Arthur Achleitner
Das Schloß im Moor
Arthur Achleitner

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90 Fünftes Kapitel

Nach trüben regnerischen Tagen flatterte jubelndes Sonnengold von den Bergen des Ostens herein in den Moorgrund, der Gutwind blies mit Macht, der Achenfluß kam von Stunde zu Stunde schwächer an Wasser, die Bäche murmelten im gewohnten Bett dem Weitsee zu, der nun auch zurückging. Dadurch konnte das Stauwasser von den Moorflächen ablaufen, die Überschwemmung fand ihr Ende, nur die gelbbraune und weißgraue Farbe des Riedgrases und der Binsen erinnert noch daran. Böse mitgenommen war die Straße von Schloß Ried zur Bahnstation, nahezu unfahrbar für schweres Fuhrwerk, und doch mußten die Transporte aus der Brauerei nun schleunigst verfrachtet und zur Eisenbahn gebracht werden.

Im Schloßbüro erschienen die Fuhrknechte, um die Frachtscheine und Fuhrzettel zu holen, und bei dieser Gelegenheit baten die erfahrenen Leute, es möge der Brauherr rasch eingreifen und für die Instandsetzung der Fahrstraße sorgen. Theo waltete seines Amtes im Privatbüro und hörte seine Fuhrleute an, doch wußte er nicht, wie ihrer Forderung entsprochen werden könnte. Es oblag die Straßenerhaltung den beteiligten Gemeindeverwaltungen, die Schloßbrauerei als Hauptfrequentantin der Straße mußte wohl einen 91 erklecklichen Beitrag in Geld leisten, hatte aber in dieser Angelegenheit nahezu nichts dreinzureden. Die Dörfler taten hier wie anderswo kaum das Allernotwendigste, und daher war die Straße fast immer in schlechtem Zustande. Theo konnte nur Auftrag zur raschen Bierverfrachtung erteilen; die Knechte sollten sich selber helfen, Vorspann nehmen und, falls der Schloßmarstall nicht genügend Pferde habe, auf Kosten der Brauerei Vorspann entlehnen.

Von diesen Verhältnissen erhielt Baron Hodenberg alsbald Kenntnis, und sogleich stellte er sich und seine Pferde zur Straßenverbesserung zur Verfügung, indem er sich erbot, die Arbeiten der Beschotterung leiten zu wollen. Es müsse Theo nur sagen, wo Kies und Schotter genommen werden dürfe, und die nötige Anzahl handfester Arbeiter beistellen. Die Bedenken Theos, durch Selbsthilfe in die Kompetenz des Dorfbürgermeisters einzugreifen, wies der Baron lächelnd zurück, er werde mit dem Bürgermeister persönlich sprechen und die Angelegenheit hinterdrein schon in Ordnung bringen; zunächst aber handle es sich um die Fahrbarmachung der Straße, um die Transporterleichterung, und hierzu wolle der Baron um so lieber die Hand bieten, als er sich hierzu verpflichtet erachte.

Theo willigte nun mit Vergnügen ein und war froh, am Schreibtische verbleiben zu können.

Mit voller Energie griff nun Otto von Hodenberg ein; der Ortsvorsteher ward rasch verständigt und bereitete dem noblen Spender ausgiebiger 92 Unterstützungen für die Überschwemmten keinerlei Schwierigkeiten, er gab ihm sogar Arbeitsleute mit. So konnte der Baron alsbald einige Fuhrwerke mit Schottermaterial anfahren und die Straße in den tiefgefurchten Gleisen beschottern lassen. Und so eifrig widmete er sich der Arbeitsüberwachung, daß er zum Mittagstisch gar nicht in das Schloß kam und die Straßenverbesserung auf einige Kilometer durchführte.

Hatte Frau Tristner insgeheim Bedenken gegen die Einquartierung des Barons gehegt, sein energisches Eingreifen, das unbedingt dem Frachtverkehr der Brauerei zugute kommen mußte, verscheuchte diese Bedenken nicht nur völlig, die Aufopferung des Barons verpflichtete die Familie zu Dank.

