Arthur Achleitner
Das Schloß im Moor
Arthur Achleitner

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236 Vierzehntes Kapitel

Alsbald nach Doktor Theins Abfahrt war Olga in den Park gegangen und hatte die Tropfsteingrotte aufgesucht, wo man in angenehm kühler Temperatur ungestört den Gedanken nachhängen konnte. Unzufrieden war sie mit sich und der Welt, in einer Verbitterung, die sich nicht minderte, wenn sie daran dachte, daß nur durch übergroßes unüberlegtes Entgegenkommen die Verlobung mit Hodenberg möglich geworden war. Es durfte ein Glück genannt werden, daß sie den Verlobungsring unter erträglichen Umständen wiedererlangt hatte, und daß die Kunde der fatalen Verlobung nicht öffentlich bekannt wurde. Mißlich bleibt aber, daß das nun von dem Willen des Verwalters abhängt; ein einzig indiskretes Wort Wurms, und die Blamage wird größer denn zuvor sein. Es ändert nichts an der Situation, daß Wurm ohne Mandat den Vermittler spielte und Erfolg erzielte. Olga sagte sich, daß sie seine Intervention unter allen Umständen ablehnen, sich nicht in seine Gewalt hätte geben sollen. Gewiß war es nicht echte Liebe für Hodenberg, wohl nur die Sehnsucht, durch den Baron, der nach Wurms Versicherung ein gewöhnlicher Gauner sei, aus den langweiligen Rieder Verhältnissen gerissen zu werden. 237 Damit war es nichts, wie aber wird sich die Zukunft gestalten? Bisher hat Wurm jede Zudringlichkeit vermieden, er bekundet volle Aufmerksamkeit ohne die geringste Belästigung, dennoch glaubt sie, eine Minderung des Respektes herausfühlen zu müssen. Oder ist dies eine Art Vertraulichkeit, hervorgerufen durch die Mitwissenschaft ihres Geheimnisses? Wie nun, wenn Wurm es wagen würde, die Augen zu ihr zu erheben? Was soll werden, wenn Wurm eines Tages für sein Schweigen ihre Hand zur Belohnung fordern würde? Für den Verwalter empfindet sie so wenig Neigung wie früher für den Baron, eher etwas wie Widerwillen; sein Blick ist ihr geradezu unheimlich, doch wirken seine Umgangsformen und Sprache sympathisch, ja fesselnd. Kann ein Mädchen aus gutem Hause sich ein zweites Mal binden, nachdem im Erstfalle mit knapper Not einem Unglück vorgebeugt werden konnte? Fordert die Erfahrung mit dem Hodenberg nicht zu größter Vorsicht auf? Darüber ist sie sich klar: aus eigenem Antrieb wird sie sich mit Wurm ganz gewiß nicht binden. Wenn jedoch der Verwalter seine Kenntnis ihres Geheimnisses nützen will, den Preis für ferneres Schweigen fordert, wie soll sie sich in diesem Falle verhalten? In dieser Frage sieht sie nicht klar, der Gedankengang ist verworren. Eine Zurückweisung muß zum Bruch, zu einem Krach führen; flüchtet sie aber zur Mama, gesteht sie der Mutter die unüberlegte und aufgehobene Verlobung mit Hodenberg ein, so wird es zweifellos auch ein Riesenverdruß, wenn 238 nicht Schlimmeres geben. Solche Aufregung, die einen Schlaganfall bei Mama zur Folge haben kann, muß vermieden werden. Die Folgen sind also nach der einen wie der andern Richtung hin äußerst mißlich für sie, und das Warten, das Herankommenlassen der Ereignisse nicht minder qualvoll. Unmöglich ist es für sie, direkt mit Wurm zu sprechen, ihn zu fragen, welche Absichten er hegt.

Ein Knirschen des Sandes unter kraftvollem Männertritt schreckte Olga aus dem Sinnen auf, angstvoll blickt sie auf den Parkweg, den der Verwalter Wurm herankam. In unmittelbarer Nähe der Grotte blickte er auf und grüßte, überrascht, sie hier zu sehen. Einen Moment zauderte Wurm, ob er weitergehen oder in die Grotte treten solle.

Wider Willen rief Olga: »Suchen Sie mich?«

Jetzt trat Wurm ein, blieb respektvoll vor der jungen Dame stehen, und sprach: »Wenn ich die Wahrheit sagen darf: ja!«

»Sie wünschen?«

»Ich möchte die Bitte um eine Audienz zu Ihren Füßen legen!«

»Haben Sie etwas Besonderes mit mir zu besprechen? Der Fall Hodenberg ist für mich abgetan!«

»Doch nicht ganz, gnädiges Fräulein, und nur dann, wenn das Gericht zu Landsberg die sofortige Auslieferung an die sich für Hodenberg interessierenden auswärtigen Behörden verfügt. Jedenfalls wird der Amtsrichter in Landsberg volle Kenntnis erlangen, 239 und der Mitwisser werden dadurch drei sein, der Richter, Fräulein Olga und meine Wenigkeit!«

»Entsetzlich! Ich kann mich vor Doktor Thein nicht mehr sehen lassen!«

»Als Fräulein Tristner allerdings nicht!«

»Wie? Was wollen Sie damit sagen?« rief, am ganzen Leibe bebend, Olga angsterfüllt aus.

»Gnädiges Fräulein wollen über mich verfügen . . .«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Jeglicher und unvermeidlicher Kompromittierung wird die Spitze abgebrochen, wenn mir die Berechtigung zusteht, die Ehre der Frau Olga Wurm von Hohensteinberg zu verteidigen!«

»Allmächtiger! Sie wollen mich . . .«

». . . heiraten mit allergnädigster Genehmigung! Ja, gnädiges Fräulein! Ich will helfen, retten, Sie mit meinem Namen decken, wenn nötig mit bewaffneter Hand jedem entgegentreten, der es wagen sollte, auch nur einen scheelen Blick auf Sie zu werfen. Verzeihen Sie, wenn ich es unterlasse, von meinen heißen Gefühlen inniger und ehrerbietiger Liebe zu sprechen. In jetziger Lage gilt es einzutreten für Ihren Ruf, für Ihre Ehre, die Kompromittierung zu verhindern, und das kann nur dadurch erreicht werden, daß Olga Tristner sich in Olga von Wurm verwandelt.«

»Großer Gott!« stammelte sie fassungslos.

Zynisch erwiderte der Verwalter, sie funkelnden Blickes musternd: »Lassen wir doch den Himmel aus 240 dem Spiel, der sich sehr ungalant Ihnen gegenüber verhielt, da er Ihnen sonst die Blamage mit Hodenberg erspart haben würde. Doch es bleibe Ihnen die Anrufung unbenommen, vielleicht hilft und verzeiht er Ihnen. Wollen gnädiges Fräulein mir das offizielle Recht zur Verteidigung Ihrer Ehre erteilen?«

»Unmöglich!« rief schmerzbewegt Olga aus.

