Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 22
Alexis / Hitzig

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Der nürnberger Kassendiebstahl

1790 - 1791

Es soll kein einzelner Zeuge wider Jemand auftreten über irgend eine Missethat oder Sünde; es sei welcherlei Sünde es sei, die man thun kann; sondern in dem Munde zweier oder dreier Zeugen soll die Sache bestehen.
5. Moses, 19, 15.

Am 30. Juni 1790 machte der reiche und angesehene Kauf- und Handelsmann Johann Marcus Sterbenk bei dem Bürgermeisteramte der reichsfreien Stadt Nürnberg folgende Anzeige:

»Er wäre heute gegen 5 Uhr Morgens durch seine Dienstmagd Katharina Kamm geweckt und benachrichtigt worden, daß die Haus- sowie die Comptoirthüre offen stünden und daß aus dem Comptoir die dortselbst gestandene eiserne Kassentruhe gestohlen worden sei. Damnisicat habe sich hierauf selbst von der Wahrheit der Angabe der Magd überzeugt und gefunden, daß der Diebstahl vermittelst Auslösung einer Fensterscheibe, welche in der auf die Hausflur führenden Comptoirwand eingefügt gewesen, nach vorhergegangener Eröffnung der Hausthüre mit Dietrich oder Nachschlüssel verübt worden. Verdacht könne er zur Zeit gegen Niemand aussprechen. Er bitte gehorsamst, daß ihm zur Wiederhabhaftwerdung seines Eigenthums oberherrliche Hülfe geleistet und sonst nach den Gesetzen und Observanzen des angezeigten Diebstahls wegen weiter verfahren werden möge.« Den Inhalt der ihm entwendeten Kasse gab er auf ungefähr 2000 Gulden an. Späterhin erklärte er unter Vorlage eines Extracts aus seinem Handelsbuche und unter Eidesleistung, »daß sich in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni in der gestohlenen Kasse nicht mehr als 1828 Gulden 20 Kreuzer baar befunden.«

Diese Anzeige ward noch am selben Tage an das Schöffenamt abgegeben, welches damals zu Nürnberg mit Instructionsgewalt der peinlichen Processe bekleidet war. Ein schnelles und energisches Einschreiten schien nothwendig und es ward auch, freilich nach Maßgabe des damaligen Verfahrens, von den Inquirenten, den Schöffen von Harsdorff und von Geuder, mit allem Amtseifer und Umsicht verfahren. Requisitionen wurden an das Polizei- und Kriegsamt sofort erlassen und demnächst zur Vernehmung der Hausgenossen und Dienstboten geschritten.

Dagegen fand eine Vornahme des Augenscheins an Ort und Stelle des verübten Verbrechens nicht statt. Die noch in unantastbarer Autorität gültige »Carolina« schreibt eine solche ex officio nicht vor, und der Bestohlene hatte unterlassen, darauf anzutragen. Erst einige Wochen später hatte er ein in sehr allgemeinen Ausdrücken gehaltenes Gutachten zweier Techniker über die Art der wahrscheinlichen Eröffnung der Hausthüre zu den Acten registrirt.

Von den vernommenen Hausgenossen bekundete die Dienstmagd, Kamm, welche den Diebstahl zuerst entdeckt, Folgendes: Sie habe, nach ihrer Gewohnheit, auch in der Nacht des 29. Juni gegen 10 Uhr herum die Thür des Hauses fest verschlossen, jedoch nur mit einem vorgeschobenen Riegel, indem die Thüre ein eigentliches versperrbares Schloß mit Schlüssel nicht habe. Dieser Riegel (wie sich auch aus den spätern Verhandlungen bestätigte) war also das einzige und allerdings leicht zu überwindende Sicherheitsmittel des ganzen Hauses. Es wurde, was wir vorausschicken, im Verlauf des Processes nicht einmal erwiesen, daß der Riegel in der kritischen Nacht wirklich vorgeschoben war, vielmehr durch verschiedene Umstände wahrscheinlich gemacht, daß die Kamm den Riegel entweder gar nicht oder höchst fahrlässig in die Röhre eingeschoben hatte!

In der ganzen Nacht hatte sie nicht den geringsten Lärm oder ein sonstiges Geräusch gehört; als sie aber heute (den 30. Juni) früh um 6 Uhr dem die Milch zum Frühstück bringenden Findelmädchen, welches angeläutet, die Hausthüre öffnen wollte und deshalb die Treppe hinabstieg, kam ihr das Mädchen zu ihrer großen Befremdung schon entgegen. Die Hausthüre hatte auf ihr zufälliges Andrücken sogleich nachgegeben, mußte mithin schon offen gewesen sein. Die Kamm stürzte sogleich hinunter und sah mit Schrecken, daß nicht nur die Hausthüre, sondern auch die Thüre der Schreibstube völlig offen stand. Sie sah ins Comptoir und entdeckte sogleich, daß die eiserne Kassentruhe daraus entwendet war. Hierauf hatte sie den Diener, Kostgänger und Jungen geweckt und sofort auch ihrer Dienstherrschaft ihre Entdeckung gemeldet.

Die ganze Hausgenossenschaft war alsbald auf den Beinen, und sah zu ihrem Schrecken, was sie gesehen. Jetzt erst erfuhr die Kamm, daß mit dem Kasten 2000 Gulden gestohlen waren, und jetzt erst bemerkte sie, daß aus dem von der Schreibstube in »den Tennen« gehenden Fenster (angebracht, um den zu Nürnberg meist halb dunkeln Comptoirs von der Hausflur aus Licht zuzuführen) eine Scheibe eingedrückt oder »ausgelöst« war. Dieselbe Scheibe, welche schon einmal vor ungefähr acht Tagen mit Vorwissen und auf Befehl ihres Dienstherrn ausgelöst worden, um das Thürschloß, zu welchem der Lehrjunge den Schlüssel verlegt hatte, öffnen zu können. Das ließ sich damals um so leichter bewerkstelligen, als die Thüre des Comptoirs von dem Wandfenster nur einige Schritte entfernt war, und der Arm eines großen Menschen durch die eingestoßene Scheibe recht wohl den Riegel des Thürschlosses zurückschieben und die Thüre öffnen konnte. Auch, fuhr die Zeugin fort, habe Sterbenk bei dieser Besichtigung oberhalb der Hausthüre ein Loch bemerkt, durch welches man wohl mit einem Haken oder andern Instrumente hatte hinunterlangen, das Schloß aufheben oder den Riegel zurückschieben und auf diese Art die Hausthüre öffnen können. Die Magd wollte oder konnte keinen Verdacht gegen irgend Jemand aussprechen.

Die übrigen Hausgenossen, der Kostgänger, der Diener, Lehrjunge und Ausläufer sagten im Allgemeinen Dasselbe, was die Magd angegeben. Nur bemerkte der Pensionär, daß, seiner Meinung nach, das Loch oberhalb der Hausthüre eingebohrt sein müsse. Alle kamen darin überein, daß nur eine in dem Hause wohlbekannte Person den Diebstahl verübt haben könne.

Ein besonderes Gewicht wurde zur Bestärkung dieser Vermuthung auf den Umstand gelegt, daß der Dieb gerade an derjenigen Stelle des Comptoirfensters, an welcher, wie die Magd erzählt, vor 8 – 10 Tagen eine Scheibe eingestoßen werden mußte (durch wen letzteres damals ausgeführt worden, geht aus den Acten mit Bestimmtheit nicht hervor), auch eine Scheibe ausgelöst und auf die angedeutete Weise das Comptoir geöffnet haben mußte. Der Ausläufer Schönleben bemerkte, der Umstand komme ihm sehr bedenklich vor.

In diesen Aussagen lagen gewiß Auffoderungen zur Recherche nach Spuren des Thäters, oder sogar schon eine Hinleitung auf diesen selbst. Allein es wurde weder das Milchmädchen, das zuerst die Thüre offen gefunden haben sollte, vernommen, noch auch jetzt der Augenschein an Ort und Stelle vorgenommen. Es lag so nahe, daß eine genaue Erhebung der Localverhältnisse, das Beibringen eines Situationsplans des Sterbenk'schen Hauses, wenn auch nicht über den subjectiven, doch objectiven Thatbestand des Verbrechens Licht verbreiten konnte. Eine gerichtliche Besichtigung des Schlosses, eine Constatirung der vielleicht an demselben sich noch vorfindenden Merkmale gebrauchter Gewalt, eine genaue und strenge Beobachtung von Dingen, die sich an oder in der Nähe des Orts des Verbrechens befinden, dem Privaten bedeutungslos, dem Inquirenten aber oft ein sicherer Leitfaden (in einem Criminalproceß führte ein Stück abgerissenes graues Löschpapier, mehre hundert Schritte von dem Mordplatz entfernt, die Entdeckung eines Meuchelmordes herbei) – eine Erhebung der Art der Auslösung der Fensterscheibe, der geometrischen Entfernung der Schreibstubenthüre von derselben, und sonst noch vieler anderer bei Gelegenheit sich von selbst darbietender Umstände – ein geschickter Inquirent vermag aus diesem Allen mit vieler Sicherheit darauf zu schließen, ob die That von einem in der Lasterschule des Verbrechens geübten Bösewicht, ob von der Hand des vor Schuld und Strafe bei seiner verbrecherischen Handlung noch zitternden Neophyten vollbracht ist. Hat doch beinahe jeder nur einigermaßen in seiner Sphäre Ruf genießender Dieb eine eigene Branche seines Gewerbs sich gewählt und bewegt sich nur in dieser mit Sicherheit und Leichtigkeit. Der Eine kann nur als Schränker glücklich handeln, der Andere sucht als Hochstappler bei der Agroscheninnung sich einen Namen zu machen; der Dritte vermag allein als Baldoberer oder Schmiere der polizeilichen Gewalt gegenüber List der Schlauheit, Verwegenheit der Kühnheit entgegenzusetzen; der Vierte nur als Kochuner, Kinsler, Dorfdrücker, Treppenschleicher Leimgänger sich eine Virtuosität zu erwerben.

Aber es geschah nichts, weil die damaligen Strafrechtsinstitutionen sich meist nur auf Betrieb der Beschädigten bewegten, wenn nicht etwa gemeingefährliche Übel besondere Anstrengungen heischten.

Der Diebstahl der Sterbenk'schen Kasse wurde noch an dem Tage seiner Entdeckung in der Stadt bekannt; man lief, rannte, flüsterte hüben und drüben; Einer vertraute dem Andern seine Meinung; bald mußte Der, bald Jener der Dieb sein; ein Schaffner, der in jener Nacht gegen 2 Uhr »aus einer lustigen Cumpanie« aus dem Gasthaus zum Reichsadler, in der Nahe des Sterbenk'schen Hauses belegen, heimgegangen, hatte aus dem Stangengäßchen zwei Kerle, die ihm verdachtig geschienen, herauskommen und über den Roßmarkt gehen gesehen; ein Perückenmacher wollte gleichfalls auf seinem Heimgang in jener Nacht in der Nähe des Sterbenk'schen Hauses zwei Mannspersonen betroffen haben, die er nach der Stunde gefragt; auch eine Dienstmagd wollte, jedoch nur einen, ihr verdächtig scheinenden Burschen bereits am Tage vorher dem Hause gegenüber stehen und es scharf beobachten gesehen haben; und so tauchte ein vager Verdacht um den andern auf, der doch zu nichts führte.

Nur ein Verdacht, der plötzlich aufschoß, schien auch sofort an Consistenz zu gewinnen, nämlich gegen den Auslaufer des Bestohlenen, Namens Schönleben. Er selbst hatte ihn durch eine mindestens unvorsichtige Äußerung veranlaßt. Er bemerkte nämlich gegen den Handlungsdiener im Hause, »daß, wenn er nur versichert wäre, daß die Kasse, wie das Gerücht ging, über den Fischmarkt getragen worden, er das Weitere leicht ausspioniren wolle.« Diese Äußerung fiel auf. Man erinnerte sich, daß sein Lebenswandel gerade nicht untadelhaft gewesen, folgerte aus selbgeschaffenen, auf flüchtige Voraussetzungen gebauten Schlüssen, und weil der Bruder des Schönleben, ein Bauer aus dem unfernen Orte Rostall, am Tage des entdeckten Diebstahls in das Sterbenk'sche Haus gekommen war, nach dem Auslaufer gefragt, mit demselben leise gesprochen und unmittelbar nach jener Unterredung mit seinem mit Beinmist beladenen Wagen die Stadt verlassen hatte, so schien es außer Zweifel gesetzt, daß dieser Bauer die von seinem Bruder entwendete Kasse unter dem Beinmiste aus der Stadt hinausgeschafft habe. Natürliche Schlußfolge, daß Schönleben, wenn nicht die Kasse selbst gestohlen, doch um den Diebstahl wisse. Man war froh, endlich Einen festhalten, inquiriren und ihm die Worte zudonnern zu können: »Du bist der Dieb, oder weißt doch, wer er ist!« Wie bei so vielen später mehr oder minder berühmt gewordenen Criminalprocessen die einseitige Verfolgung der Richtung eines einmal aufgetauchten Verdachts die Untersuchung unglaublich verwickelte und ihre Beendigung hinausdehnte, bis es dem Zufall gefiel, mit einem mal über die begangene Unvorsichtigkeit die Augen zu öffnen, und oft erst dann, wenn es zu spät geworden war – so auch hier. Schönleben wurde über obige Äußerung vernommen. Außerdem wollte der Commis des Hauses von ihm gehört haben, daß er am Montag Abend (28. Juni) vor der Nacht des verübten Diebstahls wider seine Gewohnheit statt um 7 Uhr das Comptoir zu verlassen, solches erst um 8 Uhr gethan habe. – Schönlein stellte Alles in Abrede, mit alleiniger Ausnahme der Unterredung mit seinem Bruder, für die er aber eine ganz unschuldige Ursache angab. Die Haussuchung in seiner Wohnung blieb ohne Erfolg, obgleich man sogar die Dielen des Stubenbodens aufbrach und in einem Holzgerölle die festgestampfte Erde mit Haken auflockerte. Auch die Aussagen, welche Schönleben's Ehefrau und deren Kinderwärterin abgaben, dienten nur dazu, den gegen den Verhafteten entstandenen Verdacht wieder zu schwächen und das Alibi desselben herzustellen. Indessen waren das nur Zeugnisse ihm nahestehender Personen, auf die man wenig oder nichts gab, und der Kaufmann Sterbenk hatte inzwischen von verschiedenen Seiten verschiedene, den Schönleben mehr oder minder gravirende Thatsachen in Erfahrung gebracht, in Folge deren zur Verhaftung des Ausläufers geschritten ward.

