Willibald Alexis
Walladmor
Willibald Alexis

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Fünftes Kapitel.

Gloster Sieh, wie der Ring umschließet Deinen Finger,
Umschließt auch Deine Brust mein armes Herz.
Nimm Beide hin, denn Beide sind Dein eigen.
Und darf Dein armer, Dir geweihter Knecht
Von Deiner Huld nur eine Gunst erbitten,
O so befestigst Du sein Glück für immer.
Shakespeare. König Richard III.

Als man auf einem mühsam zu ersteigenden Wege über Felsstufen und durch Felsspalten die Höhe erreicht hatte, vernahm man das Gewehrfeuer deutlicher; nur schien es, nach der Gegend, woher die Schüsse fielen, zu urtheilen, eher ein Geplänker zwischen Strauchwerk und Büschen, als ein ordentliches Gefecht. Das Gewölk hatte sich größtenteils verzogen, man konnte daher beim Mondenlichte in weiter Entfernung die Burg sehen; aber dort schien Alles ruhig, wenigstens leuchtete aus den Mauern keine Flamme in die Höhe, was der Squire, ohne den Gedanken sich ganz klar zu machen, gefürchtet hatte. Rechts von ihrem Wege nach dem Schlosse, dem tiefern Walde zu – zur Linken lag das Meer – schien das Gefecht vorzufallen.

Als die Gesellschaft kaum einige Schritte auf dem gebahntern Wege gegangen war, spornte ihr ein Reiter entgegen:

Werda? schrie er vom Pferde herab, und man sah im Mondenstrahle einen gezückten Säbel blitzen. Er schien, in der Erwartung, auf einen Trupp Befeindeter zu stoßen, die Antwort nicht abwarten zu wollen, und setzte sich eben in Bereitschaft, durch die Menge hindurchzusprengen, als ihn die Stimme des Squire stutzig machte:

Freunde von Walladmor und der Ordnung!

Welche Freunde? – Hör ich recht? – Wahrhaftig – Sir Morgan. Schreiben Sie die Stunde in Ihren Kalender unter die guten.

Hör ich recht? – Constabler Sampson! – Was gilts, sprich!

Zeit zum Expliciren ist nicht, darum muß ich kurz sein, und den Respekt bei Seite werfen. – Die Smuggler, Niklas, der wirkliche Niklas, haben das Schloß überrumpeln wollen bei Nacht und Nebel – massacriren Weib und Kind, und was ihnen wohlgefällt, fortführen ins Schiff oder sonst wo. –

Und was ist geschehn?

Nichts von Allem – aber Vieles soll noch. – Bei Zeiten witterte Alderman Gravesand – ein tolles Weib hatte ihm einen Zettel geschickt – den Anschlag. Er rückte mit den Grenzjägern und Zollbeamten den Kerlen in den Rücken, und jetzt schlagen sie sich im Walde. Es sind unser aber zu wenig, und ich soll Succurs holen, sonst entkommen sie uns. So hängts. – Gott erhalte ehrliche Leute und belohne ehrlichen Leuten ihre Dienste – ich habe keine Zeit.

Damit sprengte der Constabler den Weg nach der Stadt zu, ohne die Gesellschaft weiter davon in Kenntniß zu setzen, was geschehen, und ob es räthlich sei, den eingeschlagenen Steinweg nach dem Schlosse zu verfolgen? Der Squire aber war nicht zweifelhaft, und die Gesellschaft von gleichem Muthe befeuert. Alle beflügelten ihre Schritte, was indessen Bertram unmöglich ward, da seine Kniewunde heftige Schmerzen verursachte, und ihm das Gehen sehr erschwerte. Er wollte jedoch die Andern dadurch nicht aufhalten, und trat hinter einen Busch, während jene in stürmischer Eil, ohne auf jeden Einzelnen Acht zu geben, vorrückten.

Als er sie aus den Augen verloren, machte auch er sich auf den Weg. Es war der nämliche, auf welchem er zum ersten Male nach Walladmor-Castle zog. Aber unter wie verschiedenen Verhältnissen! Verdächtig als ein Verbrecher, gefesselt, im harten Winter, der Willkühr roher Soldaten preisgegeben, sah er damals nur eine trübe Zukunft vor sich. Es hatte sich alles umgeändert. Er hatte im Schlosse mehr gefunden, als je seine kühnste Hoffnung ihn erwarten ließ; und doch stand er wieder auf einem Punkte des Zweifels, dessen unglückliche Lösung ihn vielleicht um vieles unglücklicher machte, als er damals war, wo den Unbefangenen nur äußere Leiden drückten.

Seinen Gedanken nachzuhängen war übrigens nicht die Zeit, denn theils mußte er auf den Weg, welcher nur zuweilen von dem aus den Wolken hervortretenden Monde beleuchtet wurde, acht geben, theils störten die Schüsse zu seiner Rechten ihn oft genug auf. Was die Smugglergefechte, welche so oft an unsern Küsten mit der größten Erbitterung geliefert werden, und fast jedesmal einigen der treusten Diener des Vaterlandes das Leben kosten, ohne daß ihnen das Vaterland ein Denkmal setzt, – was diese so furchtbar für den Zuschauer, oder wer sonst unbefangen in die Nähe geräth, machen, ist die große Stille, in welcher gemetzelt und gemordet wird. Der Smuggler schreit nicht, tritt nicht offen auf; versteckt hinter der Hecke, lauert er seinen Feinden auf, und erlegt, wer ihm in den Wurf kommt; und selbst wenn er angegriffen wird, vertheidigt er sich mit verbissenen Zähnen wie ein Tieger, und fällt, wenn es sein muß, ohne Laut. Aber auch die Beamten haben in diesem kleinen Kriege die schleichende Natur ihrer Gegner angenommen. Sie überfallen, und feuern sich sehr selten durch ein Kriegsgeschrei an, aus Furcht, es möchte einen Hinterhalt herbeilocken, oder der Pöbel aus der umliegenden Gegend, welcher es in der Regel mit den Schleichhändlern hält, könnte, aufgeweckt, ihnen zu Hülfe eilen. So war auch das Gefecht, welches in der Nähe des Weges vorfiel. Aus den Büschen in den verschiedensten Richtungen blitzte es auf, und hier und dort hörte Bertram auch Schwertergeklirr. Er ging indessen sacht seines Weges, und es war erst, nachdem er eine geraume Strecke zurückgelegt, als er in einiger Entfernung seitwärts folgende Worte vernahm:

Verwünscht – er ist verschwunden – das macht Euer dicker Wanst, Master Bloodingstone – wir waren ihm auf den Zehen – und entlaufen!

