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Siebentes Capitel.

Galloway. Wir wählen diesen Pfad. (ab.)
Lincoln. Ich diesen dort. (ab.)
Cornwall. Ich nehme jenen Weg. (ab.)
Athelstan. Ich diesen hier,
doch aller Wegen folgt das Elend mir. (ab.)

Deckers Fortunat.

 

Schon in der Mittagsstunde des verhängnißvollen Tages rollte die Karosse des Dechanten Tennison wieder zum Thore der City hinaus. Es waren dieselben Reiter, derselbe Kutscher, dieselben Pferde; wer aber hätte in ihnen das stolze Gespann wieder erkannt, das vor wenigen Tagen, im vollen Gefühl des Mannes, den es trug, London zueilte. Die beiden Jokais knallten nicht den Buben auf der Straße um die Ohren, die Bewaffneten ritten mit gesenkten Häuptern dicht hinter dem Wagen, und der Kutscher blickte mürrisch vor sich hin auf die Pferde, ja diese selbst schienen in ihrem melancholischen Trabe zu fühlen, daß ihr Gebieter seine Hoffnungen in der Residenz zurückgelassen, und nichts als den Dechanten in die Provinz zurück bringe.

Tief in die Ecke des Wagens barg sich Sir Alexander. Georg hatte bald gemerkt, daß er dem Herrn keinen angenehmern Dienst leiste, als wenn er ihn gar nicht beachte, und seine Blicke schweiften hinaus, um den Dechanten ganz sich selbst zu überlassen, denn Miß Anna hatte mit ihren eigenen Gedanken so viel zu schaffen, daß Sir Alexander an ihrer Seite füglich als allein sitzend gelten konnte. Jetzt war der Wagen hinaus, durch kein Prallen und Stoßen auf dem Pflaster wurden die Gedanken mehr zu kühnerem Fluge getrieben, und in dem Sande mochte der Gekränkte die Schmerzen einlullen. Er richtete sich, als ein Lüftchen durch die Kutschenschläge drang, mit einer gravitätischen Haltung auf, und als ihm ein tiefer Stoßseufzer entstieg, hätte, wer darauf achtgegeben, den Ausdruck der weisesten Entschließungen auf des Dechanten Stirn lesen mögen. Es schien, als lege sich sein Gesicht in gewissermaßen antike Falten, auf denen stoische Sprüche geschrieben standen. Zum Beispiel, dünkt uns, als müsse er nach der Melodie geseufzt haben: beatus ille, qui procul negotiis etc. Wie stand es deutlich da, daß das ganze Hofleben nichts sei, als ein buntes Getreibe der Thorheit und Eitelkeit, wie, wer dem entgangen, von Glück sagen müsse. Wie kann der Mann in der Abgeschiedenheit des Landlebens ganz Mann sein, der Gelehrte sich und der Nachkommenschaft leben? Mancher Seufzer mochte auch den armen Bethörten gelten, welche, noch nicht davon überzeugt, im Drängen nach Gunst und Ehrenstellen Laune, Zeit und Gesundheit opfern. Gern hätte der Dechant diese und ähnliche Betrachtungen auch mitgetheilt; so oft er indessen aufblickte und sich räusperte, schreckte ihn ein Lächeln, das auf Annens Rosenlippen die innere Zufriedenheit und Lust des Fräuleins andeutete, davon zurück. Ja, als er einmal nach einem kurzen Schlummer die Augen aufschlug, fand er Annens niedliche Hand in seltsamen Spaziergängen auf seinem Oberrock sich belustigend. Ihre Mundwinkel verzogen sich schelmisch, als er erschreckt nach der Ursach fragte und die Hand, welche ein so unbefugtes jus itineris ausübte, gefangen nahm; da er jedoch kein weiteres Geständniß erpreßte, als daß sie etwas an den Knöpfen abzähle, hielt er es zur Erhaltung seiner Autorität als Oheim angemessener weiter zu schlafen, als weiter zu inquiriren.

Miß Anna schlief nicht, ob sie schon die Augen zudrückte. Wer das Spiel der Phantasie am Spiele der Muskeln verfolgen kann, hätte die Luftschlösser gesehen, die sie baute. Es war ein glücklicher Tag, keines stürzte zusammen; die Finger waren in lebendiger Thätigkeit, und die Lippen murmelten in Gesangesweise Verse alter Balladen, so weit sich dies thun läßt, ohne von zwei Männern, die halb schlafend in demselben Wagen sitzen, bemerkt zu werden. Plötzlich fühlte sich der Dechant so stark auf das Knie gedrückt, daß man den Druck fast einen Schlag nennen mochte, und der Ausruf: »Dort kommt er!« trug nicht wenig dazu bei, ihn auf unangenehme Weise völlig zu wecken.

»Wer kommt, hinter uns oder vor uns?« fragte er.

»Vor uns dort! Gleich ist er in der Kutsche« rief Anna, und schlug die Hände freudig zusammen.

»In der Kutsche? Um Gottes Willen Kind, wen kannst Du meinen?«

»Den Sonnenstrahl, theurer Oheim; sobald wir um die Ecke biegen, macht er uns einen Besuch zum Fenster herein.«

»Deine Launen sind heute sehr phantastischer Art,« meinte Sir Alexander. »Mich dünkt die Luft ist schwül genug, daß wir keines Sonnenstrahls bedürfen um uns der Hitze zu freuen.«

Miß Anna achtete darauf nicht. Ihre schwarzen Augen flogen auf dem ausgebreiteten von der Sonne hellbeschienenen Sommerfelde umher. »Seht wie die Wolken sich theilen, die den ganzen Tag kein blaues Fleckchen am Himmel zeigten. Wäre ich eine Puritanerin und hätte in dem Augenblick etwas recht dringend gewünscht, als die Sonne durchbrach, so hieße das doch ein Wunder. Ich will auch glauben, daß es ein Wunder ist, da meine Gedanken sich so innig mit einem frommen Puritaner beschäftigten. Oheim, jetzt – jetzt, nun bestrahlt auch Euch die Sonne, ordentlich ein Heiligenschein um Euer Haupt. Ihr hattet gewiß einen recht frommen Wunsch.«

Wenigstens faltete Sir Alexander die Hände und blickte gen Himmel. Da es aber die Decke der Kutsche war, welche den freien Aufflug der Gedanken bis zu jenem hinderte, so beschloß er die weitere Fortsetzung derselben diesmal auszusetzen und schlief bis das Stillestehn des Wagens ihn erinnerte, daß vielleicht jetzt die Zeit gekommen, und er sich allein sitzend fand.

