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Sechstes Capitel.

Trotz dieser Mängel und der Nachtheile, die stets für ein neueres Werk entstehn, wenn man es mit früheren vergleichen will, verlor Richardsons Ruf durch die Herausgabe des Grandison nicht im Mindesten und ohne einen dreisten kaufmännischen Betrug würde sich sein Vermögen dadurch sehr vergrößert haben. Auf eine Weise, die er nicht entdecken konnte, wurde Bogen für Bogen seines Buches, so wie sie aus der Presse kamen entwendet und nach Dublin geschickt – – –

Walter Scott: Richardsons Leben.

 

Derselbe Tag war einer der bewegtesten in London. Es war keine einsam wohnende Witwe in der Vorstadt, deren Kämmerlein nicht den Einfluß der Ereignisse irgendwie erfahren hätte. Der Kaufmann in der City dachte an die Barken mit den Bischöfen, wenn er aus seinem Fenster auf die Schiffe in der Themse blickte; und die Zahl der sieben Bischöfe richtete beim Addiren in den regelrecht geführten Büchern Verwirrung an. In den wüstesten Zechgelagen, wo der Name Kirche nur höhnisch über die Lippen kam, sprach man heut mit Entrüstung von der Verletzung ihrer Diener; und die Clubbs witziger Gelehrten, an denen jene Tage so reich waren, unterhielten sich mit dem tiefsten Ernste von einer Sache, die ihnen sonst höchst gleichgültig war, der Religion.

Der Eifer, der sich von der City und Westminster bis in die entferntesten Vorstädte erstreckte, zeigte sich nicht schwächer, nur von verschiedener Art, in Whitehall. Der König schritt heftig durch die Gemächer und stieß Reden drohender Art aus. Da die Besorgniß vor den Folgen des gesetzwidrigen Schrittes selbst Jacobs loyalste Staatsmänner stumm gemacht hatte, waren es die Jesuiten, welche der König heut allein seines Vertrauens würdigte. Er rief den Vater Peter aus einem Gespräche mit Sunderland zu sich heran:

»Was meint der Graf von den heutigen Austritten?«

»Sir, der Graf äußerte, falls Euer Majestät bei dem gottseligen Vorsatze verharrten, würde der Trotz der Volkspartei nur ohnmächtig bleiben, da ihr alle Mittel abgehen. Ein Parlament ist nicht zusammen berufen, und die Strafgerichte nach der letzten Rebellion müssen jeden Engländer abgeschreckt haben die Waffen wieder zu ergreifen.«

»Und was meint Vater Peter?« fragte der König ihn fixirend.

»Daß kein Stuart einen entworfenen Plan unausgeführt läßt, wie ich oft aus dem Munde Euer Majestät gelernt habe.«

Der König lächelte wohlgefällig und ging schweigend eine Weile, den Beichtvater vertraulich unter dem Arm fassend, umher: »Von allen Seiten lehnt sich die Hölle gegen das große Werk auf, der Sieg soll desto ehrenvoller sein. Selbst der Papst ist lau und hat kein Vertrauen auf meine Kraft; er zögert und zaudert und hat mir rund die Bitte um den Cardinalshut für Euch abgeschlagen, aber, und sollten die Quellen der Themse versiegen, daß ihr letzter Tropfen ins Meer fließt, ich führe es durch. Ich will den Trotz dieser Krämer brechen, ich will sie die königliche Macht kennen lehren, wie mein Bruder und Vater sie ihnen nie gezeigt.«

»Euer Majestät haben vierzig tausend Mann, haben getreue Diener, die Fürbitten des ganzen noch christlichen Europas für Ihr erhabenes Werk; der große vierzehnte Ludwig opfert dafür seine Schätze und das Blut seiner Unterthanen, aber mehr als dies: Wir haben Sie, Sir, den unerschütterlichen König, den Helden aus den Barrieren von Etempes, den Vernichter der holländischen Seemacht, den wundervoll Bekehrten, den Streiter der Kirche, dessen Willen noch durch kein Unglück gebeugt worden.«

Jacob stand, während dieser Floskel am Fenster und starrte auf die im Kohlendampf liegende Stadt:

»Was haucht denn diesen Krämern noch den Trotz ein? Zehn Verschwörungen habe ich mit den Füßen zertreten, und meine Kraft ist seitdem gewachsen –«

»Euer Majestät Milde und Nachsicht« sprach der Vertraute.

