Emile Zola
Die Treibjagd
Emile Zola

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IV.

Das deutliche und brennende Verlangen, welches inmitten der betäubenden Düfte des Wintergartens in Renée aufgestiegen war, während sich Maxime und Luise auf einem Divan des kleinen goldenen Salons unterhielten, schien gleich einem Alpdruck zu verschwinden, welcher nur mehr einen leisen Schauer zurückläßt. Während der ganzen Nacht hatte die junge Frau den bitteren Geschmack des Tanghin auf den Lippen verspürt und das Brennen dieser Giftpflanze ein Gefühl in ihr erweckt, als preßte sich ein Flammenmund auf ihre Lippen, der ihr eine verzehrende Liebe einhaucht. Dann aber war dieser Mund von ihr gewichen und ihr Traum in den sie umwallenden dichten Schatten aufgegangen.

Erst des Morgens schlief sie ein wenig ein und als sie erwachte, glaubte sie krank zu sein. Sie ließ die Fensterläden schließen, klagte ihrem Arzte über Brechreiz und Kopfschmerz und weigerte sich während zweier Tage auszugehen. Und da sie leidend war, verschloß sie ihre Thür. Vergebens pochte Maxime an dieselbe. Er schlief nicht im Hôtel, um sich freier bewegen zu können und führte auch im Uebrigen ein sehr nomadenhaftes Leben, indem er sich in den neuen Häusern seines Vaters niederließ und jeden Monat seine Wohnung wechselte, sei es aus Laune, sei es um ernsten Miethern den Platz zu räumen. In Gesellschaft seiner Maitressen war er der erste Bewohner der neuen Räume. An die Launen seiner Stiefmutter gewöhnt, heuchelte er eine große Theilnahme und fand sich täglich viermal vor ihrer Thür ein, um sich verzweifelten Tones nach ihrem Befinden zu erkundigen, nur um sie zu necken. Am dritten Tag endlich fand er sie in dem kleinen Salon, mit rosigem, lächelndem Gesicht und ruhiger, zufriedener Miene.

»Nun? hast Du Dich genügend mit Céleste amüsirt?« fragte er, auf die lange Unterredung anspielend, welche sie soeben mit ihrer Kammerdienerin gehabt.

»Ja,« gab sie zur Antwort; »dies ist ein kostbares Mädchen. Sie hat stets eiskalte Hände, die sie mir auf die Stirne legte und derart meinen armen Kopf ein wenig beruhigte.«

»Aber dann ist sie ja ein unbezahlbares Medikament, diese Person!« rief der junge Mann aus. »Wenn ich das Unglück hätte, mich jemals zu verlieben, so wirst Du sie mir doch leihen, nicht wahr, damit sie die beiden Hände mir auf's Herz legt.«

Sie scherzten mit einander und unternahmen ihre gewohnte Ausfahrt nach dem Bois. So verflossen vierzehn Tage. Renée hatte mit größtem Eifer ihre frühere Lebensweise aufgenommen, machte Besuche, ging auf Bälle, ohne daß sie wieder über Abgespanntheit oder Ueberdruß geklagt hätte. Man wäre blos zu sagen versucht gewesen, sie habe insgeheim einen Fehltritt begangen, von welchem sie nicht sprach, welchen sie aber durch eine etwas schärfer hervortretende Selbstverachtung und eine noch gewagtere Verderbtheit in ihren Launen als Weltdame bekundete. Eines Tages gestand sie Maxime, daß sie vor Begierde vergehe, einem Ball bei Blanche Müller, einer sehr bekannten Schauspielerin, beizuwohnen, welchen dieselbe den Theaterprinzessinen und Halbweltköniginen gab. Dieses Verlangen überraschte den jungen Mann und brachte ihn in Verlegenheit, trotzdem er doch auch nicht sonderlich skrupulös veranlagt war. Er wollte seiner Stiefmutter die Sache ausreden; wahrlich, sie sei dort nicht an ihrem Platze, auch werde sie dort nichts Besonderes zu sehen bekommen, dagegen gäbe es einen Skandal, wenn man sie erkennen sollte. Auf all' diese Gründe hatte sie nur eine Antwort: sie faltete die Hände, lächelte und schmeichelte.