Schönleben sollte einige Tage vor dem Diebstahl zwei Morgen hintereinander eine Stunde später als gewöhnlich auf das Comptoir gekommen sein und auf Befragen hierüber eine nur ungenügende Entschuldigung gegeben haben; am Tage der Diebstahlsentdeckung selbst eine gezwungene Fröhlichkeit affectirt, wider seine Gewohnheit sich mit den Comptoiristen nicht unterhalten und nicht gefragt haben, wo denn die Kasse, deren Verschwinden er unmöglich habe übersehen können, hingekommen sei! Und auf solche, meist auf Hörensagen beruhende an sich sehr schwache Verdachtsgründe baute man die bei der Mehrzahl der Nürnberger nach Schönleben's erfolgter Verhaftung über allen Zweifel gestellte Schuld desselben! Aber er konnte die That nicht allein begangen haben; deshalb ward noch ein Mann, ein zu Nürnberg ansässiger und verheiratheter Flitterschläger, Namens Beutner, mit verdächtigt. Derselbe hatte einige Tage vor dem Diebstahle im Sterbenk'schen Hause dem Schönleben beim Abladen einer Fuhre Holz geholfen. Er war bei diesem Geschäfte die zur Schreibstube führende Treppe hinaufgestiegen; auf der obersten Stufe sollte er stehen geblieben sein und, was mehre Zeugen ihm ins Gesicht behaupteten, von ihm aber beharrlich abgeleugnet wurde, einige Minuten scharf in die Schreibstube hineingesehen haben, muthmaßlich durch den Klang des in derselben gezählten Geldes festgehalten. Dies Alles konnte nur deshalb geschehen sein, um die Gelegenheit zu dem Diebstahle auszuspähen. Schönlein aber mußte einen Gehülfen gehabt haben: die Kasse war schwer, von Eisen und an 2000 Gulden in Silber ihr Inhalt; ein Dieb hätte ungewöhnliche Stärke besitzen müssen, um diese ohne Beihülfe fortbringen zu können. Schönleben besaß aber eine solche nicht. Bei dem Diebstahl war er, was bald für ausgemachte Sache galt, thätig als Urheber oder Gehülfe. Beutner hatte baldobert; wer die Gelegenheit auszuspüren sucht, benutzt auch die gebotene. Der Flitterschläger war in beschränkten Umständen, entweder mußte nun Dieser Jenem, oder Jener Diesem Beihülfe zur Verübung des Diebstahls geleistet haben. Daß Schönleben, als Auslaufer im Hause, weit mehr und auf eine ganz verdachtlose Weise die passendste Gelegenheit zu dem Diebstahl hätte ausfinden können und gewiß keinen Zweiten hierzu gebraucht haben würde; daß die Möglichkeit gegeben war, angenommen, Beutner habe in unredlicher Absicht sich auf der Treppe der Schreibstube aufgehalten und scharf in dieselbe geblickt, es ja für sich, auf eigene Faust habe thun können, dieses lag außer dem Ideenkreis des Beschädigten, der Zeugen, der leichtsinnig den Stab brechenden Menge, ja sogar der Richter und Schöppen.

Es dachte Keiner daran, daß die Angeschuldigten doch schuldlos sein könnten und man nicht aufhören dürfe, die Nachforschungen auf ganz andere, vielleicht selbst wohl beleumundete Individuen zu erstrecken. Sprach doch so Vieles dafür, daß nur eine in dem Hause wohlbekannte Person den Diebstahl verübt habe, waren doch so viele Leute im Hause; hatte man doch eine ausgelöste Scheibe, an einer Stelle ausgelöst, wo acht Tage vorher das Fenster eingeschlagen werden mußte.

Schönleben (wahrscheinlich) schlug damals auf Befehl seines Herrn die Scheibe ein; wer aber öffnete das Schloß? Wie wurde es geöffnet? Lag in der Leichtigkeit, womit letzteres vielleicht geschehen, nichts Anlockendes für den Öffner dieses Schlosses, dasselbe noch einmal und zwar für sich zu öffnen? mit der Aussicht, auch vielleicht den schweren Eisenkasten zu öffnen, in welchem die Phantasie goldene Schätze erwarten mochte? Genug – man hatte Schönleben, man hatte Beutner; dem Bunde fehlte nur noch der Dritte, und auch dieser sollte nach wenigen Tagen gefunden werden.

Beutner wurde unmittelbar nach seiner Vernehmung auch in Haft behalten; jedoch einstweilen nur in den Männereisenverhaft gebracht – ein etwas milderes Untersuchungsgefängniß als »das Loch«, in welchem Schönleben bereits schmachtete. In der auch bei Beutner ausgeführten Haussuchung fand der Amtsknecht ebenfalls nicht das mindeste Verdachterregende.

Unterdessen war gegen Schönleben der Untersuchungsproceß eröffnet worden. Bei der summarischen Vernehmung gab er an, daß er Johann Georg Schönleben heiße, von Elkersdorf bei Emskirchen gebürtig, woselbst seine Mutter noch lebe und ein Gut besitze; 27 Jahre alt und mit 16 Jahren aus dem älterlichen Brot gekommen sei. Bis zu seiner vor drei Jahren zu Nürnberg als Schutzbürger und Bierwirth erfolgten Aufnahme habe er als Kutscher bei verschiedenen Herrschaften in Diensten gestanden.

In dem später gepflogenen articulirten Verhöre wollte er bei seinen Herrschaften zu deren Zufriedenheit gedient haben; allein die Vernehmung derselben ergab in der Hauptsache ein ganz anderes Resultat. So zieh ihn die eine einer Veruntreuung, die andere der Neigung zu Excessen; er sollte das Spiel und den Trunk lieben, war auch mehrmals betrunken in das Sterbenk'sche Haus gekommen und wußte durch solche zur Sprache gekommene Thatsachen seinen Angaben: »er habe sich nie Etwas zu Schulden kommen lassen, was ihn schlecht beleumundet hinstellen könne, und glaube jederzeit als ruhiger und ordentlicher Bürger gelebt zu haben«, wenig Glaubwürdigkeit zu verschaffen.

Bald nach seiner Niederlassung zu Nürnberg sei er zu dem Kaufmann Sterbenk als Auslaufer gekommen und nähre sich seitdem zwar spärlich, doch ehrlich und redlich, indem ihm seine Wirtschaft und seine Stelle als Auslaufer sein Fortkommen sicherten, zumal er einige Hundert Gulden Vermögen von seinem schon verstorbenen Vater besitze.

Den Flitterschläger Beutner wollte er erst seit drei Wochen kennen, wo dieser in sein Wirthshaus als Gast gekommen sei; auch habe er ihn einmal gebeten, ihm (dem Schönleben) eine Fuhre Holz vor dem Sterbenk'schen Hause abladen und in dasselbe tragen zu helfen, was Beutner auch mit der größten Bereitwilligkeit gethan. Auf einem vertrauten Fuße lebe er aber um deshalb nicht mit ihm, noch wisse er Unrechtes von ihm, und am wenigsten, daß er die Kasse im Sterbenk'schen Hause gestohlen habe. Auch sein Gewissen sei rein, er sei an dem betreffenden Diebstahl weder Urheber, noch Gehülfe, noch Begünstiger, und Gott werde auch seine Unschuld noch gewiß an das Tageslicht bringen. Die ihm einzeln vorgehaltenen Thatsachen stellte er entweder ganz in Abrede oder räumte sie nur bedingungsweise ein.

Kaum waren die Inquirenten nach Unterzeichnung des Protocolls aus dem Untersuchungsgefängniß auf das Rathhaus zurückgekehrt, als der Kaufmann Sterbenk dort eine neue Anzeige machte, die ein Verfahren hervorrief, von dem unser Berichterstatter aus den nürnberger Acten sagt: daß es, Gott sei gedankt! auf nur wenigen Blättern der Annalen der Criminalistik zu finden, ja, das vielleicht, außer dem Falle des »Marquis von Anglade«Siehe Neuer Pitaval, III, seines gleichen nicht gefunden, und in unfern Tagen auch nicht so leicht mehr finden könnte.

Ein Barbier, Namens Kirchmeier, ein unbescholtener Mann, nicht ohne Vermögen, verheirathet und Vater mehrer Kinder, hatte dem Kaufmann Sterbenk, jedoch unter dem Siegel der Verschwiegenheit seines Namens, schon früher anvertraut, daß er, wenn er sich nicht irre, am Morgen des 30. Juni gegen 8 Uhr bei dem Vergolder Mannert, der in ein und demselben Hause mit Schönleben wohnte, eine Kasse gesehen habe, welche der Beschreibung nach, die Sterbenk in das Intelligenzblatt von der gestohlenen mit Aussetzung einer Geldbelohnung von 100 Gulden einrücken lassen, mit derselben Ähnlichkeit habe. Kirchmeier habe sich ein oder zwei Tage darauf wieder bei Mannert eingefunden, die fragliche Kasse aber nicht mehr erblickt. Kirchmeier, vom Gericht berufen, bestätigte die Angabe.

Johann Schweikhard Mannert, Schutzverwandter zu Nürnberg, seines Gewerbes ein Staffirmaler und Vergolder, verheirathet, Vater zweier 10 und 15 Jahr alter Söhne und, soviel man von ihm wußte, in sehr bedrängten Umständen lebend, jedoch bis zu dem 10. Juli 1790 (wo Sterbenk die Anzeige machte) tadellosen Wandels, wurde sofort vernommen.

Er behauptete, nie eine Kasse oder eine ihr ähnliche Truhe in seinem Hause gehabt, vergoldet oder bemalt zu haben. Den Schönleben kenne er zwar, wisse auch, daß derselbe bei dem Kaufmann Sterbenk als Ausläufer in Diensten stehe, wollte aber mit seinen nähern Verhältnissen nicht bekannt sein. Auch die Ehefrau des Mannert und seine beiden Söhne wollten von einer Kasse, die in ihrer Wohnung gewesen, nicht das Mindeste wissen. Barbier Kirchmeier blieb nicht nur bei seiner Angabe, sondern ergänzte sie mit aller Bestimmtheit in der Confrontation mit dem Mannert, dessen Ehefrau und Söhnen dahin: daß er wirklich Mittwoch den 30. Juni Morgens nach 8 Uhr, wie er, den Vergolder zu rasiren, in dessen Wohnung gekommen, in der Stube und zwar, wie er in weitern Vernehmungen bestimmte: »nahe am Ofen unter einem Tischlein eine grün angestrichene Kasse, deren Deckel mit Blumen bemalt, das Schloß erhaben gearbeitet und mit vier durchbrochenen Eichenblättern figurirt gewesen, auf einem hölzernen grün angestrichenen Fuß gestanden, damals und dann nicht mehr gesehen habe. Er erinnere sich dessen noch ganz genau.«

Diese Aussage war so bestimmt, ward in spätern Vernehmungen so detaillirt wiederholt, so ganz und gar in ihrem innern Zusammenhange glaubwürdig, unterstützt von so manchen, auch den kleinsten Umständen, die ihre Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit zu erheben schienen; der Mann sprach so fest, so sicher, genoß des besten Leumundes, lebte mit Denen, auf welche seine Worte ein so furchtbares Gewitter heraufzogen, nicht in den mindest feindseligen Verhältnissen; kannte sie selbst als »treue und redliche« Menschen; war vermögend genug, um den unwürdigen Gedanken nicht aufsteigen zu lassen: nur die von Sterbenk versprochene Geldbelohnung bewege ihn zu der so schwer wiegenden Anzeige, welche überdies bereits acht Tage früher, als Sterbenk einen Preis aussetzte, vertraulich gemacht worden war; kurz, Alles vereinigte sich zu dem Schluß: Kirchmeier habe die Wahrheit gesprochen.

»Um sich eines Bessern zu besinnen«, wurden Mannert und seine Frau in Verhaft genommen; jenen traf das bedauernswerthe Loos, die finstern Räume des Lochgefängnisses beziehen zu müssen; diese theilte die Gesellschaft lüderlicher Dirnen in dem Weibereisenverhaft.

Zugleich wurde die genaueste Haussuchung in der Mannert'schen Wohnung verfügt, allein von einer Kasse oder Truhe wurde auch hier nichts gefunden. Dagegen entdeckte man an einem Brete eines halb verfallenen heimlichen Gemachs Spuren, aus welchen auf eine, scheinbar kurz vorher erfolgte gewaltsame Abtrennung desselben von den andern Bietern und eine Wiederbefestigung durch ungeschickte Hand geschlossen werden konnte. Dieses Secret stieß an ein in dem Hause, in welchem Mannert (und, wie schon bemerkt, auch Schönleben) wohnte, befindliches Railein (schmaler Durchgang). Hüben war das Gelaß des Vergolders, drüben das des Ausläufers; und eben auf dieser Seite befand sich das heimliche Gemach, von dem das losgerissene Bret so getrennt worden war, daß es nur von innen nach außen geschehen sein konnte. Die Fenster der Wohnung des Vergolders gingen auf das Railein zu und aus diesem, zu den Acten ziemlich unbehülflich gebrachten Befunde zog man die Vermuthung: die Kasse müsse von der Schönleben'schen Wohnung durch Ausbrechung eines Brets in das Railein geschafft und von da an Stricken in die Höhe durch die Fenster und in die Stube des Mannert gezogen worden sein.

So hatte man die Thäter erforscht, die Art der Ausführung des Verbrechens, die angewendeten Mittel, um es zu verbergen – und es fehlte nun für Viele nichts mehr, als das Geständniß der Angeschuldeten! Zwar war Alles nur Vermuthung, aber es konnte ja durch die Untersuchung, welche rasch vorwärts schritt, zur Gewißheit werden.

Mittlerweile war Schönleben der Specialinquisition unterworfen und zu dem articulirten Verhöre gezogen worden. Es blieb, wie das summarische, ohne Erfolg. Er behauptete nach wie vor: »an dem ihm zur Last gelegten Diebstahle unschuldig zu sein; von der Kasse seines gewesenen Principals nichts zu wissen, sie weder gestohlen zu haben, noch den Thäter zu kennen. Auch vermöge er auf Niemand zu schließen, wolle indessen nicht unterlassen zu bemerken, wie der Flitterschläger Beutner damals, als er ihm Holz bei Sterbenk habe abladen helfen, ihn, den Inquisiten, gefragt: wo die Schreibstube sei und ob denn die Leute im Sterbenk'schen Hause alle in den obern Stockwerken schliefen? was er dem Beutner bejaht habe. Davon, daß Beutner auf der obersten Stufe der Treppe stehen geblieben und scharf in das Comptoir geblickt habe, wisse er nichts.« Den Staffirmaler Mannert wollte Schönleben anfänglich nicht kennen; »auf adhibirte Schärfe aber (?)«, heißt es im Verhörprotocolle, »gestand er soviel ein, daß des Mannert 9 -10jähriger Knabe zuweilen Bier bei ihm geholt.« Von dem an seinem Secret vorgefundenen, abgetrennten Brete wollte er gleichfalls nichts wissen. So leugnete er jedes mehr oder minder ihn gravirende Indicium mit seltener Festigkeit und Bestimmtheit ab; namentlich auch den Umstand, daß er am Tage der Entdeckung des Diebstahls sich mit den Comptoiristen nach seiner Gewohnheit nicht unterhalten, sondern unmittelbar nach seinem Eintritt in die Schreibstube die Gewölbschlüssel, welche über der Kasse hingen, genommen und über das Verschwinden der letztern nicht gesprochen habe. Beachtungswerth war allerdings der Umstand, daß Schönleben, aufgefodert, die Kasse zu beschreiben, hierin mit dem Barbier Kirchmeier auf das genaueste übereinstimmte. Natürlich lieh dies der Angabe des Barbiers ein bedeutendes Gewicht mehr und damit auch dessen übrigen Aussagen. Hätte Kirchmeier die Kasse nicht gesehen, wie hätte er sie beschreiben können, und hätte er sie nicht aufmerksam betrachtet, wie wäre es ihm, der, wie er selbst angibt, noch niemals in das Sterbenk'sche Haus, geschweige denn in die Schreibstube gekommen war, möglich gewesen, die Kasse so genau, so umständlich und, wie der Auslaufer, der sie täglich vor Augen hatte und daher wußte, wie sie ausgesehen, selbst zugeben mußte, so getreu zu beschreiben, als es geschehen!