»Nein!« unterbrach ihn Jacob ärgerlich. »Sie wissen, daß ich unbeugsam bin; sie wissen daß ich eher Thron und Leben opfere.«

»Sir!« sagte der Beichtvater mit schlauer Miene die Augen richtend. »Sie hoffen, – die Thörigen unter ihnen, – auf den Wind von Osten. Sie denken, wenn Euer Majestät heimgegangen, wird der protestantische Schwiegersohn die Pflanzungen niederreißen, die Saaten zertreten, um über das gesegnete Reich die alte Wildniß wieder zu verbreiten.«

Man hat allen, welche an dem großen Bekehrungsplane am thätigsten wirkten, den Vorwurf der Heuchelei gemacht; in so fern er den König betraf, gewiß mit Unrecht. Karl II. begünstigte den Katholicismus, weil er von ihm fälschlich glaubte, er sei ein Polizeimittel zur Gewinnung unumschränkterer Gewalt; Jacob II., zwar auch erfüllt von dem stolzen Wahne königlicher Allmacht, betrachtete sie jedoch nur als ein Mittel zu seinem Lieblingsziel. Die Absicht England zu bekehren hatte in ihm so feste Wurzeln geschlagen, daß man sagen konnte, sein Leben sei mit jenem Streben eins gewesen. Als ihm der Pater die unerfreuliche Aussicht eröffnete, brach eine Thräne aus seinem Auge hervor, und es vergingen mehrere Momente ehe er antwortete.

»Ob denn der allmächtige Wille es zulassen sollte, daß wir alle Anstrengung umsonst aufwenden, daß wir Werke bauen für die Hände des Zerstörers? Schon geht es über unsere Fassung, wenn wir so mit Blindheit Geschlagene erblicken, welche die Vorsehung aller Wunder ungeachtet, in der Ketzerei verharren läßt; aber voraussehen müssen, wie alles Ringen und Wirken der Guten nicht über ein Menschenleben hinausgeht, hieße das nicht zum Zweifel an der Vorsehung selbst führen?«

»Majestät!« sagte Peter. »Wer sieht hinter dem dichten Schleier die Zukunft! trägt unser Auge doch selbst nicht in die entfernte Gegenwart. Verbirgt uns sogar dieser Steinkohlendampf über London die Sonne, von der wir wissen, daß sie am ewigen Firmamente wandelt. Dieser weit berechnende Oranien mag umkommen ohne Erben, er mag auch bekehrt werden, oder der Thron geht durch einen Beschluß des Himmels oder Euer Majestät auf die zweite Tochter meines Königs über, deren Gemahl, Prinz Georg von Dänemark, ein Herz besitzt, wohl empfänglich für die wahre Lehre. Oder aber die Bitten des ganzen Europa dringen bis zu dem Thron des Dreieinigen –«

»Um einen Sohn?« sagte Jacob, und schlug fragend die Augen nach dem Beichtvater auf; dann faltete er die Hände. Der Pater folgte seinem Beispiel. In dem Augenblicke theilten sich die Wolken und der helle Strahl der sinkenden Sonne färbte ringsum die Dächer der Stadt. Die Augen des Königs und seines Beichtvaters begegneten sich.

»Sie sind zu ihm gedrungen!« rief der Beichtvater und streckte die Arme in die Höhe. Eine zweite Thräne, diesmal eine Freudenthräne, perlte in Jacobs Auge. Er verrichtete, die Augen zu Boden gekehrt, ein stummes Gebet, und als er sie in die Höhe hob, zeigte sich wieder der königliche Stolz in seinen Blicken, der, des Sieges froh und gewiß, den Kampf mit einer Welt beginnen möchte.

