doch immer am besten, gnädige Frau, so ich's nicht weiß. Er ist ein braver Mann, meinen Kindern läßt er's nicht fehlen an Lieb' und Güte, noch mir. Er liebt mich wie es sein muß, ich lieb ihn auch –«

»Und dann wär's Euch gleichgültig, so er noch anderwärts ein Kebsweib hätte.«

»Ich könnt's nicht ändern, gnädige Frau.«

»Das ist sehr leichtsinnig gesprochen, Frau von Bredow. Ich hätte besser von Euch gedacht, um nicht zu sagen, ich hätte dem wackeren Marschall meines Herrn eine Frau von festeren Grundsätzen gewünscht.«

Die Kinder waren schon in das Vorzimmer geführt. Die Kurfürstin schritt auf und ab.

»Das ist gegen Gottes heilige Institutionen gefrevelt, wenn ein Weib so über Ehe denkt. Daß die Männer sündigen, ist schlimm, aber es ist weit schlimmer, wenn die Frauen sich nichts daraus machen. Das kommt aber von der Lehre der schlechten Priester, welche nicht allein selbst ein ärgerlich Leben führen, was andere verlockt, sondern noch der Sünde das Wort sprechen, damit der Sünder nur immer mehr werden, welche Ablaß begehren, und von ihnen kaufen.«

Die Edelfrau stand, halb sich neigend, und schwieg. Es ist nicht leicht zu wissen, wenn ein Fürst spricht, ob der, zu dem es ist, auch sprechen soll, oder nur zuhören. Wenn er widersprechen soll, wird es ihm gesagt.

Die Fürstin sprach viel von den Priestern, welche, in Ueppigkeit und Sünde lebend, um den Armen und Gedrückten sich wenig kümmern, aber um die Mächtigen und Großen sich drängen, als Beichtväter, Räte, Kanzelare; welche diesen Herren dann böse Ratschläge erteilten und, ihre Schwächen belauschend, ihren Gelüsten frönten, indem sie den schlechten Dingen gute Namen gäben. Sie machten große Sünden zu kleinen Vergehen und legten dann den großen Sündern solche Buße auf, die ein Spott wäre Gottes und seines heiligen Wortes. Es war nicht schwer zu raten, auf welche Prälaten und große Herren sie anspielte.

»Auch die Gedankensünden sind Sünden und sie sind die schlimmsten, weil man ihrer nicht acht hat,« sprach sie jetzt, vor der Edelfrau stehen bleibend, und schien sie mit ihrem Blick von oben bis unten zu mustern. »Mancher Mann glaubt, er hätte ein treues Weib, und die Welt meint es auch, weil sie keinen Fehl begeht, den die Welt mit ihren Augen sieht. Aber die Welt liest nicht ihre Gedanken; sie liest nicht, wie der Feind in lockender, freundlicher Gestalt angeschlichen kommt, wie er mit schmeichelnder Stimme flüstert: das ist ja kein Arg, daß Du ihn freundlich ansiehst, der Dich so freundlich ansieht.«

Eva senkte die Augen, freilich um sie gleich wieder aufzuschlagen; aber sie hatte sie doch einmal gesenkt, und ein leichtes Rot war über ihre Stirn gehaucht.

»Der Feind aber wird mutiger,« fuhr die Fürstin fort, »wenn er keinen Widerstand findet. O er weiß zu flüstern, daß es wie Engelszungen klingt. Der einen sagt er: sieh wie schön er ist, wie reich, was ist's Böses, daß Du ihn wieder liebst, der Dich so sehr liebt? Der andern: Du brauchst ja nur im geheim ihm gut zu sein, denn so es niemand erfährt, kränkt es auch niemand. Noch zu einer dritten, die den Bösen abweisen möchte, flüstert er: Er ist Dein Herr, seinem Willen zu gehorchen, ist Deine Pflicht. Dein Gatte ist sein Diener, und wenn Du ihm gefällig bist, ist's Deines Gatten Glück; ja wenn Du ihn abweisest, kann er es dem entgelten lassen. So spricht der Feind zu denen, die sich für tugendhaft halten, meine liebe Frau von Bredow, und dann will er auch wohl ihr Gewissen beschwichtigen: Dein Gatte wünscht es heimlich, er wagt es nur nicht auszusprechen, aber er würde Aug' und Ohr zutun.«

