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Drittes Kapitel

Léonce verlebte den Sommer in Vichy und kehrte im Oktober zurück. Er brachte einen großen blonden Diener und ein prächtiges schwarzes Pferd mit. Beides war die Hinterlassenschaft eines Engländers, der zwischen zwei Gläsern Wasser am Spleen verstorben war. Léonce ließ mir seine Rückkehr durch den süperben Jack anmelden, dessen mausegraue Livree meine Bewunderung erregte. Jack trug auf seinen Knöpfen die Wappenzeichen der Baÿ, ohne mir jedoch das Autorenrecht dafür zu bezahlen.

Mein Freund empfing mich in einer Wohnung, die den Stempel männlicher Koketterie trug. Nirgends sah man jene kleinen Nippsachen, welche das Walten einer Frauenhand verraten; nicht einmal ein gestickter Stuhl war vorhanden. Die Möbel im Eßzimmer waren aus Eichenholz. Der Salon, aus ponceaufarbenem Brokat, machte einen ebenso reichen als behaglichen Eindruck. Das Arbeitszimmer war ein Bild äußerster Würde! Es sah aus wie das Heiligtum eines Schriftstellers, der die Geschichte der Kreuzzüge schreibt. In dem Schlafzimmer hing ein enormer Wandteppich, die Großmut Alexanders darstellend; das Mobiliar bestand aus einem Toilettentisch von weißem Marmor mit einem prächtigen, in vollkommenster Ordnung ausgebreiteten Necessaire, vier Plüschfauteuils und einem klösterlichen Himmelbett, das höchstens drei Fuß Breite hatte.

Außerdem hingen ein paar Familienbilder, Gelegenheitskäufe aus den Trödelgeschäften in der Rue Jacob, an den Wänden.

Die Möbel, die Bilder, die Kupferstiche und die mit größter Sorgfalt ausgewählten Bücher in den Bücherschränken, verkündeten sämtlich Léonces Lob. Die Schwiegermütter konnten kommen! Das erste, wonach ich mich bei ihm umsah, waren Cigarren, aber Léonce rauchte nicht mehr. Er behauptete, daß die Cigarre, welche den vertraulichen Verkehr mit Männern fördert, nicht dazu geeignet sei, Ehen zu stiften, und daß der Tabak die Frauen und die Bienen – beides beschwingte Geschöpfe – gleicherweise beleidige. Er berichtete mir von seinem Sommerfeldzug und zeigte mir triumphierend fünfundzwanzig bis dreißig Visitenkarten, welche eine gleiche Zahl von Einladungen für den Winter repräsentierten.

»Lies diese Namen und dann sage mir, ob ich mein Pulver an Spatzen verschossen habe.«

Ich war erstaunt, nur Karten von Bankiers und Industriellen zu finden.

»Wie kommt's, daß du diese Kreise vorziehst? Balzacs Helden verkehrten im Faubourg Saint Germain.«

»Sie hatten ihre Gründe, es zu thun, und ich habe die meinen, es zu unterlassen. In der Chaussee d'Antin werden mein Name und Titel mir nützlich sein; im Faubourg Saint Germain könnten sie mir vielleicht schaden. Der alte Adel kennt seine Mitglieder sehr genau; man würde bald wissen, daß ich nicht zu ihm gehöre. Mein Marquisat wäre entdeckt und man würde mir zu verstehen geben, daß ich mein Glück anderwärts suchen möge. Außerdem ist ein großes Vermögen eine Seltenheit in dem vornehmen Faubourg. Ich habe mich erkundigt, es kommen wenigstens zwanzig Prätendenten auf eine Erbin. Es wäre eine Thorheit, den einundzwanzigsten abgeben zu wollen. Auf dem rechten Seineufer liegen die Dinge anders! In dem Salon des kleinsten Bankiers, oder des bescheidensten Wechselmaklers kannst du in einer Quadrille ein Dutzend kolossaler Vermögen tanzen sehen, die weder öffentlich bekannt sind, noch sich untereinander kennen. Eins ist vielleicht zwanzig Jahre alt, ein andres stammt von gestern. Das eine kommt aus einer Zuckersiederei in Auteuil, das andre aus einem Hüttenwerk in Saint Etienne, ein drittes hat sich erst kürzlich von Indien ausgeschifft. In diesem Wirrwar hallt es rings vom Klange des Goldes wider, blitzt es von Diamanten auf. Man sieht sich, lernt sich kennen, liebt sich und heiratet sich in kürzerer Zeit als eine Herzogin bedarf um ihre Tabaksdose zu öffnen. Hier kennt man den Wert der Zeit, hier sind die Menschen lebhaft, unruhig, voller Drang zu handeln, wie ich; in dieses tosende aufgeregte Wasser werde ich mein Netz werfen.«

