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Zehntes Capitel.

Wohl mancher klimmte unerwacht
Auf steilen Thurm um Mitternacht,
Und träumte auf der Zinnen Randung,
Wo unten tobt des Meeres Brandung,
Den bösen Traum unaufgeschreckt
Bis ihn der Morgenstrahl erweckt;
Wenn, durch die rothe Gluth geblendet.
Er seinen Blick nach unten sendet,
Sieht unermeßnen Grundes Grausen,
Hört nie gebrochner Töne Brausen
Und glaubt so schwach die Gitterzinnen
Wie in der Luft das Netz der Spinnen –
Sollt', wenn die Sinnen kreisend spielen,
Er nicht den bösen Antrieb fühlen:
Verzweifelnd seine Angst zu kürzen
Und sich ins tiefe Meer zu stürzen.

Jungfrau vom See.

 

An jenem Abende, als Robert Fletcher den Grafen Sunderland in den Moorgegenden von Queensborough, auf eine so ungestüme Art stehn gelassen, wie dem Minister nie, am wenigsten von einem Quäker, begegnet war, schlug er mit stolzem Selbstbewußtsein die Thür der Hütte hinter sich zu. Aber durch ein verborgenes Schiebefenster verfolgte er die Schritte der Beiden, ob sie nicht umkehren würden. Auf sein hartes Lager hingeworfen, pries er den Allmächtigen für den Sieg, den er ihn gewinnen helfen über die Eitelkeit und Fleisches-Lust, und doch wurde noch in derselben Nacht der Teufel mächtiger als je. Die Gebete, unter denen er entschlummerte, wurden unwillkürlich zu Commandoworten, Kriegslärm umtönte ihn, Trompeter bliesen auf ungestümen Rossen die Fanfare, er sah Helme und Panzer und die andächtig gefalteten Hände ballten sich, als schwänge er das Kürassierschwert an der Spitze der Schwadronen. Er sah auch sich selbst in dem rothen, reich mit Golde bordirten Rocke, den hohen Stiefeln, der Obristenschärpe über den blinkenden Brustharnisch und mit dem leuchtenden Federbusch auf dem Hute. Mehr als einmal sprang er auf, denn es klopfte, Sunderland kehrte zurück, herzpochend öffnete ihm Robert die Thür; aber wenn dem Erhitzten nur die kalte Moorluft entgegen wehte und der blasse Mond ihn anblickte, erkannte er die Versuchungen des Erbfeindes.

Theils neue Kraft zu gewinnen, theils anderen Aufforderungen jetzt, nachdem sein Schlupfwinkel entdeckt worden, zu entgehen, eilte Robert schon am Morgen weiter gen Westen. Er fand bald die gesuchte Stärke an einem Orte wieder, wo er schon zur Zeit der Verfolgung im klausnerischen Leben einen sichern Schlupfwinkel gefunden. Drei mit Unkraut überwachsene Rasenhügel erhoben sich unweit dem Ufer eines tiefen Waldbaches an einer steinigen Erdwand. Tagelang pflegte er träumend auf diesen Hügeln zu sitzen; diesmal mußte er die Nacht – es war eine warme im Spätsommer – darauf zugebracht haben, denn als er die Augen aufschlug, stieg die Morgensonne hinter dem Bergwalde, die Wipfel der herüberhängenden Eiche vergoldend, empor.

Er glaubte eine Erscheinung, verwandt mit der schmerzlichen Erinnerung, welche dieser Ort erweckte, neben sich zu erblicken, als Harriet Wentworth, die dem Träumer erstaunt schon eine Weile zugesehen, ihn aus dem Schlafe aufrüttelte.

