Willibald Alexis
Walladmor
Willibald Alexis

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Zweites Kapitel.

Nicht blöde, junger Herr, drückt auf die Klinke.
Es sind nur Junggesellen, die Ihr seht,
Bewehrte Raufer, für ein Spottgeld schlagen
Sie sich für Euch; heut erst das zehnte Faß
Das sie zerschlugen, wen'ge seht Ihr wanken.
Dort tugendsame Jungfern, die in schlechte
Gesellschaft nie den keuschen Fußtritt setzten:
Kurz, alles Tugend, geht man auf den Grund.
Altes Schauspiel.

Je näher beide Wanderer dem Gebirge kamen, um so dunkler wurde der Weg von dem Schatten desselben. Indessen bemerkte Bertram, daß er sich keinem bessern Führer hätte anvertrauen können: denn ungeachtet ihres Wahnsinnes, und obgleich sie nichts weniger als auf den Weg zu achten, sondern mit tiefern Gedanken beschäftigt schien, führte sie ihn durch das weite und zum Theil sehr tiefe Moor, ohne daß er auch nur einzig Mal mit dem Fuße untergesunken wäre. An eine freundliche Unterhaltung, welche bei nächtlichen Wanderungen allen Standesunterschied ausgleicht, und dem verspäteten Wanderer oft sehr angenehm kommt – wenn auch sein Führer der roheste Sackträger wäre – war indessen hier nicht zu denken. Die Alte sprang zuweilen, wie ein Läufer in alter Zeit mag gesprungen sein, und schlich dann auf Momente, grade wie der Sturm der Phantasie und der Gedanken sie mehr oder minder stark bewegen mochte. Mitunter sang sie auch ein Liedchen, meist aber in der unverständlichen Sprache, welche Bertrams Neugier einst erregt hatte, und die keine andere als die Wälische sein konnte.

Das Moor war längst überschritten, als ihr Weg hügelauf, hügelab, ein Zeichen des Gebirgsanfanges, ging. Als die Höhen immer bedeutender wurden, ward auch der Weg beschwerlicher, und führte oft längs kleinen Gebirgsbächen, die durch harte Felsen eine Bahn sich gebrochen hatten, oft in denselben fort. Wenn auch laublos, so verbarg doch das dichte Strauchwerk selbst den letzten Tagesschimmer; und Bertram glaubte mehr als einmal seine Führerin, welche sich ganz und gar nicht um ihn bekümmerte, ja vergessen zu haben schien, daß er ihr folge, und mit ihr zugleich den Weg verloren zu haben. Indessen gewannen sie bald, nach einigem anstrengenden Steigen, eine höhere Gebirgsfläche; Bertram bemerkte aber zu seinem Schrecken, daß auch hier die Dunkelheit schon weit vorgeschritten sei, und es ihm – ohne die zufällig aufgefundene Wahnsinnige – würde unmöglich gewesen sein, nach dem Orte seiner Bestimmung zu gelangen. Zwar glaubte er in weiter Entfernung zwischen einer Spalte im Rücken des Gebirgszuges eine hohe einzelne Warte zu bemerken; wer hätte ihm aber in dieser Einsamkeit Auskunft gegeben, ob dies das zerstörte Kloster, oder irgend eine andere Ruine sei; und in einem solchen Gebirge in der Nacht sich zurecht zu finden, gehört, geneigter Leser, wenn Du nicht selbst Aehnliches erfahren hast, zu den unmöglichen Dingen. Bertram, um sich für den Fall, daß er die Alte aus den Augen verlieren sollte, wenigstens über die zu ergreifende Richtung zu vergewissern, wagte es sie zu fragen, ob der vorragende Thurm zu Griffith ap Gauvon gehöre? statt einer Antwort wandte sie sich nur wie erzürnt nach ihm um, hob die dürre Hand in die Höhe und rief mit dumpfer Stimme:

Schweig!

In der That fand er auch bald Beweise, daß in dieser Gegend die Vorschrift des allgemeinen Schweigens strenger vielleicht als in Klöstern, wo sie Ordensregel ist, beobachtet wurde: denn aus dem Dunkel der nächsten Umgegend traten ihnen bald einige Gestalten, wie aus der Erde entwachsen, entgegen. Erst als sie dicht vor ihm standen, erkannte er, daß es Weiber waren, welche große Lasten auf ihrem gebeugten Rücken trugen, und mit kurzen und starken Stäben sich und jene zugleich bei dem beschwerlichen Gange stützten. Ohne ein Wort des Grußes zu sprechen, oder auch nur ein Zeichen der Bekanntschaft, Freude oder Verwunderung von sich zu geben, humpelten sie vorüber; als aber die Eine einen Augenblick, von der Last zu sehr erschöpft, stille stand, um ausruhend frischen Athem zu schöpfen, und dabei hustete, glaubte Bertram das Krächzen einer der widrigen alten Frauen zu vernehmen, welche vor einigen Stunden ihre empörenden, und doch bemitleidenswerthen, Gespräche am Galgen geführt hatten. Indessen blieb ihm nicht Zeit, nähere Erkundigung sich darüber einzuziehen, denn die Alte setzte ihren Wanderstab nach der fast ganz entgegengesetzten Richtung, als in welcher Bertram ging, weiter fort, und es wäre so thörig als mißlich gewesen, dem häßlichen Wesen nicht nachzugehen. Welcher Schrecken aber traf ihn, als er seine Führerin nicht mehr erblickte. Während des momentanen Umblickens nach den Lastfrauen war sie ihm verschwunden. Seinen Verlust einzuholen, strengte er die Kräfte an, stürzte aber beim Springen über einen dürren, auf der Haide quer über seinem Fußweg liegenden, Baum, und mußte, nachdem er sich mühsam aufgerafft hatte, die Hoffnung fahren lassen, die Alte, in den Busch- und Felspartieen mit mannigfaltigen Kreuzwegen, und zwar im nachtähnlichen Abende aufzufinden. Nur noch einmal, ehe er das verschlungnere Dickicht und tiefere Hohlwege betrat, blickte er sich nach allen Seiten in der Runde um, entweder noch auf Menschen zu stoßen, welche ihm mit Rath an die Hand gehen möchten, oder durch Auffassung bestimmter charakteristischer Punkte sich Merkmale zu verschaffen, unter deren Vermittelung er sich im Dunkel orientiren könne. Zwar sah er einige Lastträger, – ob es Weiber oder Männer waren, ließ ihn die Entfernung nicht erkennen – auf einer felsigen Höhe fortschreiten; theils war aber ihr Weg von dem seinigen zu entfernt, als daß seine Stimme bis dahin reichen konnte, theils fürchtete er sie hier laut werden zu lassen; und selbst zu den Gestalten hinzuspringen, erlaubte ihm das Terrain nicht, wahrscheinlich würde er sie auch nach Ueberwindung dieser Schwierigkeit nicht mehr angetroffen haben. Dagegen sah er jetzt schärfer und deutlicher als zuvor den hohen, runden Thurm vor sich aus den umgebenden Gebirgsmassen hervorragen. Während er, ihn eine Weile betrachtend, dastand, brach der Mond an einer Stelle durch die dichte Umhüllung des Horizontes, und sein Strahl fiel grade auf die Spitze des Thurmes. Die innere Stimme oder der Instinkt sagte ihm, dies müsse Griffith ap Gauvon sein, und beherzt setzte er seinen Wanderstab in das Dunkel hinein.

