Heinrich Zschokke
Die Prinzessin von Wolfenbüttel
Heinrich Zschokke

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Drittes Buch.

1.
Der Chevalier d'Aubant an seinen Freund Bellisle.

Christinenthal, den 24. April 1718.

Sie werden glauben, geliebter Bellisle, ich sei längst vom Ocean verschlungen, oder schon seit Jahr und Tag von den Indianern erschlagen und verzehrt, daß ich Ihnen so lange nicht schrieb. Denn ich sehe aus meinem Tagebuche, es sind volle fünfzehn Monate verstrichen, seit ich Ihnen meinen letzten Brief von Biloxi aus zusandte. Aber wenn man eine neue Welt erobert und neue Staaten gründet . . . wenn in diesen neuen Staaten noch dazu Posten und Kouriere fehlen, so werden Sie mich wohl entschuldigen können. Abgesehen davon, daß ich Selbstherrscher und König von Christinenthal, und der Bundesgenosse eines mächtigen Nomadenstammes von Indianern bin, habe ich noch dazu die Ehre, Schutzherr einer europäischen und einer indianschen Kolonie in meiner Nachbarschaft zu sein, deren Haupt sich König nennt. So könnte ich denn auch wohl mit allem Rechte den kaiserlichen Titel annehmen, wenn man hier zu Lande nicht über die Albernheiten der europäischen Spießbürger längst hinweg wäre.

Ich habe Ihnen viel zu erzählen, unter anderm auch, wo denn eigentlich unterm Monde mein, oder vielmehr Ihr berühmtes Kaisertum gelegen sei? Denn auf den Landkarten werden Sie es leider noch nicht finden, obgleich es in betreff seiner Größe nicht unbekannt bleiben kann. Aber ich muß Ihnen meine ganze Reise erzählen.

Als wir von Pensacola längst den Küsten von Westflorida absegelten, erwarteten wir Ausgewanderten alle mit ungestümem Verlangen den prachtvollen Anblick des hochgelobten Louisiana. Wir träumten uns schon die malerischen Ufergegenden, mit ihren grünen Hügeln, reichen Fluren und ungeheuern Waldungen aufs schönste vor, und beschlossen so im Vorbeifahren die behaglichsten Landungsplätze, und was sonst sich zur Errichtung einer Pflanzstadt eignen würde, uns sorgfältig zu merken. Aber, ach! wir fanden uns abscheulich getäuscht. Von Pensacola an zieht sich eine kahle, niedrige Küste von fünfzig bis sechzig Stunden Länge hin; überall toter Sand, auf welchem nur hin und wieder eine verkrüppelte Meerkiefer und magere Gesträuche grünten.

Der Kapitän landete endlich in der allertraurigsten und unfruchtbarsten Gegend dieser Küste. Da lagen einige erbärmliche Hütten umher, worin etliche halbnackte, halbverhungerte Menschen, Überbleibsel einer frühern, hier angelegten Kolonie, wohnten. Bei diesem Anblick entfiel uns allen der Mut. Der Kapitän unseres Schiffes sprach uns indessen Trost zu.

»Wartet doch,« rief er, »bis ihr Neu-Orleans gesehen habt!«

Was war zu thun? Wir folgten ihm. Ich gab dem zurückkehrenden Schiffe meinen letzten Brief an Sie nach Europa mit.

Endlich erreichten wir die Mündung des Mississippistroms, von welchem jetzt alle Völker Europas sprechen. Er bietet viele Einfahrten dar; aber die meisten haben nur wenig Wasser, vielen fehlet es zu gewissen Jahreszeiten ganz daran. Das Ufer ist überall flach und niedrig, und scheint weit umher, so wie der größte Teil der Küste, erst durch das Meer und den Strom gebildet worden zu sein. Man findet dort fast gar keine Steine, sondern alles ist Schlamm, Sand, Schilf und verfaultes Holz, wie es der Mississippi aus seinem unermeßlichen Laufe von seinen entfernten, noch nie gesehenen Quellen bis hierher aufnahm und gegen den Ozean ausspielte.

Dieser sumpfige Boden rings umher trägt nichts als eine außerordentliche Menge Schilfrohr, welches sich von Jahr zu Jahr zu vermehren scheint, und undurchdringlich wird. Hierin verwickeln sich die vom Mississippi weggefluteten Baumstämme, welche er, oder die Wut des Sturmes in unbekannten Gegenden entwurzelte; Schlammerde und Sand setzten sich in die Zwischenräume, und so erweitern sich die seichten Ufer unaufhörlich, oder es bilden sich in dem Ausfluß des Mississippi große Inseln voll Schilf und Binsen, welche der Aufenthalt allerlei Ungeziefers werden, und in heißen Jahreszeiten die Luft weit umher mit ihren abscheulichen Ausdünstungen verpesten.

Dies gab uns auch von dem Paradiese, Neu-Orleans genannt, keine reizende Vorstellung. Wir waren aber noch nicht da! Wir segelten in den Mississippi hinein; zehn bis zwölf Stunden weit sahen wir aber immer nicht mehr, als das flache, unwirtbare, schlammige Ufer mit Binsen und Rohr besetzt. Oft hatten wir Mühe, uns Bahn durch die ungeheure Masse von ineinander verwickelten Baumstämmen zu brechen, welche den breiten Fluß ganz überdeckten. Um schneller fortzukommen, wurden die Boote ausgesetzt. Aber auch mit den Booten, die zum Segeln und Rudern eingerichtet waren, ging's unerträglich langsam. Immer hatten wir mit dem schwimmenden Floßholz zu kämpfen und die bei der sehr heißen Witterung eingetretene Windstille leistete uns ebenfalls schlechte Dienste. Indessen verbesserten sich an beiden Seiten die Ufer, denn sonst hätte ich ganz Louisiana bald für ein Schilf- und Schlammmoor gehalten. Rechts und links erhoben sich dicke, finstere Waldungen, die uns ein heiliges Grauen einflößten. Kein Sonnenstrahl durchdringt sie, In meinem Leben habe ich keine so hohen und starken Bäume in so ungeheurer Masse beisammen gesehen. Auch fehlte es nicht an allerlei wilden Früchten, an einer Menge unbekannter Vögel, an mancherlei Rotwildpret, welches wir von Zeit zu Zeit über die von Gebüschen umgebenen Wiesen irren sahen. Nach zwei Tagen endlich, denn unsere Fahrt ging immer im Zickzack, gelangten wir durch eine Flußenge, die man die englische heißt, nach Neu-Orleans.

Als man uns sagte, wir seien nun an Ort und Stelle, rieben wir uns sehr verwundert die Augen, denn aller Mühe ungeachtet konnte keiner von uns Neu-Orleans entdecken oder was sonst einem so berühmten Orte ähnlich sah. Am östlichen Ufer des Flusses, wo er eine weite Krümmung bildet, in welcher alle Schiffe landen können, standen überall zerstreute Hütten von Holz und Rohr aufgeführt. Hin und wieder zeigte sich auch wohl ein Gebäude, von Holz und gebranntem Thon errichtet, welches etwas europäischeres Aussehen hatte. Man erklärte mir den Mangel aller großen und massiven Häuser damit, daß der Boden nicht Festigkeit genug habe, schwerere Gebäude zu tragen

Das war nun die Hauptstadt von Louisiana.