Ein Jokai berichtete dem hochwürdigen Herrn auf dessen erzürnte Frage, was hier vorgehe, daß man vor einem Haidekruge angehalten, um den Pferden etwas Schwarzbrod und Branntwein vorzusetzen. Zu dem sauren Biere und der schlechten Bequemlichkeit hätte man nicht gewagt den Dechanten einzuladen, ein Grund der diesem vollkommen einleuchtete. Da er aber nicht verschmähte auszusteigen um der frischen Luft willen, die aber nicht frisch war, sondern schwül, sah er die Nichte in eifrigem Gespräche mit einer höchst verdächtigen Person. Nicht besser gekleidet, wenn auch anders als da wir ihn zuerst sahen, wog der Irländer Macnamara einen kleinen Beutel, den ihm Anna in die Hand gedrückt und flüsterte, nachdem er ihn wohlgefällig in die Westentasche gleiten lassen, – ihr zu:

»Mylady, sowahr ich manchem Herrn und allen Parteien auf der Insel treu gedient habe, und ließe mir Graf Sunderland den Hals abschneiden, mehr kann ich selbst ihm nicht vertrauen, als daß ich ihn beim Quäker Paterson gesehen. Das war er aber auch leibhaftig, so wahr mir Robert Fletcher nächst mir selbst der liebste Mann in England ist. Paterson ist ein Fuchs wie einer, und wollte nicht mit der Sprache rausrücken. Ich ließ es auch dazumal bewenden, weil ich wichtigere Personen – Mylady müssen schon verzeihen – aufs Korn hatte, sie auch meinten, er würde pardonirt werden, wo es denn immer schlimm aussieht mit der Bezahlung; aber sowahr das Fegefeuer des heiligen Patricius brennt, wenn ich weiß, wer jetzt für ihn bezahlt, wenn er pardonirt ist, da will ich ehesten Tages, wenn ich von London zurück bin, ihn aus seiner Höhle aufjagen.«

Miß Anna eilte auf den Oheim zu; die sorglose Lust war entwichen, sie bestürmte ihn mit Bitten, den Weg nach dem Meierhofe einzuschlagen, wo der Quäker ihnen gastfreundliche Aufnahme auf der Hinreise gewährte. Aus den Bruchstücken ihrer hastigen Rede entnahm der Dechant was es gelte, ohne daß die Absicht der Nichte mit der seinigen stimmte. Er wies auf den Irländer, der mit wenig verhohlener Freude zuweilen sich umblickend seines Weges zog; er möchte für gute Bezahlung ein Schelmenstück ausgeübt haben; er sei gegenwärtig in Diensten des Grafen Sunderland und werde die Geheimnisse eines so freigebigen Herrn nicht ausplaudern. Anna hatte für alles Gegengründe, und als sie endlich soweit ging, dem Dechanten ins Gesicht zu sagen, daß alle seine Gründe nicht der Grund seiner Weigerung seien, sondern der Unwille gegen den Liebling seines Bruders, ja gegen einen vom Könige Begnadigten, mußte der Mann nachgeben, der sich bereits seit zwölf Stunden an die Vorstellung gewöhnt hatte, daß ihn der Himmel zu dem seltsamen Märtyrerthum bestimmt habe, nie das zu thun, wozu er sich nach seiner Ueberzeugung entschlossen.

Ueberdies mußte der Dechant, als der Wagen schon kehrt gemacht und den Seitenweg eingeschlagen, erfahren, daß es in der Gegend nicht sicher sei. Wenigstens wollte ein Reisender aus der Schenke verdächtiges Gesindel bemerkt haben, und ein anderer meinte, die flüchtigen Haideritter, welche bisher an der Gränze von Wales ihr Wesen getrieben, zeigten sich jetzt hier und dort. Annens Gesicht verrieth, daß ihr diese Umstände nicht ganz unbekannt geblieben waren, aber der Dechant hatte entweder so weit den Muth verloren, nicht einmal seine Mutlosigkeit blicken zu lassen, oder die Ereignisse des Tages wirkten noch so niederdrückend auf seinen Geist, daß ihm die Gefahr von Räubern angefallen zu werden gering dagegen dünkte. Kurzum die Reiter hatten sich in Trab gesetzt, der Kutscher die Pferde angepeitscht und die Karosse war zehn Minuten gefahren, ehe der Dechant ein Wort vorgebracht hatte.

Nun aber hub er, und mit ernsterer Stimme, an: »Ich begreife nicht, weshalb meines Bruders Tochter eine Sache gegenwärtig mit einem Ernste betreibt, der ihrem Charakter und früheren Treiben mehr denn widerspricht. Wenn ich zuvor wenig einer Vereinigung meiner Nichte mit diesem schwindelköpfigen Helden geneigt sein konnte, so zeigte auch Miß Anna die Moderation, welche der Erbin solcher Namen und solches Vermögens ansteht. Sie zog den jungen Menschen wie er es wohl verdienen mochte, und man es zu nennen pflegt bei der Nase herum. Auch das nächtliche Abholen und Einsperren ließ ich mir, der Gefahr, in die es meinen Ruf bringen konnte, unerachtet, der allgemein christlichen Liebe halber, als welche jene irdische Neigung, hier wohl gelten konnte, gefallen. Jedoch jetzt, nachdem man hoffen konnte, daß der Mann, dessen Name wie eine schlecht gestimmte Rebellionstrommel klingt, verschollen sei, jetzt wo jeder Engländer froh ist, wenn nur der ruhige Ehrenmann in Frieden bleiben kann, sucht Miß Anna den längst vergessenen Störenfried wieder hervor, stört bei der seltenen Zusammenkunft mit dem Könige den ganzen Erfolg einer Unterhaltung, auf die ich mit schmerzlicher Erwartung blickte und fährt durch Wald und Feld dem Manne nach, der seine Gründe hat, weshalb er sich vor aller Welt verbirgt, demselben, der drei Jahre lang sich um Miß Anna Tennison auch nicht so viel gekümmert hat. Ich frage nun zweierlei, erstens ob dies Consequenz heißt, und demnächst, ob meine Predigten über weibliche Inconsequenz noch jetzo aus dem Blauen gegriffen sind, wie mir Fräulein Nichte zuweilen vorzuwerfen beliebte? Dann aber frage ich: Haben wir den Ritter bei dem Quäker gefunden, in welcher Form ihn anreden? Fordert man, ich soll ihn ans Herz drücken, wie einen verlornen Sohn, oder will Miß Anna selbst ihm die Arme aufthun, und alle die Keckheit zusammt dem Stolze fahren lassen, auf die, wie ich wohl zu erfahren Gelegenheit fand; meine Nichte Anna Tennison sich nicht wenig zu Gute that?«