Der Flitterschläger Beutner wurde über die ihm von Schönleben in den Mund gelegte Äußerung bezüglich des Comptoirs vernommen. Er gestand sie zu mit dem Bemerken, daß er damals betrunken gewesen sei und nicht gewußt habe, was er spreche. An dem Verbrechen, wegen welches er nun schon solange sitze, sei er aber unschuldig und wisse nichts über den Thäter. Zum Beweise, daß er es nicht, ja selbst nicht als Gehülfe bei dem Diebstahl thätig gewesen sein konnte, berief er sich auf ein Alibi in der kritischen Nacht. Allein der Beweis ward nicht glücklich geführt und diente nur dazu, den Verdacht zu verstärken. Denn die Zeugen, auf welche er sich berief, bekundeten keineswegs, daß sie, wie Beutner behauptete, in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni bis Morgens 2 Uhr mit ihm gezecht und ihn nach Hause geführt; vielmehr sei es 11 Uhr Nachts gewesen, als das Zechgelage schon endete, und um diese Stunde hätten sie Beutner heim begleitet. Aber erst nach Mitternacht wurde, wie Beutner vermeinte und sich auch in der Folge wirklich herausstellte, der Diebstahl verübt; und wenn Beutner um 11 Uhr Nachts nach Hause kam, hatte er noch Zeit genug bis zum Tagesanbruch, sich wieder aus seinem Hause zu stehlen, den Gehülfen, der in das verbrecherische Vorhaben schon eingeweiht war, herbeizuholen, mit ihm nach dem nur eine kleine Viertelstunde entfernten Roßmarkt zu gehen, eine Hausthüre zu eröffnen, eine Schreibstube, deren Lage schon von ihm einige Tage vorher recognoscirt worden, durch Auslösung einer Fensterscheibe zu erbrechen, eine Kasse herauszunehmen, sie fortzutragen und durch die menschenleeren und öden Gassen, so schnell es ihm und dem Andern die Last gestattete, zu eilen und noch zu rechter Zeit mit seiner Beute sich in Sicherheit zu befinden.

Hatten nun Schönleben und Beutner einige Tage die ungetheilte Thätigkeit des Untersuchungsgerichts in Anspruch genommen, so wurde sie bald von diesen Inquisiten wieder ab- und auf die Mannert'sche Familie hingeleitet, um diese in den Angeklagestand zu versetzen und von ihr mit allen Mitteln, welche die »Carolina« erlaubte, ein Geständniß zu erlangen. Barbier Kirchmeier, von neuem vernommen, wiederholte, ergänzte und berichtigte seine frühern Aussagen in einigen Nebenpunkten, blieb aber bei seiner Angabe bezüglich der Kasse fortwährend stehen, indem selbige »vollkommen in Wahrheit gegründet und er erbötig, Fall Bedürfens, sie zu beschwören.« Die Peinliche Gerichtsordnung Karl's V. erfoderte nämlich die vorherige Eidesleistung der Zeugen nicht absolut, mit der Versicherung an Eidesstatt sich begnügend. Nur in äußerst wichtigen Fällen, und wenn beim Mangel eines Geständnisses auf die Zeugenaussagen das verurtheilende Erkenntniß gebaut werden mußte, erfolgte die nachträgliche Vereidigung. Erst als die Söhne des Vergolders wiederholt vernommen und, auf das ernstlichste zur Wahrheit vermahnt, von ihnen aber standhaft abgeleugnet wurde, eine der entwendeten ähnliche Kasse in ihres Vaters Wohnung damals oder überhaupt je gesehen zu haben, und die Vermuthung aufstellten, der Kirchmeier habe vielleicht ein, einen halben Fuß langes bemaltes Kästchen für die Kasse angenommen, das, mit Gipsmedaillons angefüllt, unter dem Tische, nicht aber hinter oder neben der Thüre gestanden; und als Rathsconsulent von Schmidt in einem Referate über den Stand der Untersuchung seine Überzeugung dahin aussprach: »daß diejenige Kasse, welche Kirchmeier bei Mannert gesehen, wenn man seine und des Schönleben's Aussagen zusammenhält, keine andere als die dem Kaufmann Sterbenk gestohlene gewesen sein könne« – so wurde durch »Rathsverlaß« vom 26. Juli 1790 die offerirte Eidesleistung von Kirchmeier angenommen. Mit diesem Beschluß ward zugleich auch der gefaßt, Mannert's Ehefrau in das Lochgefängniß zu setzen.

Kirchmeier, am folgenden Tage in das Schöffenamt gerufen, erklärte sich nochmals zu schwören bereit, »da er mit reinem, gutem Gewissen es thun könne«. Er wiederholte auf das bestimmteste, daß er die Kasse und zwar zwischen dem Ofen und dem an einer in die Kammer gehenden Thüre befindlichen Tische stehen gesehen. Man nahm die Sache sehr ernst. Er ward nochmals aufgefodert, seine Aussagen wohl zu bedenken und mit sich genau zu Rathe zu gehen: ob er von Allem vollkommen überzeugt, ob ihm sonst keine andere als die Sterbenk'sche Kasse bekannt sei? Er wurde aufmerksam gemacht auf die schweren Strafen des Meineids, vor demselben nachdrücklich verwarnt, es ward ihm die normirte Eidesformel langsam vorgelesen. Er blieb fest und ungeachtet die verzweifelnde Mannert'sche Familie vor seinen Füßen in Thränen gebadet lag; ungeachtet sie ihn bei Allem, was ihr und ihm heilig und theuer sei, beschwor, sich und sie nicht unglücklich zu machen; ungeachtet sich Mannert wie ein Wurm vor ihm krümmte und in den rührendsten Worten bat, ihn seinen Kindern, seiner Gattin zu erhalten, leistete Kirchmeier in feierlicher Stellung und vollkommener Ruhe den Eid ab. Er hatte die durch nichts zu erschütternde Überzeugung: er beschwöre, was er gesehen, und gesehen habe er sie, jene grün bemalte Kasse mit grünem Holzfuße, gesehen bei eben dem Manne, der nun vor ihm liege, stöhne und jammere; er könne nicht anders; er sei zu sicher, sich nicht getäuscht zu haben – auf seine Seele lade er keine Blutschuld!

Nun war's geschehen – der Schwur geleistet; Gott hatte ihn gehört; Gott wird ihn auch zu rächen wissen, wenn er falsch geschworen war. Wie man damals über diesen Fall dachte, sprach, sich für denselben interessirte, nicht nur in Nürnberg, im fränkischen Kreise, sondern in ganz Deutschland, namentlich als der so merkwürdig geschürzte Knoten eine ebenso merkwürdige Lösung erhielt, beweisen die vielen durch ihn hervorgerufenen Broschüren, bildlichen Darstellungen und Disputationen. Das Gericht sah in den Verhafteten, nach Kirchmeier's Eide, nichts als verstockte und verhärtete Bösewichte; mit den Gerichtspersonen sah auch das Volk nichts Anderes in den Unglücklichen, und wenn man erfährt, daß im Laufe der Untersuchung von Pöbelfaust sämmtliche Fenster der Schönleben'schen Wohnung zerschmettert wurden, lediglich aus Erbitterung über die »unerhörte« Bosheit der Inquisiten – wobei des Auslaufers jüngstes Kind in den Armen der Mutter durch einen Wurf getödtet wurde – so wird man schon aus diesem einzigen actenmäßigen Factum auf die damalige Stimmung gegen die Verhafteten zur Genüge schließen können.

Wie ein böser Dämon brachte Kirchmeier auch nach der Eidesleistung noch mehr oder minder Wiegendes in Betreff der Mannert'schen Familie zur richterlichen Kenntniß; Indicien, darauf gerichtet, den Inquirenten immer mehr in dem Glauben zu bestärken, daß nur Frechheit, Schamlosigkeit und die Hoffnung auf eine, wenn auch noch so ferne Befreiung die Lippen der Angeklagten verschließe. So gab er an: als er einige Tage, nachdem er die Kasse bei Mannert gesehen, zu demselben wieder gekommen, habe dieser ihm erzählt, wie man soeben die Frau des Schönleben unter großem Zulaufe des Volks auf das Schöffenamt geführt; sie und ihr Ehemann sollten die Diebe der Kasse des Sterbenk sein. Dabei habe Mannert die Frage aufgeworfen: »Was man den Leuten denn Gutes thäte, wenn sie unschuldig wären?« – Acht Tage später sei er wieder zu Mannert gekommen; hier habe ihm derselbe das Intelligenzblatt gezeigt, in welchem die Auffoderung des Damnificaten an das Publicum behufs der Ausmittelung des Diebes oder der Kasse stand. Dabei habe Mannert hingeworfen: »Wie Sterbenk nur vermeinen könne, daß der Diebstahl dadurch entdeckt werden würde, wenn geringe Leute Geld wechseln oder mehr als gewöhnlich bei sich merken ließen! Er erhalte zuweilen bedeutende Conti bezahlt und habe dann immer mehr Geld als gewöhnlich liegen; doch glaube er nicht, daß man deshalb einen Verdacht auf ihn werfen könne.«

Letzterer Umstand mußte allerdings von dem Inquirenten in nähere Würdigung gezogen werden und bildete auch in der Untersuchung ein Indicium, das gewichtig auf dem Angeschuldeten lastete. Findet doch schon die Peinliche Gerichtsordnung Art. XVIII in dem auf Jemand ruhenden Verdacht: »daß er nach der That mit seinen Ausgaben reichlicher erfunden werde, dann sunst außerhalb des Diebstahls seyn Vermögen sein kann«, und mit ihr fast sämmtliche moderne Strafrechtstheorien in dem plötzlichen und übermäßigen Aufwande einer sonst unvermöglichen Person und dem Ausgeben und bei sich Haben vielen Geldes ein besonderes Indicium.

Die Specialinquisition ward, nach Kirchmeier's Beeidung, sofort auch auf die Mannert'schen Ehegatten ausgedehnt und das articulirte Verhör vorgenommen. Es begann, da Mannert fortwährend leugnete und »hierdurch das richterliche Ansehen beleidigte«, wie es in einem der bei den Acten liegenden Referate heißt, »mit einigen tüchtigen Schlägen mit dem Ochsenziemer.« Dies Mittel, sein Gedächtniß zu schärfen, schlug aber nicht an. Auf die vorher entworfenen Fragstücke antwortete er, ohne das Mindeste der ihm zur Last gelegten Anschuldigungen einzuräumen, er wußte jedes ihm vorgehaltene Indicium zu entkräften, leugnete auf das beharrlichste und bestimmteste und hatte für jedes Fragstück, gleich Schönleben, ein: »er wisse es nicht und sei unschuldig« in Bereitschaft. Man schloß das Verhör, gab ihm 24 Stunden zum »weitern Nachdenken und Besinnen« und ließ ihn nach Ablauf dieser Henkersfrist wiederholt zum Verhöre bringen. Es heißt nun im Protocoll: »Wie der Vergolder anfangs in aller Güte und mit denen nachdrücklichsten Vorstellungen zu einem aufrichtigen Geständniß ermahnet worden. Da alles dieses aber nichts verfangen, bei der ersten ihm vorgelegten und hauptsächlichsten Frage zu wiederholten malen und nachdem ihm von Zeit zu Zeit Raum, sich zu erholen und zu besinnen, gegonnet worden, mit einer beträchtlichen Anzahl tüchtiger Ochsenziemerschläge beleget und ob er (Mannert) sich schon dabei äußerst empfindlich gezeigt, so war er doch zu keinem bejahenden Geständnuß geneigt gewesen; vielmehr hat er sich fortwährig auf seine Unschuld bezogen und behauptet, daß ihm nie eine Kasse zu Gesicht gekommen, und flehendlichst gebeten, sowol seines sonstig jederzeit ehrlichen Betragens als aller bei diesem Diebstahl wegen vorkommenden Umstände möglichste Erkundigung einzuziehen, wo sich gewiß noch seine Unschuld zu Tage legen werde!«

So lautet wörtlich ein berühmt gewordenes Aktenstück, noch aus dem Ende des vorigen, des philosophischen Jahrhunderts. Alle Bemerkungen darüber sind überflüssig. Wie oben erwähnt, warf Mannert einige Tage vor seiner Verhaftung gegen den Barbier Kirchmeier die von selbst sich rechtfertigende Frage auf: was man den Schönleben'schen Eheleuten, die man mit solch großem Aufsehen zu Arrest brachte, wol thun würde, wenn sie unschuldig wären?

Ahnte der Unselige schon, daß auch ihn ein Schicksal treffen werde, bei dem man fragen dürfte: welcher Ersatz wird aber für sein Leiden, wenn er unschuldig ist, ihm geboten werden können? Kein Vertheidiger trat auf, keine Stimme erhob sich für ihn; denn man konnte ihn ja nicht vertheidigen, man konnte ja nicht Fürsprache einlegen – er war ja schuldig, Kirchmeier hatte es beschworen vor Gott und Gericht, den feierlichen Eid abgelegt »mit reinem und gutem Gewissen«.

Unmittelbar nach Mannert's zweitem Verhöre wurde eine abermalige Haussuchung bei sämmtlichen Angeklagten vorgenommen. In der Wohnung des Vergolders und Schönleben's ward sogar der Brunnen ausgeschöpft; Alles vergebens; man fand nichts. Und so kamen die Acten wiederholt zur Abgabe rechtlichen Gutachtens an den schon erwähnten Rathsconsulenten von Schmidt. In dessen Relation wurde ein neues, übrigens damals nicht ungewöhnliches Wahrheitserforschungsmittel proponirt; die Angriffe auf den Verstand der Inquisiten waren fruchtlos geblieben; nun sollte ihr Herz bestochen werden; und was dem inquisitorischen Eifer des Untersuchungsgerichts nicht gelungen, sollte der rhetorischen Suada eines Geistlichen überlassen bleiben, da »Beispiele vorhanden sind, daß die verruchtesten Bösewichter, welche die schrecklichsten Martern mit unbegreiflicher Standhaftigkeit, ohne zu bekennen, ausgestanden haben, doch endlich durch die Beredsamkeit ihres Beichtigers zum Geständniß gebracht worden sind.«

Diesem Gutachten wurde auch Folge gegeben und die Beichtväter der Mannert'schen Familie, die Diakonen Schoner und Fuchs, wurden beauftragt: »durch zweckgemäßen geistlichen Zuspruch« zu versuchen, ob eines der Mannert'schen Familienglieder nicht zu einem »freimüthigen Geständniß zu bringen sein möchte«.