Der Teufel laufe so ohne Vorsicht ins Dunkle und Wilde hinein, wo aus jedem Strauch ein Buschklepper vorspringen kann. –

Und er war schon angeschossen – vorn in die Seiten, – ich sah's, als er über den mondhellen Platz lief, wie er sich mit beiden Armen vorn hielt, und nachher sah ich auf dem Sande, wie's pure Blut armdick geflossen war.

Dann liegt er auch in der Nähe, Mac Kilmary, denn wenn ein Schwein in die Weichen gestochen ist, läuft's nicht hundert Meilen mehr. Er muß hier irgendwo zappeln. Such, such, Mac Kilmary.

Master Bloodingstone! von Euch laß ich mich nicht wie ein Hund traktiren. Jeder Mensch kann seinen Hund haben, aber wer sich selbst Hund sein will, der braucht nicht Jedermanns Hund zu sein, Master Bloodingstone.

Hund! da läuft er auf dem Wege, husch. –

Wie ein Hund, wenn der Jäger das Zeichen giebt, stürzte der Irländer über Stock und Block, packte, ehe Bertram sich dessen versah, diesen bei der Kehle und warf ihn zu Boden. Indem er auf ihm kniete und mit beiden Fäusten ihn fest hielt, schrie er aus Leibeskräften:

Ich habe ihn, Master Bloodingstone, ich habe ihn. Wenn er fortläuft, pack ich ihn nicht mehr. – Schnell heran, 's ist Niklas.

Soweit es seine Korpulenz zuließ, rannte der dicke Schlachtermeister heran, und, indem er seine Büchse auf den Niedergeworfenen anlegte, schrie er:

Muckst Du nur oder rührst Dich, so schlachte ich Dich wie den großen Ochsen Anno 1799 aus Carnarvon, zuerst die Hinterfüße ab. Muckst Du noch einmal, zieh ich Dir am lebendigen Leibe die Haut ab. Daß Dich, ein ehrlicher Mann wird doch endlich mit Dir fertig werden.

Bertram konnte kaum so viel Luft bei der Kehlenpresse des Irländers schöpfen, um die Worte zu sprechen:

Ehrlicher Master Bloodingstone, ich bin ja nicht der Niklas, ich bin ja der falsche Niklas!

Ja, falscher Niklas, ein ehrlicher Mann bin ich, und Du sollst es noch am Galgen werden.

Lieber Master Bloodingstone, der Kerl erstickt mich. –

Laß ihm die Brust los, Mac Kilmary, aber wir wollen ihm Hände und Füße knebeln und den Mund, und dann kannst Du ihn tragen.

Nicht Euch noch dazu, Master Bloodingstone? Dann trüge ich Wolf und Schaf zusammen.

Daß Dich! Willst Du vornehm sein, ich habe in meinem zehnten Jahre schon ein Kalb getragen, und jedes Jahr ein stärkeres.

Davon seid Ihr jetzt selbst eins geworden.

Master Bloodingstone, kennt Ihr mich denn nicht mehr? – Ich bin ja der Gast im Schlosse, ich bin Bertram, und habe ja neulich bei Euch in M*** Schinken zum Frühstück gegessen.

Ja, das kann Jeder sagen – meinte Mac Kilmary, und in seiner traurigen Stimme lag der Beweis, daß er selbst von seinem Irrthum überzeugt sei. Mit dem Schlächtermeister verständigte sich Bertram indessen bald, und stand unter dessen Beihülfe wieder auf. Mac Kilmary aber, sehr unzufrieden darüber, kraute sich im Kopfe, und sprach:

Ich habe nun eine Natur, die immer das Rechte ausspionirt, und der Teufel soll mich holen, wenn das nicht der Rechte ist, denn ich habe ihn nun schon zweimal gegriffen, und beide Mal lassen Sie ihn wieder los, weil sie klüger sein wollen als ich. – Was das bedeuten soll, weiß ich nicht. – Der hat so gut einen Hals zum Hängen, als der andere, wenn's denn doch einmal an's Hängen gehen soll; und was die Ehrlichkeit anbetrifft, so würden wir Alle stehlen, wenn man vom Galgen, statt hinauf in's ewige Leben, wieder herunter in's zeitliche käme.

Beide Diener der Gerechtigkeit schieden von Bertram, nachdem ihn der Schlächtermeister, jetzt bei diesen unruhigen Zeiten wohlbestallter Constabler, unterrichtet hatte, daß die Bande des berüchtigten Schleichhändlers so gut als vernichtet anzusehen sei, um den ihnen vermeintlich entgangenen Anführer auf dem Wege nach der Stadt hin einzuhohlen. Bertram wandte sich weiter in entgegengesetzter Richtung nach dem Schlosse. Als er jedoch kaum einige funfzig Schritte gegangen war, hörte er seitwärts ein klägliches Wimmern und Stöhnen. Er blieb vorsichtig stehen, und sah bald, daß an einem Strauche sich etwas bewege. Es mußte ein Verwundeter sein, der keine Rettung mehr zu erwarten hatte, denn Flüche über sein Schicksal wechselten mit der Anrufung heiliger Namen und Floskeln aus Kirchengebeten – die Kraft mußte ihm aber schon im Ausgehn sein, denn es waren lange Pausen zwischen jedem Worte, welche von Stöhnen und inartikulirten Lauten, die nach Gestaltung rangen, ausgefüllt wurden.

Jesus Christus meiner armen Seele gnädig – habe nur in der Vertheidigung Menschenblut vergossen – ein verfluchter heimtückischer Schuß – auf auf – daß ich dem Kerl nicht längst das Garaus gab – ich habe mich nie an Kirchengut vergriffen, und mit meinem Weibe christlich gelebt – vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern – warum mußten wir ihm auch zu dem tollen Streich folgen? – Es war voraus zu sehn – so viel wackere Burschen um eine verrückte Liebschaft. –

Nein, es ist nicht möglich! sagte Bertram, der bisher, im Glauben, der Verwundete sei Nichols, von einem wunderbaren Gefühle ergriffen, zweifelhaft, ob er ihm beispringen solle oder nicht? da gestanden hatte. Auch jetzt war er noch im Schwanken, als ein Geräusch im entferntern Dickicht ihn wieder in sein Versteck hinter einem Haselstrauch zurücktrieb. Es war sein Glück, denn sechs bis acht Bewaffnete stürzten auf den Fleck, wo er gestanden, los. Ihr wildes Ansehn und ihre Waffen verriethen, daß sie das Gefecht verlassen hatten. Sie standen still, als sie das Gewimmer hörten, und Einer von ihnen trat an den Verwundeten heran. Der Mond trat eben aus einer Wolke, und Bertram konnte ihn ohne Mühe erkennen. Es war Niklas. Er fluchte.