Die Nichte senkte das Lockenköpfchen und schwieg eine Weile als sinne sie in der That der Rede nach: »Oheim!« rief sie plötzlich, sich aufrichtend. »Ich hoffe nicht, ihn suchen zu müssen, ich hoffe er soll uns finden.«

»Fährst Du Deinen Oheim zu einem Rendezvous mit dem Geliebten?«

»Oheim, ich weiß so wenig als Sie von ihm; weiß ich doch nicht einmal ob er lebt, aber der Sonnenstrahl sagte mir vorhin ganz bestimmt, daß ich ihn treffen soll. Von jenen Wegelagerern wissen wir, daß sie nur mit Auswahl Reisende anfallen; es sollen ursprünglich geachtete Anhänger von Monmouth, geflüchtete Schotten, Cameronianer sein, die ihr Wesen im Westen treiben. Wenn er nun vor den Kutschenschlag träte hier –

»Im Walde?« unterbrach sie der Dechant.

»Hier im Walde Robert Fletcher, dem Kutscher ein donnerndes Halt zuschreiend –«

»Meinst Du,« sagte der kleinlaute Prälat, »er könne noch an unser letztes Gespräch denken?«

»Allerdings über die Canonisation der Bischöfe,« fiel Anna ein. »Aber wenn er unsere Börsen verlangt, halte ich ihm die Begnadigung des Königs entgegen und der Rebell und Räuber muß, wenn er nicht ein ganz ordinairer Aufwiegler und Wegelagerer geworden, niedersinken auf die Knie, und mit Thränen dem Dechanten Tennison danken, daß er eine so vortreffliche Nichte besitzt, die einen Jugendfreund, ob er gleich drei Jahre lang ihrer nicht gedacht, dennoch nicht vergessen hat.«

Ein fernes Donnern unterbrach die Rednerin und George steckte das Gesicht besorgt zum Wagen hinaus. Ein starkes Gewitter war im Anzug; nach welcher Himmelsgegend man sich wandte, dem Auge begegnete nur ein Gewölk, welches, mit der anbrechenden Nacht gemeinschaftliche Sache machend, den dunklen Waldweg so verfinsterte, daß die blendend weißen Blitze schon den Dienst der Fackeln vertreten mochten. Die Reisenden verstummten mehrere Minuten bis der Dechant einen seltsamen Wunsch über die Lippen brachte; er sprach es nämlich aus, daß die Wohnung des freundlichen Quäkers in der Nähe sein möge. Die Miene des Kammerdieners, eines dieser Gegenden wohl kundigen Mannes, gab wenig Hoffnung, daß der Himmel die friedlichen Wünsche seines Dieners diesmal erhöre. Der Donner wurde immer stärker und der Regen begann mit einer Heftigkeit herab zu strömen, als drohe er durch die Decke der Kutsche zu dringen.

Es war jenes starke Gewitter, das nach den Beobachtungen der damaligen Wetterpropheten in merkwürdiger Ausdehnung von London bis in die westlichen Grafschaften sich erstreckte, den Marsch ungefähr bezeichnend, welchen später Oranien machte. An einigen Orten hörte man es eine kleine Stunde hindurch ununterbrochen donnern, als werde eine große Erdrevolution vorbereitet; selbst Newton hat sich, einzelnen Andeutungen gleichzeitiger Schriftsteller zufolge, über dieses Ungewitter in einer kleinen Flugschrift vernehmen lassen, die aber verloren scheint. Mag dieser berühmte Genius davon gehalten haben, was es sei; so viel ist gewiß, daß, wo Glaube und Aberglaube herrschte, man in dem rollenden Donner den Zorn des Himmels über die den Bischöfen und in ihnen der englischen Kirche zugefügte Schmach erblickte.

Alte Eichen wurden hie und da entwurzelt, was denn seine leicht erklärliche Deutung bei den nächsten Ereignissen fand. So furchtbar ging es nun zwar in dem Walde, den unsere Reisenden passirten, nicht zu, allein mit Schloßen und Hagel stürzten dürre Aeste prasselnd auf die Kutsche, daß die scheu gewordenen und von den Blitzen geblendeten Pferde nicht mehr die Mitte des Weges hielten, und der Wagen bald rechts bald links an dem Dickicht fortschleifte. Die Reiter kamen oft mit den Kutschpferden in Verwirrung und zwischen dem Donnern am Horizonte und dem Rauschen des Sturmes in den Gipfeln tönten die Verwünschungen der Menschen hervor, um die allgemeine Verwirrung zu vollenden. Sie mochten drei Viertelstunden in diesem Unwetter gefahren sein, als den Ansitzenden die unwillkommene Nachricht wurde, daß man überhaupt vom Wege abgekommen sei. So viel Blitz und Regen zu fühlen erlaubten, fand man sich auf einem Holzwege, dessen Geleise sich mehr und mehr unter dem Rasen verlor, und der so eng wurde, daß die Furcht, er möge endlich im Dickicht ganz ausgehn, nicht ungegründet schien.