Die Edelfrau hatte die Fürstin groß angesehen, fast erschrocken, und ein anderes Rot, als das leichte vorhin, hatte sich einmal purpurn über ihr Gesicht ergossen; aber auch das war schnell vorüber. Jetzt war's, als ob ein Lächeln über ihre Lippen zuckte:

»Gnädigste Frau,« sprach sie, »wir Menschenkinder sind alle in des Satans Gewalt, das weiß ich, und in wes Gestalt er zu uns tritt, das weiß ich nicht. Aber wo er heranschleicht, schickt der Herr auch seine Engel, mein ich, uns in unserer Schwäche beizustehen. Wie die aussehen, weiß man nicht, aber zur rechten Zeit sind sie gewiß immer da. Wenn zum Exempel der Versucher an mich unwürdige Person getreten wäre und hätte sich unterstanden, die Gestalt eines großen Herrn anzunehmen, den ich achten und ehren muß –«

»Was hättet Ihr da getan?«

»Mir ist, als wär's mir im Traum begegnet, und ich hätte laut ihn angelacht: Gnädigster Herr, Ihr habt Euch versehen, ich bin ja die Eva Bredow.«

»Davor entflieht der Versucher nicht.«

»Die armen Engel,« sagte Eva. »Da die Kinder lachen, warum die lieben Engel nicht? Ich meine, der liebe Gott wäre mit uns mehr zufrieden, als er es ist, wenn wir immer lachen könnten.«

»Was tat der Versucher – in Eurem Traume?«

»Er entfärbte sich etwas, wenn ich recht gesehen, und fuhr zurück. Gnädigster Herr, sagte ich, als ich ihn so betroffen sah, solche Verwechselung kommt wohl im Leben vor.«

»Ihr hättet ihn scharf und entrüstet anblicken, zu ihm sprechen sollen –«

»Wenn er nun in der Gestalt eines mächtigen Fürsten erschienen wäre, und ich seine Dienerin.«

»So gibt es noch andere Fürsten und Fürstinnen, die Ihr anrufen könnt.«

»Gnädigste Frau, das hätte die leichte Sache viel ernsthafter gemacht, als sie verdiente, und nichts geholfen, so dachte ich in meinem albernen Traume. Mir schien es das beste Mittel, und es hat geholfen. Er streckte den Arm mir weit entgegen, drückte meine Hand und ging.«

»Er kann wiederkommen.«

»Dann wird der liebe Gott mir auch wieder einen Engel schicken.«

»Lacht nicht wieder, Bredow. Es heißt Gott versuchen. Die Hölle lacht am lautesten. Sinnt aus andere Mittel zu Eurer Sicherheit.« –

»Durchlauchtigste Frau, ich habe einen Mann, der, wo's die Ehre gilt, vor niemand erschrickt.«

»Wenn aber der Versucher zu Euch spräche: Dein Mann sündigt gegen Dich, im geheimen, Du weißt es nicht. Der Versucher ist schlau, an Mitteln fehlt es ihm nicht, Trug oder Wahrheit. Wenn er Dir bewiese, klar wie das Sonnenlicht. Wenn Dein Herz vor Zorn über den Heuchler aufloderte, über die unvergoltene Liebe, über seine Heuchelei, wenn dann der Versucher mit Engelszungen spräche: Vergilt es ihm, er hat kein Recht mehr gegen Dich –«

Scharf sah Frau Elisabeth auf das junge Weib, aber sie konnte auch keinen Zug entdecken, der ihrem Argwohn Nahrung gab.

»Ich würd's ihm nicht vergelten,« sagte Eva, die Augen niederschlagend. »Hat er mich so lange geliebt und allein geliebt, da will ich ihn noch ebenso lieben, auch wenn er's ein bißchen weniger täte.«

Die Fürstin war ans Fenster getreten, ihre Bewegung zu verbergen.