Dennoch gestand er sich den Wunsch, der seltsamen Einladung nicht gefolgt zu sein. Er dachte bei sich, ließ aber die Worte nicht laut werden: Kann ich mich über ein Unglück mit Recht beklagen, was mir auf dieser nächtlichen Irrfahrt zustößt? – Ohne allen Grund, als den Kitzel der Neugier, setze ich mich der Gefahr aus, in die Hände sehr verdächtiger Menschen zu fallen. – Doch – weshalb sollte jener Mensch es grade auf mich abgesehen haben, da ich schon ein Mal in seiner Gewalt war, und er keine Schätze bei mir erwarten darf? – Ueberdies spricht in mir etwas zu seinen Gunsten; und endlich muß man gute Mienen zu bösem Spiele machen und muthig vorwärtsschreiten, wo der Rückweg abgeschnitten ist, und es keine Seitenauswege giebt. –

Der Thurm verschwand oft aus dem Gesicht im Dunkel des Dickichts und hinter den großen Felsvorbauten, erschien ihm aber auch oft plötzlich und desto wunderbarer wieder. Bertram glaubte, nach mühsamem Steigen über Stock und Block, nach Klettern auf jähe Höhen und lebensgefährlichen Sprüngen, nahe dem Ziele zu sein, als der Mond verschwand und mit ihm der Thurm. Der hohe Rücken des Snowdon schien ihn von allen Seiten zu umgeben, so daß das Gebäude sich nicht mehr durch den Abstand gegen die freie Luft präsentiren konnte, und vor einem eben so dunklen Hintergrunde stehend, seinen Augen verborgen blieb. Dagegen glaubte er zur Rechten und Linken altes Gemäuer zu erblicken, und fühlte auch bald unter seinen Füßen quadrirte Steine und zerbrochene Mauerziegel; dennoch mußte er sich noch immer nach allen Seiten zu durch verworrenes Gesträuch mühsam hindurch arbeiten, ohne auch nur die Spur eines Weges zu entdecken. Endlich, nachdem er durch mehrere ausgetrocknete Gräben sich hindurch gearbeitet hatte, verbot eine steil vor ihm aufsteigende Wand den weitern Weg. Er tappte an derselben entlang, und entdeckte zwar zu seiner Freude, daß es nur die äußere Mauer einer Gothischen Kirche sein könne, sonst aber nichts von menschlicher Spur. Er legte sich auf's Horchen, fand aber auch hier keine Ausbeute. Erst nachdem er, der Kälte ungeachtet, sich nieder und sein Ohr dicht auf die Erde gelegt hatte, glaubte er unter sich ein dumpfes Geräusch zu hören. Noch einmal sprang er auf, und schlich die ganze Mauerseite entlang, ohne auf etwas anderes als zwei an den beiden Enden vorspringende Thürme zu stoßen. Da er jedoch an dieser Seite, ohne der Gefahr zu erfrieren sich auszusetzen, nicht bleiben konnte, und in dem einen Thürmchen eine die Wand desselben von oben bis unten spaltende Ritze bemerkte, so versuchte er, sich durch dieselbe hindurch zu pressen. Nach einiger Anstrengung gelang dies, und er befand sich im innern Raume des runden Thurmes, dessen Boden aber ganz und gar mit wildem Gestrüpp bewachsen war. Zu seiner Verwunderung und Freude drang aber ein matter Lichtstrahl von unten durch das entlaubte Gestrüpp. Nachdem Bertram festen Fuß im Innern gewonnen, versuchte er das Gestrüpp fortzubiegen, und entdeckte bald, daß der Lichtschein zwar von unten, aber nicht aus dem Fußboden, sondern aus einer Seitenöffnung hervorbrach. Er bückte sich hinab, und nachdem er einige Spinneweben und verfaultes Holz fortgenommen, sah er, daß diese Oeffnung als Fenster dereinst einem unterirdischen großen Gewölbe gedient haben müsse. Ein ungewisser Lichtschein erhellte die weit ausgedehnte Halle, und als der Beobachter den Kopf tiefer in die Oeffnung gesteckt hatte, konnte er auch das auf dem Boden angezündete Feuer bemerken, von welchem dieses Licht ausging. Doch blieb die Beleuchtung noch immer ungewiß, und bei der Entfernung von seinem Standpunkte bis zum Boden der Halle – die Fensteröffnung ging schießschartenartig durch eine sehr dicke Mauer – war es ihm unmöglich, sowohl die innere Einrichtung des unterirdischen Gewölbes zu erforschen, als auch die darin umherwandelnden Gestalten zu erkennen. Nur an der jenseitigen Wand sah er Schatten um Schatten vorüberstreifen, hörte dann Kisten und Tonnen ausladen und rollen, ohne daß dabei gesprochen worden wäre. Vermuthlich wurden jene Behälter fortgeschafft, denn allmälig hörte das Geräusch auf, und weniger Schatten erschienen und drängten sich an der andern Wand.