»Immer zugefahren, wir müssen doch irgend wo hinauskommen,« rief der eine. »Oder mit Pferd und Wagen stecken bleiben bis das Vieh am Morgen crepirt ist,« der andere. Es zeigte sich ein Seitenweg; den solle man einschlagen, er scheine befahrener, meinten die Reiter, der Kutscher aber, es sei ein Weg für Diebe und Mörder, er sei immer im Rechten geblieben. Darüber entspann sich ein Streit, so heftig, daß der Kutscher, vielleicht aus Versehen, statt auf die Pferde auf die opponirenden Reiter die Peitsche schwang. Diese blieben es ihm nicht schuldig. Es gehörte nicht zu den Eigenschaften des Dechanten, durch Interponirung seiner Autorität den Hausfrieden immer aufrecht zu erhalten; am allerwenigsten war er daran gewöhnt, seine Domestiken bei einem nächtlichen Sturm im Walde in Ordnung zu bringen. Hätte nicht der Kammerdiener einige derbe Flüche aus dem halbgeöffneten Fenster auf Jack und Andrews geschickt, der Dechant Tennison hätte noch eine Viertelstunde am Scheidewege warten können, bis ein Gottesurtheil zwischen seinen Dienern es entschieden, welcher Weg der richtige sei.

»Schlingel! statt daß Ihr zankt, sprengt hinein und seht, ob es da weiter geht!« Beide Reiter folgten dem Befehl, der Kutscher aber sah in der Abweisung seiner Gegner eine Billigung seiner eigenen Ansicht. Er peitschte die Pferde auf dem schon eingeschlagenen Wege so stark fort, daß er erst, als nach zehn Minuten der Donner etwas nachließ, die neuerdings gegen ihn erlassenen Flüche des Kammerdieners vernahm, der ihm zugerufen inne zu halten damit die Reiter sie wieder einholen könnten.

»Es geht jetzund prächtig Meister George, grade der rechte Weg,« schrie der Kutscher in den Wagen zurück, »es wird mit jedem Schritte besserer Boden und der Wagen fliegt.«

Der Wagen flog in der That, denn das linke Vorderrad stieß auf eine hohe Wurzel, daß die ganze Karosse auf der linken Seite so in die Höhe schnellte, daß sie dort balancirend es vorzog nicht wieder auf derselben Seite zur Erde zurück zu kommen. Im Niederstürzen riß sie zwei Büsche mit sich herab und der Kutscher flog tief in das Dickicht, daß, wie er später versicherte, wenn es nicht stark geblitzt, er so wenig als die Reiter seine Kutsche wiedergefunden hätte. So lag das große Gebäude, dessen Gestell der Pariser Meister Depremelé noch unter Karl dem Ersten aufgerichtet, und woran viele Engländer späterhin, die erste große Idee des Erfinders, anstaunend, ohne sie zu übertreffen, gekünstelt hatten, halb, die Räder ganz, zerschmettert auf dem Boden. Die Pferde, mit hinabgerissen und aufeinander liegend, rangen mit den halb gesprungenen Strängen und kämpften ihre mächtigen Leiber aus dem nassen und schmutzigen Lager emporzuarbeiten. Wäre dies nicht gewesen, was, so lange die Stränge nicht ganz rissen, die Kutsche selbst in dieser demüthigen Lage keine Ruhe finden ließ, der Aufenthalt drinnen hätte nicht zu den unangenehmsten gehört. Es war ein Fall, aber ein sanfter Fall, denn dasselbe Gestrüpp, welches die Karosse mit sich hinabriß hielt seine verderbende Last so lange auf, daß Oheim, Nichte und Kammerdiener mit Besinnung fallen konnten, was nicht bei allen Fällen der Fall ist. Da nun die Breite der Kutsche, wenn auch nicht ihrer Länge, doch der Höhe gleichkam, so brauchten die betreffenden Personen sich nur umzusetzen, um eine bequeme Wohnung in dem Unwetter zu haben.

Miß Annas Temperament machte sie aber wenig fähig das Glück einer solchen Bequemlichkeit zu würdigen. Kaum daß sie sich überzeugt, der Dechant lebe noch ohne bedeutend beschädigt zu sein, stieß sie die Wagenthüre über ihnen auf und schwang sich mit der Lebendigkeit ihrer Kinderjahre hinaus, dem guten Oheim die Hand reichend ihr zu folgen. Dazu sah sich der gute Oheim in der That genöthigt, wollte er nicht von dem Regen, der durch den Kutschenschlag mit aller Gewalt eindrang, ertränkt werden. Es kostete einige Anstrengung, jedoch mit Beihülfe Georges stand auch Sir Alexander bald, wenn auch nicht auf festem Boden, doch wenigstens auf einem, dem keine Gefahr drohte von dem Ungestüm der Pferde fortgerissen zu werden. George rief nach beiden Jokais, nach den Reitern, endlich nach dem Kutscher, aber nur der letzte antwortete, daß wenn er erst zu sich selbst gekommen, er versuchen wolle auch zu den andern Nothleidenden zu kommen. Die Jokais mußten sich verloren haben während des letzten Stürmens, und der besonnene Kammerdiener hielt bei so bewandten Umständen es für seine erste und einzige Sorge was der Wagen trockenes darbot seiner Herrschaft zum Schutz gegen den Regen hervor zu suchen.

Unter einer hohlen Eiche, so alt und ehrwürdig als für uns die, welche Karl II. einst verbarg, hatten Beide Schutz vor den ärgsten Güssen gesucht. Wenn die Blitze durch die dürren Aeste leuchteten, mochte man auch auf Annas feinem Gesichte, wie es unter den übergehaltenen Tüchern vorblickte, die Blässe der Furcht wahrnehmen. Doch war sie es, welche zuerst Besinnung gewann zu handeln. George war auf ihren Befehl beschäftigt dem Kutscher aufzuhelfen, als sie bemerkte, daß das Gewitter nachlasse. So heftig es gewüthet, so schnell war der Uebergang. Noch wogten unruhig die Tümpel, welche der Wolkenbruch zurückgelassen, als schon der Mond hervor brach und ein kühler Windzug die Wolken trieb, daß man den blauen Himmel hie und da erblickte. Die Räder waren zerbrochen und zwei Pferde leicht beschädigt, dazu wurden des Kutschers Schmerzen so heftig, daß er selbst einer Pflege bedurfte.

