Willibald Alexis
Walladmor
Willibald Alexis

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Neuntes Kapitel.

Puddington war mein lieber Freund,
      Er hatte grüne Haare,
Schau, wie oben die Sonne scheint
      Am blauen Himmel so klare.
Volkslied.

Wagen und Pferde eilten von jetzt an in eben dem Maße, als sie früher in langsamer Parade vorauffuhren. Demzufolge sahen sich auch die Fußgänger ihre Schritte zu vergrößern genöthigt. Daß bei einem solchen Schnellmarsche die Ordnung nicht gehörig aufrecht erhalten werden konnte, und keine geistlichen Lieder gesungen wurden, versteht sich wohl von selbst. In verdoppelten Gliedern, oder einzeln, stürmte die Menge der Fußgänger jetzt eine Höhe hinauf, von welcher man eine freie Aussicht auf die winterlichen Fluren weit umher hatte. Während die Vordersten im Zuge die Uebrigen zu sammeln bemüht waren, bemerkte man mit Erstaunen, daß alle Wagen bereits weit voraus sich dem Fuße eines kleinen Gebirgszuges, hinter dem ein höherer bedeutend hervorragte, genähert hatten. Obgleich es, aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich schien, auch im angestrengtesten Laufe die Wagen einzuholen, setzte sich doch alsbald der ganze Zug von neuem in Bewegung. Wer aber, ununterrichtet von dem Vorhergehenden, ihm begegnet wäre, würde jetzt nichts weniger als ein Leichengefolge in der Menge vermuthet haben: denn ohne Ordnung schritten aus, rennten und sprangen die Meisten von der Höhe herab, ja Einige übten sich gymnastisch, indem sie auf ihre Dornstöcke gestützt über Steine, Büsche, oder auf der ebenen Erde fortsprangen. Zwar hörte man einzelne Stimmen rufen:

Wir halten's nicht aus, die Brust springt!

nichts destoweniger wurde wie im Wettlaufe so lange gerennt, bis die abgehärtetste Natur selbst einige Secunden Ruhe zum Athemschöpfen verlangte. Selbst der starke Mann, welcher kürzlich erst bei dem langsam feierlichen Marsche vor Ermüdung ausgetreten war, schleppte sich keuchend mit, und scherzte, um die schmerzliche Anstrengung zu vergessen.

Frisch auf, meine Herren! – riefen mehrere Stimmen – nur noch bis hinter jenen Hügel, und wir geben dem Todten den Abschied – ihm ewige Ruhe, und uns zeitliche.

Ist denn ein anständiges Begräbniß bestellt – wie es in christlichen Ländern Sitte ist?

Ich zweifle, daß man bei der Quantität unserer Kehlen ihre Qualität wird bedacht haben.

Macht nichts aus, man hat auch noch einen Schilling, um Ale und Porter zu kaufen, wenn nur in der Gegend ein Wirthshaus ist; und dann der Spaß vorher blieb doch die Hauptsache.

Wenn's nur nachher auch Spaß bleibt, und nicht ein recht empfindlicher Ernst daraus wird.

Meint Ihr von wegen des Sprunges über die Barriere? Ich denke nicht.

Gar nichts meinen, aber die Rockschöße zusammenfassen und die Stiefeln geschmiert halten, das ist das Gerathenste, wenn man einen dummen oder lustigen Streich, – was ziemlich auf eins herauskommt, – einmal gemacht hat.

Da halten sie schon, wahrhaftig! Wir sind in der Arrieregarde geblieben.