»Robert Fletcher!« rief sie lächelnd. »So wäre es ernste trübe Wahrheit, was sie von Euch mir sagten. Jagt den verdrossenen Schlaf aus den Augen und antwortet: ist es wie ich hoffe nur Schein oder ist es wahr und richtig?«

Robert Fletcher richtete sich auf und zog den Hut ab. Durch einen Blick in den von der Morgensonne durchglühten Wald und den freien Himmel, hatte er die Schläfrigkeit verscheucht und antwortete den Kopf wieder bedeckend: »Ja Harriet Wentworth es ist Wahrheit. – Willst Du noch mehr von mir, nachdem ich Dir ein Geständniß gethan, vor dem ich ehe denn jetzt, erröthet wäre? Du, eine Frau von scharfem Verstande, wie ihn die Kinder der Welt lieben, bedarfst keiner weitern Erklärung. Du siehst ich bin nicht mehr der, den Du suchst; ich weiß weshalb Du kommst, erspare die Mühe mich zu überreden. Es kann Dir nie gelingen, muß Dir auch nur lästig sein, da mir eben so bekannt ist, daß Du selbst nur ungern Dich erniedrigst so mit mir zu unterhandeln, der Dir so unwürdig dünkt. Laß uns also darum scheiden, es steht in dessen Hand droben zu bestimmen wie es werden soll.«

Harriet besaß den Verstand, welchen Robert ihr zusprach. Hätte sie auch nach der Erscheinung des Ritters noch zweifeln mögen, seine Worte bestätigten ihr vollkommen, daß er ein neuer Mensch geworden. Doch gab sie deshalb noch nicht den Vorsatz ihres Hierseins auf. Sie unterdrückte das auf den schönen Lippen schwebende Lächeln, und ohne den Ritter mit den Vorwürfen zu überhäufen, die er erwartete, fragte sie ihn nur ob es mit seinem Gewissen streite, ihr den Zusammenhang zu eröffnen, wie der brausende Sohn des Kriegshandwerks, der Verächter der Kirche zu einem Frommen umgewandelt sei? Robert war nicht abgeneigt ihr Aufschluß zu geben, und als Harriet zwei Dienern, die mit ihren Pferden in der Nähe warteten, zurückzutreten befohlen, setzte sie sich neben Robert auf dem einen Hügel nieder.

Als Harriet dieselbe Nachricht hörte, welche Anna aus dem Munde des Presbyterianers vernommen, perlte eine Thräne des Mitgefühls in ihren schönen Augen. Robert hatte nur erzählt, was wir bereits wissen; aber der entsetzliche Eindruck, den Maria's Tod zu seinen Füßen damals auf den lebensfrischen Jüngling geübt, wurde von ihm mit einer Lebendigkeit der Phantasie vorgetragen, als sei alles nur vor wenigen Tagen geschehen, und die Stelle noch von ihrem Blute bespritzt.

»An jenen dürren Ast klammerte sich die Unglückliche, rief er, weit über den Abhang hinaus; dort schrie sie, als ich das Opfermesser schon an der Kehle fühlte, die Worte herab, die ich bis an meines Lebens Ende hören werde. Der Ast brach und sie stürzte zerschmettert herab, für mich zu sterben, der ich in blinder Wuth ihren Bräutigam gemordet. – Schauderst Du nicht« – setzte er nach einer Pause hinzu – »vor mir zurück, Harriet Wentworth, vor diesen blutigen Händen, vor diesem noch blutigern Sinne. –

»Ich begreife, lieber Fletcher;« sagte die Lady, »jetzt Ihre Sinnesänderung, und Niemand der ein Gefühl für menschliche Leiden besitzt, kann Sie darüber höhnen.«

»O es ist nicht Alles,« rief Robert, »der Himmel stieß noch heftiger in die Posaune, die mich aus meinem Schlafe wecken sollte. Ich half die drei Gräber graben, ich schüttete mit ihnen die Hügel auf und legte den Rasen, alles noch thränenlos. Dann streifte ich hinaus in die Welt, unbedacht was da kommen würde, und mich sollte noch das fürchterlichste treffen: Kennt Ihr, Harriet, die Geschichte der Lady Lesly?«

