Arthur Achleitner
Das Schloß im Moor
Arthur Achleitner

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39 Zweites Kapitel

In der ländlichen Stille um Schloß Ried mußte das Vorfahren eines Wagens am Schloßportal ein die Hausgenossen alarmierendes Ereignis sein; Mutter Tristner hörte das Wagenrollen sogleich am Fenster und fragte die Tochter, wer denn zur Morgenzeit schon komme.

Flink beugte sich Olga zum Fenster hinaus und meldete der augenkranken Mama, daß ein eleganter Herr anfahre und eben seine Karte abgebe.

»Ein eleganter Herr? Wer kann das sein?« murmelte die alte Frau.

»Weiß auch ich nicht! Sehr modern gekleidet. Na, ich bin nicht wenig neugierig!« rief Olga und trat vom Fenster weg, erwartungsvoll auf die Tür blickend, durch deren Öffnung Eugenie eintrat. Hinterdrein kam ein Dienstmädchen mit der Visitenkarte.

»Gib her!« herrschte Olga das Mädchen an und las den Namen ab: Baron Otto Hodenberg. »Nanu! Was will der Herr?«

Im breiten Dialekt der Moorgegend erwiderte das Mädchen: »Gsagt hat er was, ich hab' die spaßige Red' aber nicht verstanden; er redet ganz anders als wie bei uns die Leut! Die Brauerei möchte er 40 anschauen, und wenn's erlaubt ist, hinterdrein die Schloßleut aufsuchen, weil's gleich ist und er Zeit hat!«

»Dumme Gans!« rief Olga, »dergleichen albernes Zeug wird ein Baron nicht gesprochen haben. Führ den Herrn in den Salon, ich werde ihn dort empfangen!«

»Aber Olga, zu so früher Stunde! Und ein wildfremder Mann!« meinte die Mutter.

»Soll vielleicht ich mit dem Herrn sprechen und ihm eine Begleitung aus dem Büro geben?« fragte Eugenie dienstwillig.

Die Neugierde war in Olga erwacht, ein adeliger Besuch war im langweiligen Schloß Ried ein Ereignis; schnell entschlossen erklärte die Tochter des Hauses, die Repräsentanz ausüben zu wollen, und demgemäß erhielt das Mädchen von Olga Auftrag, den Herrn in den Salon zu geleiten.

Die Mutter beschäftigte hauptsächlich die Frage, was der Besuch für das Geschäft bedeuten könne. Schloß und Grundbesitz sind so wenig feil wie die Brauerei, ein Käufer hat also nichts zu suchen oder zu hoffen, und ein Kunde könne der fremde Baron auch nicht sein.

Olga ließ sich auf eine Erörterung dieser Fragen nicht weiter ein und wirbelte fort.

Mutter Tristner nahm nun die Hilfe Eugeniens in Anspruch und schritt, von der Gesellschafterin geführt, hinüber zum Krankenzimmer des Sohnes . . .

Hochaufgerichtet stand die sehr elegante Gestalt des 41 etwa dreißigjährigen Besuchers, ein blonder Mann von norddeutschem Typus, den fast weißlichen Bart aufzwirbelnd und dann wieder die Handschuhe glättend. Lässig trug er einen mit Krone und Monogramm im Futter geschmückten Mantel über den Arm. Baron Hodenberg wollte sich den Anschein absoluter Blasiertheit geben; doch musterte sein monokelbewaffnetes Auge sehr neugierig die Saloneinrichtung, gewissermaßen den Wert der Möbel prüfend, und damit die Vermögensverhältnisse der Schloßbesitzer. Das Ergebnis solcher Prüfung schien den jungen Mann zu befriedigen; es ist jedes Stück gediegen, der Reichtum unverkennbar, solide Verhältnisse, für die der mächtige Bau des Schlosses schon eine gewisse Bürgschaft leistet. Nicht minder scharf musterte der Besucher die großen Gemälde, Kunstwerke älterer Zeit, die wahrscheinlich von den jetzigen Besitzern übernommen worden sein dürften. »Ein fürstlicher Besitz!« murmelte der junge Baron.

Es währte geraume Zeit, bis Fräulein Olga erschien und mit fast zuviel Lebhaftigkeit den Besucher willkommen hieß.

