Alexis / Hitzig
Der neue Pitaval - Band 10
Alexis / Hitzig

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Peytel

1838

Der junge Notar Peytel, der sich vor Kurzem erst in Belley in Südfrankreich niedergelassen und verheirathet hatte, machte mit seiner Gattin gegen Ende October 1838 eine Vergnügungsreise nach Mâcon. Sie fuhren in eigenem Wagen, nur von einem Diener, Louis Rey, begleitet.

Um Mitternacht am 1. November wurden mehre Einwohner von Belley durch Lärm, Pochen und Geschrei erweckt. Peytel war zurückgekommen, er war es, der überall heftig anpochte, schrie, den ganzen Ort in Allarm zu bringen suchte und alle Symptome der entsetzlichsten, physischen und moralischen Aufregung verrieth. Er schrie, alle Aerzte der Stadt sollten ihm zu Hülfe kommen, ehe er noch den Grund gesagt, weshalb er ihre Hülfe ansprach, und man konnte noch an einen plötzlichen Wahnsinn des immer heftigen, leicht aufregbaren Mannes denken, als er endlich in abgebrochenen Worten das Unglück mittheilte, welches ihn in diesen Zustand versetzt habe.

Seine Gattin liege hingestreckt, sterbend in seinem Wagen. Auf der Straße nach Lyon habe sein schändlicher Diener sie durch einen Schuß ermordet; er, in der ersten Wuth, habe den Mord durch Mord auf der Stelle vergolten. Auch Louis Rey liege nun blutend am Wege.

Man stürzte aus den Häusern, der Wagen stand auf der Straße. Man fand, wie Peytel es ausgesagt. Die junge Frau lag in dem Fuhrwerk ohne Lebenszeichen. Ihr ganzer Körper träufte, als wenn man sie ins Wasser getaucht hätte. Das Gesicht blutete wie von einer schweren Wunde. Ihre Röcke waren bis über das Knie aufgestreift, sodaß Beine und Füße, trotz der kalten und regnerischen Witterung, ganz entblößt lagen.

Ein Arzt, der sie untersuchte, erklärte, daß hier jede Hülfe zu spät komme. Sie sei todt und erstarrt. Den Körper des Dieners fand man später auf der Straße in seinem Blute schwimmend. Auch er war todt.

Den Bericht, welchen Peytel, nachdem er einigermaßen zur Besinnung gekommen war, vor den Behörden abstattete, genügte denselben wenig und erregte sehr bald einen Verdacht gegen ihn selbst. Mit Uebergehung dieser seiner ersten Aussage über den Vorfall, stellen wir sogleich diejenige her, welche er später vollständig vor Gericht ablegte.

Auf der Rückkehr von seiner Vergnügungsreise verließ er am 31.Oct. Mâcon, etwa um 11 Uhr Morgens. In Bourg kam er um fünf Uhr Abends an, und fuhr um sieben weiter, um die Nacht durchzufahren. Die Reisenden passirten Roussillon. Mann und Frau saßen im Wagen, der Diener vor ihnen, der die Pferde lenkte. Die Wolken standen drohend am Himmel; der Regen fing schon an zu tröpfeln.

Die Scenerie des Weges ist nicht ohne Bedeutung; wir schicken sie deshalb nach der Beschreibung des Schriftstellers Balzac, des spätern Vertheidigers des Angeklagten, hier voraus.

Von der kleinen Stadt Ambêrieux aus, südostlich von dem Fluß Ain, beginnt die große Alpennatur, durch die sich die Straße von Bourg nach Belley, an der savoyischen Grenze, schlängelt. Sie steigt von jenem Orte aus allmälig über einen langen Bergrücken, der den Ingenieuren wie von selbst zur Führung einer Straße hingestreckt scheint. Sie führt an einem kleinen See vorüber mit grünblauem Krystallwasser wie die meisten Alpenseen, mit hohen jähen Felsufern, ohne Geländer und Brüstung, die, wie Balzac meint, von selbst zu einem Verbrechen einladen. Die Berge bilden hier einen weiten, schauerlichen Kessel.

Aber, nicht hier ward der Mord verübt, sondern erst einige Flintenschüsse vor dem Ziel der Reise, vor dem Städtchen Belley.

Nachdem sie ungefähr 500 Schritte die Brücken von Auderet, über den Fluß Furens, hinter sich hatten – so Peytel's Angabe – und den minder steilen Theil des Berges Darde zurückgelegt, rief Peytel seinem Diener, welcher munter darauf losfuhr, zu: nun möge er heruntersteigen und bis zur Höhe des Berges zu Fuß nebenher gehen.

Gerade in dem Augenblicke blies der Wind sehr heftig und ein starker Regen ergoß sich. Peytel hatte sich in den Winkel des Wagens, zur rechten Seite, gedrückt. Seine Frau hatte sich dicht an ihn geschmiegt und schlief, ihren Kopf auf seine linke Schulter lehnend.

Plötzlich hörte Peytel den Knall eines Feuergewehres; auch das Aufblitzen des Pulvers hatte er, einige Schritte von sich entfernt, bemerkt. Zu gleicher Zeit hatte seine Frau aufgeschrieen: »Ach mein armer Mann, nimm deine Pistolen!«

Im selben Augenblicke wurde das Pferd unruhig und trabte fort. Peytel sah eine Gestalt nebenher auf dem Wege laufen. Er hatte sein Pistol ergriffen und auf die Gestalt aus dem Wagen gefeuert. Noch wußte er es nicht, noch hatte er keine klare Besinnung, aber die Ueberzeugung durchschauerte ihn, daß seine Frau getroffen sei. Es war ja Alles das Werk des Moments.

Da sprang er von der einen Seite aus dem Wagen, seine Frau stürzte sich von der andern Seite heraus. Peytel faßte wieder die Gestalt ins Auge. Es war sein Diener. Er schoß die zweite Pistole auf ihn ab, aber ebenso vergebens als die erste. Wüthend flog, stürzte er auf ihn los und versetzte ihm von hinten Schläge mit einem Hammer. Der Getroffene wandte sich jetzt um zur Gegenwehr, er erhob die Pistole, um auf seinen Herrn zu schießen; dieser aber, schneller als er, traf ihn so mit dem Hammer, daß der Mörder, ehe er noch die Pistole abschießen konnte, auf sein Gesicht zu Boden stürzte. Peytel verließ ihn, anscheinend ohne Leben.

Jetzt zu seiner Frau. – Er rief. Keine Antwort. Er lief nach allen Seiten hin, er fand sie nicht. Endlich stürzte er nach der Brücke von Auderet zurück. Dort entdeckte er sie.

Sie lag im Wasser, kalt, erstarrt ohne Lebenszeichen. Er zog sie mit Anstrengung aller Kräfte auf die Böschung des steilen Ufers. Er versuchte sie aufzurichten, auf den hohen Rand zu tragen; aber seine Kräfte versagten ihm. Er fiel selbst auf die Unglückliche, und hatte alle Mühe, sie nur wieder aus dem Wasser zu ziehen.

Da fiel ihm ein, daß in der Nähe ein Haus sei. Er stürzte hin, klopfte; es kostete Mühe, ehe er Jemand erweckte. Er mußte seinen Namen nennen, ehe man ihm öffnete, ehe man sich entschloß, ihm zu folgen, um zu helfen. Endlich ruft der Sohn den Vater, einen Schmied, und Beide folgen ihm an den Fluß. Er ist nicht mehr im Stande, hinunter zu steigen. Die Beiden finden den Körper und erklären ihm, es sei der Körper einer Todten. Peytel ist von dem Augenblick an außer Stande, selbst Hand anzulegen, etwas zu thun. Die Beiden tragen die Leiche herauf. Sie holen den Wagen mit dem durchgegangenen Pferde zurück, sie heben die Leiche hinein. Kaum reichen seine Kräfte aus, daß er selbst in den Wagen steigt, und neben dem Leichnam der theuern Gattin Platz nimmt. Doch ergreift er die Zügel und fährt langsam des Weges. Er erinnerte sich, noch etwas auf dem Wege liegen gesehen zu haben, was er für einen Stock hielt, aber es war die Peitsche seines Dieners. Bald darauf scheut sein Pferd. Eine andere Leiche lag im Wege. Im Ingrimm will er Wagen und Pferd darüber wegtreiben; aber die Andern lassen es nicht zu. So kam er in Belley an.