Harriet schauderte zusammen, ihr Auge glühte: »Der Name sollte für jeden Engländer wie eine Sturmglocke tönen. Ihr Schicksal lehrt uns, daß auch das Heiligste von einem Despoten nicht geachtet wird.«

»Ich Harriet war es, den sie nach dem Tage von Sedgemoor aufnahm, mir öffnete die würdigste Matrone, diese heilige Dulderin, ihr Haus, ob sie auch ihren einzigen Sohn uns, den Rebellen, entgegen, in die Reihen ihres verehrten Königs geschickt hatte, ob der Tod gleich drauf stand. Harriet Wentworth! ich zauderte damals nicht, bluttriefend ihre Schwelle zu betreten, in ihr friedliches Wittwenhaus mit dem Fluche des Mörders zu dringen. Oberst Rumsey sah mich fliehen, – ich hatte nicht nöthig zu fliehen – und meine thörige Flucht bereitete ihr den Tod. Ihr wißt Alles, aber kann ich es mir oft genug vorerzählen, um ganz die Zerknirschung zu fühlen? Als ich aus Wald und Feld, meinem Nachtquartier in vielen Tagen, nach Taunton kam, brachten sie mir vom Galgen herab die Leiche meiner Wirthin entgegen: Rumsey hatte gegen sie geschworen; wann fehlte es an Zeugen in dieser Zeit, wo es nur das Leben eines Menschen galt, und einen Eid um Schätze zu erwerben. Seht, ich kam zu spät. Selbst vor diesem blutigen Gerichte, vor einem Jefferies, der holde unschuldige Mädchen hängen ließ, weit sie Monmouth einst verschämt die Bibel gereicht, selbst vor diesem Ungeheuer hätte ich Worte reden wollen, daß er bleich geworden. Zweimal, wißt Ihr, kamen die Geschwornen zurück, um die fromme loyal gesinnte Wittwe frei zu sprechen; zweimal jagte sie der Wütherich zurück bis sie das Schuldig hereinbrachten. Er versagte ihr selbst das Recht den König um Gnade zu bitten, weil der König ihm versprochen, Niemanden zu begnadigen. Sie starb, wie sie gelebt, das sagten mir die friedlichen Züge der Leiche. In dem Momente war es entschieden in mir, jeder Tropfen Blut, den ich vergossen, drückte mich so schwer, als die ganze auf Jefferies lastende Blutschuld. Mit dem Vorsatze mich selbst anzugeben, besuchte ich nur noch einmal das Todtenhaus, ein stummes Gebet an ihrem Sarge zu verrichten. Aber der Himmel meinte, durch eine so rasche That, mit neuem Blute bespritzt, erwürbe ich nicht das Recht in seine Thore einzugehen. Er gab es einem frommen Manne ein mir dies zu verkünden. Ein Quäker, einer von der Secte, die ich mein Leben hindurch, ich weiß nicht ob mehr gehaßt oder verachtet hatte, erkannte mich am Sarge, er sah aus meiner klopfenden Brust, mit welchem Vorsatze ich umging; er zog mich in ein Nebenzimmer, der Himmel weiß, welche Worte der Ueberredung er ihm eingab, aber Henderson erpreßte mir mein ganzes Geheimniß und zugleich vermochte er mich an seiner Seite dem nächtlichen Leichenbegängniß der Märtyrin zu folgen. Wie löste sich auf dem Wege alles was Jahre lang verhärtet war in der verstockten Brust, wie schwanden die Zweifel, wie hörte ich die Glockentöne aus einer andern Welt herüber schallen, als sie die Erde hinabschaufelten. Genug, noch ehe die Sonne das frische Grab, das dritte durch meine Schuld, beleuchtete, legte ich in Hendersons Hand das Gelübde ab – ich schwor nicht – leben zu wollen der Buße –«

Robert hatte bemerkt, wie Harriet nicht ohne innige Rührung seiner Erzählung gefolgt war; er verwunderte sich daher als sie jetzt aufstand, und mit ruhigem Tone zu ihm sprach:

»Und drei Jahr habt Ihr dieser Buße gelebt; das ist, trotz der furchtbaren Ereignisse mehr, als ich von Robert Fletcher erwartet hätte. Für diese Ausdauer, in Kleidern und Sitten zu stecken, die Ihr verachtetet, will Euch der Himmel jetzt über Eure kühnsten Hoffnungen belohnen. Der Augenblick naht, wo Englands Volk seine herrlichen, uralten Rechte und Freiheiten dem verblendeten Despoten wieder abringt. Englands Adel und Volk warten nur auf einen Moment, auf eine kühne That, und auf Euch, Robert Fletcher fällt die Wahl unserer Freunde –«

Der Ritter unterbrach sie: »Ich weiß Alles und staune, wie Harriet Wentworth nach dem, was sie eben erfahren, mir den Antrag wiederholen kann.«

»Ihr sollt die blutige Schmach rächen!« rief Harriet Roberts Hand ergreifend. Dieser zog sie zurück.

»So hat Harriet Wentworth mich doch nicht verstanden,« sprach er unmuthig. »Sie hält das für Klugheit, für Heuchelei, was in dem innern Menschen Wurzel schlug. Nicht um mir drei Jahr Buße aufzulegen thaten sich drei Gräber auf, drei schuldlose Opfer zu verschlingen, die Eitelkeit ist mit der Wurzel ausgerissen und die Verwandlung ist für die Ewigkeit vorgegangen.«

Harriets schöne Augen leuchteten von ungewöhnlichem Feuer: »Will ich denn Eurer Eitelkeit einen Lorbeerkranz aufsetzen, wenn ich Euch rufe das Schwert für das Heiligste zu ergreifen? Zu dem blödsinnigen Bauer ruft es wie zu dem Manne von Adel und Geist mit gleicher Kraft, dort für seine viehische Existenz, hier für die heiligsten Namen, die eine irdische Brust entflammen können. Beides hat der Despot in blindem Wahnsinn mit Füßen getreten und den letzten sterbenden Hauch der Freiheit selbst entzündet. Wer Geist besitzt, wer lebt oder nur für die dürftige Gewohnheit des Daseins vegetirt, der hört und gehorcht der Stimme.«

»So laßt sie gehorchen, und es verantworten vor dem Richter. Auch ich habe die Stimme gehört, der ich folgen will, es ist die Stimme des Friedens.«

Harriet schauderte wie entrüstet: »Thöriger junger Mann! dreht sich denn um Euch, um die Person des Robert Fletcher, das Getriebe der Welt, blickt denn nicht wieder die kaum begrabene Eitelkeit aus diesen Worten? Behaltet Euren Seelenfrieden, rächt Euch nicht, vergebt Euren Verfolgern; aber nehmt, als Sohn des Vaterlandes, Rache für Eure entehrte Mutter. Sie ruft, die Namen Algernon, Sidney, Essex, Russel, rufen, der Himmel selbst lacht, Ihr sollt nichts thun, als das Schwert herausziehn, Euren Namen nennen, eine Standarte aufpflanzen, und dann wenn es vollbracht ist, verkriecht Euch wieder grau gekleidet in ein Quäkerhospiz und zürnt, wenn man von den Thaten Eurer Jugend Euch reden will. Das mögt Ihr Selbstverleugung heißen.«

»Es darf kein Schwur über diese Lippen, kein Menschenblut über diese Hände kommen,« sagte Robert, und die Lady hätte aus seinen Gebärden lesen mögen, daß alle ferneren Versuche fruchtlos ausfallen würden, wenn sie nicht schon von selbst entschlossen gewesen ihre Ueberredungen einzustellen. Indem sie ihren Dienern winkte sprach sie mit verächtlichem Lächeln zu Robert:

