Willibald Alexis
Walladmor
Willibald Alexis

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Siebentes Kapitel.

Über Meereswellen,
    Über Felsenklüfte,
Unter schäumenden Quellen,
    Durch Todtengrüfte,
Im Sturmesweh'n,
    Über schwindelndem Steg,
Auf Felsenhöh'n –
    Findet Liebe den Weg.

Lady Ginievra stand am Fenster ihres nach dem Meere gelegenen Zimmers. Der trübe Wintertag, kalt und stürmisch, trieb jedes Wesen in die warmen Gemächer zurück, und doch preßte sie ihre Stirn an die alterthümlich gerundeten Scheiben, als verlange Ihr Sinn hinaus in die Schrecken der Natur. Sie sah den in einen großen Mantel eingehüllten Gefangenen über den gefährlichen Pfad hinweg nach dem Thurme führen. Die Thüre rasselte wieder zu, die Riegel davor, und als die Gefangenwärter in das Schloß zurückgekehrt waren, und der Unglückliche in seiner Einsamkeit der Macht des Sturmes und der Kälte preisgegeben war, perlten helle Thränen aus ihren schönen Augen, welche sie indessen schnell wieder trocknen zu wollen schien, als sie im Innern der Burg Tritte eines gespornten Fußes näher kommen hörte. Die Gemächer eines großen Theiles dieses Schlosses waren aber so wenig symmetrisch als schön gebaut, sondern nach Bequemlichkeit an einander geflickt, daß auch die Communicationsgänge sich krumm und schief, stufenauf, stufenab, bald mit hochgewölbter Decke, halb unter niedrig mit Balken und Brettern verschlagenem Gesims, einherschlängelten. Ginievra konnte daher ihre ganze Fassung wieder gewinnen, als sie dem erst nach einer Weile die Thüre öffnenden Sir Davenant entgegen trat, und ihn hastig anredete:

Sir Davenant! – Hoffnung?

Keine, Mylady! – sagte er, die Achseln zuckend. – Es stehn zu viel Zeugen gegen ihn, selbst Ihr Oheim erinnert sich dunkel seiner Züge aus einem frühern Zusammentreffen. Ueberdies hat er im Verhöre sich mehr als einmal gefangen; kurz, die Untersuchung ist so vollständig, daß Sie von den Geschwornen keinen andern Ausspruch, als: »Schuldig!« erwarten können.

Wie benahm er sich?

Männlich fest. Ich hatte von dem tollkühnen Manne einen keckern Auftritt vermuthet; er hielt sich indessen in allen Grenzen des Anstandes, so daß der milde Einfluß einer zartern Verbindung nicht zu verkennen war.

Ginievra konnte sich der Thränen nicht erwehren, sie setzte sich auf ein Ruhebett und bedeckte die Augen mit ihrem Tuche. Der Officier blieb ehrerbietig vor ihr stehen, und fragte endlich mit gedämpfter Stimme:

Mylady! Ich glaubte Sie nicht zu beleidigen.

Beleidigen? – rief sie aus, und reichte ihm die Hand. – Edler Mann, können Sie mich, Ihre größte Schuldnerin, beleidigen? Sie sind ein kalter, verständiger Mann, Sir Davenant, eine Schwärmerin ist Ihnen nur eine Thörin; und doch haben Sie sich überwunden, als ich Sie zum Vertrauten einer Leidenschaft machte, die nach allen Gesetzen der Klugheit und Sitte thörig ist, – meiner nicht zu spotten, sondern ritterlich mir zu helfen. Diese Enthaltsamkeit, Sir Davenant, steht bei weitem höher als der Edelmuth, mit welchem Sie nicht weiter in mich drangen, als ich Ihre Liebe nicht erwiedern konnte.

Wenn mir auch das Gebot der Schönheit heilig ist, so bin ich doch bei meinem kalten Verstande nicht fähig, die kühnen Entschlüsse einer schönen Schwärmerin zu errathen; und bitte daher, Mylady, Ihrem Ritter Ihren Willen wenigstens ahnen zu lassen.