»Mylord Sunderland!« rief er zum Minister; »welche Nachrichten von der Königin?«

»Sir, die Königin ist auf dem Rückwege, höchst gestärkt, durch den Anblick des wunderthätigen Bildes von Holiesel.«

»Sie soll empfangen werden mit solcher Feier in der Hauptstadt, daß dieser starrköpfigen Geistlichkeit das Zuschreien des Pöbels unbedeutend dagegen scheint. Sind die Stimmen der Kronrichter in Ordnung?«

»Die drei dem Trotz der Prälaten Geneigten sind ausgestoßen worden,« sagte der Minister, und berichtete über die pünktliche Ausführung sehr strenger Befehle, welche der König in der ersten Erbitterung erlassen hatte. Genauer Vertraute hätten bemerken mögen, daß sie jetzt ihn selbst reuten; aus Besorgniß aber, man könne ein solches Schwanken seines Sinnes argwöhnen, verfiel er schnell wieder in den herben Ernst, die Lippen warfen sich und die Blicke schweiften strenge suchend mit kaltem Glanze umher. Der Minister stattete Bericht über die Stimmung der Bürger und der Magistrate ab; aber aus den beruhigenden Nachrichten konnte, wer die Sprache verstand, etwas weit anderes herauslesen als die Worte besagten. Jacobs Stirne verrieth auch, daß er, aller gläubigen Bereitwilligkeit unerachtet den nähern Inhalt der schmeichelhaften Rede verstehe. Deshalb durfte es Sunderland wagen, mit halb gebeugtem Knie und leiserer Stimme zum Könige zu sprechen.

»Sir! es ist hohe und gelegene Zeit die protestantischen Secten ganz in unser Interesse zu ziehn. Euer Majestät müssen eine Partei gewinnen, und keine Partei ist wohlfeiler gewonnen als die unterdrückten Nonconformisten. Nur ihre uns lästig gewordenen Peiniger ihrer Rache übergeben, und sie sind unser.«

»Was soll ich denn noch mehr thun?« sagte der König ärgerlich. »Die Befehle sind gegeben in den Städten die Magistratspersonen aus ihnen zu wählen. Sie sollen zu allen Aemtern gelassen, ihre Prediger wieder eingesetzt werden. Was hilft uns aber die langweilige Brüderschaft der Quäker? Mir sind vier tausend bewaffnete Irländer lieber als die dreißigtausend Ja- und Neinherrn auf der Insel.«

»Man muß dem Rachedurst der wildesten Sectirer gewähren lassen. Sir, es bedarf vor Allem des Uebertritts eines bedeutenden Mannes.«

»Soll ich die stolzen Prälaten fußfällig ersuchen,« warf der König ein, »mir gefällig zu sein?«

»Sir, Sie haben einen der gefährlichsten Rebellen aus der Zeit des Ryehaus Complotts und Monmouths Tagen heute begnadigt. Ich darf vermuthen, daß Robert Fletcher von Salton alles vergeblichen Suchens ungeachtet noch jetzt in England lebt; ich hoffe ihm auf der Spur zu sein –

»Ein armer, einzelner Ritter;« wandte der König ungläubig ein.

»Der überdies,« unterbrach ihn Sunderland, »nichts ausgerichtet, ja kaum sein Schwert gezogen hat; dem aber das blinde Glück so viel Ehre erwiesen, daß der Name des unbedeutenden Burschen wie eines Montrose und Prinz Ruprecht im Munde des Pöbels klingt. Ja so weit geht die unvernünftige Gunst, daß, weil er davon gelaufen am Morgen bei Sedgemoor, das Volk den Verlust der Schlacht herleitet. Sie verkaufen sein Bild im Holzschnitt; und wenn ein alter Republicaner seine schimmligen Hoffnungen auf bessere Zeiten auskramt, weist er auch das Portrait eines dummdreisten Burschen, der außer seiner Faust keine andern Eigenschaften hatte, als daß er ein bildsamer Thon war, der nur einen geschickten Töpfer bedurfte.«

Jacob blickte auf den Beichtvater und der Beichtvater auf den Minister. Dieser fuhr jenes Hand ergreifend, fort: »Zwar klingt es wie Beleidigung dem Vater Peter einen leicht Bekehrbaren zuzuweisen; wer aber schon solche harte Gemüther erweicht hat, mag auch einmal ausruhen, wenn er ein lenkbareres Schaf findet. Der junge Mensch, auferzogen unter den rigidesten Puritanern, hat glücklicher Weise eine gleich große Abneigung gegen diese als gegen die stolze Pedanterie der Anglicaner genährt. Da er nun, so zu sagen, ohne alle Religion in die Welt hinein lebt, kann eine glänzende Eroberung für die römische Kirche nicht schwer fallen, und ich darf mir wohl die Erlaubniß, ausbitten, habe ich den Ritter aufgefunden, ihn Euer Eminenz zuzuführen?«

Der geschmeichelte Beichtvater versicherte den Minister seiner Geneigtheit, und der König ertheilte ihm Erlaubniß und Auftrag den Geächteten vermittelst königlicher Gnade dem königlichen Willen geneigt zu machen.