Der – fahre nieder auf die Stadtratzen! – Meine besten Leute. – Valentin, Valentin! Du warst ja sonst ein wackerer Bursch und zagtest nicht um eine Schramme. Auf, auf, es ist noch nichts verloren.

Die Schramme ist diesmal zu tief herein gegangen – stöhnte der Verwundete.

Wo denn?

Die Kugel fuhr in die Weichen, und mein Lebensblut liegt schon auf Moos und Sand. – Es geht zu Ende.

Ich wills nicht glauben, Valentin! Deine Frau schrie schon immer, wenn Du beim Springen durch die Hecken Dir den Finger geritzt hattest. Es ist Einbildung. – Steh auf, Du kannst hier nicht liegen bleiben, die Kerle setzen uns nach, und wer weiß, ob uns keine entgegen kommen.

Es geht nicht mehr, o weh!

Valentin! Valentin! – Ich habe noch Muth, teuflischen Muth. – All das Bischen Zaghaftigkeit und Verschämtheit, was Ihr mir immer vorwerft, ist mit dem letzten Funken von gewissenhafter Ehrbarkeit in der Nacht drauf gegangen. Ich möchte jetzt ruchlos sein und einen Pulverthurm anstecken, um mich an dem Knall zu freuen.

Der Verwundete stöhnte und ächzte. Niklas fuhr, wie berauscht von einem frevelhaften Gedanken, fort:

Valentin! Du warst der beste Spießgesell, wann's an's Schießen und Stechen ging. Wir sind noch beherzte Leute zusammen, die es drauf ankommen lassen. Jeder mißt sich mit Dreien. Es lebe die Gewalt. Morden und metzeln will ich. Die Liebste ist mir untreu geworden. Nun gilt's Gewalt; ich schleppe sie fort, und wenn sie sich sträubt, ist's neue Lust. – Faullenzer, steh auf!

Jesus Christus meiner Seele gnädig!

Was? Betest Du? – Ja, dann ists weit gekommen. – Gelobt, mit mir noch nicht. – Ich habe Blut vergossen, das hat mich lustig gemacht. – Ich habe Muth und Freiheit zu tausend Frevel, und wünschte nur, ich stände vor andern Leuten, als einem armen Friedensrichter. Ihr habt doch Muth, Bursche, Vergebung ist nicht zu hoffen – Blut um Blut, der Galgen, wenn wir verlieren, und ein hübsches Mädchen, wenn wir gewinnen, und alles vollauf, was wir wünschen, und dann auf Jacsons Schiff gestiegen, und der alten Welt ein Ade gerufen.

Die Leute antworteten nicht, machten aber wilde Bewegungen, aus welchen Bertram schloß, daß die Bande noch einen Angriff gegen das Schloß beabsichtige. Deutlicher wurde aber zugleich das Gewimmer des Sterbenden. Er drückte Niklas Hand und schien ihn zu sich herabziehn zu wollen. Was er ihm von Ermahnungen zur Bekehrung zuflüstern mochte, oder ob bloß in seinen Gebärden eine solche Bitte gelegen, das verstand Bertram nicht; aber er schloß nur aus Niklas scheuem Blicke und seinen folgenden Aeußerungen, daß etwas dergleichen zwischen Beiden müsse vorgefallen sein:

Nicht doch, Valentin. – Ich habe noch Mark in den Gliedern, Kraft in den Sehnen. Heut stürm ich noch das Schloß – es soll lodern, und ich will mich freuen, noch lange freuen, ehe die auftreten, welche nebst den Würmern an meinen Nachlaß Ansprüche machen.

Niklas, Du kannst ja nicht mehr mit Deinen wenigen Leuten etwas wagen – die Besten sind todt.

Aber Toms fehlte, als wir zu früh den Streich wagten.

Toms dient zweien Herren. – Und gegen den Squire beginnt er nichts.

Toms ist mir ergeben. Auf mein Blut schwört er. Du hast die Gedanken eines Pfaffen. Wär's deshalb, ich möchte mich vor dem Tode fürchten. – In ein Paar Stunden, Valentin, wenn Du von uns scheidest, steige ich durch Toms Hülfe ins Schloß und ins Brautbett mit der Getreusten, – oder, wenns fehlschlägt – nun dann sehn wir uns wieder. Leb wohl.

Niklas, mein Weib. – Denke an mein Weib. –

Bertram hatte sich schnell entschlossen. Länger zu verweilen, hätte vielleicht ihn verrathen, vielleicht es ihm unmöglich gemacht, den Schloßbewohnern Nachricht von dem Unternehmen zu bringen, welches, glücklich ausgeführt, das Glück des Squires, ja sein eigenes auf ewig vernichten mußte. Ohne weiter die Antwort des durch den Verzug beim Sterbenden aufgebrachten Niklas abzuwarten, schlich er sich, so leise es anging, aus seinem Verstecke fort, und auf den großen Weg, so weit dieser beschattet war. Wo mondhelle Stellen waren, drückte er sich seitwärts ins Gebüsch, bis er, nach einem gewonnenen Vorsprunge, sicher vor den Verfolgungen zu sein glaubte, und nun so gemächlich gehen konnte, als dies seine Verwundung wünschenswerth machte.

Schon stieg das Schloß in seiner gothischen Pracht vor ihm in die Höhe, und er konnte die einzelnen Thürme und sogar die Zinnen und Schießscharten, im Gegensatz des monderleuchteten Horizontes, deutlich erkennen, als es hinter ihm wieder laut wurde. Er blieb stehen, konnte aber wegen der Entfernung nichts unterscheiden. Desto deutlicher aber wurden die Töne. Vielfacher Hufschlag stampfte auf dem Felsboden des Weges, Säbel klirrten, und es fielen mehrere Schüsse bald stärker, bald schwächer, vermutlich von Flinten und Pistolen. Man mußte mit großer Erbitterung streiten, denn lange nachdem kein Schuß mehr fiel, und wahrscheinlich alle Gewehre und Pistolen abgeschossen waren, dauerte das Klirren der Säbel noch fort. Auch hörte er wildes Gekreisch, wie es nur in den Gefechten der wilden Amerikanischen Stämme unter sich oder mit den Europäern vernommen wird. Nachdem der ganze Lärm wohl an eine Viertelstunde gedauert hatte, hielt Bertram es für das Geratenste, auch hier nicht den Ausgang abzuwarten, sondern sich nach dem Schlosse weiter auf den Weg zu machen.