Ginievra lehnte sich nachdenkend einen Augenblick an ihr Sophakissen. Der Officier unterbrach sie:

Darf ich durch Fragen Ihren Willen entlocken?

Die Lady winkte ihm stumm eine bejahende Antwort zu. Er fuhr fort:

Ginievra! War es die Aufwallung Ihres edlen Unmuthes, oder war es Ihr ernstgefaßter Entschluß, den glücklichen Verbrecher auf immer aus Ihrem Herzen zu verbannen?

Sir Davenant! sprach sie mit gebietender Stimme, indem sie sich gerade aufrichtete – Und wenn James Nichols mit seiner blutigen Hand das entsetzliche Verbrechen vollendet, wenn er gekrönt an der Spitze seiner Rotte auf Englands altem Throne gesessen, und die Schlösser der Edlen umher geraucht hätten, wenn ich selbst barfuß mit dem beraubten Oheim bettelnd durch das Land gezogen wäre, und James hätte mir Herz und Hand geboten, meine Hand würde ich eher in die schmutzige eines Tagelöhner, als in seine von Blut rauchende, gelegt haben.

Sie geben ihn für immer auf?

Ich will ihn nie wiedersehen, nie von ihm hören.

Dann bleibt nur die Aufgabe, ihn aus dieser Haft zu befreien?

Ginievra sprang auf, und wollte dem Officier zu Füßen fallen; erschrocken hielt er sie noch zeitig auf, ihre Worte waren aber im Tone einer Fußfälligen gesprochen:

Mensch! retten Sie ihn, sprengen Sie den Thurm. Nehmen Sie mein Alles. – Wenn der, den ich liebte, auf dem Schaffotte vor meinen Augen hingewürgt würde, glauben Sie nicht, daß ich selbst zehnfach den gräßlichen Tod erlitte?

Mylady! Ich hätte mehr zu sprengen als den Thurm – meine Pflicht als Diener des Königs, des Landes! Und doch wollte ich sie zerreißen, schenkten Sie mir nur einen Theil von dem, was Sie Ihr Eigenthum nennen. – Doch ein Schandbube, wer hier Bedingungen setzte. – Wie aber? – Sie wissen, daß das wahnsinnige Weib, die alte Gillie, ihn selbst verrathen hat. Wer schützt ihn, wenn er auf freien Füßen ist, daß die Frau, welche ungestraft Verbrechen begehen kann, und vom albernen Pöbel wie eine Zauberin gefürchtet wird, ihn nicht von neuem dem Gefängniß überliefert?

Er liebt mich, er hört auf meine Worte; ich will zum letztenmal den Verbrecher sehen, um auf meinen Knien ihn zu bitten, Europa zu verlassen.

Er liebt Sie, Mylady. – Wie, wenn seine Leidenschaft so furchtbar wäre, daß er nicht fliehen wollte?

Dann – Sir Davenant, – was quälen Sie mich? Dann fliehe ich. – Aber Mann, Sie kalter, kalter Ritter, überlegen Sie alle möglichen Fälle, ehe Sie handeln?

Sir Davenant erröthete, Ginievra trat ans Fenster. Er folgte ihr.

Sehn Sie, Sir Davenant, den Raben, der auf dem Dache des einsamen Meeresthurmes sein Nest seit Jahrhunderten erbaut hat? – Er steigt auf und fliegt weit über das weite aufgeregte Meer. Ich habe ein altes Dänisches Lied gelesen, wo die Prinzessin in Engelland im Thurme sitzt, und hinaussieht über das weite Meer nach Dänemark, wo ihr Geliebter, ein Königssohn, in einer Burg gefangen sitzt. Da fliegt ein Rabe über das Meer zu ihr in den Thurm, und verwandelt sich in den Königssohn. Er umschließt die Prinzessin, und Beide fliegen, weit über das Meer, nach Dänemark. So wünschte ich, wäre der Rabe der Gefangene, und flöge fort, um nie wieder zu kehren.