Aus einem der höhern von dem großen Brande im Jahre 1666 verschonten Häuser in der Nähe des Towers lehnte sich an desselben Tages spätem Nachmittage eine edle Dame und blickte unverwandt nach den braunen Thürmen hinüber. Der geistige Ausdruck in Lady Harriets Zügen hatte gewonnen; die südliche Gluth, die oft aus dem feurigen Auge und, wenn der beredte Mund sich öffnete, aus Kinn und Wangen sprach, war verschwunden, dagegen strahlte das jetzt tiefer liegende Auge klar und seelenvoll hervor aus dem blassen Gesichte. Hinter ihr siegelte Trelawny an einem Schreibtisch Briefe und schien auf eine Rede aus dem Munde der Lady zu warten.

»Dies ist der Brief an Euren Oheim Lovelace« sagte er, »dieser an Lord Danby – der hier an den Grafen Shrewsbury. Wenn Mylady bald die Adresse machte, da eine Verwechselung üble Folgen nach sich ziehn könnte.«

Die Lady fuhr mit der Hand über die Stirn, setzte sich schnell hin und schrieb, wie ihr Trelawny die Briefe vorlegte, ohne ein Wort zu verlieren.

»Mehr als alle Worte und Aufforderungen,« sagte er »werden die Nachrichten, die heut aus London über das Königreich fliegen, wirken. Saht Ihr, Mylady, die ungeheure Trauer des Volkes um ihre heiligen Bischöfe, den Triumphzug dieser Märtyrer in das Gefängniß?«

Harriet wandte sich schnell vom Fenster, wohin sie wieder zurückgeeilt, um, und über ihre Lippen flog ein bitteres Lächeln: »Märtyrer diese Elenden? Ich verachte sie mehr als ich den Despoten hasse. Wofür Märtyrer? Für ihre Pfründen! Sie billigten, daß das Blut der Edelsten um der Freiheit willen floß. Jetzt wo die wohlfeil gepredigte Weisheit ihnen selbst beschwerlich fällt, jetzt, wo sie gehorchen sollen, schreien sie und heben die freche Stirn die Gerechtigkeit anzurufen, die sie mit Füßen traten. Möchte sie der wahnsinnige Despot in den tiefsten Kerker, möchte er sie in die Themse werfen, sie hätten sich nicht über Ungerechtigkeit zu beklagen.«

»Der Ritter, Mylady, urtheilte milder. Tief schien ihn das Elend der Kirche zu entrüsten, die den Engländern heilig ist.«

Und doch konnte er zaudern einen Entschluß zu ergreifen, der jedes englische Herz durchbebt –

Trelawny blickte schweigend zu Boden, als wage er nicht der Lady mehr mitzutheilen.

»Ich errathe Dich. O mein Gott, ist er so schwach geworden? Er kränkelt, das Feuer seiner Augen erlosch, er verlor die Kraft zu einem Entschluß. Raleigh konnte hören wie alles verletzt wurde, was ihm heilig war, er konnte darüber weinen, und doch behielt er keine Macht zu zürnen, nicht aufzulodern in heiligem Feuer für das Große und Rechte –«