Er citierte eine Stelle aus der »Lilie im Thal«, woraus er seine Lebensregeln schöpfte, bestellte das Frühstück und brachte dann zwei Stunden bei seiner Toilette zu, genau zwei Stunden nach dem Beispiel Marsays.

Ich sah ihn im Laufe des Winters häufig genug, um zu beobachten, wie sorgfältig er den Vorschriften dieses seines Lehrers folgte. Wenn es wahr ist, daß Arbeit und Mühe ihren Lohn verdienen, hätte er Modeste Mignon, Eugenie Grandet oder Mademoiselle Taillefer zum Weibe gewinnen müssen. Er zeigte sich überall genau zu den Zeiten, zu denen es Pflicht war, sich zu zeigen. Jeden Abend ritt er im Boulogner Wäldchen spazieren, so pünktlich, als wenn er dafür bezahlt würde. Er fehlte bei keiner Premiere und besuchte die italienische Oper so fleißig, als ob er Musikliebhaber wäre. Er sagte keine Einladung ab, versäumte keinen Ball und vergaß niemals, seine Verdauungsbesuche zu machen. Seine Toilette war ersten Ranges, seine Chaussure vollendet, seine Wäsche einfach bezaubernd. Ich schämte mich Sonntags, wenn wir gestärkte Vorhemden trugen, mit ihm zu gehen. Er dagegen ging gern in meiner Gesellschaft aus. Ein ganz neues Coupé, auf das der Wagenbauer provisorisch Léonces Wappen gemalt hatte, hatte er für ein halbes Jahr gemietet. – In der Gesellschaft hatte Léonce sich von vornherein durch zwei Talente empfohlen, die man selten beisammen findet: er war ein guter Tänzer und gleichzeitig amüsant in seiner Unterhaltung. Er tanzte so schön, daß man geneigt war, zu behaupten, er sei geistreich bis in die Fußspitzen herab. Alle seine Tänzerinnen waren entzückt von sich selbst, folglich auch von ihm; dazu kam, daß alle Mütter diejenigen Männer bevorzugen, durch die ihre Töchter in der Gesellschaft glänzen. Wenn er sich nun gar nach einem Walzer oder einer Quadrille zu den Frauen in gewissen Jahren gesellte, verwandelte sich die Neigung, die man für ihn hegte, geradezu in Enthusiasmus. Er hatte zu viel Geschmack, um den Menschen Komplimente an den Kopf zu werfen, aber er verstand es, jeder Dame, mit der er plauderte, Gedanken auf die Lippen zu legen, so daß die Einfältigsten im Verkehr mit ihm geistreich wurden. Er versagte sich auf das strengste das Vergnügen, sich ein wenig zu mokieren, bemerkte niemals eine Lächerlichkeit, brachte nie eine Dummheit zu Tage und scherzte über alle Dinge, ohne jemals zu beleidigen; bekanntlich eine Sache, die ihre Schwierigkeiten zu haben pflegt. Ueber Politik hatte er absolut keine Meinung, da er nicht wußte, in welche Familie ihn die Liebe führen würde. Er beobachtete und bewachte sich fortwährend, ohne daß man ihm das Geringste anmerkte, und sagte sich jeden Abend wohl hundertmal: »Halte dich gerade, mein Töchterchen!«