»Wie's beliebt! Falls gnädiges Fräulein aber auf eine Ehrenrettung durch den Richter hoffen, glaube ich sagen zu sollen, daß Doktor Thein kaum geneigt sein wird, eine in seinen Akten kompromittiert erscheinende Dame zu seiner Gemahlin zu erheben und sich in seinen Kreisen unmöglich zu machen!«

»Herr, das ist eine Unverschämtheit! Ich habe mir nichts vergeben, nichts vorzuwerfen! Hodenberg hat nicht einen Kuß von mir erhalten.«

»Bezweifle ich keinen Augenblick! Fatal wird es aber immer bleiben, wenn Hodenberg im Zuchthaus prahlt, daß das Schloßfräulein von Ried seine Braut gewesen ist!«

»Können Sie dem Menschen vielleicht die Zunge binden, wenn ich Frau Wurm bin?«

»Durch die Vermählung mit mir verschwindet der Name Olga Tristner aus der Welt! Darf ich um Antwort bitten?«

»Ich kann das schwerwiegende Wort heute nicht sagen! Geben Sie mir Bedenkzeit!«

»Mit größtem Vergnügen! Gnädiges Fräulein wollen aber gütigst beachten, daß schon der nächste Besuch 241 des Richters Sie der Gefahr aussetzt, mit – sagen wir höflich – vermindertem Respekt behandelt zu werden, denn die völlige Entlarvung des Verbrechers Hodenberg dürfte amtlich bereits erfolgt sein!«

»Zuviel!« ächzte unter Krämpfen Olga und sank ohnmächtig nieder.

Wurm nahm das Mädchen in seine kraftvollen Arme und trug sie der eiligen Hilfe wegen in ein Burschenzimmer der nahe gelegenen Brauerei, wo er dem anwesenden Burschen Auftrag erteilte, Essig und Wasser zu beschaffen, im Schloß aber von dem Unfall des Fräuleins nichts zu sagen.

Als der Braubursch mit Essig und Wasser zurückkehrte, rieb Wurm die Schläfen des Mädchens eifrig mit Essig und erzielte durch seine Bemühung bald die Rückkehr des Bewußtseins.

»Gott sei gepriesen, die Rettung ist gelungen! Ich werde mit dem Burschen vor der Türe auf Sie warten!« Respektvollst verließ Wurm, vom Brauburschen gefolgt, die Stube.

Olga weinte Tränen der Wut und Scham, ordnete ihre Kleider und flüchtete so hastig an Wurm vorüber ins Schloß, daß von einem Folgen keine Rede sein konnte. Höhnisch lächelnd begab sich der Verwalter ins Kontor; er wußte die Fliege im Netz, das war für die lauernde Spinne die Hauptsache.

Im Zwiegespräch hatte Benedikte von Zankstein Dinge vernommen, die dem Fräulein nicht sonderlich gefallen wollten, so das begeisterte Lob des 242 Verwalters aus dem Munde der sonst vorsichtig urteilenden Frau Helene. Allerdings ist Mama Tristner des Augenlichts beraubt, lediglich auf das Ohr angewiesen, und das Gehör kann trügen. Nicht minder mißfiel Dikten die Versicherung, daß die zu Besuch in Schloß Ried weilende Kusine Wurms häßlich bis zur Ungefährlichkeit sei. Dies glaubte die Zanksteinerin einfach nicht und weckte eine Neugier, wie sie sonst in gleichem Maße nur bei Polizeibeamten und Staatsanwälten zu finden ist. Wenn das Gebaren Theos, die Vernachlässigung Zanksteins, mit jener Häßlichkeit in Zusammenhang gebracht wurde, mußte sich Eifersucht und Verdacht mit geradezu zwingender Gewalt einstellen. Da nun Dikte den jungen Schloßherrn nicht haßte, sondern sogar gern hatte, war ein Gefühl von beginnender Eifersucht ebenso berechtigt wie der keimende Verdacht, daß etwas nicht in Ordnung sei. Zu alledem klagte Mama Tristner, daß von einer regen Geschäftstätigkeit Theos sehr wenig zu hören sei, es müsse der Verwalter alles besorgen. Dieser Äußerung gegenüber meinte Benedikte, daß ein entsprechender Befehl Mamas doch wohl Abhilfe schaffen könnte, da sich Frau Tristner doch ein Leben lang auf das Kommandieren vortrefflich verstanden habe. Eine Jeremiade über Erwachsensein großer Kinder schloß sich dieser Anregung an, es wußte sich Frau Helene keinen Rat, ihr kam Theo im Gebaren verändert vor, nicht minder Olga, beide fanden sich auffallend wenig bei der Mutter ein, Frau Helene fühlte sich 243 vernachlässigt und werde deshalb wohl Fräulein Senta zur Gesellschafterin berufen.

Dikte horchte auf und fragte nach dem Namen.

»Camacero, glaub' ich, heißt die Senta, sie ist von deutschen Eltern in Florenz geboren!« erzählte Frau Helene.

»Halt, Mütterchen, da stecken Widersprüche drin! Wenn die Florentinerin von deutschen Eltern abstammt, kann sie nicht Camacero heißen. Waren oder sind die Eltern aber Welsche, dann haben sie ganz gewiß nicht Camacero geheißen; das Wort ist nicht italienisch.«

»Das vermag ich nicht zu beurteilen, Italienisch kann ich nicht, die Senta aber spricht Italienisch so gut wie andre Sprachen, dürfte also ein grundgescheites Frauenzimmer sein.«

»Kann ich diese Arche der Weisheit sehen und sprechen? Ich weiß nicht, was los ist im Schlosse. Theo, Olga und auch die häßliche Senta, niemand läßt sich blicken, auch den Musterverwalter kann man nicht sehen!«

»Ja, ja, es ist ein Kreuz! Hätte mich gern mit Doktor Thein ausgesprochen, der aber ist kürzlich so rasch aufgebrochen, ich fürchte, er fühlte sich verletzt, da Senta nicht erschien und mit Migräne sich entschuldigen ließ.«

»So? Man meidet also gewisse Leute, die zufällig die besten Freunde des Hauses Tristner sind? Das ist allerdings auffallend. Muß mal mit Thein darüber sprechen!«

244 Frau Helene bat darum sowie um baldigen Besuch des Richters, welche Bitte Benedikte Herrn Doktor Thein übermitteln solle.

»Das kann heute noch, sogleich geschehen, ich habe in Landsberg zu tun und werde im Amtsgericht vorsprechen.« Benedikte verabschiedete sich von Frau Tristner und suchte alsbald Olga auf, die sie in Tränen schwimmend im Kämmerlein antraf. Lustiges Zureden und herzliches Ermahnen, das Herz durch eine Aussprache zu erleichtern, half nichts; Olga weinte und schluchzte, nannte sich tiefunglücklich und verloren, sagte aber nicht, weshalb sie so unglücklich sei.