Anna faßte daher plötzlich die Hand des Dechanten: »Hier bleiben Oheim ist unmöglich. Durchnäßt, wie wir sind, gilt es Bewegung suchen. Wir müssen, wenn wir den Weg verfolgen, wenigstens eine Hütte finden, und jeder Wechsel in unserer Lage kommt erwünscht.«

Es blieb keine andere Wahl, denn wiewohl Sir Alexander einen Blick auf die umgestürzte Karosse warf, bot sie doch jetzt, völlig durchnäßt, auch keinen bescheidenen Zufluchtsort mehr dar. Die Pferde bedurften des Kutschers, der Kutscher und das Gepäck der schützenden Anwesenheit des Kammerdieners, so daß der Prälat sich entschließen mußte, nur von der Hand seiner muthigen Nichte, und der Hoffnung, wenigstens die beiden Jokais zu erreichen, geleitet, einen so romantischen Weg anzutreten, wie er sich eines gleichen selbst aus seinen Studentenjahren nicht erinnern konnte.

Noch sauste es in den Gipfeln und das geschüttelte Laub verursachte einen Traufregen, der zuweilen dem vorigen vom Himmel herab wenig nachgab. Im Kämpfen mit dem Dickicht und Ausweichen den tiefen Wassertümpeln, glaubten beide Wanderer endlich auch den Holzweg verloren zu haben, und nur der Glaube, daß sie zwischen den Windstößen die Antwort der beiden Jokais vernähmen gab ihnen Muth sich auf das Gerathewohl geradezu Bahn zu machen. Wirklich wurden die Menschenstimmen deutlicher, sie glaubten auch ein Licht zu sehen und Anna stand plötzlich, als sie sich durch eine vom dichtesten Gestrupp bewachsene Waldhöhe hinauf gearbeitet hatte, am Rande einer weiten haidigen Ebene, auf der, kaum eine Pistolenschußweite entfernt, menschliche Gestalten um mehrere Feuer gelagert standen oder auf Steinen saßen. Sie sangen, was man ein wildes Freudenlied nennen mochte, untermischt mit Worten aus Psalmen, während die daneben blitzenden Waffen wenig mit dem religiösen Zweck der Versammlung zu stimmen schienen. Annens scharfes Auge hatte mit einem Blicke die Gefährlichkeit ihrer Lage überschaut; sie riß den Dechanten, der eben keuchend die Höhe erstiegen, am Arme zurück, und wollte mit ihm den Rückweg antreten, als ein Lärm die Feierlichkeit der Gelagerten unterbrach. Das weiße Kleid hatte die Lauscherin verrathen, man sprang, auf sie zu, und ehe des Dechanten Fuß eine sichere Stelle auf dem schlüpfrigen Abhange wieder finden konnte, um den Rückweg anzutreten, hatte man beide ergriffen und schleppte sie dem Feuer zu.

Ein alter Mann, der mit entblößtem Haupte auf einem bemoosten Steine gekniet hatte, die Hände unverwandt nach oben gefaltet, erhob sich. Sein Wesen gehörte zur Hälfte dem Räuberhauptmann, zur Hälfte dem religiösen Fanatiker an. Seine Kleidung, ein ledernes Wamms mit gleichem Gurt, woran ein breites Schwert und Pistolen hingen und die hohen Wasserstiefeln verriethen den Sohn der Haide. Der unordentlich beschnittene Bart und die spärlichen Haare, in hellem Grau das Alter des Mannes bekundend, stachen gegen das Braune der Gesichtsfarbe wunderlich ab. Die Falten des Gesichts schienen weniger den Jahren als Sorgen, Leidenschaften und der Lebensweise zuzuschreiben, denn die Arme zeigten noch nervige Kraft. Auch die rollenden Augen hätten eher dem Jünglinge geziemt, konnte man nicht ihren furchtbaren Ausdruck den Kräften des Wahnsinns zuschreiben.

Er stand auf, als Sir Alexander zu ihm geführt wurde, dessen Rock, obgleich ein Reisekleid, seinen Stand nicht verleugnete. Ein Priester! Ein Prälat! murmelte man umher, und kaum hatte ihn Sandy, denn dieser war es, ins Auge gefaßt, als er beide Arme gen Himmel streckte, mit den Worten: »Ich bin erhört, ein zweites Wunder!« vom Steine herabsprang und seine Hände, wie des Geiers Krallen auf die Beute, auf Tennisons Schultern legte. Indessen die Umstehenden, deren Zahl übrigens nicht bedeutend war, den Ausruf: »Ein zweites Wunder!« murmelnd wiederhohlten, stand Sir Alexander alle Qual aus, die ein Gesunder empfinden mag, wenn ein Wahnsinniger, in dessen Gewalt er gegeben, ihn und den Moment wo er ihn vernichten soll, mit entsetzlichen Blicken abmißt.

»Wer bist Du, Kind des Todes?« fragte Sandy. »Ging denn nicht der Geist Baals von Haroseth der Heiden vor Dir her, Dich zu warnen, daß Du in die Hände der unerbittlichen Richter fallen solltest.«

Hätte auch der Dechant Kraft dazu behalten, der Alte, der seine Frage wenig in der Absicht, daß sie beantwortet werde, gestellt hatte, ließ ihm dazu keine Zeit, indem er fortfuhr: »Weil Saul, des Herren Gebot ungehorsam, von den Städten der Heiden eine verschonte, darum kam sein Haus um; ich habe dem Herrn gelobt, meinen Bund mit ihm nicht zu brechen, und denke nicht, weil Du in zerrissenem Kleide ankommst, Du wollest mich täuschen wie die Gibeoniter den Josua. Nicht? Du bist ein Prälat, ein Prälat der hohen Kirche?«

Als der Druck seiner Schultern etwas nachließ, sammelte sich der Dechant durch die äußerste Gefahr, vielleicht auch durch den Anblick der Männer umher, wo nur wenige an Wildheit ihrem Anführer ähnliche Gesichter zu erblicken waren, gestärkt.