»Bredow,« sprach sie, sich umwendend, »Ihr müßt vom Hofe. Ich sag's in Freundschaft, Ihr seid eine brave Frau. Tut's Euch zuliebe und geht; mit einem Sinn wie Eurer werdet Ihr überall glücklich sein. Nein, Ihr werdet nicht böse, nicht schlimm werden, Ihr würdet auch dann Eure Fürstin nicht kränken, wie die anderen. Aber um Euch selber willen, um Eures Mannes willen, geht, je eher, so besser. Die Gefahr ist zu groß, es täte mir in die Seele schneiden.«

»Gnädigste Frau, ich werde bleiben, wo mein Mann bleibt, und so der sich fürchtete und gehen wollte, würde ich zu ihm sprechen: Hans Jürgen, bist Du ein Tor? Glaubte einen Mann geheiratet zu haben, der ein Ritter sei, und sich nicht fürchtete, am wenigsten in Gefahr, und glaubte, daß auch er nur ein Weib genommen, so eines Ritters wert. Und wollte er dennoch fort – er kann ja andere Ursach haben, – so sagte ich zu ihm: Du darfst nicht fort, Du bist zum Dienst bestellt bei einer edlen Fürstin, und Deine Frau auch, und diese edle Fürstin bedarf in schlimmen Zeiten treuer Freunde. Darum mußt Du bleiben; dann bleibt Hans Jürgen.«

Die Fürstin blieb diesmal nicht Fürstin. Sie lag an der Brust der Edelfrau: »Du bist eine glückliche Frau, Dein Haus ist vom Herrn gesegnet.«

Und sie hörte einen tiefen Seufzer aufsteigen und die glückliche Eva fuhr mit dem Finger leis über das Auge; es ließ sich nicht verbergen, daß da eine Träne gestanden.

»Wie! auch Du nicht ganz glücklich?«

»Wer auf Erden mag sagen, daß er ganz glücklich ist,« sprach Eva.

Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen schräg durch die runden Scheiben auf den Teppich von Arras, auf die fliehenden Trojaner, auf das brennende Troja. Die Kurfürstin, im Sessel ruhend, den Kopf auf den Arm gestützt, schien die oft gesehenen Figuren mit den Blicken verschlingen zu wollen. Die Träne, die jetzt aus ihrem Auge rollte, galt vielleicht einem anderen Gegenstande, als der vorhin ihr argwöhnisches Gemüt geängstet hatte. Sah sie in den Türmen von Priams Veste die Türme von Stockholm, von Kopenhagen, sah sie in dem fliehenden Trojaner ihren Bruder Christiern, der vielleicht auch jetzt seinem Reich und Vaterland, ein Flüchtling, schon den Rücken kehrte? Die letzten Nachrichten aus Dänemark lauteten so schlimm für die königliche Sache. –

Eine unglückliche Frau war Elisabeth. Die fremde Pflanze, in fremdes Land gepflanzt, war vom Gärtner vernachlässigt, und nun sollte auch der süße Halt und Trost ihr sinken, daß ihr Geschlecht im Heimatlande blühte und gedieh.

Der Hofprediger war gemeldet. Die Kurfürstin hatte ihn rufen lassen; Musculus war ihr Seelsorger, ihr Vertrauter, der Freund, welcher auf ihr »ewig Weh und Ach« den Balsam zu träufeln verstand, welcher ihrer trüben Stimmung, ihrem gereizten Sinne am meisten Beschwichtigung gewährte; er war aber auch der Sündenbock, der ihre Launen tragen mußte.

»Es ist schade,« sprach sie, »daß mein Herr, der Kurfürst, Eure Predigt nicht gehört hat. Ihr hattet sie doch absonderlich für ihn ausgearbeitet.«

»Durchlauchtigste Kurfürstin,« entgegnete der Hofprediger, »ist dies doch einmal unser Los. Auf was ein Meister seine ganze Kunst und seinen Fleiß gesetzt, das gerät oft nicht, weil deren Augen, die es sehen sollten, geblendet sind, oder die es hören sollten, deren Gedanken sind auf andere Dinge gerichtet. Derweilen ein anderer, so von der Kanzel poltert, wie es ihm gerade durchs Gehirn kommt, oft wunderbarlicher Wirkung sich erfreut. Das hat Gott gefügt, darf's uns daher nicht kränken, noch stören, daß wir nicht in unserm Werk fortfahren.«

»Eure Kirche war nicht leer; und Eure Rede hat gewirkt.«

»Der Prediger ist ein Sämann; die Körnlein, die er ausstreut, sind gut, doch weiß er nicht, auf welchen Boden jedes fällt.«

»O, Eure Predigt klang ja wie die Trompeten Davids, da er in Jerusalem einzog – aber es zieht nicht jeder Fürst als Sieger in Zion ein.«