Mein treuer Claude wollte das noch immer nicht glauben. Von einer Hauptstadt erwartete er wenigstens ein paar Dutzend Kirchtürme schon in der Ferne entdecken zu können; altertümliche Thore, Marktplätze und Paläste und großes Leben und Getümmel in den Hauptstraßen, Er schüttelte den Kopf und sagte:

»Herr, für diese Hauptstadt gebe ich keinen Sou! Das Dorf, worin ich die Ehre hatte geboren zu werden, wäre, wenn's hier stände, ein wahres Paris.«

Ich dachte es auch, allein was war zu machen?

Wir wurden alle dem Gouverneur vorgestellt. Ich überreichte ihm meine Empfehlungsbriefe. Er war sehr höflich und bestand darauf, vorläufig in seiner Wohnung mich beherbergen zu lassen, bis ich mir nach Gefallen eine Gegend zu meiner Ansiedelung gewählt haben würde. Ausschlagen ließ sich das nicht gut, denn an Wirtshäusern fehlte es in Neu-Orleans gänzlich.

Die übrigen Auswanderer mußten sich, um Dach und Fach zu haben, Hütten bauen. Die armen Leute machten saure Gesichter. Es schien ihnen nicht besser als meinem Premierminister Claude ergangen zu sein.

Der Gouverneur war sehr gefällig gegen mich. Er ist von einer angesehenen, aber in Vermögensumständen zurückgekommenen Familie in Frankreich. Er betrachtete seinen Aufenthalt hier wie eine Verbannung. Wahrscheinlich hatte er sich auch größere Hoffnungen gemacht und von den ungeheuern Goldminen von St. Barbara, welche in Europa so berühmt sind, von denen aber hier zu Lande kein Mensch weiß, ansehnliche Schätze zu ziehen gedacht. Seine Gemahlin spricht mit Entzücken und Thränen unaufhörlich von Paris und findet das Leben hier unter den wilden Einwohnern des Landes und glücksuchenden Auswanderern aller Nationen sehr langweilig. Ihre Tochter Adelaide, eine junge, unbefangene Schönheit von sechzehn Frühlingen, scheint sich im fremden Weltteil am meisten zu gefallen. Sie baut ihren Garten, tanzt, wenn niemand mit ihr tanzt, mit sich selbst, will einen alten Neger französische Opern-Arien singen lehren und spielt die Guitarre allerliebst. Ich habe das holde Kind nun aber, da ich Ihnen dies melde, seit einem Jahre nicht gesehen; sie schreibt mir indessen dann und wann einen artigen Brief, zankt und versöhnt sich mit mir, übt alle ihre kleinen guten und bösen Launen an mir aus, wie wenn ich ihre Puppe wäre. Ich verdenke es dem lieben Mädchen nicht und bleibe ihr nichts schuldig.

Gleich die ersten Tage nach meiner Ankunft wendete ich dazu an, die Gegend zu untersuchen, um mich irgendwo anzunisten. Meine Reisegefährten, die mich als ihren Chef ansehen wollten, quälten mich vom Morgen bis zum Abend, daß ich für sie sorgen solle. Sie waren alle mutlos und standen betrübt umher. Mir gefiel es überall nicht.

Neu-Orleans liegt auf einer großen Insel, die ungefähr fünfzig bis sechszig Stunden lang sein mag. Sie wird vom Mississippi, vom Meere, von einem Landsee und von einem Abfluß des Mississippi gebildet. Der größte Teil dieser Insel aber ist durchaus unanpflanzbar, ist den Überschwemmungen des Mississippi ausgesetzt, und hat schlammigen feuchten Grund.

Man hatte den Bau des Zuckerrohrs versucht, allein die zuweilen zur Regenzeit eintretenden, wenngleich geringen Fröste verderben besonders beim Nord- und Nordwestwind die Ernten. Mit Baumwollenstauden werden ziemlich glückliche Versuche gemacht; am besten gelingen die Indigopflanzungen, und dieses Erzeugnis kann allerdings einst, wie der Tabak, ein ansehnlicher Artikel der Ausfuhr werden. Für alles, was einen feuchten Boden erfordert, ist das Land sehr ergiebig. Mais und Reis kommen gut fort, aber besser geraten Obstbäume; sie blühen in diesem Klima jährlich zweimal; aber nur der geringste Teil der Früchte gewinnt Reife, weil sie meistens, von Insekten angestochen, vor der Zeit abfallen. Nur Pommeranzen, Feigen und Pfirsiche wuchern in außerordentlicher Menge zerstreut, und sind gewöhnlich durch Sümpfe, stehende Gewässer und Gräben von einander geschieden.

Ich erhielt ohne Mühe vom Gouverneur die Erlaubnis, auf neue Entdeckungen auszugehen, und für mich und alle diejenigen, welche mit mir gekommen waren, eine neue Pflanzstadt anzulegen. wo es mir belieben würde. An der Spitze von fünfundzwanzig bewaffneten Leuten, die alle auf mehrere Tage mit Lebensmitteln versehen waren, setzte ich nach dem rechten Ufer des Mississippi über, und ging den großen Fluß hinauf. Das Land wurde immer schöner und trockener, je weiter wir zogen; die Ufer hörten auf, niedrig zu sein; sie bestanden meistens aus Kalkfelsen. Von Zelt zu Zeit zwangen uns undurchdringliche Gebüsche, große Umwege zu machen; bald standen wir in weitläufigen Waldungen, wo in schöner Wildnis ungeheure Cedern mit Fruchtbäumen wechselten, bald wanderten wir über schöne üppige Auen und Wiesen, welche von der Hand der Natur gebildet worden waren.

Während das gewerbreiche, übervölkerte Europa die unfruchtbarsten Landstriche für große Summen feilbietet, liegen hier die reizendsten, ergiebigsten Fluren unbenutzt; blühende Fürstentümer ohne Menschen und Eigentümer, nur von einer wandernden Horde wilder Indianer durchstreift, welche sich von Jagd und Fischerei ernähren. Es würde mir unerklärlich sein, warum Amerika in seinem Innern noch keine Völkerwanderung vom Norden zum prachtvollen Süden hatte, wenn mir nicht die Roheit und Dummheit derjenigen Völkerschaften bekannt wäre, welche den rauhen Norden dieses unermeßlichen Weltteils bewohnen. Wir begegneten hin und wieder einzelnen Indianern. Sie hatten noch ihre natürliche Gutmütigkeit. Wir beschenkten sie mit mancherlei Kleinigkeiten, und sie jagten für uns Wild und Geflügel. Der Führer, welchen ich von Neu-Orleans mitgenommen hatte, konnte sich ihnen in ihrer sehr wortarmen Sprache ziemlich verständlich machen. Sie gehörten zu dem zahlreichen Stamme der Natchitoches.