Man war auf den Erfolg ihrer Bemühungen sehr gespannt; Beide kannte man als ausgezeichnete Theologen und Rhetoriker; wenn auch sie durch das eisenumpanzerte Herz nicht zu dringen vermochten; wenn auch ihr Zuspruch, auch ihre Versuche an dem unerhörten Starrsinne der Inquisiten scheiterten – doch erwartete man dieses nicht, sondern war im voraus gewiß des ergebnißreichsten Resultats der Anstrengungen der Geistlichen – aber das nicht Erwartete, gar nicht Geahnte geschah dennoch!

Auch die Beredtsamkeit der Beichtväter war ohne allen Erfolg geblieben. In ihrem an die Untersuchungsbehörde erstatteten Berichte stimmen Beide darin überein: daß sowol die Söhne der Mannert'schen Eheleute, als diese selbst fortwährend auf das beharrlichste bei dem Refrain stehen blieben: »Sie wissen nichts von einer Kasse, die bei ihnen gestanden sein solle. Kirchmeier habe falsch geschworen und Gott werde ihre Unschuld schon noch an den Tag bringen.« »Und als«, bemerkt Diakonus Schöner in seinem Bericht weiter, »die Mannert'sche Ehefrau an das Gericht Gottes, das sie im Jenseits erwarte, durch ihn erinnert wurde, dem sie nimmer entrinnen könne, wenn es ihr auch gelänge, dem Arme des weltlichen Gerichts zu entgehen; als er ihr in erschütternden Worten, in den lebhaftesten Farben die Schrecken ewiger Verdammniß, die unbestechliche Gerechtigkeit Gottes, die furchtbare Gewalt seines höchsten Gerichts schilderte, unterbrach sie die Rede mit dem Ausrufe:«Auf dieses Gericht berufe ich mich!»« Schöner ermüdete noch nicht in seinen Versuchen; er machte sie aufmerksam: »auf die traurigen Folgen, im Falle das freimüthige Geständniß länger ausbliebe. Nicht genug, daß ihr Verhaft fortdauern müsse, sondern man werde die Untersuchung sammt den bereits bekannten und noch härtern Zwangsmitteln wiederholen, wodurch sie je länger je elendere Leute würden.« Aber die Unglückliche, vielleicht schon im Gefühle ihrer nicht mehr zu weit entfernten Todesstunde, erwiderte auf diese Worte des Beichtvaters lediglich: »Wenn wir auch todtgeschlagen werden, was ist's? Ich mag ohnedies nichts mehr von der Welt wissen und verlange nicht mehr in sie zurück!« – So begegnete sie allen Ermahnungen und Auffoderungen, die Wahrheit zu sagen, allen Einwürfen, die ihren Aussagen gemacht wurden, allen Hindeutungen auf göttliche und weltliche Strafgerichte mit der Betheuerung: sie sei unschuldig; ihre Kinder, ihr Gatte seien unschuldig und der Barbier habe nur deshalb falsch geschworen, weil ihr Mann ihm einige Jahre Rasierlohn schuldig geblieben sei und auch kein Neujahrsgeschenk gegeben habe!! Die Verblendete! Aus so unwichtigen Umständen, welche noch überdies von Kirchmeier widersprochen wurden und nirgends Bestätigung fanden, leitete sie in ihrer Verzweiflung die Motive zu einem Meineide ab! Der Bericht des Diakonus Schöner schließt übrigens mit Worten, die bisjetzt den Acten fremd gewesen, weil weder Zeugen noch Richter es wagten, sie nur zu denken und auszusprechen, noch weniger niederzuschreiben. Es waren Worte, die zum ersten mal Zweifel in Kirchmeier's eidlich erhärtete Aussagen setzten, die zum ersten mal die Schuldlosigkeit der Angeklagten wenigstens denkbar hinstellten. »Mir bebt das Herz«, heißen sie, »über die Verhärtung dieser Leute, die sonst kümmerlich, doch ehrlich lebten, wenn sie schuldig sind; aber auch über ihr Schicksal, wenn sie unschuldig wären, oder wenn sich Kirchmeier entweder geirrt hätte oder diesmal, wie andere Menschen, einer Herzensverführung fähig gewesen wäre.«

Bis jetzt hatte man mit einiger Wahrscheinlichkeit combinirt, auf welche Weise die Kasse aus der Wohnung des Schönleben in die des Mannert gebracht sein könne; allein um die schon so sehr verwickelte Sache noch verwickelter zu machen, den Faden, den man ohnehin schon so sorgfältig vor dem Reißen wahren mußte, noch in dünneres Spinnengewebe zu wandeln, erklärten nun Sachverständige: daß es außer dem Bereiche der Möglichkeit liege, eine Kasse auf oben geschilderte Weise in die Wohnung des Vergolders zu bringen; sie unterstützten ihre Behauptung mit technischen Gründen und bemerkten auch dabei, daß sie erfahren, wie das Losreißen und Wiederbefestigen des oben erwähnten Secretbrets durch einen frühern Bewohner der Schönleben'schen Wohnung, einen Pferdewärter, geschehen sei. Es wurde derselbe sogleich vernommen; er bestätigte es vollkommen. Man mußte auf den Grund seiner Erklärung eine bedeutende Inzicht gegen drei der Angeschuldeten fallen lassen; denn hatte Schönleben nicht jenes Bret ausgebrochen, war es nicht anzunehmen, daß die Kasse von seiner Wohnung in das Railein und von da zu Mannert hinaufgebracht werden konnte, so war eine wichtige Angriffswaffe aus der Hand des Inquirenten gewunden und dem Zweifel wiederholt Thür und Thor geöffnet.

Aber noch hielt man sich daran fest, daß die Mannert'sche Familie, wenn sie auch die Kasse nicht selbst an sich genommen, doch immer um ihre Entwendung wissen müsse. In dieser Richtung bewegt sich auch eine abermalige Relation, in welcher nun auch auf »körperliche Züchtigung der Mannert'schen Ehefrau angetragen wurde, und für den Fall, daß sie diese nicht erleiden könne, auf einsame Absperrung bei Wasser und Brot in der finstersten Keuche des Lochgefängnisses!« Sie müsse bekennen, sie müsse einsehen, daß Leugnen nichts helfe, und wer dem Worte des Beichtigers nicht Gehör gegeben, erfahre immerhin die volle Strenge des Gerichts! – Und hierbei proponirte man endlich, daß Damnificat Sterbenk seinen Schaden beschwören solle. Nachdem Monate zwischen seiner Anzeige und dem Heute lagen; nachdem Monate lang vier Menschen im Gefängniß geschmachtet: nun erst dachte man daran, eidlich erhärten zu lassen, was soviel des Unglücks und Jammers über drei Familien verhängt hatte. Und weshalb? Man hatte ja schon so Vieles gethan, schon so viele Indicien gegen die Verhafteten gesammelt, schon so viele Schläge ertheilen lassen – weshalb brauchte man noch zur endlichen Verurtheilung beschworene Aussagen? – Um nöthigenfalls auf Tortur erkennen zu können! Sie sollte das letzte, das äußerste, aber auch das sicherste Mittel sein, die Wahrheit zu erhalten. Denn daß die Folter im Stande sei, den hartnäckigsten Inquisiten mürbe zu machen, bewiesen ja so zahllose mit dem Staube niedergesunkener Jahrhunderte bedeckte Actenvolumina. So war noch in den meisten deutschen Ländern das damalige Verfahren im peinlichen Processe; so wurde mit Leben, Ehre und Freiheit des Menschen durch Gesetze gerechtfertigtes Frevelspiel getrieben, und auf die Richter konnte kein Stein geworfen werden. Authentische Interpretationen waren der »Carolina« nicht unterlegt; nur doctrinelle Auslegungen hatten, wenn auch nicht Gesetzeskraft, doch Anspruch auf Maßgabe im gegebenen Falle, und paßten sich, leider mit seltenen Ausnahmen! nur zu sehr dem Charakter der Zeiten an, in welchen, wie die Einleitung der Annotationen zum bairischen Strafgesetzbuch bemerkt: »wissenschaftliche Forschungen ihr wohlthätiges Licht über das Criminalrecht noch nicht verbreitet hatten und nur in vorherrschender Strenge das Mittel zur Erreichung des Zwecks guter Strafgesetze gesucht wurde.«

Auf die gedachte Relation war noch keine Verfügung getroffen worden, als mit einem mal wieder die ganze Last von den Schultern des Einen auf die des Andern sich überzuwälzen schien. Der Auslaufer Schönleben bat um ein Verhör. Er gab an, daß er sich zuverlässig erinnere, und Fall Bedürfens auch beschwören könne, daß er den Flitterschläger Beutner damals beim Holzmessen an der Schreibstubenthüre des Sterbenk'schen Hauses stehen gesehen habe, daß ihm dieser zugeredet, sich von seinem Principal für den Holzrest, welcher über das gekaufte Maß auf dem Wagen des Holzhauern lag, statt 48 Kreuzer, wie dieser verlangte, einen Gulden zahlen zu lassen, und endlich, daß Beutner, unmittelbar nachdem sie das Holz gemessen und zusammen das Haus verlassen hatten, gegen ihn geäußert habe: »Dein Alter hat einen rechten Stummel Geld droben herumgeworfen, wollen wir ihm einmal etwas davontragen!« was aber er (Schönleben) mit Indignation zurückgewiesen. Dieser Angabe fügte der Verhaftete noch bei, wie ihm vor drei Tagen geträumt habe: daß man die Kasse gefunden, Beutner solche gehabt und er sie selbst auf einem Boden hinter einem Holzstoß gesehen habe; »er hätte«, heißt es naiv, »sehr viele Freude hierüber empfunden und von hoher Obrigkeit sich Musikanten erbitten und damit aus seinem Arreste begeben wollen.«

Durch diese Depositionen wurde der Gang der Untersuchung wieder auf Beutner geleitet; die Mannerts gestanden nichts, Schönleben leugnete gleichfalls; vielleicht gelangte man bei dem Dritten zu dem gewünschten Ziele. Man sammelte die schon erhobenen Indicien gegen den Flitterschläger, folgerte wiederholt aus selbst gestellten Voraussetzungen und Schlüssen, nahm sogar den Traum für mehr als Spukgebilde der bis zum Äußersten exaltirten Einbildungskraft eines schon so viele Wochen in dumpfer Keuche gehaltenen Gefangenen und verfügte die dritte Haussuchung bei Beutner. Allein wo nichts gefunden werden konnte, wurde auch nichts gefunden, und unter den Dielen des Hausbodens fand sich wol Erde und Staub, aber kein Geld, keine Kasse. Dagegen räumte der Flitterschläger bei seinem Verhöre die ihm von Schönleben in den Mund gelegten Äußerungen ein, mit Ausnahme der, freilich am schwersten ihn gravirenden, nach welcher er dem Auslaufer zu erkennen gegeben habe, wie sie Beide »einmal von dem Stummel Geldes des Sterbenk etwas davontragen wollten.« Auch Schönleben gegenüber leugnete er ab, diesem je dergleichen gesagt zu haben; behauptete vielmehr, wie alle seine Unglücksgenossen, daß seine Unschuld noch an den Tag kommen müsse und auch zuversichtlich kommen werde. Und als ob ein Verdacht nach dem andern mit gleicher Schnelle entstanden, mit gleicher Schnelle verschwinden, als ob gar kein Licht mehr in diese Rabenfinsterniß fallen sollte, als ob der Fall ohnehin nicht genug verwickelt wäre, meldete am Tage nach Beutner's Verhöre ein Ahlenschmied, bei welchem einer jener Zeugen, auf deren Aussage der Flitterschläger das Alibi stellen zu können vergebens gehofft, arbeitete: daß ihm derselbe gestanden, wie er unwahre Angaben bei Gericht gemacht; er sei wirklich in der Nacht vom 29. auf den 30. nicht schon um 11 Uhr, sondern erst gegen 2 Uhr aus dem Wirthshaus zum Rädlein mit Beutner gegangen; nur Furcht vor Strafe wegen seines Zechens über die Polizeistunde habe ihn leugnen lassen. Und als man sie Alle wiederholt vernahm, die damals zum Alibibeweis dem Flitterschläger dienen sollten, änderten sie Alle emstimmig und auf das bestimmteste ihre frühern Aussagen dahin ab, daß Beutner wahrgesprochen; daß er bis 2 Uhr Nachts bei ihnen gewesen. Alle sie hatten nur aus Besorgniß, wegen polizeiwidrigen Zechens bestraft zu werden, anfangs die Wahrheit verschwiegen. Allerdings durfte man dem Gedanken Raum geben, daß nicht die frühern Aussagen, sondern die nunmehrigen unwahr seien, daß Beutner Mittel gefunden habe, auf irgend einem Wege die Zeugen für sich zu gewinnen, und daß der ganze Widerruf auf gegenseitiger Verabredung beruhe; allein die Zeugen blieben bei ihren zuletzt abgegebenen Aussagen bestehen und wiederholten sie mit der größten Klarheit und Bestimmtheit. Man wollte es nicht glauben, darum verfolgte man auch die unbedeutendsten, nichtigsten Anzeigen, bis sie in nichts zerflossen, untersuchte, was nur den geringsten Schein eines noch so matten Lichts bot – allein Alles vergebens! Was als stärkstes Indicium gegen Beutner dagestanden, nämlich seine vermuthete Anwesenheit an dem Orte und um die wahrscheinliche Zeit des Verbrechens, mußte man endlich zurückfallen lassen in die allgemeine, wie es schien, ewige Nacht, in welche dieser ganze Fall unantastbar sich zu hüllen schien.

In Beziehung auf die entwendete Kasse wurde endlich auch der Schlossermeister Hölzel, der für Sterbenk's Haus seit Jahren arbeitete, vernommen. Hölzel, welcher die fragliche Kasse erst vor drei Jahren reparirt hatte, was bisher auch unbekannt geblieben war, deponirte: daß diese, soviel er sich erinnere, 120 Pfund gewogen, grün angestrichen, mit weißen Blumen bemalt und das Schlüsselloch figurirt gewesen sei, und stimmte hierin mit der Beschreibung, welche Kirchmeier zu Protocoll gegeben und Schönleben bestätigt hatte, allerdings überein. Aber Hölzel fügte seiner Aussage Angaben von Thatsachen hinzu, die zwar nicht für den Augenblick, doch in der Folgezeit die größte Wichtigkeit gewannen: Am 30. Juni, also am Tage der Entdeckung des Diebstahls, habe ihm nämlich der Barbier Kirchmeier von dem Sterbenk'schen Kassendiebstahl mit dem Bemerken erzählt, daß er eine Kasse irgendwo stehen gesehen habe. Auf Befragen: wo und bei wem er sie gesehen, habe aber Kirchmeier keine genügende Antwort gegeben, jedoch 10 Tage darauf (?) ihm anvertraut, wie er die Kasse bei dem Vergolder Mannert am 30. Juni, dann aber nicht wieder gesehen. Und erst durch (Hölzel) sei hierauf der Barbier zur Mitteilung seiner Wahrnehmung an den Kaufmann Sterbenk veranlaßt worden. Dieses Alles wurde auch von Kirchmeier durchaus bestätigt: »Er wisse sich noch aller Umstände jenes Morgens zu erinnern«, führt er an, »und auch dessen noch, daß Mannert bei seinem unvermutheten Eintritt in das Zimmer etwas betreten gewesen, sich schnell vom Tische weggewendet, vielleicht in der Absicht, daß des Mannert's Ehefrau noch Zeit gewänne, ihn unter der Thür aufzuhalten und die Kasse zu verbergen. Und diese Kasse oder Truhe sei dieselbe gewesen, deren Existenz, und daß sie ihm bei Mannert zu Gesicht gekommen, er beschworen; ein Kästchen mit Medaillons habe er nie bei dem Vergolder wahrgenommen.