Musculus verstand die Fürstin. Die Freude der Gattin war nicht so groß, um die Schmerzen der Schwester zu übertäuben. Er lenkte ein, er sprach von der Aufgabe des Christen, große Leiden als Prüfungen Gottes zu betrachten. Er sprach von der himmlischen Krone, die gewonnen werde zum Einsatz für die irdische. Das war geringer Trost für die Schwester Christierns, dem keine himmlische Krone zu lachen schien. Er wandte sich zur Aufgabe der Frauen. Sie sollen Haus und Herd, Eltern und Geschwister verlassen, um dem Manne zu folgen. In dem neuen Lande blüht die Heimat; dem sollen sie angehören, ganz, mit Geist, Leib und Herz; sie sollen nur leben in ihrem Gatten, ihren Kindern. –

Er hatte eine andere wunde Stelle getroffen. Die Kurfürstin winkte ihm innezuhalten. Sie ging einige Minuten stumm auf und ab, bis sie wieder Platz nahm und ihn mit einem forschenden Blicke ansah:

»Seine kurfürstlichen Gnaden haben sich nicht geäußert, woher Sie so spät zurückkehrten –«

»Man meint, daß Hochdieselben auf der Jagd sich verirrt.«

»Man meint! – Was meint man nicht an diesem Hofe, wenn Joachim will, daß man meinen soll.«

»Der Herr sah – ich will nicht behaupten, krank – nicht verstört – aber etwas blaß aus.«

»Wer auf den Wegen der Gerechten geht, sieht nicht blaß und verstört aus,« entgegnete die Fürstin. »Ihr sagtet es in einer Eurer Predigten.«

Es war dies ein Kapitel, dem der Hofprediger gar gern aus dem Wege gegangen wäre; aber wenn die Fürstin darauf zusteuerte, wußte er, daß es schwer hielt, abzulenken.

»Die Fouriere und Jagdjunker sollen zwar nicht davon sprechen, jedennoch glauben sie, daß Seine Durchlaucht sich diesmal wirklich in der Heide verirrt habe. Ein seltsam ausschauender Mann wies ihn zurecht und verschwand dann ihren Blicken. In jenen traurigen Sumpfheiden –«

»Gibt es keine geputzten Fräulein, meint Ihr; die hat er für mich aufgespart. Ich muß sie in den Straßen sehen; wenn ich ausfahre, liegen sie mir zum Hohn am Fenster, oder sie schlüpfen in den Korridoren des Schlosses an mir vorüber. Oder, noch schlimmer, ich muß sie bei Hofe mir vorstellen lassen und darf nicht das Recht brauchen, was der schlechtesten Hausfrau eines niedrigen Bürgers zusteht.«

»Die bösen Zungen verleumden auch wohl manche achtbare Frau –« Mehr konnte der Prediger nicht sagen, ohne seine Pflicht gegen die Wahrheit zu verletzen.

»Ihr seid ein christlicher Priester, Musculus, der den Mächtigen nicht nach dem Munde redet, nein, Eure Fürstin kann Euch das Lob geben, und doch wie oft habe ich erwartet, wie oft legte ich's Euch nahe, daß Ihr von der Kanzel herab das Unwesen strafen solltet. Ihr findet doch sonst so schöne Gleichnisse und Bilder, warum mußte ich mich immer täuschen, wenn ich erwartete, Ihr würdet im Hause des Herrn Eure Stimme erheben gegen den, der sein Gebot so übertritt!«

»Er kommt so selten in meine Predigten.«

»Und dann, fürchtet Ihr, bleibe er ganz aus.«

»Ich bin Gottes Diener, durchlauchtigste Frau, aber auch meines Fürsten Untertan.«

»In alten Zeiten haben mutige Prediger, so las ich, den Zorn der Mächtigen nicht gefürchtet. – Aber Ihr mögt recht haben. Erbittern will ich meinen Gemahl nicht, wär's auch nur um der Kinder willen. Aber –«

Sie hielt inne. Musculus wußte, was kommen würde.