Wir hatten uns vom Mississippi entfernt und die Richtung gegen Nordwest genommen, um die Ufer des Red River oder Roten Stromes zu finden, der in den neumexikanischen Gebirgen entspringt, und sich in den Mississippi ergießt. Wir erreichten unser Ziel ohne Hindernis, und unsere Mühe wurde durch die Entdeckung einer der reizendsten Landschaften reichlich belohnt. In einem großen Kranze von Hügeln und Bergen, die mit hohen Waldungen bedeckt waren, breitete sich eine wunderschöne, fruchtbare Ebene aus, geräumig genug, zehn Dorfschaften tragen und ernähren zu können. Durch den Roten Strom war das ganze in zwei fast gleiche Teile geschieden. Die Einförmigkeit der Ebene unterbrachen viele zerstreute Lustwäldchen, die die Fruchtbarkeit der Fluren vermehrten, und in der Mitte der Landschaft war ein schroff emporsteigender Felsen, welcher zwischen dem Roten Strom und zwei Bächen, die sich in denselben ergießen, das Ansehen einer Insel erhält,

Als wir uns durch die Gebüsche bis zum Gipfel der Anhöhe Bahn gebrochen hatten, und nun das prachtvolle Land mit Entzücken übersahen, rief ich: »Hier laßt uns Hütten bauen! Diese schöne Erde soll einst meinen Staub aufnehmen; ich nenne das Land Christinenthal. Diese Wälder rings umher halten uns vor der Welt verborgen; diese fruchtbaren Gefilde werden dankbar unsern Fleiß belohnen; die Anhöhe, durch Kunst befestigt, wird unsere Kolonie gegen die Streifzüge der Barbaren schirmen, und der Rote Strom giebt uns die beste Verbindung mit Neu-Orleans, wohin wir den Überfluß unserer Früchte senden.«

Alle jauchzten Beifall. Wir wählten mitten durch die Waldungen den kürzesten Rückweg zum Hauptort, um dort die nötigen Anstalten zur neuen Niederlassung zu treffen. Da wir aber genötigt waren, bald über Bäche und Waldströme Brücken zu schlagen, bald Wege durch die Waldung zu hauen, welche seit der Schöpfung noch keines Sterblichen Fuß durchwandelt hatte, so vergingen über zehn Tage, ehe wir Neu-Orleans wiedersahen.

Sobald wir angekommen waren, verbreitete sich schnell die Nachricht von unseren Entdeckungen und Entschlüssen. Binnen fünf Tagen hatten sich bei mir siebenundneunzig Mann gemeldet, von denen vierunddreißig verheiratet waren; achtzehn von diesen hatten Kinder.

Zwar hatten wir uns schon in Europa mit denjenigen Unentbehrlichkeiten reichlich versehen, die zur Anlegung einer Pflanzstätte in so unbewohnten Gegenden erforderlich sind, aber doch fehlten uns noch tausend Dinge, besonders Pferde, Schafe, Rindvieh. Nur gegen große Geldsummen gelang es mir, davon eine ansehnliche Zahl zusammenzukaufen. Andere von meinen reichen Kolonisten reisten nach Adayes, um zu wohlfeileren Preisen Vieh zu erhalten. Alles dies hielt uns lange auf, so ungestüm auch unsere Begierde war, die neue Heimat bald zu gründen.

Endlich verließen wir alle Neu-Orleans. Ich machte den Weg wieder zu Lande, an der Spitze meiner Kolonie; zwanzig Mann aber von den Unsrigen schifften den Mississippi und den Roten Strom in drei neugebauten. mit Segeln versehenen Booten hinauf, um diese Flüsse und die Fahrt zu untersuchen. Sie kamen in Christinenthal vier Tage später an als wir, weil sie etlichemal genötigt gewesen waren, ihre Boote, die ohnedies von plumper Bauart waren, den Strom aufwärts zu ziehen.

Unsere Geschäfte wurden geteilt. Die Ankömmlinge hatten mich von Anfang an zu ihrem Haupt auserwählt; der Gouverneur hatte mich als solches bestätigt, mir obrigkeitliche Rechte erteilt, und für den König von Frankreich, unsern Souverän, der anderthalbtausend Meilen von uns entfernt lebt, in Eid und Pflicht genommen. Zu allererst sorgten wir für unsere Sicherheit. Die Anhöhe ward unsere Festung, wir umgaben die darauf befindliche kleine Fläche mit Wällen und Pfahlwerk, bahnten einen Weg bis auf ihre Spitze, wo ich meine Wohnung nahm, die anfangs eine bloße Hütte war. Es fehlte weder an Holz, noch an Kalk und Sand. Während die Baumaterialien herbeigeschafft wurden, entwarf ich den Grundriß zur Anlegung der ganzen Kolonie, maß das Land, theilte die Felder ein, welche zu allererst mit Reis und Mais für unsere dringendsten Bedürfnisse angebaut werden mußten; andere jagten und fischten unterdessen; die Weiber bestellten die Küche.

Alle Arbeiten gingen nach Wunsch von statten; Zufriedenheit und Eintracht herrschte in unserem kleinen Staate. Am Ende eines thatenreichen Jahres hatten wir nicht nur unsere Wohnungen, Ställe und Magazine aufgerichtet, sondern auch einträgliche Ernten von unsern Feldern gehabt. . . . Freilich mußten wir uns bei der schwersten Arbeit immer sehr sparsam behelfen; aber das Vergnügen, welches wir beim Aufblühen unseres Reiches empfanden, versüßte wieder jedes Ungemach.

Wir knüpften Verbindungen mit der spanischen Besatzung von Adayes und der Kolonie Roland am Roten Strome an. Auch die Eingeborenen des Landes besuchten uns von Zeit zu Zeit, und begafften mit Erstaunen und Neugier, was wir auf ihrem vaterländischen Boden trieben. Ein Häuptling der Natchitoches am sogenannten Schwarzen Fluß besuchte mich selbst, von einigen hundert seiner streitbaren Unterthanen begleitet. Ich beschenkte sie Alle, und schloß mit ihnen ein Freundschafts-Bündnis. Aber eben dieses Bündnis verwickelte uns vor drei Monaten in einen vierzehntägigen Krieg, der, außer einigen Verwundeten, unserer Kolonie auch zwei brave Männer kostete, die dabei das Leben verloren. Ein wilder Indianerschwarm, vom Stamme der Arkansas, warf sich verheerend auf die Natchitoches am Schwarzen Flusse. Die Letzteren hatten sich ihrer Haut gewehrt, waren aber geschlagen worden, und verlangten Beistand. Gern oder ungern mußten wir uns ihrer annehmen, teils um uns selbst Ruhe vor den etwaigen Angriffen der Sieger zu verschaffen, teils um den Eingebornen Achtung und Furcht vor uns einzuflößen.

Die Kolonisten, welche ich versammeln ließ, stimmten darin mit mir überein, daß man den Natchitoches helfen müsse. Wir zogen achtzig Mann stark über den Roten Strom in das Land derselben, die uns selbst zu Wegweisern dienten, und uns mit Lebensmitteln versorgten. Wir fanden ihre Krieger auf einer Anhöhe. Ihr Häuptling schien sehr mutlos. Die Arkansas hatten den Schwarzen Fluß überschritten, und alle Hütten unserer Bundesgenossen verbrannt; sie waren auch, wie man uns sagte, an Mannschaft viel stärker als diese . . . Den Anlaß zur Fehde hatte ein Todschlag gegeben, welchen ein Natchitoches an einem angesehenen Manne vom Stamme der Arkansas verübt hatte. Ich wollte der Vermittler und Friedensstifter beider Stämme werden und sandte einen von unserer Kolonie, begleitet von zwei vornehmen Natchitoches, an den Häuptling der Arkansas, mit der Aufforderung, über den Schwarzen Fluß zurückzukehren und mich als Schiedsrichter des Streites anzuerkennen. Ich gelobte, gerecht richten. Aber beschimpft und verwundet kamen unsere Friedensboten aus dem Lager der Arkansas zurück . . . Ein Sieg mußte erst mein Ansehen unter diesen Söhnen der Wildnis gründen. Ich teilte unsere Kolonisten in vier Haufen, sprach ihnen Mut ein, und belehrte sie von der Notwendigkeit, unserer eigenen Sicherheit wegen uns für jede Zukunft unter diesen Nationen Achtung zu verschaffen.