»Ich habe mich nie in Euch getäuscht, Robert Fletcher. Was Euch einst Muth verlieh, treibt Euch jetzt zu der neuen Thorheit, der Euer Kopf nicht gewachsen ist, Widerstand zu leisten. Wie Ihr einst, – Ihr sagtet es selbst – heiligere Regungen unterdrücktet in jugendlicher Befangenheit, so verhärtet Ihr jetzt in trüber Schwärmerei, ertödtet, was Euch übrig war von großen Erinnerungen, die andere wohl geweckt hätten zu Thaten. Schlaft wohl und erwachet zu Eurem Glücke niemals; entsagt der Liebe, wenn Ihr jemals ihr gehuldigt habt, und denkt, daß ich nur, um auch Selbstverleugnung zu zeigen, versuchte Euch zu einem großen Unternehmen anzuspornen.«

Sie schwang sich auf das Pferd und verließ die Gegend. Trelawny an ihrer Seite erfuhr erst nach einer Weile den Hergang des Gespräches, dessen Ausgang er aus den Blicken seiner Gebieterin entnehmen mußte.

»Es ist mir lieb, daß er nicht will,« schloß Harriet. »Ich will es selbst unternehmen, und der Holländer mag erfahren, daß auch ein Weib handeln kann, von Niemanden geleitet, als ihrem Willen und ihrer Ueberzeugung.«

»Doch wäre das Gerücht begründet,« sagte Trelawny, »daß Oraniens Flotte durch ungünstige Winde an der Küste zurückgehalten wird? Wenigstens hat der König auf die Nachricht davon, die liberalen Maasregeln, zu denen ihn die Furcht trieb, sogleich zurückgenommen.«

»Um so mehr muß gehandelt werden!« rief Harriet. »Trelawny, wer wollte nicht wagen um ein solches Spiel? Rache, Freiheit – es winkt noch ein schönerer Lohn, ihn zu befreien, und meinen Schwur zu lösen.«

Sie mochten kaum zwei Meilen geritten sein, als ein Mann aus dem Gebüsche ihnen in die Zügel fiel. Es war Thomas Lower, der mit allen Zeichen einer ängstlichen Hast schon durch seine Gebärden andeutete, was der Inhalt seiner Bestellung war. Er befahl der Lady, mit kurzen Worten berichtend, was ihm begegnet und wie er wieder frei geworden, zu fliehen, da ein Ritter, dessen Namen er nicht wisse dem strengsten Befehle des Königs Folge leistend, sie auf ihren Gütern verhaften wolle. Harriets Maasregeln waren im Augenblick gefaßt. Sie entließ Trelawny mit allen Dienern, indem sie beschloß sich in Tennison-Castle, das nicht weit vom Wege ablag, bis weitere Nachrichten eingezogen wären, zu verbergen. Trelawny, der dem landenden Befreier entgegen eilen sollte, schien mit der Anordnung nicht ganz zufrieden, aber ein gebietender Blick der Lady verwies ihm jeden Widerspruch. Er eilte in südlicher Richtung fort, während die Lady, ihren Renner anspornend den freundlichen Thürmen des Schlosses zueilte, wo eine Freundin im Unglück und ein von der Regierung gekränkter Prälat sie vor jedem Verrath zu sichern versprachen.

Die Sturmglocke, welche über ganz England von den Dingen läutete, die da geschehen sollten, hatte auch schon in diesem einsamen Schlosse geklungen, und den Prälaten aus den tiefen Studien auferweckt, denen er seine Zurückgezogenheit gewidmet. Er hatte ein Gespräch zwischen Andrews und George belauscht über die Gräuel des Bürgerkrieges und wie bei der Reibung der streitenden Parteien die Güter der Landedelleute, welche auf der einen oder der andern sich hervorgethan, am ärgsten würden mitgenommen werden. Da er sich nun des Uebelsten von Oraniens Anhängern und nicht viel Besseres von den Soldaten des Königs versah, hielt er es für das Gerathenste seine Studien vom Lande in den wahren Wohnsitz und die arx litterarum nach Oxford zu verlegen. Nicht mehr mit dem kühnen Wunsche, dort stolz als Rector des ersten Collegiums eines Königreiches einzuziehen, sondern mit dem weit demüthigern, unter der Aegide so vieler, gleiche Verschuldung mit ihm theilenden Prälaten und Professoren übersehen zu werden, war er in der hochberühmten Stadt eingezogen; nicht ohne die Augen schmerzlich zuzudrücken, als sein Wagen dem Magdalenen-Collegium vorüberfuhr. Er ahnete nicht, welches Schicksal hier wartete des berühmten Verfassers der Schrift von der canonischen Folge der anglicanischen Bischöfe.

