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Viertes Kapitel

Die Unterhaltung der reizenden Marquise und das Vergnügen, in meinen schweren Schuhen zu tanzen, ließen mich das Schulreglement vergessen. Ich kam eine Stunde zu spät und erhielt vierzehn Tage Hausarrest. Sobald ich wieder frei war, war mein erster Gang zu Léonce. Ich fand ihn allein und damit beschäftigt, sich seine schönen Haare auszureißen.

»Lieber Freund,« rief er mit bejammernswerter Stimme, »ich bin grausam betrogen worden.«

»Jetzt schon?«

»Mein Schwiegervater ist ebenso reich und ebenso adlig wie ich; er heißt ganz einfach Stock und seine gesamten Besitztümer bestehen in einigen zwanzigtausend Franken Schulden!«

»Unmöglich!«

»Zweifellos; meine Frau hat mir am Hochzeitsabend alles gestanden! Es waren keine fünfhundert Franken im Hause.«

»Aber das Haus selbst ist doch seine hunderttausend wert.«

»Es ist ja gar nicht bezahlt. Vor fünf oder sechs Jahren war Herr Stock ein reicher Mann, er hat in Frankfurt eine gewisse Stellung eingenommen, und nachdem er alles geordnet, verblieben ihm noch dreißigtausend Franken Rente. Aber er ist ein Spieler, wie der Carreaubube selbst kein schlimmerer sein kann. Anfangs des Winters blieb ihm von seinem Glanz nichts als eine Ordensschnalle, die er an kleinen Höfen billig zusammengekauft hat, einige ehrenwerte Verbindungen, die Gewohnheit sehr viel Geld auszugeben, die Wut zu spielen und etwa fünftausend Franken. Er hat es für eine gute Spekulation gehalten, dieses Kapital auf Dorothee anzulegen, nach Paris zu kommen, um hier seinen letzten Trumpf auszuspielen. Er rechnete darauf, in der verwünschten Gesellschaft der Chaussée d'Antin im Trüben einen Schwiegersohn zu fischen, reich genug, um ihn von seiner Tochter zu befreien, ihn selbst und seine Frau zu ernähren und ihm jeden Sommer eine Rolle Goldstücke einzuhändigen, damit er sie am Rhein verspielen könnte. Ist das nicht niederträchtig?«

»Nimm dich in acht, weißt du, wie man in diesem Augenblick von dir spricht?«

»Ich muß sehr bitten, das ist denn doch ein Unterschied! Ich habe ihn nicht betrogen; ich wollte ihm freimütig den Stand meiner Verhältnisse auseinandersetzen, er war es, der mich nicht dazu kommen ließ, der mir den Mund verschlossen. Jetzt weiß ich freilich weshalb, und sein Vertrauen setzt mich nicht mehr in Verwunderung! Er ist es, der mich in den Abgrund hinabgezogen hat, in den wir beide geraten sind.«

»Habt ihr euch ausgesprochen?«

»Ich bin zu ihm gestürzt, um ihm meine Meinung zu sagen, und du kannst mir glauben, daß ich meine Beredsamkeit nicht gespart habe. Weißt du, was er mir geantwortet hat? Anstatt mich seinerseits anzuklagen, wie ich es nicht anders erwartet, hat er meine Hand genommen und mit bewegter Stimme gesagt: ›Wir haben Unglück. Jeder von uns hätte auf ein Vermögen treffen können; es ist sehr ärgerlich, daß gerade wir uns begegnen mußten.‹«

»Sehr weise gesprochen.«

»Was soll aus mir werden?«

»Willst du einen Rat von mir haben?«

»Selbstverständlich, da du mir nichts andres geben kannst!«

»Mein lieber Léonce, es gibt nur ein einziges anständiges Mittel, dich aus der Affaire zu ziehen. Mach der Sache heroisch ein Ende; begib dich in ein arbeitsames Stadtviertel, Rue des Ursulines, oder Boulevard Montparnasse; beendige dein Rechtsstudium, mache das Examen, werde Advokat. Du bist begabt genug und kannst die Gewohnheit, zu arbeiten, nicht vollständig verlernt haben; die Beziehungen, welche du in den letzten sechs Monaten angeknüpft hast, werden dir später von Nutzen sein, du wirst die verlorene Zeit und das verlorene Geld wieder einbringen.«