Die Arkansas stürmten schon gegen die Anhöhe heran, noch ehe ich alle Anordnungen zum Angriff oder zur Verteidigung getroffen hatte. Die Natchitoches schlugen sich wie Verzweifelte, und eilten ihren Feinden mit gräßlichem Geschrei entgegen. Wir folgten ihnen langsam in verschiedenen Richtungen. – Plötzlich donnerten aus allen Gebüschen unsere Flinten gegen die Arkansas. Erschrocken stellten beide Heere der Wilden ihren Kampf ein; der Häuptling der Natchitoches zeigte mir den mit hohen Federn geschmückten, von seinen Tapfersten umgebenen Häuptling der Arkansas. Ich gab den bei mir befindlichen Schützen den Befehl, vorzurücken und den Häuptling nebst seinem Begleiter wegzuschießen. Es geschah. Ein fürchterlicher Schrecken bemächtigte sich der betäubten Arkansas. Sie entflohen heulend. Den Natchitoches blieb nichts übrig, als den Feind zu verfolgen, und Tote und Gefangene zu machen . . . Fliehende und Verfolgende schwammen in mörderischem Getümmel durch die Wellen des Schwarzen Flusses. Wir Europäer, minder gewandt und geübt als diese Natursöhne, brachten einen ganzen Tag damit zu, von auseinander genommenen Flößen eine Brücke über den Fluß zu schlagen. Vereint mit den siegestrunkenen Natchitoches, gelangten wir nach drei langen Tagreisen zu den Hütten der Arkansas. Ihr Eigentum zu verteidigen, hatten sich diese hier zum letztenmal aufgestellt. Sie fochten mit Raserei; aber unser Flintenfeuer war ihnen allzu schrecklich. Die Natchitoches siegten, verbrannten die Hütten ihrer Feinde, und metzelten Weiber, Kinder und Gefangene mit unmenschlicher Grausamkeit nieder. Die Arkansas baten um Frieden. Ich gewährte ihn gern. Der Stamm der Natchitoches huldigte mir als ihrem Beschützer und Oberherrn. Er machte einen förmlichen Vertrag mit der Kolonie, daß er uns jährlich für den ihm zu leistenden Schutz eine beträchtliche Anzahl von Tierfellen geben wolle. Wir kehrten zu den Unsrigen in das lachende Christinenthal zurück Wir hatten, außer jenem Vertrage, den Vorteil, von den Natchitoches über zweihundert Sklaven zu erhalten, die uns wesentliche Dienste bei den Pflanzungen leisten konnten.

Seitdem ist Friedensstille in die Louisianischen Wälder zurückgekehrt. Der gedemütigte Stamm der Arkansas hat sich über dreihundert Stunden weiter hinauf, den Quellen des Arkansas-Stromes entgegen, in die Wildnis zurückgezogen. Unsere Ländereien sind ringsum von freundschaftlichen Kolonien und friedlichen Nomaden begrenzt . . . Nie lebte ich sorgenloser, nie angenehmer, als in dieser Einsamkeit, wo alles mein Werk ist, wo jeder mich ehrt und liebt.

Auf der Höhe ist meine Wohnung gebaut, und wird von Neu-Orleans aus mit allen Bequemlichkeiten versehen. Fünf majestätische Cypressen umschatten mein Haus, welches rings von einem Blumengarten umgeben ist, worin die Flora der ganzen Gegend blüht und Balsamdüfte gegen meine Fenster aushaucht . . . Bald besuche ich die Wälder, um dort zu jagen; bald meine Pflanzungen am Roten Strom. Mein Claude, der die Tochter eines armen Kolonisten geheiratet hat, besorgt mit seiner jungen Frau meine kleine Wirtschaft.

Ich sehne mich nicht nach Eurer Welt zurück; mit eigener Kraft habe ich mein Glück begründet. Des Lebens stille Freuden wohnen unter meinem Dach; aber die folternde Sorge, das hagere Gespenst der Leidenschaft habe ich jenseits des Meeres gelassen. Das köstlichste von allen Gütern, welches ich mit mir aus Europa nahm, ist meine kleine Bibliothek. Es sind die sämtlichen Klassiker der Griechen, Römer, Italiener, Engländer und Franzosen, und die Hauptwerke aus allen Wissenschaften.

Den Gouverneur mit seiner Gemahlin und Tochter haben mir schon längst ihren Besuch versprochen. Ich freue mich auf die Abwechselung, die er mir bereiten wird, denn ich werde dann viel Neues aus Europa vernehmen.

2.
D'Aubant an Bellisle.

Christinenthal, im Juli 1718.

O Bellisle, Bellisle, beklagen oder bewundern Sie mein Schicksal! Ich bin der Glückseligste und der Elendeste von allen Sterblichen. Ja, Bellisle, meine stolze Ruhe ist dahin; meine philosophische Fassung habe ich auf immer verloren! . . . Ich liebe ein weibliches Wesen, vor welchem alle Weltteile die Kniee beugen . . . welche überall Königin ist, wo sie erscheint, und durch ihre Gegenwart diese romantische Einsamkeit zum Zaubergarten macht.

Schon oft hatten meine Nachbarn, wenn sie sich abends bei mir in meiner Laube versammelten, mit gutmütigem Scherz mich wegen meines ehelosen Lebens geneckt; schon oft hatte mir Claude nach seiner Art das Glück geschildert, welches er als Gatte genoß, und hatte mir immer dabei eifrig von der schönen Tochter des Gouverneurs, von meiner kleinen Freundin Adelaide, geplaudert. Wohl gedachte ich dann und wann Adelaidens. Aber, ach, lieben konnte ich sie nicht, so lange noch mein treues Gedächtnis das Bildnis jener Unerklärlichen bewahrt, deren Gestalt mir so fabelhaft wieder begegnete, und deren Namen meine Pflanzung schmückt!

Die Kolonie Roland ist zwei Tagereisen von hier. Lange hatte ich schon beschlossen, sie zu besuchen, und das Band der Freundschaft mit den Nachbarn enger zu schließen. Vor ungefähr fünf Wochen machte ich mich, begleitet von meinem treuen Claude, zwei Kolonisten und einigen Negern, auf den Weg dahin. Wir wählten der Kürze des Weges und der Bequemlichkeit wegen die Fahrt zu Wasser. Erst am Morgen des dritten Tages erreichten wir die Kolonie, welche ungleich größer, reicher und älter als die unsere ist, wiewohl der Boden und die Lage dieser Ländereien den unsern an Güte nicht gleichkommen. Als wir die Boote in Sicherheit gebracht hatten, und ans Land stiegen, strömten neugierig Männer, Weiber und Kinder vom Felde und aus den Häusern herbei, uns zu begaffen. Wir machten uns bald mit allen vertraut, sagten, wer wir wären und von wannen und warum wir erschienen. Mit gutherziger Freude drängten sich die Hausväter um uns her; jeder wollte uns gastfreundlich in seiner Hütte beherbergen. Wir waren die gerührten Zeugen des schönsten, freundschaftlichsten Wettstreites der lieben Leute, welche endlich nach langem Für und Wider einig wurden, uns Fremdlinge unter sich zu teilen. Wohin wir kamen, streckte uns alles die Hand entgegen und rief:

»Seid uns willkommen! Wir bitten Euch, tretet ein in unser Haus, und laßt Euch von uns beherbergen!«

Und die Weiber eilten hinein und brachten uns Erfrischungen aller Art.

Wir wurden alle getrennt.

Ein ehrwürdiger Greis, begleitet von seinen Kindern und Enkeln, hatte mich erhalten. Sein Haus stand im Schatten hoher Palmen. Dort wurden Sitze bereitet, Wein und Früchte aufgetragen. Die ganze Familie lagerte sich um mich her. Mir war es, als lebte ich in den Unschuldszeiten der morgenländischen Erzväter.

