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Triumph der Kathedrale

(Anmerkungen zu Paul Claudels ›Verkündigung‹)

Zwei Gebäude hat sich der französische Geist zum Kultus über die Jahrhunderte gebaut, die Kathedrale, mächtig von Stein gefügt, aufsteigend aus bäurischer Erde, Heimstatt des Glaubens, und den »temple de la raison«, das geistige Gefüge des Menschen und seiner Selbstbestimmung. Inkarnation des Glaubens und seiner Verneinung, Religion und Revolution, zwei Traditionen, gleich gestählt im Kampf der Jahrhunderte, ringen sie beide um die Herrschaft über den französischen Geist, unzerstörbar der eine durch die steinernen Zeugen von Reims, Chartres und das Wunder von Notre Dame, unvergänglich der andere durch die Taten von 1793 und den Hymnus der Marseillaise. Prachtvoll dieser Kampf in allen seinen Verwandlungen – Königtum und Republik. Glaube und Skepsis, Weltbürgertum und Nationalismus – rollt er auf und nieder, Wellenberg und Wellental durch die Jahrhunderte, manchmal ruhend in gewaltiger Woge, manchmal aufschäumend im gischtenden Aneinanderprall, immer aber Bewegung, fließende Erregung, beseelte Unruhe der Massen, strömende Energie eines reichen und intellektuellen Volkes. Triumph der einen Gruppe entzündet den Unmut der andern, die Republik schlägt das Königtum, das Kaiserreich wiederum diese nieder, und wieder siegt die Republik, Symbol der intellektuellen Vorherrschaft. Aber unter der Skepsis erlischt nie der Funke metaphysischer Sehnsucht. Eine Generation der Künstler verdrängt die andere, feindlich erstehen die Traditionen.

Eine große und erhabene will nun sinken, eine, die ganz Europa verführte, der Naturalismus, die literarische Maske des Materialismus, des Willens zur Wirklichkeit. Ohne Erben ist die Generation Flauberts, Zolas, Maupassants untergegangen, einsam ragt Anatole France, der letzte Lateiner, der letzte Schüler Voltaires, in das neue Jahrhundert. Zu Ende ist der große Traum vom Weltbürgertum. »Gesta Dei per Francos«, das uralte Glaubenswort klingt wieder aus den Reihen der Jugend. Und über dem Rauch der Städte zittert leise, in goldenen Konturen, der nahe Glanz der neuerstandenen Kathedrale.

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Urkraft der französischen Kunst (im Vergleich zu der deutschen): Sie hat Tradition, sie kehrt immer wieder zu einem Anfang zurück. Sie erneuert immer, sie beginnt nie neu. Sie setzt an, wo ein anderes Jahrhundert aufhörte, Zola ergänzt Balzac, Verlaine Villon, Voltaire Pascal und Anatole France wieder Voltaire. Ein einziger Bau ist ihre Kunst, kein Konglomerat; jeder Dichter, jeder Maler reiht sich ein an seinen homogenen Platz. Die vergangene Generation war eine revolutionäre, die neue ist eine mittelalterliche, eine loyale, eine gläubige. Sie verleugnet die Vernunft, »la raison«, als ihre Gebieterin, »la foi«, der Glaube, die Intuition ist ihre Herrin (und Bergson, der Philosoph, ihr Prophet, César Franck, das fromme Kind der Töne, Frankreichs Bruckner, ihr Hymniker). Zum Mittelalter wollen sie zurück, in jene geheimnisvolle Vereinung von Kraft und Demut, in die Mystik der Verzückung und der Ekstase.