Der Officier verzog etwas den Mund. Ginievra mußte es bemerken, sie schauderte, wie schwachnervige Personen auch bei geringem Anstoß zu thun pflegen, zusammen, und sagte mit halb lächelndem, halb wehmüthigem Tone:

Sie fühlen, glauben, sehen nichts – was uns aus dieser Welt in eine geistigere hinausführt.

Ich sehe nur, Mylady, daß wir für's erste aus diesem irdischen Schlosse den Gefangenen hinaus zu bringen wenig Hoffnung haben. Die Burg ist, gleich einer belagerten Festung, überall mit Wachen besetzt, und selbst auf jenen Felsvorbug, auf dem kein Thurm steht, hat der Squire einen Posten gestellt, so daß es den Freunden des Gefangenen unmöglich wird, unbemerkt unten am Felsen zu landen.

Ginievra blickte hinaus, und sah wirklich auf der Felsenspitze, welche parallel mit der, auf welcher der Kerkerthurm stand, ins Meer hinausgeht, jedoch höher und in geräumigem Umfange endet, eine in ihren Mantel verhüllte Wache auf und abgehn. Sir Davenant fuhr fort:

Allein von diesem Punkte aus kann man bemerken, wenn ein Nachen unter dem Felsen des Thurmes anlandet Theil I Seite 82 .

Hat man schon Versuche bemerkt? fragte hastig Ginievra.

In der vorigen Nacht hat sich, trotz der Brandung, ein Kahn mit bewaffneten Leuten bis in das Loch gewagt, welches das Wasser durch die Felsenspitze gespült hat.

Sind sie hinaufgeklettert – was beabsichtigten sie?

Mylady, ich bin nicht der Vertraute jener Bande. Aber so viel ist gewiß, daß jener Versuch den Squire zu der neuen Vorsicht bewogen hat, welche um so nöthiger wird, als das Schleichhändlerschiff noch immer in der Nähe des Schlosses kreuzt, und in der Nacht bis auf Büchsenschußweite sich heranwagt.

Sind die Schleichhändler so stark, daß sie das Schloß einnehmen können?

Wünscht Mylady vielleicht einen Sturm, Flammen, und was dahin gehört und in alten Geschichten zu finden ist? – Ich glaube nicht, daß die Schufte so treue Spießgesellen sind, um des einen Mannes wegen die größte Thorheit zu begehen. Ueberdies wird in einigen Tagen ein Detachement Infanterie die Besatzung des Schlosses verstärken.

Davenant, schaffen Sie die Schildwache von der Todesspitze fort.

Es ist kein Dragoner, welcher meinen Befehlen unterworfen wäre; doch will ich, was ich vermag, dazu thun, daß nur einfältige Leute hingestellt werden. Ginievra, ich will die Augen zudrücken, sobald Freunde des Verbrechers auftreten. Sie werden gewiß – vielleicht mehr als wir wünschen, thätig sein; nur, bitte ich Sie, Mylady, wagen Sie selbst nicht zu viel. Bedenken Sie die grauen Haare, das Unglück Ihres Oheims, wenn er auch nur eine Ahnung Ihrer – Neigung zum Verbrecher erhielte. – Sie sind eine Heldin, aber etwas darf auch eine Heldin nicht wagen – ihren Ruf –

Sir Davenant, was ich hingeben kann, weiß allein mein Gefühl –

Ginievra, und wenn der, dessen Angedenken Sie verbannt haben, auch kein Gegenstand Ihres Mitleids mehr ist, darf dann der Fremde wieder hervortreten und fragen, ob er hoffen kann?