»Olga, zu einem feierlichen Schmollis mag ich Sie anjetzo nicht auffordern, sagen wir ohne Begießung du zueinander, und nun sage mir, was los ist! Ich will dir die treueste Freundin sein und dir helfen, so ich es vermag! Aber nun beichte, Olga!«

»Ich kann nicht reden! O Gott, wie hart suchst du mich heim!«

»Laß das Jammern, rede vernünftig und deutlich!«

Olga schüttelte das Haupt und schluchzte weiter.

Vergeblich forschte Benedikte nach den Ursachen dieses tränenreichen Elends. Plötzlich rief sie: »Um's Himmels willen, Olga, sprich, macht dich die Hodenberg-Geschichte etwa unglücklich?«

»Nein, aber die Konsequenzen!«

»Was, die Konsequenzen? Was soll denn das heißen?«

245 Hartnäckig schwieg Olga, nicht ein Wort mehr war herauszubringen.

»Dann behalte dein Geheimnis und Unglück, ich werde nun Doktor Thein fragen!« grollte Dikte und erhob sich.

»Nur das nicht!«

»Oho! Ei, ei! Nun aber erst recht! Will doch sehen, ob sich normale Verhältnisse bei euch herstellen lassen oder nicht! Adieu, Olga, ich komme schon hinter dein Geheimnis, ich, die Zanksteinerin, die fest zuzugreifen von jeher verstanden hat! Adieu!«

Dikte saß im Wagen und fuhr eben weg, da vermochte sie für einen flüchtigen Moment einen pikanten Frauenkopf an einem Fenster des zweiten Stockwerkes zu erblicken. »Ahem!« sprach Fräulein von Zankstein und dachte sich ein Teil. Diesmal mußten die Zanksteiner Pferde laufen, was das Zeug hielt, es eilte.

Über eine Stunde konferierten Dikte und der Amtsrichter miteinander sehr eifrig und ernsthaft, es ward ein Kriegsplan entworfen, beraten und schließlich durch Handschlag bekräftigt. Unmittelbar nach dieser Besprechung kaufte Fräulein von Zankstein einen Fotoapparat.

Täglich wurde daheim fotografiert, was einigermaßen stille hielt, Vierfüßler der Reihe nach, dann Mägde und Knechte, die nicht anders glaubten, als daß die Gebieterin übergeschnappt sein müsse. Sämtliche Knechte mußten sich aufnehmen lassen, doch ein 246 fertiges Bild bekam niemand zu sehen. Mählich machte Benedikte doch solche Fortschritte, daß sie erträgliche Aufnahmen fertigbrachte.

Darüber verging einige Zeit. In aller Stille war Höpfner-Hodenberg von Landsberg nach Osnabrück verschickt worden; nur die Bahnbeamten wußten davon, hielten aber das Ereignis nicht für wichtig genug, um einen dienstfreien Tag zum Schwätzgang nach Ried zu opfern, um so weniger, als über dem Moor eine Glühhitze brütete.

Die Zwischenzeit nützte Wurm eifrig, um Olga hart zuzusetzen und dem Schloßfräulein das Jawort abzupressen. Olga wehrte sich verzweifelt, hoffte auf Hilfe und vermochte sich selbst nicht zu sagen, wer Hilfe und Erlösung bringen könnte.

Senta umschmeichelte die alte blinde Frau katzengleich, pflegte und betreute Mama Tristner mit wahrer Hingebung, um sich später zu kühler Dämmerstunde mit erquickender Neckerei des bärenstarken Braumeisters Haferditzel zu entschädigen. Die Florentinerin hatte Theo nach München geschickt, zum Einkauf des Hochzeitsgeschenkes, wiewohl Mama Tristner noch gar nicht um ihre Einwilligung gebeten worden war. Mit dem Kraftmenschen Haferditzel zu kosen, war für die schlanke, genußgierige Senta willkommene Abwechslung, ein köstlicher Scherz, den Wurm allerdings gefährlich nannte. Doch Senta hatte schnippisch erklärt, daß jedes Tierchen sein Pläsierchen habe und der Ulk mit der Rückkehr Theos sein Ende 247 finden werde. So umgarnte Senta den bärenstarken Braumeister, lockte und wehrte ab, gewährte kleine Gunstbeweise, so daß Haferditzel wirr im Kopf wurde. So ähnlich mochte den Löwen eine schillernde Schlange umschlingen.

Der 31. Juli brachte Frau Tristners Geburtstag, der allzeit festlich begangen wurde. Früher, da Mama sich noch des Augenlichtes erfreuen konnte, ging dem Festtag eine venezianische Nacht im Schloßpark mit Feuerwerk und dergleichen Zauber voran, am Festmorgen brachte eine Musikkapelle ein Ständchen vor dem Schlosse dar, dann fand die Gratulationscour der Angestellten und Dienerschaft statt, und mittags gab es eine Festtafel für die Herrschaft und in den Restaurationsräumen der Brauerei ein Mahl für das gesamte Personal.

In der Voraussetzung, daß Theo und Olga wahrscheinlicherweise zum bevorstehenden Geburtstag keine besondern Vorkehrungen treffen werden, da die jungen Herrschaften sehr stark mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt schienen, hatte Benedikte eigenmächtig das Arrangement übernommen und sich einige Tage früher im Schlosse einquartiert. Theo war wie aus den Wolken gefallen, als er davon hörte; sein erster Gang galt Senta, um die Freundin zu größter Vorsicht aufzufordern und vor den scharfen Augen der Zanksteinerin zu warnen. Dann aber war Theo so klug, seine Dienste Benedikten zur Verfügung zu stellen, und die resolute Herrin von Zankstein nahm sie auch an, 248 scherzhaft wie immer, nur hatten Diktens Augen einen Ausdruck, der dem jungen Tristner nicht gefallen wollte. Theo empfand Gewissensbisse, wenn er der ehrlichen Benedikte gegenüberstand, Reue nagte im Herzen, die Vernunft mahnte zur Umkehr, aber der Schloßherr fand den Mut nicht, die sein junges Leben vergiftende Circe aus dem Haus zu jagen. Der im Reden wie im Handeln tatkräftigen, schlagfertigen Zanksteinerin seinen Gemüts- und Herzenszustand einzugestehen, wagte Theo erst recht nicht, wiewohl er sich insgeheim sagte, daß Benedikte es meisterlich verstehen würde, reines Haus zu machen ohne viel Umstände. Dabei müßte aber für Theo eine Strafpredigt abfallen, die er lieber nicht hören wollte. So lief der Schloßherr mit dem Gefühl herum, daß die Zanksteinerin unzweifelhaft etwas im Schilde führe, eine Tat vorbereite und das Pulverfaß zum Explodieren bringen werde, wobei verschiedenes, vielleicht auch Tristner junior, werde mitfliegen müssen. Dennoch vermochte Theo keinen Schritt zur Verhütung der drohenden Explosion zu tun, unsicher genug ließ er den Dingen ihren Lauf und hoffte dabei insgeheim, daß die wackere Benedikte seiner sich doch vielleicht annehmen, ihn nicht unglücklich machen werde. Bei Tisch sprach Benedikte ausschließlich mit Mama und versprach ein schönes Geburtstagsfest; Einzelheiten müßten aber Geheimnis bleiben.

