Willibald Alexis
Der Werwolf. Erster Band
Willibald Alexis

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Sechstes Kapitel

Es ritten drei Reiter und dachten –

Als die Sonne an dem Tage die Mittagshöhe erreicht, waren die vier Reiter, die sich im Lehniner Walde trennten, schon jeder auf anderem Wege, und jeder ging seinen eigenen Gedanken nach. Den Gedanken von vier Menschen ist schwieriger folgen, als den vier Winden. Die Sonne leuchtete ihnen nicht, denn ob die Luft schon stille war, und die Schneewolken sich verzogen, war das Himmelsgewölbe doch wie mit einer blaßgrauen, flimmernden Kruste überdeckt, durch welche nur ein hellerer Schein an der Mittagshöhe dämmerte.

Der Bischof saß in Pelze gehüllte in dem Staatswagen des Lehniner Abtes, der ihn nach dem Dom von Brandenburg zurückführte. Nicht zwar was er dachte, aber daß er Ernstes dachte, stand in Runzeln und Falten auf seiner Stirn geschrieben. Er wollte denken, wie er es seinem Kurfürsten zurechtlegen und vortragen solle; aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und so lenkte er es diesmal, daß der Bischof von Brandenburg dachte, wie er vor sich selbst die Sache zurechtlege. Wer nun hätte es, und im kalten Februar geglaubt, daß ihm Schweißtropfen auf der Stirn perlten. »Es ist nicht gut allein sein,« sagte der Prälat, indem er die Stirn mit dem Tuche wischte, »wenn man mit anderen spricht, kommen die Visionen nicht auf. Und überdem ist alles, was aus der Ordnung schlägt, nimmer gut,« dachte er weiter, und meinte damit die Reise nach Wittenberg. Er war viel in seinem Leben gereist, aber immer als Legat eines Fürsten, an Höfe und an Reichstage, immer mit seiner Würde und Bequemlichkeit. Aber was man heute inkognito nennt, zu reisen, und zu Roß, und um eines Mönches willen, und gar mit diesem Mönche unterhandeln zu müssen, wie mit einer Macht, statt ihn den Willen der Autorität kurz und bündig wissen zu lassen, das erschien ihm wie eine Versündigung gegen die gute, alte Ordnung, daher gegen Gott, und jemehr er sich das ins Gedächtnis rief und sich eingestand, daß er eigentlich nicht erreicht hatte, was er sollte, um so verdrießlicher ward er, und um so mehr fanden die Geister der Furcht ihn empfänglich für ihre Eindrücke. Vergebens rief er die des Stolzes auf, und jene Kunst, die er so oft geübt, durch anmutige und scherzhafte Wendungen eine eingebildete oder selbst eine wirkliche Gefahr wegzureden. Was ihm beim Kurfürsten so oft gelungen, gelang ihm bei ihm selber nicht; wie er sich auch sagte, es sei Torheit, die beängstigenden Bilder kamen immer wieder; ja als die Türme von Brandenburg sichtbar wurden, schienen sie ihm in verkehrter Ordnung zu stehen und zu schwanken.

»Es kommt etwas,« sprach er verdrießlich bei sich, »das hat seine Richtigkeit; derlei Vorahnungen lassen sich nicht ganz abstreiten, sintemalen sie in der ganzen Geschichte vor großen Ereignissen sich kund gaben, und es waren nicht die beschränktesten Köpfe, die es im Blute fühlten.« Dabei warf er sich etwas in die Brust und dachte an den Abt von Lehnin, wobei ein mitleidig Lächeln über sein Gesicht zückte. Und doch ging er unwillkürlich in Gedanken alle die Gefahren durch, welche der Abt in seiner Angst hergezählt. Bei den Türken schüttelte er wieder vornehm den Kopf: »Bis die hierherkommen!« – Bei der Sündflut sah er wie getröstet auf die Sandhügel am Wege, und dann schwieg er und wiegte den Kopf, aber er schüttelte ihn immer wieder und wieder, und seine zusammengebissenen Lippen pafften fast verdrießlich das Wort »Bettelmönch« vor sich hin. Aber daß er das Wort in derselben Weise mehrmals wiederholte, hätte anzeigen können, daß ihn der Gegenstand doch mehr beschäftigte, als er gegen jemand und gegen sich selbst zugeben wollte.