Kaum mochte er indessen fünf Minuten gegangen sein, als das Säbelklirren ganz aufhörte und er nur das Pferdegetrampel hörte. Dies kam ihm aber näher, und plötzlich sah er mehrere Reiter auf dem hohen Strandwege hinter sich her sprengen. Ehe er sich noch entschließen konnte, ob es gerathener sei, zu fliehen oder ruhig stehn zu bleiben, waren ihm die Vordersten so nahe, daß an ein Entkommen nicht mehr zu denken war.

Dort flieht Einer! – Greift ihn, eh er ins Meer springt – rief vermutlich ein Anführer, und Bertram ließ sich willig von den vorsprengenden Reitern, ohne einen Versuch zu machen, ins Meer zu springen, am Kragen fassen, wenn auch diese Berührung keine sanfte war. Zu seiner Freude erkannte er in ihnen Dragoner desselben Regiments, von welchem er früher nach Walladmor-Castle war transportirt worden. Er fragte daher sogleich:

Ist Sir William Davenant Euer Anführer? – Ihm will ich mich ergeben.

Der wird für die Ehre danken, – sagte Einer – und wenig Federlesens machen. – Den Riemen durch die Schultern, Anton.

In dem Augenblicke sprengte der Anführer heran.

Ob es der Rädelsführer ist, der Staatsverbrecher, Anton? –

Schmuck sieht er aus, Sir Davenant, Gott weiß, wo der Rock gestohlen ist.

Sir Davenant, Sir Davenant, befreien Sie mich.

Was, eine bekannte Stimme?

Schon einmal incommodirte ich Sie mit meinem Transport nach dem Schlosse. Diesmal kann ich Zeugen meiner Redlichkeit aufweisen.

Hör' ich recht? – Herr Bertram!

Bertram, und kein Smuggler.

Der Ritter sprang vom Pferde, und bewillkommnete den alten Bekannten. Beide theilten sich, auf die begierige Anfrage des Andern, ihre Wissenschaft von den heutigen Vorfällen mit, und der Officier erzählte ihm, daß er, in der Nähe stationirt, auf die Nachricht von dem bedrohten Schlosse, sogleich habe aufsitzen lassen. Von der Zerstreuung der Smuggler hatte er unterweges gehört, war aber doch ungefähr auf der Stelle, wo Bertram den Valentin verließ, einen Trupp ansichtig geworden. Die Smuggler hatten sich zur Wehr gesetzt und hinter Sträuchern liegend, nach Sir Davenants Versicherung, mit einer Erbitterung gefochten, welcher nur die der Spanier und Franzosen in den Gebirgsgefechten des Bonaparteschen Krieges gleichkam. Mehrere Dragoner waren verwundet worden, zwei Smuggler geblieben. Von den übrigen mochten, nach der Meinung des Officiers, alle verwundet sein; es war jedoch nicht gelungen, auch nur eines einzigen habhaft zu werden, indem jeder mit dem Säbel so lange gefochten, bis er todt niedergesunken war, oder im Dickicht eine Zuflucht gefunden, wohin es den Reitern, bei der Unbekanntschaft mit den Hindernissen des Terrains, unmöglich zu folgen war. – Bertram setzte sich, nachdem die Reiter etwas von dem Gefecht ausgeruht hatten, zu einem derselben auf das Pferd, und der ganze Trupp ritt darauf nach dem Schlosse. Ehe wir jedoch hier ihre Ankunft beschreiben, ist es nöthig, etwas zurückzuspringen, um zu melden, was sich vor derselben dort zugetragen hat.

Die Gesellschaft war in stürmischer Eil glücklich ins Schloß gekommen, und hatte dort bereits den Alderman Gravesand angetroffen, welcher auf den Lorbeeren seines kurzen Feldzuges ruhte. Er wußte in seiner Bewillkommnungsrede an den Squire sehr geschickt einfließen zu lassen, daß er der Retter des Schlosse sei, und erst sehr spät erfuhr Sir Morgan, daß die Obrigkeit in M*** durch einen anonymen Zettel von dem Anschlage des Verbrechers sei unterrichtet worden. Sie hörten, daß die Rotte während des Ungewitters den ersten Sturm auf das Schloß gewagt habe, aber theils von dem Seneshal und zwei alten zurückgebliebenen Dienern durch Flintenschüsse abgewiesen, theils durch den Ueberfall der Zollbeamten zum Rückzuge genöthigt worden sei. Zwar meinten einige der Gäste, da die Gefahr noch durchaus nicht vorüber sei, wäre es angemessener gewesen, wenn der Alderman sich zur weitern Verfolgung der Verbrecher auf die Füße gemacht hätte, statt die Rückkunft des Squire abzuwarten, um diesem, was geschehen und nicht geschehen sei, zu berichten; aber der Squire dankte auch so den Dienstleistungen der würdigen Magistratsperson, und die Häscher ließen sich gern in die untern Zimmer der Burg verweisen, um die Besatzung für einen etwa neuerdings zu befürchtenden Ueberfall zu verstärken, und sich an den ihnen dargereichten Erfrischungen und Erwärmungen zu erfreuen.

Noch aber war die Besorgniß im Schlosse nicht beseitigt. Ginievra war, als sie die im Vorhofe beim Fackelschein Versammelten anblickte, unruhig geworden, und der Squire, welcher sie zu überreden suchte, heut alle Nachfragen zu unterlassen, und sich ruhig zur Erhohlung niederzulegen, schien erfreut, als die Frage, welche sie nicht unterdrücken konnte, Niemand weitern betraf, als Bertram.

Wo ist Bertram, ich sehe ihn nirgends?

Bertram! Herr Bertram! wurde von allen Seiten wiederhohlt, aber keine Antwort erfolgte. Man fragte, ob Jemand wisse, wo Bertram geblieben sei? aber Keiner konnte von ihm Auskunft geben. In der That wurde jetzt auch der Squire besorgt und ging unruhig umher, aber Ginievra schien unter allen am meisten von der Angst gefoltert.