Wir sprachen von unsern Pflanzungen, von unsern Heerden. Die ansehnliche Bevölkerung dieser Gegend hatte den Preis der Grundstücke und der Sklaven sehr gesteigert. Freilich fehlte es nicht an großen, unfruchtbaren Heiden und Waldstrichen; aber teils ihre Entlegenheit, teils der ungeheure Kostenaufwand verhinderte ihre Urbarmachung.

»Ich werde mich bei Euch nicht ankaufen und ansiedeln können!« sprach ich.

Da trat eine Enkelin des Greises, Lucia hieß sie, lächelnd zu mir und antwortete:

»Für Dich, lieber Fremdling, wird unser Land noch Raum haben! Ich bitte Dich, bleibe bei uns!«

Und der Blick, welchen ihre schönen glanzvollen Augen auf mich senkten, bat noch inniger, als ihre süße Stimme. Ihre schlanke und anmutige Gestalt, die angeborne Zierlichkeit ihrer Bewegungen, die Zartheit und Schönheit ihrer Gesichtszüge bezauberten mich fast.

»Du könntest mich an diesen Boden fesseln, schönes Kind,« sagte ich, »wenn meine Heimat nicht schon gewählt wäre!«

Und ich erzählte von der Fruchtbarkeit und Einrichtung der Kolonie Christinenthal und von den geringen Preisen der dortigen Güter.

»So könntest Du den deutschen Fremdling mit seinen Töchtern in Deine Heimat führen,« antwortete Lucie, »denn sie dauern mich, weil sie bei uns keine Ländereien nach ihrem Sinne finden.«

»Du hast einen glücklichen Einfall, Lucie!« sagte der Greis. »Wir wollen den deutschen Fremdling einladen lassen oder ihn selbst aufsuchen. Ihm würde geholfen sein, und die Botschaft würde ihn freuen, denn es ist doch hart, daß der alte Mann mit seinen Kindern einen so weiten Weg zu uns vergebens gemacht hat.«

Wir durchwanderten am Mittag die Pflanzungen von Luciens Großvater; zwar lernte ich viel aus den Gesprächen dieses Greises, dessen Erfahrungen eine Richtschnur für meine wirtschaftlichen Unternehmungen wurden, aber die schöne, unbefangene Lucie zerstreute zu sehr meine Aufmerksamkeit. Meine Augen und mein Herz waren immer nur bei ihr, und ich fühlte, daß sie es sein müsse, wenn ich mir eine Gattin wählen sollte.

Am folgenden Morgen ging ich mit Luciens Großvater, den deutschen Fremdling aufzusuchen.

Mir war es willkommen, unsere Kolonie vergrößern zu können.

Der Deutsche wohnte fast eine Stunde weiter am entgegengesetzten Ende der Niederlassung, bei einem Pflanzer. Als wir ankamen, war er abwesend . . . Der Pflanzer führte uns in die sehr geräumige Behausung. Wir sagten ihm die Ursache unseres Kommens.

»Wohlan, das wird ihm lieb sein!« rief der Pflanzer. »Nehmt denn bei uns das Mittagsmahl ein. Er wird bis dahin zurückkehren; ihr möget inzwischen mit seinen Töchtern reden. Herr Holden ist ein kreuzbraver Herr; auch seine Töchter sind höchst liebenswürdig, besonders Augustine . . . wahrhaftig, sie ist ein Engel, wie ich in meinem Leben noch keinen zweiten gesehen habe.«

Er verließ uns, aber bald daraus erschien er wieder und sprach:

»Folget mir, sie sind bei meiner Frau draußen unter den Kokosbäumen.«

Wir gingen hinaus; der Weg führte durch eine kleine Wildnis blühender Gebüsche; dann über die Brücke eines Baches zu einem umzäunten Garten.

Als wir hineintraten, standen zwei junge, einfach gekleidete Frauenzimmer unter den Kokosbäumen, neben einem geschäftigen Mütterchen, welches die Beete jätete. Alle blickten gegen uns auf. Das eine dieser Frauenzimmer wandte sich eiligst, wie erschrocken, von uns ab, ergriff den Arm des andern und rief: »Agathe!«

Beide kamen uns sodann einige Schritte entgegen . . . o Bellisle! . . . Ein Blendwerk gaukelte mir vor . . . es war die verstorbene Großfürstin von Rußland! Es war dieselbe, die mir im deutschen Hain, die mir in der Kirche zu Poitiers . . . die mir auf dem Ozean erschienen war . . . o Bellisle, sie war es!

Ich hatte Besinnung und Sprache verloren . . . ich verbeugte mich schweigend . . . sie verneigte sich und lehnte sich an den Stamm des Kokosbaumes, Luciens Großvater eröffnete die Rede. Ich gewann allmählig meine Besinnung wieder und mischte meine Worte, anfangs freilich sehr einsilbig, ins Gespräch, Sie aber schwieg lange. Nur ihre Schwester Agathe führte das Wort.

Die Stunden verflogen wie Minuten. Ich zitterte . . . ich schwor bei mir, diese Wunderbare nie wieder zu verlassen . . . ich war wie ein Träumender – meine Seele war in Entzücken und Zweifeln aufgelöst. Doch wagte ich's nicht, ihr zu sagen, wie ich sie schon mehr als einmal wie eine Erscheinung in den verschiedensten Zeiten und Zonen gesehen zu haben glaubte. Aber in jedem Augenblick überzeugte ich mich mehr, daß sie es selbst wieder und keine andere sei. Denn auch sie war betroffen . . . Ich bemerkte ihr Erröten, ihr Erblassen . . . ihre Unruhe, ihre Verlegenheit, und wie sie nach und nach sich faßte und heiterer ward, sobald ich meiner selbst Herr ward, und je fremder ich gegen sie that.

Herr Holden, der deutsche Flüchtling kam. Die Töchter flogen ihm mit Ungeduld entgegen. Sie hatten ihn längst schon in der Ferne entdeckt. Sie gingen mit einander ins Haus. Erst nach einer halben Stunde kam Herr Holden zu uns.

Ich fand an ihm einen gewandten und geistvollen Mann. Unser Gespräch lenkte sich bald zur Hauptsache. Ich schilderte ihm die Schönheiten unserer Kolonie; ich erzähle ihm die Geschichte derselben, und als ich ihren Namen: Christinenthal aussprach, verwandelte sich seine Gesichtsfarbe. Vergebens suchte er mir seine Bestürzung zu verheimlichen.

Ja, Bellisle, mein Bellisle! Sie ist's, sie lebt! Die Prinzessin von Wolfenbüttel lebt, sie ist's! Die Geschichte ihres Todes und Begräbnisses ist mir und der Welt ein unerklärliches Rätsel. Aber Ehrfurcht und Liebe gebieten mir, das Geheimnis ihres Lebens in meiner Brust zu verschließen . . . Sie soll es nicht ahnen, daß ich sie kenne. Ich will es ihr selbst läugnen, daß ich Petersburg jemals gesehen; ich will irgend ein Märchen erdichten, und sagen, es sei mein Lebenslauf. So werde ich sie sicherer machen; so wird sie sich mit meiner Gestalt aussöhnen; so wird sie in mir keinen Verräter fürchten, und Christinenthal zu meinem Himmel machen . . . Ich liebe sie, o Bellisle . . . die Gattin des abscheulichen Alexis von Rußland . . . o wie unglücklich ist d'Aubant!