Die Erzählung Peytel's erregte, kaum daß sie aus seinem Munde war, einen großen Verdacht gegen ihn selbst. Schon die Art, wie er sie vortrug, seine Affecte, die an Affectirtheit grenzten und doch von innerer Kälte zeugten, die Declamationsweise, sprachen nicht für die Wahrheit. Die Unwahrscheinlichkeit der Erzählung grenzte an die Unmöglichkeit. Wie hätte der Diener Louis Rey eine solche That wagen dürfen, zwei Büchsenschüsse von der Stadt entfernt, auf der großen Straße? Er, ein Einzelner, die Frau seines Herrn erschießen, in Gegenwart ihres Ehegatten; er neben dem Wagen laufend, während Beide drinnen saßen? Wenn er die Mordabsicht gehegt, so würden sich ihm viel bessere, sicherere Gelegenheiten dargeboten haben. Und weshalb? Es fehlte auch nur die Spur eines Motivs. Es war keine Rache, es konnte kein Raubmord beabsichtigt sein. Peytel selbst wußte auch nichts anzugeben, als daß er mit Rey unzufrieden gewesen, daß derselbe ihn übervortheilt habe. Wenn er auch eine Entdeckung, Bestrafung, ein Fortjagen gefürchtet, so würde ein sonst tadelloser, ruhiger Mensch nicht um deswillen die Gattin seines Herrn umgebracht haben. Daß wilde Begierde in ihm gegen die junge Frau erwacht gewesen, daß eine umgekehrte Potiphargeschichte ihn in Raserei versetzt, ward von keiner Seite behauptet. Auch konnte er seinen Herrn dadurch nicht zu tief kränken wollen, da es bekannt war, daß dieser, obgleich erst seit kurzem verheirathet, mit seiner jungen, erst 21jahrigen Frau in einer keinesweges glücklichen Ehe lebte. Dieser Umstand führte ganz natürlich auf den Verdacht, daß Peytel selbst der Mörder sei, daß er sich ihrer entledigen wollte. Man wußte von vorangegangenen heftigen Scenen, auch daß Beide ihr Testament gemacht, und Jeder den Andern zum Erben eingesetzt hatte. Die Gemordete war im fünften Monat schwanger; dem Ehemann mochte die Aussicht auf eine Erbschaft lieber sein als auf einen Erben. Man traute ihm diese verbrecherische Neigung zu; von stolzem, auffahrendem, dünkelhaftem Wesen, war er nicht beliebt, als fremder Eindringling in diese Gegend sogar verhaßt. Er fand sich, trotz des entgegengesetzten Scheines, in drückenden Verhältnissen. Man erzählte sich von früheren Unterschleifen, die er begangen, daß er nur mit Mühe und Noth die Erlaubniß erhalten, als Notar zu praktiziren. Er war in der Meinung des Publicums ein Mann, zu dem man sich einer solchen That versehen konnte, und da bald noch mehre andere verdächtigende Indicien hinzukamen, mußte mit seiner Verhaftung verfahren und die Untersuchung gegen ihn eingeleitet werden, welche ihrer Zeit ein außerordentliches Aufsehen erregte und so viel Licht über die Sache brachte, daß die Geschworenen ihr Verdict ohne Gewissensbangigkeit abgeben konnten; wiewol das Räthselhafte dieses Criminalvorfalls dadurch nicht vollständig gelöst ist, und der mysteriöse Schleier, der darüber ruhen blieb, das Interesse für den Fall noch sehr gesteigert hat.


Zu Bourg, vor den Assisen de l'Ain, ward der Proceß am 26. August 1839 verhandelt.

Peytel's Persönlichkeit erregte, wie immer, die gespannteste Aufmerksamkeit. Er war klein. Seine schwarzen Haare, nach hinten zurückgestrichen, ließen eine große und hohe Stirn sehen; ein dicker Bart umgab als Ringkragen Kinn und Backen eines etwas von den Blattern gezeichneten Gesichtes. Seine Physiognomie, ohne besonders auffällig zu sein, hatte nichts Wildes, vielmehr einen Ausdruck von Pfiffigkeit und Sanftmuth. Er war blaß, sichtlich bewegt durch die Zurufe und Verwünschungen, die ihm auf seinem Wege zu Ohren gekommen waren. Aber er gewann allmälig seine Fassung und Ruhe wieder, sein Gesicht färbte sich und durch Kopfnicken grüßte er einige Bekannte, die er unter den Zuhörern bemerkte. Er erschien in einem eleganten ganz schwarzen Anzüge, wie es bei Angeschuldigten der höhern Stände in Frankreich zur Sitte geworden.

Die Anklageacte berührte nichts, was nicht schon erwähnt wäre oder durch die folgenden Zeugenaussagen zur Sprache kam.

Die Zeugnisse über sein bisheriges Leben, seine Verheirathung und die möglichen Motive beschäftigten zuerst das Gericht.

Peytel war 35 Jahre alt. Er hatte die Rechte studirt, einige Zeit in Paris gelebt, dann sich um einen Notariatsposten in Mâcon beworben. Die Kammer der dortigen Notare hatte ihn aber nicht zulassen wollen: wie der Angeschuldigte behauptete, weil er nicht die gehörigen Stadien vorher durchgemacht, indem er nur 15 Monate bei dem Notar Cornaton gearbeitet, und überdem weil er sich mit andern Arbeiten beschäftigt und besonders die Literatur ihn etwas von den Notariatsarbeiten abgeleitet gehabt. Die Vermuthung, daß man ihn zurückgewiesen, weil sich Zweifel hinsichts seiner Aufführung erhoben, wies er mit Entrüstung von sich. Es sei Verleumdung. Nie habe man ihm deshalb Vorwürfe gemacht, nie wenigstens, daß sie zu seinen Ohren gekommen. Wäre das der Fall gewesen, so würde er sich zu rechtfertigen gewußt haben.

Seine ermordete Gattin, Mademoiselle Felicia Alcazar, hatte er bei deren Schwager, einem Herrn von Montrichard, kennen gelernt. Er hatte schriftlich bei ihrer Mutter um ihre Hand angehalten, nachdem er im voraus mit ihrem Schwager sich darüber verständigt. Man hatte ihm vorgeworfen, daß er, um die Mutter zur Einwilligung zu bewegen, seine Vermögensumstände für besser angegeben, als sie waren. Er behauptete, er habe sie eher zu gering angegeben. Aber er hatte im Heirathscontracte angeführt, daß er seine Notariatsstube vollständig bezahlt habe, während er noch 18000 Francs schuldete. »Also eine Lüge!« – Peytel mußte hierauf schweigen.

Felicia Alcazar hatte einige Abneigung gegen die Heirath gezeigt. Am Hochzeitstage selbst sollte es zu heftigen Zwistigkeiten zwischen beiden Verlobten gekommen sein. Peytel konnte nichts darauf erwidern, als daß er sich der Sache nicht entsinne und es auch nicht glaube.

Aus der Vorinstruction – Zeugen scheinen vor Gericht darüber nicht weiter vernommen worden zu sein – ergaben sich noch vielerlei Andeutungen eines heftigen und oft wiederkehrenden Zerwürfnisses. Vor den Augen des Publicums erschien Peytel voller Rücksichten und Achtung gegen seine Frau; im Hause war er von einer außerordentlichen Heftigkeit gegen dieselbe und flößte ihr nur Schrecken ein. Seine Wuth, sein Aufbrausen war dann von einer Art, daß sie oft ihre Seele Gott empfahl.