Er fiel und verwundete sich, als er mich an's Land trug – Oheim, bester Oheim – warum wurde nicht für ihn gesorgt – warum keine Sänfte herbeigebracht? – Er kann unterweges hingesunken sein – vielleicht am schwindligen Abgrunde – vielleicht – es wird noch immerwährend im Walde geschossen – es kann ihn eine Kugel getroffen haben – er fällt in die Hände der Räuber, – wird denn Niemand hinaus, ihm entgegen gehn? –

Man lief unter einander, ohne einen Entschluß zu fassen; in dem Augenblicke aber pochte es an's Thor. Ginievra, in der Aufwallung der Gefühle ihrer selbst nicht mächtig, rief aus:

Er ists, er ists!

und stürzte an das Thor, um die kleine Pforte zu öffnen. Es gelang ihr, ehe der ältliche Pförtner heran humpelte. Sie riß, als solle diese Bewegung ihre Herzensfreude ausdrücken, die Pforte weit auf, aber nicht Bertram sprang freudig ihr entgegen, sondern ächzend und stöhnend näherte sich Jemand, mit einer schweren Last in den Armen. Es war Toms. Halb trug er, halb schleppte er eine weibliche Gestalt, offenbar eine Todte, durch die Pforte. Mit gebeugtem Kopfe, ohne die Mütze abzuziehen und ohne ein Wort zu sprechen, zog er langsam bis in den Hof, lehnte dort die Leiche auf einen Stein, und stürzte sich weinend neben ihr nieder. Ginievren war es kalt über die Glieder gelaufen. Mit einem Schrei der Ahnung stürzte sie von der offen gelassenen Pforte auf die Leiche zu, und brauchte nur einen Blick auf das unverhüllte Gesicht zu werfen, um ihre Dienerin Almy zu erkennen. Sie griff instinktartig nach dem Puls, nach dem Herzen der Leiche, und rief dann mit gedehntem Tone, als könne die Verzögerung der Antwort Hoffnung, wenigstens Trost bringen:

Ist sie denn wirklich todt? –

Sie fiel ins Wasser – sagte Toms, der sich mit beiden Händen das Gesicht verhüllt hatte, und weiter kein Wort, aber es war genug, um alle entsetzlichen Bilder des Todes herbeizurufen. Ginievra fand in den Thränen, welche ihr reichlich entströmten, Linderung für die verschiedenartigen Gefühle, die ihre Brust beengten, und es war Niemand im ganzen Hofe, welcher nicht um den Tod des unbefangenen, lebensfrohen Mädchens für einen Augenblick seinen schmerzlichen Gefühlen Raum gegeben hätte. Nur Toms allein schien keinem Gefühle Luft machen zu können. Ralph Dainswood nahm zuerst wieder das Wort in der Todtenstille:

Sie hatte sich so fest an den Mastbaum geklammert, daß sie, als das Schiff umkippte, unten wohl ersticken mußte, während die andern frei ins Wasser geschleudert wurden, und bald oben, bald unten lagen, bis man sie greifen konnte. – Der Toms schwamm ihr nach, als sie todt schon war, und kriegte sie endlich zu packen – aber das war ein todter Fisch.

Und er hat sie die steile Felswand allein heraufgetragen, – sagte ein Anderer. Der Squire aber redete zur Nichte:

Liebe Ginievra! geh in dein Zimmer. Wir wollten Dir gern die Schmerzensnachricht verschweigen, bis Du zur Ruhe gekommen wärst. Maxwell hat die Mädchen hinaufgeschickt. Sie werden den Dienst, so gut sies wissen, versehen. Hier ist nun nichts mehr zu helfen.

Er wollte die Trauernde leise aus dem wilden Auftritte fortführen, und Master Simon war ihm behülflich, indem er, von der andern Seite Ginievren sich nähernd, ihr die Trostgründe zuflüsterte, welche die Religion jedem durch das Hinscheiden geliebter Wesen betrübten Gemüthe eingeben kann. Aber er predigte tauben Ohren, oder ward nur halb verstanden, indem auch er nur halb die Besorgniß der Lady verstand. Als sie aber über die Zugbrücke in den innern Hof gehn wollten, starrte Ginievra zurück und fiel dem Geistlichen mitten in die Rede:

Aber wo ist Bertram?

Wir werden nach ihm senden, theures Kind. Er ist zudem ein ganz Fremder, und die Bösewichter haben keinen Grund, wenn er auch in ihre Hände fallen sollte, feindlich gegen ihn zu verfahren, da er Keinen beleidigt hat und Niemandem feindlich im Wege steht.

Ginievra seufzte auf und zitterte.

Kind, der Fieberfrost schüttelt Dich, willst Du länger Dich hier verweilen, wird die Gefahr immer größer. –

Die Gefahr! – rief Ginievra aus, ohne von der Rede des Squire etwas anders, als das eine Wort gehört zu haben. – Ist er in Gefahr? Er schont ihn nicht, der Fürchterliche. – Er ist rachsüchtig.

Es scheinen die Fieberphantasieen schon zum Ausbruch zu kommen – flüsterte der Geistliche seinem Begleiter zu, während dieser sie zu beruhigen suchte.

Es ist keine Gefahr vorhanden, sage ich Dir, und will Dir das morgen auch näher auseinander setzen. –

Herr Gott! – schrie sie auf – ich höre Lärm, Pferde – ganz weit – er ist es, er ist es. –

Beide Begleiter hielten auch dies für den Ausbruch einer Phantasie; als sie sich aber umkehrten, hörten sie deutlich den Trapp eines Reitertrupps. Jetzt kam die Reihe des Zitterns an den Squire:

Ist das Thor verschlossen? rief er aus, und schien doch nicht zu wissen, als eine bejahende Antwort erfolgte, ob er diese Maaßregel billigen, oder Befehl geben solle, es zu öffnen. Die Reiter pochten indessen laut und vernehmlich ans Thor; und als auf den Ruf »Werda?« die Antwort entgegenscholl: »Freunde von Walladmor!« öffnete der Pförtner den großen Thorweg, und die Dragoner sprengten in den Hof. Sir Davenant sprang zuerst vom Pferde, und dem Squire entgegen. Ginievra, die sich von ihrem Oheim losgerissen, prüfte ihn mit ängstlich forschenden Augen, und als sie in ihm nicht den Erwarteten fand, ging sie, ohne auch nur einen Blick auf ihn zu werfen, weiter vor, bis ihr Bertram, der eben auf den Boden gesprungen war, entgegen trat.