Als Hodenberg am späten Abend im Schlosse erschien, ließ ihn Frau Helene in den Salon bitten, und in Gegenwart Olgas sprach die blinde Dame dem Baron in herzlicher Weise ihren Dank aus. Nicht minder herzlich dankte auch Olga frohbewegt und Theo.

Bescheiden wehrte Hodenberg diesen Dankäußerungen, und er versicherte, daß die liebenswürdige Gastfreundschaft zu irgendwelcher Revanche verpflichte, und die übernommene Arbeit doch nur Zeitvertreib für einen Müßiggänger sei, daher von Dank keine Rede sein könne. In einigen Tagen hoffe er das Werk bis zur Stadtgrenze von Landsberg gefördert zu haben, das Weitere müsse dann allerdings den Gemeinden überlassen werden.

Im Kreise der Familie wurde der Abend verbracht; 93 Hodenberg avancierte zum Familienmitglied, worüber Olga unverkennbar hocherfreut schien. Einmal zutraulich geworden, erbat Frau Helene sich seinen Rat in der Angelegenheit einer Bestellung eines Verwalters für Brauerei und Ökonomie. Auf die Anzeige hin seien Bewerbungen eingelaufen, die Olga gesichtet habe; eine Bewerbung scheine aller Berücksichtigung wert, wenngleich der Bewerber norddeutscher Abkunft zu sein scheine.

Hodenberg äußerte scherzend: »Ist norddeutsche Abstammung denn ein Verbrechen? Auch ich bin Norddeutscher und fand dennoch bei Ihnen ein trautes Heim!« Ein Glutblick auf Olga färbte des Fräuleins Wangen in leuchtendes Rot; Frau Helene erwiderte, daß norddeutsche Abkunft an sich gewiß kein Hindernis sein könne, es empfehle sich aber hier für den Verkehr mit dem Personal der Süddeutsche vielleicht besser; Art zu Art.

Theo fragte nun, woraus Mama auf norddeutsche Abkunft des Bewerbers schließe.

Die Antwort gab Olga: »Weil der Brief in Berlin aufgegeben wurde!«

»Das ist allerdings ein schlagender Beweis! Kann ich die Bewerbung sehen?« meinte Theo.

Auf Geheiß Mamas holte Olga die Schriftstücke herbei, die nun zuerst Hodenberg unterbreitet wurden.

Nach flüchtiger Lektüre meinte der Baron: »Knapp, präzis ist der Brief, eine vorzügliche Empfehlung enthält die amtliche Beilage. Eine andre Frage ist 94 freilich, ob der adelige Bewerber in die hiesigen Verhältnisse passen wird. Der Mann war in Hofstellung! Bei Hof werden nur gut qualifizierte Leute genommen, diese Tatsache spricht für den Mann; sein Gehen ist mit dem Wunsche, rascher Karriere zu machen, motiviert. Richtig ist, daß Hofstellungen mager bezahlt werden. In Privatstellung ist besseres Gehalt zu erreichen. Der Mangel an sonstigen Referenzen wird wohl durch das amtliche Zeugnis aufgewogen!«

Frau Helene bat um Vorlesung dieses Zeugnisses.

»Mit Vergnügen!« Hodenberg las nun, ersichtlich ungewohnt solcher Beschäftigung und mit häufiger falscher Betonung vor:

»Nummer 1379a. Der Unterzeichnete bescheinigt hiermit dem Herrn Beda Wurm von Hohensteinberg, daß dieser durch sechs Jahre als Staatssekretär angestellt war, sich in Vollführung hoher Aufträge geschickt und taktvoll erwiesen hat und darob mehrfach belobt wurde. Die Erledigung von Geschäften wirtschaftlicher Natur ist stets zur vollsten Zufriedenheit erfolgt. Die Entlassung erfolgt auf Wunsch des Herrn Wurm von Hohensteinberg, welcher um rascherer Karriere willen einen Verwalterposten anstrebt. Seine Qualifikation hierzu erscheint zweifellos. Es wird hiermit dem Herrn Wurm von Hohensteinberg die Anerkennung für treu geleistete Dienste ausgesprochen und dies mit dem Amtssiegel bekundet.