»Heißt Dein Bund, den Du mit dem Allmächtigen geschlossen hast, seine Kreaturen erwürgen?«

»Weißt Du wer ich bin?« kreischte er mit einer Stimme, welcher die Heiserkeit des Alters, was sie ihr an Kraft nahm, an Furchtbarkeit ersetzte. »In die Hände Jephta's bist Du gefallen, Jephta, des Sohnes Gilead, der da verbannt ward und wohnet im Lande Tob mit seinen Gesellen. Was der Herr geboten, habe ich gethan, ich habe mein Gelübde nie gebrochen. Meine eigene Tochter ist geopfert; drei Jahre lang war ein Stein mein Kopfkissen und die offne Heide wird mein Nachtlager bleiben, bis die Meßgewänder zerrissen sind, und das ungetrübte Licht des Herrn wieder auf der Insel leuchtet. Aus den Bergen brach Jephta hervor, als die Zeit gekommen, zweifelst Du denn an des Herren Wort, daß sie nicht wieder kommt?«

Neben aller Furchtbarkeit lag doch etwas rührendes in den Drohungen des Alten. Es war nicht der verbissene Ingrim der, als er den lang gesuchten Gegenstand gefunden, herausbrach; er sprach vom Geist der Rache, aber es schien, als bedürfe es einer neuen Kraft, diesen Geist wach zu erhalten. Darum spiegelte er, – darauf deuteten seine abgerissenen Worte, – es sich als eine heilige Pflicht vor, wo Gram und Altersschwäche ihn milder stimmten. Wie schon von der kurzen Anrede erschöpft, setzte er sich auf den Stein nieder, und strich das Haar aus dem Gesichte:

»Die Zeiten werden schlimm; die zum Bunde geschworen werden lau, die Spötter regieren, unsere Zahl ist klein worden, auch dorrt das Mark in den Armen des alten Sandy, aber der Geist Gottes ist unter uns wach und zeigt sich täglich in Wundern aufs neue. Setze Dich Prälat, denn wir wußten, Du mußtest kommen, der Herr hatte es uns verkündet. Hast Du eine Predigt in der Tasche zum Troste für Sterbende, so lies das geschriebene Machwerk ab Dir selbst zum Trost, indeß einer von uns frei, wie es ihm der Herr eingiebt, das Wort des Herrn verkünden soll den Winden und Steinen, wenn die Menschenherzen nicht darauf achten.«

Sandy sprach noch Vieles, mehr oder minder zusammenhängend, indem er dabei das Gesicht in in den Händen verbarg. An Entkommen für die Ergriffenen war indessen bei der Wachsamkeit der Andern nicht zu denken. Doch hatte Anna versucht die Stimmung der Wegelagerer zu erforschen, und zu ihrem Troste gefunden, daß die Mehrzahl den Wahnsinn ihres Anführers erkenne, ohne sich Kraft beizumessen seinen Handlungen offen zu begegnen. Das weichere Gemüth einer alten Frau gab ihr, während der Oheim zuerst auf die Predigt des Alten, dann auf die eines andern dazu berufenen Schwärmers hören mußte, Auskunft über das Wesen dieser seltsamen Zusammenkunft.

Allerdings waren es anfänglich versprengte Anhänger von Monmouth, welche sich in den westlichen Heiden und Gebirgen vor den Verfolgungen gesammelt hatten. Bald jedoch hatten sich diese Haufen geschieden, und der des alten Sandy, meist aus schottischen Cameronianern und wenigen strengen Puritanern aus England bestehend, vom herbsten Geist des Fanatismus getrieben, sich völlig von den andern gesondert. Die alte glorwürdige Zeit des Märtyrthums in den schottischen Moorgründen wollten sie unter den Greueln des Heidenthums in England erneuern. An spärliches Leben gewöhnt bot der protestantische Eifer der englischen Landleute ihnen hinlängliche Nahrung um ihr Leben zu fristen, ohne ihre Gottesurtheile gegen vorüberziehende Reisende soweit ausdehnen zu dürfen, als ihre minder religiösen Kampfgenossen sich dies erlaubten. Sandy führte die Pistole Balfour von Burleys mit sich, einen Finger von Cameron, und andere Reliquien, was dann ihren Unternehmungen, die allemal durch ein besonderes Wunder vorausverkündet wurden, einen glücklichen Ausgang sicherte. Prälaten, Abtrünnige und Verfolger der Heiligen waren allein ihren Angriffen ausgesetzt, und nur einmal war Sandy ein Anschlag mislungen. Um an dem päpstlichen Gesandten ein wahres Strafgericht Gottes ergehn zu lassen, hatte er sich mit seinem geschmolzenen Häuflein so weit östlich gewagt. Es war mislungen und hierin sah der Cameronianer ein neues Zeichen des Himmels. In einer Feuerrede nachdem der Geist über ihn gekommen, hatte er gezeigt wie der Himmel durch den Antichrist die Diener des Baal stürzen wolle, und dieses Thema war es, welches auch der berufene Redner von dem zur Kanzel erwählten Felsblock herab unter fürchterlichen Anrufungen vortrug. Er erzählte wie die Gläubigen am vorigen Tage in der Schwüle des Mittags zu dem Herrn gebetet hätten um ein Zeichen wodurch sie es verschuldet, daß ihnen der Bote des Antichrists entgangen. Bis zum Abendroth vergeblich auf ihren Knieen liegend, sei der Geist über Niemand gekommen. Da aber wäre die Sonne hervorgebrochen, das rothe Licht habe blutig die weite Haide bestrahlt und aus aller Munde hätte es getönt: »Der Herr hat uns erhört!« Ein Hirtenknabe brachte bald darauf die Nachricht von der Gefangensetzung der Bischöfe, was denn unwiderlegbares Zeugniß für die Aechtheit der Stimme Gottes war.

Dann erzählte er, wie das Ungewitter der Nacht die Schläfer geweckt. Der alte Sandy habe sein Haupt entblößt und den kahlen Scheitel den Strömen des Platzregens preisgeboten. Umschlungen hätten sie alle im Kreis gestanden und auf den zürnenden Jehova gehorcht. Aber das Gewitter sei vorübergegangen, ohne daß einem der Geist es eingegeben, womit sie sich vergangen, womit sie ihn versöhnen könnten? Endlich als das Unwetter nachgelassen, habe Sandy gesprochen: »Der Herr Jehova zürnt uns, daß wir müßig lagen, indessen er die Heiden bewaffnete gegen die Baalsdiener, auf laßt uns ihn anflehn um ein Zeichen, was wir thun sollen?«

»Da bist Du gekommen« schloß der Redner mit einer furchtbaren Geste auf den Dechanten. »Dich wies er uns zum Opfer. Darum bereite Deine Seele, und siehe, ob Bücher und Gelehrsamkeit so viel vermögen als das Wort Gottes wenn es lebendig wird.«