So liebenswürdig er im Umgang mit Frauen war, so kühl war er im Verkehr mit Männern. Seine Kälte war nahezu herausfordernd. Auch diese Maßregel war eine Huldigung für das schöne Geschlecht, von dem er alles erwartete; ein Umweg, auf dem er den Frauen sagte: »Ich lebe nur für euch.«

Sein hochmütiges Wesen war indes zu auffallend, um unbemerkt zu bleiben, und zog ihm mancherlei Streitigkeiten zu. Er schlug sich dreimal und voller Edelmut züchtigte er seine Gegner nur in zartester Weise; der am schwersten Verwundete mußte vierzehn Tage lang das Bett hüten. Die Gesellschaft bewunderte Léonces Mäßigung wie seine Tapferkeit; er galt für einen hochherzigen Spieler, der sein eignes Leben in die Schanze schlägt und das Leben andrer schont.

Diese Art Zweikampf war übrigens das einzige Spiel, welches er sich gestattete. Wohl warf er das Geld mit vollen Händen hinaus, aber stets mit gutem Vorbedacht. Er weigerte sich niemals, ein Konzertbillet oder ein Lotterielos zu nehmen; kein einziger Bürger der Pariser Salons zahlte der Gesellschaft so hohe Steuern. Wenn es die Gelegenheit erforderte, war er im stande, sein Portemonnaie in den Beutel einer Almosensammlerin zu leeren, oder sich mit zwanzig Louisdor in das Notizbuch einer wohlthätigen Dame einzuschreiben. Er gab sehr viel Geld für den äußeren Schein, sehr wenig für wirkliches Vergnügen aus, da er jede Ausgabe für unnütz hielt, die von niemand bemerkt wurde. Darin unterschied er sich hauptsächlich von seinen Vorbildern, den Rubempré und den de Marsay, welche Genußmenschen und starke Lebemänner waren. Er machte keine Schulden und hatte keine Maitressen; er vermied alles, was ihm in seinem Lauf hätte hinderlich werden können. Er wollte ohne Aufenthalt und ohne Selbstvorwurf sein Ziel erreichen. – Trotz dieser lobenswerten Anstrengungen vergeudete er drei Monate des Winters und fünfunddreißigtausend Franken, ohne zu finden, was er suchte. Vielleicht gebrach es ihm ein wenig an der notwendigen Ruhe; er war zu aufgeregt, zu nervös, zu hastig. Eine Frau von dreißig Jahren hätte ihm jene Vervollkommnung der Manieren zu geben vermocht, die ihm noch fehlte, und nach dem, was man sich erzählte, hätte er unter solchen Meisterinnen nur zu wählen brauchen, aber sein Plan war einmal gefaßt und er war nicht gewillt, noch von irgend jemand gute Lehren anzunehmen. Als ich ihm meinen Neujahrsbesuch machte, ließ er die drei verflossenen Monate Revue passieren. Bisher hatte er nur höchst unzulängliche Partieen gefunden: eine leichtfertige und beinahe ruinierte Witwe, eine russische Prinzessin mit etwas mehr Vermögen, dagegen mit drei Kindern aus erster Ehe gesegnet, und die Tochter eines übel beleumundeten Spekulanten.