Endlich tönten einzelne Fragmente eines Gespräches zu ihm herauf, welches von zwei unsichtbaren Personen, die vermuthlich dicht unter seinem Lauschfenster saßen, geführt wurde. Sie schienen aber auch für sich betrachtet nur mit gedämpfter Stimme zu sprechen:

Der Kapwein ist feurig!

Es macht, weil wir lange keinen tranken, – sagte der Zweite.

Es schien ordentlich öde und wüste hier, so lange Niklas fort war, und jetzt, als ob der einzige Mensch Handel und Wandel schaffen könnte, kommt mit einem Mal 'ne so reiche Ladung und so viel Gewinnst, als ich mein Lebtag nicht erfahren.

Das macht sein Genie. Aber weißt Du, es gefällt mir was nicht! –

Was denn?

Daß es duckmäuserig zugeht. – Sonst gab's ein anderes Leben nach solchem Streiche. Ein Paar Tonnen mußten die Minheers dran spendiren, und dann wurde hier in der alten Kirche solcher Jubel und solche Lust aufgestellt, daß die Leichen sich hätten umdrehen mögen.

Das geht jetzt nicht, seit die Minister ihre Spürhunde überall haben. Wir könnten nicht einmal hier sicher sein, wollten wir uns lustig machen. Daher bin ich immer für's Ehrbare.

Meinst Du, daß Niklas sich fürchtet vor den Spürhunden? Niklas hat's Fürchten verlernt, wenn er's ja gekannt hat. Aber er ist schwermüthig jetzt, und deshalb duldet er's nicht –

Still doch, er kommt – sagte der Andere. Ein Windstoß heulte aber jetzt durch die Fensteröffnungen der Gewölbe, welcher alle Töne in sich aufnahm und den Lauscher wenig oder nichts verstehen ließ. Begierig, den Gegenstand des Gespräches der beiden Männer zu sehn, um zu entdecken, ob es sein Bekannter sei, legte er sich der Länge lang nieder und kroch nur mit dem obern Theile des Körpers, so weit es anging, in die Fensterröhre. In dieser peinlichen Stellung gelang es ihm auch wirklich, die ganze Halle zu übersehen; und er erstaunte nicht wenig, statt eines geräumigen Kellers das Innere einer, freilich zerstörten, Gothischen Kirche zu erblicken, welche – wie wir dies zuweilen finden – unter der Erde und unter dem Boden des Schiffes der sichtbaren Kirche erbaut war. Das tonnenrunde Bogengewölbe, noch ziemlich erhalten, wurde von mehreren starken Pfeilern getragen, und Blenden zeigten rings an den Wänden, daß auch die Kunst der Vorzeit einst diesen heiligen Ort geziert hatte. Jetzt war freilich nichts von Geräth im ganzen Raume mehr zu erblicken, dagegen konnte man sich wundern, auch auf der andern Seite nichts von Schutt, Mauersteinen und andern Kennzeichen der Verwüstung zu erblicken. Das Licht mochte diese unterirdische Kirche zu den Zeiten ihrer Weihe – wenn wirklich am Tage und ohne Kerzenschein darin Gottesdienst gehalten wurde, – durch die am obern Seitengewölbe befindlichen Fensteröffnungen, deren eine unser Held jetzt als Loge zu seinen Beobachtungen gebrauchte, erhalten haben. Gegenwärtig wurde sie nur durch ein auf dem steinernen Quaderboden angezündetes Feuer erhellt. Zwei in Mäntel gehüllte Männer, vermutlich die Gesprächführer, saßen und wärmten sich an demselben. Zu ihnen trat jetzt ein Dritter, gleichfalls in einen Mantel gehüllt, und mit einem runden großen Hute bedeckt. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich am Feuer nieder, und stützte den Kopf mit den Händen, indem er die Arme auf den Knieen ruhen ließ. Die andern beiden schienen eine gewisse Ehrfurcht ihm zu bezeugen, ohne deshalb den Gesetzen der conventionellen Höflichkeit zu folgen, denn sie redeten von nun an nur sehr leise miteinander, zogen aber weder die Hüte vor dem Neuhinzugetretenen ab, noch rückten sie, um ihm Platz zu machen, zusammen. Bertram glaubte einen tiefen Seufzer aus der Brust des letztern aufsteigen zu hören; Alles aber blieb eine Weile still. Endlich fragte der Dritte, indem er die eine Hand sinken ließ, mit einer klanglosen Stimme, welche seine anderweitige Gemüthsbewegung verrieth:

Ist die alte Gillie noch nicht gekommen?

Die aus Anglesea? – fragte der Eine.

Es ist ja nur die Eine aus Gallozven aus der Insel.

Ja sie ist da.

Und Du sagst es mir nicht?

Ich habe sie draußen in die Sakristei abgesperrt.

Bist Du toll?

Niklas, ich habe Dir's schon immer gesagt, – aber Du willst nicht drauf hören, – sie meint's nicht aufrichtig mit Dir, sie bringt Dich ins Unglück.

Mensch – wenn Du es aufrichtig meinst, wie ichs nicht anders von Dir glaube – denkst Du, ich soll mich fürchten vor einem alten tollen Weibe? Ich möchte denken, meine Feinde würden mehr Achtung vor mir haben, als meine Freunde.

Niklas, Du brauchst sie auch nicht zu fürchten, wenn Du ihr nur nicht willst Dinge anvertrauen, die Dich in ihre Gewalt geben.

Ich muß Euch sagen, daß, wenn mir s auch selbst mitunter so ist, als hätte sie ein Judasgesicht, sie doch in andern Augenblicken mir wie meine Mutter scheint. Wer keine Mutter gekannt hat, und von keinem Vater gewußt, der muß wohl zufrieden sein, wenn er auch nur ein verwandtes Gesicht findet. Ueberdies ist sie mir nothwendig – und ich will sie sehn.

Niklas will uns verlassen – sagte der Andere – und will ein honetter Mensch werden. Gieb uns an, Niklas, so bekommst Du einen Schilling obenein.