Frau Tristner wollte der Kosten wegen ablehnen, doch Dikte erklärte bestimmt, daß sie sich nichts 249 dreinreden lasse und ihr Arrangement aus eigener Tasche bezahlen werde. Fräulein von Zankstein lehnte denn auch Wurms Anerbietungen ab und nahm nur Theos Beihilfe an.

Am Abend vor dem Fest kam Doktor Thein zur Gratulation ins Schloß und erhielt von Olga seine Zimmer angewiesen. Von einer venezianischen Nacht und Fackelzug war Abstand genommen, der Abend verlief still, ohne Festlichkeit, ohne Blumenspenden.

Den Frühgruß blies zur Überraschung Mamas eine Militärkapelle, und ein Morgenkonzert reihte sich dem Weckgruß an. In treuer Anhänglichkeit war die gesamte Rieder Bevölkerung erschienen, jung und alt drängte heran, und auf Ersuchen Diktens mußte der Verwalter Wurm Ordnerdienste leisten, die Leute gruppieren und auffordern, auf ein zu gebendes Zeichen in das Hoch auf Frau Helene Tristner einzustimmen.

Vor dem Schlosse saß auf einem Stuhl des eigens aufgeschlagenen Podiums Frau Tristner, umgeben von ihren Kindern; Fräulein Senta und der Verwalter Wurm standen hart am Podium, an dessen einer Ecke nun Amtsrichter Doktor Thein mit der Festrede begann.

Flink begab sich Benedikte in richtige Entfernung von der Gruppe, ließ sich von der Kammerzofe den Fotoapparat reichen, stellte ein, und knipps, eine Aufnahme der Herrschaften war gemacht.

Unruhig stand Wurm, der einen Widerwillen gegen Amateuraufnahmen zu haben schien. Auch 250 Fräulein Senta zeigte sich nicht eben entzückt, und als Benedikte ein drittes Mal eingestellt hatte, streckte die boshafte Florentinerin die Zunge heraus.

Knipps, die dritte Platte ist versorgt.

Doktor Thein schloß eben seine Rede, und jubelnd stimmte die Bevölkerung und die unter Haferditzels Führung stehende Brauburschenarmee in das Hoch auf Frau Helene Tristner ein. Die Kapelle schmetterte einen brausenden dreimaligen Tusch, dann begab sich alles hübsch paarweise zur weinenden Frau, die Glückwünsche darzubringen unter Handkuß und Händedruck.

Benedikte trug, unbemerkt im Durcheinander, den Fotoapparat und die Platten persönlich durch den Hof auf die Straße hinaus, wo ihr Wagen wartete. Dem alten Kutscher wurde prompte Beförderung der Platten auf die Seele gebunden. Nun jagte das Zanksteiner Gefährt im sausenden Galopp nach Landsberg zum Entwickeln.

Die Gratulation der Rieder war beendet, da meldete die zum Podium zurückgekehrte, befriedigt lächelnde Benedikte, daß sämtliche Wirte und Kunden der Schloßbrauerei Ried ihre Aufwartung machen, ihre herzlichen Glückwünsche aussprechen möchten.

Das war für Frau Helene die größte Freude, sie lachte unter Tränen der Rührung, als die markanten Gebirglergestalten ihr die Hand reichten und nach guter alter Sitte sprachen: »I mach halt mei Gratulation, Schloßbräuerin!«

251 Ja, das mußte die alte Frau rühren, dieser alte Brauch und das altgewohnte Wort: »Schloßbräuerin«. So war Frau Helene jahrzehntelang genannt worden, der alte Titel in seiner Einfachheit weckte köstliche Erinnerungen an schöne alte Zeiten, da der Gatte noch lebte, und patriarchalische Sitten und Gebräuche herrschten in der Herrschaft, in der Brauerei und im Verkehr mit den Kunden.

Tief bewegt dankte Frau Helene, die der Stimme nach die alten Kunden genau erkannte, jeden einzelnen Gratulanten fragte, wie es erginge, ob die Leute zufrieden seien mit dem Rieder Bier und dergleichen mehr. Jedes Wort freute die Schloßbräuerin, die schließlich Theo zu sich rief und ihm herzlichst für diese Überraschung der Kundengratulation danken wollte.

»Nicht doch, Mama! Diese nette Überraschung ist nicht mein Werk, ich wäre auf den hübschen Gedanken gar nicht gekommen.«

»So? Vielleicht der Herr Verwalter?«

Wurm lächelte höhnisch und blickte unsagbar blasiert in die Luft.

»Nein, nein!« rief Theo, »das ist Benediktens Werk! Fräulein von Zankstein hat diese Gratulationscour arrangiert, die Wirte und Kunden eingeladen!«

»Dikte, Herzensfreundin, ich muß dich Tochter nennen, komm, nimm meinen innigsten Dank und laß dich küssen! O Gott, welch große Freude hast du mir bereitet!«

Senta schnitt Grimassen, als Benedikte ohne 252 Ziererei Frau Tristner umarmte und vor allen Leuten herzhaft küßte.

Die Feier wurde mit Gesang der Schulkinder beendigt, nun konnten die Tafelfreuden beginnen. Benedikte leitete an Stelle der blinden Jubilarin die Herrschaftstafel, unterstützt von Olga, die dem Verwalter so offenkundig auszuweichen bestrebt schien, daß es Doktor Thein auffallen mußte und mit nicht geringer Freude und Hoffnung erfüllte. Willig unterstellte er sich dem Kommando beider Damen.

Fräulein Senta hatte sich bislang arg gelangweilt und über fade Familiensimpelei gespottet, sie taute erst auf, als sie merkte, daß an der Tafel ihr der Platz neben dem Schloßherrn angewiesen war. Theo leitete die zum Servieren beordneten Brauburschen, gab es doch heute Mama zu Ehren wahrhaftigen »Bock«, eigens gebraut für den Geburtstag, und auf diesen Trank freute sich ganz Ried, zumal dieser Trunk auch noch kostenfrei verzapft wurde.