Graf Dietrichstein, Oberhofmarschall, Berlin.«

95 Im Familienkreise entwickelte sich eine regelrechte Debatte über diese Bewerbung für und gegen. Hodenberg gab den Ausschlag dadurch, daß er Frau Tristner empfahl, den Mann zu einer persönlichen Vorstellung zu veranlassen und ihm das Geld für die Rückreise zu garantieren.

Wehmütig sprach Frau Helene: »Was kann mir sein persönliches Erscheinen nützen? Ich werde ihn ja doch nicht sehen, sein Äußeres nicht beurteilen können!«

»Wenn gnädige Frau gestatten, werde ich als Ihr Stellvertreter dem Manne auf den Zahn fühlen, den Bewerber prüfen und Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen mein Urteil unterbreiten!« erwiderte Hodenberg.

Als Eugenie ins Zimmer trat, um Frau Helene zur Nachtruhe zu geleiten, fragte Theo, wie in Sachen einer Verwalteranstellung die barmherzige Schwester und Krankenpflegerin stimmen werde. Eugenie erwiderte: »Unbedingt mit ›nein‹!«

Überrascht fragten Tristners nach dem Grunde dieses ablehnenden Votums.

»Weil ein Verwalter ganz und gar überflüssig auf Schloß Ried ist und Zwietracht in das Haus bringen muß!«

»Ich will es mir doch noch überlegen!« flüsterte Frau Helene und stützte sich auf Eugenie.

Fast beleidigt erwiderte Hodenberg: »Ich werde zu prüfen wissen!«

96 »Davon bin ich überzeugt!« flüsterte Olga. »Sie besitzen mein vollstes Vertrauen.«

Da nun auch Theo sich verabschiedete und »Gute Nacht« wünschte, wurde die Familiensitzung aufgehoben und Abschied für die Nacht genommen.

Früher als sonst fand sich am Morgen der junge Brauherr im Büro ein, um gemäß des Beschlusses im Familienrat den Bewerber um den Verwalterposten zu einer persönlichen Vorstellung brieflich einzuladen; da Theo aber die Papiere jenes Bewerbers nicht im Büro vorfand, ging der junge Herr hinüber in das Speisezimmer und suchte dort nach dem Brief und Zeugnis. Sein Rumoren lockte Eugenie aus dem anstoßenden Gemache herbei, auf ihre Frage erfolgte Antwort, und nun bat Eugenie in bewegter Weise, den Mann nicht kommen zu lassen.

»Aber liebe Eugenie, warum sind Sie gegen den Familienratsbeschluß? Haben Sie denn persönliche Gründe gegen eine Anstellung?« fragte verwundert Theo. »Kennen Sie den Mann?«

»Nein!«

»Nun also! Jede Opposition muß doch begründet sein!«

»Ich habe nur das bange Gefühl, daß jener Mann Unglück ins Haus bringen wird!«

»Da Sie ihn gar nicht kennen, fehlt mir jedes Verständnis für das bange Gefühl, liebe Eugenie. Sind Sie vielleicht abergläubisch?«

»Nein, gewiß nicht! Mir schwant Unheil, ich möchte mit Bestimmtheit behaupten, daß über Schloß Ried 97 und die Familie Tristner eine Katastrophe hereinbrechen wird, sobald jener Mann hier festen Fuß faßt, ja, sobald er nur erstmals hier erscheint.«

»Das klingt ja geradezu mysteriös? Entweder wissen Sie Dinge, die Sie nicht sagen wollen, oder Sie wissen nichts; in letzterem Falle fehlt Ihrer Warnung doch jegliche Berechtigung. Warum sind Sie gegen ein Hierherkommen des Mannes, das uns keineswegs zu fester Anstellung verpflichtet? Eine persönliche Vorstellung muß nicht zum Engagement führen! Weshalb opponieren Sie so seltsam hartnäckig?«

Eugenie zögerte mit der Antwort, brennende Röte flammte in ihren Wangen, ein Zittern lief durch den geschmeidigen zierlichen Körper. Bebend sprach die junge Dame: »Zufolge meiner Stellung im Hause habe ich allerdings kein Recht, irgendwie ein Wort zu äußern; ich kann nur bitten, es wolle die Familie Vorsicht üben und mir erlauben, meiner Sorge Ausdruck geben zu dürfen!«