Hättest Du mir so etwas vor Jahren gesagt – ich wäre im Stande gewesen, Dir mit dem Fänger ein Liebesmal über die Stirne zu zeichnen; jetzt vertrage ich Schmähungen.

Niklas, – Du gestehst es selbst – Du willst uns verlassen. –

Thoren – bin ich denn an Euch gefesselt? habe ich mich mit Euch verschworen? – Mit Euch habe ich nichts gemein, als Theilung von Gefahr und Vortheil, – weiter nichts, und daß wir uns beispringen, wenn ein betrunkner Constabler den Einen am Kragen gefaßt hat. – Ja in London war's anders, da standen wir fest verbunden, Mann für Mann, ohne Schwur; die aber leben nicht mehr, und ich bin frei.

Und glaubst Du, Niklas, sie werden Dir einen aparten Galgen bauen, wenn Du unser profitables Gewerbe aufgiebst?

Schnell verjähren bei uns politische Verbrechen, wenn ein Sündenbock geschlachtet ist. – aber Gott – sollen wir, gleich alten Weibern, klatschen – ich will die alte Gillie sehn.

Der Andere sprang auf und kam bald mit Bertrams Führerin zurück. Sie sang ein Lied, ohne auf die Anwesenden zu achten, bis Niklas sie mit strengem Tone fragte:

Schweig still Hexe! Wo kommst Du her?

Sie sah ihn eine Weile schweigend an, dann schrie sie mit bedeutendem Mienenspiele:

Am Mittag ist's hell, und am Abend ist's dunkel,
Heißa ich freu' mich, wenn's Abend wird.

Heut hast Du mich eingesperrt – wenn's Abend wird, sperre ich Dich ein. Ja, Niklas, es werden Thürme gebaut werden in Carnarvon und Merioneth, hoch wie der Himmel; aber ich weiß einen andern Thurm, der höher ist, der wird fertig sein wann's Zeit ist, und wann's Zeit sein wird, werde ich lustig sein.

Bist Du in der Burg gewesen? – fragte der Mann mit ernster Stimme, nicht laut, aber so scharf und bestimmt accentuirt, daß die Frage wie die Rüge und der Befehl einer sehr vornehmen Person klang, und doch war der Fragende, wie Bertram jetzt ganz gewiß überzeugt war, kein Anderer als sein Führer aus der Meerschlucht nach M*** und zugleich der Sohn des Schiffcapitains. Es lag in seinem Gesichte ein Ernst und ein Adel, welche er in den theils komischen, theils wilden Zügen des Mannes, so viel ihm damals die Dunkelheit zu bemerken erlaubte, nicht gefunden hatte. Die Alte entgegnete:

Ich bin oben gewesen.

Und der Brief ist in ihren Händen?

Freilich, freilich, der alte Squire wollte mich ja peitschen lassen, peitschen, er will immer peitschen bis das Blut kommt, was eine häßliche Gewohnheit ist – aber ich lief über den Kies den Burgweg herunter, auf und davon, und lachte den alten Graubart aus – ich habe ihn recht ausgelacht.

Und die Lady empfing den Brief?

Sie sagte Juchheißa, juchheißa –

Fast rauh unterbrach sie Niklas mit dem Befehle:

Schweige still mit Deinem Wahnsinn, ober beim – ich trete in die Rolle des Squire. Wie gabst Du ihr den Brief? –

Die Alte fuhr zusammen, schien sich einen Augenblick zu besinnen, und sang dann:

Es trippelte heran ein Edelknab'
      Und gab der Lady den Brief,
Darauf ihr Vater, ein stolzer Graf,
      Zum schönen Töchterlein rief:

Was drückte der Tochter des Grafen von Brest
      Ein schlechter Knecht in die Hand?
Juchheißa, schrie laut, juchheißa larum
      Die Blume aus Devons Land.

Laß sie nur laufen – sagte einer der Männer – ihre Tollheit hat die schlimme Periode. Es ist vielleicht Vollmond. Heut bringst Du nichts Kluges aus ihr heraus.

Niklas gab stillschweigend das Zeichen, sie zu entfernen, hüllte sich fester in seinen Mantel und legte sich neben das Feuer nieder, indem er seinen Kopf auf den linken Ellenbogen stützte. Die Flamme erleuchtete dergestalt sein Gesicht, daß Bertrams geübtes Auge jede Muskelbewegung erblicken konnte. Er sah eine Thräne aus dem Auge des wilden Mannes hervorperlen, eine Erscheinung, welche, je unerwarteter sie für ihn kam, um so mehr ihn erfreute, und die steigende Besorgnis über den Ausgang des Abenteuers sehr verminderte. Noch immer unentschlossen, was er zu thun habe, sah er indessen aus seinem unbequemen Schlupf- und Lauschwinkel auf die Salvator Rosasche Scene zu seinen Füßen herab, als der Zufall ihn in eine Lage versetzte, wo es nicht mehr des Entschlusses bedurfte.

Da die, in der starken Mauer angebrachte Fensteröffnung, der unterirdischen Lage der Kirche gemäß, von unten nach oben ging, um das Licht zu empfangen, so mußte Bertram, welcher statt des Sonnenlichtes in die obere Oeffnung mit dem Kopfe eingedrungen war, eine sehr unbequeme und in der Art schräge Lage haben, daß ihm das Blut aus dem ganzen Körper in den Kopf stieg. Als er, diesen Andrang nicht mehr aushaltend, sich zurückziehen oder wenigstens in eine andere Lage bringen wollte, glitt er auf der schrägen Abdachung aus, und rutschte wider Willen so weit vorwärts, daß der Kopf und ein Theil des Oberleibes zur Oeffnung hinausfuhr, und er sich kaum noch zur rechten Zeit mit beiden Händen am innern Rande festhalten konnte, um nicht durch einen gefährlichen Schuß auf das harte Pflaster des Fußbodens der Kapelle oder in das Feuer zu fallen. Es konnte nicht fehlen, daß er bei seinem eigenen Hindurchfahren auch noch Schutt und Steine wegfegte, welche mit Gepolter auf den Steinboden niederfielen. Augenblicklich sprangen die beiden Männer – der eine hatte sich mit der Wahnsinnigen entfernt – von ihren Ruheplätzen auf. Derjenige, welcher scheinbar der Untergebene war, eilte hinter einen Pfeiler, der Andere aber riß unter dem Mantel eine Pistole hervor, und, indem er ihre Mündung nach dem Orte zu hielt, von welchem das Geräusch gekommen, schrie er dem Andern zu:

Valentin! nimm einen Feuerbrand und leuchte!