Auf einem vom Wege abgelegenen, von ziemlich regelmäßigen Höhen, welche verfallenen Wällen nicht unähnlich sahen, umschlossenen Platze hatte sich ein Theil des Leichengefolges versammelt, dagegen war von dem Leichenwagen und den andern Kutschen auch keine einzige zu sehen. Viele Fußgänger hatten sich erschöpft, trotzend der Kälte des Bodens, niedergeworfen, Bertram aber, geübt in dieser Bewegung, konnte noch völlig frisch umhergehen und die verschiedenen Gruppen mit Muße betrachten. In einer Vertiefung stand ein kleines Faß, um welches mehrere der rohen Leidtragenden sich gelagert hatten, und beschäftigt waren, den Deckel einzuschlagen. Auch jetzt glich die Versammlung weniger einer Zusammenkunft von Anverwandten und Freunden, welche, zum letzten Male die irdische Hülle eines lieben Dahingeschiedenen betrachtend, ernsten Gedanken und lieben Erinnerungen sich hingeben, als der zusammengelaufener Abenteurer oder gar gefährlicher Wegelagerer. Durch den bedeutenden Marsch war die schwarze Kleidung der Meisten mit Staub bedeckt oder sonst in Unordnung gerathen, und die keulenartigen Knüttel trugen nicht wenig zur Verwilderung ihrer Erscheinung bei. Um das Bild eines Vagabundenlagers vollständig zu machen, schrie und tobte die rohere Menge, während die anscheinend Gebildetern sich hier und dort gruppirten. Der Handwerker, welcher vor Kurzem seine lebhafte Theilnahme an den Parlamentswahlen dargethan hatte, war durch Hülfe einer von Zeit zu Zeit unterweges gefüllten Brandtweinsflasche in einen solchen Zustand versetzt worden, daß er die allerschwierigste Wahl in diesem Augenblicke durchzusetzen gewagt hätte. Er tobte und schrie:

Wo ist der Leichenwagen? Wo sind die Kutschen? – Ich will die Aristokraten zwingen zu stehn. Stehn sollen sie, stehn wo das gemeine Volk steht, und bezahlen dafür, daß wir mitgegangen sind, und ganz still gewesen, und anständig. – Wo sind die Wagen?

Mehrere Gefährten suchten ihn zu beschwichtigen, indem sie ihm leise einige Worte in's Ohr sagten. Statt aber hierdurch besänftigt zu werden, tobte er immer lauter:

Schweigen will ich nicht – zum Schweigen miethet man nicht Leute in England. Zum Schreien, Schreien – und ich habe geschrieen und will schreien, und schweige nicht bis ich bezahlt bin, und beköstigt auf einen Tag, und betrunken, daß ich nicht mehr stehen kann –

Mehreren Anderen schien der Vortrag des nüchternen Redners einzuleuchten, und sie vereinigten ihre Stimme mit der seinigen:

Ja wir wollen bezahlt sein! bewirthet!

In wenigen Minuten war ein neuer Auflauf organisirt. Man stampfte mit Füßen und Stöcken auf den hartgefroren Fußboden und schrie:

Bezahlung! Punsch und Branntewein!

Einige Wohlgesinnte ließen sich zwar vernehmen mit der Vermahnung zum Anstande, sie wurden aber sogleich überschrieen mit Gründen, welche, da sie von fast allen Seiten geäußert wurden, auch Allen einzuleuchten schienen:

Anstand! Ja Anstand! Wir wollen alle Anstand, nur Anstand, aber Rum und Uskebaugh und Punschfässer gehören zum Anstand bei einer Leichenfeier wie sie sein muß. Umsonst haben wir uns nicht die Sohlen abgelaufen und die Kehlen trocken geschrieen, was von geistlichen Liedern weit eher geschieht, als von einem verständigen, herzstärkenden Zotenliede.

Wo sind die Gastgeber? rief man, und: Die Gastgeber! wiederholte sich der Ruf von allen Seiten. Einige bedächtigere Männer wollten warnend dazwischen treten, und behaupteten: Eine so offene Nachfrage und die darauf erfolgende Kundwerdung derselben könne noch immer in einer so kitzlichen Angelegenheit, wie dieses fremde Begräbniß, von Gefahr sein. Aber der Menge leuchteten diese Gründe nicht ein. Es hieß:

Jetzt sind wir durch und im Gesetz, und können dem Teufel ein Schnippchen schlagen! Wenn man nicht einmal nachher soll lustig sein, so mag ein Anderer sich anstrengen!