»Ach, mein kleiner Maxime, sei liebenswürdig. Ich will es ... Ich werde einen dunkeln Domino anlegen und nur einmal mit Dir durch die Salons schreiten.«

Als Maxime, der schließlich immer nachgab und der seine Stiefmutter auf ihr Verlangen an alle verrufenen Orte von Paris geführt hätte, eingewilligt hatte, sie auf den Ball der Blanche Müller zu führen, klatschte sie in die Hände wie ein Kind, dem eine unverhoffte Zerstreuung zutheil geworden.

»Du bist ein guter Junge,« sagte sie. »Also morgen, nicht wahr? Hole mich nur sehr früh ab. Ich will schon zugegen sein, wenn die Damen erst anlangen. Du wirst mir die Namen derselben nennen und wir werden uns ausgezeichnet amüsiren ...«

Und nach einigem Nachdenken fügte sie hinzu:

»Nein; hole mich nicht ab, sondern erwarte mich in einem Fiaker auf dem Boulevard Malesherbes. Ich werde das Haus durch den Garten verlassen.«

Dieses Geheimniß war ein Gewürz, womit sie den Reiz ihres Streiches erhöhte, nicht weiter als ein Kunstgriff zur Vermehrung des Genusses, denn selbst wenn sie um Mitternacht zum großen Thor hinausgegangen wäre, so hätte ihr Gatte dieserhalb nicht einmal den Kopf zum Fenster hinausgesteckt.

Nachdem sie am nächsten Abend Céleste angewiesen hatte, ihre Rückkehr abzuwarten, eilte sie unter den Schauern einer köstlichen Angst durch die dunklen Baumgänge des Monceau-Parkes. Saccard hatte sich sein gutes Einvernehmen mit der Stadt zu Nutze gemacht, um sich den Schlüssel zu einer kleinen Tür des Parkes geben zu lassen und Renée hatte gleichfalls einen solchen besitzen wollen. Sie verirrte sich beinahe und fand den Fiaker nur dank den zwei gelben Augen seiner Laternen. In dieser Zeit lag der kaum vollendete Boulevard Malesherbes des Abends beinahe gänzlich vereinsamt da. Die junge Frau schlüpfte in den Fiaker; sie war sehr aufgeregt und ihr Herz pochte so köstlich, als hätte sie sich zu einem Liebesrendezvous begeben. Halb schlummernd lag Maxime in einer Ecke des Fiakers und rauchte philosophisch seine Zigarre. Er wollte den Glimmstengel fortwerfen, sie aber hinderte ihn daran und wie sie in der Dunkelheit seinen Arm zurückzuhalten suchte, kam ihre ganze Hand auf sein Gesicht zu liegen, worüber Beide herzlich lachten.

»Ich sage Dir ja, daß ich den Tabaksrauch liebe,« rief sie aus. »Behalte nur Deine Zigarre... Heute Abend wollen wir einmal ausschreiten... und ich bin auch ein Mann.«

Der Boulevard war noch nicht beleuchtet und während der Fiaker in der Richtung der Madeleine-Kirche dahinfuhr, herrschte im Inneren desselben eine solche Dunkelheit, dass sie einander nicht sehen konnten. Nur von Zeit zu Zeit, wenn der junge Mann seine Zigarre zum Munde führte, leuchtete ein rother Punkt durch die dichte Finsterniss. Und dieser rote Punkt interessierte Renée. Maxime, halb bedeckt von der Fluth des schwarzen Seidendomino's, der den Fiaker beinahe ganz ausfüllte, fuhr anscheinend ärgerlich, schweigend zu rauchen fort. Tatsächlich hatte ihn der Einfall seiner Stiefmutter gehindert, einer Schaar Damen in's Café Anglais zu folgen, wo dieselben den Ball der Blanche Müller zu beginnen und auch zu beschließen gedachten. Er war zornig und sie errieth dies trotz der Dunkelheit.