Deshalb fand Lady Harriet Sir Alexanders liebenswürdige Nichte, welche ihn auf seiner Flucht durchaus nicht begleiten wollen, allein im Schlosse; wobei wir nicht vergessen müssen anzuführen, daß für Anstand und Schutz nicht allein durch Demoiselle Maturin gesorgt war, sondern noch durch drei Tanten und Cousinen derselben, welche, mit den letzten Refugiés aus Frankreich herüberkommend, die Gesellschaft im Schlosse vermehrt hatten. Anna, welche die Lady freudig an die Brust schloß, fand indessen, ungeachtet Harriets Freude, mit so vielen vom Despotismus Verfolgten ein Loos zu theilen, gerathen, die Anwesenheit der englischen vor den französischen Verfolgten zu verbergen. Als aber beide ungestört beim Einbruch der Nacht sich mittheilen konnten was ihr Herz drückte, lauschte Harriet mit Lust auf Annens Worte, und drückte ihr mit dem Stolz der Freude die Hand:

»Unser Schicksal ist so verwandt, theure Anna, daß wir thätigere Freundinnen sein müssen als die Männer, die unserm Herzen am nächsten stehn. Wecken! heißt das Losungswort, und ich sollte meinen, es gäbe noch eine Zauberkraft in uns, die schönsten Bilder der Träumer fortzuscheuchen. Laß uns, wie jene Heldenjungfrau in Frankreich, statt der Träumenden das Roß besteigen, die Fahnen schwenken, und wenn jede Creatur dem Befreier Englands zujauchzt, dann fällt doch der Schleier von den Augen der Bethörten.«

Anna reichte in halb komischem Pathos der Rednerin die Hand: »Halte ich mich gleich für völlig unwürdig eine Jeanne D'Arc vorzustellen, so verstehe ich doch mich auf dem muthigsten Renner festzuhalten, und will meiner Freundin folgen, wenn sie an der Spitze von Englands Schönen, in das Herz der Männer eindringt, die Despoten sein wollen; denn auch ich hasse allen männlichen Despotismus in der Türkei wie in England, kümmerte ich mich auch sonst nie um König und Parlament. Aber das schwöre ich meiner kühnen Führerin, weiß ich auch nicht England vom Joch der Tyrannen, den Robert Fletcher weiß ich frei zu machen von quäkerischen Grillen und dem Eremitenleben.«

Indessen war Raleigh in dem schweren Kampfe zwischen Pflicht und Liebe keinen Augenblick unschlüssig geblieben, auf welche Seite sich der endliche Sieg wenden müsse. Alle Mittel, die ihm des Königs Vollmacht in die Hände gab, aufbietend, eilte er Harriets Schlosse zu, in diesem Auftrag einen letzten herben Streich erblickend, der für sein Haus in dem unbegreiflichen Buche des Schicksals eingetragen stehe. Ihn tröstete wohl der Gedanke durch seine Dazwischenkunft vielleicht einem Verbrechen vorzubeugen, zu dem ihre Grundsätze von Freiheit die kühne Schwärmerin treiben möchten; der Trost aber blieb gering gegen die bittersüße Kraft, die einem solchen Schmerze, verderblich der freien Thätigkeit der Seele, immer beiwohnt. Er gefiel sich in dem Gedanken seine ganze Kraft zu seinem eigenen Unglück aufzubieten.