Unter wildem Geschrei lief man umher und rief nach den Gastgebern, nach den Anstiftern, nach denen, welche die Gesellschaft eingeladen haben? aber fand nirgends die verlangten Personen. Oft zwar ging man Einzelne unter den Versammelten, welche sich beim Zuge, als zu den Eingeweihten gehörig, betragen hatten, um weitere Auskunft an, erhielt aber immer die Antwort, daß sie so unwissend über Absicht und Mittel bei dem ganzen Feste wie irgend ein Anderer gewesen, sich nur aus allgemeinen Rücksichten angeschlossen, und bloß aus Vermuthungen gesprochen hätten. Kurz, es ergab sich, daß unter der großen Anzahl der Versammelten kein Verwandter, kein Freund des Gestorbenen, ja angeblich Niemand war, der auch nur mittelbar an der Einrichtung zur Leichenfeier Theil genommen hätte. Der Zufall und jenem Anschlage in M***schen Wirthshause ähnliche allgemeine Einladungen schienen die Menge allein herbeigeführt zu haben.

Diese war aber mit einem solchen Ausgange keineswegs zufrieden, sondern tobte, fluchte immer ärger, und drohte endlich dem Wagen nachzusetzen. Hiervon hielten sie die Besonnenern nur mit Mühe zurück, indem sie erklärten, ein solches Verfahren könne die übelsten Folgen für alle Sicherheit hervorbringen; es war aber noch sehr zweifelhaft, ob sie auf diesen Rath gehört hätten, wenn nicht plötzlich Jemand einen Zettel vorgefunden hätte, von welchem er mit vernehmlicher Stimme folgende Worte las:

An die sehr ehrenwerthe und gottesfürchtige Versammlung der Leidtragenden aus Huntingcroß!

Hört, hört! schrie man, das sind wir. Eine Affiche an uns:

Dieweil es unserm Heiland gefallen, die Seele unseres tugendhaften Vaters, Verwandten und Freundes, über alle Fährlichkeiten hinweg in ihre stille Ruhe und Freiheit, durch die anständige Vermittlung solcher ehrenwerthen und gottesfürchtigen Leidtragenden, welche Gott mehr fürchten als die leidigen menschlichen Einrichtungen, zu transportiren; als sind wir überzeugt, daß auch gedachte Seele unseres respectiven Vaters, Verwandten und Freundes in ihrer stillen Zurückgezogenheit mit besonderer Liebe und absonderlichem Dank vorerwähnter Dienste gedenken –

Daran ist uns wenig gelegen – unterbrach Einer den Vorleser – wenn uns nicht hier unten was aufgetischt wird. Der Vorleser fuhr fort.

Gewiß würde sie auch mit diesem Gedanken sich nicht begnügen, sondern alles Ernstes an eine kleine freundliche Leichenfeier denken; da aber bekanntermaßen in diesen schlechten Zeiten und bei der ungemeinen, das arme Volk drückenden Theurung, wie auch dem Druck barbarischer Gesetze, aller Handel stockt, und doch die reichen Brauer in London den Porter aufgeschlagen haben, so kann man auch bei patriotischen Gefühlen nicht immer patriotisch handeln, und bittet daher, bei dem Fäßchen Aquavit auf das Wohl des Hingeschiedenen zu trinken und von unsern reinen und einfachen Gefühlen überzeugt zu sein.

Der Teufel hole die einfachen Gefühle und Getränke! rief der vorige Schreier. Ein alter Wälscher, vermutlich ein Krämer, der bisher im Tumulte mit seiner langsamen Sprache in die Arrieregarde der Schreier gekommen war, meinte:

Mit so trocknen Kehlen sind noch keine Leichengäste, und so wohlfeil noch keine Leichenbitter davon gekommen seit König Arthurs Tode, wo's freilich noch wohlfeiler herging, weil es gar nichts gab, und der König gar nicht begraben wurde.