Sir Davenant, Sie sind ein Vertheidiger der streng aristokratischen Grundsätze, und dulden auch nicht die Liebesbande, welche über die Mauern, welche die Stände scheiden, hinüber verbinden wollen. Sie sind ein äußerst kluger, verständiger Ritter, ich bin eine thörige Schwärmerin, die selbst, nachdem sie den Verbrecher aus ihrem Herzen auf ewig gerissen, doch sein Bild noch in sich trägt. Sir Davenants Verbindung mit einer solchen Thörin wäre mindestens eine Mißheirath – Leben Sie wohl.

Sie reichte ihm ihre Hand, er drückte sie feierlich an seine Lippen, und beurlaubte sich mit ritterlichem Anstande.

Ginievra schellte an einer Schnur, und bald darauf trat ihre Zofe ein. Sie nahm das freundliche, von ihr selbst auferzogene – einige Leute behaupteten sogar verzogene, – Mädchen vor sich auf einen höheren Fußschemmel, überhäufte es mit Schmeichelworten und schloß damit, daß sie doch endlich einsähe, Toms sei eine treue Seele, die Liebe zwischen ihm und ihr treu und gut, und sie gäbe, was sie betreffe, ihre Einwilligung. Das Mädchen wurde so gerührt von dieser plötzlichen Herablassung ihrer Gebieterin, daß sie ihr die Hände mit Thränen küßte, tausend Versicherungen von Toms Rechtschaffenheit, inniger Liebe und Anhänglichkeit für den alten Squire, und die Lady, und alles, was das Haus anginge, ausstieß, und endlich im Uebermaß ihrer Freude, als Ginievra, um sie ganz traulich zu machen, sich zu ihr herabneigte, dieser um den Hals fiel. Ginievra küßte sie herzlich und stand dann schnell mit den Worten auf:

Wenn Toms es doch so treu mit allem, was uns angeht, meint, will ich ihn auf die Probe stellen.

O thut das, gnädiges Fräulein, gleich, gleich! rief Almy entzückt aus, und vermuthete in ihrer unschuldigen Seele nicht, daß Ginievra die plötzliche Abneigung gegen ihre Liebe zum plumpen Toms aus selbstsüchtigen Absichten verloren habe, und es in diesem Augenblicke ihr eigener Wunsch sei, die Probe mit Toms anzustellen.

Gieb mir Shawl und warmen Mantel, Mädchen, wir wollen ihn aufsuchen.

Gnädiges Fräulein, aufsuchen? rief Almy Verwundert aus. – Ich rufe den Toms, er soll herkommen.

Nicht doch. Das würde Aufsehen erregen. Ich will Dir, liebe Almy, zeigen, daß ich Dich ganz liebe, drum komm. Wir thun, als gingen wir auf den Mauern spazieren, und sprechen ihn dann gelegentlich. Du weißt doch, wo er ist?

Ueberwältigt von so viel Güte, fiel Almy ihrer Gebieterin zu Füßen, und stammelte ihren Dank; dann raffte sie sich auf, half Ginievra sich winterlich einhüllen, und versicherte, ihren Toms überall finden zu können.

Als indessen beide aus dem Seitengebäude hinaustraten und über den Hof nach dem entfernteren winklichen Flügel des Schlosses, wo Almy ihren Geliebten vermuthete, gehn wollten, wurden sie durch einen Auftritt eigener Art, der aber in der stillen Burg noch seltsamer erschien, aufgehalten, und traten eilig hinter den Pfeiler eines Altans zurück, von wo aus sie zwar dem Schauspiele zusehen konnten, aber selbst nicht in Gefahr geriethen, gesehen zu werden.

Von der Meeresseite des Schlosses, und zwar von dem Punkte, wo die unbedeutende Felsspitze ins Meer ausläuft, her, stürzte ein ältlicher Mann im höchsten Aerger auf den Hof. Sein grauer Ueberrock war aufgeknöpft, den Hut schien er im Laufe verloren zu haben. In der Mitte des Hofes hielt er plötzlich inne und schrie:

Nein! ich will es mir nicht verbieten lassen!

