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Zwei historische Romane

(Richard Friedenthal, ›Der Eroberer‹ – Klaus Mann, ›Alexander‹)

Der Zufall, daß zwei junge, höchst begabte deutsche Erzähler sich gleichzeitig die beiden erstaunlichsten Kriegszüge der Weltgeschichte in ihren Führergestalten zum Gegenstand eines Romans genommen haben – Richard Friedenthal in seinem ›Eroberer‹ (Ferdinand Cortez, Insel Verlag), Klaus Mann in seinem ›Alexander‹ (S. Fischer Verlag) – gibt einen zufälligen, aber doch ausgezeichneten Blick auf die ganze Gattung und Möglichkeit romanhafter Behandlung historischer Persönlichkeiten. Wer leidenschaftlich Geschichte liebt und kennt, bezweifelt eigentlich innerlich die Notwendigkeit solcher epischer Umstellung, denn meist erzeugen die ganz großen Gestalten aus dem Plasma ihres Lebens schon hinlänglich biographische Spannung, als daß es nötig wäre, sie noch einmal zu erdichten und zu verdichten. Selten gewinnt man auch erfahrungsgemäß bei solchen Versuchen eine sinnliche Steigerung der Tatsachen und Charaktere. Meist liegt der Verdacht vor, hier sollte Geschichte, durch einige Liebesepisoden sentimentalisiert und eingefettet, zu leichterer Verdauung der sonst hartleibigen Leserschaft eingegeben und dem jedem Menschen unausrottbar innewohnenden Heroenkult ein gefälliges Opfer dargebracht werden. Selten geht es um Höheres, um innere Ausbeutung, um Verdichtung der Atmosphäre durch Reflex auf eine Gestalt. Hier ist das nun bei zwei historischen Romanen erfreulicherweise der Fall, hier ist es gelungen, aus einer eigentlichen Zwittergattung Einheitliches und durchaus Reinliches zu schaffen.

Dabei ist diesfalls die Methode des historischen Romanes bei beiden Dichtern vollkommen konträr. Richard Friedenthal schreibt (ich bitte die Unterstreichungen zu beachten!) einen historischen Roman, Klaus Mann einen historischen Roman. Der eine schafft Geschichte durch einen Menschen, der andere erdichtet einen Mythos um eine Gestalt. Für Klaus Mann ist Alexander Symbol der Jugend überhaupt, des wilden, zornwilligen, unbedachten, dem ewig Unrealisierbaren mit allen Kräften und Überschüssen der Seele entgegenstürmenden, gärenden Triebmenschen. Sein Alexander will alles noch lange, ehe er eigentlich weiß, was er will. Es treibt ihn empor bis zur äußersten Höhe der Gottähnlichkeit, an die letzten Bezirke der Welt und Macht, und mit der gleichen Gegenkraft hinab nach innen, in die äußersten Tiefen der Selbstzerstörung: Klaus Mann sieht sein Lebensgenie vollkommen elementarisch, er schildert ihn wie ein Naturereignis seltenster und grandioser Art, unberechenbar und unerklärbar, von der eigenen Kraft überschäumt, vom Urwillen seines Willens emporgerissen und hinabgeschmettert. Das historische Gewand sitzt darum nur locker, manchmal reißt es auf im Sturm des Geschehens und entblößt den nackten verwundeten Menschen, manchmal, an den saloppen Stellen wirkt es sogar nur hastig umgetan wie ein Theaterkostüm; gewissermaßen zufällig heißt der Mensch Alexander und marschiert mit seinen Mazedoniern bis an den Indus und kämpft mit Amazonen und hält Zwiesprache mit Gott: er könnte auch Achilles heißen oder Alkibiades oder Bonaparte, denn das ganze Gefühl von Jugend und Überschwang wirft aus sich, aus seiner eigenen Generation Klaus Mann seinem Helden zu, und so reden oftmals Alexander und die Seinen die durchaus unhistorische, vielmehr die Sprache des Jahres 1920, statt einer mühsam aus den griechischen Historikern zurückübersetzten Zeitsprache. Aber Lebendigkeit, Unmaß und Überschwang der ewigen Jugend darzustellen, ist Klaus Manns ureigenster Wille in diesem ›Alexander‹, und dies ist ihm ausgezeichnet gelungen, vom ersten Blatt an rauscht und brodelt, quirlt, schäumt und spritzt dieses Buch in der scharfen Böe einer aufgegorenen Prosa, die Horizonte flammen von Bewegung und Licht, nicht einen Augenblick geht es behaglich episch zu und homerisch beschreibend in diesem Heldengedicht, (das eine frühere Generation anno 1880 noch in geordneten Jamben als fünfaktige Tragödie geschrieben hätte). Aber die heutige Jugend, die Klaus Mann ausgezeichnet repräsentiert mit seinem verwegenen Talent, seiner rasch begreifenden Klugheit, seinem zufassenden Mut, seiner rasch vorstoßenden Energie, sie hat eine sehr glückliche Gegnerschaft gegen alles Drapierende und Kostümierende, ihr ist im Historischen das Vergangene nur ebenso neue Farbe wie im Heutigen das Exotische, das ja Klaus Mann in seiner Novelle aus Honolulu trefflich herausgebracht hat; sie sucht, angewidert von der Langsamkeit und Nüchternheit des Politischen, von der Verbürgerung und Schematisierung unserer Welt in Vergangenheit und Gegenwart, vor allem das Intensive, um sich dann emporzusteigern, und da war dieser Alexander als Figur der rechte, gebotene Griff. Hier wo die Quellen nur zaghaft tropfen, kann die Erfindung frei sich ausströmen, die innere Ekstase sich entfalten und sich einen Wettlauf leisten mit der gleichfalls gut gefederten geistigen Klugheit des Künstlers. Jedenfalls hat sich Klaus Mann in diesem sein ganzes früheres Werk überrannt. Alles Snobistische, eitel Begehrliche liegt jetzt hinter ihm, und vielleicht hat er, indem er hier Gefahren des Überschwangs in einer Gestalt schildert, sich selbst bekämpft und bezwungen. Sehr ernst in der Anlage, sehr bedeutsam in manchen Gesprächen, seelenkundig in einzelnen Abschattungen der Menschen und erfindungsreich auch in den Episoden, gibt dieses Buch Klaus Mann einen vollen Rang und dazu noch die menschliche Gewißheit, daß er ihn behaupten und neu bewähren wird.