»Bist Du unwohl?« fragte sie ihn.

»Nein; mir ist kalt,« erwiderte er.

»Und ich ersticke fast vor Hitze... Ziehe meine Röcke ein wenig über Deine Kniee.«

»Ach, Deine Röcke!« murmelte er ärgerlich. »Die reichen mir ohnehin bis zu den Augen.«

Diese Worte brachten ihn aber selbst zum Lachen und allmälig wurde er wärmer. Sie schilderte ihm, wie sehr sie sich vorhin in dem Park gefürchtet habe. Dann gestand sie ihm einen anderen Wunsch: sie hätte gar zu gerne des Nachts auf dem kleinen Parkteich eine Spazierfahrt in dem Kahne unternommen, welchen sie von ihren Fenstern aus vor einer Allee liegen sah. Er fand, dass sie elegisch zu werden beginne. Der Fiaker rollte immer weiter, die Dunkelheit blieb dieselbe. Sie neigten sich näher zu einander, um sich in dem Lärm der Wagenräder besser verständlich zu machen, und wenn sie einander zu nahe kamen, streiften sie sich und fühlten gegenseitig den warmen Athem. Und in regelmäßigen Zwischenpausen erglühte die Zigarre Maxime's, erschien gleich einer rothen Spitze inmitten der Dunkelheit und warf einen schwachen rosigen Schimmer auf das Gesicht Renée's. Bei dieser flüchtigen Beleuchtung erschien sie entzückend schön, so dass der junge Mann ganz betroffen davon war und sich nicht enthalten konnte auszurufen:

»Oh oh! wir sind heute Abend sehr hübsch, Stiefmama ... Laß' einmal sehen ...«

Er brachte seine Zigarre noch näher und machte einige rasche Züge hinter einander, so daß Renée, die in ihrer Ecke lehnte, von einem warmen und sozusagen lebenden Lichte beleuchtet war. Sie hatte ihre Kapuze ein wenig zurückgeschlagen. Ihr unbedeckter Kopf, den eine Menge Löckchen zierten, die von einem einfachen blauen Bande durchzogen waren, glich dem eines richtigen Straßenjungen, zumal die große Blouse aus schwarzer Seide bis zum Halse reichte. Es dünkte ihr sehr drollig, bei dem Lichte einer Zigarre betrachtet und bewundert zu werden. Sie lehnte sich leise lachend zurück, während er mit komischem Ernste hinzufügte:

»Alle Wetter! ich werde Dich bewachen müssen, wenn ich Dich meinem Vater heil und unversehrt zurückbringen will.«

Der Fiaker hatte die Madeleine-Kirche erreicht und rollte auf den Boulevards dahin. Jetzt ward er von unstäten Lichtstrahlen erleuchtet, die aus den Schaufenstern der Verkaufsläden herrührten. Blanche Müller wohnte in einem der auf den Gründen der Rue-Basse-du-Rempart erbauten neuen Häuser. Es standen erst wenige Wagen vor dem Thore; es war kaum zehn Uhr geworden. Maxime wollte eine Rundfahrt über die Boulevards antreten und erst in einer Stunde zurückkehren; doch Renée, deren Neugierde lebhafter denn je erwacht war, erklärte ihm rundheraus, daß sie allein hinaufgehen würde, wenn er sie nicht begleiten wollte. Er folgte ihr und traf zu seiner Freude mehr Leute an, als er gehofft hatte. Die junge Frau hatte ihre Maske angelegt. Sie nahm jetzt den Arm Maxime's, dem sie leisen Tones Weisungen ertheilte, welchen er schweigend entsprach und durchschritt mit ihm alle Räume, schob die Portieren zur Seite, besichtigte aufmerksam die ganze Einrichtung und hätte selbst die Schränke durchstöbert, wenn sie nicht gefürchtet hätte, dabei ertappt zu werden.