»Ja, um unserer Kinder willen – Ihr solltet zu ihm gehen, – als Priester, als Hofprediger – versteht Ihr mich – er muß, er wird Euch empfangen. Gewappnet mit aller Gelehrsamkeit, mit allen Gründen, so die heilige Religion Euch bietet, sprecht ihm zum Herzen, daß er in sich gehen soll, daß er wieder als ein christlicher Fürst und Ehegemahl, seinem Volke und seinen Kindern zum Exempel, lebe. – Ja, stellt ihm das besonders vor, daß er seiner Kinder gedenke! Mein Joachim, unser Aeltester, sieht mir den Frauen schon in die Augen, daß mein Mutterherz vor Bangigkeit schaudert. Malt ihm das mit entsetzlichen Farben. Er trägt die Schuld, daß sein Sohn verdirbt. Mein Gott, wozu seid Ihr ein christlicher Priester, wenn Ihr es gelassen ansehen könnt, daß eine unsterbliche Seele verkommt und verloren geht.«

Wer mag es dem Hofprediger Musculus verargen, wenn er vor dem Gedanken zitterte, mit einem solchen Auftrage vor einen solchen Mann zu treten! Vor ihn, der so der Rede mächtig, daß er mit den wenigsten redete, weil er es nicht der Mühe wert hielt. Wer verargt's ihm, wenn er blaß ward, schon bei der Vorstellung von dem halb spöttischen, halb verächtlichen und zornigen Blicke des Kurfürsten. Welcher strengste Ceremonienmeister hätte ihm in dieser Lage den Verstoß verargt, daß er mit dem Taschentüchlein, welches sich in seiner Hand versteckte, über die Stirn fuhr, auf der der kalte Schweiß perlte. Wer endlich zeihte ihn der Mutlosigkeit, als er der Fürstin demütigst vorstellte, daß dieser Schritt ebensowenig zu dem gewünschten Ziele führen würde, als er sich für ihn zieme, ja überhaupt nur erlaubt wäre, da er nicht die Ehre habe, Seiner Durchlaucht Beichtvater zu sein. Wenn aber die gnädige Frau es ihn hieße, wolle er ihr gewiß gerechtes Anliegen dem würdigen Propst von Berlin kommunizieren, welcher als Freund des jetzt erkrankten Beichtvaters Seiner Durchlaucht demselben seiner Zeit die Sache ans Herz legen dürfte.

Der Fürstin würde es vielleicht auch niemand verargt haben, wenn sie über die Art, wie einer dem andern ihren Auftrag zuweisen sollte, zornig geworden wäre; aber dieser Zorn flackte nur auf beim Namen der einen ihr genannten Person.

»Den Propst, der das lästerliche Leben in Brandenburg geführt, daß ich davor in der Seele erröte; der nicht Worte genug finden kann, mit seinem Lobsalm alles zu begießen, was Joachim tut und spricht; der ihm die Schuhe nestelt, wenn er ihn beim Anziehen trifft? Mein Erlöser! dem wollt Ihr die Sache ans Herz legen?«

»Er hat sich wohl geändert mit den Jahren, er bereut selbst –«

»Ihr habt Euch verändert, Musculus,« fuhr sie auf. »Ihr seid der Mann nicht mehr, der die kühne Predigt hielt bei unserer Hochzeit in Stendal. O, wie glühten Eure Augen, wie bebten Eure Lippen, wie zitterte Eure Stimme, und doch die Rede floß wie ein voller Strom, als Ihr mir, die ich ein verwöhntes Kind war am üppigen Hofe meines königlichen Bruders, die Pflichten einer Fürstin dieses Landes, einer Gattin eines solchen Fürsten, der Mutter, eines solchen Volkes vorhieltet. Einen Hof, sagtet Ihr, würde ich finden, nicht voll rauschender Vergnügungen, sondern voll Weisheit und Ernst; einen Gatten, der nicht eitler Lust und eitlen Leidenschaften, sondern der Gerechtigkeit und Wahrheit nachgeht; ein Volk, arm, aber fleißig in guten Werken. Ich errötete vor Unwillen über den frechen Priester, denn ihr straftet den Hof meines Bruders; Ihr saht meinen Zorn und redetet doch weiter, Euer Blick durchbohrte mich fast, bis ich die Augen senken mußte, bis Ihr Euch zu meinem Bräutigam wandtet, und mit welchen Worten auch ihm seine Pflicht predigtet! O ich entsinne mich noch alles: auch er solle des Kleinods, das aus eines reichen Königs Schatze, das köstlichste Juwel, geschenkt werde, stets eingedenk sein; mit Liebe und Treue solle er die zarte Pflanze des Nordens hüten und pflegen, daß sie nie nach dem heimischen Boden sich zurück sehne. Ihr habt's vergessen, Musculus, wie Ihr ihm einen Schritt näher tratet, wie Ihr ihm scharf ins Auge blicktet, wie Ihr Eure Stimme erhobt und Euern Arm, wie Ihr rieft: Der allmächtige Gott hört Dein Gelöbnis, aber Du bist jetzt ein Jüngling, und wie oft vergißt der Mann, wie noch öfter einm Fürst dieses heilige Versprechen der ehelichen Treue. Joachim biß die Lippen, er schoß Dir einen Zornblick zu, aber Du sahst ihn unerschrocken an, bis er die Augen senkte, und ich atmete vor Freude auf. Dieser Priester ist ein Mann, sagte ich mir; er wird mein Freund, mein Halt, meine Stütze werden an dem fremden Hofe. – Du bist's nicht mehr, auch Dich hat die Hosluft vergiftet.«