Sie blickte mit gefaltenen Händen hinüber nach den Thürmen, zwischen denen das Fenster des Gefangenen im Dunkel lag. Selten verließ sie es mit ihren Augen, wenn es von der späten Studierlampe des Ritters erleuchtet war, oder glänzend im Schein des Abendrothes aus dem grauen Gemäuer hervortrat. Ihre Gedanken lebten bei dem Unglücklichen, von dem sie ein Schicksal trennte, über das Keiner von ihnen mit der Vorsehung hadern konnte, denn ihr freier Wille hatte es herbeigerufen. Er verschmähte ihre Pflege, aber ihre heißen Gebete folgten dem, dessen Unglück sie in den herben Stunden sich selbst aufbürdete. Oft verwünschte sie die Stunde, in der sie den Manen ihres Gatten, jenes Gelübde gebracht, es kam ihr sündlich vor, auf dessen Kosten, dem sie durch ihre Schuld das Glück des Lebens untergraben, noch etwas dem todten Räuber dieses Glücks zu weihen. Der Vorsatz, dem sie das Leben gewidmet, rang mit einem sanfteren Gefühle, und oft glaubte die Lady das Wiedererwachen der früheren Neigung mit neuer Gewalt zu fühlen, denn die Liebe erschien jetzt durch Mitleid und Reue verstärkt. Eine Stimme flüsterte ihr zu, sie sey es, die Raleigh glücklich machen, er derjenige, welcher den kühnen Wünschen der großen Seele die Befriedigung gewähren könne, die nicht in Monmouths Macht gestanden, ihr zu geben. Mit der Entfernung und deren Dauer wuchs die Sehnsucht; sie erblickte ihn, wie er die Arme verlangend ihr entgegen streckte, es hätte nichts gekostet, als daß jeder von dem geraden Wege, den er in starrem Trotz sich vorgezeichnet, einige Schritte seitwärts gegangen, und beide wären glücklich geworden! Das fühlte Harriet, aber sie wagte nicht, es sich zu gestehen. Trelawny war ihr Bote gewesen, sie hatte eine Vereinigung versucht, von der sie wissen konnte, der Ritter von Avalon müsse sie ausschlagen. Es war geschehen, und sie sah den kränkelnden Sprößling gerühmter Helden an seinem und ihrem Trotze untergehn. »Konnte er anders handeln?« sprach sie bei sich. »Bewies ich ihm dadurch eine Aufopferung, daß ich von ihm verlangte, er solle meinetwegen sein eigenes Heiligthum hinopfern?« Ein neuer Vorsatz kämpfte in ihrer Brust, Trelawny sah es und eine Furcht, die er schon lange nicht mehr zu meistern vermocht, brach jetzt heraus:

»Er schwindet hin, Mylady, wie ein Unseliger, den der Schlag zürnender Elfen aufs Herz getroffen; wollt Ihr aber darin Eure Neigung beweisen, daß Ihr ebenso dem Schmerz gewähren laßt? Die Wittwe Monmouths, eine Frau durch Geist und Körper berufen zu höheren Werken, darf nicht ihre Kraft darauf vergeuden, in der Trauer um einen Kleinmüthigen selbst zu verkommen.«

Harriet hatte in sich versunken, kaum auf die Worte geachtet, als sie plötzlich aufsprang. Ihre Augen leuchteten, die Freude trieb schneller das Blut, und ein rosiger Anhauch, so lange dort verschwunden, belebte wieder das schöne weiße Antlitz. »Siehst Du?« rief sie und zeigte hinüber auf den Tower. Die Sonne blickte aus den Wolken hervor und der Abendstrahl fiel feuerroth auf die Fenster zwischen den Thürmen des Castells.

»Es wird gelingen! Ein Zeichen des Himmels. Ich betete und fragte, ob ich berufen sey, die Schuld zu tilgen. Den schwachen Schultern eines Weibes ist das Werk aufgebürdet, vor dem der Kluge und Tapfere schrickt. England wird frei, und wenn es frei geworden, wenn die stolzen Seelen wieder jauchzen, wenn Raleigh an meiner Hand aus dem Kerker tretend nur frohe Gesichter erblickt, dann werde ich die Falten glätten, ich will die Gespenster verjagen und im freien Lande soll er ein freier Mann dastehn.«

Trelawny lächelte, aber er wollte die Schwärmerin nicht stören in dem Entschlusse, der sie von London entfernte. Sie fuhr, schon vom Dunkel der Nacht begleitet, vor das Haus des holländischen Gesandten. Ein vertrauter Kammerdiener führte sie auf einer Nebentreppe in die obern Gemächer. Hier trat ihr Jemand entgegen, in dem sie, wie er sich auch bemühte das Gesicht im Mantel zu verbergen, den Grafen Sunderland zu erkennen glaubte.