»Amen!« sagte Sandy, und machte eine Bewegung als fordere er den Dechanten auf die von dem Redner verlassene Kanzel zu besteigen. Da er indessen sah, wie der Zustand des Geistlichen eine solche geistige Anstrengung in diesem Augenblicke nicht erlaube, setzte er ruhiger hinzu: »Du zitterst noch und triefst vom Zorne Gottes. Wärme Dich erst in der Hütte und am Feuer, denn, was Dir bestimmt, dem entrinnst Du nicht durch die Frist weniger Stunden.«

Sowohl für den Geistlichen als dessen Nichte hatte man indessen durch trockene Kleidungsstücke gesorgt, und Anna, welche bisher von Sandy gar nicht bemerkt schien, benutzte den Augenblick, als sich Alle in die Hütten entfernt, oder auf trockene Steine am Feuer zum Schlafen niedergelegt hatten. Sie trat an den Alten, der bei ihrem Anblick von einer neuen Erscheinung träumte. Er faßte ihre Hand und blickte in das von dem Feuer beschienene Gesicht:

»Du bist Anna Tennison?« sagte er.

»Und dein Gefangener ist mein Oheim, Alexander Tennison,« entgegnete Anna.

» Der?« fuhr Sandy auf, doch nicht so ungestüm, wie es wohl sonst seine Art war. »Doch ja, ich erinnere mich, der Bruder des trefflichen William Tennison! Wie der Herr befiehlt, so geschieht es. Dacht' ich doch nicht den Bruder des William Tennison ihm opfern zu müssen.«

Anna fuhr sanft mit der Hand über die Stirn des Schwärmers: »Gedenkest Du noch meines frommen Vaters; dann bei der Liebe zu ihm, wirst Du nicht so grausam sein. Bei der Liebe zu Deiner Tochter Marie, dem holden Kinde, das so treu an mir hing, verscheuche die wilden Grillen. Gott selbst hat ja die Bischöfe gestraft, wenn sie übermüthig gewesen, was willst Du noch ein Nachgericht halten, an dem armen Einzelnen. Wo ist Deine Marie? Sie soll mit mir bitten.«

Zwei helle Thränen brachen aus Sandys Augen. Anna las, daß ein Unglück vorgefallen; selbst teilnehmend und in der Hoffnung, daß die lebendiggewordene Erinnerung an Leiden den harten Sinn weich machen könne, drang sie in den Alten ihr zu erzählen, was sein Herz drücke, ohne zu ahnen daß die Geschichte sie näher angehe. Sandy mochte selbst die Lust empfinden, so die Last seines Schmerzes zu erleichtern. Er zog das Fräulein zu sich auf einen Stein; blickte ein Mal nach dem Himmel, der jetzt ganz klar und blau, den glänzenden Halbmond zeigte, als schöpfe er von dort das Licht der Vernunft, das ihm so lange abgegangen, und begann darauf:

»Das Gerücht wird Euch, Miß Tennison, gesagt haben, wie ich meinen Arm nicht zu schwach hielt, als es galt den Herzog von Monmouth – Gott habe den Märtyrer selig! – auf den Thron setzen. Er hat nun abgebüßt, daß er bei Bothwellbridge gegen die Heiligen focht, und die Erinnerung daran mag ihm sein Lebelang keinen ruhigen Schlaf gegönnt haben. Vor der Schlacht bei Sedgemoor aber treibt Satanas den Fletcher von Salton, über den der Höllenfürst dazumal nach des Himmels wunderbarer Fügung eine sonderbare Macht ausübte, den Verlobten meiner Marie vor den Kopf zu schießen. Damals entfloh er dem Gerichte, aber als wir, ich und mein Sohn Francis Morthams Leichnam forttrugen, gelobten wir es dem Herrn, seinen Tod nicht zu vergessen. Wie der Tag ausfiel, ist bekannt. Ich wurde von den Flüchtigen fortgerissen, aber mein Sohn, mein einziger Sohn fiel in Jefferies Hände. Sein Todesurtheil war ausgesprochen, heulend hing Marie am Hals ihres einzigen Bruders, als man ihn fortschleppte. Da schaute sie den Henker Jefferies oben am Fenster, wie er lächelte; der Geist des bösen Feindes kam über sie, und sie glaubte es wäre ein Geist des Lichtes. Sie stürzte ihm zu Füßen, badete ihm Hände und Knie mit Thränen, und Jefferies, der die Sprache verstand, schmunzelte und winkte den Schergen drunten, und sie behielten meinen Sohn zurück. Satanas blendete mein Kind, sie ging den schändlichen Contract ein um ihres Bruders Leben. Als sie am Morgen aus dem Bette sprang, rief ihr der Wütherich zu, sie möchte aus dem Fenster sehn, ob es nicht ein schöner Morgen wäre, und vor dem Fenster schaukelte ihr Bruder am Galgen. – Wie damals Jefferies lachte, das Lächeln habe ich noch oft aus meines Kindes Munde hören müssen. Selbst im Tode lachte sie noch so. – Sie wurde nun lustig, sprang umher und sang Lieder, indeß ich den Leichnam stahl – das mußte mir doch wohl der Höllenfürst erlauben. Wie wir nun beide, den Bruder und den Bräutigam auf die Bahre gelegt und Maria ihnen Kränze gewunden, gab es mir der Geist ein, noch einen dritten Sarg zu machen, denn Gott hatte es mir zugeschworen im Traume, ich solle eine dritte Leiche haben, die alles wieder gut machen werde. Drei Tage trugen wir schon die beiden Leichen mit uns, da erinnerte ich Gott in der Nacht an seinen Eid, daß er mir einen Urheber meiner Drangsale zusende, durch dessen Tod die Blutschuld gesühnt werde. Und gerade wie in dieser Nacht, als ich auf den Knieen lag, bringen ihn mir drei Wächter, den blutigen Urheber meiner Leiden; den Fletcher von Salton –«

»Heiliger Gott!« schrie Anna, die mit der gespanntesten Aufmerksamkeit die Geschichte verfolgt hatte, auf: »Ihr habt ihn umgebracht!«