Theure Lady! – Um Gottes Willen! noch immer in der nassen Kleidung – Ihre Gesundheit – Ihr Leben – bedenken Sie –

Sie sind ihm nicht in die Hände gefallen? redete ihn Ginievra an, ohne selbst auf seine Rede zu achten. – Nicht, nicht? – O das ist ein großes, ein großes Glück. Aber Sie sehen blaß aus. – Sind Sie ihm auch nicht begegnet? – Lieber Bertram, aber warum trennten Sie sich von uns? – Ihr Fuß – ich weiß alles – man hätte eine Sänfte bringen sollen – die Nacht war sehr schön – und es ist sehr warm. –

Auch Bertram wurde besorgt, daß die Erkältung und Anstrengung auf die Lady übel gewirkt, und ein Fieber erzeugt hätten. Er drang daher vereint mit den Gästen darauf, daß Ginievra sich entfernen und zur Ruhe begeben solle. Sie ging jetzt auch wirklich, versicherte aber, sich so wohl zu befinden, daß sie die ganze Nacht ohne Schaden aufbleiben könne. Nachdem sie fort war, erfolgten gegenseitige Erklärungen. Der Squire dankte dem Officier für den schnellen Beistand, und versicherte, die Gefahr sei noch nicht vorüber. Als Sir Davenant behauptete, die von ihm neuerdings zerstreuten und verwundeten Bösewichter könnten unmöglich einen neuen Angriff wagen, sagte er mit bedeutungsvoller Miene:

Junger Mann! in den Sternen steht es anders geschrieben. Dinge können sich in dieser Nacht ereignen, von denen Zauberer Merlin nichts geträumt hat. Sein Sie auf Ihrer Hut, wir haben rüstige Männer im Schlosse, vielleicht ist es um Mitternacht Noth. Nun wollen wir jeder einige Stunden der Ruhe pflegen, dann versammeln wir uns alle zu einem späten Nachttisch im Saale. Sie, Master Simon, werden mich wohl hinauf begleiten in meinen Thurm.

Er machte eine bedeutungsvolle Bewegung zum Geistlichen, welcher sich schweigend verneigte. Dann faßte er ihn unter den Arm, und Jedermann zog sich in sein Zimmer zurück.

Als Bertram sich in dem seinigen umgekleidet und einige Minuten auf dem Ruhebette von den Anstrengungen des Tages ausgeruht hatte, sah er zum Fenster hinaus. Noch übten die Nachzügler des Gewitters ihre Rechte am Horizonte aus. Wolken zogen hin und her, es donnerte, blitzte, und das Meer zeigte sich noch immer unruhig da, wo der Mondenstrahl es erleuchtete. Wo hingegen auch Bertram sein Auge im Schlosse und der Umgegend richtete, war es ganz still, und es schien, als ruhe jedes Geschöpf von den Stürmen des Tages aus. Selbst die in den alten Gesimsen des Schlosses nistenden Eulen und Raubvögel, sonst die Wächter der Nacht, ließen sich nicht hören. Diese große Stille, verbunden mit dem langsam rollenden Donner, machte aber auf Bertram einen unangenehmen Eindruck. Nach einem so gewichtigen Tage, wie der heutige, sucht der thätige Mensch, auch wenn er abgemattet ist, andere Erholung, als in der Einsamkeit. Zudem lag ihm so vieles auf dem Herzen, und er hätte sich über die Vorfälle noch gern Andern mitgetheilt. Er eilte deshalb aus seinem Zimmer, und zuerst auf den Hof.

Hier war es ganz still. Erst nachdem er sich eine Weile umgesehn, hörte er ein klägliches Wimmern, welches eine tiefere Betrübniß auszudrücken schien, als es laut war. Bertram erkannte alsbald die Stimme des unglücklichen Toms. Es war seine Absicht gewesen, diesen zu prüfen, um zu erfahren, ob, nach Nichols Versicherung, der Geächtete oder der Squire auf seinen Beistand rechnen könne. Als er aber jetzt seinen Zustand sah, glaubte er dieser Vorsicht überhoben zu sein, denn der unglückliche junge Mensch schien ganz vernichtet. Er galt schon sonst im Schlosse für stumpfsinnig, und seine beste Eigenschaft war die Treue, mit welcher er, ohne zu prüfen, die Befehle seines Herrn, oder, wie Bertram erfahren hatte, die seiner Herren ausführte. Gegen Tadel und Lob gleichgültig, schienen alle seine Handlungen mehr das Gepräge des Instinktes an sich zu tragen. Als ein geborner Unterthan des Squire, hielt er dessen Befehle für höhere Eingebungen, und Sir Morgan achtete ihn auch vor andern Dienern, als ein treu alt Wälisch Gemüth. Beinahe zur selben Zeit, wo er in die Dienste seines Gutsherrn trat, lernte er aber auch den ersten kleinen Seedienst, wie die Strandbewohner jener Gegenden die Beihülfe des Smuggelns nennen, unter dem berüchtigten und glücklichen Anführer der Smuggler in dieser Gegend. Sei es nun, daß die großartigen Seiten in Nichols Charakter einen solchen Eindruck auch auf seinen Stumpfsinn hervorbrachten, wie auf andere rüstige Bursche der Umgegend, welche ihm blindlings folgten; sei es, daß irgend ein anderes geheimes Band ihn an den kühnen Verbrecher fesselte; kurz, er wurde desgleichen bald einer der treusten Anhänger des Smugglerhauptmanns, was ihn oft in nicht geringe Verlegenheit setzte. Indessen schob man seine daher häufigen Versehen und Unterlassungssünden auf sein Phlegma, und der Squire achtete ihn darum nicht weniger. Toms Liebe zur fröhlichen Almy war eine der innigsten; nichts desto weniger wußte er sie nicht von sich zu geben, und wurde deshalb oft von seinen Kameraden verspottet, und das muntere Mädchen hatte selbst erst kurz vor ihrem Tode ihn wegen seines Stummseins aufgezogen und mit ihm geschmollt. Nach ihrem Tode hatte er seine innige Liebe durch die That bewiesen, und es verrieth einen hohen Grad fast schwärmerischer Zuneigung, welche ihn getrieben, ihren entseelten Körper den langen und beschwerlichen Weg unten am Strande über Klippen und Löcher fort und allein die Felswand heraufzutragen. Es mochte indessen auch eben der Umstand, daß Almy vor ihrem Tode auf ihn scheinbar gezürnt hatte, zu den außerordentlichen Anstrengungen und dem tiefen Schmerze, welcher ihn überwältigte, beigetragen haben.

Er saß auf einem niedrigen Steine neben der Leiche, und hielt das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, während er seine Ellenbogen auf die Kniee stützte. Bertram trat leise an ihn heran, ohne bemerkt zu werden, und sah ihn eine Weile schweigend an, bis auch ihm diese stumme Scene neben der mit offenen Augen daliegenden Leiche peinlich wurde.

Toms – redete er ihn mit freundlicher Stimme an – guter, ehrlicher Toms – wir müssen alle sterben – früh oder spät – und die früh sterben, haben's vielleicht besser droben, als wenn sie veraltert und satt am Leben, in das neue kommen. – Deine Almy hat ein schneller schöner Tod, mitten auf einer Lustfahrt, hinweggerafft. – Wir brauchen sie nicht zu betrauern, sie braucht kein Mitleid.