»O ja, wenn ich Junggeselle wäre! Mein armer Freund, da sieht man recht, daß du in einem Kasten lebst und die Welt nicht kennst. Balzac hat längst bewiesen, daß ein unverheirateter Mann alles erreichen kann, aber daß, wenn man einmal verheiratet ist, man seine Kräfte verbraucht, um ruhmlos gegen die Additionen des Wirtschaftsbuches anzukämpfen. Du verlangst, daß ich zwischen einer Frau, einem Schwiegervater, einer Schwiegermutter und Kindern, welche kommen können, arbeiten soll; von der Familie umlagert, in einer Wohnung von vierhundert Franken zusammengepfercht! Dabei würde ich umkommen!«

»Dann mach es anders. Zieh mit deiner neuen Familie in die Bretagne. Onkel Yvons Haus ist groß genug für euch alle.«

»Wir werden die Meinen dort ruinieren!«

»Ganz und gar nicht. Aimée wird sich jährlich ein Kleid weniger kaufen und Matthieu wird die Existenz seines berühmten nußfarbenen Paletots verlängern.«

»O ja, ich weiß, wie gut sie sind, aber du kennst meine Schwiegereltern nicht. Meine Frau liebt die Gesellschaft, ihre Eltern aber sind wie versessen darauf. Frau Stock verbringt lange Stunden vor ihrem Spiegel, um sich Verbeugungen einzuüben! Herr Stock wird niemals auch nur ein erträglicher Bretagner werden. Die Gastfreundschaft wird er niemals begreifen lernen, unser liebes Haus wird er heruntermachen und uns das Brot verwerfen, das wir ihm geben.«

»Schön, dann laß die Eltern in Paris sich aus der Verlegenheit ziehen und geh mit deiner Frau; sie ist jung, du wirst schon etwas aus ihr machen.«

»Aber bedenke doch, daß der alte Mann bis über die Ohren in Schulden steckt, er ist doch schließlich mein Schwiegervater und ich kann ihn nicht nach Clichy Clichy, ehemaliges Schuldgefängnis in Paris. schicken.«

»Ich höre mit Vergnügen, daß du ihn bedauerst, aber frage nun auch meinerseits: ›Was willst du machen?‹ Ich wenigstens weiß dir nichts andres zu raten, ich bin mit meinem Latein zu Ende.«

»Ich werde mich um eine Anstellung bemühen. Da man der Meinung ist, daß ich es nicht nötig habe, wird man mir schon eine verschaffen.«

Er suchte lange umher und verlor mit resultatlosen Bemühungen über einen Monat. Mitten hinein in seine ärgsten Sorgen kam die Nachricht, daß Aimée Mutter eines dicken Jungen geworden sei.

»Du mußt Pate bei ihm stehen,« schrieb Matthieu, »und die hübsche Tante Dorothee wird es hoffentlich nicht abschlagen, die Patin dazu zu sein. Wir erwarten euch, euer Zimmer ist bereit, beeile dich und laß die Staatskutsche anspannen.«

Léonce hatte seinen Verwandten noch nichts von seinem Unglück mitgeteilt. Weshalb ihnen mit einer bösen Nachricht ihr Glück trüben?

Der arme Junge war tapferer, als ich es ihm zugetraut hätte. Während er, um existieren zu können, seine Bilder verkaufte, war er zärtlich und aufmerksam um seine Frau besorgt. Recht und billig ist es, zu sagen, daß Dorothee aufs liebevollste bemüht war, ihn zu trösten, und wenn sie weinte, geschah es nur im geheimen. Einen Teil ihrer Ausstattung stellte sie den Lieferanten wieder zu.

Ich bin überzeugt, daß die Flitterwochen schöner gewesen wären, wenn es dem jungen Hausstand an nichts gefehlt und Herr Stock keine Schulden gehabt hätte, aber trotz aller Unannehmlichkeiten, trotz der Zudringlichkeit der Gläubiger, brachten sie es zustande, ihrer Liebe zu leben, und waren so glücklich, wie man es auf einem Schiff nur sein kann, das von allen Seiten leck ist.