Mit dem eigenen Scharfsinn der Verzweiflung ordnete er daher alles an, daß ihm das Opfer seines Diensteifers nicht entgehen könne. Constables und Soldaten mußten den Bezirk einschließen, ehe er selbst sich die Pflicht auflegte Harriet gefangen zu nehmen. Auf derselben Höhe, wo er einst das nächtliche Schloß der Geliebten, von tausend bangen Zweifeln durchstürmt, erblickt hatte, stand er auch jetzt, den Rapport seiner Leute anhörend, und neue Befehle ihnen ertheilend.

Es war Nacht und einige Lichter erhellten bald dies bald jenes Fenster in dem Schlosse, das er seit verhängnisvollen Jahren zum ersten mal wiedersah. Er durfte nicht länger zaudern. Er sprengte über die Wiese, band sein Pferd an den Pfeiler des wohlbekannten Hinterpförtchens, und trat in die dunkeln Taxushecken. Wie anders kam er heute – als vor jenen Jahren, er schrack über die Ruhe seines Ganges, hatte er doch keine Entscheidung zu erwarten, von der das Glück seines Lebens abhing, es war ja alles zerstört. Aber als er über eine mondhelle Stelle tretend, eilte, wieder in den Schatten zu kommen, erschrack er heftiger vor sich selbst. Weshalb dieser lauernde Schritt? Um das schönste, geliebteste Wesen zu vernichten. Er schauderte vor dem eigenen Schatten, dem Grübelnden schien er ein Rachegeist, der an seinen Schritten hafte. Er mußte die ganze Kraft zusammen nehmen den trüben Begleiter zu verscheuchen.

»Nein!« sprach er bei sich, »die Rache hat keine Macht. Hat sie nicht hundertfältig gebüßt für die Qualen jener einen Nacht? Sie waren fürchterlich aber das ist überwunden.«

Doch hatte alles einen todten Anschein. Die Fontaine plätscherte nicht mehr; das Wasser rieselte aus den Röhren in ein schlammiges mit Grün überwachsenes Bassin, die wild auswachsenden Taxusheken zeugten von der mindern Sorgfalt der Besitzer; auch war das Spalier, vom dem er sie damals zuerst erblickte, morsch geworden. Ein spärliches Licht schien aus ihren Fenstern. Er stieg die Wendeltreppe hinauf, sie flog ihm nicht entgegen. Er zürnte über sich, daß er auch nur einem solchen Gedanken Raum geben können. Er trat in ihr Zimmer, es war verlassen; nur eine schlechte Lampe, vermutlich von einer Magd beim Reinigen des Zimmers zurückgelassen, brannte. Er trat durch andere Nebengemächer in den Hauptcorridor des Schlosses. Der greise Pförtner, eingeschlummert auf einem Schemmel, schreckte auf und rieb sich die Augen mit den Worten: »Sind Sie so schnell wieder zurückgekehrt, Mylord?«

»Welchen Lord erwartest Du?« fragte Raleigh.

»Herr Gott, Ihr seid nicht Mylord Lovelace unserer Lady Oheim.«

Raleigh gab sich zu erkennen, es vertrug sich auch nicht mit seinem Stolze die Absicht seines Hierseins zu verschweigen, und der zitternde Thorwärter gestand, daß die Lady schon länger abwesend, Mylord Lovelace aber erst an diesem Abende auf einen empfangenen Brief seiner Nichte mit der ganzen männlichen Dienerschaft eilig aufgebrochen sei. Wohin, wußte er nicht anzugeben. Raleigh athmete freier. Doch war sein Geschäft damit noch nicht aus, und nur in der pünktlichen Erledigung mochte er die Befriedigung seiner krankhaften Lust finden.