Er machte Miene mit allen Gebärden des höchsten Aergers zurück zu rennen, stemmte den linken Arm in die Seite, ballte die rechte Faust und schritt nun mit feuerrothem Gesichte, und ungeheuren Schritten, indem er dabei mit seinen Hacken das Pflaster zertreten zu wollen schien, nach der Pforte, durch welche er eben auf der Hofscene erschienen war, zurück. Kaum hatte er aber den aus dem Hofe Versammelten den Rücken gewiesen, als die Schildwacht draußen ihm laut und vernehmlich entgegen schrie:

Kommst Du rauf, so schieß ich Dich nieder.

Was? niederschießen? – Mord! Hülfe! Diebe! Ich stürme doch, Du Hallunke, und krümmst Du mir ein Haar, so renne ich Dich, wie ein toller Ochse über und über, und werfe Dich ins Meer.

Statt aber zu stürmen, trat er sogar seitwärts aus der Schußweite. Es sammelten sich alle mögliche Einwohner des Schlosses, Knechte, Bediente, Constabler und Dragoner um den aufgebrachten Mann, und fingen, anstatt ihm beizustehn, auf alle Weise an, ihn zu verlachen. Er wurde hierdurch natürlich nur aufgebrachter und stieß Schmähworte aus:

Ist das Gerechtigkeit? – Ist das Englische Sitte? – Meinen Hut hat er mir heruntergeworfen ins Wasser. – Das ist ein Mordversuch der zweiten Klasse, weil's mit dem Kopfe zusammenhängt.

Alle lachten. Er fuhr fort:

Das ist eine Mördergrube, eine Räuberhöle hier, ein altes Nest, worin der Despotismus herrscht, und der Feudalismus und Verließe und allerlei Schändlichkeiten, wo freie Engländer gefangen gehalten werden, wo ein Friedensrichter sich verkriecht –

Ehe der Declamator es sich versah, erhielt er von einem der hinter ihm stehenden einen Stoß, welcher ihn mit seiner Wuth zugleich auf einen vor ihm stehenden Dragoner unsanft hinführte. Dieser, unwillig über seine Last, schleuderte ihn einem zweiten zu; der zweite stieß ihn auf den dritten, der dritte auf den vierten, fünften, bis allmälig Alle, welche bisher als ruhige Zuschauer gestanden, in Activität geriethen, und der unglückliche Mann allein in beständiger Passivität blieb. Das Spiel nahm jedoch bald eine regelmäßigere Form an, indem die Stoßenden sich in einen Kreis auf dem ganzen kleinen Hofe vertheilten, und den grauen Mann wie einen Fangeball einander zuwarfen. Ohne einen Augenblick in Ruhe zu kommen, und doch ohne auf die Erde zu fallen, – denn geschickt fing ihn der zunächst stehende mit einem neuen Stoße auf, wenn er von der Kraft des frühern im Begriffe niederzusinken war, machte er keine andere Bewegung zur Verteidigung, als daß er schrie:

Ich protestire, ich protestire.

Man hörte dies aber nicht, da das spottende Gelächter der Menge zu groß war. Als diese Lustbarkeit einige Minuten fortgedauert hatte, erweckte das Geräusch auch die andern Bewohner der Burg, und der Squire öffnete das Saalfenster und gebot von oben herab Ruhe. Wie das Meer nach einem Sturme noch lange Zeit braust, ehe es zur Ruhe kommt, ließ auch nicht mit einem Male das Gelächter ab. Während es schwächer und schwächer im Kreise wurde, taumelte der erhitzte graue Mann, gleich als empfände er noch immer die Stöße, noch geraume Zeit von einer Seite auf die andere, ehe er einen festen Standpunkt gewann. Wer erst in diesem Augenblicke herzugetreten wäre, hätte den Mann für wahnsinnig, oder mindestens betrunken gehalten; und selbst die wohlunterrichteten und ernsten Zuschauer konnten sich des Lachens über das komische Schauspiel nicht enthalten. Auch Sir Davenant, welcher in den Kreis getreten war, lächelte, und der Squire mußte sich sammeln, ehe er zum Reformer – denn kein anderer als dieser war der Ehrenmann – reden konnte:

Master Dulberry, was wollt Ihr in Walladmor-Castle?