In Peytel's Papieren hatte man merkwürdige schriftliche Declarationen der Verstorbenen gefunden, in denen sie ihm abbat. Es hatte den Anschein, als habe er zur Zeit, wo er noch, was ihn verdächtigte, vernichten oder bei Seite schaffen konnte, gerade diese Papiere absichtlich zurückgelassen, damit sie den Richtern in die Hände fielen. Er gab darüber die Auskunft: »Meine Frau führte sich schlecht auf. Ich machte ihr Vorwürfe, ich drohte ihr mit einer Erklärung; darauf schrieb sie freiwillig diese Erklärungen.« Man hielt ihm vor: das Unrecht, oder die Thorheiten, welche seine Frau begangen, wären gewiß nur leichter Art gewesen, wie sie denn darauf zu so feierlichen, förmlichen Erklärungen gekommen sei, als: »Ich bitte und flehe dich an noch ein letztes Mal ... Ich beschwöre dich bei der Asche meines Vaters ... Wenn ich mich gegen diesen feierlichen Schwur vergehe, so mögest du mich einsperren, wo es dir gefällt.« – Es sei ganz unglaublich, daß eine junge Ehefrau um geringfügiger Albernheiten und Ungezogenheiten willen zu einer solchen Sprache sich gezwungen fühlen dürfte. – Peytel wußte darauf nichts zu erwidern: er sei zu angegriffen, verwirrt, er könne sich jetzt nicht darüber erklären.

Ueber dieses seltsame Verhältniß werden wir durch die gerichtlichen Verhöre nicht besser unterrichtet. Der Vertheidiger Balzac gibt uns einige Winke. Er sagt: Felicia Alcazar fehlte alle Erziehung. Ihre Unordnung, ihr Ungehorsam, ihr Widerstand gegen alle seine Wünsche waren keine angenehme Mitgift für ihren Ehemann. Denke man, wie ein Mann von heftigem Temperamente, unfähig, seine Aufwallungen zu bemeistern, dessen Ehrgeiz war, sich in der ersten Gesellschaft des Landes, wo er eingebürgert, oben auf zu erhalten, sich zusammennehmen mußte, um seine Ungeduld und Entrüstung bei ihrem ungebührenden Benehmen zurückzuhalten, seine Vorwürfe zu unterdrücken und immer neue Vergehungen zu verzeihen, die bei einer jungen, erst seit wenigen Monaten verheiratheten Frau schwer genug sind! Schlecht erzogen, aber keineswegs blöde, doch verlegen bei ihrer Kurzsichtigkeit, immer gezügelt und, kaum losgelassen, wieder albern und vordreist, war ihre Leitung für ihn eine harte Aufgabe.

Schon zwei Monate nach ihrer Verheirathung hatte er seine Frau aufgefodert, ihr Testament zu machen, und zwar zu seinen Gunsten. Junge Eheleute pflegen, ehe sie Kinder haben, darin nicht so hastig zu sein. Er erwiderte, er habe selbst sein Testament gemacht, weil – er ein sehr unruhiges Pferd gehabt! Als seine Frau dies erfahren, habe sie auch das ihre machen wollen; er habe sie dazu nicht gedrängt, sie sei bei ihm ganz frei gewesen.

Noch weniger Auskunft gaben die Verhandlungen, wie sie uns vorliegen, über ein mögliches Motiv, welches Peytel's Diener zur Mordthat könnte bewogen haben. Er hatte Louis Rey erst im Juli desselben Jahres in seine Dienste genommen. »Meine Frau drängte mich sehr dazu, ihn zu nehmen,« heißt es, ohne daß auf diese Worte weiter Bedeutung gelegt wäre. Peytel konnte oder wollte nichts weiter anführen, als daß er sich über mehre Veruntreuungen desselben zu beklagen gehabt. Auf die Erwiderung des Präsidenten, daß die Instruction herausgestellt, wie Louis Rey ein durchaus rechtschaffener Bursch gewesen, sagte Peytel: »Aber ich hatte mich doch über ihn zu beklagen;« und er gab keine andern Vermuthungen an, als daß Rey ihn berauben wollen.

Ueber die Lustreise Ende Dctobers nach Mâcon wissen wir aus dem Obigen die Hauptumstände, wie Peytel selbst sie erzählt; Zeugen waren bei der Mordthat nicht zugegen. Diejenigen, welche über die Vorfälle nachher ein Zeugniß ablegen konnten, stimmten mit Peytel's Angaben überein. Es waren aber Zeugnisse über einige Nebenumstände, die ihn schwer verdächtigten.

Peytel war Abends um 5 Uhr in Bourg angekommen, aber erst um 7 Uhr weiter gefahren. Das war sehr spät für eine so rauhe Jahreszeit und bei einem beschwerlichen Gebirgswege. Peytel gab als Erklärung dafür: weil er zuerst der Absicht gewesen, in Bourg zu übernachten, dann aber habe er sich besonnen, daß den Tag darauf ein Festtag sei, wo er seine Geschäfte auf der Präfectur nicht besorgen könne; weshalb er sich entschlossen, die Nacht durch zu fahren. In Bourg hatte man ihn gesehen seine Pistolen laden? Es sei geschehen, eben weil er die Nacht durch fahren wollen. – Zu Roussillon sollte seine Frau sehr lebhaft gewünscht haben, daß sie dort übernachteten. Er bestritt es; gerade sie habe gedrungen, weiter zu reisen. Der Präsident versicherte, daß das Gegentheil durch die Vorinstruction erwiesen sei.

Nach jener Erzählung von der tragischen Katastrophe, die Peytel in abgerissenen Worten gegeben, schien er wie von einer furchtbaren Aufgabe erschöpft, und sank auf die Bank nieder.

Der Präsident faßte die Unwahrscheinlichkeit, ja materielle Unmöglichkeit, die in dieser Angabe enthalten seien, zusammen. Um Peytel zu berauben, habe der Diener den Mord begehen sollen! Aber er hätte nicht allein unklug, sondern mit einem unglücklichen Leichtsinn gehandelt. Denn er hatte nichts zur Flucht vorbereitet, er war ohne Geld, ohne Pässe, Papiere. Er hätte doch auch an den Fall denken müssen(?), wo ihm die That nicht gelang, und sich vorsehen, wie er dann mit heiler Haut davon komme. Selbst im Falle, daß ihm die That gelungen, wäre für den Rauber und Mörder wenig Erfolg abzusehen gewesen. Peytel führte sieben Geldsäcke mit sich; diese sind schwer; auf welche Weise, wohin hätte er sie fortschaffen sollen? Die Grenze war zwar nahe, aber stark besetzt; die Aufsicht im Savoyischen ist überall hin streng, besonders aber nach dem liberalen Frankreich zu. Er, ein einzelner Mann, mußte, um sein Verbrechen zu vollbringen, zwei Personen umbringen, und dazu hatte er, wie ermittelt worden, nur eine Pistole, nicht einmal zum Succurs einen Dolch, ein Messer. Eine Pistole, einmal abgeschossen, ist ein nutzloses Werkzeug. Auch das Ringen mit einem jungen und kräftigen Mann wäre ein thörichtes, verderbliches Unternehmen gewesen. Nach dem ersten Schuß sollte der Diener, nach Peytel's Aussage, die Flucht ergriffen haben; aber statt sich links oder rechts in die Wälder zu werfen, welche ihm einen sichern Zufluchtsort gestatteten, hielt er sich auf der breiten Straße, er läuft gerade vor ihm her, auf die Gefahr hin, einem Reisenden zu begegnen, der ihn anhalten kann. Noch unbegreiflicher erscheint es, daß Peytel den vor ihm Fliehenden allüberall eingeholt haben sollte. Louis Rey war jung, kräftig, schlank und hoch gewachsen. Wenn er schon einen Vorsprung hatte und Peytel mußte erst nach seinen Pistolen greifen, diese aufziehen, abschießen und dann vom Wagen herunterspringen, wie sollte er den jungen Menschen, welcher ohne Zweifel ebenso schnell als er lief, so erreichen, daß er ihn mit dem Hammer treffen konnte, und das in so geringer Entfernung von dem Orte des ersten Angriffs?