»Baron Hodenberg aus Hannover!« stellte sich der junge Baron vor, unter tadelloser Verbeugung, und fügte bei: »Irre ich nicht, habe ich die Ehre, mit dem verehrten Fräulein des Hauses zu sprechen.«

»Verzeihen Sie, Herr Baron, jawohl, ich bin Olga Tristner, die Tochter, und beauftragt, Sie zu empfangen. Mama ist schwer augenleidend und läßt um 42 Entschuldigung bitten. Womit kann ich dienen? Bitte, nehmen Sie Platz!«

»Sehr gütig, gnädiges Fräulein! Verzeihen Sie nur mein frühes Erscheinen, wollte den Herrschaften erst später meine gehorsamste Aufwartung machen. Bin gekommen, um die vielgerühmte Brauerei zu besichtigen, falls dies gestattet sein sollte.«

»Aber natürlich, gern! Nur verstehe ich nicht, was an einer Landbrauerei Sehenswertes gefunden werden kann. Ein solches Etablissement gleicht dem andern, bei uns ist nichts los, die Langeweile gähnt zu jedem Fenster heraus!«

»Oh, gnädiges Fräulein fühlen sich in der Stille des Landlebens gelangweilt! An sich ja begreiflich, junge Damen wünschen Gesellschaft, Amüsement! Ich für meine Person würde mich just in diesem feudalen Ansitz sehr wohl fühlen; wirklich feudaler Sitz, städtischer Komfort verbunden mit den Annehmlichkeiten des Landlebens, unbelästigt von Schnüfflern . . .«

»Das wohl, Herr Baron! Zu uns kommt fast niemand.«

»Geradezu ideal! Wenn möglich, möchte ich mich in der Nähe ankaufen.«

»Wie? In unsrer entsetzlichen Moorgegend? Unbegreiflich! Ich trachte mit Händen und Füßen fortzukommen; habe es nie begriffen, wie sich Durchlaucht der Fürst just hier im Moor hatte festsetzen und bauen können.«

»Vielleicht ebenso Sonderling wie ich. Wenn 43 gnädiges Fräulein die gehorsamste Bitte gestatten, würde ich das Ersuchen zu Füßen legen, mir einen Führer durch die Brauerei zu bewilligen.«

»Sehr gern. Ich werde Haferditzel beauftragen! Wenn es Ihnen genehm, begleite ich Sie.«

»Zu gütig, gnädiges Fräulein! Wird der Gang aber nicht eine Unordnung verursachen?«

»O nein! In keiner Weise!« Sie bat den Besucher, den Mantel im Salon zu lassen. Von Olga begleitet, begab sich der Besucher vor das Schloß, und im Hof rief die Tochter des Hauses mit scharfer metallisch klingender Stimme: »Haferditzel!«

Überrascht fragte der Baron, was der sonderbare Ruf zu bedeuten habe.

»Ein schöner Name, jawohl, unser Braumeister heißt Haferditzel! Netter Name, nicht?!«

Von Dienern verständigt, kam der bärenstarke, von Gesundheit strotzende Braumeister angelaufen. Er stellte sich dem Fräulein zur Verfügung, zugleich den fremden, eleganten Herrn begrüßend.

Fast barsch sprach Olga: »Herr Baron Hodenberg wünscht die Brauerei zu sehen. Sie übernehmen die Führung, ein Braubursch folgt uns und schließt hinterdrein ab. Avanti! Darf ich bitten, Herr Baron!«

Hodenberg konnte den Blick nicht abwenden von der graziösen, bezaubernden Gestalt Olgas, ihre Körperreize fesselten seine Sinne in besonderem Maße; doch wenn der Baron den verunstalteten Mund sah, die großen vorstehenden Zähne, mußte er sich 44 zwingen, um den Widerwillen nicht merken zu lassen. Auf die technischen Erläuterungen des Braumeisters achtete Hodenberg in keiner Weise, ihn beschäftigten andre Gedanken. Im nahen Städtchen Landsberg hatte er davon gehört, wie gut situiert Tristners seien, ferner, daß die Tochter eine Schönheit wäre ohne die beklagenswerte Verunstaltung im Oberkiefer, eine geradezu glänzende Partie. Diese Mitteilungen reizten den beschäftigungslosen Baron, der, stetig auf Reisen, jede Gelegenheit ergriff, die Zeit totzuschlagen und dabei, wenn irgend möglich, Umschau nach einer passenden, reichen Braut zu halten. Der Wunsch nach Besichtigung der ländlichen Brauerei war Vorwand, ein Mittel, um mit Tristners in Fühlung zu kommen. Das wird allem Anschein wunschgemäß gelingen; es ist überhaupt vieles völlig nach Wunsch, die Abgeschiedenheit des wirklich fürstlichen Ansitzes, frei von jeder Belästigung, die Leute wahrscheinlich ländlich einfach, beschränkten Sinnes, vielleicht um den Finger zu wickeln und dankbar für die Ehre einer Beachtung seitens eines Barons. Aber des Fräuleins Oberkiefer forderte eine Selbstüberwindung, die ihm noch nicht möglich zu sein schien.