Mit Luchsaugen hatte der Verwalter Wurm die Zettel, welche die Sitzfolge ordneten, gelesen und seinen Namen richtig gefunden, doch war Olga nicht seine Tischnachbarin, er kam neben den Amtsrichter zu sitzen. Eine lästige Nachbarschaft, die nicht geeignet war, seine ohnehin üble Laune zu bessern. Wurm kam von den Gedanken nicht los, daß Fräulein von Zankstein intrigiere, den Kampf gegen ihn aufnehmen wolle. So fein Wurm seine Pläne gesponnen, auf die Gegnerschaft dieser resoluten Dame hatte er 253 nicht gerechnet; es war aber die Feindschaft der Zanksteinerin möglicherweise gefährlicher denn jede andre.

Programmgemäß wurde die Musikkapelle zuerst gespeist, damit sie die Tafelmusik besorgen konnte. Und Mama Tristner, der die Speisen zerkleinert werden mußten, löffelte im Stübchen das Wenige, was ihr die freudige Erregung zu essen erlaubte, unter Beihilfe der Tochter.

Der Festtafel, an der auch alle Gratulanten und Kunden der Schloßbrauerei teilnahmen, mußte Frau Tristner präsidieren, so gut und schlecht dies der blinden Dame eben möglich war. Unterstützt wurde sie dabei von Dikte und Olga.

An Stelle Wurms, der sich wegen Unpäßlichkeit entschuldigte, sollte der Braumeister Haferditzel den Trinkspruch auf Frau Helene Tristner ausbringen. Diese Zumutung brachte den bärenstarken Menschen vorzeitig zum Schwitzen, die Nähe der mutwillig kokettierenden Senta tat das ihrige, um Haferditzel um den Rest seines Verstandes zu bringen. Man hat noch nicht erlebt, daß ein Braumeister ein Redner ist; was Haferditzel auch vorbrachte, wirkte geradezu zwerchfellerschütternd auf die Gäste an der Herrschaftstafel. Mit fetter Stimme hub er an: »Frau Schloßbräuerin und ös Weibets und Mannerleut, hört's zu! Versammelt sein wir, und einen sakrischen süffigen ›Bock‹ haben wir auch, das Essen wird nicht schlecht sein, weil man im Schloß Ried allweil gut kocht! Später gibt's auch etliche gute Tröpferln Wein 254 zum geöhrten Geburtstag von unsrer lieben guten Frau Schloßbräuerin! Das Reden ist meine Sach nicht, ist a Dummheit von die andren, daß sie mich dazu bestimmt haben, ich kann's nicht derpacken, lieber lupf ich alleinig a Mutterfaß und trink einen Hektobanzen auf einem Sitz aus. Auch scheniert mich, daß soviel und nudelsaubere Weiberleut, etwas z' dünn für mich freilich, da sein und mich so dreckig anlachen, mit Verlaub. Mit meiner Rederei kommt nichts Gescheites heraus, das merk ich bereits selber, also lebe hoch die Frau Schloßbräuerin, vivat hoch, hoch, hoch soll sie leben, dreimal hoch und die Herren Kinder daneben!«

Die Tafelgäste lachten aus vollem Halse und vermochten kaum in die Hochrufe einzustimmen.

»Haferditzel soll zu mir kommen!« rief Frau Helene.

Der Bär war eben von Senta in Beschlag genommen worden, die mit ihm übermütig »Schmollis« trinken wollte, er rief daher: »Gleich, Bräuerin, muß grad noch dem Dirndlfräulein Bscheid trinken, hat soviel Durst, die kleine Dingin!«

Das homerische Gelächter veranlaßte Senta, auf weitere Attacken gegen den tappigen Bären schleunigst zu verzichten.

Mit wuchtigen Schritten trollte Haferditzel zur Gebieterin, die ihm für seine gut gemeinte Ansprache herzlich dankte.

»Ist gern g'schehen, Bräuerin, die kleine Dingin hat aber den Teufel im Leib, das darfst mir glauben, 255 Schloßbräuerin: Tu sie bald weiter, sonst setzt es was ab!«

Thein und Dikte wechselten bedeutungsvolle Blicke, Theo senkte betroffen den Kopf, Wurm musterte mit besonders scharfen Blicken die jungen Herrschaften. Der Naturmensch Haferditzel hat ein wahres Wort gesprochen, das empfand man deutlich.

Im Saal erschien nun festlichgekleidet, mit weißblauer Schärpe umgürtet, Schulmeisters Töchterlein, das »Braten-Verslein« zum Geburtstagsfeste aufzusagen. Das Kinderstimmchen zirpte vor Frau Helene:

»Alles Glück des Lebens, Heil und Wohne
Wünschet heut für Sie mein dankbar Herz;
Jede Abend, jene Morgensonne
Bringe Ihnen Freude, Lust und Scherz.
Keine Krankheit, keine Lebensplage
Trübe jemals Ihre Tapferkeit . . .«

»Oha!« rief Haferditzel, »stimmt nicht!«

Die Gäste schüttelten sich vor Lachen über den Lapsus der Gratulantin wie über den drolligen Zwischenruf des Braumeisters.

Das kleine Mädchen blickte hilflos und verlegen auf die lachenden Gäste.

Olga erbarmte sich des Kindes und ermunterte die Kleine, den zweiten Vers zu wiederholen.

256 Zaghaft schnatterte Kleinmäulchen:

»Keine Krankheit, keine Lebensplage
Trübe jemals Ihre – Heiterkeit;
Ihre vielen künft'gen Tage
Sei'n voll Wonne und Zufriedenheit!«

Gerührt dankte Frau Tristner der kleinen Gratulantin und fragte, was sich das Kind wünsche.

»Einen großen Zwetschkenkrampus möcht ich!«

Lächelnd meinte die Jubilarin: »Den kann ich dir allerdings nicht geben, weil ich einen Zwetschkenteufel nicht besitze, aber meine Tochter wird dich nach der Tafel zum Lebzelter führen, und dort kannst du dir nach Herzenslust wählen!«

»Ich dank', Frau Schloßbräuerin! Können wir aber nicht gleich zum Lebzelter gehen?«

Ein Diener überbrachte Fräulein von Zankstein einen Brief, den Benedikte hastig öffnete und las, um das Schreiben dann sogleich in der Tasche ihres Kleides verschwinden zu lassen. Dem Amtsrichter flüsterte Dikte zu: »All right!«

Die auf dem Lande bei solchen Anlässen unvermeidlichen Ehrungen mußte Frau Tristner geduldig über sich ergehen lassen, immer wieder danken und auch die Geschenke ihrer »Untertanen« entgegennehmen, bis endlich die späte Abendstunde ein Zurückziehen in die stille Witwenstube ermöglichte.

Doktor Thein hatte sich schon früher verabschiedet und war nach Landsberg heimgefahren.