»Wie kommt der Höfling auf diesen Wegen und um diese Stunde zu Oraniens Abgesandten?« fragte die Lady den Minister als Dykvelt sie mit ehrerbietiger Galanterie in sein Zimmer geführt hatte?

»Der Höfling, Mylady, ist ein Hoffmann, den die Vorsehung nicht mit der Blindheit seines Herrn geschlagen hat. Der heutige Tag, wie groß er Jacobs Macht gezeigt hat, erinnerte doch Viele, welche immer gern mit dem Strome steuern, daß er eine andere Richtung nehmen könne. Mit jenen Briefen in der Hand: alle heut empfangen, könnte ich als Ankläger gegen das halbe England auftreten.«

Er wies auf einen Haufen Schreiben, die bestimmt schienen nach der Reihe in den Kamin zu wandern; an dessen Rande bereits viel Papierasche umher gestreut lag; Harriet aber fuhr auf:

»Und Sie wiesen doch die Dienste dieses Zwittergeschöpfes zurück? Ich hätte nicht die Papiere verbrannt. An den Ecken angeschlagen, gedruckt mit den Namen der Pairs! hieße sie das nicht zwingen für die heilige Sache aufzustehn? Sir, mir scheint es schlimm, wenn Männer wie Sunderland mit uns dasselbe wollen.«

Dykvelt lächelte: »Wollten wir eine so strenge Sonderung aller Freunde von Englands Verfassung, und der Rechte und Freiheiten des Volkes anstellen, wie gering würde die Zahl derer, auf die der protestantische Thronerbe im äußersten Fall bauen kann.«

»Ihr Gewicht ergänze ihre Zahl!« sagte Harriet. »Unsere heiligen Vorkämpfer sind unbesieglich, denn keine Streiche des Tyrannen können die Namen Russel, Essex, Sidney, Monmouth verletzen. Sie streiten von oben her für die alte Freiheit, der sie ihr Blut opferten; wer nicht an die Brust sich schlagen kann, und sagen: mein Sinn ist so rein von aller Neben-Absicht wie die Geister dieser Männer waren, der brächte uns nur Schaden.«

»Mylady!« entgegnete Dykvelt ihre Hand fassend. »Ich halte dafür, daß wir ergreifen, was uns geboten wird; weiß ich doch nicht, ob ich selbst so rein bin wie Lady Harriets heroischer Geist es fordert, nicht einmal ob der hochgesinnte Oranien ihren Forderungen genügt. Gewiß wünscht er die Erhaltung der protestantischen Religion, Englands Freiheit und Unabhängigkeit, warum sollte er aber nicht daneben die Krone begehren, sie ist das glänzendste Juweel, das den Sterblichen geboten wird –«

Harriets Blicke glühten; sie öffnete die Lippen; der besonnene Holländer kam ihr aber zuvor –

»Auch Monmouths edler Geist strebte nach dieser Krone, ob ihn gleich kein Geburtsrecht, auch nicht der Wunsch des ganzen Volkes rief. Und doch sah die Menge in ihm den begeistertsten Helden, den Schutzengel des Vaterlandes. Es täuschen sich Viele; ist es unsere Sache, die wahren Beweggründe zu enthüllen, wenn ihr Eifer uns günstig ist? Die Vorsehung hat Tausende für unsere Reihen als Mitstreiter geworben, was haben wir zu fragen, welches Handgeld sie ihnen gab?«

Die Lady hatte den Kopf gesenkt, den Anflug der Schamröthe zu verbergen. Sie fühlte sich getroffen; was Dykvelt nur angedeutet, sprach zu ihr mit deutlicheren Worten: »Dich treibt die Rache um Monmouths Untergang!« Sie prüfte, wieweit er Recht habe, und wie weit die reine Ueberzeugung sich aus jenem trüben Affecte der Selbstsucht schon herausgearbeitet habe. In Dykvelts Absicht lag es nicht, weiter zu katechisiren. Er lenkte daher ein:

»Mylady, alle diese Papiere enthalten schöne Versicherungen und Versprechungen, aber wir brauchen einen Mann, der, wenn es gilt, kühn den Anfang macht, und die Schwankenden zwingt sich zu erklären. Einen kecken Mann, einen Mann von Ruf, einen Krieger, kurz den Ritter von Salton, denn nur er vereinigt diese Eigenschaften.«

Harriets Gesichtszüge veränderten sich, als wandele ihre Stimmung von einem Extreme zu dem anderen über. Von Entrüstung lag nichts mehr in ihren Mienen als sie lächelnd mit leichtem Tone sagte.