Peytel hatte auf alles Dieses nichts zu erwidern, als daß er leicht beweglich sei, gut laufen könne, und daß er glaube, sein Diener habe in einem seiner Beine ein, Hinderniß gehabt, er wisse nur nicht, in welchem. Wenn er, Peytel, nach dem ersten Schusse, der seine Gattin niedergestreckt, Zeit gehabt, seine Pistolen zu ergreifen, sie zu spannen und zu schießen, und er doch den Diener schon in so geringer Entfernung eingeholt, so sei es ja möglich, daß der letztere eine Zeit lang nicht geflohen sei und ihn erwartet habe.

Auf Befragen erklärte Peytel nochmals, seine Frau habe auf der linken Seite des Wagens gesessen, mit ihrem Kopf auf seiner, Peytel's, linken Schulter gelehnt, der Diener aber lief auf der rechten Seite des Wagens.

Dann aber hätte der Mörder, über ihn, Peytel, hinweg in den Wagen, und auf seine Frau schießen müssen!

Noch mehr: Die Pistole muß fast mit der Mündung ihr Ziel berührt haben; denn man fand die Augenwimpern und Augenbrauen vom Pulver angesengt oder ganz verbrannt. Um diese Wirkung hervorzubringen, hat die Pistole etwa drei Zoll vom Kopfe des Opfers abgedrückt werden müssen. In diesem Falle hätte aber der Meuchelmörder auch seinen Arm geradezu auf die Brust des Ehegatten lehnen müssen. – Diese Unwahrscheinlichkeit grenzt schon an Unmöglichkeit, wenn man an Peytel's anderweitiger Aussage festhält.

Noch mehr: Die Leichenschau hatte ergeben, daß die Gemordete von zwei Pistolenkugeln getroffen worden. Ja diese zwei Kugeln waren von zwei Seiten und in verschiedener Richtung eingedrungen. Die eine war von oben nach unten gegangen, die andere horizontal, die eine von rechts nach links, die andere von links nach rechts; dergestalt, daß beide Kugeln bei ihrer entgegengesetzten Richtung sich möglicher Weise hätten treffen können. Hiernach ist es über allen Zweifel, daß der Mord das Werk zweier Schüsse gewesen. Diese beiden Kugeln konnten nicht bei einer Ladung und aus einem Kugelrohr hervorgehen, und der Mörder hatte nur einmal geschossen und nur eine Pistole!

Was antwortete Peytel darauf? – Es gäbe seltsame Combinationen in der Wirkung der Feuerwaffen!

Seine Frau hatte, seiner Aussage zufolge, nachdem der erste und einzige Schuß gefallen, ausgerufen: »Ach mein armer Mann, nimm deine Pistolen!« Das war aber nach dem Bericht der Sachverständigen unmöglich. Die Kugeln hatten das Nasenbein zerschmettert. Hiernach konnte sie, ein Mal getroffen, auch nicht ein einziges bestimmtes Wort mehr sprechen.

Die ermordete Frau hatte aber noch mehr gethan, nachdem sie erschossen war. Sie hatte sich, so lautete wenigstens Peytel's erste Aussage, nach seiner Ankunft in Belley – nachdem der Schuß gefallen, aus dem Wagen gestürzt und war davon gelaufen, um erst am Rande des Wassers in dasselbe hineinzustürzen! – Im Verhör änderte Peytel seine Aussage. Er habe das nie als ein Factum angeführt, welches er selbst mit Augen gesehen, sondern als seine sehr natürliche Vermuthung.

Peytel war, als er nach Hülfe rief, die Straße zurückgelaufen, nach dem Hause des Schmieds. Auf diesem Wege wollte er auch seinen Wagen wieder gefunden haben, 600 Schritte von dem Orte des Mordanfalls. Es wäre aber höchst seltsam gewesen, wenn das Pferd, nach einem solchen Vorfall, statt im Trabe gerad' aus zu laufen, nach Belley, wo sein Stall war, plötzlich aus freien Stücken Kehrt gemacht und die kaum zurückgelegte Reise von Neuem angefangen hätte!

Peytel meinte, es könne wol von selbst Kehrt gemacht haben; möglich aber auch, daß seine Frau, als sie aus dem Wagen gesprungen, an den Zügeln gerissen und dem Thiere eine falsche Richtung gegeben habe.

Als er die Frau angeblich aus dem Wasser zog, will er sie an dem grünen Abhange etwas auf die Seite niedergelegt haben; er hielt sie nur für ohnmachtig, nicht für todt. Durch die Untersuchung hatte sich aber ergeben, daß er sie mit dem Gesicht gegen die Erde niedergelegt. War dies geschehen, um sie schneller wieder zu sich zu bringen? Peytel entschuldigte sich, daß er nicht gewußt, was er gethan. Der Richter bemerkte, daß schon der Instinct, das Gegentheil davon zu thun, ihn gelehrt haben müsse. Er antwortete: »Mein Instinct war, sie aus dem Wasser zu ziehen, und das habe ich gethan.«

Auch die sorglose Art, wie er sein verwundetes Weib in den Wagen werfen lassen, halb nackt, die Röcke weit zurückgestreift, deutete sowol darauf, daß er überzeugt sein mußte, nicht eine Ohnmächtige, wofür er sie zu halten noch immer vorgab, sondern einen todten Körper neben sich zu haben, als auf eine entsetzliche Roheit und Gleichgültigkeit gegen eine Gattin, die ihm eben auf eine so gräßliche Weise entrissen war.

An der Stelle, wo der Leichnam des Dieners lag, hatte man nicht allein die Pistole gefunden, mit welcher derselbe angeblich auf die Frau geschossen, sondern auch ein Stück zerknülltes, graues Papier, und die schwere Decke, welche ihm während des Regens als Mantel gedient. Er mußte diese also um die Schultern geschlungen gehabt haben, als Peytel's Hammerschläge ihn niederstreckten. Dennoch wäre der verwegene Raubmörder, der mit nichts bewaffnet war, als einer Pistole, der zu einer so gefährlichen That der ganzen Spannkraft seines Körpers, der ganzen Leichtigkeit der Bewegungen bedurfte, vom Wagen mit der schweren Decke herabgesprungen, einer Decke, die er noch dazu mit der einen Hand beständig festhalten mußte, damit sie nicht herabfiel. So geht der Mörder an sein Werk. Peytel hatte keine andere Rechtfertigung dafür, als die Decke sei möglicher Weise vom Wagen heruntergefallen.

Der Verdacht, den die Anklage ausgesprochen, war: daß die größere Pistole, welche beim Leichnam des Dieners gefunden worden, Peytel zugehört, daß er dieselbe, um seine Erzählung zu unterstützen, absichtlich neben die Leiche des Dieners geworfen, und daß das graue Papier die Hülle gewesen, in welcher er das Mordwerkzeug bis zum entscheidenden Augenblicke verborgen gehabt. Nach der Benutzung habe er den Umschlag fallen lassen.

Es scheint bei diesem Processe Vieles in der Voruntersuchung abgethan worden zu sein, was man, gegen sonstige Gewohnheit, nachher bei den Assisen nur historisch aufführte, ohne die Zeugen deshalb noch einmal zum Erscheinen in dem entfernten Bourg zu nöthigen. Natürlich waren dies nur Umstände, auf die bei Beurtheilung der Sache kein besonderes Gewicht gelegt wurde. So hatte man die betreffende Pistole nach Lyon geschickt. Ein Trödler erkannte sie als eine Pistole, welche er selbst in seinem Magazin gehabt und an Jemand verkauft; an wen entsann er sich nicht, wol aber, daß er Peytel öfters in seinem Magazin gesehen, was dieser auch nicht bestritt.