Mittlerweile war das chirurgische Parere über die Züchtigungsfähigkeit der Mannert zu den Acten gebracht worden, welches sich dahin aussprach: daß Inquisitin wol »einige Ruthenstreiche zu leiden vermöge«, und ohne Zweifel würde auch sie, gleich ihrem Gatten, die schimpflichste Behandlung haben erfahren müssen, wenn nicht die Natur das Gutachten der Wundärzte Lügen gestraft hätte. Am 28. September, nach mehr als dreimonatlicher Haft, machte der Tod ihrem Jammer ein Ende. Es hatte sich das fürchterlichste aller Leiden, das Miserere, bei ihr gezeigt, und unter entsetzlichen Schmerzen hauchte sie ihr trauriges Dasein aus.

Wir haben alle sentimental pathetische Betrachtungen, zu denen dieser Fall vielfach Anlaß gab, ferngehalten; hier müssen wir unserm Referenten aus den bestäubten Acten das Wort gönnen, das, vom Gefühl übermeistert, sich in einer Sprache Luft macht, die sonst nicht dahin gehört: Nicht das Auge des Gatten weinte ihr Trost, und nicht die Lippen der Kinder preßten sich auf den ersterbenden Mund! – Er, mit dem sie ihren Dornenpfad gegangen, schmachtete, wie sie, in Ketten, seufzte, wie sie, hinter finstern Mauern, und hatte nicht die Ahnung der letzten Stunde, die seinem geliebten Weibe nahte, Ihre Kinder waren fern unter Fremden und konnten der Mutter keine »gute Nacht« zurufen. Nur die eisigen Wände ihres düstern Gefängnisses starrten sie an; nur der Tropfen, der aus ihnen hervorsickerte, weinte ihrem Schicksale eine Thräne, und selbst den Winden war es nicht vergönnt, ihre letzten Grüße an Gatte und Kinder zu bestellen; denn das »Loch« war ja unterirdisch und hatte mit dem Lichte der Sonne, mit den Lüften des Himmels nichts gemein. An dem Sterbelager stand nur der Beichtiger, und seinem Berichte allein verdanken wir die Aufschlüsse über die letzten Lebensaugenblicke der Mannert. Er selbst rechnet seine drei letzten Besuche bei der Sterbenden »billig unter die bedenklichsten, schwersten und empfindlichsten« seiner damaligen 15jährigen Amtsführung. Der Inhalt seiner, wie er sie nennt, »ebenso liebreichen als ernstlichen Reden an sie« zielte auch jetzt noch einzig auf Erlangung eines Geständnisses, dem sie aber mit »ganz unerklärbarer Standhaftigkeit« nichts als Betheuerungen ihrer und der Ihrigen Unschuld in Äußerungen, wie die nachfolgende, entgegensetzte: »Wir sind so unschuldig als Gott; es kommt noch an den Tag; Sie werden es sehen.« Und als sie Diakonus Schöner zu dem immer naher herankommenden Tode vorzubereiten begann, wies sie seine Worte entschieden von sich, indem sie bemerkte: »Gott war bei mir und rief mir zu: ›Fürchte Dich nicht, ich bin bei Dir!‹ Ich gehe freudig zu ihm und gerade in den Himmel!« Der Beichtiger schied und bald darauf hatte die Unglückliche ausgelitten.

Als Verbrecherin war sie, nach Überzeugung der Mehrzahl, gestorben; als Verbrecherin ward sie begraben. In aller Stille trugen die in Nürnberg bestehenden, sogenannten Schauhausträger die Leiche hinaus und senkten sie in die Erde. Sie hatte gefunden, wonach sie so begehrte, die Ruhe, den Frieden!

Doch zurück zu den Lebenden; noch athmeten drei Opfer; noch war über ihr Schicksal nicht gesprochen; noch war Alles zu fürchten für sie und so wenig zu hoffen. Am Todestage der Mannert zeigte Consulent Faulwetter dem Untersuchungsgerichte einen Einbruch in seinem Gartenhause an. Wegen der isolirten Lage desselben bearbeitete er in der Regel hier seine amtlichen und von Parteien ihm übertragenen Geschäfte. Von den Fenstern dieses Gartenhauses waren nämlich am frühen Morgen zwei offen und der eine Thürflügel gewaltsam erbrochen, seltsamerweise aber fand man von den im Pavillon befindlichen Gegenständen nicht das Mindeste entwendet. Dagegen war in dem Bureau des Consulenten das Tintenfaß umgestürzt, alle auf dem Arbeitstische befindlichen Papiere durchwühlt, einige zerrissen, andere von ihrer Stelle, an welcher sie gelegen, weggerückt. Man brachte diesen Vorfall mit dem Sterbenk'schen Kassendiebstahl insofern in Verbindung, als Faulwetter mehre Referate in unserer Untersuchung bearbeitet, die Untersuchungsacten schon einige mal in seinem Bureau hatte, dieses bekannt geworden sein mußte und nur ein bis jetzt noch unentdeckt gebliebener Mitschuldiger der Inquisiten Interesse finden konnte, in ein Gartenhaus einzudringen, dort ein Tintenfaß umzustürzen, damit die beschriebenen Papiere unleserlich würden, diese selbst aber zu durchwühlen, und vielleicht Aktenstücke zu entwenden, an deren Beseitigung ihm oder seinen Verbrechensgefährten Vieles liegen konnte. Also noch ein Complice, vielleicht noch mehre, die, in Freiheit, der Anstrengungen des Gerichts spotteten und ihren verhafteten Mitschuldigen durch Hoffnung auf endliche Befreiuung den Mund verschlossen zu halten wußten. – Doch wo konnte er oder sie gefunden werden? Wo war die Stelle, an der wieder ein Faden anzuknüpfen und an ihm sich hinaufzuwinden war? Nichts als Irrlichter, nirgends Grund und Boden, überall trügerische See.

Selbst als die Sache sich zu klären begann, als sie endlich rein, wie Gottes Sonne, dalag, selbst da noch blieb das Motiv des Einbruchs im Faulwetter'schen Gartenhause ein Räthsel, dessen Lösung allenfalls in der, einige Zeit nach Beendigung unserer Untersuchung vorgefallenen Ermordung des Consulenten durch einen seiner Clienten, der ihn der Prävarication beschuldigte, zu finden sein dürfte.

So stiegen und sanken Verdacht um Verdacht; so wechselte Nacht um Nacht; so kämpfte Schuld mit Unschuld, Wahrheit mit Lüge! Ein Tag um den andern verging, und was der eine an Anzeigen gebaut, stürzte der folgende wieder zusammen; eine Woche um die andere, ein Monat um den andern zog dahin, und noch immer kein Licht, kein Stern in das Dunkel. Man wußte nicht mehr, woran man war, was man thun sollte. Man hatte Alles gethan, was man thun konnte; aber die Verstocktheit und Frechheit der Angeklagten lag außer dem Bereiche des Menschlichen. Hatte selbst der Tod nicht das Siegel zu lösen vermocht, wie sollte es das Leben? Nur ein Mittel gab es noch, das äußerste, das letzte; jetzt war es an der Zeit, es anzuwenden, die Tortur!

Noch war glücklicherweise der Beschluß nicht gefaßt, als eine neue Wendung im Processe eintrat. Es war am 30. October, gerade vier Wochen nach dem Begräbnißtage der Mannert, gerade vier Monate nach dem Beginn der Untersuchung.

Schon früher waren Gerüchte im Umlauf, die den Verdacht auf ganz andere Personen lenkten, Gerüchte, die sich immer lauter und lauter geltend machten. Aber man wollte sich durch das Verfolgen neuer, unsicherer Spuren von dem festgetretenen Wege nicht ablenken lassen; war doch das Ansehen des Gerichts, der ganzen Stadt Nürnberg, die diesen Weg als den richtigen erkannt, dabei im Spiele. Endlich aber hatte das Gerücht so an Stärke gewonnen, daß sich der Schöffe von Harsdorff bewogen fand, demselben näher auf den Grund zu gehen.

An dem genannten Tage ließ er den Schlossergesellen Wagner in seine eigene Wohnung rufen. Wagner machte folgende Angabe:

»Sonntag vor acht Tagen, den 17. October, habe ihm der Gewerbsladengeselle Georg Meier auf der Herberge erzählt: daß kurz zuvor, ehe er, Deponent, auf dieselbe gekommen, der bei dem Meister Berger in Arbeit bis vor einigen Tagen gestandene Geselle, gemeiniglich der Berliner genannt, über den Meister Gösser und dessen Gesellen Blösel sehr geschimpft und letzterm vorgehalten habe, wie die Leute ihn wegen des Sterbenk'schen Kassendiebstahls in Verdacht hätten. Blösel habe alle Schmähungen, Scheltworte und Vorwürfe des Berliners geduldig und schweigend hingenommen, und sei, wie wenn er stumm wäre, vor dem Beleidiger gesessen. Der von dem Berliner ausgesprochene Verdacht der Leute gründe sich übrigens darauf, daß sich Gösser und Blösel silberne Uhren angeschafft, sich vom Kopf bis zum Fuß neu gekleidet hätten und in weit günstigern Verhältnissen zu stehen schienen als früher.« Ferner deponirte Wagner: »daß am Montage nach jenem Sonntage der Meister Gösser auf die Herberge gekommen sei, um sich und seinen Gesellen wegen der über sie umgehenden Gerüchte dadurch rechtfertigen zu wollen, daß er angab, Geld von seinen Ältern aus Sachsen erhalten zu haben und mit diesem den früher an ihm nicht bemerkten Aufwand bestreite.«

Auch führte Wagner noch an: »daß ein dermalen zu Ansbach arbeitender Geselle vor ungefähr acht Wochen, als derselbe noch dahier in Arbeit gestanden, gegen ihn die Äußerung gemacht: der Blösel thut sich jetzt recht hervor; er hat einen neuen Rock beim Schneider, hat mich herrlich tractirt, mir bei S. Peter zwei Bouteillen Wein vorgesetzt, ist noch in der Stadt Ulm (einem Gasthause) mit mir gewesen und hat mich nirgends zahlen lassen.«

»Seit jenem Vorfalle auf der Herberge habe man auch bei dem Blösel die Uhr, die er sonst bei jeder Gelegenheit trug, nicht mehr wahrgenommen und wolle Deponent nur noch erwähnen, daß Blösel vormals in sehr dürftigen Umständen sich befunden habe und stets nur in einem Schalk (Jacke) auf die Herberge gekommen sei. Jetzt trete er anders auf. Er, Wagner, meine übrigens, gleich den sämmtlichen Gesellen des Handwerks, daß, wenn Blösel rein wäre, er sich die Vorwürfe des Berliners nicht hätte so gutwillig sollen gefallen lassen.«

Der Schöffe von Harsdorff zauderte wol anfänglich, aber er that seine Pflicht, und so das Gericht, wie sauer es demselben auch ward. Durch die gepflogenen Recherchen wurden die wichtigsten Resultate gewonnen; die ganze Untersuchung wendete sich, so schnell sie die bisjetzt Verhafteten umstrickt hatte, mit gleicher Schnelle wieder ab von denselben und bewegte sich in der neu angegebenen Richtung. Zwar schauderte man im Rückblick auf Das, was geschehen war, es wäre ja Alles umsonst geschehen, und mehr als das! Zwar rückte man nur langsam Schritt vor Schritt vor, wollte noch immer nicht, was nicht geschehen sein sollte, als geschehen sich denken; allein kein Aufenthalt half; die Bahn war gebrochen, sie mußte durchschritten werden.

Indessen wurde zuvor der Auslaufer Schönleben noch einmal einem Verhöre unterworfen, noch einmal wurden alle Mittel verschwendet, um Gewissen und Verstand des Inquisiten zu betäuben und zu erlangen, was immer mehr und mehr im Werthe stieg: ein Geständniß. Dies Geständniß rettete jetzt auch die Richter vor der Welt, vor ihrem Gewissen. Allein Schönleben gestand nichts, er konnte nichts gestehen: »man möge auch mit ihm anfangen, was man wolle.« Nun wagte man endlich, ihn zu befragen, ob er vielleicht Verdacht auf die Schlossermeister habe, die für das Haus seines Principals arbeiteten – schnell darauf: auf welchen und warum?

Und siehe da! Schönleben schoß plötzlich ein Licht auf. Er gab an, daß es dem Schlosser Gösser sehr hart ging, daß er von dem Sterbenk für drei Gulden Fensterbeschläge gekauft und nicht bezahlen können, daß er auch einmal das Hausthürschloß reparirt, daß Gösser ihn (den Inquisiten) kurz vor seiner Verhaftung auf der Straße angeredet und gefragt habe: ob er nicht bald wieder eine Kasse zu fertigen beauftragt würde? – Die Frage: wie es kam, daß erst jetzt alle diese Fragen von dem Inquirenten aufgeworfen wurden, liegt nahe; die Acten aber geben keine Antwort darauf.

Das Ungewitter zog nun über das Haupt des Schlosser Gösser und seines Gesellen. Wie bei den drei bisjetzt Angeschuldigten drängten sich in unglaublicher Schnelle und Zahl Indicien auf Indicien gegen die neu Verdächtigten, und darunter war keines der geringsten, daß der als sehr arm bis da bekannte Meister Gösser sich gerade jetzt einen Paß ausgebeten hatte »nach Dresden, um – seine Ältern zu besuchen.«

Keine 24 Stunden lagen zwischen der von dem Gesellen Wagner erstatteten Anzeige und der Verhaftung des Schlossermeisters Gösser, seines Weibes und des Gesellen Blösel. Doch war zuvor eine Haussuchung in der Wohnung der Erstern vorgenommen worden und hatte Thatsachen geliefert, welche abzuleugnen nicht mehr möglich war. Die zur Haft Gebrachten schienen dieses auch sogleich einzusehen. Man erhielt bei den neuen Verhafteten, was man bei den bisher Verfolgten durch alle Anstrengungen nicht zu erpressen vermocht, alsbald ein Geständniß, ein volles, reumüthiges, unumwundenes Geständniß des Thäters und seines Gehülfen!

Christian Gottlieb Gösser, 33 Jahre alt, zu Dresden geboren, woselbst sein Vater als Schuhmacher und Schutzbürger ansässig gewesen, jedoch zur Zeit, als der Sohn in Untersuchung gerieth, bereits verstorben war, hatte sich 1789 als Bürger und Schlossermeister zu Nürnberg niedergelassen, die Tochter der Getreidemesser Raab'schen Eheleute geheirathet, mit derselben zwei Kinder erzeugt und bisjetzt von dem Betriebe seines Gewerbs sich und seine Familie erhalten.