Valentin zögerte auch nicht dem Befehle nachzukommen. Mit einem großen Kienbrande suchte er an der Mauer entlang, und bald entdeckten beide den Kopf des erschrockenen Bertrams.

Ein Verräther! – schrie der Andere – gieb Feuer, Niklas!

Thor – erwiederte dieser ihm – wenn kein Hinterhalt da ist, soll der gefangene Maulwurf uns nicht erschrecken. Rufe die Andern, visitirt die Mauern und befragt die Wachen!

Bertram hielt es für das Beste, sich zu erkennen zu geben:

Macht Euch keine unnöthigen Sorgen – ich bin nur ein Reisender, der, im Begriff, die romantischen Gegenden von Wales aufzusuchen, sich in diese Ruinen verirrt hat. Auch sollte ich glauben, Euch nicht unbekannt zu sein.

Leuchte näher, Valentin – bleibe hier! – Bei des großen Merlin Zauberstab, das ist unser romantischer Freund aus M ***! Bei Deinen Heiligen und Deinen Göttern! wer hieß Dich diesen Eingang in die Kirche, oder eine Höhle braver Leute wählen?

Helft mir nur jetzt aus der Klemme, sonst lieg' ich in wenigen Augenblicken so stumm vor Euch da, daß selbst eine Spanische Folter mir keine Antwort auspressen soll.

Valentin, die Leiter her – schnell – daß dich – bei der Flucht neulich ging's schneller. –

Der sogenannte Niklas warf seinen Mantel auf den Boden, die beiden Pistolen und eine kleine Pulverflasche darauf, stieß nun mit den Füßen das Feuer fort, sprang auf ein Gesimse, und als Valentin die Leiter auch heran gebracht hatte, gelang es beiden Männern, Bertram aus seiner gefährlichen Lage zu befreien, und mit gesunden Gliedmaßen herunter zu bringen.

Ihr seid erstarrt von Eurer romantischen Wanderung, Freund Bertram, sagte der Obere – lagert Euch hier am Feuer auf dem weichsten Kanapee, was so heilige Oerter, wie dieser, bieten können; und Du, Valentin, hol aus der Sakristei die beiden Fläschchen Claret, um auch von innen ein Feuer anzuzünden.

Er selbst breitete dem Gaste eine Decke hin, worauf Bertram sich legte und bald, von der Wärme der Kohlen und dem herbeigebrachten Weine ermuthigt, der Beschwerden des vorhergehenden Abends, so wie der noch größern Besorgniß – vergaß. Niklas, als ein in den Pflichten der Gastfreundschaft geübter Wirth, richtete keine andere Frage an den Gast, als solche, welche die Abstellung seiner augenblicklichen Beschwerden bezweckten, und rückte selbst mit der natürlichen Erkundigung, wie Bertram auf diese seltsame Weise ihn aufgesucht habe? erst dann heraus, als Valentin auf seinen Wink einige Speisen herbeigebracht, und der Gast auch seinen Hunger gestillt hatte. Bertram erzählte sehr kurz, was wir bereits wissen, und nachdem er geendet, und auch Flaschen und Schüsseln geleert waren, befahl sein Wirth dem Begleiter beides fortzuräumen und fragte:

Es ist doch Alles vertheilt? nichts zurückgeblieben?

Ratzenkahl Küche, Gewölbe, Sakristei.

Und die Weiber und das andere Gesindel sind auf und davon?

Ueber Kanonenschußweite.

Dann laß sie Alle auseinandergehn.

Auch die Wachen?

Alle, es ist ja nichts weiter zu thun. Und Ihr geht auch.

Aber bedenke, Du willst allein hier bleiben.

Ists das erste Mal? – Ich gebe nicht gern zwei Mal meine Befehle, Valentin. – Noch immer Bedenken?

Einige der Packträger haben ausgesagt, in Walladmor und M*** wüßten sie schon von Deiner Rückkunft, und die Schnüffler wären schon in alle Ecken abgesandt.

Hierbei fuhr Bertrams ehemaliger Führer aus seiner ruhigen Lage empor, und seine Augen funkelten, als er den andern mit heftiger Stimme fragte:

Wer hat den Verräther gespielt, Valentin? – Ich dachte der alte Kaperhauptmann könnte in den Wellen begraben bleiben, und ein neuer Mensch aufstehn. – Doch es sei, es ist einmal das Schicksal, wenn ein Mensch berühmt wird, daß er sich nicht mehr wie die Spinne in ihrem Gewebe verkriechen kann.

Hast Du Dich anders bedacht, Niklas?

Hat man etwas erfahren von den verrückten Leichengästen auf Arthurs Schanze?

Nichts, so viel mir bewußt ist.

Dann bleibt es bei dem, was ich sagte. Ich wünsche Dir guten Mondschein bis Aberkilvie, und ein freundlich Gesicht von Deiner Ehehälfte, wenn Du so spät in Hof und Bette trittst. Verlangt sie ein Attest, daß Du ihr treu während der Zeit geblieben, so will ich Dir eins vom Friedensrichter ausstellen lassen.

Niklas, Du bist wieder der alte, trotz des kostbaren Halsbandes, welches Du kaum verloren, und der tiefen Taufe zum neuen Menschen. Ich wünsche Dir keinen Mondenschein, sondern dunkle Nacht hier im alten Neste, wo's mir selbst unter zwanzig verwegenen Gesellen bei der ordentlichen Zeche unheimlich war, geschweige denn jetzt allein, kalt – leb wohl!

Valentin, Du stehst unter der Zuchtruthe Deines Weibes.