257 Benedikte wollte nach Zankstein zurück, blieb aber auf inniges Bitten im Schlosse und nächtigte in Olgas Zimmer, da diese herzlich darum gebeten hatte. Dennoch kam es nicht zu der von Dikten erwarteten Aussprache, Olga gestand nur, von einer unbeschreiblichen Angst erfüllt zu sein, die ihr die Anwesenheit Benediktens hocherwünscht erscheinen lasse.

Senta blieb sehr lange aus und schien auf das Geleite Theos zu warten, doch der Schloß- und Brauherr war von den Kunden stark in Anspruch genommen und zog sich, als die Gäste weggefahren waren, in sein Zimmer zurück. Ihm hatte Haferditzels Ausspruch über die »Kleine Dingin« Senta doch mehr zugesetzt als alle eigenen Gedanken über das tolle Verhältnis. Wirksamer als die Reue war erwachte Scham, Theo schämte sich des Spieles und begann die Reinigung seines Elternhauses zu ersehnen. Der Himmel aber mochte wissen, wie diese betätigt werden konnte, Theo wußte es nicht.

Drei ruhige Werktage folgten dem Festtrubel, alles ging der gewohnten Arbeit nach. Wurm erledigte nur flüchtig seine dienstlichen Obliegenheiten, unterließ die gewohnten Rapporte und spähte unablässig nach Olga aus, die sich aber nur in Gesellschaft Benediktens blicken und sprechen ließ. Fräulein Camacero langweilte sich, verbrachte die meiste Zeit auf dem Diwan liegend und schickte mehrmals schlechtgekritzelte Episteln an Theo, ihn um seinen Besuch bittend. Tristner kam aber nicht und fand sich nur zu den 258 Mahlzeiten im Speisezimmer ein, blieb wortkarg und ging stets vor dem Nachtisch weg.

Am vierten Tage forderte Senta aber direkt und persönlich eine Audienz, und Theo konnte diese, da Olga und Benedikte Zeugen der Aufforderung waren, nicht verweigern. Es geleitete Theo Fräulein Camacero höflich in den Salon des Parterregeschosses und harrte der Strafpredigt.

Auch der Verwalter Wurm ließ Fräulein Olga um eine kurze Besprechung bitten, erhielt aber abschlägigen Bescheid. Aufgebracht, ja wütend, alle Etikette ignorierend, kam Wurm in das Musikzimmer, wo sich Olga mit Benedikte eben befand, und rief heiseren Tones in wilder Erregung: »Ich muß Sie sprechen, Fräulein Olga, ich muß heute endgültigen Bescheid haben.«

Ruhig, doch bestimmt antwortete für Olga Fräulein von Zankstein: »Gewünschten Bescheid dürften Sie heute erhalten!«

Wurm wich betroffen zurück und rief: »Wie? Sie wissen?«

»Geduld, Herr Verwalter! Heute, spätestens morgen wird die Situation für alle geklärt werden! Jetzt aber befreien Sie uns von Ihrer nicht gewünschten Gegenwart!«

Mit einem halberstickten Fluch auf den Lippen entfernte sich Wurm.

Im Salon forderte Senta nicht mehr und nicht weniger, als daß Theo sogleich mit Mama rede und 259 deren Zustimmung zur offiziellen Verlobung einhole. Im Weigerungsfalle werde Senta selbst mit Frau Tristner sprechen und ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen wissen.

»Ansprüche?« rief Theo.

»Jawohl! Ich habe berechtigten Anspruch auf Ihre Hand! Sie sind verpflichtet, Ihr Wort einzulösen und mich sofort zu heiraten. Sie haben mich kompromittiert, meinen guten Ruf geschädigt . . .«

»Ich?«

»Jawohl! Fragen Sie doch nicht so albern! Sie verkehrten in Triest und Wien mit mir bereits in einer Weise, die mich zur Erwartung einer Werbung berechtigte! Sie drangen ohne weiteres in meine Stube . . .! Jedermann muß glauben, daß wir Brautleute sind, ich bin nicht gewillt, auf die Ehe zu verzichten, und bestehe darauf!«

»Ach was! Die paar Küsse! Mehr ist Ihnen nicht genommen worden!«

»Sie irren, mein Herr, ich werde eine Entschädigung in Geld nicht annehmen; ich will Frau Tristner werden, ich werde Sie zu zwingen wissen, und wenn ich es in die Welt hinausschreien müßte!«

Theo hatte gehofft, mit einer Abfindungssumme die lästig gewordene Dame loszuwerden. Diese Hoffnung schien den Anzeichen nach zu Wasser zu werden. Hilflos stand Theo vor der Dame, die ihm nun nichts weniger denn begehrenswert erschien, und ratlos wußte er nicht, was er sagen sollte.

260 »Erklären Sie sich, oder ich gehe sofort zu Ihrer Mutter!« kreischte Senta.

Die Salontüre wurde geöffnet, Benedikte trat ein und sprach: »Die Herrschaften unterhalten sich sehr lebhaft, wahrscheinlich über Florenz?«

»Bitte, stören Sie unsre Auseinandersetzung nicht, Fräulein von Zankstein! Ich halte Abrechnung mit Herrn Tristner!«

»Ah! Sie wollen Ihre Rechnung gestellt haben? Belieben also abzureisen! O bitte, warten Sie doch bis morgen! Der Aufenthalt hier ist ja doch für Sie kostenlos! Es hat also nichts auf sich, wenn Sie einen Tag zugeben!«

Der spöttische Ton Benediktens reizte Senta, schon wollte sie scharf erwidern, da ward Theo abgerufen zum Empfang des Amtsrichters Doktor Thein, der mit Gefolge in dringender Angelegenheit erschienen sei und im Büro bei Wurm warte.

Fräulein Senta erbleichte und wollte den Salon verlassen.

»Dageblieben!« rief Benedikte energisch, »die Abrechnung beginnt!«

Mit jähem Sprung erreichte Senta die Flügeltüre, riß sie auf und flüchtete, bevor Benedikte zugreifen konnte.

Theo erstarb das Begrüßungswort auf der Zunge, als er Wurm gefesselt im Büro erblickte.

Dienstlich erklärte Doktor Thein: »Ihr Verwalter Beda Wurm recte Wurmdobler ist soeben verhaftet 261 worden und wird an das Strafgericht in München ausgeliefert.«

»Verhaftet? Weshalb?« stotterte Theo.

»Steckbrieflich verfolgt als Falschspieler, Hochstapler, Urkundenfälscher und dergleichen mehr! Geben Sie die Papiere Wurmdoblers heraus!«

Als Theo diese Papiere dem Richter überreicht hatte, prüfte Doktor Thein hauptsächlich das Zeugnis und eröffnete dem völlig verblüfften Schloßherrn, daß dieses Zeugnis gefälscht sei.

»Nicht möglich!« rief Theo überrascht aus.