»Alles ganz schön und gut, aber ich möchte doch wissen, weshalb Ihnen die keineswegs dem Abschluß nahe Angelegenheit Sorge bereitet!«

»Ich fürchte – nein, ich kann es nicht sagen!«

»Aber reden Sie doch, Eugenie! Sie gehören ja zur Familie, Sie stehen uns nahe, mir gegenüber werden Sie doch offen sein können, nicht?«

»Ihretwegen bin ich ja in größter Sorge!«

»Wie? Meinetwillen? Ich verstehe das nicht! Bitte, sprechen Sie!«

98 »O Gott, es wollen die Worte nicht über die Lippen! Ich fürchte nur zu sehr, daß –«

Theo ergriff Eugeniens Hand und blickte der Dame innig in die Augen. »Was fürchten Sie für meine Person?«

». . . die unausbleibliche Schmälerung Ihrer Herrenrechte!«

»Wie? Die Anstellung eines Verwalters soll mich um meine Rechte bringen? Das ist ja gar nicht möglich!«

»Doch! Jeder mit Kompetenzen ausgerüstete Verwalter wird versuchen, das Regiment an sich zu bringen, wird bestrebt sein, sich zu bereichern . . .«

»Ach so! Eine zarte Fürsorge also! Gott, sind Sie ein liebes Wesen! Keine Sorge, liebe Eugenie, ich bleibe Herr trotz Verwalter, und ich werde ihm schon auf die Finger sehen! Es rührt mich Ihre Fürsorge und Anteilnahme tief, sie beweist mir, wie herzlich Sie für uns fühlen! Und meinetwillen also wünschen Sie, daß kein Verwalter angestellt werde! Gott, Eugenie, nun sehe ich klar und fühle deutlich: In Ihrem Herzen lebt ein Gefühl für mich, ein Empfinden, das mich in höchstem Maße beglückt, das mich ahnen läßt, daß Sie mich lieben! Und ich will hochbeglückt gestehen, daß ich Sie liebe . . .«

»Halten Sie ein, Herr Theo! Es kann nicht sein, es ist unmöglich!« Schluchzend riß sich Eugenie los und enteilte weinend.

Verblüfft stand Theo, unfähig, sich diese Worte wie 99 das Gebaren erklären zu können. Eine Flut von Gedanken wälzte sich durch seinen Kopf. Warum soll es unmöglich sein, daß zwei Liebende ein Paar werden? Was muß angesichts der Weigerung Eugeniens dazwischen liegen, nachdem kein Zweifel bestehen kann, daß das liebreizende Mädchen ihn liebt? Vielleicht nur die Angst, daß Mama Einspruch erheben könnte. Eugenie wird arm sein, wird befürchten, daß die dienende Stellung wie die Mittellosigkeit eine unüberbrückbare Kluft bilden müssen. »Na, ich brauche auf Geld nicht zu sehen, Gott sei Dank! Kommt Zeit, kommt Rat, ich werde auch noch hinter dieses Geheimnis kommen!« flüsterte Theo, nahm die Papiere vom Büfett und begab sich in das Büro, um nun den Einladungsbrief zu schreiben und zur Post zu schicken. Für Theo hatte die Opposition des geliebten Mädchens nun keinerlei Bedeutung mehr, eine liebenswürdige, aber trotzdem lächerliche Marotte, weiter nichts!

Während Theo diese Angelegenheit ordnete, fand sich im Salon Tristners der junge Doktor Freysleben, in ländliche Gala gekleidet und würdevoll steif, ein, nachdem er um Audienz beim gnädigen Fräulein gebeten hatte.

Olga erschien nach geraumer Zeit in Reittoilette, das lange Kleid gerafft tragend, und fragte verwundert, was der Herr Doktor just von ihr wünsche.