Hat man solche Knauserei gehört seit Altengland steht – sagte ein anderer – sind wir doch auf zweihundert Menschen, und ich glaube nicht ein Fingerhut kommt auf die Kehle. Wenn Lord Castlereagh das ganze Volk in die Spinnerei schickte, wie es heißt, daß ers will, ich glaube die Ration auf jeden wäre doch besser.

Still doch, es sind viele Gentlemen unter uns. Die haben's bloß aus purem Plaisir gethan. Sieh doch, wie sie sich schon jetzt zurückziehn und die Köpfe wie die Enten untertauchen, um nicht erkannt zu werden. Ehe die Theilung losgeht, sind die längst über alle Berge, und der ehrliche Mann kriegt doppelte Portionen.

Aber solche Knauser! sage ich doch und immer doch. Wer läuft denn ein andermal mit, wenn sie's wieder an die Ecken annageln!

Ja aber es ist doch für die Wohlfahrt des Landes, und was fürs öffentliche Wohl ist, sagte der rothnasige Redner neulich in Bristol, als ich Wein holte und mit dem Leiterwagen durchs Volk kutschirte und stille halten mußte, um ihn anzuhören, wie er von der Tonne auf dem Kellerhalse runter parlirte, daß man glaubte, er rede einen das Eingeweide zu nichte; und was fürs öffentliche Wohl ist, das ist fürs öffentliche Wohl.

Stille ihr Herren! – sagte der Vorleser – es kommt noch eine Nachschrift. Nachdem er Ruhe erlangt hatte, las er:

Was insonderheit die zehn Pfund betrifft, welche wir dem ehrenwerthen Vorsteher einer christlichen Theatergesellschaft für seine Bemühungen in voraus bezahlt haben, so zweifeln wir nicht, daß er, da das Costüm nicht versprochenermaßen ganz schwarz gewesen, etwas ins röthliche geschimmert hat, auch die von ihm mitgebrachten Leidträger nicht die versprochene Zahl erreicht haben, gedachte zehn Pfund zum allgemeinen Besten, und um der Seele des Verstorbenen willen zur Ergötzlichkeit der Gemüther verwenden werde.

Sobald der Leser das Wort zehn Pfund ausgesprochen, hatten alle Blicke sich erhoben; sobald des Theaterdirektors Erwähnung geschah, schweiften sie umher, und man konnte in jedem lesen, daß er die Frage ausspreche: Wo ist der Theaterdirektor? Bertrams Nebenmann, der bisher immer schweigend und einsilbig dagestanden hatte, sprang, nachdem der Leser geendet hatte, heftig auf, drückte den Hut auf dem Gesichte, so daß Bertram jetzt erst in ihm den Heldenschauspieler erkannte, ballte die Faust, und rief:

Hol der H– den Direktor! Was? Verkauft hat er uns? verhandelt freie Leute als Marionetten bei einem Puppenspiele? Wo ist der Direktor?

Zehn Stimmen schrien mit ihm, und Bertram erkannte in ihren Eigenthümern ihm wohlbekannte Schauspieler aus M***.

Wo ist der Direktor?

Etwas blässer als gewöhnlich trat der Vorsteher der Peter Lollyschen Gesellschaft in den Kreis, welcher sich um das kleine Fäßchen gebildet hatte, und schien die Menge anreden zu wollen. Es gab aber noch zwischen ihm und derselben ein Medium, die erbitterten Schauspieler. Von hier und dort schrie es:

Man hat uns betrogen, gemißbraucht.

Der Direktor wollte reden, blieb aber bei dem Worte: Meine Herren! stehen, und mußte erst die donnernde Strafrede des Heldenspielers aushören.

Direktor! In anderm Verhältnisse auf anderm Platze, ständen Sie mir anders Rede. Hier frage ich Sie, wer wir sind? Ob freie Künstler, die sich mit Ihnen frei zur freien Kunstausübung verbanden, oder Ihre Leibeigenen, die Sie verkaufen können? – War es, daß Sie mich verkauft hatten, an diesem Paradewagen zu ziehen, als Sie mir vorstellten: es gelte einen Scherz, und mir dafür eine Bowle Punsch für heut Abend versprachen, entlarvter Heuchler?