Morgan Walladmor, Friedensrichter hiesiger Grafschaft! – schrie der Reformer, indem er in die Höhe blickte – Recht, Gerechtigkeit, Englische Freiheit! Bei der nächsten Viertel-Session erhebe ich Klage gegen Dich wegen Mordanfalls zweiter Klasse, und Haltung und Beköstigung diebischen und räuberischen Anhangs, so einem friedlichen Bürger, der in friedlicher Absicht gekommen, den Hut, als Repräsentanten des Menschen, in den Abgrund gestoßen, ihn selbst aber hat zerquetschen wollen.

Das wird sich abmachen lassen durch doppelten Ersatz des weißen Hutes, Master Dulberry, und Ehrenerklärung.

Aber wie mit dem Zerquetschen, Morgan Walladmor, Friedensrichter hiesiger Grafschaft?

Werde ich Caution von funfzig Pfund, wenn es verlangt wird, für meine Leute stellen, »daß sie den Samuel Dulberry, wo sie ihn treffen, auf Stegen und Wegen, sitzend oder liegend, oder stehend, nicht zerquetschen wollen.«

Morgan Walladmor, das hilft Dir alles nichts, wenn auch die Kronjuristen das Recht verdrehen; denn ich will mein Recht hier haben, und meine Brittische Freiheit. Ich verlange, daß Du die Schildwacht dort von der Felsenspitze fortziehst, die in die Englische Freiheit eingreift.

Weshalb?

Ich will mich ersäufen. Gentlemen! ich wollte mich ersäufen, – von der Spitze herunterstürzen, weil ich es nicht länger mehr aushalten kann vor dem Ruin des Landes, der Armentaxe, dem großen Landheere, dem Manchesterschen Blutbade, – Gentlemen! und die Schildwache stieß mich zurück. Ist das Brittische Freiheit, frage ich? – Soll ein armer ruinirter Mann sich nicht mehr ersäufen dürfen? Gott vor – es ist arg mit uns gekommen.

Samuel Dulberry, sagte der Squire ruhig zu ihm herab, ich hindere keinen Narren am Ersäufen. Aber von der Todesspitze, wo meine Ahnen hochgeborne Sächsische Fürsten und Normannische Edle herabstießen, und wo Radwald von Wessex einen Schwindel bekam und herunterfiel, da soll kein lumpiger Reformer den Fleck besudeln.

Lumpig wäre eine prächtige Injurie, aber wir sind über die Injurien hinaus, da Du, Morgan Walladmor, eine Todsünde begangen hast, denn es heißt im Statute »über die Glaubensfreiheit« vom zweiten Parlamente der Königin Elisabeth:

»Und so Jemand vom sogenannten alten Glauben einen Reformisten verhindert im freien Denken und Handeln in seinem Hause, so begeht er eine Todsünde, und soll gerichtet werden wie ein Hochverräther.«

Morgan Walladmor! Du bist vom alten Glauben, und hast mich, einen Reformirten oder Reformer, verhindert am freien Denken und Handeln in Deinem Hause; daher hast Du eine Todsünde begangen und bist ein Hochverräther, und ich will Dich noch am Galgen sehn, wenn Gerechtigkeit in England ist.