Doktor Freysleben stotterte: »Oh, Pardon! Ich bin zu unrechter Zeit gekommen, gnädiges Fräulein wollen ausreiten?«

100 »Allerdings, Herr Doktor! Doch wenn Ihre Angelegenheit nicht zuviel Zeit in Anspruch nimmt, bin ich gern bereit, gewünschte Audienz zu gewähren. Womit kann ich dienen? Bitte, nehmen Sie Platz!«

Freysleben stand wie angemauert und sprach schleppend: »Pardon! So schnell kann ich mein untertänigstes Anliegen nicht vorbringen, ich glaubte, ich meinte, hm – Pardon – es ist halt mein altes Pech, daß ich immer den richtigen Moment nicht erwischen kann! Wirklich schade, daß gnädiges Fräulein gerade jetzt ausreiten müssen!«

»Darf ich fragen, was Sie von mir wollen? Wünschen Sie wirklich mich selbst zu sprechen?« fragte ungeduldig Olga.

»Ja, Sie sind in meiner Angelegenheit die Hauptperson!«

Olga stutzte und rief: »Herr des Himmels, ich sehe jetzt erst, daß Sie in Gala sind! Sie wollen doch nicht . . .?«

Trübselig nickte der Dorfdoktor und seufzte zum Erbarmen.

»Bedaure sehr! Kann ich Ihnen sonstwie dienen?«

»Danke, nein! Die schönste Hoffnung meines Lebens ist vernichtet!«

»Meinerseits ist gewiß nichts geschehen, solche Hoffnung auch nur im geringsten zu wecken. Meiner Diskretion dürfen Herr Doktor sicher sein, ich werde meinen Familienangehörigen nichts davon sagen. Aber nun gestatten Sie, daß ich mich ergebenst empfehle, 101 ich muß fort, ›Fanny‹ wird schon ungeduldig! Besten Dank für Ihre gute Meinung, es ist mir aber unmöglich!«

»Dürfte ich es wagen, auf einen Gesinnungswandel in späterer Zeit zu hoffen?« stammelte Freysleben.

»Nein, Herr Doktor! Das heißt, es bleibe Ihnen unbenommen, auf Unmögliches zu hoffen. Ein Wandel meiner Gesinnung zu Ihren Gunsten steht nicht zu erwarten! Guten Tag, Herr Doktor!«

Olga verbeugte sich graziös und schritt sporenklirrend aus dem Salon, um draußen im Hofe zu Pferd zu steigen. Freysleben konnte durch ein Fenster die herrliche Gestalt des Fräuleins hoch zu Roß erblicken, ein Augenblick, dann ritt Olga in scharfer Gangart des stallmutigen Pferdes aus dem Hof zur Landstraße.

»Abgeblitzt! Hätte es mir denken können!« murmelte Freysleben und schlich in gedrückter Stimmung aus dem Schlosse.

Fräulein Tristner jagte die Straße durch das Moor entlang in tollem Tempo und lachte vergnügt dazu. Die Werbung des Dorfdoktors kam ihr unsäglich komisch vor und reizte Olga zum Spott. »Ein Narr!« rief sie und bereute augenblicklich ihre Unvorsichtigkeit, denn Olga hatte sich, im Moment Trab reitend, infolge des Stoßes auf die Zunge gebissen. Ärgerlich gab sie dem Pferde einen Sporenstich, es ging sofort in Galopp über und raste den überweichen Moorgrund längs der Straße dahin. Fast hätte Olga Zügel und 102 Sitz verloren, und nun hieß es alle Aufmerksamkeit dem Pferd widmen und die Herrschaft wiederzugewinnen.