»Fachmann sind Sie, Herr Baron, nicht!« spottete Olga, als sie die Teilnahmslosigkeit Hodenbergs bemerkte.

»Doch, gnädiges Fräulein, das heißt: wir hatten, als wir noch auf hannoverschem Boden seßhaft waren, beim Rittergut eine Brauerei. Ich bin jedoch nicht 45 für die Fabrikation ausgebildet worden, es fehlte an Interesse.«

Olga interessierte sich nun lebhaft für hannoversche Verhältnisse und fragte mit einem Eifer, der für Hodenberg bald lästig wurde und ihn veranlaßte, vom landwirtschaftlichen Thema zur Erörterung der persönlichen Verhältnisse überzugehen. Seufzend erzählte der Baron, es sei ihm leider die liebtraute Heimat verschlossen, sein altes, von Heinrich dem Löwen direkt abstammendes, uraltes Adelsgeschlecht sei untereinander schwer verfeindet, der feudale Besitz mußte verkauft werden. Stetig auf Reisen, sei er nach Bayern gekommen, und nun fahnde er nach einer Gelegenheit, sich in absolut ruhiger Gegend ankaufen und seßhaft machen zu können.

»Wie interessant! Es wäre reizend, wenn Sie sich, Herr Baron, in unsrer Nähe niederlassen würden; freilich wüßte ich nicht, welches Gut verkäuflich sein sollte. Zankstein ist nicht feil, die resolute Benedikte klebt an ihrer Scholle, obwohl – nein, ich will nichts weiter sagen.«

»Ist Zankstein ein Rittergut?«

»Das nicht, ein kleiner Besitz weiter drüben am See, einstöckiger Ansitz, der viel Geld schluckt durch ewige Reparaturen. Benedikte dürfte schon ein ganzes Vermögen in das Gut gesteckt haben und dennoch fast keine Rente herausbringen.«

»Nee, ich danke für solche Kaufgelegenheit!«

»Wäre auch nichts für Sie, Herr Baron! Die 46 Abgeschlossenheit ist zeitweilig zu arg. Vielleicht finden wir etwas Passendes später. Aber nun dürfte es genug sein, in den Malztennen ist nichts zu sehen, der Gärkeller bietet kein Interesse; wenn es angenehm ist, begeben wir uns in die Stallungen . . .«

»Mit größtem Vergnügen, gnädiges Fräulein!«

»Pferde hatten Sie doch jedenfalls auf Ihrer früheren Besitzung?«

»Gewiß, fast konnte man Marstall sagen, Reitgäule und Wagenpferde edelsten Geblütes, im Wirtschaftsbetriebe Pferde Lütticher Schlages, es war herrlich zu schauen, ich vermisse den Marstall schwer, werde noch gemütskrank, wie es Heinrich der Löwe, mein Ahnherr, auch gewesen ist.«

»Was? Heinrich der Löwe, der Gründer Münchens, soll gemütskrank gewesen sein? Herr Baron, das dürfen Sie in Bayern nicht behaupten!«

»Weshalb nicht? Ich muß es doch wissen, ich, der von dem Löwenherzog direkt abstammt!«

»Das will und kann ich nicht bestreiten; aber Heinrich der Löwe war alles andere eher, nur nicht gemütskrank, das weiß ich von der Schule her. Möglich, daß man in Hannover das glaubt, in Bayern gewiß nicht.«

»Wir wollen nicht streiten, gnädiges Fräulein! Wenn es Sie interessiert und Sie mal nach Landsberg, wo ich zur Zeit wohne, kommen, will ich Ihnen meinen Stammbaum zeigen.«

Die Baulichkeiten der Rieder Besitzung waren praktisch angelegt, aneinandergereiht, es trennte nur ein 47 Gartenstreifen das eigentliche Schloß von dem Marstallgebäude, daher gelangte das Paar rasch in die Pferdeställe.

Olga beobachtete ihren Begleiter scharf, doch unauffällig und zeigte ihm Pferde ungarischer Abkunft, sagte aber kein Wort über deren Abstammung.

»Prächtige Tiere, unverkennbar englisches Blut, freilich nicht hochgestellt genug!«

Das Lachen Olgas mahnte den Baron zur Vorsicht; eifrig wischte er sein Monokel mit dem Taschentuch, steckte das Glas ins Auge und versicherte, kurzsichtig zu sein, daher ihm die Verwechslung unterlaufen sei.