»Mir ist es unverständlich,« sagte er mit einer gewissen Bitterkeit. »Ich habe nur Freunde, keine Feinde, kenne ganz Paris, bin überall bekannt, verkehre überall, gefalle überall, ja, ich darf sagen, ich bin ein angesehener Mann und komme doch zu nichts. Ich gehe gerade auf mein Ziel los, ohne mich aufzuhalten, es ist, als ob das Ziel vor mir davonliefe. Und was will ich denn? Eine Frau aus meiner Sphäre, die mich um meiner selbst willen liebt. Das ist doch keine übernatürliche Sache! Matthieu hat in seinem Kreise gefunden, was ich vergeblich in dem meinen suche. Schließlich bin ich doch wahrhaftig noch etwas mehr wert als Matthieu.«

»Aeußerlich wenigstens. Hast du von ihnen gehört?«

»Nicht allzuoft. Die Glücklichen sind Egoisten. Der Licentiat verbessert seinen Grund und Boden; er düngt, er säet Buchweizen und zieht Bäume. Seine Frau ist den Umständen entsprechend wohl. Die Ankunft Matthieu II. steht für den April in Aussicht.«

»Und sie sind alle glücklich miteinander?«

»Sie leben wie in der Arche Noah. Mama und Papa beten ihre Schwiegertochter an. Frau Bourgade hat sich gut herausgemacht; sie scheint eine entschieden distinguierte Frau zu sein; sie arbeiten, sind lustig und lieben sich: sie haben eben Glück!«

»Und hast du dich niemals versucht gefühlt, dich mit dem Rest deines Geldes zu ihnen zu flüchten?«

»Auf mein Wort, nein. All meine Not ist mir noch lieber als ihre Freuden. Ueberdies ist der Augenblick, mich zurückzuziehen, noch nicht gekommen.«

Und wirklich, kaum acht Tage später trat er strahlend in das Sprechzimmer des Seminars.

»Brrr,« sagte er, »es ist kalt hier.«

»Fünfzehn Grad, lieber Freund, das ist Reglement.«

»Das Reglement ist nicht so empfindlich als ich; es ist ein wahres Glück, daß man mich hier zurückgewiesen hat, um so mehr, da ich meinem Ziele nahe bin.«

»Bist du auf der richtigen Fährte?«

»Ich habe gefunden, was ich suche.«

Léonce war der Reiz und die Eleganz einer ganz kleinen Frau aufgefallen, die so zart und fein war, daß ihre Vorzüge eigentlich unter das Mikroskop gehörten. Er hatte Walzer mit ihr getanzt und sie dabei mehrere Male beinahe aus dem Arm verloren, so leicht war sie und so wenig fühlte er ihr Gewicht; er hatte mit ihr geplaudert und war unter dem Bann ihrer Reize geblieben. Ihre Gedanken liefen mit ganz entzückender Leichtigkeit von einem Gegenstand zum andern; sie schienen von der Laune eines Luftzugs hin und her getrieben zu werden, wie die Maraboutfedern, welche sie vorn am Kleide trug. Léonce erkundigte sich nach dem Namen dieser jungen Dame, die einem kleinen, zierlichen Kolibri glich, und erfuhr, daß sie, trotzdem es den Anschein hatte, weder Frau noch Witwe war, sondern Fräulein von Stock heiße. Sie wurde auf fünfundzwanzig Jahre und ein großes Vermögen taxiert, und auf diese Auskunft hin, fing Léonce an, sie zu lieben. Er ließ sich den Baron Stock zeigen, welcher Ecarté spielte und dabei große Summen mit der Gleichgültigkeit eines Millionärs verlor. In diesem Augenblick erschien ihm Fräulein von Stock noch viel reizender. Außerdem trug der Baron eine Ordensrosette mit fremdländischen Dekorationen. Seine Tochter ist anbetungswürdig, dachte Léonce. Er ließ sich der Baronin, einer adligen deutschen Puppe, vorstellen, welche mit alten, schwarz angelaufenen Diamanten bedeckt war. Diese würdige Dame gefiel ihm auf den ersten Blick. Vielleicht würde sie ihm lächerlich erschienen sein, wenn sie nicht eine so geistreiche Tochter gehabt hätte.