Die Kurfürstin mochte recht haben und Musculus etwas davon fühlen, daß sie recht hatte. Er war gealtert vor der Zeit, nur seine Augen glänzten noch wie ehedem. Ein Seufzer stieg aus seiner Brust, er öffnete die Lippen, aber schwieg.

»Es ist gut, daß Ihr Euch nicht verteidigen wollt,« fuhr die Kurfürstin fort. »Warum machte man Euch zum Hofprediger. Die Mönche in der alten Zeit hätten Mut gehabt, sagte ich; o es gibt Mutige noch jetzt. Man muß nur nicht Hofprediger bitten. Ja, wäre der Doktor aus Wittenberg hier. Wie er den Mut hat gegen Prälaten und Kirchenfürsten, ja gegen den Papst selbst erhebt er seine Stimme, er würde auch für die gekränkte Sitte und Ehrbarkeit das Wort ergreifen.«

Musculus sah sich erschrocken um, ob kein Lauscherohr da sei.

Elisabeth aber war in einem Zustande nervöser Aufregung, der sein Recht wollte. Musculus hörte ruhig die in den heiligen Schriften wohlbelesene Frau an. Etwas bunt durcheinander brachte sie die Geschichten von Ninive, Sodom, Gomorrha und Babylon. Auch mit einer eignen beredten Logik leitete sie das Unglück, was ihren Bruder getroffen, von seinem zügellosen Leben und besonders seiner sündhaften Verbindung mit der Düveke her, die sie das Täubchen von Amsterdam genannt, die aber der höllische Rabe gewesen, der ihres Bruders Herz geangelt. Aber diese letzte Erinnerung erweichte wieder ihren Sinn; ihre Stimme ward sanfter von Tränen unterbrochen, und diesen Uebergang hatte der Prediger abgewartet, um das Wort zu ergreifen.

»Als Ninive fiel um seine Sünden und die Stunde für Babylon kam, glaubt meine durchlauchtigste Kurfürstin, daß der Herr solche Städte fallen ließ, ohne denn eine Warnung vorher? Sprachen nicht seine Propheten laut in den Gassen? Aber soll er die Propheten noch immer aussenden, auch dahin, wo sie ihrer spotten? Soll er sie den Leuten aufdringen? Der Herr will sein nicht spotten lassen. Und so ein Prediger zu seinem Fürsten ungerufen träte und spräche: »sende Deine Kebsweiber fort und sei treu Deinem Ehegemahl, denn es heißt: Du sollst nicht ehebrechen,« würde der Fürst ihm nicht zurufen: Was tat Salomon und was tat David, oder hältst Du sie nicht für Könige, die Gott selbst eingesetzt? Was könnte ich antworten! So aber die tugendhafte Gattin Salomonis mich um Trost anriefe, ich wüßte des Trostes, so sie mich gnädigst anhören wollte.«

Er kannte die Natur seines, Beichtkindes. Elisabeths Zorn war in Tränen gelöst. Sie winkte ihm, sich neben sie zu setzen.

»Edle Königin, würde ich sprechen, Gott hat mannigfache Gesetze der Kreatur gegeben; einige stehen geschrieben in der Schrift, andere in der Natur, noch andere sind ungeschrieben und der Menschen Verstand entziffert sie nicht. So ist das, daß er die Fürsten mehr sündigen läßt, als gewöhnliche Menschen, ich meine gegen sein sechstes Gebot. Warum es geschieht, es ist so vor uralters geschehen, und es wird so geschehen, so lange es Fürsten gibt. Einige wollen's erklären: daß der Fürst dadurch zeige seinen göttlichen Ursprung, und wie er Macht habe über die Gesetze. Andere: alldieweil er mit seiner Liebe ein ganzes Volk umfassen soll, müsse er auch mehr lieben dürfen als ein Weib allein. Das sind Deklarationes, die ich auf sich beruhen lasse, mich als Diener der Kirche gehen sie nicht an; denn wenn der König mich als seinen Beichtiger in sein Kämmerlein riefe und fragte: Sprich, tue ich recht oder unrecht? da würde ich sagen: Du tust unrecht.«

Die Fürstin atmete auf, ein erster wohlgefälliger Blick traf ihn wieder.