So wurden auch wir überredet! riefen mehrere Schauspieler.

Mäßigen Sie Ihre Ausdrücke, meine Herren!

Wir sind im Zustande der Natur, die kennt keine Gesetze.

In der That, meine Herren, betrachtete ich das Ganze als einen Scherz. Wie hätte ich auch nur daran denken können, Ihre schätzbaren Dienste etwa um ein Pfund zu erkaufen? Ich nahm die unbedeutende Summe lediglich als einen Beitrag für unsere Theaterkasse an, um manche vielleicht verwandte Requisite anzuschaffen, etwa mehr Traueranzüge zum Leichenzuge der Ophelia. Hätte ich wissen können, daß Sie mir dies verübeln würden –

Das mindeste, was Sie thun können, Direktor – fiel der Heldenspieler ein – ist, daß Sie getreu das für uns empfangene Geld mit uns theilen.

Das ist das wenigste – und versteht sich von selbst – schallte der Chor der Schauspieler wieder. Der Direktor räusperte sich, und stotterte:

Der Werth des Geldes ist gewiß das wenigste, was hier in Bracht kommt, und ich würde gern die Kleinigkeit ganz zurückgeben, wenn dies nicht wieder einen seltsamen Schein auf unsere Handlungsweise würfe, weshalb ich in der That auch jetzt auf Ihren Vorschlag einzugehen Bedenken trage.

Uns allen, – erwiederte der Chor, – liegt wenig an dem Werth des Geldes – aber das beste, und die einzige Ehrenrettung ist – Sie theilen es unter uns ganz genau.

Der gedrängte Direktor mußte, keinen Ausweg erblickend, sich dem Ansuchen stillschweigend unterwerfen, als von einer andern Seite ein neuer Angriff gegen die Sieger auf dem letzten Wahlplatze erfolgte. Der betrunkene Wahlherr tobte:

Was? – Die Gentlemens wollen sich bezahlen lassen, und die rechtlichen Leute sollen leer ausgehen! – Jungens, brave Leute, dulden wir das? –

Nein, nein! war die mehr hervorgebrüllte, als gesprochene Antwort.

Für Alle, für unser Aller Ergötzlichkeit hat der brave Leichenconducteur die Summe bestimmt. Keine Ausnahme, keine Privilegien, auf Heller und Pfennig getheilt.

Keine Privilegien! Auf Heller und Pfennig getheilt! – wiederholte eine wohlbekannt Stimme. –

Meine Herren, meine ehrlichen Leute – sagte leise und langsam der Direktor – wie gern würde ich die Summe theilen, ganz hergeben, wenn nicht besondere Rücksichten, meine ehrlichen Leute –

Wir sind keine ehrlichen Leute – als ob er selbst etwas apartes wäre!

Das Geld wollen wir haben! – tobte der rohere Theil. Die Schauspieler, aus denen meistens, wie es sich jetzt ergeben, der gebildetere Theil der Versammelten bestand, zogen sich dagegen zurück und näher aneinander. Der gemeinsame äußere Feind hatte die innern Spaltungen ausgeglichen, und der Heldenspieler trat nunmehr als Verfechter der Corporation auf.

Von dem Gelde geben wir nichts heraus, weil es für unsere Bemühung uns gegeben ist, und wir Künstler sind. Ihr habt zur Belohnung das Fäßchen Rum, wir sind für die Ehre mitgezogen und für die zehn Pfund als Honorar.

Wer sind Wir und Ihr? Als ob zwischen den Menschen ein Unterschied wäre! – sagte ein Mann von der Gegenpartei, der sich nicht als Dulberry verleugnen konnte. – Ich wenigstens kenne nur einen Unterschied, und der ist zwischen solchen Menschen, die immer die Wahrheit reden, und solchen, welche immer Unwahrheit reden und rechtliche Leute zu betrügen und ihnen das Geld aus der Tasche zu locken suchen: das sind die Ministerialredner und die schädlichen Komödianten.