Nachdem er sich von der Wahrheit der Aussage des Pförtners versichert und das Schloß leer gefunden, trat er wieder in ihr Zimmer. »Jesu Maria!« schrie Harriets Kammermädchen, die ihm das Licht nachtrug, als der Ritter das künstliche Schreibspinde der Lady eröffnete und sich der Papiere bemächtigte. Sie mußte hinaus und Raleigh verschloß die Thüre. Ehe er an das Lesen der Schriften ging, schritt er noch einmal im Zimmer umher, gleich als wolle er durch Anschaun aller der Gegenstände, die einst ihr Auge berührt, sich zu dem Geschäfte weihen, an das kein profaner gehen sollte. Ihr Portrait, in jugendlicher Frische, von Kneller gemahlt, hing unter den Bildern der drei Freiheitsmärtyrer. Vergebens suchte er nach dem von Monmouth. Er setzte sich auf das Ruhebett, auf die Stelle, wo sie nach der Enttäuschung ihre Wangen in das Kissen gedrückt; sie erschien ihm, aber der Rosenhauch war von ihren Wangen gewichen, die Augen funkelten in ungewohntem Glanze aus dem blassen Gesichte. Er verjagte die Erscheinungen, aber aufsehend fielen seine Blicke auf zwei Bilder auf ihrem Arbeitstisch, Harriets eigne Arbeit die sie vor der Vollendung verlassen. Das eine war Monmouths Bildniß. Die verbleichenden Wasserfarben deuteten, daß es ein älteres Portrait sei, aber der Kranz von Lorbeeren und Cypressen, den sie ihm um die Stirn gewunden, war mit frischen Farben daraufgesetzt. Sie hatte angefangen einen Schleier als Vorhang über das Bild zu mahlen. Er selbst war der andere, ganz neue Arbeit; nicht wie sein Spiegel ihm sagte, daß er aussehe, es war die phantastische Vorstellung der Mahlerin. Aber die tiefen, geistvollen Züge, mit unverkennbarer Liebe ausgeführt, stachen wunderbar ab gegen das weiße Todtengewand der Gestalt, denn hier war die Mahlerin noch mit keinem Pinsel über den Elfenbein gefahren. Spuren von Thränen glaubte er in den Umrissen zu entdecken.

Es kostete ihm Anstrengung sich aufzureißen und an sein Geschäft zu gehen. Er fand angefangene Briefe an sich – so hatte Harriet nie in der glücklichsten Zeit zu ihm gesprochen – ein Gedicht, Vorwürfe klangen leise durch die Klagen, daß ihre Sterne sich so begegnen mußten. Mehr verwunderte er sich über Andachtsbücher mit Bemerkungen von Harriets Hand. Aufsätze und Briefe von Trelawny. »Wie doch die Religion hier überall mitspielt!« rief er. »Lebte für sie ein Gott außer Monmouth und Englands Freiheit?« Er blätterte weiter: »Wie kluge, besonnene Plane dieser Trelawny erfinden mag – voller Absicht jedes Wort und doch keines den Verräther spielend!« Jetzt hielt er inne und ein wehmüthiges Lächeln flog über seine Lippen: »Auch ein Liebender, ein hoffnungslos Liebender, in stummer Verehrung! Hatte ich doch nicht geglaubt, mit Trelawny so nahe verwandt zu sein! – Was aber ist das?« fuhr er gegen Ende des Briefes auf. »Ein Katholik! Ein eifriger Katholik!« Er durchsuchte, wie um einer Spur zu folgen, die schon fortgeworfenen Briefe, als ihm ein unbeachteter Zettel in die Hände fiel: »Summen, Oranien gesendet – Nachweisungen im Fache links!« In jedem Augenblicke fand er mehr Papiere, die ihn für Harriet besorgt machten, bald aber ging die Besorgniß auf einen andern Gegenstand über.

»Der König ist verrathen!« rief er aufspringend. Ein Schreiben im Zimmer des Lords, gab ihm vollständige Ausweisung, wo er Harriet treffen werde. Er versiegelte die Schriften, convertirte sie an den König, und nachdem er seinen, auf ein Zeichen herangekommenen Leuten verschiedene Befehle ertheilt, bestieg er selbst wieder sein Pferd, ohne den Wunsch unterdrücken zu können, daß, ehe er so mit Harriet zusammen käme, die Kugel irgend eines Rebellen ihn treffen möchte.


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