Noch lange Zeit, nachdem Valentin gegangen, blieb Bertrams Gefährte schweigend liegen, und starrte ins Feuer, und auch Bertram fühlte sich nicht berufen, dieses Schweigen zu unterbrechen. Endlich begann er folgendermaßen, gleich als habe er sich in jener Pause gesammelt, um aus der ernsten Stimmung, welche seine Äußerungen verriethen, sich in die trocken humoristische hineinzuarbeiten, in welcher er früherhin vor unserm Helden aufgetreten war:

Nun, junger Herr, darf ich fragen, wie die romantischen Partieen unseres Vaterlandes Ew. Ehrlichkeit behagen?

Ich verstehe die Frage nicht, und erlaube mir im Gegentheil zuvor an Euch die andere zu richten, weshalb Ihr mich, abgesondert von den andern Leichengästen, hierher geladen habt?

Weil die andern – ehrlichen – christlichen – schwarzgekleideten Leute nicht so romantische Passion wie Euer Ehrlichkeit haben, nicht alle reinen Mund zu halten verstehn, und keine so lautere Liebe für den verstorbenen, gottseligen Capitain Le Harnois, – namentlich aber ein so rechtes Verlangen nach seiner friedlichen Bestattung empfinden.

Glaubt nicht mich länger täuschen zu können. Ihr seid eben so wenig der Sohn jenes Capitains der Französischen Corvette, als ich vermuthe, daß dieser Ehrenmann heut zur Erde bestattet ist.

So hast Du mich doch erkannt? Mein Blick war also nicht stumpf, als er den Deinigen für scharf hielt!

Und was bedeutet der Leichenzug, zu welchem man Jung und Alt geworben hat?

Du scheinst mir eines Advocaten Sohn zu sein, oder einer werden zu wollen, denn so haarklein hat mich noch kein kunstgeübter Bruder nach dem Metier ausgefragt, um nicht zu verrathen, daß er selbst ein Lehrling werden wolle.

Ist der Leichenwagen hier abgesetzt?

Abgesetzt wohl, mein ehrlicher Bruder, aber weder von Sarg noch Fleisch und Bein wirst Du mehr ein viertel Loth in diesen alten Kellern, oder wenn Du willst, heiligen Hallen, finden, denn meine ehrlichen alten Weiber, meine Venuslegion, so liebreizend, daß der roheste Wüstling vor ihnen Reißaus nimmt, riecht schon von zehn Meilen weit, wenn ich »hm« sage, und watschelt dann heran, um die duftenden Gebeine in Empfang zu nehmen, und sie wie Reliquien durch's Land zu tragen. Sie haben sich diesmal schnell in Bewegung gesetzt, und im Umsehn alle Brabanter Kanten, den schönen Capwein und Xeres, die Orangen und Gott weiß was noch im Leichenwagen, auf ihren geraden Rücken gelegt und vertragen. Und wenn die Schatzkammer eine Million als Belohnung setzte, holt kein Dragonerregiment und die ganze Schaar der Gränzreiter in unserm lieben vereinigten Königreiche diese Charitinnen auf ihren zerstreuten Wegen ein. England ist um ein Billiges wohlhabender, und unser Beutel gefüllt worden.

Also der Schleichhandel ist Eure ehrenwerthe Handthierung, und das ganze Possenspiel des Leichenzuges diente nur dazu, die Aufmerksamkeit der Gränzbeamten abzuleiten?

Der Wirth lachte unmäßig auf, und sah dabei forschend in Bertrams Gesicht. Dieser fuhr fort:

Zwar stieg schon lange in mir eine solche Vermuthung auf, indessen wagte ich ihr nicht Raum zu geben, da immer in mir eine Stimme zu Gunsten Eurer Redlichkeit sprach.

Der Andere stand jetzt auf, lehnte sich mit dem Rücken an einen der Treppenpfeiler, und, indem er mit übereinandergeschlagenen Armen noch eine Weile scharf und lächelnd Bertram betrachtet hatte, brach er mit halb lachender Rede hervor:

Vermutlich bin ich älter als Du, habe Länder, Städte und Menschen gesehn, Menschen namentlich, wie sie vielleicht in Jahrhunderten nur einmal auftreten, habe die abgefeimtesten Schurken auf den nächtlichen Kreuzwegen und die in den Pallästen kennen gelernt; aber auf einen so vorsichtigen Spitzbuben, als Du bist, bin ich noch nie gestoßen. – Ich könnte es Dir übel nehmen, daß Du mich nicht für ehrlich hältst, aber darüber bin ich hinaus; und Du erlaubst mir nur, recht weidlich zu lachen, weil mir selten mehr etwas Lächerliches im Leben vorkommt, und es für mich weder Lustspiel noch Trauerspiel mehr giebt, denn ich habe all' dergleichen auf den hölzernen und andern Brettern zur Genüge gesehn.

Bertram sprang entrüstet auf, und trat wie Jemand, der im Wortwechsel durch eine harte Schmähung gekränkt, den Beleidiger auf Tod und Leben angehen will, dem Schleichhändler entgegen;

Ihr haltet mich doch nicht für – ich kann nach dieser Kränkung fordern, daß Ihr meiner Ehre genugthut und unumwunden erklärt, wofür Ihr mich haltet.

Mit dem vollen Gefühle der Ueberlegenheit, welche reifere Kenntniß, tieferer Verstand, Alter, Ueberlegung und endlich mehrere Körperkraft und Mittel, den Gegner auf jede Weise zu überwältigen, dem Schleichhändler über seinen anscheinend jüngern, und vom Weine erhitzten Gast, verliehen, erwiederte er ihm ruhig und gelassen, ohne sich aus seiner Stellung zu bewegen:

Ich halte Euch, Herr Bertram, für einen Abenteurer – in vollem, baarem Ernste gesprochen – der im Lande nach Gelegenheit sucht, seine Kenntnisse an den Mann zu bringen, und dafür andere bewegliche Waare einzutauschen, sei es nun Geld, oder wer weiß, wonach des Menschen beweglicher Sinn strebt. Euch mit irgend einem Schimpfnamen, als: Wegelagerer, Spitzbuben, Taschenleerer, Gauner, oder sonst wie, zu belegen, fällt mir nicht in den Sinn, weil ich weiß, daß alle dergleichen nur eitel Modewaare ist, und es bei keiner Sache auf den Namen, sondern nur auf die Sache selbst ankommt. Jeder Mensch ist der beste Richter über sich, und kann allein wissen, ob seine Thaten mit seinen Gesetzen und seinen Grundsätzen übereinstimmen. Handelt er in Übereinstimmung mit diesen, so handelt er recht; und so nehmt es mir auch nicht übel, wenn ich Euch nun im Sinne der argen Welt einen Spitzbuben nenne.