Der Amtsrichter ließ Wurm unter Bedeckung zweier Beamter in Zivil nach Landsberg bringen und sprach zu Theo in dessen Privatbüro: »Hätten Sie mir das Zeugnis gleich nach Einlauf gezeigt, würde das Engagement dieses Fälschers wohl nicht erfolgt sein. Und nun eine andere Frage! Wie hieß die frühere, verstorbene Gesellschafterin Eugenie mit dem Vatersnamen? Mir ist der Name nicht recht geläufig!«

»Dobler!«

»Stimmt! Er nannte sich kurzweg Wurm, sie wählte den zweiten Teil des Namens ›Dobler‹, beide werden Wurmdobler geheißen haben, verheiratet gewesen sein. Wahrscheinlich war die arme Eugenie sehr unglücklich darüber, an einen notorischen Verbrecher gekettet zu sein. Als die arme Eugenie merkte, daß ihr Lump von Gatten sich hier einnisten werde, hat sie, so folgere ich, lieber den Tod einer unvermeidlichen Entlarvung und Kompromittierung vorgezogen.«

262 »Die arme Eugenie!«

»Und nun zu der Kusine des Herrn Wurmdobler!« rief Doktor Thein und faßte den erblassenden Schloßherrn scharf ins Auge.

»Ist Fräulein Senta auch . . .?« stammelt Theo.

»Der Staatsanwalt in München interessiert sich lebhaft für die Dame mit dem kostbaren Namen!«

Theo wagte nicht mehr zu fragen, ein Chaos unangenehmer Empfindungen wogte in seiner Brust.

»Wissen Sie, was das sonderbare Wort Camacero heißt? Na, ich hätte es früher auch nicht gewußt und bin erst durch die Zuschrift der Münchner Polizeidirektion aufgeklärt worden. Die hauptstädtische Behörde hat auf Grund des von mir eingeschickten Festgruppenbildes in Fräulein Senta Camacero eine wegen Diebstahls und sonstiger tugendreicher Dinge gesuchte Sängerin mit dem klangvollen Namen Ursula Kasbeizer erkannt. Dieser Dame werden wir jetzt einen amtlichen Besuch abstatten und Quartier im Gerichtsgefängnis anweisen!«

Theo glaubte versinken zu müssen, er bedauerte in diesem Augenblick die gediegene Festigkeit des Parkettbodens im Kontor. Ächzend stotterte er: »Ursula Kasbeizer – gräßlich! Oh, welch ein Schaf war ich!«

»Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung!« meinte lächelnd der freundliche Richter und fügte bei: »Na, Kopf hoch, Herr Tristner! Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar und mitunter von größerer Leichtgläubigkeit und Liebestollheit wie 263 Sie! Die Ursula ist verdammt hübsch, könnte auch ganz anderen Männern in reiferen Jahren den Kopf verdrehen und Goldstücke entlocken. Hoffentlich war Ihre Beziehung nur ein Flirt! Wollen Sie mich begleiten und der Verhaftung beiwohnen?«

»Ich bitte um Dispens! Übrigens, glaube ich, daß Fräulein Senta das Schloß bereits ohne Abschied verlassen haben wird!«

»Das würde ich lebhaft bedauern! Haben Sie von Vorbereitungen zu plötzlicher Abreise etwas gemerkt?«

»Ich befand mich mit den Damen im Salon; Fräulein von Zankstein wollte Senta zum Bleiben veranlassen, doch die Camacero flüchtete ganz plötzlich, und im selben Augenblick wurde ich zu Ihnen gerufen.«

»Dann wird der Vogel wohl bereits entwischt sein!« rief Doktor Thein und bat, ihn zu den Zimmern der Kasbeizer zu führen.

Nun Theo die kompromittierende Freundin geflüchtet glaubte, konnte er sich zum Führer anbieten. Beide Herren begaben sich in das zweite Stockwerk und fanden die Zimmer Senta-Ursulas leer. Weitere Nachforschungen Doktor Theins ergaben, daß die Dame ohne Hut ein zufällig nach Ried fahrendes Fuhrwerk zum Umkehren gen Landsberg veranlaßt hatte.

Der Amtsrichter ließ sofort Verhaftungsbefehle an die Gendarmerie nach Landsberg depeschieren, verständigte die Bahnstation telegraphisch und sandte eine weitere Depesche nach München behufs 264 Empfangnahme des Fräuleins bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt.

Ins Schloß zurückgekehrt, fand Doktor Thein Fräulein Benedikte in reger Unterhaltung mit Theo, und diskret zog er sich in das Musikzimmer zurück, wo er Olga antraf, die ihm demütig und gesenkten Blickes entgegen ging und mit bebender Stimme sprach: »Sie haben mich aus Not und Elend gerettet! Ich möchte Ihnen aus tiefstem Herzensgrunde danken, vermag aber nicht die rechten Worte zu finden! O Gott, was müssen Sie von mir denken?«

»Keinen Dank, liebes Fräulein Tristner. Ich habe ja nur meine Pflicht als Beamter erfüllt! Was ich von Ihnen denke, will ich Ihnen offen sagen: Sie waren leichtgläubig und haben sich umgarnen lassen. Diesen Fehler haben Sie überreichlich gebüßt die letzten Wochen hindurch, Qual wahrlich genug ausgestanden! Es ist alles gesühnt, danken wir Gott, daß der zweite Gauner noch rechtzeitig abgefangen werden konnte. Wir wollen über das Vergangene kein Wort weiter verlieren, blicken wir hoffnungsvoll in die Zukunft! Es würde mich freuen, wenn auch Sie, liebes Fräulein Olga, mich als Freund anerkennen wollten!«

Beklommen erwiderte Olga: »Müssen Sie sich denn nicht meiner schämen?«

»Wüßte nicht warum! Ich würde mich glücklich schätzen, wenn Sie sich entschließen könnten, eines strohtrocknen Amtsrichters geliebte Gemahlin zu werden! Herrgott, nun ist's geschehen, ich habe Ihnen 265 meine Liebe im Dienst erklärt! O Gott, was werden nun Sie von mir denken?«

Erglühend, glückstrahlend rief Olga: »Welch lieber, herzensguter Mann sind Sie, mein Retter!«

»Hol der Geier das Gerichtsverfassungsgesetz und die ganze Strafprozeßordnung, ich werbe mitten im Dienst! Olga, wollen Sie meine Frau werden!«

Olga Tristner vermochte im Übermaß des Glückes und der Erlösung aus Qual und Sorge nur zu nicken.

Flink nahm Doktor Thein, diesmal keineswegs strohtrocken, das Mädchen in seine Arme und küßte seine Braut herzhaft, tüchtig, immer wieder.