Hören Sie endlich, wie weit meine Unterhandlungen mit Herrn Holden, dem vorgeblichen Vater der Unglückseligen, gediehen sind!

»Aufrichtig zu gestehen,« sagte er eines Tages zu mir, »Ihre Schilderung von Christinenthal ist lockend; allein meine beiden Töchter haben fast eine unüberwindliche Vorliebe für eine Niederlassung in der Kolonie Roland. Nur scheint mir diese fast übervölkert; wenigstens sind Sklaven und bequeme Ländereien in allzu hohem Preise, als daß ich meine Familie von dem Kapital, welches mir nach manchen Unglücksfällen in Europa übrig blieb, ernähren könnte, wie ichs wohl wünschte. Ich erwarte nur die Rückkunft meines Hausbedienten von Adayes . . . . Dann will ich mit Ihnen nach Christinenthal, und die Sache an Ort und Stelle untersuchen.«

Der Hausbediente kam wirklich nach einigen Tagen von Adayes zurück, . . . Und wer wars, o Bellisle? Wieder das Zigeunergesicht, welches mir den Tod der Großfürstin zuerst gemeldet, und dann mich auf Teneriffa geäfft hatte. Man nennt ihn hier im Lande Paul. Der Kerl war, als er mich sah, nicht einmal bestürzt, mich zu sehen; nannte mich gleichgültig bei meinem Namen und meinte, es gefiele ihm in dem ungeheuern englischen Park von Louisiana eben so wohl, als in dem steinernen Straßenlabyrinth von Paris.

Auch Augustine und Agathe wurden, da wir uns alle Tage sahen, gelassener, minder ängstlich, sogar freundschaftlich. Aber ich . . . o, ich!

Am Abend vor der Abreise nach der Kolonie Christinenthal . . . ich war gegangen, um von den Damen Abschied zu nehmen . . . saßen wir noch beim Schein des Vollmonds, im Dämmerlicht unter den Palmen. Meine Blicke ruhten auf der Gestalt der wunderbaren Augustine, welche beim hellen Strahl des Mondes einer Verklärten glich. . . . Es war mir wie Zauberei, wenn ich die, welche in den Wettern der Schlacht und in den stürmischen Stunden meines Schicksals mir gleich einem Schutzgeist zur Seite geschwebt hatte . . . wenn ich dies Ideal meiner Einbildungskraft und meiner Sehnsucht nun in so schöner Verkörperung, die Tochter eines deutschen Fürstenhauses, erzogen unter den Künsten der Freude und des Luxus, unter den Palmen einer amerikanischen Pflanzerwohnung vor mir erblickte! . . . Ich hätte mich oft selbst von meinem Wahnsinn aufwecken mögen . . . ich konnte an die Wahrhaftigkeit des Wirklichen gar nicht glauben. . . . Wenn sie mich voll Holdseligkeit anredete, erglühte jeder Nerv in mir, und mein ganzes Wesen ward Flamme. Wenn ich aber antworten wollte, sank ich machtlos in mir selbst zusammen . . . dann sah ich nur die Unglückseligste aller Fürstinnen vor mir . . . meine Liebe ward Ehrfurcht und Demut.

Als wir nun schieden, und die Töchter noch ihren Vater und mich eine Strecke Wegs begleiteten, lehnte sich die fürstliche Augustine an meinen Arm. Ich unterdrückte meine Wehmut.

»Wer gab der Kolonie den Namen Christinenthal?« fragte sie mich leise.

»Ich gab ihn!« stammelte ich.

Sie schwieg, und doch wars, als wollte sie noch eine neue Frage an die vorige knüpfen.

Nach einem langen Stillschweigen lenkte ich die Unterredung wieder auf die Annehmlichkeiten meiner Louisianischen Heimat; ich sprach von dem Glücke, welches meine höchsten Wunsche erfüllen würde, wenn ihr Vater sich entschließen könnte, dort seine Niederlassung zu wählen. »Und wahrlich,« setzte ich mit lebhafter Gemütsbewegung hinzu, »fiele sein Entschluß gegen meine Wünsche aus, ich würde am meisten zu beklagen sein! Ich würde meine Besitzungen dort verlieren, und Ihnen lieber als ein Bettler in alle Wüsten folgen.«

Sie lächelte mich mit unbeschreiblichem Liebreiz an, drückte dann mit ihrer Hand leise auf meinen Arm und lispelte:

»Warten wir es ab!«

Wir und Herr Holden, von seinem Paul begleitet, reisten am folgenden Morgen und zwar zu Schiffe nach Christinenthal. Wir erreichten den Ort ohne Abenteuer. Holden wohnte in meinem Hause. Er schien von der Schönheit der Gegend entzückt . . . Hoffnung und Liebe machten mich beredt, um ihn zum Ankauf zu bewegen. Ich bemerkte endlich, daß er von der Landwirtschaft nur unvollkommene Kenntnis besitze. Ich erbot mich, mein Kapital mit dem seinigen zu vereinen, die Wirtschaft für ihn und mich zu führen, den Kauf der Ländereien und Sklaven zu besorgen und mich statt seiner mit dem Gouverneur in Neu-Orleans abzufinden.

Er nahm meine Vorschläge an. Wir entwarfen miteinander den Plan zu seinem Wohngebäude, welches neben dem meinigen am Roten Strom auf meinen Ländereien stehen sollte. Er reiste zu seiner Familie nach Rolands-Kolonie zurück.

Jetzt bin ich alle Tage mit der Einrichtung des Gebäudes und mit einer großen Gartenanlage neben demselben beschäftigt. Die Natur selbst hat alles schon zur Ausschmückung jener Gegend gethan Bis zum Frühjahr wird das Gebäude vollendet sein. Aber früher kommen sie nicht nach Christinenthal . . . für mich eine Ewigkeit. Und doch bin ich so selig, denn ich arbeite ja für die Einzige! Ihr Fußtritt wird jenen Boden heiligen, den ich für sie mit den schönsten Blumen und Gesträuchen der Landschaft schmücke, und in jenen Zimmern, die ich ihr einrichte, in jenen Lauben, die ich für sie anlege, werde ich die Wunderbare sehen!

3.
Auszug eines Schreibens des Herrn Bellisle an den Chevalier d'Aubant.

Orleans, den 5. September 1718.

. . . So viel von mir! . . .

Und nun endlich noch eine Neuigkeit, die ganz Europa erschütterte, fürchterlich und selten in der Geschichte und gewiß selbst für Sie, in Ihrer zaubervollen Wildnis, von höchstem Interesse ist!

Der russische Kaiser, Peter der Große, der erhabenste Mann unserer Zeit, hat seinem eigenen Sohn, dem Großfürsten Alexis, das Todesurteil gesprochen und ihn hinrichten lassen. Zwar reden alle Zeitungen von dieser ebenso außerordentlichen, als schrecklichen Geschichte, aber durch einen Offizier habe ich einige nähere Umstände erfahren, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Die Sache verhält sich folgendermaßen:

Die Spannung, welche zwischen dem Kaiser und seinem Sohn herrschte, vermehrte sich mit jedem Jahre. Alexis hatte, seiner düstern, rohen Gemütsart ungeachtet, sowohl beim Volke als unter den Großen und bei der mißvergnügten Geistlichkeit einen zahlreichen Anhang. Alle Feinde der vom Kaiser zur Gründung und Kultur seines unermeßlichen Reichs begonnenen Reformen erwarteten um so zuversichtlicher nach seinem Tode eine allgemeine Gegenrevolution, da der Großfürst Alexis weder seinen Haß gegen den Kaiser, noch den Groll gegen dessen kühne Neuerungen verhehlte.