Ueberwältigt von der Bestimmtheit, mit welcher Niklas sprach, so wie von dem durchbohrenden Blicke des verwegenen Mannes, fuhr Bertram zurück, und seine veränderte Gesichtsfarbe gab Zeugniß von seiner innern Bewegung. Mit ungewissem Tone fragte er:

Und was berechtigt Sie zu einer solchen Vermuthung?

Niklas, dem die Bewegung nicht entging, und der in derselben den Sieg seiner Beredsamkeit las, gleichwie der geschickte Richter beim endlichen Bekenntniß des verstockten Bösewichtes einer triumphirenden Freude sich nicht enthalten kann, fuhr mit demselben gelassenen Tone, wie vorher, zu reden fort, und ging nur zuletzt in seinen gewöhnlichen humoristischern über:

Ihr mögt lieber fragen: wie wohl ein kluger Mensch bewogen werden könne, auf andre Vermuthungen über Euch zu kommen. Ihr segelt nach England mit einem Gepäck, das man unter dem Arme tragen kann, und mit einem Beutel, der vermutlich damit in Proportion steht. Daß Ihr auf Jacksons Schiff gewesen, mag ich Euch nicht einmal als Beweis anrechnen. Ihr schleicht Euch mit mir – daß ich Euer Führer durch die Schaafschlucht gewesen, will ich geradezu gestehen – nach M*** bei Nachtzeit, bleibt dort in dem Gasthofe, dem bekannten Geschäftshause für alle Schleichexpeditionen, unter verdächtigen Leuten mehrere Tage ohne Geld, ohne eine bestimmte Absicht Eures Aufenthaltes auf dieser Insel zu haben; Ihr streift in der Nachbarschaft am Meeresstrande umher, und endlich folgt Ihr unserer Einladung zur Leichenfolge, in welcher solch ein geschärftes Auge, wie das Eure, doch auf den ersten Blick die verborgene Absicht entdecken mußte.

Und wußten alle die, welche im Zuge waren, von dem Betruge?

In Englands Gesetzen mußt Du doch noch nicht gehörig erfahren sein. Nach Absicht, Wissen und Gedanken darfst Du und kein Richter fragen. Was jeder thut, muß er vor dem Gesetze verantworten, und da laß Du die ehrenwerthe Gesellschaft, welche ihr Gewissen nach gehöriger Berathung der Gesetze nicht wird beschwert haben, allein sorgen. Unter uns gesagt, zogen die Meisten für Geld, Rum, Bier und Spaß mit, Du aber um Dir Kundschaft im Lande zu verschaffen, denn im fremden Lande, wo er die Löcher nicht kennt, ist auch der schlaue Fuchs verloren.

Und glaubst Du, daß Jedermann dasselbe Urtheil über mich fällen würde?

Wo nicht ein schärferes. Weißt Du aber, Master Bertram, daß ich gleich auf den ersten Blick aus Deinem Gesichte Deine Profession erkannte, und wozu Du geboren wärst.

Und welche unglückliche Züge geben dies unglückliche Zeugniß?

Unglücklich sind sie gewiß – sagte der Andere schmerzlich lächelnd – denn ich trage sie an mir. Ich halte etwas auf Vorbedeutungen, und bin abergläubisch, wie alle, die sich auf der See versucht haben, und ihr ganzes Eigenthum auf den trügerischen Wogen mit sich führen. Du wirst Dich schämen es einzugestehn, aber wie Sturm, Sonne, Leidenschaft und Strapatzen auch mein Gesicht mögen verbrannt und zerrissen haben, dennoch gleicht es noch jetzt Deinem sanften, mit Locken umschatteten, milchweißen Frauengesichte; und wenn ich an das todte Bild denke, was ein müßiger Mahler in meinem sechzehnten Jahre nach meinem lebendigen conterfeite, so war es ein und dasselbe Gesicht mit dem Deinigen. Verwandte Gesichter deuten immer auf verwandte Stimmungen und Geister. Als ich Dich zum ersten Male ganz genau an jenem Abende, wo Du vertieft in allerhand Gedanken auf Jacksons Schiffe nach dem festen Lande fuhrst, betrachtete, – Du glaubtest, wenn Du überhaupt etwas von mir glaubtest, ich schliefe, – da sah ich in Deinem Auge das meinige, ich sah auf Deiner Stirne alle die Stürme, welche Dein Schiffchen mochten hin und hergetrieben haben, sah weite Entwürfe, wenig Ruhe, Zweifel über das Ziel, wohin Du Dich wenden solltest, und – kühne Entschlüsse, ohne viel Hoffnung.

Mensch, Du verstehst, weit über Deine Bildung, in der Seele Anderer zu lesen.

Der Schleichhändler lächelte:

Ich habe auch etwas Bildung genossen – o Bildung ist sehr viel werth, um nicht als wildes Thier unter den gebildeten Menschen einherzulaufen und die guten frommen Lämmer durch Roheit zu erschrecken – Bildung ist erstaunlich viel werth – wie der Wolf im Schaafpelz kann man sich mit wildem Treiben, mit einer furchtbaren Natur, einhüllen in die vortreffliche Bildung, und ist denn wohl empfangen bei allen den vollendeten Geschöpfen, welche die Natur nicht in einer rauchigen Hütte, sondern in tapezirten Zimmern ließ geboren werden. Ich habe mir mein bischen Bildung gestohlen unter einer Schauspielerbande; und wenn dann die Rohheit zuweilen vorblickt, liegt's nicht an mir, sondern an der Armuth der Herren, die ich bestohlen habe. – Aber wenn der Koch aus der vornehmen Küche einem schmutzigen Buben einen Leckerbissen zu kosten giebt, erwacht der Appetit noch mehr. So giebt's Stunden, wo ich wie ein schwangeres Weib nach dem Umgange mit Menschen verlange, mit denen ich sprechen kann, was mir die Brust bewegt, und die mich verstehn, die mir antworten können und nicht den schmutzigen Buben von der Gasse mit Verachtung fortweisen.