Dieser Ausfall auf ihren geliebten Herrn empörte die Menge auf das äußerste. Mochte nun der Squire ihm großmüthig beistehen wollen oder nicht, man würde in der gerechten Wuth nicht auf ihn geachtet haben. Dulberry hatte sich aber auf einen sichern Helfer bedacht. Vorsichtig, und eingedenk der Dinge, die da kommen würden, hatte er sich in die Nähe des offenen Thores gestellt. Kaum war das letzte Wort ausgesprochen, als er die Rockschöße zusammen nahm, Kehrt machte, und in einer schnellen Biegung um einige Leute rannte, über die niedergelassene Zugbrücke in das Außenwerk sprang, und in wenigen Momenten auch durch das offene Pförtchen des äußern Thores hinausgesetzt war. Die Menge rannte ihm zwar nach, konnte ihn aber nicht mehr ergreifen. Dagegen eilte Jeder, wer Hände und Füße hatte, auf die hohen Mauern des Schlosses. Hier wurde der Schnee zu Kugeln geknetet, und während der Reformer auf dem sich mannigfach schlängelnden Wege nur sehr langsam vom Schlosse sich entfernen konnte, erhielt er auf Kopf, Rücken und Beine noch eine beträchtliche Ladung Schneebälle. Der Anblick, wenn Dulberry, einen Schneeball vermuthend, sich niederduckte, die Arme über dem Kopfe zusammenhielt, und dann hinauf schrie: »Ich protestire,« war allzu komisch, als daß selbst der ernste Sir Davenant in den Chor der Lacher nicht hätte mit einstimmen sollen. Noch fern hinunter versuchten geübte Schleuderer ihr Glück, und der unglückliche Dulberry wurde erst frei, als er aus den Augen der ganzen Schloßbesatzung verschwunden war.

Ginievra eilte jetzt mit ihrer Vertrauten über den leeren Hof, und dem Theile des Gebäudes zu, welcher dem Außenwerke, wohin die Einwohner sich gezogen, ganz entgegengesetzt lag. Beide durchschritten die tiefen Gänge an den Mauern und die untern Säle, welche als Durchgänge mit offenen Thüren dastanden, ohne auch nur ein einziges lebendes Wesen zu treffen. Endlich rief das Kammermädchen aus:

Da steht er! – und Ginievra sah wirklich am äußersten Vorsprunge der Mauer, bei einem kleinen, sonst gewöhnlich verschlossenen, Hinterpförtchen einen Menschen, welcher Toms ähnlich schien. Da er indessen, sobald er die Kommenden erblickte, wie erschrocken sich umdrehte und die Thüre, welche, wie Ginievra jetzt bemerkte, offen stand, zudrückte, war sie ihrer Sache nicht gewiß. Ihr Kammermädchen aber sprang dreist auf den Burschen los und schrie ihn an.

Toms, Toms! Was machst Du da? Kennst Du uns nicht mehr? Kennst Du nicht mehr das gnädige Fräulein? Ich glaube wahrhaftig, der Mensch kennt mich selbst nicht mehr. Toms, Toms, Du erschrockener Hasenfuß, er steht da wie eine Steinpuppe mit offenem Maule, und ist verlegen, wie ich ihn nie gesehn. Toms, Toms, was ist Dir?

Schrei doch nicht so laut, Almy! war alles, was er antwortete.

Ich glaube Toms ist aus seiner eigenen Haut gefahren, gnädiges Fräulein. Warum stehst Du hier und bist nicht mit hingelaufen, um Schneebälle zu werfen, und den Narren zu sehn?

I man trifft überall auf Narren.

Er will witzig sein, Mylady! O kommen Sie doch und sehn ihn an, ob er denn wirklich werth ist, daß ich's ihm sage, wie Sie ihn glücklich machen wollen?

Ginievra trat näher und suchte die innere Bewegung zu verbergen.

Toms, Du bist ein sehr treuer Mensch, und das habe ich immer an Dir geschätzt, wenn ich auch mit Recht viel gegen Dich einzuwenden hatte.

Toms sah die Lady groß an, und antwortete keine Sylbe. Sie mußte fortfahren:

Toms, ich weiß, Du würdest für meinen Oheim Blut und Leben opfern; aber ich weiß auch, daß Du oft gegen seine Verbote handelst, Nachts aus dem Schlosse herausschleichst und unten in den Fischerhütten Dich sehen lässest, wo gefährliche Leute zusammenkommen. Du wirst roth – ich weiß alles – aber Du kannst auch auf meine Verschwiegenheit rechnen, wenn Du in Deiner Treue fortfährst.