Ich besuchte sie ganz regelmäßig bei jedem meiner Ausgänge und jedesmal zeigten sie sich in besserem Lichte und wurden mir immer lieber.

An einem Donnerstag ging ich um halb zwei von der Schule fort, um sie zu besuchen, als mir in der Mitte der Rue d'Ulm ein kleiner Mann in einem Samtrock begegnete, ein alter Bekannter, den ich seit Matthieus Heirat etwas vernachlässigt hatte.

»Guten Tag, Kleiner Grauer, setzen Sie nur Ihre Mütze wieder auf. Wollten Sie mich besuchen?«

»Ja, Herr, und es ist mir sehr lieb, daß ich Ihnen begegnet bin, wollte Sie um einen Rat bitten.«

»Es ist doch nichts bei euch passiert? Ist Ihre Frau wohl? Arbeiten Sie noch immer im Dienst der Stadt?«

»Freilich, Herr, und ich darf wohl sagen, daß meine Frau und ich den Besen führen, daß es seine Art hat und Ihnen Ehre macht. Man wird Ihnen keinen Vorwurf daraus machen können, daß Sie uns diese Anstellung verschafft haben.«

»Ich war es ja nicht, Kleiner Grauer: es war einer meiner Freunde und ich wünschte wohl, daß ich ihm jetzt denselben Dienst erweisen könnte.«

»Ist Herr Matthieu glücklich? Sind die Damen wohl?«

»Ich danke Ihnen. Matthieu hat einen Jungen und die ganze Familie ist so wohl als irgend möglich.«

»Also, Herr, weshalb ich Ihren Rat erbitten wollte: Als meine Frau und ich heute morgen von der Arbeit gekommen waren, und meine Frau gerade die Suppe essen wollte, die sie in unserm Bett warm gestellt hatte, kam ein nicht sehr großer Herr, er war sogar eher klein, zu uns, ein Mann von meiner Statur etwa und ungefähr in meinem Alter. Er fragte mich, ob ich schon mit Frau Bourgade zusammen hier gewohnt habe. Ich sagte ihm, daß das der Fall gewesen, denn ich habe ja nichts zu verbergen, habe nichts Böses gethan und bin niemand etwas schuldig. Als er nun aber erfuhr, daß ich die Damen kenne, hat er mich über alles mögliche ausgefragt, mit wem das Fräulein verheiratet sei, was ihr Mann wäre, wie lange sie hier im Hause gewohnt hätte und schließlich, wo sie jetzt wohnte. Als ich merkte, daß ich beichten sollte, habe ich nicht mehr geantwortet. Der Mensch kommt mir nicht noch einmal! Ich habe wohl verstanden, daß er Herrn Matthieus Adresse haben wollte, aber da ich nicht wußte, zu welchem Zweck, habe ich ihm gesagt, daß ich sie nicht wüßte, aber daß man sie sich ja vielleicht verschaffen könnte. Darauf hat er mir einen hohen Lohn versprochen, wenn ich sie ihm brächte. ›Mein Herr,‹ habe ich ihm geantwortet, ›ich brauche kein Geld, ich habe zwei Anstellungen bei der Regierung.‹ Seine Adresse hat er mir dagelassen, gelesen habe ich sie nicht, Sie werden begreifen, weshalb, aber ich wollte sie Ihnen zeigen, um zu wissen, was man machen soll.«

Der Kleine Graue zog eine schön glasierte Karte aus der Tasche, auf der die Worte standen:

Louis Bourgade
Hotel des Princes.

 

»Louis Bourgade,« sagte der Kleine Graue, »das ist ein Verwandter.«

»Hotel des Princes – das ist ein reicher Verwandter.«

»Der hätte auch früher kommen können, als die armen Damen am Hungertuche nagten. Jetzt ist er nicht mehr nötig.«

»Deshalb zeigt er sich jetzt wahrscheinlich, mein lieber Kleiner Grauer; er wird von Fräulein Aimées Heirat gehört haben. Aber jede Sünde findet schließlich Vergebung; wir werden ihm die Adresse geben müssen.«

»So werde ich hingehen. Ist es weit nach dem Hotel des Princes?«

»Lassen Sie nur, das Hotel liegt auf meinem Wege, ich werde hinaufgehen und mit dem Herrn sprechen.«

Unterwegs dachte ich: »Ein reicher Verwandter! Schade, daß Léonce kein solcher Glücksfall getroffen hat!«

Ich fragte nach Herrn Bourgade, ein Hoteldiener ging mir voraus, um mich zu ihm zu führen.