Ich kenne noch einen andern Unterschied, – sagte ein stämmiger Kerl von derselben Partei, indem er dabei den rechten Aermel aufstreifte und den nervigen Arm mit der geballten Faust, wie zum Boxen bereit, ausstreckte – ich kenne noch einen andern Unterschied zwischen solchen Leuten, die losschlagen, und solchen, die Schläge kriegen.

Kein Aufruhr – sagte ein Anderer – alles gesetzlich! Kurz und gut, das Geld wird ehrlich getheilt zu Ale und Würsten, oder wir zeigen dem rothnäsigen 'Olealy dem Gränzinspektor an, wer mit im Zuge gewesen ist. Wer's anzeigt und arm ist, kommt immer gut weg, aber wer Geld hat und 'nen guten Namen, der hat was zu verlieren. –

Ja, wenn sie nicht rausgeben, zeigen wir an! schrie die Menge. Die Schauspieler stellten unter einander Berathung an, man bot die Hälfte des Geldes; die Tumultuanten aber wollten, als sie den Feind schon auf halber Flucht erblickten, ihren Sieg verfolgen und schrieen:

Das Ganze! Keine Theilung!

Als nichts half, zog endlich der Direktor seine Brieftasche heraus, zählte auf dem Hute zehn einzelne Pfundscheine ab, und übergab sie dem von den Gegnern erwählten Vertheiler, jedoch nicht ohne erst eine Protestation einzulegen:

Zwar nicht aus Furcht oder Besorgniß vor gerichtlicher Verfolgung, meine Herren, willigen wir in Ihr Begehren, aber um die Unannehmlichkeiten zu vermeiden und nicht vielleicht in eigener Sache als Richter aufzutreten genöthigt zu sein, – sollten wir etwa zu Geschwornen in dieser Angelegenheit erwählt werden.

Bertram hatte sich schon vor diesem Ausgange des Streites aus dem Gewühl zurückgezogen und die wallartige Erhöhung auf der einen Seite des Platzes bestiegen. Mit verschränkten Armen ging er jetzt um die ganze Umzäunung, welche allerdings, jemehr er sie betrachtete, einer sehr alten unförmlichen Verschanzung aus der Kindheit der Vertheidigungskunst oder gar aus der grauen Vorzeit ähnlich erschien. Doch fesselte auch jetzt noch seine Aufmerksamkeit mehr das bunte Treiben im innern Raume. Indem er die wunderbaren Gestalten, die rothen Gesichter der Mehrzahl, die Leidenschaften, welche sich auf fast allen Gesichtern spiegelten, mit den Augen verfolgte, konnte er sich nicht enthalten, folgende Betrachtungen anzustellen:

Ist es möglich, daß eine so friedliche Handlung, welche, da sie des Menschen Gedanken auf sein eigenes, endliches Schicksal führt, unsern ganzen Ernst erwecken, und die Gedanken vom Zeitlichen auf das Ewige abziehen sollte, in einen so rohen, erbärmlichen Streit um eine Kleinigkeit ausgeht! Ist es nicht erniedrigend, wenn man, zur Fröhnung einer äußern Sitte, so alle Sittlichkeit verhöhnt, und fremde Leute, ja sogar Schauspieler dingt, um für ein geliebtes Haupt zu trauern? Ein Glück, daß die Anverwandten des Gestorbenen nicht mehr dieser fürchterlichen Scene beigewohnt haben. Die griechischen Klageweiber waren noch immer eine bessere Einrichtung, da jedermann es voraus wußte, daß sie nur für Geld ihr Jammergeschrei erhoben, und kein verächtlicher Betrug, wie hier, mitunter lief! – Die Leidenschaftlichkeit beim Zanke hatte die Maske, mit welcher die meisten derer, welche mit der Leiche gezogen waren, sich bedeckt hatten, fallen lassen, und Bertram bemerkte von seinem erhöhten Standpunkte aus, – die Natur hatte ihm ein gutes Auge geschenkt, – immer mehr bekannte Gesichter unter den Versammelten; ja er entdeckte sogar das ganze Wirthshauspersonal aus M***, mit Ausnahme des Alderman Gravesand und einiger anderer obrigkeitlicher Personen. Freunde in der Wüste scheinen – wie wir schon oben bemerkten – doppelt so viel werth, als Freunde in der Heimath; dennoch fühlte sich Bertram diesmal nicht so zu ihnen hingezogen, wie es wohl anderwärts der Fall gewesen war. Die sonderbare Umgebung und ein peinliches Gefühl, dessen Grund er sich nicht klar zu machen wußte, hinderten ihn, wie sehr er auch sonst nach allem, was nur den Anstrich des Sonderbaren trug, Jagd machte, sich zu ihnen zu gesellen und um Auskunft über die mannigfachen Zweifel zu bitten. Er würde gewiß nicht länger gezögert, sondern den kürzesten Weg nach Hause eingeschlagen haben, wenn er nicht noch auf die Stimme Master Dulberry's, welche jetzt wie der Klang einer Silbertrompete unter dem Dudeln verschiedener Dudelsäcke und Brummeisen unter dem Gesumme und Gebrumme der Menge hervortönte, hätte hören wollen.