Habt Ihr mich nun vielleicht zu einem solchen humanen Spießgesellen erwählt?

Was Du sein willst, steht Dir frei. Aber, Bertram, ich freue mich, Jemand unter meines Gleichen zu finden, der nicht wie das andere Gesindel nur der Lust des Tages lebt, der das Leben wagt, und dabei weiß, daß er lebt, der Augen hat, um zu sehen, Gedanken, um zu denken, der fühlt, – doch ein so verstellter Heuchler, als Du, wird lachen, wenn er einen gefährlichen Abenteurer, wie ich, vom Gefühl reden hört.

Ihr wünscht einen unterrichteten Spießgesellen zu finden, der, wenn das Gewissen erwacht, von der leichten Seite Eure Verbrechen Euch vorstellt, der die Sünde vom Laster wegraisonirt, und der bösen That einen edlen Anstrich giebt?

Niklas runzelte die Stirn und sagte schnell mit rauher Stimme:

Was ich gethan habe, werde ich nie verleugnen, weder hier, noch da oben oder unten – wenn es ein Oben oder Unten giebt. Ich brauche auch keinen, der ihm einen schönen Namen leiht, weder vor der Ausführung, noch wenn's geschehen ist. Denn ich habe nie vorher gezittert oder gezweifelt, und nie nachher Reue empfunden – nein – fuhr er heftiger fort – nie habe ich Reue empfunden, und will auch nie Reue empfinden. Aber ich brauchte einen Freund, einen, dem ich mich anvertrauen könnte, ohne wie vor dem Beichtiger zu knieen oder vor dem Richter zu bekennen, einen, der mit mir wild ins Leben hineinstürmt, bis wir Beide kalt sind, oder auch einen, der feststeht im Leben, und an den zuweilen der wilde Stürmer sich festhalten und an seiner Brust ausruhen könnte.

Bertram sah ihn groß an, der andere merkte es und sagte zu ihm lächelnd:

Du verwunderst Dich über meinen Pathos, aber Du mußt nicht vergessen, daß ich Schauspieler war. Kluge Leute sollen zwar behaupten, es sei Jedermann ein Schauspieler, und aller Pathos nicht viel besser als ein Blendwerk für den andern oder den Redner selbst; ich habe aber keinen Umgang mit klugen Leuten, und weiß daher nichts davon.

Sprechet klar, was Ihr von mir wollt?

Wohlan! Willst Du es mit mir wagen, und versuchen, was für Glück Dir in diesem Lande blüht, oder Deine eigenen Wege wandern und mir nur dann und wann erlauben, wenn das Herz zu schwer wird, es durch ein Bekenntniß zu erleichtern, oder Dich vielleicht zu bitten, mir beizustehn?

Ein für allemal erkläre ich Euch, daß ich mich in keine widergesetzlichen Verbindungen einlasse –

Gut denn, das Wort genügt. Du willst kein kühner Abenteurer sein? – ich frage nicht weiter nach dem Grund, und Dein Wille soll für mich Gesetz heißen. Kannst Du aber mein Freund in dem andern Sinne sein?

Tollkühner! woher dies gränzenlose Vertrauen zu mir?

Niklas trat dem jungen Manne näher als zuvor, sah ihm scharf, aber freundlich ins Auge, als suche er irgend eine Erinnerung in ihm zu erwecken; dann drückte er ihm die Hand und sagte:

Erinnerst Du Dich nicht mehr des Unglücklichen in den Wellen, dem Du die Tonne hingabst und Dich hinunterstürztest? Ich bin tief in Deiner Schuld, und will sie noch vergrößern, indem ich Dich um neue Gaben bitte.

Wirklich? – Seid Ihr es? – Ja die Nase, auch die Augen – die Stirne wurde damals von den nassen Haaren bedeckt, und unter dem krampfhaft breitgezerrten Munde verstellte Euch der lange Bart.

Ich bin es, und läge ohne Dich schon im Bauche eines Hayfisches, oder gespießt auf einer Klippe tief im Meere – aber glaube mir, wenn ich auch keine Güter habe, sie als Pfand zu geben, so werde ich doch die Schuld nicht vergessen.

Was ich mit schwachen Kräften thun kann, Unglücklicher, Deine Seele aus dem moralischen Verderben zu retten, soll geschehen, und ich wünsche, es möge mir so gelingen, wie es mir gelang, Deinen Leib im Wasser zu erhalten.

Der Andere lächelte:

Jetzt erst möchte ich glauben, Du seist so unschuldig als Du vorgabst, und erst aus der Schule gekommen, nach welcher noch Deine Vorstellungen schmecken. Du – Knabe – mich aus dem Verderben herausziehn, Du, der Du in Ohnmacht fallen würdest, erzählte ich Dir nur die Hälfte aller der Gräuel, die ich angestiftet! Einen Mann mit einer Faust, die sich im Blute gebadet hat, mit einem Geiste, der in Mordgedanken seine Nahrung fand, einen Mann, der im Unflath des geselligen Lebens sich umhergewälzt hat, so daß er roth werden muß, in einer Gesellschaft gebildeter Wesen nur daran zu denken – bei solchem Manne schlagen die sanften Besserungsmittel nicht an. Zertrümmern muß er, was ihn umgiebt, die Welt, die seine Schande kennt, vernichten. Auf den Trümmern kann er sich erst ein Schloß erbauen, was keck und stolz auf die neue Welt rund umher blickt, und zu Häusern und Menschen spricht. Im selben Schlosse wurden wir geboren. Wir haben eine Mutter, die Zerstörung – und was hinterher liegt, ist Nacht. – Doch, Bertram, komm heraus ins Freie; hier im Keller wird's mir zu dumpf und enge.


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