Herr Bourgade bewohnte ein prächtiges Zimmer im ersten Stock nach vorn heraus. Er ließ mich zehn Minuten warten, die ich dazu benutzte, auf ihn zu fluchen.

Eine herzhafte Entrüstung im Stil Jean Jacques Rousseaus kochte in mir. »Ha, Ungeheuer,« rief ich halblaut, »du bist ihr Verwandter und wohnst im Hotel des Princes! Du nennst dich Bourgade und läßt mich antichambrieren?«

Als die Thür sich öffnete, erschloß ich die Schleusen meiner Beredsamkeit. Ich war jung und es war schon viel, daß ich mir die Mühe nahm, denjenigen überhaupt anzusehen, an den sich meine Rede wandte; meine Augen benutzte ich nur, um Blitze daraus zu schleudern.

Ich stellte mich stolz als einen alten Freund von Frau und Fräulein Bourgade vor. Ich erzählte, auf welche Weise ich mit ihnen bekannt geworden sei, ohne die Ehre zu haben, mit ihnen verwandt zu sein; ich entwarf ein pathetisches Bild ihres Elends, ihrer Tapferkeit, ihrer Arbeitsamkeit, ihrer Tugend. Ich sparte keine Farben und ging nicht mit halben Tönen vor.

Den Namen Bourgade wiederholte ich so oft als thunlich und unterstrich ihn jedesmal.

Meine Anklagerede verfehlte ihren Eindruck nicht. Herr Bourgade sah mir nicht ins Gesicht; er verbarg sein Antlitz in beide Hände und schien vernichtet zu sein. Um das Maß voll zu machen, erzählte ich ihm Matthieus Handlungsweise; ich teilte ihm die Geschichte des für zehn Franken verpfändeten Paletots mit und sprach ihm von allen Entbehrungen, die dieser würdige junge Mann sich auferlegt hatte, obgleich er nicht zur Familie gehörte und nicht Bourgade hieß. Vortrefflicher Matthieu! Er versagte sich das Notwendigste, während andre mit ihrem Ueberfluß geizten! Schließlich hat er die verlassene Waise geheiratet, hat sie nach Auray in das Haus seiner Väter geführt; hat ihr einen Namen, ein Vermögen, eine Familie gegeben! Heute ist Aimée Bourgade eine glückliche Frau und Mutter, die niemands Hilfe mehr bedarf und ihrerseits die selbstsüchtige Welt verachten könnte, die ihrer einst so wenig geachtet hat!

Herr Bourgade breitete die Arme aus, und ich sah, daß sein Gesicht von Thränen überströmt war. »Sie ist meine Tochter,« sagte er, »und ich danke Ihnen, daß Sie sie so herzlich lieben. Mein liebes Kind, lassen Sie sich umarmen!«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Ich fragte ihn nicht, wie es käme, daß er am Leben sei, ich machte keinerlei Einwände, sondern umarmte ihn und küßte ihn wiederholt auf beide Backen. Ich war fest überzeugt, daß ich mich nicht täuschte – Vaterthränen sind nicht zu verkennen.

Nachdem die erste Rührung vorüber, betrachtete ich ihn mit einem Blick des höchsten Staunens. Er bemerkte es: »Ich erkläre Ihnen alles, sobald ich meine Frau und meine Tochter wieder gesehen habe. Zunächst nach Auray! Ich danke Ihnen – Leben Sie wohl – Auf Wiedersehen!«

»Halt, halt, nicht so eilig. So lasse ich Sie nicht fort. Erstens kann man erst heute abend mit dem Siebenuhrzuge nach Auray, zweitens gilt es Vorsichtsmaßregeln zu treffen; Sie können nicht so aufs Geratewohl in Auray erscheinen. Sie würden Ihre Frau und Ihre Tochter töten, und die Bretagner Bauern würden Sie als Gespenst mit den Heugabeln totschlagen. Setzen Sie sich und erzählen Sie mir Ihre Geschichte. Wie war es nur möglich, daß Sie bei diesem Schiffbruch davongekommen sind? Auf welchem Endchen Mastbaum, auf welchem Hühnerkorb haben Sie sich gerettet?«