Die Mehrzahl der vor den Assisen vernommenen Zeugen konnte nur über Nebenumstände berichten, über Peytel's früheres Leben; sie waren nur Vertreter der Meinung über ihn im Publicum, und da sie meist der Familie seiner ermordeten Gattin angehörten, nicht ganz unverdächtigt wegen Theilnahme, Mitgefühl und Voreingenommenheit.

Das Gutachten der Aerzte war sehr entschieden. Es lautete:

»Beide Verwundungen zeigten eine verschiedene Richtung und verschiedene Merkmale. Die Wunde an der linken Seite der Todten, die horizontal von der Linken nach der Rechten ging, hatte eine ziemlich regelmäßige Gestalt; die Haut ringsum hatte ihre natürliche Farbe behalten. Um die Verwundung an der rechten Seite, die von Oben nach Unten und von der rechten nach der linken Seite ging und von einer unförmlichen Kugel hervorgebracht war, war die Haut schwarz und überstreut mit eingedrungenen Pulverkörnern, welche von einander etwa einen Zoll entfernt waren. Diese Körner, die bei einem Schuß aus einiger Ferne sich nothwendiaer Weise ausbreiten müssen, waren auf einen ziemlich engen Raum zusammengedrängt. Die Wimpern waren verbrannt, die Augenbrauen aber nur noch ein schwarzer Staub, den man mit dem Finger abrieb. Aus diesen Wahrnehmungen ziehen wir den Schluß, daß beide Wunden durch zwei verschiedene Schüsse hervorgebracht sind, und daß der eine von ihnen fast mit der Mündung des Gewehrs am Kopfe selbst abgefeuert worden. Denn wäre es nur eine Abfeuerung des Gewehrs mit zwei Kugeln gewesen, so hätte die kleine Entfernung von der Pistolenmündung und der Wunde an der rechten Seite nicht gestattet, daß die Kugeln so weit auseinander gingen, als der Befund gezeigt hat. Uebrigens näherten sich die Kugeln in ihrem Ziele, statt sich zu entfernen. Desgleichen waren wir der Ansicht, daß der Tod des Opfers augenblicklich, oder doch wenigstens sehr bald nach dem Schusse erfolgen müssen, und daß der Schuß auf der rechten Seite ihn zunächst zur Folge gehabt hat.«

Befragt, ob sie glaubten, daß die Dame Peytel durch ein Ertränken könne ums Leben gekommen sein, erklärten sie, daß ihre Kleider zwar durch und durch naß gewesen, aber weder Lunge noch Magen Anzeichen einer solchen Todesart an sich getragen. Nach der Verwundung habe übrigens die Ermordete weder aus dem Wagen steigen, noch deutliche Worte sprechen können. Wenn die erste Wunde ihr auch gestattet, noch einige unarticulirte Laute zu äußern, so habe doch die zweite dies ganz unmöglich gemacht.

Als Sachverständiger über die Wirkung der Schüsse ward auch noch ein Artillerieofficier vernommen. Zuvörderst erklärte derselbe, daß die kleinen Pistolen, welche Peytel bei sich geführt, die Wunden und übrigen Merkmale, welche der Leichnam der Gemordeten an sich getragen, nimmermehr verursacht haben könnten. Der Schuß, wenn er die Pulverkörner, wie hier bemerkt, in die Haut eintreiben sollen, habe höchstens 4 Zoll, die Mündung von dem Kopfe entfernt, losgefeuert werden müssen; um die Augenhaare zu verbrennen, gebe er als höchste Entfernung eine von 6 Zoll zu. Durch einen Ricochetschuß hätten nimmermehr solche Verwundungen entstehen können, als die Aerzte sie beschrieben. Diese ganze Annahme sei aber auch an und für sich nicht zulässig. Es wären am Wagen durchaus keine Merkmale sichtbar, noch die Einrichtung des Wagens danach angethan gewesen. Die Wunden selbst hätten, aller Wahrscheinlichkeit nach, nur mit der großen Pistole beigebracht werden können.

Die Reden der Advocaten boten weniger von dem Interesse, welches minder wichtige Rechtsfälle in Frankreich schon um der aufgewandten Beredtsamkeit willen berühmt gemacht hat. Diese erhielt der Fall, der freilich schon durch die Persönlichkeit des Angeschuldigten und das Räthselhafte der That die allgemeine Neugier erregt, erst durch die Vertheidigung eines namhaften Schriftstellers. Die Jury sprach, nach einer kurzen Berathung, das Schuldig aus, und der Gerichtshof die Todesstrafe über Peytel.


Während das Cassationsgesuch des Verurtheilten eingereicht wurde, trat der Schriftsteller Balzac als sein Vertheidiger durch eine besonders herausgegebene Schrift vor dem großen Publicum auf; ein Verfahren, was man ihm so verdacht hat, wie von Kobbe dessen Intervention für den Raubmörder Ramcke. Wir haben uns und unsere entgegengesetzte Ansicht in dem Bericht über diesen Fall ausgesprochenS. d. Fall Ramcke. Neuer Pit. Th. VIII.. Wo es das theuerste Gut eines Menschen retten gilt, das Leben eines Verurtheilten, hat nach unserer Ansicht Jeder, der sich von seiner Unschuld überzeugt hält und die Fähigkeit zutraut, das Wort für ihn zu führen, auch das moralische Recht dazu. Bei Balzac kam noch der Umstand hinzu, daß Peytel ihm früher in Paris befreundet gewesen.

Wie schwer oder leicht auch das Gewicht der von Balzac vorgebrachten Gründe sei, verdanken wir doch seiner Schrift einige Einblicke in die persönlichen Verhältnisse, welche in der Mittheilüng der gerichtlichen Verhandlung uns entgingen.

Balzac, der Peytel in Paris kennen lernte, schildert ihn als einen Mann von sanguinischem Temperamente, lebhaft, von sich eingenommen, mit einer großen moralischen und physischen Kraft begabt, leidenschaftlich, unfähig seine ersten Aufwallungen und Gedanken zu bekämpfen, stolz, in einem gewissen eitlen Streben weit über die Wahrheit hinausgehend, wenn er einen ausgesprochenen Satz festhalten wollte, aber – von Herzen gut.

Er macht es der Untersuchung zum Vorwurf, daß sie mit Vorurtheil sein ganzes vergangenes Leben durchwühlt habe, um die Wurzel zu einem Verbrechen zu finden, welches ihr sonst nicht wohl erklärlich gewesen wäre. Er verallgemeinert diesen Vorwurf gegen die Gerichte, gegen die öffentlichen Ankläger, daß sie nur die Thaten und Begebenheiten aus einem abgeschlossenen Leben herausgriffen, welche der That entsprächen, nach deren Motiven sie suchen, während alle übrigen, denen widersprechenden, Handlungen, Gedanken unbeachtet von ihnen bei Seite geworfen würden.