Dieser Betrieb war aber nicht so lebhaft, um sich und die Seinigen redlich zu ernähren. Dazu kam, daß es Gösser, als nicht aus Nürnberg gebürtig, erst nach vielen und ihm höchst schmerzhaft gefallenen Geldopfern gelingen konnte, das Bürger- und Meisterrecht in der freien Reichsstadt zu erhalten. Er trat den meisterlichen Betrieb seiner Profession mit Schulden an, hatte ein Haus damit schwer belastet, und war nicht der Mann, der durch eisernen und unermüdeten Fleiß seine Schulden zu tilgen und sich aus seiner bedrängten Lage durch Selbstgefühl und Selbstthätigkeit herauszureißen versuchen wollte.

Gösser war eine jener negativ guten Naturen, die nicht sündigen, weil sie nicht zu sündigen brauchen, die zwar anfangs den Gedanken an eine Übelthat mit Schaudern von sich weisen, bei seiner Rückkehr aber sich immer vertrauter mit ihm machen, seine Häßlichkeit ihm zu benehmen trachten, ihn endlich lieb gewinnen und die schmeichelnde Gelegenheit, die hinter dem Gedanken lüstern hervorguckt, begierig ergreifen, benützen und so, ehe sie nur vermeinten es werden zu können, Diebe, Räuber, Mörder geworden sind.

Gösser gab in seinem summarischen Verhöre an, daß er als Hausschlosser öfters in das Sterbenk'sche Haus gekommen und dabei wahrgenommen, wie leicht es ihm als Schlosser gelingen dürfte, das Schloß der Schreibstube zu öffnen. Oft mangelten ihm und den Seinigen die nothwendigsten Lebensbedürfnisse; seine Schwiegerältern konnten oder mochten ihn nicht unterstützen; der Geselle hatte schon wochenlang gearbeitet und keinen Lohn erhalten; er verzweifelte, daß ihm auf geradem, offenem Wege geholfen werden könne. Dort stand eine Kasse mit Geld, vielem Gelde gefüllt; nur die Hälfte, nur das Drittel desselben und ihm war geholfen! Darin lag das Eigenthum eines Mannes, der ihm, wie er selbst zugestand, schon viel, sehr viel zu verdienen gegeben hatte; aber der war reich und er in Noth. Die Kasse war verschlossen, in einem doppelt verschlossenen Raume, aber er war ein Schlosser. Dietrich, Sperrhaken, Nachschlüssel lachten ihn an und winkten ihm, er mochte sich drehen und wenden, wie er wollte.

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni um 2 Uhr gegen Morgen begab er sich an das Sterbenk'sche Haus, hob das Gesperre des Schlosses der, wie ihm deuchte, unverriegelt gewesenen Hausthüre mit einem aus seiner Werkstätte mitgebrachten meiselartigen Eisenstück in die Höhe (die angedeutete Vermuthung des Pensionärs im Sterbenk'schen Hause bezüglich des oberhalb der Thüre eingebohrt gefundenen Loches bestätigte sich also nicht), öffnete jene hierdurch, drückte sodann die Fensterscheibe des Comptoirs ein, schob den Riegel des Schlosses der Thüre zurück und befand sich in der Schreibstube. Vor ihm die Kasse, ringsum tiefe Stille und dichte Finsterniß; er versuchte die Truhe aufzusprengen. Es gelang ihm nicht; auch sie fortzutragen vermochte er ohne Beistand nicht. Da durchzuckt ihn der Gedanke an den Gesellen. Im Augenblick ist sein Entschluß gefaßt. Schnell huscht er wieder hinaus, aus der Schreibstube, aus dem Hause, lehnt dessen Thüre vorsichtig zu und eilt heim, um daselbst Den, den er zum Gehülfen sich auserkoren, aus dem Schlafe zu reißen.

Eine solche rasche Verführung gehört zu den Seltenheiten, aber nicht zum Unmöglichen. Er malt ihm in lockenden Zügen keck und schnell das Glück, den Reichthum und Genuß, der seiner wartet, wenn er sich zu einem kühnen Wagestück entschließt. Vielleicht kannte er schon den leichten Sinn des Gesellen; jedenfalls war er der Meister, der Herr, jener sein Untergebener. Der noch Schlaftrunkene hörte Sirenenstimmen aus dem Munde Dessen, auf den er sonst zu horchen verpflichtet war. Genug, wir erfahren hier nichts von Einwendungen und Kämpfen, er sprang aus dem Bette und folgte ihm.

Nur ein Mann, den sie für einen Nachtwächter hielten, begegnete ihnen auf ihrem athemlosen Wege, sonst keine lebende Seele. Noch war die Hausthüre, wie sie Gösser verlassen, noch stand die Schreibstube offen, die Kasse an ihrem alten Platze. Sie war jetzt aufgehoben und ward fortgeschleppt. Sie brachten sie glücklich bis in Gössel's nicht zu entfernte Wohnung, »Hierauf«, heißt es in dem Verhör, »sei die Kasse sogleich von ihnen Beiden eröffnet, das Geld, während seine Frau auf dem Markte gewesen (einige Stunden nach dem Diebstahl), getheilet worden und habe Jeder davon einen ScharmützelNach Adelung ein in Östreich, Baiern, Böhmen übliches Wort, um eine papierne Tüte zu bezeichnen. Die in Nürnberg gangbare Form lautete eigentlich: Schnaritzel), er, Inculpat, aber das Gold, das über 100 Gulden betragen haben mag und welches er vor einem Vierteljahre gegen Silbergeld verwechselt, zum voraus erhalten und es bis zur Theilung in einer Schupfe in einem alten Fasanenkorb, worin sonst alte Schlüsseln gewesen, verborgen gehalten. Wie viel der Geselle ihm für das Gold gegeben, wisse er eigentlich nicht, da er solches seiner Frau gegeben und an verschiedenen Orten schuldiges Eisen hiervon bezahlt habe. 800 – 900 Gulden seien auf seinen Antheil gekommen. Ganz genau könne er die Summe nicht bestimmen, da sowol er als der Geselle vorher, ehe sie solches miteinander gezählet, davon genommen. 700 Gulden mögen auf den Antheil des Gesellen gekommen sein, wovon dieser ihm (dem Meister) wiederum 100 Gulden behändiget, damit er ihn diesen Winter über behalten solle. Das Geld, so in einem Kästlein in dem zwei Stiegen hoch auf dem Sohler (Söller) befindlichen Behälter seie, gehöre dem Gesellen und habe seine Frau den Schlüssel zum Behälter und der Geselle jenen zum Kästlein. Die Kasse selbst hätten sie ein Vierteljahr in einem Loche unter der Esse in der Werkstätte verborgen gehalten und erst vor ungefähr drei Wochen von da herausgenommen, in kleine Stücke zerschlagen und in die Pegnitz geworfen, und habe er solche nicht verarbeiten können, weil die Anwesenheit seines nun wieder bei sich habenden Jungen ihn daran verhindert. Die bei der Haussuche vorgefundenen, ihm vorgezeigten Stücke seien aber nicht davon. Vier Tage nach geschehenem Diebstahle habe er solchen seiner Frau entdeckt, welche darüber so erschrocken, daß sie in Ohnmacht gefallen, auch ihn seit der Zeit tagtäglich ermahnet, das Geld zurückzustellen. Er habe dieses aber zur Bezahlung seiner Schulden, Anschaffung nöthiger Gerätschaften und Kleidungsstücke für sich und die Seinigen angewendet.«

Gösser führt alle mit dem gestohlenen Gelde getilgte Schuldposten auf, bezeichnet, was er gekauft, von versetzten Gegenständen eingelöst habe, und bemerkt, was nur schwer zu glauben ist, daß ihm an baarem Gelde rein nichts übrig geblieben sei. Übrigens habe ihn Niemand zur Begehung und Ausführung seines geständigen Verbrechens bewegen; er habe keinen andern Gehülfen als den Gesellen gehabt; er habe sich, außer mit demselben, mit Niemand, weder vor, noch bei, noch nach der That über sie besprochen und am wenigsten mit den Vergolder Mannert'schen Eheleuten, dem Auslaufer Schönleben und dem Flitterschläger Beutner. Diese alle seien unschuldig; er und sein Geselle allein der Thäter. Auch den Vorfall, den der Geselle Wagner angegeben hatte, gab er, insoweit derselbe ihn betraf, unbedingt zu mit dem Bemerken, daß er durch Blösel veranlaßt worden, sich und ihn auf der Herberge rechtfertigen zu wollen, indem ihm dieser seine Besorgniß über den von dem Berliner gemachten Vorwurf mittheilte.

Ehe Gösser arretirt und zur Haft gebracht worden, hatte er versucht, sich mit einem Rasirmesser den Hals abzuschneiden, sowie er im Gefängniß selbst die Adern zu öffnen und sich zu verbluten versuchte; beide Selbstmordsversuche scheiterten an der Wachsamkeit seiner Hüter. Über das Motiv befragt, gab er lediglich die »Beklemmung seines Herzens« an; vielleicht eine letzte Regung seines Ehrgefühls.

Außer dem zugestandenen Kassendiebstahl hatte Gösser, nach seinem Vorgeben, kein Verbrechen oder Vergehen sich zu Schulden kommen lassen. Zu seiner Vertheidigung konnte er nichts als eben seine große Dürftigkeit und die durch sie geborene Verzweiflung anführen.

So hatte man endlich eine vollständige Aufklärung über den räthselhaften Zusammenhang; an der Wahrhaftigkeit des Bekenntnisses war kein Grund zu zweifeln.

Auch die Ehefrau des Schlossers, Kunigunde Gösser, 33 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, von denen das jüngere damals erst 20 Wochen zählte und noch an ihrer Brust lag, stimmte im Allgemeinen und im Besondern mit dem von ihrem Mann abgelegten Geständniß überein. Da sie wegen Krankheit ihres Kindes und ihrer bösen Brust in jener Nacht abgesondert von ihrem Ehemanne schlief, wurde sie es auch nicht gewahr, als Gösser aufstand und sich aus dem Hause entfernte. Nur hinsichtlich des Tags, an welchem sie Kenntniß von dem Diebstahle erhalten, differirte sie mit der Angabe des Schlossers, indem sie behauptete, nicht vier Tage nach Verübung des Verbrechens, sondern schon zwei Tage hierauf habe sie von demselben erfahren. »Sie sei«, lautet hierüber das Protokoll, »Freitag aus dem Kindbett gegangen und habe bei St.-Laurenzen die Betstunde besucht. Gegen Abend sei die Naglerin Greinersdörferin gekommen, welche ihr Mann für abgeholte Nägel mit einem Thaler bezahlt, und als sie ihn befragt, woher selbiger das Geld genommen, habe er gesagt, daß er sich bei Herrn von Scheidlin sechs Gulden auf die Arbeit habe geben lassen. Sie habe hierauf ihr Befremden und daß er Alles ohne sie thue, zu erkennen, er ihr aber dagegen zu verstehen gegeben, daß, wenn sie eine ordentliche und weniger zanksüchtige Frau wäre, so wolle er ihr gern Alles sagen, was er thue. Er sei ihr sodann selbigen Abend immer aus dem Wege gegangen, von der Stube in die Werkstatt und von da wieder zurückgeeilt, habe beständig mit dem Gesellen geblieselt (leise gesprochen), und da sie ihm dann heftig angelegen, zu sagen, was dies zu bedeuten habe, sie beim Arm ergriffen, in die Kammer geführt, zuvor aber befragt, ob sie ihm auch verzeihen werde, nicht verzagt und nicht erschrocken sei und ihr dann die Sache entdeckt. Sie habe freilich geglaubt, sie müsse in den Erdboden sinken und habe ihm sogleich zu Gemüthe geführt, daß er sie und ihre Kinder nicht so unglücklich hätte machen sollen, worauf dann er sie damit beruhigt, daß es Niemand gesehen und die That verschwiegen bleiben würde.«

Sie bezeichnete aufs pünktlichste die von dem gestohlenen Gelde angekauften oder aus dem Versatze gelösten Gegenstände, woraus man entnehmen konnte, daß die Familie am Notwendigsten Mangel gelitten. Sie gab auch ganz richtig die Orte an, wo in ihrem Hause noch Geld verborgen lag, wußte mit vieler Sicherheit zu bestimmen, welches davon dem Gesellen, welches ihrem Mann noch gehöre, und versicherte, daß nur die Nahrungslosigkeit, seine Schuldenlast, verbunden mit Hang zum Spiele und Wirthshausbesuchen ihren Mann zum gemeinen Verbrecher hatten hinabsinken lassen. Sie habe oft genug zur wenigstens theilweisen Rückerstattung des entwendeten Geldes ihn bestimmen wollen, sei ihm oft genug hart angelegen, sich durch offenes Geständniß vor Gericht wieder mit Gott und den Menschen zu versöhnen, habe die Leiden der um seines Verbrechens willen unschuldig gefangenen Personen ihm oft genug geschildert, allein immer habe er sie zu beruhigen versucht mit dem schalen Trostspruche: »daß sich ja das Schicksal der seinetwegen Leidenden wol doch noch zu ihrem Vortheile entwickeln müsse«, und auch hiermit zu beruhigen gewußt.

Der Geselle, Magnus Melchior Blösel, 25 Jahr alt, der Sohn eines zu Nürnberg ansässigen und zur Zeit unserer Untersuchung noch lebenden Zimmergesellen, gestand zu gleicher Zeit und fast übeinstimmend mit dem Vorigen. Er suchte nur darin eine Verteidigung, daß er seinen Widerstand gegen die Verlockung hervorhob. Nämlich als Gösser in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni Morgens zwischen 2–3 Uhr ihn aus dem Schlafe gerüttelt und zugerufen, wie sie sich Beide »glücklich« machen wollten, habe er um das Wo und Wie gefragt. Als er, was es galt, erfahren, habe er den Meister mit den Worten: »Um Gottes willen! Meister, was wird da rauskommen! wir könnten Beide dadurch unglücklich werden!« von dem Diebstahle abzuhalten versucht.

Allein in den spätern Verhören ließ er die Festigkeit dieser Aussage ziemlich schwankend werden, und ist wenigstens durch den von Gösser aufgestellten Beruhigungssatz: »es kommt ja nicht raus« bald beschwichtigt worden.

Auch die Beihülfe zur Zerschlagung und Verschleppung der Kasse gestand er zu und bemerkte dabei, daß nur auf seine wiederholten Mahnungen der Meister seiner Frau von dem Diebstahl Kenntniß gegeben habe.