»Nun, und wenn es kommt,« sprach er bei sich endlich, wie aufatmend von einem langen Druck, »so kommt es nach uns. Der Kurfürst kann und darf nicht – dafür will ich sorgen! – Bei uns geht alles seinen langsamen Gang – die Märker sind zäh und fest. Was kann ein Gewitter schaden, das in den Sand einschlägt! – Havelberg kann mir nicht entgehen, und wenn der Blumenthal auch alle Stimmen der Kapitulare für sich hat – Joachim mag ihn nicht, er ist zu ungestüm. – Brandenburg und Havelberg zusammen sind beinahe ein Erzbistum wert – es gibt bessere Stifter, Halberstadt, Magdeburg! Die will man für Prinzen von Geblüt aufsparen! Markgraf Albrecht soll sich genügen lassen mit dem Kurhut von Mainz. – Indessen es ist noch nicht aller Tage Abend – Kardinalshüte kommen so selten nach Deutschland – dazu gehört welsches Blut – und die Tiara! – Träume, Träume, die den Hungrigen nicht satt machen. Ein Tor, wer von Deutschen jetzt Papst sein möchte, seit die Torheit dort zu Hause ist. Es ist schier unglaublich, was man von der Verehrung dort erzählt, so dort dem schlechtesten Gesindel gezollt wird, Musikanten, Malern, Versemachern, Querpfeifern, Baumeistern und Anstreichern! – Im Vatikan, der auf die Wände pinselt, wie heißt er doch? Ja, Rafael, für den man nicht Ehren genug weiß, ja sogar, 's ist unglaublich, einen Kardinalshut. – Nein, da lobe ich mir mein Brandenburg. – Solcherlei Künste, mag man sie treiben, aber Ehre dem Ehre gebührt.«

Die Glocken der Türme fingen zu spielen an. Der Bischof lehnte sich vergnügt aus dem Fensterschlage, die Schornsteine der alten Stadt dampften von den Mittagsherden so behaglich. »Ja,« fuhr er mit wohlgefälliger Miene bei sich fort, »es ist hier warm und gut, und die Stürme, die nach uns kommen, für die mögen andere sorgen, mich treffen sie nicht mehr.« – Und wie zur Bekräftigung brach in dem Augenblick, als die Wagenräder über die Brücke zur Dominsel rasselten, die Sonne durch die Eiskruste des Himmelbogens, und die beschneiten Dächer und der weite Spiegel der Havel strahlten wieder von ihrem Lichte. Es war ein schöner Anblick, aber des Bischofs Antlitz verfärbte sich. Der Wagen hielt an, ein Leichenzug verstopfte den Weg. Der Sarg war offen, sie trugen auf der Bahre den Verstorbenen nach der Kirche. Es war ein noch jugendlich Gesicht im vollen Priestergewande, ein Domherr, der erst gestern gestorben – der Bischof hatte keine Kunde davon – es war der jüngste Domherr, aber sein brennender Ehrgeiz strebte schon nach einem Bischofshut, wohl noch weiter; und wenn Hieronymus seiner Gaben gedachte, so die Natur ihm verliehen, und der Macht seiner Familie, durfte er ihn fürchten. Er hatte ihn nicht mehr zu fürchten, aber blaß lehnte er sich hintenüber, und wie getroffen stieg er die Schwellen zu seiner Residenz hinauf.

Währenddessen war der Abt in den Kreuzgängen des Klosters wie ein Schatten oder ein Schatzgräber umhergestreift. Wohl zehnmal war er an die Stelle zurückgekehrt, wo das Steinbild des Ritter Gottfried errichtet werden sollte, aber wenn er allein war, sah er nicht auf die Stelle an der Mauer, sondern schaute nach dem Riß im Gewölbe, und maß den Riß im Ringelturm. Dann konnte man ihn stehen sehen mit unterschlagenen Armen am Pfeiler und trüben Blickes auf den Hof hinschauen. Im Hofe sah es doch lustig aus, von Lebendigen und Toten. Das schönste Federvieh gackerte und wühlte unter den mit vollen Händen hingestreuten Körnern, die Aale und Karpfen und Zander sprangen im Netz und in den Körben, welche die Fischerinnen eben gebracht, und der Pater Küchenmeister musterte mit Kennermiene den Dammhirsch, den die Jäger ausweideten, während der Pater Kellermeister, sein volles Kinn zwischen dem Daumen und Zeigefinger, den Auerhühnern den Vorzug zu geben schien. Und zwei oder drei andere standen neben den Würdigen, und, nach ihren ernsten Mienen zu schließen, erwogen sie das Gewicht der Worte; schwer ist's zu entscheiden, wo zwei Kenner sich streiten. Und da kamen neue Gegenstände ernster Erwägung, der wendische Gärtner mit einer Karre kleiner, brauner Rüben, eine andere Karre mit grünem Winterkohl, und plötzlich ward der Pater Kellermeister, der jetzt mit dem Zeigefinger die Weichen des Dammhirsches ernstlicher befühlte, abgerufen, denn der längst erwartete Wagen aus Rostock stand vorm Tore, und die Tonnen des fremden Bieres, das die Lehniner, laut besonderem Privilegium, zollfrei erhielten, wurden über den Hof gerollt. Wer wandte da nicht seine Blicke hin, wer wollte nicht selbst gern Hand anlegen und den Schrötern helfen, den besten Saft, der schon seit zwei Monaten ausgegangen, in die Keller zu schaffen, daß er ohne zu große Erschütterung auf die Lager kam.