Die sehr elegant eingerichtete Wohnung hatte gewisse Räume, in welchen der zigeunerhafte Charakter der Hausfrau zum Ausdruck gelangte und die Schauspielerin zum Vorschein kam. An diesen Orten erbebten die rosigen Nasenflügel Renée's und sie zwang ihren Begleiter, ganz langsam zu gehen, damit ihr gar nichts verborgen bleibe und sie den dort herrschenden Duft einathmen könne. Am längsten verweilte sie in dem Ankleidezimmer, welches Blanche Müller weit offen ließ, die bei ihren Empfängen die Gäste bis in ihr Schlafzimmer kommen ließ, wo das Bett zur Seite geschoben wurde, um für die Spieltische Raum zu schaffen. Das Gemach befriedigte sie aber nicht; es erschien ihr zu gewöhnlich und sogar ein wenig schmutzig, mit seinem Teppich, welchen weggeworfene Zigarrenenden mit kleinen Brandflecken bedeckt hatten, und seinen blauen Seidentapeten, die durch Pommade und Seifenschaum verunreinigt waren. Als sie dann Alles genau besichtigt und die kleinsten Einzelheiten der Wohnung ihrem Gedächtniß eingeprägt hatte, um sie daheim ihren Freundinen beschreiben zu können, ging sie zu den Personen über. Die Herren kannte sie; es waren zum größten Theil dieselben Finanzmänner, dieselben Politiker und dieselben jungen Lebemänner, die sich an ihren Donnerstagen bei ihr einfanden. Sie glaubte sich zuweilen in ihren Salon versetzt, wenn sie vor einer Gruppe schwarzer Fräcke stand, die Tags vorher bei ihr dasselbe Lächeln gezeigt, als sie mit der Marquise von Espanet oder der blonden Frau Haffner plauderten. Und wenn sie die Damen anblickte, schwand die Illusion auch nicht ganz. Laura d'Aurigny war in Gelb gekleidet wie Susanne Haffner und Blanche Müller trug gleich Adeline d'Espanet ein bis in die Mitte des Rückens ausgeschnittenes Kleid aus weißer Seide. Endlich bat Maxime um Entschuldigung und sie ließ sich mit ihm auf einem Divan nieder. Hier verweilten sie einen Augenblick, während der junge Mann gähnte und Renée ihn nach den Namen der Damen befragte, die sie mit den Augen zu entkleiden schien und dabei die Spitzen, die sie um ihre Röcke genäht hatten, meterweise abschätzte. Als er sie in dieses ernste Studium vertieft sah, entschlüpfte er ihr unbemerkt, um einem Winke zu folgen, welchen ihm Laura d'Aurigny mit der Hand gemacht hatte. Sie neckte ihn mit der Dame, die er am Arm führte und nahm ihm dann das Versprechen, ab, daß er sich ihnen gegen ein Uhr Morgens im Café Anglais anschließen werde.

»Dein Vater wird auch mit dabei sein,« rief sie ihm nach, als er zu Renée zurückkehrte.

Letztere war von einer Gruppe laut lachender Frauen umringt, während Herr von Saffré den von Maxime verlassenen Platz eingenommen hatte und sich dicht an sie drängend, ihr derbe Schmeicheleien zuraunte. Dann hatten Alle zu lachen und sich auf die Schenkel zu schlagen angefangen, so daß Renée, der die Sache unheimlich zu werden begann, sich erhob und gleichfalls gähnend zu ihrem Begleiter sagte:

»Gehen wir; die Leute sind zu einfältig.«

Als sie hinausschritten, kam Herr von Mussy herein. Er schien sehr erfreut, Maxime zu begegnen und ohne auf die vermummte Dame zu achten, die jener am Arm führte, flüsterte er ihm schmachtenden Tones zu:

»Ach, mein Freund, Renée wird schuld sein, wenn ich einen Selbstmord begehe. Ich weiß, daß es ihr besser geht und doch will sie mich nicht vorlassen. Sagen Sie ihr, Sie hätten Thränen in meinen Augen gesehen.«

»Seien Sie unbesorgt, Ihr Auftrag soll ausgeführt werden,« erwiderte der junge Mann mit einem eigenthümlichen Lachen.