Richard Friedenthal, der in seinen Novellen sich als ein ganz ungewöhnlicher Erzähler erwiesen, will keinen Mythos bilden. Er zeugt Geschichte, und in einer unvergeßlich ernsten, gerechten und großartig plastischen Art. Die Leistung seines Cortez ist nicht die aus den Lesebüchern gewohnte, des kühnen Desperados, der die Schiffe hinter sich verbrennen läßt und ein Weltreich mit 160 schlechten Gewehren erobert. Der Roman Friedenthals zeigt in einer furchtbaren und erschütternden Wahrheit diesen Mann im Kampf mit einer zügellosen, erbärmlichen, zynischen Rotte, den Kriegshaufen von Verbrechern, Desperados, Goldsuchern und Huren, er zeigt ihn im Kampf gegen die heimliche, eifersüchtige politische Macht im Rücken, im Kampf auch gegen sein eigenes Gewissen, das vorahnend schon an der Zerstörung dieser andersartigen, aber hochkultivierten Welt, an der Niedertracht seiner Gesellen leidet. Nicht daß er sentimental gezeichnet wäre, durchaus nicht: Friedenthal läßt ihm alle seine Straffheit, seine kalte verbissene Härte, er mengt nur in sein dunkles kastilisches Bastardblut einen Tropfen Ungenügen und Bitternis, der allein ihm Adel gibt unter allen diesen niedrigen Gesellen. Man spürt, daß Friedenthal selbst fünf Jahre im Kriege gestanden, denn so kann nur einer Lagerwelt, Müdigkeit, Zorn und Verzweiflung, durchmischt mit brennender Kampflust schildern, der selbst auf der nackten Erde gelegen und den Stank und Qualm der Unterstände für immer unter der Haut behalten. Dazu noch eine wirklich stupende Kenntnis des Historischen, eine Exaktheit in den Details, die einen von Blatt zu Blatt neu überraschen, die Kleidung eines Inka, die Koje eines Schiffes, das Rastzeug eines Soldaten, der Apparat der Gerichtsbarkeit und Politik, alles das erscheint mit einer Plastik und Genauigkeit und gleichzeitig mit so starker Sinnlichkeit, wie sie mir in einem historischen Roman kaum jemals begegnet ist. Zielbewußt, langsam, gleichsam mit Schwertern klirrendem Schritt, mit unbesiegbarer Sicherheit geht die Handlung vor sich, genau der Logik der Tatsachen folgend. Friedenthal erfindet eigentlich wenig dazu, er belichtet nur neu, er verlebendigt einzelne Stellen, die Heerschau, die Begegnung mit Mariana, die Fesselung Montezumas, die Rückkehr Cortez' nach Spanien gehören für mein Gefühl zu den vollkommensten historischen Darstellungen in der deutschen Epik durch die fast unheimliche Tatsächlichkeit und sinnliche Glaubhaftigkeit, die ihn zu einem einzigen kulturhistorischen Dokumente macht.

Man sieht, der Kunst ist jede Methode die richtige, die ihr Resultat erreicht. Klaus Mann schmilzt Geschichte feurig auf, formt sie zu einer Vision und läßt diese erkalten. Richard Friedenthal arbeitet wie der Steinmetz mit kaltem Hammer, Zoll um Zoll, Einzelheit um Einzelheit, bis die plastische Bildwirkung erreicht ist; aber beide, diese jungen prachtvollen Kerle, haben je eine Plastik in die deutsche erzählerische Welt gestellt, einen Alexander und einen Cortez, dessen sich unser Schrifttum nicht zu schämen braucht.


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