»Der Himmel wollte es anders!« sagte Sandy. »Umgebracht wäre er ohne Bitten, hätte Gott seinen Schwur nicht auf andere Weise gelöst, mein Märtyrerthum zu vergrößern und ihn zur Buße zu führen. Ich ließ ihn die Hand legen an Morthams Kopf und nun, den Kienbrand in's Gesicht gehalten, fragte ich ihn, ob er des Todes schuldig? Er konnte nicht leugnen; doch als ich es ihm auslegte, wie Gott selbst den dritten Sarg für ihn bestellt habe, kreischte mein unglückliches Kind oben am Abhang, den sie zu besteigen pflegte, um, wie sie sagte, nach ihrem Bräutigam hinauszuschauen. ›Nicht so Vater,‹ rief sie herunter, ›der Ritter ist nicht der Dritte. Was soll der Ritter bei Bauern liegen? Zwischen Bräutigam und Bruder das ist mein Platz.‹ Damit schwang sich das gestörte Kind am Ast einer Eiche weit über den Rand und stürzte entseelt uns zu Füßen. Ich hatte es immer gemerkt, daß sie dem Ritter geneigt war, allein der That wegen verdammt sie der ewige Richter nicht, denn sie war gewiß irre. Sie ward auch wirklich in dem Sarge begraben, und nun ruhen sie alle Drei unter drei grünen Hügeln.«

Der Alte wischte sich das Auge. Anna konnte sich des Ausrufs nicht enthalten: »Unglückseliger Vater!« indem das Mitleiden für den Augenblick in ihr die Oberhand gewonnen über das ihr soviel näher liegende Interesse. Doch fragte sie nach einer Pause: »Und Robert Fletcher?«

»Den hatte der Himmel nicht gemeint und so konnte auch Sandy dem Himmel nicht vorgreifen, ob mich der Ritter gleich meine einzige Tochter gekostet hat.«

»Ihr verschontet ihn. Lebt er unter Euch? Ist er in der Nähe.«

»Meine Hand hat ihn nicht berührt, mein Auge nicht mehr gesehen. Mag er Buße gethan haben, wie sie sagen, denn der Geist der Spötter war so in ihn gefahren, daß die Sache des Herrn Flecke bekam, wo er mitstritt. Es wollen ihn einige bemerkt haben, und Gutes von ihm sprechen, allein dem alten Sandy darf er nicht begegnen, daß nicht die alte Wuth über mich komme, und mein Schwert doch noch sein Blut trinke.«

Die Frau, welche sich der schönen Gefangenen mütterlich angenommen, trat jetzt zu Beiden und unterstützte die Gründe, welche Anna anführte den Dechanten zu schonen. Sandy blickte kopfschüttelnd ins Feuer. Seine Gegengründe wurden nur schwach geführt, aber er sprang auf, indem seine Augen vom Wahnsinn wieder zu glühen anfingen, und rief: »Ich habe es dem Herrn Jehova gelobt die Prälaten zu verfolgen bis Gottes Bund mit meinem Volke wieder aufgerichtet steht. Gott helfe, ich kann nicht anders.«

Diese Sprache, so wenig furchtbar die Stimme war, indem selbst weinerliche Klänge sich darin mischten, erschreckte Annen mehr als der fürchterlichste Ausbruch der Wuth. Sandy war so weich gestimmt, als es sein Charakter zuließ, er ging ungern an die That, aber der Gedanke, dem Rufe Gottes zu gehorchen trieb den Fanatiker, und wo waren die Mittel ihn jetzt von dem Wahnsinn zu heilen, der während seines ganzen Lebens gewurzelt hatte. Anna wagte ihn daran zu erinnern, wie er in jener Nacht Gottes Befehl falsch auszulegen im Begriffe gestanden; so möchte er auch jetzt irren. Wider Erwarten stand Sandy sinnend da und fragte die Augen aufschlagend:

»Wohlan! Wo ist der Felsen, von dem ein anderes Opfer herabspringen könnte? Auf der weiten Ebene bewegt sich kein Schatten; ihn allein hat durch ein seltenes Wunder das Donnerwetter her geführt; es hieße Gott lästern, hier seine deutliche Stimme nicht hören wollen. Heran, wer mir beweisen will, ich verstehe nicht das Wort des Herrn!,– Und doch,« setzte er nach einer Pause hinzu, »gebe ich ihm Frist bis der Morgenhahn kräht, kommt dann kein anderer, mag er sein letztes Gebet verrichten.«

Sollte es gleich kaum möglich scheinen bei der peinlichen Spannung beider Gefangenen, bei der Unbequemlichkeit des Lagers, welches man ihnen auf kaum getrocknetem Stroh unter gleichartigen Dächern angewiesen hatte, dennoch behielt die Natur ihr Recht über die durch körperliche Anstrengungen so ungewohnter Art Ermatteten. Anna erinnerte sich noch, von tausend Sorgen gequält, gewacht zu haben, als auch den alten Sandy der Schlaf überkam und eine Todtenstille auf der weiten hellen Ebene herrschte. Sie hatte beim leise über das Thal streichenden West die Kohlen noch einmal auflodern sehn; jetzt als sie die Augen aufschlug, war es heller Tag, die Sonne brannte schon, vor ihr lagen schwarze Aschenhaufen und Steine darum, nirgends aber ein Mensch bis auf ihren Oheim, der sich auf einem andern Lager aufrichtend gleich ihr sich zu vergewissern suchte, ob es Traum sei, oder Wachen? Ihre gegenseitigen Mittheilungen, überzeugten sie, daß es mehr als Traum gewesen; andere hätten gern an einen Spuck der Elfen geglaubt, Anna hatte aber Gründe eine solche Auflösung nicht zu wünschen und für einen Prälaten der hohen Kirche wäre es im Jahre 1688 unschicklich gewesen daran zu denken. Die Fußtapfen im Sande, an sehr schwere und ungeschickte Stiefeln erinnernd, hätten übrigens auch gläubigeren Personen diesen Glauben geraubt. Sir Alexander stöhnte tief auf und blickte dann schüchtern umher. Welche Freude bemeisterte sich aber des würdigen Dieners der anglicanischen Kirche, als er statt der vermutheten Räuber seine vier wohlberittenen und wohlbewaffneten Reiter erblickte, die nicht mindere Freude bezeugten ihre Herrschaft wohl erhalten wiedergefunden zu haben.


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