»Nichts einfacher als das; ich war nicht mehr an Bord, als das Schiff unterging. Sie wissen, zu welchem Zweck ich nach Amerika gegangen bin. In Rio de Janeiro haben wir uns acht Tage aufgehalten, um Passagiere und Waren einzunehmen. Ich ging, wie alle andern, an Land. Ich hatte Briefe an einige dort etablierte Franzosen, unter andern auch an einen Kaufmann in Farbhölzern, Namens Charlier. Ich setzte ihm mein System auseinander, von dem er außerordentlich frappiert war, denn alle Gedanken waren damals nur auf Kalifornien gerichtet. Charlier gab mir die Versicherung, daß meine Erfindung eminent sei, aber daß ich nicht kräftig genug wäre, um allein zu Werke zu gehen, und daß ich keine Arbeiter finden würde. ›Sie thun viel besser daran,‹ sagte er, ›sich auszuschiffen, sich als Maschinenbauer zu etablieren und die Bourgadesche Scheidemaschine hier auszunutzen. Der gesamte Apparat wird Ihnen fünfhundert Franken kosten, für tausend können Sie ihn verkaufen; sämtliche Goldgräber, die nach San Francisco gehen, werden sich auf der Durchreise bei Ihnen damit versehen. Sie haben kein Geld, um das Unternehmen ins Werk zu setzen, das läßt sich leicht schaffen; für ein gutes Geschäft finden sich immer Kapitalien, besonders in Amerika. Wenn Sie einen Associé brauchen – ich bin dazu bereit.‹

Auf diese Weise haben wir das Haus Charlier, Bourgade und Comp. gegründet, dessen Aktien an der Pariser Börse gehandelt werden. Wir haben sie zu fünfhundert Franken ausgegeben, ich habe auf mein Teil tausend bekommen. Die Aktien sind um das Zehnfache gestiegen und werden noch nicht aufhören zu steigen, denn man spricht von neuen Goldminen in Australien.«

»Was – Sie haben fünf Millionen verdient?«

»Etwas mehr, aber gleichviel; sagen Sie mir nur, durch welch unseliges Wunder all meine Briefe unbeantwortet geblieben sind?«

»Sie werden Ihre Briefe wohl auf der Post finden. In Paris ist der Untergang der ›Belle Antoinette‹ sehr rasch bekannt geworden; Ihr erster Brief wird vermutlich einige Tage später als die Nachricht hier eingetroffen sein, als die Damen schon aus der Rue Orleans ausgezogen waren. Ich glaube mich zu erinnern, daß sie die Wohnung gewechselt haben, ohne ihre Adresse anzugeben, sie wollten ihr Elend vor aller Welt verbergen und erwarteten ja auch von niemand mehr Nachricht. Wie hätte die Post sie entdecken sollen? Der Briefträger kommt nicht 'mal jede Woche in die Rue Traversine.«

»Sie können sich keinen Begriff machen, wie ich gelitten habe. Ueber zwei Jahre lang habe ich nach Paris geschrieben und niemals ein Wort der Antwort bekommen!«

»Ich kenne zwei Frauen, die nicht minder gelitten haben als Sie!«

»Und dennoch nicht so schwer; sie beweinten ein positives Unglück, meine Einbildung ließ mich tausend erblicken. Ich wußte, daß sie ohne Hilfsmittel jeder Entbehrung ausgesetzt waren, ich war reich und konnte doch nichts für sie thun! Die verwünschte Cholera von 1849 hat mich viele schlaflose Nächte gekostet. Ich wollte nach Paris gehen, bei der Polizei Nachforschungen anstellen, die ganze Stadt durchsuchen, aber ich konnte nicht fort. Ich habe ein Inserat in die ›Presse‹ und den ›Constitutionnel‹ rücken lassen; keine Antwort! Sie lesen wohl keine Zeitungen?«