Auf der Treppe wandte er sich mit den Worten zu Renée:

»Nun, Stiefmama, Du empfindest kein Mitleid mit dem armen Jungen?«

Sie zuckte mit den Schultern, ohne eine Antwort zu geben. Auf der Straße angelangt, blieb sie stehen, bevor sie in den Fiaker stieg, der auf sie gewartet und blickte zögernd nach rechts und links. Es war kaum halb zwölf Uhr und reges Leben herrschte noch auf den Boulevards.

»Wir fahren also nach Hause?« fragte sie bedauernd.

»Ja, sofern wir nicht noch eine Rundfahrt über die Boulevards antreten wollen,« erwiderte Maxime.

Sie willigte ein. Ihre Neugierde hatte keine volle Befriedigung erfahren und es ärgerte sie, daß sie um eine Illusion ärmer und mit beginnendem Kopfschmerz heimkehren sollte. Lange Zeit hindurch war sie der Ansicht gewesen, ein von Schauspielerinen veranstalteter Ball müsse die kurzweiligste Sache von der Welt sein. Wie es mitunter der Fall ist, hatten die letzten Tage des Oktober einen neuen Frühling in's Land gebracht; die Nacht war lau wie im Mai und der kältere Lufthauch, welcher sich von Zeit zu Zeit fühlbar machte, wirkte nur anregend. Schweigend blickte Renée zum Fenster hinaus auf die wogende Menschenmenge, auf die Kaffeehäuser und Restaurants, die an ihr vorüberglitten. Sie war in eine ganz ernste Stimmung gerathen und in das unbestimmte Sinnen verloren, welches unausgesprochene Wünsche in den Frauen erregen. Das breite Trottoir, über welches die Kleider der Mädchen dahinfegten und auf welchem die Schuhe der Männer mit so eigenthümlich vertrautem Klang sich vernehmbar machten, der graue Asphalt, welcher der Tummelplatz der Vergnügungen und der käuflichen Liebe zu sein schien, erweckte neuerdings die in ihr schlummernden Wünsche und ließ sie den langweiligen Ball vergessen, welchen sie soeben verlassen, um ihr andere, höhere Freuden zu zeigen. Hinter den Fenstern der Sonderzimmer des Restaurants Brébant sah sie von den weißen Vorhängen weibliche Schatten sich abheben und dabei erzählte ihr Maxime die sehr gewagte Geschichte eines betrogenen Gatten, der auf diese Weise den Schatten seiner Gattin in flagranti mit dem Schatten ihres Liebhabers überrascht hatte. Sie hörte ihm kaum zu. Er aber wurde gesprächiger und ihre Hände erfassend, begann er sie zu necken, indem er von dem armen Mussy sprach.

Sie fuhren abermals bei Brébant vorüber und da sagte sie mit einem Male:

»Weißt Du, daß mich Herr von Saffré heute Abend zum Souper geladen hat?«

»Da würdest Du schlecht gespeist haben,« erwiderte er lachend. »Saffré hat keinen Dunst von kulinarischen Genüssen, er kommt über den Hummernsalat nicht hinaus.«

»Nein, nein; er sprach von Austern und kaltem Rebhuhn. Doch duzte er mich und das war mir nicht recht.«

Sie schwieg, blickte abermals auf den Boulevard hinaus und fügte nach einer Weile verzagten Tones hinzu:

»Das Schlimmste an der Sache ist, daß ich einen fürchterlichen Hunger habe.«

»Wie! Du bist hungrig?« rief der junge Mann aus. »Nun, dann gehen wir ganz einfach mit einander soupiren ... Willst Du?«