Balzac rügt, daß die öffentliche Anklage Peytel Habsucht und Geldgier vorwirft, weil er ein Verbrechen begangen haben soll, dessen Motive sie nur in diesem Hange finden kann, und sein nächstes Bemühen ging deshalb dahin, auszuführen, daß er sich keine Unredlichkeit in seinem Leben zu schulden kommen lassen, und daß die deshalb verbreiteten Gerüchte von der Böswilligkeit seiner Gegner erfunden oder präparirt worden. – Wir glauben diese Punkte seiner Vertheidigung für unsere Leser übergehen zu können. Die subjectiven Ansichten von der Rechtlichkeit eines Menschen können sehr verschieden sein, und wären auch die Gründe, welche die Notariatskammer zu Mâcon bestimmten, ihn in ihre Reihen nicht zuzulassen, wie es den Anschein hat, keine vor ernsterer Prüfung Stich haltende, so mag uns das eine Factum ebensowenig eine entgegengesetzte Ansicht über ihm beibringen, womit Balzac seinem Freunde den Stempel der Rechtlichkeit aufdrücken möchte, nämlich daß, als in einer großen Kasse, die er zu Lyon zu verwalten gehabt, bei der Abnahme 1000 Francs gefehlt, er dieselben sofort aus seiner Tasche ersetzt, obwol bald nachher der Irrthum sich herausgestellt und von den Revisoren die 1000 Francs wirklich vorgefunden wären. – Wichtiger ist die Bemerkung, daß er sich selbst nicht für schuldig gehalten haben könne. Ein der Unredlichkeit wirklich Bezüchtigter, der nicht im eigenen Bewußtsein eine starke Stütze gefunden, würde ausgewandert sein, anderswo sein Glück zu versuchen. Das Factum, daß er dies nicht gethan, sondern in nächster Nähe von dem Mâcon, wo er jene Rüge erfahren, sprächen deutlich dafür, daß er sich von derselben nicht getroffen gefühlt. Und die Probe dafür: daß er, der Rüge der Notare in Mâcon ungeachtet, doch als Notar in Belley aufgenommen worden. Irrthümer möge und werde er begangen haben; in einer christlichen bürgerlichen Gesellschaft sei es aber grade Aufgabe, den irrenden Jünglingen Mittel und Zeit zu gewähren, von ihren Irrthümern sich los zu machen, und was sie schlecht gemacht, wieder gut zu machen.

Balzac tadelt, daß bei der Untersuchung nicht strenger darauf gedrungen wäre, die einzelnen Acte anzugeben, welche seinem früheren Leben den Vorwurf der Unredlichkeit oder Taktlosigkeit zugezogen. Er macht hierbei eine eigenthümliche Bemerkung: »Man weiß gar nicht, wie ein Verdacht der Unredlichkeit, die Anschuldigung eines unordentlichen Lebens oder einer solchen Geschäftsführung auf die Geschworenen von Wirkung sind. Fehler in dem Soll und Haben vergeben sie nicht. Ein Angeklagter, der in seinen Rechnungen eine gehörige Bilanz gezogen hat, erscheint ihnen sehr selten als schuldig. La Ronciere's Schulden fielen ungeheuer schwer ins Gewicht bei seiner Verurtheilung ...Siehe den Fall La Ronciere. Neuer Pit. Th. VI. Mehr durfte ein Franzose nicht sagen über einen durch die Jury abgeurtheilten Fall, als Balzac hier gethan, ohne sich selbst einer Anklage auszusetzen..

Ein Weinhändler, sein ehemaliger Schulcamerad, hatte gesagt: er würde Peytel auf Credit auch nicht eine Flasche Wein verabfolgen lassen. Dieser Umstand sollte auf die Geschworenen von großem Einfluß gewesen sein, aber die Anführung war ein Scherz. Der Kaufmann in Mâcon brauchte Peytel keine Flasche Wein verabfolgen zu lassen, weil Peytel selbst in Mâcon Weinberge besaß! Dagegen hatte Peytel seit 12 Jahren ein und denselben Schneider, den er wie der wohlrangirteste Bürger bezahlte; aber dieser Schneider, Buisson, in Paris, reichte ihm die Rechnungen nur alle drei Jahre zur Saldirung ein, d. h. wenn er tausend Thaler zu erhalten hatte. Der Schneider, ruft Balzac, ist das Kriterium des Credites eines jungen Mannes.

Balzac selbst gibt ihm hinsichts seines Aufenthaltes in Paris, in den Kreisen der Literaten, das Zeugniß, daß er ein von der Verschwendung und dem Leichtsinn entferntes Leben geführt, und, statt Geld zu borgen, eher Geld an Freunde ausgeliehen habe, oft mit der Gefahr es zu verlieren. Ein Avanturier verspiele nicht sein, sondern Anderer Geld.

Ja der Schriftsteller und Defensor geht in dem Eifer der Vertheidigung hinsichts grade dieses Punktes der Rechtlichkeit seines Schützlings so weit, daß er wieder anklagt. Er fragt: Ihr Obrigkeiten und Richter, seid Ihr denn, bei Ausübung Eures Amtes, von allen den Gesetzen befreit, denen wir andere Bürger unterliegen? Jemand öffentlich des Schwindels beschuldigen, gibt diesem das Recht zu einem Injurienproceß. Der Injuriant hat nicht einmal das Recht, den Beweis zu führen, daß seine Anführung wahr sei; er wird ohne Gnade verurtheilt. Hat nun die öffentliche Anklage ausnahmsweise das Privilegium, eine Person der Schwindelei zu bezüchtigen, ohne verpflichtet zu sein, den strengen Beweis darüber zu führen? Wo sie es thut und nicht beweisen kann, begeht sie da nicht ein Unrecht, ein Verbrechen, während die Privatperson in der Regel nur eine Uebereilung begangen hat, wofür sie bestraft wird? – Eine Frage ernster Art, die über die Grenzen dieses Processes hinausgreift. Noch existirt in keinem Gesetzbuch ein Gesetz, welches den unschuldig Verdächtigten, Angeklagten, und den Dulder um fremde Schuld in integram zu restituiren auch nur den Ansatz nähme!

Peytel stand in Belley in üblem Geruche, dies ist ein Factum, welches unbestreitbar aus den Proceßverhandlungen hervorgeht. Balzac gibt sich Mühe, den Grund davon nicht in den falschen oder wahren Gerüchten über seine frühere Aufführung zu suchen, sondern, in seiner speciellen und allgemeinen Stellung als ein Fremder aus Paris zu dem Provinzialen. Der Wucher erschöpft das Departement de l'Ain an der savoyischen Grenze. Dies zu beurtheilen, zu würdigen, wisse Niemand besser als der Notar. Peytel habe das Uebel sofort erkannt und alle seine Anstrengung darauf verwandt, die Last der unnatürlich hohen Zinsen zu verringern. Er habe dadurch vielen Einzelnen geholfen; das aber seien arme Landbauern, deren dankbare Stimme über der anderen Last ihrer sauren Arbeit verhalle. Die Vermögenden, die vom Wucher gelebt, wären insgesammt seine Feinde geworden; sie hätten ihn mit ihrem Haß, ihren Anschuldigungen verfolgt. Wenn einmal ein Pariser mit scheelen Augen in einer Provinzialstadt angesehen werde, so sei er verloren. Er sei der Gegenstand ununterbrochener boshafter Bemerkungen, Beobachtungen und Anschuldigungen; was er thue, werde ihm übel ausgelegt. So hätten Viele in der Provinz im Concubinat gelebt, wegen der großen Kosten der Heirathscontracte. Deshalb habe er sich gegen den Bischof erboten, für die Armen die Heirathscontracte gratis auszufertigen, um die Sittlichkeit zu fördern. Sofort habe man ihn der religiösen Heuchelei und des Jesuitismus beschuldigt. Um ihn bei den Liberalen anzuschwärzen, hieß es, noch als er im Gefängniß saß, er habe keine Messe versäumt; um die Devoten von der Theilnahme abzuschrecken, man habe abscheuliche Dinge und Schriften bei ihm gefunden, die von einer zügellosen Unsittlichkeit sprächen!

So stand Peytel seinem Publicum gegenüber; da fand das tragische Ereigniß statt. »Einige Büchsenschüsse von der Stadt Belley entfernt, um 11 Uhr Abends auf der großen Straße, werden zwei Personen gemeuchelmordet, die Frau und der Diener. Eine Person überlebt den Vorfall. Auf einer von den Douaniers, der Grenze wegen, streng bewachten Straße, in geringer Entfernung von einem Flusse, wo die Leute Nachts heimlich fischen, zwischen dem Dorfe Rothonod und der Meierei la Bâty, nur 50 Schritte entfernt von dem Hause eines Schmiedes, will es der Zufall, daß gar kein Augen- und Ohrenzeuge zweier furchtbarer Mordthaten auftritt. Die Mordthaten sind übrigens vollführt mit einer oder zwei Pistolen und einem Hammer, welche Werkzeuge sämmtlich zum Gepäck der Reisenden gehören. Endlich nimmt der Ueberlebende die Verantwortlichkeit wegen des einen Menschenmordes auf sich. In Mangel vom andern muß man Peytel glauben, zumal wenn seine Erzählung Alles erkärt und die öffentliche Anklage, nichts erklärend, ans Absurde streift.« (!?)