Er tanzte einen ganzen Abend mit der reizenden Dorothee und flüsterte ihr Schmeicheleien ins Ohr, die auf ein Haar Liebesworten glichen. Sie antwortete mit einer Koketterie, die nicht wie Abneigung aussah. Nachdem die Baronin sich nach Léonce erkundigt hatte, lud sie ihn zu ihren Mittwochabenden ein; er besuchte dieselben regelmäßig. Herr von Stock bewohnte ein eignes kleines Haus in der Rue de la Rochefoucauld, zwischen Hof und Garten gelegen. Léonce verstand sich auf Einrichtungen, seit er sich selbst Möbel angeschafft hatte. Ohne Sachverständiger zu sein, hatte er ein richtiges Gefühl für den Wert eines Gegenstandes. Er konnte sich irren wie jeder, denn man müßte vereidigter Taxator sein, um eine kunstvolle Bronze von einer billigen Nachbildung zu unterscheiden, um zu wissen, ob ein Stück Möbel mit Roßhaar, oder sparsamerweise mit Werg gepolstert ist, und auf den ersten Blick zu erkennen, ob eine Gardine aus chinesischer Seide oder aus Wollen- oder Seidendamast gewebt ist, aber Léonce ließ sich nicht leicht täuschen und die Einrichtung des Barons entzückte ihn. Die Diener in einer amarantfarbenen Livree waren gutmütige Dickköpfe und sprachen mit einem deutschen Accent, welcher aufs lieblichste das Ohr zermarterte. Der ganze Apparat des Hauswesens repräsentierte eine jährliche Ausgabe von sechzigtausend Franken.

An dem Tage, an dem Léonce vom Baron empfangen, von der Baronin gefeiert und von der Tochter zärtlich angeblickt wurde, durfte er mit Recht sagen: »Ich habe gefunden.«

Gegen Mitte Januar erfuhr er, daß Dorothee in Notre Dame de Lorette für die Armen Almosen sammeln würde. Er, der so oft die Messe versäumte, war an diesem Tage von einer exemplarischen Pünktlichkeit.

Ich mußte in einer wahren Hetzjagd frühstücken und Punkt ein Uhr schleppte er mich mit sich fort. Die Einzelheiten seiner Toilette habe ich vergessen, aber ich erinnere mich, daß er einen blendenden Eindruck machte. Ich erkannte Fräulein von Stock nach dem Bilde, das er mir von ihr entworfen, obgleich er vergessen hatte, mir zu sagen, daß sie so brünett wie eine Malteserin war. Am Schluß der Messe defilierten die Getreuen, einer nach dem andern, an den Almosensammlerinnen vorüber, welche vor jeder Kirchenthür knieten. Dorothee wendete sich mit einem fragenden Augenaufschlag voll weltlicher Grazie an die Barmherzigkeit der Vorübergehenden. Ich legte zwei Sous in ihr Sammelbeutelchen, den Obolus des armen Scholaren. Léonce begrüßte die Almosensammlerin wie im Salon und überreichte ihr ein zusammengefaltetes Tausendfrankenbillet.

»Wie viel bleibt dir noch?« fragte ich ihn in der Vorhalle.

»Dreizehntausend Franken und einige Centimen.«

»Das ist nicht viel.«

»Aber genug. Dies Almosen wird mir tausendfältig zurückgezahlt werden. Centuplum accipies.«

Ich erwiderte nichts. Ich dachte an Matthieus bescheidene zehn Franken! Zu Hause fand Léonce einen kurzen Brief seines Bruders.

»Was soll ich Dir sagen?« schrieb Matthieu. »Unser Leben ist glatt wie ein Spiegel; unsre Tage gleichen sich wie Milchtropfen in einer Schale. Die Arbeiten sind seit dem Eintritt des Winters eingestellt und wir verbringen unsre Tage gemeinsam am Kaminfeuer. Du weißt ja, wie groß der Kamin ist; er hat Platz für alle, ja wir könnten sogar noch einen Stuhl in unsern Kreis setzen, wenn wir ein wenig zusammenrückten und Du wolltest. Papa schürt das Feuer mit wahrer Wut. Du kennst ja diese Passion, die einzige seines Lebens. Man würde ihn sehr unglücklich machen, wollte man ihm seine Feuerzange nehmen.