Der Kaiser, um endlich wegen der Fortdauer seiner Staatsveränderungen vollkommen beruhigt zu sein, schrieb an den Thronfolger einen sehr ernsten Brief. Am Schlusse vieler Ermahnungen zur Besserung fügte er endlich die bedeutsamen Worte hinzu: »Du hast nun zu wählen, entweder den Thron oder das . . . Kloster!«

Der Thronfolger, von seinen Anhängern umgeben, faßte den Entschluß, den gefährlichen Folgen einer Entscheidung auszuweichen. Der Kaiser war damals in Kopenhagen. Alexis gab vor, sich zu ihm zu begeben, reiste mit seiner finnländischen Mätresse Euphrosyne ab, nahm aber den Weg nach Wien, um sich in den Schutz seines Schwagers, des deutschen Kaisers Karl VI., zu flüchten. Hier wollte er bis zum Tode seines Vaters bleiben. Allein Alexis fühlte bald, daß auch Wien ihm die nötige Sicherheit verweigern würde, wenn es zur Entscheidung käme. Der Unglückliche! Was hatte er für ein Recht auf Schutz und Trost am Thron einer Kaiserin, die ihn von der Welt als einen gefühllosen Mörder ihrer Schwester, der beklagenswerten Prinzessin von Wolfenbüttel, verdammen hörte? Er floh deshalb nach Neapel, um wenigstens den Wüsteneien fremder Weltteile näher zu wohnen.

Kaum hatte der russische Monarch den Aufenthalt des Prinzen in Wien erfahren, so sandte er seinen geheimen Rath, den Grafen Tolstoy, einen verwegenen und schlauen Mann, dahin, dessen er sich immer bedient, wenn es ein gefährliches Abenteuer zu bestehen giebt. Romanzow, der Befehlshaber der Leibgarde, begleitete ihn. In Wien hörten sie, daß Alexis schon verschwunden sei und den Weg nach Turin genommen habe. Sie setzten ihm nach, entdeckten aber vom Großfürsten keine Spur mehr. In der Hoffnung, ihn, wenn er in Turin auch verborgen lebte, dennoch ausfindig zu machen, verweilten sie einige Monate daselbst. Tolstoy, als Privatmann gekleidet, lebte wie ein gemeiner Bürger, durchstrich nach und nach alle Gasthöfe, alle Kirchen, alle Weinhäuser und öffentlichen Plätze, doch immer fruchtlos.

Eines Abends saß er bei einem Glase Wein in einem öffentlichen Hause, wo mehrere Freunde, unter andern auch ein Neapolitaner, versammelt waren. Man trank tapfer. Tolstoy stellte sich früh berauscht, warf sich auf ein Ruhebett, welches in demselben Zimmer war und that, als wäre er in tiefen Schlaf versunken. Die andern achteten auf ihn nicht. Der Neapolitaner erzählte, daß seit einiger Zeit in Neapel ein junger Mann mit einer Dame angekommen sei, die eine Sprache redeten, welche niemand verstände; der Fremdling mache einen so großen Aufwand, daß man mutmaße, es sei ein Prinz, der im Geheimen reise.

Tolstoy wußte nun genug, er ermunterte sich wieder, forderte zu trinken; erwies allen Gästen viele Freundschaft, und schloß sich besonders an den Neapolitaner an, den er auf den folgenden Mittag zu sich einlud. Er ward mit diesem immer vertraulicher, und ließ ihn nicht eher aus den Augen, bis er vollkommen von allem dem unterrichtet war, was er eigentlich zu wissen begehrte. Sodann reiste er mit dem Grafen Romanzow von Turin nach Neapel.

Den Tag nach ihrer Ankunft in dieser Hauptstadt war ihr erstes, dem Gouverneur einen Besuch abzustatten. Nach den ersten Höflichkeiten zog Tolstoy den Gouverneur auf die Seite.

»Seine Majestät der Kaiser von Rußland weiß mit völliger Gewißheit,« sagte er zu ihm, »daß der Großfürst, sein Sohn, in Neapel ist. Der Monarch wünscht, da seine Gesundheit so hinfällig ist, die baldige Rückkehr des Prinzen, den er so sehr liebt, und der sein Thronerbe ist. Er wird Ihnen, Herr Gouverneur, vorzüglich verpflichtet sein, wenn Sie mir eine besondere Unterredung mit dem jungen Prinzen verschaffen wollten. Ich bitte Sie, genehmigen Sie hier die Beweise von dem, was ich Ihnen sagte!«

Tolstoy überreichte bei diesen Worten, außer einem prächtigen Diamanten, dem Gouverneur die augenscheinliche Instruktion, die er vom Kaiser erhalten hatte.

Der Gouverneur versprach eine Zusammenkunft auf den folgenden Tag, und hielt Wort. Tolstoy und Romanzow, indem sie sich dem Großfürsten näherten, warfen sich nach russischer Sitte vor ihm nieder, und küßten ihm ehrfurchtsvoll die Hand. Der Prinz erkundigte sich ziemlich betroffen nach der Veranlassung ihrer Reise, und fragte, wie es in Rußland gehe, seitdem er abwesend sei? Sie überreichten ihm einen Brief vom Kaiser.

Der Inhalt dieses Schreibens war, daß der russische Monarch seinem Sohne vorwarf, Eid und Pflicht verletzt und sich unter einen fremden Schutz begeben zu haben. Er fordere ihn auf, seinem Willen, wie ihn Tolstoy und Romanzow bekannt machen würden, zu folgen, und er verspreche ihm: »im Namen Gottes und bei dem jüngsten Gericht«, ihn nicht zu bestrafen, sondern ihn noch mehr als sonst zu lieben, wenn er nach Rußland zurückkäme; wenn dies aber nicht geschehen sollte, so erkläre er ihn für einen Verräter und gebe ihm seinen ewigen Fluch.

Der Prinz war sehr bestürzt. Tolstoy suchte ihm aber jede Furcht zu benehmen, und wußte sich so ergeben gegen ihn anzustellen, daß der Großfürst und dessen Buhlerin Euphrosyne Vertrauen faßten.

»Wahrhaftig,« sagte Tolstoy einstmals zu der Geliebten des Prinzen, »wir sind hier in einem herrlichen Lande; man lebt hier, wie im Himmel. Ich möchte ewig hier wohnen. Aber unangenehm ist's doch, daß es katholisch ist, und daß unsere heilige Religion uns verbietet, mit Leuten von der römischen Kirche zu leben. Dazu kommt noch, daß der Kaiser sehr schwächlich ist. Stirbt er, so besteigt Alexis den Thron von Rußland, und Sie, Madame, spielen dann in Rußland die glänzendste Rolle! Es kann nicht anders sein. Aus Liebe zu Ihnen, Madame, und zum Großfürsten muß ich raten, daß wir dies italienische Paradies verlassen! Ist Ihnen nur daran gelegen, daß seine und Ihre Regierung von glücklicher und langer Dauer sei, so erwecken Sie um alles in der Welt willen bei den Russen nicht den Argwohn, daß der Großfürst vielleicht zwischen der rechtgläubigen griechischen Kirche und der römisch-katholischen Religion einen Augenblick geschwankt habe.«

Dergleichen Reden verfehlten ihr Ziel nicht. Die Abreise wurde beschlossen, und Tolstoy führte den 13. Februar dieses Jahres den Prinzen in die Thore von Moskau ein.