Fast schnippisch erwiderte das Fräulein: »Kurzsichtige tragen hierzulande Brillen!«

»Pardon! Ich bin nur auf dem linken Auge kurzsichtig, und bei uns ist das Brillentragen nicht üblich, geradezu verpönt seit . . .«

». . . Heinrich dem Löwen?«

»Das allerdings weiß ich nicht, werde aber im Familienarchiv nachforschen lassen.«

»O bitte, das wäre wirklich interessant, zu erfahren, ob Heinrich der Löwe auch bereits ein Monokel getragen hat.« So ernsthaft und treuherzig blickte Olga bei diesen Worten den Baron an, daß Hodenberg den Spott nicht merkte. Beim Verlassen des Marstalls händigte der Baron dem Personal ein überreiches Trinkgeld ein und erntete dafür begeisterten Dank der überraschten Leute.

48 Das Paar inspizierte die Spezialität der ehemals fürstlichen Besitzung, die Mastanstalt ungarischer Ochsen mit der praktischen Verwertung der Treber. Hodenberg konnte ungefähr abschätzen, welchen Wert die prächtigen Tiere hatten, und da die von ihm genannte Wertsumme annähernd stimmte, neigte Olga doch wieder zum Glauben hin, daß der Besucher Landwirt sei oder doch gewesen ist und sich im Marstall nur versprochen habe.

Olga führte den Besucher in alle Teile des herrlichen Besitzes, das Treibhaus mußte ebenso genau besichtigt werden wie schließlich der Eiskeller. Dann aber bat das Fräulein, es möge der Baron zur Nervenstärkung ein kleines Frühstück einnehmen, das im Speisesaal bereits ihrer harren dürfte.

Hodenberg nahm die Einladung dankend an und folgte Olga in den Schloßbau, nun überzeugt, daß es nichts Lohnenderes auf Erden geben könne, als in die Familie Tristner und den fürstlichen Besitz einzuheiraten. Zwar schien die Tochter des Hauses außer dem Schönheitsfehler noch zur Bosheit zu neigen, doch die zweifellos enorme Mitgift wiegt noch viel größere Fehler auf, und schließlich braucht der glückliche Gatte Olgas seine Lebenszeit ja nicht auf Schloß Ried zu verbringen. Hodenberg fragte, im Speisesaal angekommen, ob er das Glück haben werde, die übrigen Mitglieder der hochverehrten Familie kennenzulernen.

»Bedaure sehr, Herr Baron, sagen zu müssen, daß Mama infolge ihres Augenleidens nicht empfangen 49 kann. Mein Bruder Theo liegt krank zu Bett, Sie müssen daher schon mit mir vorliebnehmen!«

»Oh, meine innigste Anteilnahme, gnädiges Fräulein! Sie haben nur einen Bruder?«

»Ja! Theo und ich sind die einstigen Erben der langweiligen Besitzung! Doch bitte, es ist serviert, lieben Sie Forellen?« Gewandt und in jeder Bewegung zierlich legte Olga dem Gast vor, goß goldnen Rheinwein in sein Glas und bat, nach Herzenslust zuzugreifen und zu tun, als sei der Baron hier zu Hause.

Diese Liebenswürdigkeit ermunterte Hodenberg zum Wagnis eines sentimentalen Seufzers und dann zum Ausruf: »O welches Glück, hier zu Hause sein zu dürfen!«

Geschmeichelt lächelte Olga, ihr waren Huldigungen ungewohnt, neu und darum süß klingend. »Kommen Sie nur öfter von Landsberg herüber, dann können Sie solches Glück auch öfter genießen!«

»Von Herzen gern würde ich diese entzückende Einladung annehmen, fürchte aber, daß Ihre Angehörigen ein Veto ob der Störung im Hauswesen einlegen werden. Auch würde mir jede Gelegenheit zur Revanche fehlen . . .«

»Ja, nach Landsberg zum Gegenbesuch kann ich nicht kommen! Es muß ja nicht alles Revanche finden. Sie kommen einfach herüber, bleiben so lange es Ihnen gefällt, und fahren zurück nach Belieben. Das Schloß ist groß und hat auch Appartements genug, falls Sie mal ein Stündchen zurückgezogen ruhen wollen.«

»Entzückend liebenswürdig, ich weiß nicht, wie ich 50 danken soll! Doch für heute ist die Störung bereits übergroß, ich bitte, meinen verbindlichsten Dank der gnädigen Frau Mama und dem Herrn Bruder übermitteln zu wollen, mir einen Handkuß zu erlauben und dann Order zum Anschirren meinem Kutscher erteilen zu lassen.«

Ein Viertelstündchen später rollte das Fuhrwerk Hodenbergs auf der Straße durch das Moor zum Städtchen Landsberg. Im Salon tanzte Olga um den Tisch und lachte Tränen über Heinrich den Löwen mit dem Monokel. Der Übermut der Pensionatsbackfischlein regte sich in Olga wieder, die Freude über den Schabernack war groß. Schade, daß man über den Ulk nicht mit anderen Menschen reden konnte. Olga wirbelte aber doch in die Schloßküche und erzählte der alten Christine von dem Baron aus uraltem, gemütskrankem Geschlecht und wie sie ihn verulkt habe.