Bis hart an das Bahngeleise kam Olga, doch von Baron Hodenberg war nichts zu sehen, die Erwartung, ihn irgendwo in Beaufsichtigung der Straßenverbesserungsarbeiten zu treffen, blieb unerfüllt. Wo mochte der Baron nun sein? Sollte er ins Städtchen gefahren oder etwa zum Sommersprossenfräulein geeilt sein? Olga riß bei diesem Gedanken so heftig an der Kandare, daß ihr Pferd zusammenzuckte und dann zu steigen begann. Auf den Hals klopfend und Luft gebend, beruhigte Olga das Pferd und flüsterte: »Du kannst ja nichts dafür!« Gleich darauf trabte sie aber scharf in der Richtung gegen Zankstein, gefoltert von peinigenden Gedanken der Eifersucht und der Befürchtung einer Fahnenflucht Hodenbergs, wenn nicht gar völliger Untreue. Auch die Erinnerung an die Szene mit Doktor Freysleben konnte nicht angenehm wirken; ist der Dorfarzt sicher kein Freier, auf dessen Werbung man stolz sein könne, ehrlich gemeint war seine Bitte, und der schlechteste Werber ist der Doktor sicherlich nicht. Ja, Olga mußte sich selbst sagen, daß sie gar nicht berechtigt sei, übergroße Ansprüche zu erheben mit ihrem Schönheitsfehler; dem Vermögen nach allerdings brauchte nicht der erstbeste Werber berücksichtigt zu werden. Den biederen Landarzt ließ sie abblitzen, ja nicht einmal ordentlich ausreden, um so schnell als möglich einem Manne nachzulaufen, der 103 sich nun nicht finden läßt, womöglich bei der bedeutend vermögenderen Zanksteinerin sitzt und ihr den Hof macht. Jäh erinnerte sich Olga nun auch, wie auffallend Benedikte in Gegenwart Hodenbergs den entstellenden alten Strohhut entfernte, die Mantille ablegte, offenbar berechnete Absicht seitens der Zanksteinerin, die Komödie spielt mit ihrer Liebäugelei für ländliche Einfachheit und Sparsamkeit. Benedikte ist kaum einige Jährchen älter als Olga, also noch jung, üppig gebaut, reich, unabhängig, sie kann, wenn sie will, sich den schönsten jungen Mann kaufen, ist vielleicht just so recht nach Geschmack Hodenbergs. Gescheit, ja geistreich ist die Zanksteinerin auch, der Neid muß ihr das lassen, selbst Olga in wütender Eifersucht kann dies nicht abstreiten. Es wäre somit nicht nur kein Wunder, sondern sogar erklärlich, wenn der Baron bei Benedikten im warmen Nest sitzt, sie anschmachtet und schließlich um sie anhält. Was wird nun die Zanksteinerin sagen, wenn das Fräulein Tristner mit essigsaurer Miene angeritten kommt und den entlaufenen Werber einzufangen trachtet? Muß Olga da nicht blamiert erscheinen?

Mit jähem Ruck hielt das Fräulein den Gaul an und kehrte, einem plötzlichen Entschlusse folgend, um. Nur keine Blamage! Lieber auf den leichtsinnigen, wankelmütigen Durchbrenner verzichten! Wer weiß, ob Hodenberg überhaupt so gut situiert ist? Die paar noblen Trinkgelder beweisen nichts.

»Pfui!« rief Olga sich selbst zu, »ich verdächtige 104 aus Eifersucht den Mann, den ich liebe und zum Gatten mir wünsche!«

Sporenstich und Gertenhieb brachten das Pferd in sausenden Galopp, Fräulein Tristner kam auf dampfendem Tiere auf die Straße nach Ried just in dem Augenblick, da Baron Hodenberg vom Städtchen in hochbepacktem Wagen heranfuhr.

Vor Freude strahlend, überglücklich darüber, alle Befürchtungen mit einem Male zerstreut zu wissen, trabte Olga dem Wagen entgegen. Jetzt verschlug es nichts mehr, dem Baron zu zeigen, wie groß die Freude des Wiedersehens war. Aber das Begrüßungswort erstarb Olga auf der Zunge beim Anblick Hodenbergs, der für das Fräulein keinen Blick zu haben schien und angsterfüllt, verzerrter Miene, nach rückwärts gewendet, im Fond stand und die Straße zum Städtchen beäugte.

Was mochte das bedeuten? Befand sich der Baron auf der Flucht, befürchtete er nacheilende Verfolger? Und wenn dies der Fall, weshalb um's Himmels willen?

»Herr Baron!« rief Olga mit heiserer, bebender Stimme.

Jäh, erschreckt wandte sich Otto von Hodenberg um. »Ach so! Pardon! Gnädiges Fräulein hier und zu Pferd! Kutscher, halt!« Schnell verließ der Baron seinen Wagen und trat zum Pferde Olgas. »Bin hochbeglückt, gnädiges Fräulein unterwegs zu treffen, eine sehr angenehme Begegnung! Sind Fräulein Olga auf 105 dem Heimritt?« sprach Hodenberg und schielte die Straße zurück.