Im Empfangssalon wurde Theo von Benedikten gehörig der Text gelesen, sein Sündenregister aufgerollt, soweit Fräulein von Zankstein davon Kenntnis haben konnte. Dikte kombinierte dabei einiges scharfsinnig und erklärte, einen solchen Bruder Leichtfuß noch nie gesehen zu haben. Man müsse sich als anständige Frau wahrhaftig zurückziehen und den Sausewind seinem verdienten Schicksal überlassen. Auf Besserung sei nicht zu hoffen, denn der bekundete Leichtsinn müßte himmelschreiend genannt werden, zu bedauern sei nur die alte blinde Mama, die von den Vorgängen keine Ahnung hatte und schmählich hintergangen worden sei.

»Ich auch!« stotterte Theo. Das war seine ganze Verteidigungsrede. Stumm, demütig stand er vor Benedikte gesenkten Hauptes.

»Ist das alles, was Sie vorzubringen haben?«

266 Theo nickte und schwieg.

»Und Sie wollen ein Mann sein? Steht der Mensch vor mir und wagt es gar nicht, sich zu verteidigen! Da muß man ja glauben, daß Sie ein hartgesottener Sünder oder ein betrogenes armes Hascherl sind!«

»Mehr Hascherl!« stotterte Theo.

Dikte lachte auf: »Nun, ich will ans Hascherl glauben! Es ist aber höchste Zeit zum Beginn eines anständigen Lebenswandels, den Bruder Leichtfuß darf man nicht mehr aus den Augen lassen, der Sausewind muß ständig bemuttert und überwacht werden. Da Mama Tristner dieses Amt nicht führen kann, werde ich es übernehmen . . .«

»Ich bitt' schön darum!« bettelte Theo herzlich und reumütig.

»Na, beim Schloßbräuer scheint Hopfen und Malz doch nicht verloren zu sein! Aber freisprechen kann ich Sie noch nicht ganz, denn es fehlt die volle Beichte. Raus mit der Sprache, Sie Hascherl! Wieweit ging die Beziehung mit Ihrer famosen Braut?«

»Sie hat mich ›fürig'fangt‹ und mit Küssen närrisch gemacht! Sonst ist gottlob nichts passiert. Zum Heiraten hat sie gedrängelt, ich gewiß nicht! Lieber sterben!«

»Ist das wahr?«

»Ja, gestrenge Richterin! Ich glaube, es hat der Wurm alles eingefädelt und ich Gimpel bin auf seinen Leim gekrochen!«

»Erzählen Sie mir alles von Beginn an!«

267 Gehorsam beichtete Theo, und immer freier ward ihm dabei das Herz; er begann zu hoffen, daß Dikte doch verzeihen werde, in dieser Hoffnung wuchs die Schneid, und am Schluß seiner Beichte fand er den Mut zu sagen, daß er eines Haltes im Leben bedürfe und nach seinem schauerlichen Reinfall schleunigst heiraten müsse, und zwar diejenige, die immer und trotz alledem seine Herzenskönigin gewesen sei: Benedikte von Zankstein!

»So eine Frechheit!« zeterte Dikte, lachte aber dabei.

»Es geht nicht anders! Bitte, sagen Sie ja, sonst entgleise ich richtig und werde abermals ›fürig'fangt‹. Ein zarter Mensch wie ich, muß von seiner Gebieterin bemuttert werden!«

»Schluß, Schluß! Ein Brauherr und zarter Mensch – schauerliche Behauptung!«

»Aber wahr! Sie verwechseln mich momentan mit dem Bären Haferditzel! Betrachten Sie mich gütigst, bin ich nicht fast sylphidenhaft?«

»Schrecklicher Mensch! Man kann ihm nicht böse sein! Also ich vergebe Ihnen unter der Bedingung, daß von den Fotos der Festgruppe diejenige, auf der die verflossene ›Braut‹ so nett die Zunge herausstreckt, während unserer Verlobungszeit auf Ihrem Schreibtisch paradiert!«

»Gnade, Gnade! Ich bin bestraft genug!« wimmerte scherzhaft der junge Schloßherr.

»Nein, ich bleibe unerbittlich, Strafe muß sein! Am Hochzeitstage kann jenes Bild vernichtet werden. Und 268 nun genehmige ich in Gnaden die Annahme Ihrer Werbung. Mit dem Verlobungskuß wird aber gewartet, bis Mama uns ihren Segen erteilt hat. Hascherl wird mich jetzt zur Mama begleiten!«

Küssen mußte Theo nun im heißen Drange der Befreiung und Dankbarkeit, er haschte nach Diktens Hand und drückte einen Kuß darauf.

»Na, da mein Hascherl so hübsch folgsam ist, kann man nicht so sein!« sprach Dikte lächelnd, nahm Theo beim Kopf und küßte den längst geliebten Freund und Sausewind herzhaft auf die Lippen.

Beim Geräusch der Türöffnung wollte das Paar erschreckt auseinanderfahren.

»Bitte sich nicht stören zu lassen! Wir sind in gleicher Lage!« rief Doktor Thein und fügte bei: »Als Verlobte empfehlen sich Amtsrichter Thein und Olga Tristner!«

»Gratuliere!« jubelte Theo, »ich habe, nein, Dikte, hat sich mit mir soeben verlobt!«

Nun gratulierte Doktor Thein dem Paare, und Olga weinte und lachte vor Freude.

Vier glückliche Menschen fanden sich im Zimmer Mamas ein. Erstaunt horchte die blinde Matrone auf, den Kopf mit den erloschenen Augen dem Geräusch der Schritte zugewendet. »Wer kommt?«

Doktor Thein berichtete summarisch über die Ereignisse, deren Schauplatz Schloß Ried geworden, hinsichtlich der abgefaßten Gauner und der Flucht Sentas. Das Haus sei nun gereinigt und beherberge, falls 269 Frau Tristner ihre Zustimmung erteilen werde, zwei Brautpaare.

»Wie, was?« rief Frau Helene, »zwei Brautpaare? Ich verstehe Sie nicht!«

Rasch war auch hierüber berichtet, und nun weinte Frau Tristner Freudentränen und segnete die vor ihr knienden Paare.

Um die Zeit, da die Gerichte sich mit den eingefangenen Schwindlern beschäftigten, fand zu Ried die Hochzeit der Paare statt; der Trauung im Dorfkirchlein folgte ein Mahl im Schloß, zu dem wiederum alle Kunden der Schloßbrauerei sich einfanden, galt es doch zu Ehren des jungen Herrn, der die Leitung der Geschäfte im Sinne des verewigten Vaters wieder übernommen hatte.

Benedikte fand einen Käufer für ihr Gut Zankstein, der den geforderten Preis ohne viel zu makeln bar erlegte.

In Olga vollzog sich ein Wandel; so gerne sie früher von Ried weggekommen wäre, nun sie dem Gatten folgen mußte, bereitete der Abschied ihr einigen Schmerz. Doch blieb die Amtsrichterin ja in der Nähe der Heimat, und somit war ihr viel Gelegenheit gegeben zu besuchen das Schloß im Moor.

 
Ende


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