Nur der Abt nicht. Vor seinem trüben Auge wuchsen Disteln aus dem Schutte, die Käuzchen hingen unter den Blenden, der Wind fuhr durch die Mauerspalten.

Er sah die kleine Rübe kaum an, die ihm der Pater Küchenmeister in die Hand gab, als er nach seiner Zelle schritt, und der Pater hatte ihn bis an die Schwelle begleitet: »Domine, Hochwürdigster! 's ist ein Elend, die Rüben werden immer kleiner. Von uns ist nichts versehen, ich lasse die Erde gar hacken, an Dung fehlt es nicht, aber wir bringen's nicht gleich mit dem Teltow.«

»So laßt es gehen, und kauft im Teltow, es wachsen genug da –«

»Domine, Hochwürdigster, für unsere Tafel ja; 's ist nur der Ehre wegen. Haben denn die Teltower besser' Land als wir? Sand da und hier, trocken da und hier, und die Dinger, man muß es ihnen lassen, sie zergehen wie Honig auf der Junge, unsere bleiben faserig wie Stroh. Was könnt' es uns bringen, so wir auch alljährlich ein Fäßchen davon nach Rom sendeten. Was dünken sich die Plebanen in Teltow, weil der Papst von ihren Rüben ißt!«

»Den Pater Kellermeister!« sagte der Abt mit tonloser Stimme, sich in seinen Sorgenstuhl werfend.

»Nicht einmal mehr für seine Rüben hat der Dominus Sinn! Und war doch selbst bei der Aussaat zugegen gewesen.«

»Eine Kanne vom neuen Rostocker?« fragte mit etwas verdrießlicher Stimme der Pater Küchenmeister. Welcher Untere ist nicht verdrießlich, wenn sein Oberer ihn gehen heißt und einen anderen ruft? In den Klöstern ist es nicht anders, als in der Welt. Die Gunst ist eine falsche Sonne; sie strahlt nicht jedem, aber jeder buhlt danach. – »Es hat sich noch nicht gesetzt; wenn wir's anzapfen, verdirbt das Faß.«

Der Abt schien nur die Hälfte der Rede gehört zu haben, so schaute er ihn an: »Es wird mehr verderben! – Vom griechischen – eine kleine gelbe –«

Als der Pater Küchenmeister die enge Treppe nicht zu hastig hinunterwatschelte, brummte er: »Also ein Sorgenbrecher! Alles von dem verfluchten Mönch in Wittenberg!«

Als der Pater Kellermeister die kleine Gelbe entkorkte und der wunderbare Feuerduft ihm um die Nase spielte, hatte er vermutlich gedacht, der Dominus werde ihn auffordern, noch ein zweites Spitzglas aus dem Schrank zu nehmen, aber der Abt hieß ihn nicht einmal einen Schemel heranrücken, er fragte ihn nur, ob er keine Feuchtigkeit in den Kellern bemerkt, er fragte, wie hoch der Mühlenteich stände, ob der Klostersee guten Abfluß habe, ob der Spring im Gohlitz im Herbst gerauscht. Ueber das Wasser hatte doch der Abt nie vom Kellermeister Rechenschaft gefordert.

Ein gutes Halb der kleinen Gelben mochte schon fehlen, und wer da weiß, wie klein das Gemach war, in welchem der Abt von Lehnin, der reiche Herr von hundertdreizehn Dörfern, seiner Zeit gewohnt, – das Häuschen steht noch heut – wird es auch nicht wunderbar finden, daß der kleine Raum vom Geruch des seltenen Weines duftete, um so weniger, wenn wir ihm sagen, daß der Abt, der eingeschlafen war, die Flasche zuzukorken vergessen hatte. In der Kirche drüben spielte ein junger Mönch zu seiner Uebung auf der Orgel. Die Töne des