»Mama Debay und Mama Bourgade nähen den ganzen Tag kleine Jäckchen, säumen Kissen und sticken Häubchen. Aimée strickt wahre kleine Puppenstrümpfchen. Wenn ich all diese Vorbereitungen sehe, möchte ich am liebsten in einem Atem lachen und weinen. Das liebe kleine Geschöpf wird eine königliche Ausstattung bekommen. Der Familienrat hat beschlossen, daß, wenn es ein Sohn ist, er Léonce heißen soll, Dein Name wird ihm Glück bringen, vorausgesetzt, daß er seinem Vater nicht ähnlich sieht. Wir haben Dein Bild in unser Zimmer gehängt, du weißt, das schöne Porträt, das Boulanger gemalt hat, ehe er nach Rom ging. Ich zeige es Aimée jeden Morgen und jeden Abend.

»Von mir kann ich Dir nur sagen, daß ich unverändert bin, bis auf den Umstand, daß ich nicht mehr arbeite. Du erinnerst Dich wohl jenes Bauern, der, als er gefragt wurde, was sein Beruf wäre, antwortete: ›Meine Frau ist Amme.‹ Mir geht es nicht viel besser: ich erwarte meinen Jungen. Die berühmten Dissertationen haben nicht viel Fortschritte gemacht: Der peloponnesische Krieg › De Bello Peloponnesiaco‹ ist bis zu Perikles' Tod gediehen, und ›Corneille als Lustspieldichter‹ ist bei Clitandre stehen geblieben. Die Fakultät von Rennes wird wohl oder übel warten müssen. Ich will Vater sein, ehe ich Doktor werde. Ach, Bruder, wenn Du wüßtest, wie seicht Deine Freuden im Vergleich zu den unsern sind! Du würdest mit der Diligence kommen und uns gern die Staatskutsche schenken, mit der Du uns bedroht hast. Du allein fehlst uns, Du bist unsre einzige Sorge. Papa legt die Stirn in tiefe Falten, wenn von der Rue de Provence die Rede ist. Ich beruhige ihn immer wieder, indem ich ihm sage, daß wenn irgend jemand auf der Welt es zu 'was bringt, Du dieser Jemand bist.«

»Es sind wirklich gute Menschen,« sagte Léonce und warf den Brief auf seinen Schreibtisch. »Sie sollen bald von mir hören.«

Wenige Tage später fiel ihm der Baron um zehn Uhr morgens ganz unvermutet ins Haus. Ein derartiger Schritt war von guter Vorbedeutung. Herr von Stock betrachtete die Wohnung als Kunstliebhaber und nahm nun seinerseits ein Inventar der Einrichtung auf. Jeder vernünftige Mensch hätte ihren Besitzer auf einen Mann aus vornehmer Familie taxiert, und der Baron war ganz entzückt.

Dieser Deutsche war wirklich ein liebenswürdiger Mensch. Jedermann wußte, daß er Bankier in Frankfurt a. M. gewesen war, und doch redete er niemals von seinem Vermögen. Niemand focht seinen Adel an und doch erzählte er niemals von seinen Ahnen. Seine Schlösser, seine Güter, seine Wälder, waren Dinge, an die er am wenigsten zu denken schien. Er hatte mit Léonce noch niemals ein Wort darüber gesprochen, und Léonce schloß aus diesem Umstand, daß der Baron ein wirklich reicher Mann und ein echter Edelmann sei.