Wesentlich anders, fast kühl erzählte Olga über den Besuch des Barons aus Hannover der Mama und fügte hinzu, daß der vornehme Herr beabsichtige, sich in der stillen Rieder Gegend anzukaufen. Die Mutter schüttelte das weiße Haupt; solche Absicht war ihr unbegreiflich, sich im Rieder Moor ohne geschäftliche Hintergründe ansiedeln zu wollen, war doch Unsinn. Das stille, schalkhafte Lachen Olgas konnte die fast blinde Frau nicht sehen. Nach einer Weile gab Frau Tristner ihren Gedanken dahin Ausdruck, daß sie sagte, unter Umständen könnte das Erscheinen eines kapitalkräftigen Edelmannes von Bedeutung werden, 51 doch werde es Gott verhüten, daß Theo arbeitsunfähig und die Familie dadurch gezwungen werde, das Besitztum zu verkaufen.

Olga äußerte leichthin, daß ein Wegzug von Ried niemals ein Unglück sein könne, denn ein langweiligeres Nest gäbe es auf Erden nimmer. Übrigens sei es mit Theo nicht gefährlich, es haben sich schon ganz andre Leute Rippen gebrochen, und schließlich könne man ja einen tüchtigen Verwalter anstellen. Es wäre ohnehin für das Geschäft besser, wenn Theo sich weniger im Büro und mehr im Außendienst beschäftigen würde.

»Nein, nein! Die Einstellung eines Verwalters bleibt immer eine gefährliche Sache, ich will einstweilen davon nichts wissen. Das aber ist richtig, das Außengeschäft muß mehr berücksichtigt werden; der Vater selig war fleißig unterwegs und ließ lieber den erprobten Haferditzel im Brauhause arbeiten. – Wie ist denn der hereingeschneite Baron im Wesen und von Gestalt?«

»Oh, Mama, ganz Kavalier, der echte norddeutsche Edelmann aus uraltem Geschlecht, sehr elegant, sein gebildet, sicher im Auftreten. Ich glaube, er ist sehr reich. Dem Stallpersonal hat er mindestens zwanzig Mark Trinkgeld gegeben.«

»Um's Himmels willen! Wie kann der Mensch soviel Geld so leichtsinnig wegwerfen! Sorge dafür, daß der Johann oder wer das Geld empfangen hat, es wieder zurückgibt! Mir die Leute so verwöhnen! Da wäre es kein Wunder, wenn unsre Knechte zu Weihnachten mit den Geschenken unzufrieden würden! 52 Gefällt mir gar nicht, der Baron! Wer so unsinnig Geld wegwirft, hat es nicht ehrlich erworben, kennt den Wert des Geldes nicht!«

»Aber, Mama! Sag doch lieber gleich, der Baron hat das Geld gestohlen!«

»Das kann ich nicht behaupten, ich kenne den Mann nicht, weiß gar nichts. Gelegentlich werde ich aber unseren Freund in Landsberg fragen . . .«

»Den Amtsrichter Thein? Kommt der auch wieder heraus? Na, das kann ein genußreicher Abend werden! Stundenlanger Vortrag über Aktengeschichten, mein Geschmack ist das nicht; mir unbegreiflich, wie ihr, du und der Vater, an dem verknöcherten Aktenmenschen so großen Gefallen haben konntet!«

»Still, Olga! Thein war und ist ein echter Freund unseres Hauses, er hat es bewiesen. Du wirst deine Antipathie bezähmen und unterdrücken, den Amtsrichter mit gebührender Aufmerksamkeit behandeln, verstanden!«

»Jawohl, Mama! Ich werde seine Aufmerksamkeit auf den Baron lenken und Doktor Thein bitten, insgeheim zu recherchieren, ob der Löwenbaron wirklich unmenschlich viel Geld besitzt.«

»Laß den Spott, Olga! Du hast dich meinen Anordnungen zu fügen; noch bin ich am Leben, und hier gebiete ich. Oh, wenn ich nur besser sehen könnte!«

In aufquellender Herzlichkeit umarmte Olga die geliebte Mutter und tröstete sie mit innigen, teilnahmsvollen Worten.


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