Toms suchte ein Schlüsselbund zu verbergen, und sah wo möglich noch dümmer als vorher seine Herrin an.

Du dienst noch einem Herrn – fuhr Ginievra fort – einem gefährlichen Manne, und dienst ihm so treu, wie meinem Oheim. Du wirst auch für ihn Gut und Blut opfern? –

Ach Gott ja, Mylady! Der Mensch kommt gar zu sehr ins Gedränge, wenn er zweien Herren dient, und doch nur ein Mensch ist.

Nun, lieber Toms, hier hast Du Geld, thue Du alles was Du kannst, um ihn ungehindert aus dem Schlosse zu schaffen.

Ja das will ich ja eben, – fuhr er, zum erstenmale lebhafter erregt, auf, – darum stehe ich ja hier. Ich wußte nur nicht, daß die Lady es auch wußte.

Guter Toms – aber so schnell Du kannst, diene Deinem zweiten Herrn – bei Deinem ersten will ich, wenn Gefahr droht, es schon verantworten. – Sind die Wachten am Seethurm und auf der Todesspitze bestechlich?

Die? – I warum nicht – Jedermann nimmt Geld.

So bestich sie auf meine Rechnung, öffne den Thurm, – schaffe ihm fremde Kleidung, und bitte ihn in meinem Namen dringend, so dringend Du kannst, aus England mit dem ersten Schiffe zu fliehn.

Wen denn?

Den Gefangenen im Thurme.

Dem soll ich Kleider schaffen?

Dummer Toms – fiel Almy ein – Du sollst ihn befreien, befiehlt Dir die Lady, ihn befreien durch Geld oder Gewalt, oder List, und spornstreichs mit ihm davon laufen, daß Dich Niemand einholt, und Du kannst selbst mit ihm auf und davon gehn, weil an einem so ungeschickten Diener nicht viel zu verlieren ist.

Den also im Thurme will die Lady los haben? Warum denn den?

Unverschämter! fiel Almy ihm ins Wort. – Frägst Du noch einmal nach der Ursach, so läßt Dich die Lady selbst statt seiner einsperren, und deinetwegen werden sich gewisse Leute nicht viel Mühe geben, ob Du erfrierst, oder hängst.

Also den bloß? – Das ist was anders. – Es wird sich ja auch schon finden, und ich glaube, mein Herr denkt auch daran.

Mensch, was meinst Du damit? fragte Ginievra, indem sie, ihre scheinbare Ruhe verlassend, auf den trägen Antworter heftig zutrat. Statt aber ein Wort zu verlieren, sprang dieser plötzlich zurück, und riß die kleine Hinterpforte auf. Man hörte hastig Jemanden eine steinerne Nebentreppe herunterrennen, und nach wenigen Momenten sprang ein Mann, im Mantel gehüllt und mit einer Pelzmütze auf dem Kopfe, auf den kleinen vor dem Pförtchen belegenen Hofraum. Seine Mütze verbarg indessen nicht so weit sein Gesicht, daß Ginievra, als sie es erblickte, nicht laut hätte aufschreien und halb ohnmächtig an die Mauer zurück sinken können. Auch der Mann war betroffen, fiel aber nicht in Ohnmacht, sondern half dem Kammermädchen in ihrem Bemühen, Ginievra von der kalten Wand aufzurichten. Als sie, halb in Almys Armen ruhend, die Augen aufschlug und den Mann erblickte, schrie sie nochmals laut auf, und sagte, mit der Hand ihn abwehrend:

Fort, Unglücklicher, fort!

Zum Verständniß dieses Auftrittes müssen wir jedoch zu einem frühern zurückkehren, welchen wir, ordnungswidrig, erst im folgenden Kapitel aufgezeichnet finden.


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