Freunde! schrie der Reformer – ich habe es genau berechnet. Es kommt auf den Mann elf drei und sechzigstel Maas Rum, an barem Gelde aber erhält er dreizehn und neun drei und vierzigstel Pence. Wer ein alt Englisch Herz hat, kann damit schon zufrieden sein. Ordnung und Gerechtigkeit und Gleichheit. Wozu haben wir unsere Dornstöcke? die Gefahr ist vorüber, laßt sie uns zusammen werfen, einen Scheiterhaufen errichten und darauf die Decemberkälte und die böse Laune verbrennen, und dann ein Alt-Englisch Lied anstimmen!

Man ging den Vorschlag jauchzend ein. Die Dornstöcke bildeten einen ziemlich hohen Haufen, aus welchem bald die Flammen emporschlugen. Der Wind trieb diese und den qualmenden Rauch nach der Gegend hin, wo Bertram stand, und nöthigte ihn sich seitwärts zu wenden. Plötzlich stand ein Knabe vor ihm und drückte ihm einen Zettel in die Hand. Er fragte:

Von wem?

Steht drinnen! war die Antwort. Die Aufschrift war schlecht geschrieben, das Siegel zusammengeklebtes Wachs, und als er den Zettel eröffnete, stießen ihm hier auch orthographische Fehler sogleich zu Gesicht, doch verrieth der Stil einen im Sprechen nicht ungebildeten Mann. Der Inhalt lautete:

Wollt Ihr erfahren, junger Freund, weshalb Ihr nach Wales gekommen seid, so springt stehenden Fußes – laßt aber das andere Gesindel nichts davon merken – über Pumfries nach den Ruinen von Griffith ap Gauvon. Euer Freund und Führer wartet. Ihr mögt ihm und er wird Euch nützlich sein; auch können alte Schulden bezahlt werden.

Erstaunt rief Bertram aus: Ich soll erfahren, weshalb ich nach Wales gekommen bin? – Hier ist eine Verwechselung oder Betrug! – Doch wenn ich es recht überlege, bin ich ja, um dergleichen zu suchen, nach Wales gekommen! Es kommt mir entgegen. Wohlan! Muth! ich habe nichts zu verlieren und will hingehn.

Er sah sich nach dem Billetträger um, dieser aber war verschwunden. Ohne sich lang zu bedenken, da ein weiteres Aufsuchen fruchtlos, ein Anfragen nicht räthlich gewesen wäre, schlug er den rechts um die Berge nach Pumfries sich schlängelnden Weg ein, und während er auf dem hartgefrornen Boden rüstig zuschritt, hörte er noch lange hinter sich den Gesang der lustigen Leichenbrüder am Feuer:

Josua war ein gewaltiger Held,
Aber noch größer war Gilderay;
Josua brachte die Sonne zu stehn,
Gilderay konnte bei Nachtzeit sehn. u. s. w.

 

Ende des ersten Theiles.


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