Bei der Theilung des Goldes, welche an dem Tage stattgefunden, an welchem die Gösser nach dem Wochenbette ihren ersten Kirchgang gethan, sei auf ihn eine Summe von 600–700 Gulden gekommen. Der Meister habe ihn aber nach wie vor bei jeder Gelegenheit übervortheilt. Was er besitze, sei von diesem Gelde erkauft, namentlich jene silberne Uhr, welche auf der Herberge den ihm vom »Berliner« gemachten Vorwurf veranlaßte. Auch er habe zu verschiedenen malen seinen Meister auf jene Unglücklichen, welche um seiner Schuld willen so lange im Kerker schmachteten, aufmerksam gemacht, dieser aber immer erwidert: man müsse sie ja doch wieder frei lassen und man bliebe dadurch verborgen. Den Vorfall in der Herberge räumte er mit derselben Freimüthigkeit ein, als er sämmtliche durch den Gesellen Wagner zur Anzeige gekommene Thatsachen bestätigte.

So lag es nun offen zu Tage, was durch lange Monate dem Rath und Gericht, ganz Nürnberg Kopfbrechen, schwere Tage, bange Nächte gemacht, und die Unglücklichen seufzten noch immer, unbewußt der günstigen Wendung ihres Geschicks, theils in dem »Loche«, theils in dem »Eisenverhafte!«

Bevor man Dem, Der am meisten gelitten, am meisten geduldet, dem Vergolder Mannert, seine Haft erleichterte, wurde nochmals Haussuchung bei Gösser vorgenommen. Man fand hierbei die Aussagen des Schlossers und seiner Complicen durchgehends bestätigt und in Summa über 200 Gulden an baarem Gelde, theils auf dem Hausboden, theils unter den Dachsparren versteckt. Auch Trümmer einer Eisenkasse, welche Sterbenk recognoscirte, wurden von Fischern in der Pegnitz aufgefunden, und der Eisenhändler Albrecht, an welchen Gösser einige Stücke verkauft haben wollte, bestätigte dieses.

Jetzt erst versetzte man den Vergolder und seine Leidensgefährten in mildern Verhaft, ließ es geschehen, daß ihnen Bequemlichkeiten gereicht wurden, und eröffnete ihnen allmälig, was außer ihrem Gefängniß vorgegangen.

Demnächst ward der Urheber des namenlosen Jammers der Mannert'schen Familie, Barbier Kirchmeier, am 4. November 1790 arretirt. Er war des falschen Zeugnisses und Meineides verdächtig – durch die Lage der Sache bezichtigt. Man stellte an ihn die Frage: ob er – nachdem ihm die Geständnisse verlesen waren – sich noch getraue, was er beschworen, zu behaupten?

Kirchmeier erklärte hierauf: »Daß er noch immer mit reinem und unverletztem Gewissen behaupten könne, daß er an jenem Morgen im Beisein der Mannert und deren jüngsten Sohnes unter dem Rasiren des Mannert eine dunkelgrün angestrichene Kassentruhe, deren Deckel mit einer weiß- und rothschattirten Tulipan am Rande der Kasse, sowie einer andern blauen, eine Aster vorstellenden Blume bemalt, das Schlüsselschild mit vier Laubblättern figurirt und die Form einer verkehrt stehenden Tulipan habend, die Blätter aber Weintraubenblättern gleichend, auf einem hölzernen dunkelgrün angestrichenen Fuße, welcher eine gelbe Einfassung gehabt, neben dem Ofen an der Thüre vor einem gelbangestrichenen Hängetischlein gesehen und erst beschriebenermaßen genau wahrgenommen habe. Unerklärlich sei es ihm und könne er sich nicht vorstellen, daß ihn Gott so habe sollen sinken lassen, da er niemalen an seinen Verstandeskräften einen Mangel verspürt, daß er bei dieser Gelegenheit durch seine Sinne getäuscht und betrogen worden sei.«

Vergebens hielt man ihm wiederholt die Bekenntnisse Gösser's und seiner Mitschuldigen vor; vergebens zeigte man ihm die in der Pegnitz aufgefundenen Kassetrümmern; vergebens eröffnete man ihm die Aussagen Derer, welche Gösser als die Käufer der nicht in den Fluß geworfenen Rudera des corpus delicti benannt hatte – Kirchmeier blieb bei obigen Angaben stehen und ob sie wirklich seine Überzeugung gewesen, ob sie nur Äußerungen der Klugheit in simulirter Sicherheit waren, ist nie vollständig entschieden worden.

Und eben hier liegt die Seite, welche unserm Falle das wichtigste Interesse verleiht – jenes wahre oder affectirte Festhalten an einem unerklärt gebliebenen Sinnentruge; dies gibt ihm eine so eigenthümliche Färbung, daß wir ihn als ein wol schwer wiederkehrendes Ereigniß in den Jahrbüchern der Criminalistik bezeichnen.

Kassendiebstähle mit Nachschlüsseln wiederholen sich allwöchentlich in großen Städten; seltener daß, wie hier, der Verdacht auf Unschuldige fällt und deren andauernde Verhaftung nach sich zieht; noch seltener kämpfen hierbei gravirende Indicien mit Entkräftungsanzeigen in dem Maße, wie bei vorliegender Untersuchung; doch am seltensten ist in einem Criminalprocesse die Erscheinung eines Zeugen, der Etwas gesehen zu haben aussagt, diese Aussage eidlich erhärtet und, nachdem ihm durch die evidentesten Thatsachen gezeigt ist, daß er entweder fahrlässig oder dolose falsch geschworen haben muß, doch bei seinen gemachten Depositionen stehen bleibt, und es nicht enthüllt werden kann, ob dieselben das Erzeugniß entsetzlicher, wohlüberlegter Bosheit waren, ob die Geburt eines unerhörten Leichtsinns, ob endlich Äußerungen eines momentan gestörten Seelenlebens. Letztere Vermuthung sucht man auch soviel als möglich zur Gewißheit zu erheben.

Das Folgende geben wir als die Annahme unsers Berichterstatters aus den Acten mit seinen Worten, ohne ein pro oder contra unsererseits beizufügen: »Der Organismus des psychischen Lebens ist unendlichen krankhaften Zuständen unterworfen, fast mehr als der des sichtbaren Leibes, und wenn der Träumende sich Gegenständen nahe gerückt sieht, von welchen ihn vielleicht Hunderte von Stunden und Meilen trennen; wenn er Gegenden in seinem Schlafleben erblickt, die er vielleicht nie gesehen, in seinem jetzigen Verhältnisse nie zu sehen hoffen kann, die aber gleichwol dereinst, vielleicht erst nach Jahren, sich ihm verkörpert so getreu, so bis auf den kleinsten Strauch, auf das einzige Wölkchen am tiefblauen Himmel seinem Traumgemälde gleichend, darstellen; wenn er Begebenheiten und Vorfälle träumt, die er erst nach manchem Jahre wirklich erlebt: wäre es dann unmöglich, daß die Einbildungskraft eines Mannes, wie unsers Barbiers, der überdies erst vor kurzem von einem Gallenfieber genesen war, durch die ihm auf jedem Schritt begegnenden Gerüchte von dem Diebstahle einer Kasse auf das höchste gespannt, sich ein Bild aus verschiedenen schon gesehenen Kassen mosaikartig zusammenwürfelt, seiner Schöpfung, gleich der Phantasie des unermüdlichen Kindes, sich kindisch erfreut und sich endlich so in sie hineindenkt, daß er die feste und durch nichts zu erschütternde Meinung gewinnt: so wie du dir sie gebildet, hat die gestohlene Kasse auch ausgesehen und muß so ausgesehen haben! ist es unmöglich, daß der Mann, der sich solch ein Bild zu schaffen gewußt, solche Meinung in sich zu tragen vermochte, es nicht immer vor sich schaute und diese in jenem nicht mehr und mehr befestigte?! – Da führt den Mann mit seiner kranken Phantasie das verhängnißvolle Geschick in die Wohnung des Vergolders. Noch war vielleicht sein Gemälde nur im Crayon; noch waren vielleicht die Formen nicht so lebendig hervorgetreten, wie sie sich späterhin geltend machten; noch mochte vielleicht ein wildes Chaos von Gedanken an die Kassen, die er bereits gesehen, und die, von welcher er schon am frühen Morgen hören mußte, daß sie gestohlen sei, in seinem von der erst uberstandenen Krankheit afficirten Gehirne kämpfen: so tritt er bei Mannert ein; es däucht ihm, als wollte man ihn von dem Eintritte zurückhalten; das ganze Benehmen der Leute ist ihm auffallend (weit eher hatte vielleicht diese das seinige frappirt), der Gedanke an die gestohlene Kasse verfolgt ihn wie ein neckendes Gespenst, das sich an seine Fersen knüpft und in seine Fußtapfen tritt; er läßt den Blick umherschweifen, überall sucht er, sein Kopf siedet; die Hand, die geübt das blitzende Schermesser führt, zittert; die Augen rollen ringsum, hüpfen, wie trügende Irrlichter, auf und nieder: wenn er die gestohlene Kasse entdeckte, wenn er den Dieb herausbrächte! – Da winkt mit einem mal Etwas, einer bemalten Eisenkasse gleichend, unter dem Tische in der Nähe der Kammerthüre hervor – ob es dergleichen gewesen, was es gewesen (in Nürnberg verbreitete sich damals die Sage, es sei eine in hellen Farben gedruckte über ein Kästlein hingeworfene Schürze der Mannert'schen Ehefrau gewesen) – der Herz und Nieren prüft, weiß es allein! – Der Barbier sieht es; es flirrt ihm vor den Augen, das ist es ja, was er haben wollte, das ist ja die Kasse, die er im Sinne gehabt; hier sie, dort der Dieb, ein zwar bis jetzt anscheinend ehrlicher Mann; aber – der Schein trügt nur zu oft – das Bild ist fertigUns schiene die Erklärung einfacher: daß der Barbier nicht auf die Suche nach einer so oder so aussehenden Kasse ausgegangen, sondern daß, als er von der gestohlenen erfuhr, ihm der Gedanke zu Kopfe stieg, daß er irgendwo eine derartige Kasse ja schon gesehen haben müsse. Indem er dann weiter nachsann, verfiel er in das Grübeln und Phantasiren, welches der Verfasser schildert, und mit dem man am Ende Alles finden und sehen kann, was man will. Wer erinnert sich nicht, wenn er von einer merkwürdigen Erscheinung hört, daß ihm etwas Ähnliches einmal begegnet ist, und war es auch nichts weniger als das, die lebhafte Einbildungskraft hat endlich die Ähnlichkeit gefunden., ist hinausgetreten ins Leben, sich mit ihm vereinend, selbst Leben erhaltend und in grausenerregender Stärke seine Thätigkeitsäußerungen mit dem Ruin einer Familie beginnend! – Wie solch ein Bild in Kirchmeier's Seele entstehen konnte, wie es sich mit solcher Festigkeit in ihm zu halten vermochte – Das ist unaufgeklärt damals geblieben und ist es auch heute noch. Psychologische Hypothesen und Präsumtionen lassen immer noch Zweifel übrig.«

Es galt nun einen Beweis dafür herzustellen, daß Kirchmeier zwar falsch geschworen, aber nicht vorsätzlich einen Meineid geleistet. Behufs dessen wurde vorerst das Gutachten mehrer Rechtsverständigen eingeholt, welche sich in der Hauptsache, mit Ausnahme eines Einzigen, dahin vereinigten: daß der Barbier zwar nicht dolosen, doch culposen Meineids sich schuldig gemacht habe. Jeder vertheidigte seine Ansicht mit Gründen, die auch von dem Untersuchungsgericht anerkannt und unterstützt wurden. In Folge derselben wurde die Versetzung Kirchmeier's von dem provisorischen Arreste in das Criminalgefängniß verfügt, und nachdem der Schlosser Gösser und sein Geselle wiederholt versichert, daß nur sie allein den Diebstahl verübt hatten, auch an die endliche Befreiung Mannert's, Schönleben's und Beutner's gedacht. Nachdem sie die Urphede beschworen, entließ man sie am 5. November aus dem Gefängnisse.

Wir lassen unsern Referenten wieder selbst reden: »Mit welchen Gefühlen die Unglücksgenossen nach monatelanger Haft in dunkeln Kerkern die so lange entbehrte Freiheit in gierigen Zügen eingeathmet, mit welcher bittern Regung des Herzens sie die Menschen wieder begrüßt haben werden, deren »Kreuzige! Kreuzige!« selbst in die Einsamkeit des Gefängnisses hinabgeschallt war und die jetzt so kleinlaut und gepreßt ihnen ein »Willkomm!« zuriefen, mag man sich leichter denken, als es der Feder niederzuschreiben möglich ist. Mit welchen Gefühlen endlich der arme Mannert die vielleicht jetzt nicht mehr ganz ungeahnte Nachricht aufgenommen hat: dein Weib starb inzwischen und wurde begraben als Diebin, als Verbrecherin! Deine Haft hat dir dein Liebstes auf der Welt geraubt, du und deine Kinder stehen nun einsam und verlassen unter den Menschen, die dir gezeigt, wessen sie fähig sind! – vermögen uns die kalten, trockenen Worte der Acten: »Mannert legte hierüber freilich die äußerste Bestürzung und Bekümmerniß an den Tag«, diese Gefühle nur einigermaßen ihrem Gehalte entsprechend zu schildern?! – Doch zurück zu Kirchmeier, zurück zu Gösser, seinem Weibe, seinem Gesellen.«

In der angedeuteten Richtung bewegte sich das Verfahren gegen den Barbier Kirchmeier fort; man recherchirte nach seinem frühern Lebenswandel und erfuhr, daß er zwar ein geiziger, aber, wie meistens dergleichen Leute, ein consequent und nach Grundsätzen handelnder Mann sei; »er fand sich«, nach Bericht des Beichtigers, welcher damals vorzugsweise die vita ante acta eines Inquisiten zu constatiren hatte, »alljährig ordentlich bei Beichte und Abendmahl ein«, und war dem Berichterstatter nichts bekannt, »was ihn hindern sollte, ihm ein gutes Zeugniß über seine Denkungs- und Handlungsart zu ertheilen, wie er denn in Ansehung seines Lebenswandels ihm weder Unordentlichkeit noch irgend eine Ausschweifung nachsagen – wol gegenseitige Eingezogenheit, christordentliches Verhalten und fleißige und pünktliche Abwartung seines Berufs nachrühmen konnte«, dagegen als Grundzüge seines Charakters: »gesetztes Wesen, männlichen Ernst und ein eifriges Bestreben nach Ehre und einem guten Namen, Überlegung und, wie schon angezogen, eine »fast dem Geize nähernde Sparsamkeit« bezeichnete.«

Aus dem Berichte des Arztes, welcher Kirchmeier in dem erwähnten Fieber behandelt hatte, entnehmen wir ferner, »daß der Barbier atrabilarischen Temperaments, heftigen, widrigen und hartnäckigen Charakters sei, vermöge dessen er zu stärkern Einbildungen geneigter als andere Menschen« und bemerkt die Relation hierbei weiter, »daß das hitzige Gallenfieber, an welchem der Kirchmeier daniedergelegen, »auch bei andern Personen ihren Verstand oder ihre Beurtheilungskraft geschwächt; je mehr nun diese geschwächt wird, desto stärker pflegt die Einbildungskraft zuzunehmen. Er hat sich also ein solches Ideal bilden können, daß er, ohne eine böse Absicht zu haben, vielleicht aus einem fanatischen Triebe zur Gerechtigkeit, ja nichts zu verhehlen, was sein Gewissen durch vermeintliches Schweigen beschweren oder die Erforschung des Diebstahls hätte erschweren können, hat glauben und vielleicht noch festiglich glaubt, hier oder da was gesehen zu haben, was er doch wirklich nicht hat sehen können.«« Auch das Untersuchungsgericht theilte die von dem Arzt ausgesprochene Ansicht. Das Gutachten von Medicinalcomites, wie solches heut in dergleichen Fällen eingeholt wird, ward damals nicht erfodert, und dem zufolge sollte nunmehr mit Einleitung der Specialinquisition gegen den Barbier wegen culposer Meineidsleistung vorgeschritten werden.