»Ja, Herr Baron! Wie ich sehe, führen Sie großes Gepäck mit, Sie ziehen wohl von Landsberg völlig weg?«

»Richtig erraten, gnädiges Fräulein! Habe meine Effekten geholt, werde über den See tiefer hinein in die Einsamkeit ziehen.«

»Darf ich fragen, was Herrn Baron so plötzlich veranlaßt, das Städtchen und Schloß Ried zu verlassen?«

»Mein Gemütszustand, Fräulein Olga! Die Sehnsucht nach völliger Einsamkeit, Ruhe und Abgeschiedenheit! Doch hierüber können wir besser hinter verschwiegenen Mauern plaudern. Wenn angenehm, fahren wir ins Schloß!« Wieder blickte Hodenberg ängstlich die menschenleere Straße gen Landsberg entlang.

»Bitte, Herr Baron, helfen Sie mir vom Pferde!« rief Olga fast trotzig, entschlossen, diesem rätselhaften Gebaren auf den Grund zu kommen.

Hodenberg fügte sich, anscheinend ungern, leistete übliche Handhilfe, und alsbald stand Olga neben ihm und nahm den Trensenzügel ihres Pferdes in die Rechte, während sie mit der Linken das Reitkleid gerafft trug. »Bitte schicken Sie den Wagen nach Hause, wir gehen zu Fuß hinterdrein, ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»Ganz zu Befehl, Gnädigste! – Kutscher, heimfahren nach Schloß Ried!«

Als der Wagen sich entfernt hatte, begann Olga 106 erregt zu sprechen und zu bitten, ihr die Wahrheit zu sagen bezüglich der überraschenden Wohnortsverlegung. »Sie werden zugeben, Herr Baron, daß Ihr plötzlicher Entschluß, uns zu verlassen, ebenso überraschen, wie unangenehm berühren muß. Der Entschluß wirkt peinlich, weil wir keine Ahnung haben über das Motiv.«

»Verzeihung, Fräulein Olga! Ich sagte bereits: mein Gemütszustand bedingt Unstetheit, es ist eine Art Verfolgungswahn, momentan leide ich unter dem deprimierenden Gefühl, verfolgt zu werden, ich habe nun keine Ruhe mehr und muß fort. Daher holte ich meine gesamten Effekten, die unter anderem auch den kostbaren Familienschmuck und die Kleinodien meiner Mutter, der Baronin Hodenberg, geborene Komtesse Platen, enthalten, sowie weitere Wertgegenstände, die mir im Hotel nicht sicher genug aufbewahrt erschienen!« Hodenberg hatte dies hastig gesprochen und dabei mehrmals nach rückwärts Auslug gehalten!

»Herr Baron! Ich glaube kein Wort von dem, was Sie soeben sagten!« rief Olga und blieb mit dem Pferde mitten auf der Straße stehen.

»Wieso? Warum? Muß ich etwa gar mein Ehrenwort zur Bekräftigung verpfänden?«

»Sie sind nicht gemütskrank! Es fehlen alle sonstigen Anzeichen! Sie sind nicht einmal im landläufigen Sinne nervös! Sie erfreuen sich einer geradezu idealen Gesundheit! Weshalb schützen Sie Gemütskrankheit vor? Warum wollen Sie uns, mich verlassen?«

107 »Ist Ihnen denn mein Abgang irgendwie unangenehm?«

»Unangenehm – schmerzlich wäre mir Ihr Scheiden!«

»Schmerzlich? So dürfte ich vielleicht glauben, hoffen, Ihnen und Ihrem Herzen nicht – gleichgültig und bedeutungslos zu sein?«

Olgas Wangen erglühten, hastig schritt das Mädchen weiter und zog das Pferd nach sich.

Schritt haltend blieb Hodenberg an ihrer Seite. Er wiederholte die Frage dringlichen Tones.