Noch denselben Abend warf sich der reuige Alexis zu den Füßen seines Vaters. Sie hatten eine lange Unterredung miteinander. Durch die Stadt verbreitete sich sogleich das frohe Gerücht, Vater und Sohn seien miteinander versöhnt, und alles Geschehene vergessen.

Am andern Tage aber tritt bei Morgenanbruch schon das Garderegiment unter's Gewehr; man hört die große Glocke von Moskau läuten; die Bojaren und Staatsräte werden nach dem Palast berufen; die Bischöfe und die Äbte versammeln sich in der Kathedralkirche. Alexis wird ohne Degen wie ein Gefangener vor seinen Vater geführt. Er wirft sich demütig vor demselben zur Erde, und überreicht ihm weinend eine Schrift, worin er sich selbst der Thronfolge unwürdig erklärt, und sich nur sein Leben als eine Gnade ausbittet.

Vor dem versammelten Staatsrat ward nun eine Art öffentlicher Anklage gegen den Prinzen vorgelesen, worin ihm seine genauen Verbindungen mit den Anhängern der alten Einrichtungen und Sitten, die grausame Behandlung seiner verstorbenen Gemahlin, der unglücklichen Prinzessin von Wolfenbüttel, der Ehebruch mit Euphrosyne, einer ganz gemeinen Dirne, die Flucht zum deutschen Kaiser Karl VI., den er aufgefordert habe, ihn mit bewaffneter Hand zu schützen, und mehreres andere als Staatsverbrechen vorgerechnet wurden. Der Kaiser enterbte ihn darauf feierlich durch eine besondere Urkunde, erklärte ihn der Thronfolge auf ewig unwürdig, und Alexis unterzeichnete bebend mit eigener Hand die Urkunde . . .

Dann ging der Zug in die Kathedralkirche. Die Enterbungsakte ward dort zum zweiten Male verlesen, und die Geistlichen unterschrieben sie ebenfalls.

Aber das Schicksal des Prinzen war noch nicht vollendet. Er wurde von diesem Augenblicke an samt allen seinen ehemaligen Anhängern, Aufwieglern und Mitschuldigen verhaftet, worunter sich selbst die verstoßene Zarin, seine Mutter, und viele Andere befanden, deren Teilnahme an der Verschwörung zur großen russischen Gegenrevolution entdeckt oder beargwohnt war. Der Prozeß ward ihnen gemacht, und das Urteil gesprochen.

Die Vollziehung dieses Urteils ging ohne Gnade von statten. Glebow, der begünstigte Liebhaber der Mutter des Großfürsten, wurde lebendig gespießt, der Bojar Abraham Lapuchin, der Oheim des Großfürsten, Bruder der verstorbenen Zarin, Alexander Kikin, erster Kommissär der Admiralität, der Bischof von Rostow, Beichtvater der Zarin, wurden gerädert und ihre Köpfe öffentlich aufgesteckt; viele von den Teilnehmern an den Ausschweifungen des Großfürsten, unter denen sich fünfzig Mönche und Priester befanden, wurden enthauptet.

Dies schreckliche Blutbad ließ glauben, daß nun alles beendigt sei. Aber neue Entdeckungen bewiesen, daß der Prinz noch nicht überall die Wahrheit eingestanden hatte. Der Kaiser versammelte einen hohen Gerichtshof, zusammengesetzt aus dem Adel und der Geistlichkeit, den vornehmsten Offizieren von der Land- und Seemacht, den Gouverneuren der Provinzen und anderen Ständen.

Der Prozeß gegen den Großfürsten Alexis wurde den 25. Juni angestellt. Vor seine Richter geführt, hörte derselbe die Sentenz, und wurde in sein Gefängnis zurückgebracht.

Den folgenden Tag ging Seine Majestät der Kaiser, begleitet von allen Senatoren und Bischöfen, nebst anderen hohen Personen, in's Schloß, und in das Verhaftzimmer des Großfürsten . . . .

Was hier geschah, bleibt ewig ein Geheimnis. Nach einer halben Stunde verließ der Kaiser mit seinem Gefolge wieder des Prinzen Gemach. Aus allen Gesichtern sah man düstere Bestürzung. Man erfuhr nur, daß der Prinz gefährlich krank sei, daß er aus Verzuckungen in Verzuckungen falle. Nachmittags um fünf Uhr hieß es, er sei unter heftigen Kämpfen gestorben.

Auf Befehl des Kaisers wurde der Leichnam seines Sohnes einbalsamiert, und unter Feierlichkeiten neben dem Sarge der Prinzessin von Wolfenbüttel, seiner Gemahlin, in den Todtengewölben beigesetzt.

Was sagen Sie, lieber Chevalier, zu dieser entsetzlichen Geschichte? . . .

Peter der Große, um seine neue Schöpfung zu retten, verläugnete die Gefühle des väterlichen Herzens. . . . Alexis, der grausame, zu allem Großen und Guten unfähige Alexis, erntete schon auf Erden den Lohn für seine mannigfachen Verbrechen und Laster, der andern Fürstensöhnen sonst diesseit des Grabes selten zu teil zu werden pflegt.

Ja, mein Geliebter, es ist ein Gott! Es herrscht in der unendlichen Welt ein unsichtbarer, allmächtiger Arm der Vergeltung, und richtet Thaten und Gedanken!

Über die Todesart, welche der russische Prinz erleiden mußte, kann ich Ihnen keine befriedigende Auskunft geben. Man hat ausgesprengt, Alexis sei, während ihm das Todesurteil verkündet wurde, vom Schlage gerührt niedergestürzt. Andere Mutmaßungen aber gehen dahin, daß er den Giftbecher habe trinken müssen; noch andere, daß er erwürgt worden sei.

Wenn es in den finstern Heimlichkeiten manches Fürstenhauses plötzlich Tag werden sollte, wenn ein Geist der Wahrheit plötzlich den Purpur hinwegrisse, welcher die Verbrechen und das Elend mancher Großen vor den Blicken der untertänigen Menge verhüllen muß; wenn wir sie sehen sollten, die Götter der Erde, wie sie in ihren Gemächern und Schlafkammern mit abgelegter Krone über ihren verstohlenen Jammer brüten; wie sie, ungeheuren Leidenschaften preisgegeben, die Beute derselben sind, und zwischen Rache und Reue, zwischen Wollust und Ekel, zwischen Vergötterung und Dolchen des Meuchelmörders taumeln, wahrlich, mein d'Aubant, unsere Bettler würden ihre Lumpen nicht gegen einen hochfürstlichen Hermelin vertauschen, sondern ihre Brodrinden dem schwelgerischen Gastmahle der Paläste vorziehen!

Aber so ist's mit der Menschheit. Raserei ist ihre Weisheit, Leidenschaft ihre Frömmigkeit. Die, welchen Geburt und Zufall mit ungemessener Gunst die Güter der Welt gaben, und jedes Mittel zuteilte, ihr Dasein zu verherrliche, und auf der Erde einen Himmel um sich zu bauen, verstehen oft kaum die Seligkeit eines reinen Herzens; wähnen, Religion und Tugend seien Schattenbilder, und Staatsmittel, den Gehorsam des Volkes zu fesseln; kämpfen mit thörichtem Stolz gegen die ewigen Gesetze der Natur an, und verzweifeln endlich unter ihren Unnatürlichkeiten, wo ihnen Alles, und sie sich selbst zum Widerspruche werden.

An diesem allem ist nur die Erziehung der Fürstenkinder schuld. Schon von der Wiege aus sehen sie die Welt mit geblendeten Augen, und statt der einfachen Wahrheit – Zerrbilder der Kunst . . .


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