Léonce seinerseits war viel zu feinfühlig, um sich ein erlogenes Vermögen beizulegen. Er ließ der Phantasie ihren Lauf; zwar erhob er seine Stimme nicht gegen diejenigen, die ihn für reich erklärten, aber er selbst rühmte sich dessen keineswegs. Wenn er von seiner Familie sprach, pflegte er ohne besondern Nachdruck zu sagen: »Meine Eltern leben auf ihren Besitzungen in der Bretagne,« womit er keinerlei Unwahrheit sprach.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß die ganze Sache eines schönen Tages ans Licht kommen und er gezwungen sein würde, den Ursprung seines Adels und den bescheidenen Umfang seines Vermögens einzugestehen, aber er sagte: »Laß mich nur machen, der Baron ist reich genug, um seiner Tochter eine Heirat aus Liebe zu gestatten, und Dorothee liebt mich, des bin ich gewiß, denn sie hat es mir gestanden. Sobald die Eltern fühlen, daß ich zu dem Glücke ihrer Tochter notwendig bin, werden sie über viele Dinge hinwegsehen. Im übrigen versteht es sich von selbst, daß ich niemand betrügen werde und sie vor der Hochzeit alles erfahren.«

Er warb nicht öffentlich um Fräulein von Stock, aber sie sahen sich jeden Abend in der Gesellschaft, und ihre Beziehungen erhielten durch den Zwang, den die Gesellschaft ihnen auferlegte, einen um so größeren Reiz. Diese kleinen Hindernisse, die allgemeine, gegenseitige Ueberwachung, die Achtung vor dem Schicklichen, die Notwendigkeit zu heucheln, verschönen all jene Neigungen, die sich von Salon zu Salon, bis an die Kirchenthür fortsetzen, durch einen zarten, geheimnisvollen Zauber. Léonce und Dorothee schrieben sich täglich, in Versen und in Prosa, und es war ein Vergnügen, zu beobachten, wie sie ihre Briefchen unter dem Taschentuch oder hinter einem Fächer austauschten.

Die Baronin amüsierte sich über diese kleinen Kniffe; sie hatte dem Herzen ihrer Tochter freien Lauf gelassen; sie gestattete ihr, Herrn de Baÿ zu lieben. In den letzten Tagen des Februar nahm Léonce all seinen Mut zusammen und hielt um Dorothee an. Herr und Frau von Stock, welche durch ihre Tochter benachrichtigt waren, empfingen ihn in feierlicher Audienz.

»Herr Baron, Frau Baronin,« sagte er, »ich habe die Ehre, Sie um die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu bitten. Um Sie über meine Verhältnisse nicht im unklaren zu lassen –«

Der Baron unterbrach ihn mit einer vornehmen Geste.

»Halten Sie ein, Herr Marquis, ich bitte Sie inständig. Ganz Paris kennt Sie, meine Tochter liebt Sie – mehr will ich nicht wissen. Und wenn Ihr Name ein ganz obskurer wäre, wenn Ihr Vater sein Vermögen verschwendet hätte, würde ich Ihnen dennoch sagen: Dorothee ist die Ihre.«

Er küßte Léonce und die Baronin reichte dem Marquis die Hand zum Kuß.

»Sie kennen unser romantisches Deutschland nicht,« sagte sie. »So sind wir alle – wenigstens in der vornehmen Gesellschaft.«

Mitten in der tollsten Freude fühlte Léonce eine heiße, ehrliche Aufwallung. »Ich kann diese braven Leute nicht täuschen,« sagte er sich, »ich wäre ein Schurke, wollte ich ihr Vertrauen ausbeuten.« Laut fügte er hinzu: »Herr Baron, das edle Vertrauen, welches Sie mir beweisen, verpflichtet mich, Ihnen einige Details über –«

»Herr Marquis, Sie würden mich ernstlich betrüben, wenn Sie noch weiter darauf dringen wollten. Ich müßte glauben, daß Sie darauf bestehen, mir Aufschlüsse zu geben, um mich zu zwingen, über meinen Rang und Vermögen Rechenschaft abzulegen.«

Die Baronin unterstützte diese Worte mit einer freundschaftlichen Geste, welche ungefähr sagte: »Lassen Sie die Sache fallen, er ist empfindlich.«

»Nun,« dachte Léonce, »so muß es aufgeschoben werden. Wir werden uns wohl oder übel bei Unterzeichnung des Kontraktes auseinandersetzen.«

Aber der Baron wollte nichts von einem Kontrakt hören.

