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4. Die Todesangst.

Beim dunkeln Scheine einer alten Lampe, die seitwärts auf einem Tischchen stand, sah ich mitten im Vorzimmer den ermordeten Obersteuereinnehmer im Sarge, wie ich ihn den Abend vorher oben gesehen hatte; und diesmal noch dazu deutlich mit den Blutflecken im Hemde, die das erstemal von einem Leichentuche verdeckt gewesen waren. Ich suchte mich zu fassen, mir einzureden, diese Erscheinung sei Gaukelei meiner Phantasie; ich trat näher. Aber als mein Fuß an den Sarg am Boden stieß, daß es dumpf tönte, und es schien, als rege sich die Leiche, als versuche sie, die Augen aufzuschlagen, da schwand mir fast alles Bewußtsein. Ich floh mit Entsetzen in meinen Saal zurück und stürzte rücklings auf das Bett nieder.

Indem entstand am Sarge ein lautes Gepolter. Ich mußte beinahe glauben, der Obersteuereinnehmer sei vom Tode erwacht; denn es war ein Geräusch eines sich mühsam Erhebenden. Ich vernahm ein dumpfes Stöhnen. Ich sah bald darauf im Dunkeln die Gestalt des Ermordeten mitten in der Tür meines Saales stehen, sich an den Pfosten haltend, langsam in den Saal hineinschwanken oder taumeln und im Dunkeln verschwinden. Während mein Unglaube noch einmal versuchte, alles zu leugnen, was ich gehört und gesehen hatte, widerlegte ihn das Gespenst, oder der Tote, oder Lebendiggewordene schauderhaft genug. Denn dieser, so lang, breit und schwer er war, lagerte sich auf mein Bett, und zwar über meinen Leib, mit seinem kalten Rücken über mein Gesicht, so daß mir kaum Luft genug zum Atmen blieb.

Ich begreife noch zur Stunde nicht, wie ich mit dem Leben davonkam. Denn mein Schreck war wohl ein tödlicher zu nennen. Auch muß ich in einer langen Ohnmacht gelegen haben. Denn als ich unter meiner fürchterlichen Last wieder die Glocke schlagen hörte und meinte, es werde ein Uhr sein, das erwünschte Ende der Geisterstunde, der Augenblick meiner Erlösung – da war es zwei Uhr.

Jeder denke sich meine gräßliche Lage. Rings um mich Moderduft, und der Leichnam auf mir atmend, erwärmt, röchelnd, wie zu einem zweiten Sterben – ich selbst halb erstarrt, teils vor Schrecken und Entkräftung, teils unter der zentnerschweren Last. Alles Elend in Dantes Hölle ist eine Kleinigkeit gegen einen Zustand wie diesen. Ich hatte nicht die Kraft, mich unter dem Leichnam hervorzuarbeiten, der zum andernmal auf mir sterben wollte; und hätte ich die Kraft gehabt, vielleicht hätte mir der Mut gefehlt, es zu tun; denn ich spürte deutlich, daß der Unglückliche, welcher nach der ersten Verblutung seiner Wunden vermutlich nur eine schwere Ohnmacht bekommen hatte, dann für tot gehalten und auf gut polnisch in einen Sarg geworfen worden war, erst jetzt mit dem wahren Tode rang. Er schien sich nicht ermannen, nicht leben, nicht sterben zu können. Und das mußte ich auf mir selbst geschehen lassen! Ich mußte das Sterbekissen des Steuereinnehmers sein!

Manchmal war ich geneigt, alles seit meiner Ankunft in Brczwezmcisl Vorgefallene für einen Teufelstraum zu halten, wenn ich mir meiner Not in ihrer großen Mannigfaltigkeit nur nicht allzu deutlich bewußt gewesen wäre. Und doch würde ich mich zuletzt überredet haben, die ganze Schreckensnacht mit ihren Erscheinungen sei Traum und nichts als Traum, wenn nicht ein neues Ereignis, ein empfindlicheres als jedes der vorhergehenden, mich von der Wahrheit meines vollen Wachens überzeugt hätte.


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