Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 22
Alexis / Hitzig

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Vorwort

Zu den Giftmischern, in dem Sinne, wie das Wort bisher von der Wissenschaft gebraucht ward, d. h. wo die geglückte That im Verbrecher eine Begierde erweckt, im Vernichtungswerke fortzufahren, bis der Drang zur Begierde und Leidenschaft wird, gehören der Friseur Dombrowsky und das Mädchen Hortense Lahousse so wenig, als Bernhard Hartung, den wir im vorigen Theil kennen gelernt haben, im strengen Sinne dafür angenommen werden mag. Es ist ermittelt, daß letzterer nur mit voller Besonnenheit zum Verbrechen schritt, wo er einen Vortheil aus der That erwartete. Aber in dem Umstande nähern beide Verbrecher, mit denen dieser Theil anfängt, sich dem Gattungsbegriff, daß das Entsetzen der angefangenen That, der Anblick der furchtbaren Leiden, die sie ihren Nächststehenden verursacht, keine Macht hatten, sie vor der Vollendung derselben zurückzuschrecken; daß vielmehr die beginnende Wirkung den dämonischen Kitzel in ihnen erweckte, in der Vergiftung fortzufahren, und sie mit noch größerer Kaltblütigkeit und Berechnung ihren Opfern neue Dosen beibrachten. Was aus Hortense Lahousse geworden wäre, wenn der Arm menschlicher Gerechtigkeit sie nicht so früh ergriffen, ob nicht die Anlage zu einer andern Helene Iegado in ihr spukte, bleibe der Phantasie und Urtheilskraft der Leser überlassen.

Nur für die Bernhard Härtung und Dombrowsky ist ein erschöpfendes Material, ja in einzelnen Theilen mehr als das, eine ausreichende Bearbeitung geliefert, die wir mit Dank für die gründlichen Vorarbeiter benutzt haben, wenn wir auch nicht in Allem und Jedem ihren Ansichten beitreten konnten. Was Gemeingut in den beiden Schriften war, d. h. die actenmäßigen Ermittelungen, entnahmen wir getreu daraus; auch aus Dem, was in das Gebiet des Raisonnements fällt, haben wir die Verfasser als competente Zeugen und Sachverständige mit ihren eigenen Worten reden lassen; wir finden uns indessen veranlaßt zu erklären, daß wir damit beide Schriften, des Ungenannten und des Herrn Dr. Crusius, weder erschöpft haben, noch erschöpfen wollten, da sie, je nach dem theologischen und philosophischen Standpunkte ihrer Verfasser, mit einem besondern Ziel im Auge abgefaßt sind, was außerhalb der Aufgabe unsers Werks liegt. Beide haben daher durch die Aufnahme ihres stofflichen Inhalts in unser größeres Sammelwerk weder ihre Bedeutung noch ihren Werth verloren. – Für den Dombrowsky'schen Proceß war die in Wolfenbüttel ohne Namen bei Holle erschienene Schrift, ein getreues Referat des Verfahrens vor den Geschworenen, unser Leitfaden.

Nach den Schrecken der Vergiftungsprocesse wenden wir uns zu mehr erheiternden Seiten der Criminalistik. Auch in dieser Beziehung bot die Gegenwart reichen Stoff in den Processen gegen die großen Betrüger und Wunderthäter, in ihrer Art nicht weniger merkwürdig und die Zeit charakteisirend, als die Giftmischergeschichten. Den Wunderdoctor Frosch, dessen Ruf aus Süddeutschland über Deutschlands Grenzen hinausdrang, geben wir nach der Bearbeitung eines Juristen aus Würtemberg. Bei den Processen von daher aus der Zeit vor 1848 geht Lebendiges und damit Charakteristisches und Belehrendes verloren, weil damals nur das Schlußverfahren vor die Oeffentlichkeit kam und wir die Proceßgeschichte nur nach der Färbung empfangen, welche der Staatsanwalt ihr in seinem Vortrage gegeben hat. Einen psychologischen Blick, wie es im Innern eines Mannes ausgesehen, der so Außerordentliches geschafft und so vielen Glauben gefunden hat, zu werfen, ist uns dabei nicht gestattet. Das Wundermädchen aus der Schifferstraße lebt noch mit vielen Einzelzügen in Aller Gedächtniß. Sonst folgten wir der kleinen, gleich nach der Verurtheilung erschienenen Schrift: »Das Wunderkind in der Schiffergasse.« Dank der vollständigen Oeffentlichkeit, welche dem Verfahren geworden, daß wir, wenn auch nicht ganz, doch weit tiefer in den innern Mechanismus dieser schlauen Betrügerin blicken konnten als bei dem Schäfer aus Schwaben, an dessen Wundergabe den Gläubigen noch immer zu glauben erlaubt ist, denn Anklageantrag und Erkenntniß haben ihn zwar in seiner Eigenschaft als Millionär und Käufer von Herrschaften, nicht aber als Wunderdoctor entlarvt. Als Adhibendum folgt das Miniaturbild Wilhelmine Krauß, eines der lustigsten Cabinetstückchen unter den dunkeln Gemälden der Criminalistik. Man kann es nicht glauben, daß Jemand Das geglaubt hat, im arabischen Märchen konnte man nicht ungeheuerlicher lügen, und doch ist der Glaube des Gläubigen die einzige Wahrheit in dem Bilde. Die Geschichte vom Schneider Tomascheck und dem begrabenen Plättbret ist durch die ganze gebildete Welt gelaufen. Die actenmäßigen Mittheilungen geben der Skizze indessen nicht mehr romantisches Fleisch und Blut. Weshalb wir den Fall aus der englischen Criminalistik: Die unsichtbare Mistreß Blythe, als Seitenstück aufnahmen, ist in der Erzählung selbst angeführt.

Der nürnberger Kassendiebstahl, einer der verwickelsten Criminalfälle, mit spannenden und überraschenden Katastrophen, der seiner Zeit in der betreffenden Juristenwelt und im deutschen Publikum ein großes und schmerzliches Interesse erregte, weil ein Justizmord androhte, wie nur der im Proceß Anglade, gräßlichen Angedenkens, rührt von demselben Verfasser her, von welchem im vorigen Theile der räthselhafte Tod der Kaufmannsfrau Behold erzählt ist.

W. Häring.


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