»Zwischen Edelleuten,« sagte er, »sind diese Vereinbarungen, diese Unterzeichnungen, diese Garantieen beschämende Vorsichtsmaßregeln. Lieben Sie Dorothee? Ja. Liebt Dorothee Sie? Ich bin davon überzeugt. Also wozu einen Notar dazwischen bringen? Ich glaube wohl, daß Ihre Liebe den Stempelbogen wird entbehren können.«

»Wenn man Sie nun aber über meine Verhältnisse getäuscht hätte?«

»Aber man hat mich nicht getäuscht, Sie schreckliches Kind, denn niemand hat mir etwas gesagt. Ich weiß absolut nichts von Ihnen, als daß Sie meiner Tochter, meiner Frau, mir und aller Welt gefallen. Weiter will ich auch gar nichts wissen. Brauche ich Ihr Geld? Wenn Sie reich sind, desto besser, sind Sie arm, desto schlimmer. Sagen Sie dasselbe von mir, dann sind wir quitt. Ich will Ihnen etwas erzählen, was Ihr Gewissen beruhigen wird. Sie haben nichts, meine Tochter hat nichts; Sie heißen Léonce, sie heißt Dorothee und ich gebe Ihnen meinen väterlichen Segen. Sind Sie so zufrieden?«

Léonce weinte vor Freude und Dorothee wurde gerufen.

»Komm her, meine Tochter,« sagte die Baronin, »und sage dem Marquis, daß du weder seinen Namen, noch sein Vermögen, sondern seine Person heiraten willst.«

»Geliebter Léonce,« rief Dorothee, »ich liebe dich wahnsinnig!« Sie sprach die volle Wahrheit.

Léonce heiratete im März. Es war die höchste Zeit, denn die Ausstattung verschlang die letzte Tausendfrankennote.

Dieses Mal war nicht ich Trauzeuge, sondern Personen von Rang und Stellung. Matthieu konnte nicht nach Paris kommen; er erwartete die Entbindung seiner Frau. Er hatte mich gebeten, ihm das Fest zu beschreiben, und ich erfüllte mit Vergnügen meine Aufgabe als Historiograph. Dorothee sah in ihrem Kleide von weißem Rippsamt bezaubernd aus; sie hieß allgemein der kleine schwarze Engel. Nach der Trauung fand ein Diner von vierzig Personen bei dem Baron statt, zu dem Léonce so freundlich gewesen war, mich einzuladen. Als die Tafel aufgehoben wurde, stellte er mich seiner Frau vor. »Meine liebe Dorothee,« sagte er, »dies ist einer meiner alten Freunde; er wird eines Tages der Lehrer unsrer Kinder sein. Ich hoffe, daß du ihn stets liebenswürdig empfangen wirst, die besten Freunde sind nicht immer die glänzendsten, sondern die solidesten.«

»Herr Professor,« erwiderte die schöne Dorothee, »Sie werden uns immer willkommen sein. Ich wünsche nur, daß Léonce mir all seine Freunde brächte. Sprechen Sie deutsch?«

»Nein, gnädige Frau, ich muß es zu meiner Schande gestehen. Ich werde stets bedauern, ›Hermann und Dorothea‹ nicht im Original lesen zu können.«

»Da verlieren Sie nicht viel, glauben Sie mir. Ein emphatisches Schäfergedicht, eine Flötenarie auf einem Klapphorn gespielt. Sie haben Besseres in Frankreich. Lieben Sie Balzac? Das ist mein Mann!«


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