Dies irae, dies illa,
Solvet »saeclum in favilla

dröhnten durch die entblätterten Lindenbäume des Hofes und klangen wieder in den runden Scheiben des Gemaches. Der dies irae brach an. Der Spring aus dem kahlen Berge, der nur wie ein Arm dick sonst aus dem Erdreich sich wühlt, und bald unter Gräsern, Wegeblatt und Ginster verkriecht, bis er in die Gohlitz sickert, schwoll an und barst heraus, mannsdick, wie der Qualm aus einem Feuerschlunde; der Strom schwoll und hob sich, die Fichten an den Bergen stürzten, unterwaschen, krachend nieder, und schäumend brach der Gohlitz durch die Aecker, die ihn von der Niederung des Klosters trennten; da rauschte und hob sich der Mühlteich, das Fließ schwoll auch, das ihn mit dem Klostersee verbindet. Es ward ein großer See, nach rechts, nach links, überall Wasser, das rauschend stieg. Die festen Mauern schwankten, unterwaschen, die Pfeiler, die Türme wankten, die Ziegel von den Dächern stürzten und alles schwamm – die Fässer aus dem Keller, die Särge aus den Grüften stiegen auf und fluteten bunt durcheinander, die Särge mit den Gebeinen der alten Fürsten die in Lehnin schlummern, die Askanier, die Hohenzollern, der entweidete Dammhirsch, die Bierfässer aus Rostock; die Sündflut achtete keinen Stand, keine Abkunft.

»Ist denn keine Rettung!« Aber siehe, als wie in einer Arche trieb der Abt in seiner Stube fort; die Fluten drangen nicht ein, sie schaukelten ihn nur angenehm in seinem Lehnstuhl, bis er, die Augen lange reibend, aufsprang. Noch taumelte er etwas, aber er war gerettet. Das Wasser hatte sich gesetzt, die Bäume wurzelten wieder, die verschobenen Mauern ordneten, die Dächer deckten sich wieder.

»Ein Traum!« sprach er, und hörte am Fenster dem Orgelspieler zu. »Aber Träume werden uns geschickt, um uns zu warnen. Es etwas, das ist gewiß, aber wenn es kommt, soll der Kluge darauf gefaßt und vorbereitet sein. Dazu sind Ahnungen; dazu werden uns Zeichen vom Himmel geschickt. Und denen er sie schickt, die sind – vielleicht seine Lieblinge, seine Erwählten. Er will sie gerettet sehen.« – Und wieder verfiel der Abt in ein tiefes Brüten, bis er sich die Stirn rieb und den gesunkenen Mut noch durch ein Glas Chierwein auffrischte. »Er will sie gerettet sehen,« wiederholte er, »er will nicht, daß alle untergehen, gleichwie auch in der alten Welt. Darum soll ein jeder sehen, wenn alles zusammenstürzt und bricht, wie er sich selbst salviert. Das ist sogar seine Pflicht, denn Gott hat es ihm geboten; es kommt nur darauf an, zu erforschen, woher die Gefahr kommt, alsdann wird der Kluge auch die Mittel finden.«

Und noch ein Gedanke überkam den Abt von Lehnin, itzo als die Sonne durch das eisige Firmament brach, und die alten ehrwürdigen Dächer, Giebel und Türme, als wären sie neu erbaut, golden anschien. »Wenn nun diese Burgen und Zinnen einmal dem Sturm erliegen, und die Nesseln wuchern auf dem Schutt, kann denn das ewig sein? Muß nicht etwas Neues kommen, und was Neues kann besser sein, als das Alte? Und werden dann die Dächer von Lehnin wieder in der Sonne glänzen?« – Als er das aussprach, war die Sonne wieder verschwunden.

Derweilen ritt langsam auf seinem mühsamen Wege der Ritter Mathias, in seinen Mantel gehüllt, die Kappe über die Stahlhaube gezogen, daß er schon aussah mehr wie ein Mönch denn als ein Kriegsmann. Er bog den Leuten aus, die ihm entgegenkamen; seine Gedanken waren ihm heut lieber, als eine Unterhaltung, die doch jeder Reiter auf öden Wegen gern mit denen pflegt, die ihm begegnen:

»Es kommt etwas – aber was? – Das Tun ist Gottes Sache; laß uns warten, bis es da ist. Das Grübeln führt uns nicht zum Rechten, noch mag ich's glauben, daß uns die Sterne den Weg weisen. Denn so alles, was kommen wird, in den Steinen geschrieben stände, wie hätte es denn Gottes Weisheit gefügt, daß nur so wenige die Schrift verstehen? Und waren diese die Erwählten, oder wär's sein Wille, daß wir alle nur in die Sterne schauen sollten? Wie stände es dann mit der Arbeit? Der Pflug auf dem Felde bliebe ja stehen, der Hammer und die Schere und der Meißel ruhten in den Werkstätten. Gott hat uns auf diese Erde gesetzt, damit wir arbeiten sollen mannigfalt, jeder nach seinem Ruf und seiner Kraft; sie ist das Patrimonium der gens humana, die Sterne behielt er für sich und seine himmlischen Heerscharen; es ist Fürwitz, in jene Mysterien dringen wollen, es sei denn, wo es uns Not tut. –« Das letztere setzte er hinzu, als erschräke er, daß er wohl zu viel gesagt. Der Kurfürst hatte ihn ja nicht gehört. »Ja, des Mondes Lauf berechnen, dann als wie er Ebbe und Flut regiert, und die Verrichtungen, so gut vorzunehmen sind, wann er schwindet und wann er wächst, das ist nicht vom Uebel. Auch das ist nicht vom Uebel. Auch etliche der Sternbilder« – dachte er weiter – »da mögen wir wohl bei großen Vornehmungen uns mit den Sternkundigen besprechen und Rates erholen – das ist löbliche Fürsicht – auch mag ich's nicht tadeln, wann ein Großer seinem Kinde die Nativität stellen läßt –«

Aber plötzlich hielt er inne, die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Unerlaubten mußten sich ihm wohl verrücken, und er fand sich nicht zurecht. »Die Schrift verbietet's,« rief er, wie aus Träumen sich schüttelnd, »und an der Schrift müssen wir festhalten. Auch an mehr als an der Schrift – denn in der Schrift steht nicht alles – die alten Satzungen, wer hätte sie gesetzt, wenn sie nicht gut wären; es ist nur die menschliche Schwäche, unsere Eitelkeit, Hoffart und Sündhaftigkeit, so sie verrückt haben. – Des Mönches Wille ist gut – war aber doch mancher Wille gut und aufrichtig und – haben doch nur das Alte verrückt und nichts Neues aufgerichtet! – Er ist aufbrausend, ein Mensch von Blut und Leidenschaften, wie wir anderen. Wenn sie ihn necken, quälen, widersprechen, wohin mag sein Zorn ihn reißen, wenn die Engel Gottes ihn nicht führen! – Er will nach Rom appellieren !– Was werden die feinen Italiener über unser plumpes Gezänk sich ins Fäustchen lachen! Wenn sie ihm antworten, was werden sie ihm antworten! – Wird er sich unterwerfen? – Ein armer Augustiner, wenn der Papst, ein Leo, ein Medicäer, ihm zuruft: »Schweige, Du bist im Irrtum! wird er des Löwen Antlitz, des Löwen Stimme ertragen? – Er ist von deutschem Blut; das wagt nicht, der Autorität entgegen, nein zu sprechen. Er wird sich niederwerfen, die Brust sich mit der Faust zerschlagen, und wenn tausend Stimmen in ihm riefen: Du bist im Recht! er wird seufzend aus blutiger Brust stöhnen: Ich bin im Unrecht; denn Du sagst es, Herr!«

Der Ritter Mathias schien mit dieser Ueberzeugung nicht zufrieden; sein Gaul hätte es wenigstens gemeint, als er ihn barsch mit der Kette riß und über unebenes Land traben ließ.

»Und wagt er's: nein! zu sprechen! – dann täte's mir um den Mönch leid. Zwar – er würde mit Mut auch in den Tod gehen – und – wenn sein Mut ihn weiter risse, – wenn – es ist vieles so morsch, daß, wo ein starker Arm rüttelt, ein Stein den andern mit sich reißt, eine Mauer die zweite, Giebel und Türme fallen nach, und kein mächtiger Geist eines Befehlshabers ist drinnen, der schützt und abwehrt, erhält. – Wer sagt uns denn, wer ein Empörer ist? – In der Historie steht's nicht geschrieben, nicht in der heiligen, nicht in der weltlichen? – Wo steht's überall geschrieben, was einer tun soll in schlimmen Zeiten, wo Herz und Herz, Pflicht und Pflicht im Streit liegen? – Ein guter Mann, mein' ich, steht wie ein guter Landsknecht fest auf dem Posten, auf den sein Obrist ihn stellte. Und ist die Schlacht verloren, das Land vom Feind gewonnen, und hat sein Obrist ihn vergessen – dann vergißt Gott ihn wohl nicht, und ruft, wann es Zeit ist, den treuen Landsknecht von seinem Posten ab. – Ein guter Mann wartet, bis er Gottes Ruf hört.«

Und dem Ritter Mathias ward es leichter ums Herz, als hörte er schon etwas von Gottes Stimme, da jetzt die Wolken rissen und die Sonne vorblickte und den Weg beleuchtete, der vor ihm lag.


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