»Selten, die Damen niemals.«

»Ich las alle Zeitungen; aus dem ›Siècle‹ habe ich Aimées Heirat erfahren.«

»Die Hauptsache ist jetzt, die Ihrigen von Ihrer Rückkehr zu benachrichtigen; aber mit größter Vorsicht, denn Aimée nährt ihren Jungen. Wenn Sie auf mich hören, so schicken Sie einen Botschafter voraus. Ich weiß gerade zufällig einen jungen Mann, der eine Stelle sucht, Matthieus Bruder, Aimées Schwager; ein gescheiter Mensch und nach jeder Richtung hin dafür geschaffen, eine Großmacht zu repräsentieren. Wenn Sie mit seinen Diensten zufrieden sind, werde ich Ihnen ein Mittel zeigen, sich ihm dankbar zu erweisen. Wenn Sie wollen, gehen wir gleich zu ihm!«

Wenige Stunden später stiegen Herr Bourgade, Léonce und Dorothee in die Eisenbahn und fuhren nach Angers. Herr Bourgade blieb in Vannes und das junge Ehepaar setzte seinen Weg fort und kam in einer Staatskutsche nach Auray, wie Léonce es vorausgesagt hatte. Als Dorothee in vagen Ausdrücken den Gedanken aussprach, daß Herr Bourgade vielleicht nicht tot sei, erwiderte die gute Witwe: »Vielleicht.«

Sie hatte sich so an das Glück gewöhnt, daß ihr nichts mehr unmöglich erschien. Léonce erinnerte daran, was der Schüler des Polytechnikums mir damals in Bezug auf die Scheidemaschine gesagt. Da die Erfindung am Leben geblieben, ist es möglich, daß der Erfinder dem Schiffbruch entronnen ist.

So ging die Hoffnung sanft in diesen braven Herzen auf und an dem Tage, als Herr Bourgade in Auray erschien, riefen seine Frau und seine Tochter: »Wir wußten ja, daß du nicht tot sein könntest!«

Herr Bourgade hat in seinem Wesen nichts von einem vornehmen Mann, weit entfernt davon, aber er hat auch nichts von einem Emporkömmling. Wer ihm begegnet, wird ihn für einen gut situierten Juwelenhändler aus der Rue Orleans halten.

Der vortreffliche kleine Mann verdient einen Schwiegersohn wie Matthieu. Er hat seiner Tochter eine Mitgift von zwei Millionen gegeben, zu Matthieus größter Bestürzung, welcher von sich behauptet, daß er ein Intrigant sei und seine persönlichen Vorteile ausgenutzt habe, um eine reiche Heirat zu machen.

Die Familie Debay hat sich ein fürstliches Heim errichtet, und nicht die geringste Schönheit ihres Schlosses ist, daß es in seiner ganzen Umgebung keine Armut gibt. Matthieu hat seine Dissertation beendigt und das Doktordiplom erhalten; in ganz Frankreich gibt es nicht zwei Leute mit dem Doktortitel, die so reich sind wie er, und nicht vier, die so fleißig sind.

Aimée schenkt ihrem Gatten jedes Jahr ein Kind.

Léonce denkt nicht mehr daran, Herrn von Marsay nachzuahmen; er hat zwei Töchter und etwas Embonpoint. Das sind die Gründe, weshalb er in der Bretagne mitten in seiner Familie lebt. Er hat hunderttausend Franken Rente mit zu genießen, denn Matthieu besitzt sie ja. Herr und Frau Stock sind jenseits des Oceans; Herr Bourgade hat Herrn Stock in seiner Fabrik angestellt.

Dorothees Vater ist immer gleich gescheit und immer derselbe Spieler; er verdient sehr viel und verliert alles, was er verdient. Der Kleine Graue und seine Frau wohnen nicht mehr in der Rue Traversine; wer ihre Bekanntschaft machen will, muß nach Auray gehen. Sie haben die ausgezeichnete Besenführung, für die sie berühmt waren, nicht eingebüßt; sie halten das Schloß rein und machen scharfe Jagd auf jedes Staubkörnchen.

Fünf bis sechsmal im Jahre höre ich von meinen Freunden. Gestern erst haben sie mir einen Korb mit Austern und eine Kiste Sardinen geschickt. Die Sardinen waren gut, aber die Austern hatten sich unterwegs geöffnet.

*


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