Ohne Grund und Ursach einen Mord begehen, verrathe eine Schwäche, Krankheit, eine Verirrung des Verstandes, die bei Peytel anzunehmen nichts Veranlassung gebe. Also habe man nach einem Grund, einem Interesse suchen müssen. Seinen Dienstboten, einen armen Findling, umzubringen, da ein Motiv zu finden, sei auch dem raffinirendsten Scharfsinn nicht möglich gewesen; also habe die Anklage herausgefunden, daß er seine Frau umgebracht, und demnächst den Diener, um die That zu verbergen.

Eine Frau könne man, nach den traurigen Grundsätzen unserer socialen Verhältnisse, nur umbringen, um ihr Vermögen zu erben, aus Abscheu, und um, in ehebrecherischer Liebe zu einer andern, sie los zu werden! – Um ein Motiv zu haben, seine Frau, ihres Vermögens wegen, umzubringen, sei es, nach Balzac's Ansicht, nothwendig, daß Peytel arm, verschuldet gewesen. Balzac rechnet nun aus, daß Peytel's Immobiliarvermögen, mit Hinzuschuß dessen, was er von seiner Mutter zu erwarten, an 97000 Francs betragen habe. Mit Hinzurechnung seines Mobiliars und andern beweglichen Vermögens, so wie seiner Einnahme, sei er ein Mann von 114000 Francs. Felicia Alcazar's Mitgift habe sich dagegen nur auf 60000 Francs belaufen. Wenn im Heirathscontract die Gütergemeinschaft zu Gunsten des Ueberlebenden bedungen worden, so sei dies auf ausdrückliche Zustimmung der Mutter der jungen Frau geschehen, weil man ihr begreiflich gemacht, daß diese mehr dabei gewönne, als ihr Mann. Demnach habe Peytel durch den frühern Tod seiner Frau schon nach dem Heirathscontracte wenig Vortheil für sich zu erwarten gehabt. Auch in Folge des Testamentes habe er, nach Abzug Dessen, was der Mutter zufiel, nur 8311 Francs 48½ Centimen gewinnen können. – Und um 8311 Francs 48½ Centimen sollte er seine Frau umgebracht haben!

Nun aber war Peytel's Frau schwanger. In drei Monaten wäre sie niedergekommen. Starb sie, so hätte er dieselben Vortheile wie vom Morde gehabt, brachte sie ein Kind zur Welt, so wäre der im Testament der Mutter, der Madame Alcazar, reservirte Theil durch das Kind ihm anheimgefallen; außerdem hätte er durch das Kind einen Anspruch auf den vierten Theil des Vermögens seiner Großmutter erworben! – Er habe demnach unklug gerechnet, wenn er um des Vortheils willen sein Weib umgebracht.

Sollte aber das Motiv der Abscheu gegen seine Frau gewesen sein? – Der Abscheu war aber auf Seiten der Frau gegen den Mann. Peytel suchte sie auf, und sie floh ihn; dies gehe aus allen Zeugenaussagen hervor. Ein Mann, der seine Frau nicht mag, suche eine oder mehre andere auf. Hierüber schweige aber die Anklage; Peytel habe in Belley ein ganz vorwurfsfreies Leben geführt.

Ja er sei gut gegen Felicia gewesen, und habe von ihrer Entbindung, der er mit Sehnsucht entgegengeblickt, eine vortheilhafte Veränderung für ihren Charakter erwartet. Ein Brief an seine Mutter drücke seine Freude, seine Hoffnungen aus. Sein ganzes Trachten sei gewesen, die Eintracht, eine geordnete Wirthschaft herzustellen. Die Anklage stelle ihn als stolz, übereitel, voller wilder Leidenschaften dar, deshalb von seiner Frau verachtet. Wenn dies der Fall gewesen, so hätte ein Mann wie er, Alles daran setzen müssen, ihren Widerwillen zu überwinden, ihr einen anderen Begriff von sich beizubringen. Durch den Mord konnte er sie nicht anders machen. Wer, wie er, sich an der pariser Civilisation abgetrieben (s'est frotté) wisse andere, sicherere Mittel. Eine Nebenbuhlerin wirke alsdann Wunder.

Demnächst geht Balzac die verhängnißvolle Reiseroute, die zur Sprache gekommenen Indicien durch. Wenn Peytel ausgereist gewesen, in der Absicht, seine Frau unterweges umzubringen, weshalb habe er denn die lockende Gelegenheit der Localität hinter Bourg verabsäumt, und die That erst kurz vor dem Ort ihrer Bestimmung ausgeführt, wo die angegebenen Hindernisse die Ausführung erschwert und so leicht zur Entdeckung geführt hätten? Wo ein Schmied und sein Sohn ganz in der Nähe wohnen, wo die diebischen Fischer die Nächte durch auf den Kähnen, wo die Douaniers hinter allen Büschen auf der Lauer nach Schleichhändlern liegen, wo außerdem ein Dorf, ein Vorwerk in nächster Nachbarschaft sind und aus dem nahen Belley jeder späte Wanderer als einem Bekannten ihm begegnen kann? Weshalb nicht die That vollbracht an jenem Alpensee, wo er mit einiger Anstrengung seine beiden Opfer und den Wagen und das Pferd in den tiefen See hinabstürzen und auf immer habe verbergen können? (Weshalb begeht ein schlauer Verbrecher, der seine That vielleicht Jahre lang erwogen, vorausbedacht, im Augenblick der Ausführung, im Affect der Wuth und der Furcht, Verstöße, die ein Einfältiger vermieden hätte?)

Er habe doch nur nöthig gehabt, ein Opfer zu tödten? Weshalb habe er sich die schwere Aufgabe aufgeladen, zwei Menschen zu ermorden, da es ihm doch nicht an Gelegenheit könne gefehlt haben, mit der Frau allein zu reisen? Die Chancen im Kampf mit Zweien wären immer zu Ungunsten des einen Angreifenden. Hätte er sie ersäuft, so hätten die Sachverständigen schwerlich am Leichnam die Hand Dessen entdeckt, der sie ins Wasser stieß.

Wäre in jenem mysteriösen Kampfe, ruft Balzac ebenfalls mysteriös aus, Peytel von Louis Rey erschlagen worden, so würden heute unfehlbar zwei Häupter auf dem Schaffote fallen. Sicherlich, es gäbe kein Mittel, Madam Peytel und Louis Rey vor der Verurtheilung, vor dem Tode zu schützen. – – Wenn nun aber Louis Rey und Peytel Beide geblieben wären und Felicia Alcazar wäre allein lebend, die beiden Leichen neben sich im Wagen, in Belley eingetroffen, würde sie nicht angeklagt worden sein, den Tod des Gatten und des Dieners in einem furchtbaren Duell veranlaßt zu haben?«

Balzac drang auf eine neue Instruction, weil Untersuchung und Urtheil fehlerhaft seien. Er rügt, daß jene nicht auf der Stelle auf der Straße die Fußtritte der drei handelnden Personen, gleich wie den Eindruck der Räder im Boden beobachtet und festgestellt habe; wie weit die Fußtritte Louis Rey's vom Wagen ab zu entdecken gewesen; ob Felicia Alcazar's Fußtritte vom Wagen ab bis zum Flusse zu verfolgen gewesen, ob sie allein gegangen, oder in Begleitung?