Die Kunst des französischen Mittelalters war die Kathedrale. Sie haben nicht wie Deutschland damals ihren Luther, Holbein, Dürer, Cranach und jenen letzten Spätling der Reformation, den urgewaltigen Johann Sebastian Bach, der alle Kraft deutschen Mittelalters in sich zusammenfaßt. Ihr Mittelalter ist die Kathedrale, die Wunderwerke in Stein und glühendem Glas, dies rembrandtische Gewebe aus Licht und Dunkel, dies einzige Mysterium der Vereinigung von Kraft und Gläubigkeit. Und ihre höchste Kunstform sind diese romanischen Werke. Nicht wie die deutschen Kathedralen, die erhabenen Schöpfungen der Gotik, stoßen sie steil, ein geschmücktes Schwert, zum Himmel empor in Gottes Herz; langsam, aus Quadern und unendlicher Geduld gebaut, liegen sie, eine schwere wuchtige Masse, gleichsam auf den Knien vor Gottes Herrlichkeit. Geduld ist die Lehre der Kathedrale, und ihre höchsten Schüler sind Flaubert und Rodin, die in unendlicher Ausdauer Stufe um Stufe ihr Werk emporgebaut haben bis zur Unsterblichkeit. Nicht dem Tag zu dienen, sondern der Ewigkeit, nicht der Eitelkeit des Geistes, sondern der Demut des Herzens wird ihre Mühe. Ihr Bauhelfer ist der Glaube des Künstlers an sein Werk und der Glaube des Frommen an seinen Gott. Was außen Mode scheint – Barrès, Bourget, diesen Frömmlern aus Arrivismus – wird vielen Bedürfnis. Verlaine hat den Katholizismus erneut, Claudel ihn vollendet, nicht den Klerikalismus der Dreyfusards und der Aristokraten von St. Germain, sondern den Glauben, der Steine versetzt, den wunderseligen, wunderdürstigen, in einer wissenschaftlichen Zeit, den mythischen und mystischen. Den Katholizismus, der die Kathedralen schuf aus Glauben und Geduld.

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Vor zwei Jahren fragte man Faguet, den klügsten der Literaturklitterer an der Sorbonne, um seine Meinung über Paul Claudel. Er antwortete (mit empfehlenswerter Offenheit), er habe keine Meinung über ihn, weil er nie seinen Namen vernommen hätte. Wie sollte er auch! Claudel, der Vierzigjährige, hat nie in Paris gelebt, nie sich in den Antichambres der Literatur herumgeschmiert, nie einem der illustren Lesekomitees jener Amüsierbühnen seine Dramen eingereicht (die dort Lachkrämpfe erzeugt hätten), nie in den Revuen die Gefälligkeiten des Ruhms auf Gegenseitigkeit erbeten. Er hat als Konsul in Tsche-Fu, Peking, Prag und Frankfurt lebend, seine Dramen sich und wenigen zuliebe geschrieben, diese Dramen, die Seelenzustände von so brennender Glut gestalten, daß alles Irdische, Kostüm und Zeit, in ihnen verflackert, Tragödien der Seelen ohne Kulissen voll ekstatischer Bildlichkeit und einem dumpfen Weihrauch der Worte, der die Sinne erregt und betäubt zugleich. Die Verse – eine Prosa, in der wie von nahen Orgeln Musik unterirdisch wogt – glühen wie der Wein im Ziborium kostbarer Fassung, alles ist Dunkel und funkelndes Blut, von einer berauschenden Bildlichkeit. Nie ist Magie der Metapher im Französischen berückender geworden als in diesem Katarakt der heißsprudelnden Sätze, mit denen die Menschen ihr ganzes Blut auszuströmen scheinen. Eine sehr dichterische Philosophie, die das ganze Universum gleichsam als Uhrzeiger einer unsichtbaren Stunde – der ewigen Zeit – umdeutet, umrandet dies sein dichterisches Werk und durchdringt es zugleich, das Poetische und die Ekstatik des Glaubens in eine Einheit des Weltbegriffes lösend, für die wir in Deutschland ein glückliches und vielfach sogar genaues Gegenspiel in der weltdichterischen Inbrunst des Novalis haben. Und im Sinne Novalis' will auch der Katholizismus Claudels verstanden sein, der nicht zu verwechseln wäre mit dem ostentativen eines Barres, Bourget oder Coppee, sondern niedersteigt in die glühende Inbrunst des Willens zum Wunder, in die mystische Ekstase. Ein Katholizismus, der im letzten aber nicht feindlich, sondern brüderlich dem hymnischen Überschwang Verhaerens, dem Pantheismus Romains ist, brüderlich nicht durch das, was sie verkünden, aber durch die Rotglut des dichterischen Bekennens, in dem alle Begriffe hinschmelzen an der Flamme ekstatischen Weltgefühles.

Diese isolierte Stellung und dies exemplarische Leben sollten genügen, Paul Claudel die Achtung zu erzwingen, die sein neuartiges Werk verdient – ein Werk, das sich jeder raschen Erörterung versagt, weil es überall die Grundfesten der sogenannten dramatischen Gesetze erschüttert (die immer nur Geltung für den haben, dem nicht die Kraft zuteil ward, sie zu zertrümmern). Ein kleines vortreffliches Buch Georges Duhamels über Claudel beim ›Mercure de France‹ möge Suchenden die erste Einführung bieten, vier oder zehn Seiten einer Zeitschrift vermögen nicht, diese Gattung des Dramas zu erörtern, dem sich das moderne Theater erst entgegenentwickeln müßte. Nur von seinem neuen Werke der ›Verkündigung‹ sei das Symbol angedeutet, die erhabene Predigt von der Kathedrale des Herzens.