Dazwischen aber lief die fortgesetzte Untersuchung gegen Gösser und seine Mitschuldigen, immer in der Erwartung, daß sich dabei auch etwas über die Schuldbarkeit oder zur Exculpation des Barbiers ergeben werde. Nachdem wir über den Culminationspunkt des Interesses hinweg sind, wollen wir indessen unsere Leser nicht weiter mit allen Minutien und Weitläufigkeiten dieser Ährenlese ermüden, und geben nur die wenige Kerne enthaltenden aus dem Bericht unsers gewissenhaften Referenten.

Es ergab sich, daß Gösser mit schlauer Vorsicht das gestohlene Gut verwaltet und verwendet hatte. Allerdings bezahlte er nur seine Schulden damit, aber so stückweise, langsam, daß Niemand auf den Verdacht kommen konnte, er habe so viel flüssiges Geld, wie es der Fall war. – Sein Beichtvater gab ihm das Zeugniß, daß, was er von ihm erfahren, ihm mehr zur Ehre, als zur Schande gereiche. Er habe sich stets als ein vernünftiger Mann und guter Christ gezeigt. – Noch besser lautet das der Ehefrau des Verbrechers ertheilte Zeugniß: sie sei von natürlicher Herzensgüte, Aufrichtigkeit, und in religiöser Beziehung von weit ausgebildeten Begriffen echten und wahren Christenthums, verbunden mit rührender Liebe zu den Ihrigen, namentlich ihrem Ehemann, was allein sie auch nur zur »Genossin seines Verbrechens« gemacht. – Desgleichen war ihm der Geselle Blösel als ein fleißiger und treuer Arbeiter bekannt, der die Wirthshäuser nur selten besuchte und sich auch sonst eines unbescholtenen Leumunds erfreut habe.

Eine für jene Zeiten sehr wichtige und umständlich uns mitgetheilte Episode des Processes übergehen wir ganz – die Bitte Kirchmeier's, sich einen Rechtsbeistand nehmen und erwählen zu dürfen, eine Bitte, von seinen Verwandten aufs eifrigste unterstützt, die ihm auch endlich, nach ernsthaften Beratungen, gewährt wurde. Dagegen entheben wir aus einem Schreiben desselben an seinen Rechtsconsulenten einige Anführungen, welche das von Kirchmeier's Beichtvater demselben gestellte Zeugniß, daß er kein alltäglicher gemeiner Denker gewesen, bestätigen sollen. Der Barbier scheint noch immer seine Vertheidigung darin zu suchen, daß er die Selbstanklage des Schlossers als unrichtig anzweifelt. So stellt er unter andern Anträgen den: »die Sterbenk'sche Hausthüre zu visitiren, ob man auch Merkmale eines eingebrachten Eisens wahrnehme und probiren zu lassen, ob nach Aussage des Schlossers eine zugemachte Thüre, sowie geschehen, aufzumachen möglich sei oder nicht.«

Mittlerweile war gegen den Schlosser Gösser und Genossen die Specialuntersuchung geschlossen. In 352 Antworten wiederholte und berichtigte Gösser in einzelnen Punkten die vorgängige Geschichtserzählung. Er gestand auch eine vor vielen Jahren noch als Geselle verübte Drahtentwendung, sonst aber kein Verbrechen, ein, und bemerkte wiederholt, daß, wenn die Hausthüre bei Sterbenk verriegelt und zwar vollkommen verriegelt gewesen, es ihm weit schwerer geworden wäre, sie auf die Weise zu öffnen. Die von seinem Gesellen aufgestellte Behauptung, er habe den Meister mit den Worten: »Um Gottes willen u.s.w.« von der Verübung des Diebstahls abzuhalten versucht, bestritt er auf das festeste und räumte nur ein, daß Blösel gesagt habe, welch gefährliches Vorhaben das sei; worauf er sich mit ihm dahin verstanden, bei allenfallsiger Überraschung davonlaufen zu wollen, was auch gewiß geschehen wäre, »wenn nur ein Hund gebellt hätte«. Aber sie wurden nicht überrascht; es bellte kein Hund; also mußte das Verbrechen verübt werden. Die Farbe der gestohlenen Kasse konnte er, »auch wenn es ihm das Leben gelten würde«, nicht mehr beschreiben, doch erinnerte er sich, daß auf ihrem Deckel in den Feldern sich »Blumen von verschienen Farben, Tulipanen oder Rosen ähnlich, so wie man fast alle dergleichen Kassen bemale, befunden. Wie der Fuß angestrichen gewesen, könne er nicht sagen, weil er selbigen sogleich zerhaut und in das an der Gesellenkammer zwischen sein und seines Nachbars Haus befindliche Loch geworfen habe.« (Man fand auch wirklich am bezeichneten Orte einige Stücke eines Kassenfußes, grün angestrichen und gelb umrändert.) Die Frage, ob er vielleicht dem Barbier Kirchmeier Nachricht von der Beschaffenheit der Kasse habe zukommen lassen, verneinte er auf das bestimmteste und bemerkte, daß, wenn ja der Barbier dergleichen erfahren haben sollte, dieses vielleicht von dem Schlossermeister Hölzel geschehen sei. Das Gesammtresultat des Verhörs war eine mit den bisjetzt erhobenen Verhältnissen und Thatsachen durchaus übereinstimmende und bis in den unbedeutendsten Umstand zergliederte Darstellung des Verbrechens.

Auch Gösser hatte, soweit überhaupt, die Kasse gerade so geschildert wie Kirchmeier, und jetzt erst dachte man daran zu fragen, wer denn die Kasse bemalt habe, um auch von dieser Seite ihre Beschreibung einzuholen. Der Maler ward ermittelt, aber was er angab, war nicht mehr, als man schon wußte: »der Fuß sei grün angestrichen gewesen und der Deckel mit verschiedenen Blumen bemalt worden, welche er aber, nach 2½ Jahren, unmöglich noch bestimmt anzugeben wisse.«

Da Gösser den Schlosser Hölzel als Denjenigen bezeichnet hatte, durch welchen dem Kirchmeier vielleicht die Beschaffenheit der Kasse bekannt geworden, so wurde auch dieser abermals vernommen, wobei er aber lediglich seine frühern Aussagen wiederholte, endlich aber auf das gewisseste und bestimmteste erklärte, daß nicht er dem Barbier, sondern der Barbier ihm zuerst die Kasse beschrieben habe!

Gösser's Geselle, Blösel, wiederholte im Specialverhör sein unumwundenes, reumüthiges Bekenntniß, welches durch die übereinstimmenden Aussagen der Complicen und die anderweit erhobenen Umstände an Glaubwürdigkeit nur gewann.

Ebenso wenig ergab das Specialverhör der Ehefrau Gösser's ein weiteres Resultat. Nur betheuerte sie aufs heiligste: mit dem Barbier Kirchmeier, den sie gar nicht kenne, sei ihr Mann nicht bekannt, sei nirgends mit ihm, nach ihrem Wissen, beim Bier oder sonst wo, zusammengekommen, und wisse sie durchaus nicht, wie dieser Kirchmeier von dem Kassendiebstahl habe wissen können. Sie würde gern den Kassendiebstahl angezeigt haben, aber sie habe ihren Mann nicht »zu Schanden machen wollen«.

Ehe man zur Fällung des Urtheils gegen den Schlosser und seine Genossen schritt, wollte man mit dem schwierigern Falle, dem Urtheil über den Barbier Kirchmeier, aufs Reine kommen. Nach damaligem Herkommen waren mehre Gutachten von Rechtsverständigen über den Fall eingeholt worden, von denen aber immer das eine dem andern widersprach. Dieses nahm an, daß der Barbier vorsätzlich falsch geschworen, jenes, daß es nur aus Fahrlässigkeit geschehen. Eines foderte Bestrafung, ein anderes Freisprechung von der Instanz, ein drittes vollkommene Freisprechung, Durch »Rathsverlaß« vom 9. Februar 1791 wurde Kirchmeier wegen des »ihm überbürdeten« Verbrechens des Meineids von der Instanz losgesprochen und verfügt, daß derselbe »nach bezahlten Sitz-, Atzungs- und Inquisitionskosten« seines Verhafts zu entlassen sei. Dies erfolgte auch schon einige Tage darauf. Aber das Blatt hatte sich gewandt; dieselbe Volkswuth, welche vorhin die ersten Inquisiten verfolgt, wandte sich jetzt gegen den Barbier. Zu Nürnberg war seines Bleibens nicht mehr; was der Richter nicht verhängen konnte, übte eine Art Lynchgesetz. Überall zeigte man ihm Verachtung, stieß ihn und die Seinigen zurück. Alles Vertrauen zu ihm war hin, seine Praxis zerstört; Niemand wollte mehr mit dem leichtsinnigen oder gewissenlosen Mann zu schaffen haben. Umsonst legte er für die Kinder des durch ihn in so tiefes Unglück gestürzten Vergolders Mannert 300 Gulden als eine Art Schadenersatz nieder; die Volksstimmung ward dadurch nicht versöhnt, und er sah sich genöthigt, Haus und Gewerbe zu verkaufen und mit seiner Familie Nürnberg zu verlassen. Vermuthlich siedelte er sich zu Kulmbach, seinem Geburtsorte, an. Man hat nichts weiter, weder von ihm, noch etwas mehr erfahren, welcher Dämon ihn zu seiner falschen Angabe bewogen. Den Richtern blieb sein Proceß ein warnendes Beispiel, wie wenig auch der feierlich beschworenen Aussage eines Zeugen Glauben beizumessen ist, erscheint sie nicht durch anderweit constatirte Umstände unterstützt und im Zusammenhalte mit von ihr unabhängig dastehenden zur Evidenz erhobenen Thatsachen mit dem Stempel der Glaubwürdigkeit geprägt.

Wie angeführt, hatte Mannert für seine Kinder von dem unmittelbaren Urheber der über ihn verhängten Untersuchung 300 Gulden als Schmerzensgeld erhalten; neben diesen empfing er aber auch von allen Seiten Geld und Waaren zum Geschenk. Man suchte ihm wie seinen Unglücksgenossen Schönleben und Beutner auf alle nur mögliche Art vergessen zu machen, wie sehr man sie hatte fühlen lassen, daß sie »verstockte und unverschämte Lügner« seien. Man erließ dem Vergolder eine nicht unbedeutende Summe Schutzbürgergeld, welche er dem treffenden Amte vor seiner Verhaftung schuldig geworden, und stellte sogar dem Vergolder und Ausläufer eine Anstellung in städtischen Diensten, ihrem Stande und Kenntnissen gemäß, in Aussicht. Noch immer war aber kein völlig lossprechendes Erkenntniß ergangen; sie waren zwar frei, aber nur auf eine bloße Entlassungsverfügung. Endlich, am 8. April 1791, erfolgte der Urtheilsspruch, welcher auch die nach vielfältigem Debattiren und eingeholten Gutachten der bedeutendsten Rechtsverständigen Nürnbergs von dem versammelten Rathe geschöpfte Strafsentenz wider den Schlosser Gösser, seine Ehefrau und seinen Gesellen Blösel umfaßte und lautete:

In der Kassenentwendungssache wurde unter vorausgeschickter Dankeserstattung an die Herren Schöffen für gehabte Bemühung ertheilt:

1) Den Inquisiten Christian Gottlieb Gösser wegen begangenen nächtlichen, gewaltsamen, großen Diebstahls eine halbe Stunde auf dem Pranger zu stellen, hierauf in das Zuchthaus auf das empfindlichste mit Ruthen zu streichen und daselbst ad tempus indeterminatum wohlverwahrlich aufzubehalten.

2) Dessen diebischen Mitgehülfen Magnus Melchior Blösel zugleich mit dem Gösser in das Zuchthaus zu bringen, daselbst mit dem gewöhnlichen Willkomm und zwar außer demselben in conspectu omnium zu belegen und sodann in solchem zu detiniren.

3) Des Gösser's Eheweib, Namens Eunigunda Gösserin, nach geleisteter Urphed, auch bezahlter Inquisitions- und Atzungskosten (soviel selbige sie betreffen), ihres Arrests zu entlassen.

4) Die drei ab instantia bereits Absolvirten, namentlich Mannert, Schonleben und Beutner nun plenarie loszusprechen und solche für vollkommen unschuldig zu erklären.

5) Was die andern dabei vorkommenden Punkte in Absicht der Entschädigung des Kaufmann Sterbenk und Befriedigung der Creditoren betrifft, so ist mit Umgehen der von löblichen Schöffenamts wegen zu verfügen an Hand gegebenen Verkaufs der Gösser'schen Effecten (als welche nur von besagten Amtswegen zu taxiren und bis zur Ausfrage obsignirt zu lassen sind) im übrigen den ausgestellten Gutachten nachzugehen, vor allem aber ein Vergleich inter partes zu tentiren und erst, wann solcher nicht zu erreichen stünde, die Sache ad instantiam zu verweisen.

Gründe hatte dieses in Fassung eines Rathsverlasses an die Inquirenten abgegebene Erkenntniß nicht. Eine einfache Registratur zeigt den Vollzug der Strafsentenz zu den Acten an und aus derselben entnehmen wir, daß am 9. April, demnach 24 Stunden nach Schöpfung des Spruchs, die Ausstellung des Gösser am Pranger und seine Aushauung mit Ruthen durch die Hand des Scharfrichters bis in das Zuchthaus bereits geschehen war. Auch Blösel erlitt mit seinem Meister zugleich die ihm zuerkannte Strafe und zwei Tage nach seiner und Gösser's Einschaffung in den Strafort wurde die Ehefrau des Letztern entlassen. Deren Ältern (!) bezahlten noch 600 Gulden als Entschädigungsaversum an den Damnisicaten Sterbenk, nachdem ihm bereits die bei den Dieben vorgefundenen Gelder, in Summa 208 Gulden 55 Kreuzer ausgehändigt waren.

Bald nach ihrer Entlassung reichte die Ehefrau des Schlossers eine Klage auf Trennung ihrer Ehe ein und da der Züchtling Gösser nichts dagegen einzuwenden hatte, wurde die verlangte Scheidung ausgesprochen.

Da Gösser und sein Geselle im Zuchthaus sich gut aufgeführt, wurden sie auf inständigstes Bitten einige Jahre darauf aus dem Zuchthause entlassen, unter der schweren Verwarnung, sich je wieder auf dem Gebiete der freien Reichsstadt betreffen zu lassen. Gösser ging nach St. Petersburg, um daselbst sein Glück zu versuchen.


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