»Zu Salomonis edler Königin aber spräche ich: Laß Dich nicht irren, daß er irrt, denn bist Du darum minder sein Weib, daß er noch andere Weiber hat neben Dir? Oder, weil er sündigt, vermeinst Du, daß Du wieder sündigen dürftest, um es auszugleichen? – Siehe es an, würde ich fortfahren, als eine Krankheit, so die Aerzte nicht heilen können; nun ist es Deine Pflicht ihn zu pflegen, denn die Bande sind unzertrennlich, und je mehr er daran zerrt, daß er loskomme, so enger zieht er Dich an sich; und so rauher er wird, so freundlicher sei, denn es ist ein Maß der Liebe, was der Herr fordert, als Opfer einer wahrhaften Ehe; gibt er zu wenig, so mußt Du mehr geben, das heißt ausgleichen vor dem Herrn; dadurch erwirbst Du Dir die ewige Krone des Himmels, für die Dornenkrone dieser Erde. So, wenn Liebe immer gibt, aus vollem Herzen, vergißt sie's wohl, daß sie nicht empfängt. Und wenn, wo Du Trost bedarfst und Aussicht, der Gatte das Haupt von Dir wendet, rufe, glückliche Mutter, Deine Kinder; sie werden jubelnd kommen, sie werde»um Deine Kniee spielen, sie werden die Arme nach Dir ausstrecken, mit ihren Augen nach Deinen Augen, mit ihren Lippen nach Deinem Munde verlangen; in ihnen ist der Gatte, den Du verloren, in neuer Geburt und Fleischwerdung für die Zeit, die da kommt, Dir gewonnen.«

Elisabeth war überwunden. Durch das Tüchlein drang ein Schluchzen, die Stille in dem großen Zimmer unterbrechend. Der Hofprediger war aufgestanden, aber die Fürstin bedurfte noch des Trostes.

»In Eurer Predigt spracht Ihr vom Glück, das vom Fürstenhaus bis in die niedrigste Hütte strömen sollte; ach, wenn man aus einem Flügel des Schlosses in den andern geht, ist es schon nicht mehr da!«

»Ist es denn in dem andern Flügel? Leset Ihr durch die Furchen seines blassen Gesichts, daß der hohe Fürst glücklich ist? Vor ihm zittert und beugt sich der Untertan; was er gebietet, wird in stummer Ehrfurcht ausgerichtet, aber – für meine erlauchte Kurfürstin fühlt der Bürger mit, tausend Herzen schlagen für die Dulderin, welches Herz schlägt für ihn? Sie wissen nicht, was er fühlt!«

Ihr Herz war getroffen, ihr ganzes weibliches Gefühl von der neuen Vorstellung bewegt. Auch der Kurfürst war unglücklich; ja, auch er bedurfte des Trostes, des Gebetes, doppelt dieses letzteren, da er ein Schuldiger war. Der Hofprediger mußte neben ihr vor dem Betpulte niederknieen und laut das Gebet sprechen, welches sie lispelnd wiederholte, für die unsterbliche Seele ihres Gatten, für den Frieden seiner Seele auf Erden, und daß er durch die Gnade der Heiligen zur Erkenntnis seiner Schuld komme.

Elisabeth reichte dem Geistlichen, als sie aufgestanden, aus ihrem Schrank ein mit Edelsteinen gefaßtes Brevier.