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Ein Wunder der Liebe und Demut geschieht in dem Werke (das die sehr verbreiterte und gesteigerte Form eines früheren ›La jeune fille Violaene‹ ist). Durch die Inbrunst einer Jungfrau, die aus Mitleid den Fluch der Verfemung, des Aussatzes, auf sich genommen, wird das Wunder des Lazarus und das der unbefleckten Empfängnis mystische Einheit in ihrem Schoße, zur Weihnachtsstunde schenkt sie einem fremden toten Kinde bluteigenes Leben und vergeht an ihrem Opfer in Entsühnung fremder Schuld. Doch dieses Wunder ist nur die (grandiose) Folie jenes Symbols vom Künstler, des Peter von Ulm, dieses katholischen Baumeisters Solneß, der nur Kirchen zum Preise Gottes baut, die Kathedralen der deutschen mythischen Welt. Vom Aussatz (der Sinnenlust ) geschlagen, wird er frei erst durch die Hingabe an den Geist, das Werk und den Glauben. Erst wenn die Seele die innere Demut schafft, wird sein Werk zum Wunder, er vollbringt es, »während die heidnischen Baumeister alles von außen schaffen, innerlich wirkend wie die Bienen«, in Gebeten dichtet er, dessen Strophen die Steine sind, dessen Farben die leuchtenden Fenster. Und herrlich rauscht sein ekstatischer Stolz des Gotteswerkes – genährt von jenen biblischen Versen bei Salamonis Tempelbau – in das Lob seiner Kunst empor

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»Gelobt sei Gott, daß er mich zu einem Vater der Kirchen schuf!
Er goß mir Einsicht ins Herz und den Sinn der dreifachen Dehnung!
Ich schneide nicht von außen ein Bildwerk
Sondern dem Erzvater Noae ähnlich, inmitten meiner Arche
Wirke ich emsig im Innern und rundumher sehe ich alles, wie alles mit einem Mal ansteigt!
Was ist ein gemeißelter Leib neben einer einzuschließenden Seele
Und neben dieser gesegneten Weite, leer belassen von dem ehrerbietigen Herzen, vor seinem Gotte zurückweichenden Herzen?
Und mir ist nichts zu tief: meine Schächte dringen bis zu den Wassern der Hauptader
Nichts ist meinem Bogen zu hoch: mein Pfeil steigt in den Himmel und leiht sich von Gott den Blitz!
Oh wie schön ist der Stein und wie weich in den Händen des Baumeisters! und wie richtig und schön sind
doch die Lasten seines gesamten Werkes verteilt!
Wie ist er getreu und wie bewahrt er in sich den Gedanken und den Schatten den er wirft!
Wie stimmt ein Weinstock zu dem geringsten Mauerwerk und darüber ein Rosenstrauch, so oft er in Blüten steht.

Wie ist das schön und eins mit dem andern verknüpft!«

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Demut, die in Ekstase zum Stolze wird, dies wird das strahlende Bekenntnis des Künstlers, dies auch Paul Claudels glühender Lebensglaube. Dunkelheit, die durch die farbigen Filter der Metaphern sich in Purpur wandelt, ist seine Sprache, Hingebung, die sich zu Entzückung steigert, sein Glaube. Er meint, einfältig und stumm zu beten, und es wird hymnisches Orgelbrausen in der Kathedrale.

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Hegner hat dies Werk herrlich übertragen (viel intensiver als Franz Blei die andern Dramen, dem aber dauerndes Verdienst als erster deutscher Bekenner Claudels gewiß bleibt), in Hellerau wird Reinhardt es als geistliches Spiel erstmalig am 3. Juli inszenieren. In Hellerau, im Haus, das Dalcroze seinen rhythmischen Darbietungen gebaut, in diesem Tempel für den antiken Kult des Körpers, wird dies mittelalterliche Mysterium den Hymnus der reinen und körperlos seligen Gottesseele bekennen, seltsam sie beide vereint in einer Stunde künstlerischer Durchdringung – der Tempel und die Kathedrale.


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