»Ich muß Ihnen sagen, daß heute morgen ein Herr um meine Hand angehalten hat und von mir selbstverständlich diese Werbung zurückgewiesen wurde.«

»Und weshalb zurückgewiesen?«

»Weil mein Herz einen andern liebt!«

»Und dieser andere heißt?«

»Baron Hodenberg!«

»Olga! Welches Glück will mir erblühen! So dürfte ich wirklich hoffen, mit Ihnen verbunden zu werden für das Leben, glücklich zu werden an Ihrer Seite? Oh, empfangen Sie heißen Dank für das beglückende Wort! Ich vermag nicht auszusprechen, wie sehr mich Ihre Liebe beglückt! Oh, ich werde bis zum letzten Atemzug bestrebt sein, mich dieser beseligenden Liebe würdig zu erweisen, auf den Händen will ich dich tragen, du Herrliche! Du Göttin!«

»Halt, Herr Baron! Nicht bedingungslos will ich Ihre Gattin werden!«

108 »Bedingungen? Kann ein liebend Herz Bedingungen diktieren?«

»Gewiß! Es muß vorher alles klar sein zwischen uns! Bevor wir am Altar vereint werden, muß ich völlige Kenntnis Ihrer Verhältnisse haben, muß ich wissen, was Sie zu dem weltscheuen Wesen veranlaßt. Aus Ihren Augen spricht die Lebenslust der Jugend; der erwähnte Hang zur Einsamkeit ist nicht natürlich und darum nicht echt! Klarheit, Herr Baron! Ich bin als Ihre Braut der treueste Freund und verdiene Offenheit und Wahrheit!«

»Heißen Dank für Ihre Liebe, teuerste Olga! Besehen Sie zu Hause meine Effekten, die Ihnen Klarheit geben werden über meine Verhältnisse. Ich bin gut situiert. Nach einer reichen Frau zu angeln, hab' ich nicht nötig, doch ist eine Konsolidierung nicht unerwünscht. Bar und bar gibt immer guten Klang!«

»Sie rechnen auf bare Mitgift? Gewiß wird meine Mitgift beträchtlich sein, doch unser Vermögen steckt im Grund und Boden und in der Brauerei! Es wird nicht angängig sein, mein Kapital rasch herauszuziehen. Ich liebe Klarheit über alles, daher spreche ich auch hierüber mit aller Offenheit! Wir müssen uns ja klar sein über unsere Zukunft! Als Ihre Braut frage ich: Werden Sie nun Schloß Ried wirklich verlassen?«

»Ja!«

»Wie?«

»Verlobte dürfen doch nicht unter einem gemeinsamen Dache wohnen!«

109 »Das ist die Auffassung kleiner Leute! Wir wohnen in einem Schloß, das groß genug zu räumlicher Trennung ist, und sind erhaben über kleinstädtische Meinungen. Ich bitte, bleiben Sie wohnen in den bereits bezogenen Zimmern! Und als einstweilen heimlich verlobtes Paar – mit Mama spreche ich nächster Tage – wollen wir versuchen, das Gespenst Ihres Verfolgungswahnes zu bannen durch regen Verkehr mit der Nachbarschaft, durch häufige Ausflüge! Ich möchte nach erfolgter offizieller Verlobung namentlich bei der Freundschaft im Städtchen etwas prunken mit meinem Bräutigam, bitte nehmen Sie mir das nicht übel, Herr Baron; ein ›Landkonfekt‹ hat dergleichen Sehnsucht und Wünsche und kann solche nicht unterdrücken.«

Hodenberg beteuerte, überglücklich zu sein und sich ganz den Wünschen der heißgeliebten Braut fügen zu wollen. Die Verlobten tauschten Ringe zur Bekräftigung des Bündnisses. Hodenberg schwor abermals, des Lebens höchstes Glück errungen zu haben, doch hinderte ihn dieser Schwur ein Stündchen später nicht, seine Koffer statt ins Schloß, zum Postwirt im Dorfe Ried zu schicken und dort Quartier zu bestellen. Unauffällig dirigierte der Baron auch seine übrigen Effekten dorthin und war »ausgezogen«, ohne daß die Schloßbewohner dies merkten. Zu den Mahlzeiten erschien Hodenberg jedoch wie bisher im Familienkreise.


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