Kein Mitleid! – fuhr Toms in die Höhe – sie haben sie liegen lassen – und keine Seele hat sich drum bekümmert. – Als sie noch lebte und frisch herum sprang, waren ihr Alle gut – jetzt haben Alle sie liegen lassen, und ein armer todter Mensch ist recht schlimm daran.

Der halb begründete Vorwurf griff Bertram in die Seele. Die Vernachlässigung rührte vermutlich nur von der allgemeinen Unruhe her, dennoch konnte sie das Herz des unglücklichen Geliebten mehr als jede ihm persönlich widerfahrene Beleidigung verwunden. Bertram, der überdies fürchtete, dies verwundete Gefühl möchte ihn stumpf gegen seine Verpflichtung, und den verbrecherischen Eingebungen seines zweiten Herrn geneigt machen, suchte alle gewöhnlichen Trostfloskeln hervor, welche indessen wenig anschlagen konnten, da Toms nach jeder erbaulichen Periode alle Argumentationen mit dem nicht zu bestreitenden factischen Satze niederschlug:

Wenn sie nur nicht todt wäre.

Ihn, der nie freiwillig der Thätigkeit huldigte, zur Ueberwindung des Schmerzes, zu selbstthätigem Handeln anzuspornen, war eben so fruchtlos, und er antwortete auf jede Ermunterung und Frage: ja, ja! woraus aber meistens hervorging, daß er gar nicht Achtung gegeben hatte.

Da nichts dem Unglücklichen irgend eine Theilnahme, ja nicht einmal die volle Klage seines Leidwesens zu erpressen vermochte, und immer nur ein tiefer Wehruf das Uebermaaß der Schmerzen im Innern ausdrückte, wurde Bertram in seiner Gegenwart unheimlich zu Muthe, und er eilte über den Hof in den großen Versammlungssaal.

Schon war zum Nachtmahl Alles vorbereitet, nur die Gäste fehlten. Als er aber einige Schritte vorging, bemerkte er Ginievren weiß gekleidet und wie in tiefem Nachdenken versunken, auf dem Sopha sitzen. Sie hatte ihn nicht eintreten sehn. Als er aber jetzt vor ihr stand und seine Gegenwart kund gab, sah sie plötzlich in die Höhe, sprang dann auf, wollte ihm ihre Hand reichen, stürzte ihm aber in demselben Augenblicke, wie übermannt von einem mächtigern Gefühle, in die Arme. Bertram drückte sie sanft an die Brust und lispelte:

Ginievra! – dann nach einer Weile. – Ich darf hoffen – darf auf ein Glück hoffen, dessen Gedanke allein den Träumer an dem Felsrande müßte schwindeln machen, daß er hinabstürzte?

Sie entgegnete:

Wo wäre Glück, Leben, Jugend, ohne Dich? – In den Wellen, oder mehr todt, als todt. –

Bertram war befangen vom Taumel über eine Aussicht, wie er sie kaum in seinen glücklichsten Träumen sich vorgebildet hatte; aber er war zugleich so unbefangen, um zu bemerken, daß Ginievras Worte aus einer heftigen Exaltation hervorgingen, welche bei ihren schwachen Nerven und nach Vorgängen wie die des heutigen Abends, ihrem Leben konnten gefährlich sein. Er suchte daher mit eigener Ueberwindung und zarter Schonung sie von einem Gegenstand des Gespräches abzulenken, welcher für ihn beseligend sein mußte.

Ginievra! Theures Mädchen, es ist wohl schön, in seligen Träumen zu schwärmen; wie aber, wenn wir erwachen? – Der ganze Tag erscheint mir heute wie ein Feentraum. Das Wunderbare in Glück und Unglück überbietet sich – daß ich fast an der Wirklichkeit alles dessen verzweifele, was geschehen ist. – O sprich mein Glück nicht heute, nicht in dieser Stunde aus: denn ich fürchte, es zieht wieder ein Sturm heran, wie dort am Horizont die finstere Wolke den Mond überzieht. –

Ginievra verstand ihn falsch und fiel ihm ins Wort:

Fürchtest Du, Bertram? –Ich kenne nicht den Gang und die Schrift der Sterne, wie mein Oheim, aber ich vertraue ihnen. Es heißt ja im Liede:

Ueber Meereswellen,
      Ueber Felsenklüfte,
Unter schäumenden Quellen,
      Durch Todtengrüfte,
Im Sturmeswehen,
      Ueber schwindelndem Steg,
Auf Felsenhöhen
Findet Liebe den Weg.

und das fang ich, als ich Nichols gesehen und der erste Strahl der Liebe mich entflammte. Ja als ich entdeckte, über welche Kluft hinab ich schauen mußte, wuchs mein Muth, und, Bertram, – halte mich nicht für untreu, – ich liebte den adligen Sinn des wilden Mannes, sein feurig Auge, seine hohen Züge. Aber die Sonne verfinsterte sich, der dunkle Dämon blickte aus dem Auge hervor, der adlig wilde Mann wurde zum verwegenen Mörder, und Blut und Rachgier entadelten die hohen Züge. Das glänzende Gestirn meiner Liebe war ganz verfinstert, als Du, sein besseres Abbild, hervortratest. Bei ihm habe ich nur gezittert, auf Dich blickte ich seit dem ersten Abend gern, mir war wohl in Deiner Nähe, ich liebte Dich –

Ginievra, – sagte Bertram, sie noch einmal ans Herz drückend, – ich will wagen, muthig sein – Deinen Sternen vertrauen.

Man hörte jetzt draußen Geräusch, das Zeichen der Ankunft von Gästen, und beide Liebende trennten sich mit einem feierlichen Händedruck, der Besiegelung ihres Bundes. Bertram ging den Eintretenden entgegen, war aber wenig erfreut, zuerst die Hand des Bewillkommens Sir Davenant reichen zu müssen. Indessen traten mit ihm noch zwei andere Herren ein, und er hatte für diesmal wenig von der sarkastischen Höflichkeit des Officiers zu fürchten, welcher mit aller steifen Feierlichkeit einer ceremoniellen Assemblée die Unterhaltung über das Wetter und unumstößliche Wahrheiten der Logik eröffnete. Auch Ginievra, um welche die Anwesenden im Halbkreise sich niedergesetzt hatten, schien sich in diesem feierlichen Tone zu gefallen, und führte ihn, ohne im geringsten ihre innere Bewegung merken zu lassen, fort, bis sie plötzlich vom Sopha aufsprang und ausrief:

Das Licht im Thurme geht aus.