»Ein ganz guter Kavallerist, wie mir Monmouth sagte, auch eine brave treue Seele, der nie den Freund verläßt und selten zurückbleibt. Aber für das Unternehmen, von dem England seine Wiedergeburt erwartet, kann Robert Fletcher nie die Seele werden.«

Dykvelt stimmte nicht in den scherzenden Ton der Lady: »Der Ritter ist ein Werkzeug, so kostbar, daß wir es für jeden Preis erstehen müssen. Vergeblich habe ich nach ihm Kundschafter ausgesandt. Die Spuren gehen wie im Wasser verloren und wenn Lady Wentworth mir keinen Beistand verspricht, ist ein großer Theil meiner Sendung vergebens.«

Damit zeigte Dykvelt viele Schreiben vor, seine vergeblichen Anstrengungen zu belegen. Harriet stand auf, über ihre Lippen breitete sich ein spöttischer Zug, während der Ton ihrer Stimme eine leichte Kränkung nicht verbergen konnte.

»In der That, wenn es nichts anderes galt, weshalb Euer Excellenz mich in dem Augenblicke zu sprechen wünschten, als dies wichtige Anliegen, so wäre es gerathen gewesen mich ganz aus dem Spiele zu lassen; da es immer für einen Staatsmann gefährlich ist seine Geheimnisse und zwar so bedeutende, Weibern anzuvertrauen.«

»Und doch beschwöre ich Sie, Mylady, um der guten Sache willen, nennen Sie mir den Aufenthalt des Ritters oder übernehmen Sie selbst ihn für uns zu gewinnen. Es ist Oraniens ausdrückliches Verlangen. Zürnen Sie ihm vielleicht aus Gründen, die ich nicht kenne, so überwinden Sie Privatrücksichten um die eine große.«

Der Minister sprach so dringend, daß Harriet nach einem stummen Selbstkampfe zwischen der Eitelkeit des Stolzes und dem, was sie Pflichtgefühl nannte, ihm die Hand reichte und sprach:

»Ihnen zu zeigen, wie ein Weib wenigstens darin groß sein kann, daß sie ihre eigene Ueberzeugung verstummen läßt, wenn es gilt, so will ich blindlings Ihren Anweisungen folgen. Sie laden meinen Kräften keine zu schwere Bürde auf; ich zürne dem jungen Fletcher nicht, zu finden hoffe ich ihn durch seine Geliebte, und sollten mir die Kräfte versagen, diesen tiefen Geist zu bewegen, so hoffe ich, meine Freundin Miß Tennison, die schon einmal den Ritter in einen Priesterrock gesteckt und während des letzten Krieges eingesperrt hielt, wird Mittel finden auch jetzt den Starrkopf zu bewegen, ein weniges für Englands Rettung zu thun.«

Dykvelt geleitete die Lady bis zur Hausthür. Er vermochte es nicht durch Schmeichelworte die Zweiflerin zu überzeugen. Sie drückte ihm als Versicherung ihrer Zusage noch aus dem Wagen die Hand, als dieser aber fort rollte, verzog sich das schöne Gesicht zu einem bittern Lächeln:

»Für wie klug, wie geachtet, wie rechtlich, ein Muster der Männer, gilt dieser Dykvelt! Man gewinnt auf den ersten Anblick ein Vertrauen zu ihm, daß man Alles in seine Hände legen möchte, und doch nur Maske! Wie alle Männer bis auf die Wenigen der Compendienklugheit hingegeben, selbst ohne Begeisterung, und ohne Glauben an Begeisterung, Größe und weibliche Kraft! Aber soll denn nicht die Zeit kommen, wo die Spötter den Strahl der reinen Tugend schon auf dieser Erde glänzen sehen?«

Noch an demselben Abende erfuhr Harriet, daß Miß Tennison schon am Nachmittage London mit ihrem Oheim verlassen habe, und sie beschloß ohne Verzug ihr zu folgen.


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