Balzac's Intervention und Vertheidigung gehören wesentlich wenn nicht zu diesem merkwürdigen Processe selbst, doch zur Geschichte desselben; ein Proceß, der zum Theil noch heut mit einem Dunkel bedeckt ist. Wir mußten sie daher wenigstens im Auszuge mittheilen. Abgesehen von ihrer Nachhaltigkeit wirft sie verschiedene Lichter und Schatten auf Verhältnisse, die nach den dürren Auszügen aus den gerichtlichen Verhandlungen uns unklar blieben.

Die Beurtheilung ihrer Kraft überlassen wir dem Leser; ihre Wirkung auf das französische Publicum hat sie verfehlt. Man warf, vielleicht mit Unrecht, Balzac vor, daß nur Eitelkeit ihn dazu getrieben, daß er, um ein anderer Voltaire zu werden, sich einen andern Jean Calas aufgesucht habe, ohne die Unschuld zu finden.

Das Fundament seiner Vertheidigung wird der Zubilligung keines Vernünftigen entbehren: daß er nämlich die Persönlichkeit eines Angeschuldigten gegen das Vorurtheil in Schutz nimmt, welches aus allen Handlungen seines ganzen Lebens nur die Umstände heraussucht, die, allein betrachtet, ihn in ungünstigem Lichte und demnach als einen Menschen darstellen, zu dem man sich eines Verbrechens versehen könne. Hierin wird nur zu oft gefehlt. In wie weit es ihm gelungen, kann Niemand aus der Ferne beurtheilen. Noch mislicher ist dies hinsichts des versuchten Beweises, daß er von dem Morde keinen Vortheil gehabt, es also an einem Motiv gefehlt. Aus der Beurtheilung der berühmtesten, vielfach durchgesprochenen Criminalfälle, wie der des Fualdes, Fonk's, sahen wir, wie schwierig es ist, in verwickelten Vermögensverhaltnissen eine klare Anschauung der Sachlage vor Gericht zu gewinnen. In diesem Falle scheint aber darüber vor dem Gericht nichts ermittelt, und wir müßten Balzac's außergerichtlichen Berechnungen ohne weiteren Beweis Glauben schenken.

Den Gerichten scheint es aber, bei Vorlage der anderweitigen Thatsachen und Indicien, auf eine solche Ermittelung auch nicht angekommen zu sein, und, angenommen, daß es Balzac gelungen wäre, Peytel's Persönlichkeit weiß zu brennen und selbst auch die Motive des pecuniairen Interesse wegzuschieben, so scheitert doch seine Vertheidigung an der Macht der Anzeigen, die vor einem Spruchecollegium wahrscheinlich nur eine außerordentliche Strafe bewirkt hätten, aber schwerlich der moralischen Ueberzeugung der Richter, daß er schuldig sei, nicht genügt hatten.

Entweder der Diener oder der Herr hatte die Frau umgebracht, eine dritte Möglichkeit war nicht gegeben. Jedes Motiv beim Diener fehlte, alle Wahrscheinlichkeit sprach dagegen; es war, unter den gegebenen Verhältnissen, kaum möglich, die That als von ihm verübt sich zu denken. Beim Herrn waren zwei Motive denkbar, Zorn, Widerwille, Abscheu und Interesse. Daß ein Mann seines Standes um einen Vortheil von 8000 Francs seine Frau ermorden solle, ist zwar nicht wahrscheinlich, aber nicht unmöglich, wenn andere Affecte hinzukommen. Der Gegenbeweis, daß er so reinen Charakters sei, daß er darum nicht morden könne, ist nicht geführt. Es steht fest, die Ehe war unglücklich, sie war, wie freilich alle Ehen in Frankreich, eine Conventionsehe, nach Berechnung, nicht nach Neigung und Prüfung der gegenseitigen Stimmungen und Charaktere geschlossen. Sie haßte und fürchtete ihn, er verachtete sie und mußte oft seinen gewaltigen Unwillen über die unerzogene, alberne, dreiste (nach einer Andeutung möchten wir auch glauben häßliche) Frau überwinden. Er wollte seiner Bildung gemäß in den ersten Gesellschaften glänzen und, sein eigener Vertheidiger gesteht es, ihr Benehmen mußte ihn erröthen machen. Daß der Wunsch in ihm aufstieg, ihrer los zu werden, ist bei einem Mann seines Charakters und ohne tiefere sittliche Grundsätze begreiflich; daß es in ihm zum Entschluß, zur That wurde, gehört dem Seelenproceß an, über den der Richter selten einen vollständigen Aufschluß gewinnt. Ihm genügt der Beweis der That und dieser ist durch eine Reihe von Indicien zur moralischen Gewißheit geführt.

Allerdings streifen wir auch hier an das Gebiet des Unwahrscheinlichen, welches Balzac vorzugsweise heraushebt, aber das Unwahrscheinliche schließt nirgends die Wirklichkeit aus. Von einem klugen Manne scheint es kaum begreiflich, daß er nicht klüger zu Werke ging, aber der Klügste irrt im Affect, und der Klügste fällt durch eine zu fein gesponnene Intrigue durch. Dadurch, daß er sich selbst mit kleinen Terzerolen bewaffnete, und mit einem verborgenen größeren Pistol, welches er nachmals neben der Leiche des Dieners hinwarf, den Mord vollbrachte, glaubte er den Verdacht von sich abzuwenden, und grade diese Vorsicht verrieth ihn. Es ist eine schwierige Aufgabe, sich zu denken, wie er es über sich nahm, zwei Personen zugleich zu ermorden, und auf einer großen Landstraße, wo er jeden Augenblick überrascht werden konnte. Man hatte keine Spur gefunden, daß ein Widerstand stattgefunden. Es sind aber Einzelzüge in seiner eigenen Darstellung, welche uns Winke geben, Einzelzüge aus der sinnlichen Natur, welche nicht erfunden werden. Seine Frau, sagt er, schlief, an seine Schulter gelehnt. Wenn nun auch der Diener auf dem Vordersitz geschlafen hätte? Man kann nicht anders annehmen, als daß er ihn zuerst erschlagen; denn würde derselbe nicht, wenn er den Schuß hinter sich gehört, der seiner Herrin das Gehirn zerschmetterte, aufgesprungen, vom Wagen gestürzt sein, geholfen haben, oder davongelaufen sein? Es hätte einen Kampf gegeben, in dem Peytel schwerlich so gesiegt, wenigstens nicht ohne Spuren desselben davongekommen wäre; denn Louis Rey war jung, frisch, größer als Peytel. Wahrscheinlich sah er ihn vor sich nicken, mit einem Hammerschlage von hinten betäubte er ihn, dann schoß er der noch schlaftrunkenen Gattin von oben in den Schädel. Möglich, daß alsdann der Diener halb zur Besinnung gekommen, daß er heruntergesprungen, daß Peytel ihm gefolgt und ihm den Rest gegeben. Die Gattin lebte noch, als er zurückkehrte, er lud noch einmal und endete ihre Qualen durch den Schuß in die linke Seite des Kopfes. Der halbe Versuch, nachher sie ins Wasser zu stürzen, bleibt freilich, wenn auch nicht unerklärlich, doch unerklärt, wie noch vieles Andere in diesem Processe.

Das Cassationsgesuch ward verworfen. Auch die Gnade des Königs, an die Balzac durch seine Schrift appellirt, indem er zum Schlusse sagt: »Peytel hat in den Händen Dritter zwei Briefe niedergelegt, die nur Demjenigen gezeigt werden sollen, von dem seine Begnadigung abhängt«, blieb aus. Es zweifelten Wenige an seiner Schuld, und Viele erwarteten sein offenes Bekenntniß vor der Hinrichtung. Aber Peytel blieb standhaft bis zum letzten Gange im Leugnen. Auch da glaubten noch Viele, daß er dieses nur als eine Aufgabe des Heroismus zur Ehre der Seinigen betrachte, gleichwie auch Castaing noch auf dem Schaffot seine Unschuld behauptete. So starb er fest und ruhig. Das Gerücht ging indeß, daß er seinem Beichtvater ein vollkommenes Bekenntniß abgelegt habe.


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