Man fragte, was es bedeute, und erhielt zur Antwort, Sir Morgan habe seine astronomischen Studien mit dem Geistlichen beendet und komme zur Gesellschaft. In demselben Augenblicke läuteten auch die Schloßglocken, welche die Gesellschaft zur gemeinschaftlichen Nachtzeit aufrufen. Der Saal füllte sich, der Squire kam mit dem Geistlichen unter dem Arme, und alle nahmen Platz bei einer Mahlzeit, welche so still und feierlich anhob, als man es nach Begebenheiten, wie sie der heutige Tag darbot, nicht erwarten konnte. Der Squire, sonst das Muster eines Wirthes, schien heute alle feinere Regeln der Gastfreundschaft vergessen zu haben; denn während des ganzen ersten Theils der Mahlzeit unterhielt er sich nur leise mit seinem Tischnachbar, dem Geistlichen, und überließ es der Sorgfalt des Officiers, das allgemeine Gespräch nicht ganz einschlafen zu lassen.

Ginievra wollte endlich, vermutlich weniger der vorgeschützten Ermüdung wegen, als weil sie ihren Gefühlen nicht mehr den kalten Zwang anlegen mochte, den Tisch verlassen. Als der Squire durch das Geräusch aus seiner Unterhaltung aufgeschreckt wurde, und es bemerkte, rief er ihr zu:

Nicht doch, Genievra, es ist jetzt nicht Zeit, wir müssen noch bei einander bleiben – aber mitten in der Anrede an die Nichte brach er wieder ab, und wandte sich abermals zum Geistlichen. – Was die Ähnlichkeit beider Constellationen betrifft, so begreifen wir nicht den Zusammenhang, aber Master Simon, er wird klar werden. –

Sir Morgan hatte sich so weit vergessen, auch diese letzten Worte, welche nur für den Geistlichen bestimmt waren, so laut zu sprechen, als redete er noch zur Nichte; und Sir Davenant benutzte diesen Umstand, den Redner ins allgemeine Gespräch mit zu verflechten, und seiner eigenen Laune, welche sich so lange Zwang anlegen müssen, Luft zu machen.

Meine Constellation soll die Ehre haben, mit der unserer Lady ähnlich zu sein, Sir Morgan? – Da müßte freilich ein Zauberer, mächtiger als der graubärtige Merlin, im Spiele sein, denn die Lady ist gesonnen, das Zimmer zu verlassen, und ich bin es, noch einige Stunden bei Tisch, Becher und einer so launigen Gesellschaft zu verweilen.

Bis Mitternacht, Sir Davenant! nur bis Mitternacht!

Warum bis zur Geisterstunde?

Weil die Geister dann regieren, die Mächtiges, die Ungeheures wirken. Meine werthen Gäste, alt Wälische Herren und edle Fremde! Wenn die Sterne nicht lügen, wird, noch ehe der Hahn kräht, eine Sonne aufgehn über Walladmor. Lassen Sie uns – er erhob sein Glas – auf das Wohl der Stunde leeren, die da kommen wird.

Alle standen, dem Beispiele des Squire folgend, auf, und es erklang das Wohl der kommenden Stunde; die ausgebrachte Gesundheit erregte aber nicht, wie gewöhnlich, Frohsinn, sondern eine unheimlich feierliche Stimmung hatte sich aller Anwesenden bemächtigt, und selbst auf Sir Davenants Gesicht wurde der angenommene Ernst zum wahren, während der Wirth folgendes sprach:

Wem brauchte ich zu klagen, daß mein Sohn in der Stunde seiner Geburt mir von einem tollen, rachesüchtigen Weibe entrissen wurde? – Die Sterne sagten, er lebt, aber nie habe ich erfahren, in welcher Sprache er auferzogen, in welchem Glauben er aufgewachsen, ob der Erbe Walladmors von den Engeln des Lichts behütet, oder von den Geistern der Finsterniß verführt worden? – Aber in der Stunde seiner Geburt merkte ich den Stand der Gestirne, und ich stellte Edwins Horoskop. So geben mir die Sterne in den beglückten Momenten Kunde von dem Sohne, den ich nie gesehen. – Was brauche ich zu Geistern, welche vielleicht die tiefe Weisheit unserer Väter bezweifeln, von den Botschaften zu reden, die mir die Sterne brachten? – Trübe, wild verworren sah es am Himmelskreise aus, und ohne Ziel liefen die Linien im Kreislauf, bis mit dem Beginn dieses Jahres die Elemente sich ordneten. Der Stand des Arcturs verkündete mir, daß mein Sohn in meiner Nähe weile, und das alte Wort:

Wenn die Mohren stürmen das Außenthor,
Wird Freude kommen nach Walladmor,

das gab dem Greise das feste Vertrauen. Viele Stimmen tönten vernehmbar, daß die Stunde nahe; ich hoffte in Anglesea Kunde zu finden, und wie ich sie gefunden und welcher Zusammenhang zwischen den Worten der Wahrsager und den Thaten der Gegenwart waltet, wer wollte ihn enthüllen, ehe die Stunde gekommen ist? – Aber als ich jetzt mit dem Horoskop die Sterne verfolge, da steht alles in einer Ordnung, wie sie die Meister in den Sternen nicht kennen; Edwins Stern nähert sich der Mitte des Kreises, und in der Scheidestunde beider Tage muß er im Mittelpunkt stehen. Er wird kommen, kommen, sagt mir Alles, und der alte Spruch wird erfüllt werden, der Erbe Walladmors klopfen an's Thor gleich wie damals, wo es im Liede heißt:

Wer hebt den Klopfer, wer schlägt an's Thor?
Ihn kann nur heben ein Walladmor.

Und Mai ist es jetzt überdies, der Mond scheint draußen. Stürmend oder bettelnd wird er kommen. –

In dem Augenblicke schlug es zwölf vom Schloßthurm herab. Alle zählten schweigend die einzelnen Schläge, und kein Laut, kein Geräusch unterbrach die feierliche Stille; ja beim Schein der verglimmenden Wachskerzen zeigten sich sehr bleiche, ängstlich gespannte Gesichter. Als aber auch der letzte Glockenschlag verklungen war und sich nichts rührte, siegte die Lust über den Ernst in Sir Davenant, und er flüsterte seinem Nachbar zu:

Ich bin neugierig auf die Uniform der Mohren.

Ehe jedoch dieser antworten konnte, dröhnte ein heller starker Metallschlag herauf, daß die Fenster klirrten. Er wurde zum zweiten, drittenmale wiederholt – der Squire faltete die Hände und rief:

Er klopft!


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