»Wofür diese Gnade?«

»Für den Schluß Eurer Predigt. Bevor Ihr mir noch den Sinn des anderen Teiles erklärtet, hatte ich es Euch zugedacht. »Auch in dem Haus, wo die Lichter am hellsten glänzen, ist ein schattiger Winkel, den kleine Kerzen erhellen; und wo das Herz voll Freude jauchzt, ist ein wunder Fleck.« Ach, das war Balsam; aber Ihr spracht es mit so besonderer Betonung, Euer Blick schien so in die eigene Brust zurückzuschauen, daß ich fühlte. Ihr legtet ein Bekenntnis, das Euch selbst angeht, ab. Was fehlt Euch, Musculus? – Was an mir, soll geschehen. Euch zu helfen. Ihr war't mein Trost, laßt mich's jetzt vergelten, betrachtet mich auf einen Augenblick als Euren Beichtiger.«

Die Rollen schienen zwischen den beiden gewechselt. Der Hofprediger sah wirklich wie ein Beichtkind aus, das zu beichten ansteht, vielleicht weil es den Beichtvater nicht für voll ansieht. Er sprach von der Not der Zeit, von der Bedrängnis der Kirche, von den drohenden Zeichen am Himmel.

»Das ist es nicht,« sagte sie mit dem Scharfblick, der auch schwache Frauen oft in das Herz der Männer schauen läßt. »Ihr fürchtet so wenig als ich die Sündflut, denn Gott hat sein Versprechen nicht vergessen. Die Kirche liegt im Argen, aber sie wird sich wieder erheben, wenn sie Gottes Wort von Menschensatzung rein macht. Euch drückt etwas anderes.«

»Wer kennt alle Wege Satans?«

»Auf welchem kann er es wagen, Eurer Frömmigkeit wieder zu nahe zu treten?«

»Gnädigste Frau, Ihr erinnert Euch vielleicht nicht mehr, daß die Universität Frankfurt –«

»Geht mir mit der! Ich will nichts von diesen Gelehrten wissen, die den abscheulichen Tezel–«

»Die theologische Fakultät hat endlich ein Gutachten abgegeben –«

»Wie der Kurfürst es wünscht, das ist eine alte Sache.«

»Sie hat sich für inkompetent erklärt.«

»Natürlich, weil Joachim nicht will, daß sie die Wahrheit sagt. In welcher Sache, die Euch so nahe geht.«

»Durchlauchtigste Frau,« sagte Musculus, indem er sein Barett in den Händen drehte, und mit einem Blick, der etwas nach dem eines armen Sünders schmeckte – »auch auf die Gefahr, Euch zu mißfallen, – es ist nun einmal so, – das eben ist des Verderbers furchtbare Schlauheit, daß er die Menschen das Einfachste, Natürlichste für Torheit halten läßt; daß seine Kraft, wodurch er die Weisheit der Propheten zu Schanden machte, – aber, ich kann mir nicht helfen, es ist so, wahr und wahrhaftig, den heiligsten Eid auf das allerheiligste Blut darauf – dort steckt er, dort verkriecht er sich, dort muß man ihn angreifen, aber – ich soll nicht.«

Die Kurfürstin war mit großen Augen einen halben Schritt zurückgetreten: »Musculus!«

»Ich schweige.«

»Daran tut Ihr wohl,« entgegnete sie wieder mit der stolzen Haltung einer Königin gegen einen Diener, der eine zu rügende Vertraulichkeit sich erlaubt. »Ein für allemal habe ich Euch gesagt, nie ein Wort in meiner Gegenwart von der Predigt über das unanständige Kleidungsstück. Schlimm genug, daß wir Frauen dazu verdammt sind, es täglich zu sehen; aber von den reinen Lippen eines gottgeweihten Priesters will ich es nicht nennen hören. Denkt in den Bierschenken, in den Wachtstuben daran, aber im Gemach Eurer Fürstin soll auch Euer Gedanke rein sein. Wenn mein Gemahl die Schwachheit hätte, wenn die Fakultät nachgäbe aus Menschenfurcht, ich, Musculus, gehe nicht in die Kirche, ich fahre an dem Tage mit meinen Kindern und meinen Frauen nach Spandow.«

»Durchlauchtigste, ich harre einer höheren Entscheidung – ich habe nach Rom geschrieben –«

»Rom!« – die Stirn der Fürstin runzelte sich – »und wenn selbst der heilige Vater – Hofprediger Musculus, auf drei Tage sind Euch meine Gemächer untersagt.«

Die Fürstin rauschte unwillig hinaus: »Und so ein frommer, klarer Mann sonst! Aber auf diesem Punkt –«

Als Musculus die Tür zuschlagen hörte, entfiel ihm das Barett, und beide Hände drückte er ans Gesicht: »Eine so christliche, so hell blickende Frau sonst, aber – und so gewiß doch steckt Satan in den –«


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