Er sagte das ganz ruhig und natürlich; sie aber lehnte unter Hinweis auf Céleste ab, die ihr daheim sicherlich einen schmackhaften Imbiß vorbereitet hatte. Er aber hatte, da er nicht ins Café Anglais gehen wollte, den Wagen an der Ecke der Rue le Peletier, vor dem Restaurant des Café Riche anhalten lassen, war abgestiegen und da seine Stiefmutter noch immer zögerte, so sagte er:

»Wenn Du fürchtest, daß ich Dich kompromittire, so sage es ... Ich werde mich dann neben den Kutscher setzen und Dich zu Deinem Gatten nach Hause bringen.«

Sie lächelte und stieg aus dem Wagen mit dem Gehaben eines Vogels, der sich die Füße zu beschmutzen fürchtet. Sie strahlte vor Freude. Dieses Trottoir, welches sie unter den Füßen spürte, wärmte ihr die Sohlen und ließ sie einen ganz leisen, doch nur um so köstlicheren Schauder der Furcht und der befriedigten Laune empfinden. Seitdem sich der Fiaker wieder in Bewegung gesetzt, hatte sie ein unbändiges Verlangen gefühlt, aus demselben zu springen. Mit kleinen Schritten kam sie über das Trottoir, als hätte ihr die Furcht gesehen zu werden ein Vergnügen bereitet. Ihr muthwilliger Streich nahm ganz entschieden eine Wendung zum Abenteuerlichen. Nein, sie bedauerte nicht, die brutale Einladung des Herrn von Saffré abgelehnt zu haben; dagegen wäre sie unmuthig und zornig heimgekehrt, wenn Maxime nicht auf den Gedanken gekommen wäre, ihr von der verbotenen Frucht zu verkosten zu geben. Der junge Mann schritt die Treppe rasch empor, als fühlte er sich zu Hause. Sie folgte ihm ein wenig außer Athem. Ein Geruch nach Fischen und Wildpret erfüllte die Luft, und von dem Teppich, der mittelst Messingstäben an den Treppenstufen festgehalten war, ging ein Staubgeruch aus, der ihre Erregung noch vermehrte.

Im Halbstock angelangt, begegneten sie einem würdevoll aussehenden Kellner, der zur Seite trat, um sie vorübergehen zu lassen.

»Charles,« sagte Maxime zu ihm, »Sie werden uns bedienen, nicht wahr? ... Geben Sie uns den weißen Salon.«

Charles verneigte sich, stieg wieder einige Stufen hinauf und öffnete die Thür eines Kabinets. Das Gas war halb abgedreht und es schien Renée, als beträte sie im Dämmerlicht einen verdächtigen, aber reizenden Ort.

Ein unablässiges Rollen drang durch das weit geöffnete Fenster und der Lichterglanz der gegenüberliegenden Kaffeehäuser warf die Schatten der Passanten auf die Decke des Zimmers. Mit einem Druck des Fingers ließ der Kellner das Gas heller brennen. Die vorüberhuschenden Schatten an der Decke verschwanden und das Kabinet füllte sich mit grellem Licht, welches voll auf den Kopf der jungen Frau fiel. Diese hatte ihre Kapuze bereits zurückgeschlagen. Die kleinen Haarlöckchen waren während der Fahrt ein wenig in Unordnung gerathen; das blaue Band aber saß unverrückt an Ort und Stelle. Sie begann hin- und herzugehen, denn der Blick, mit welchem Charles sie betrachtete, war ihr lästig. Der Mann hatte eine Art, die Augen zuzudrücken und die Brauen zusammenzuziehen, um sie zu sehen, die ganz deutlich besagte: »Das ist Eine, die ich noch nicht kenne.«

»Was soll ich auftragen, mein Herr?« fragte er laut.

Maxime wendete sich zu Renée und sagte:

»Das Souper des Herrn von Saffré, nicht wahr? Austern, kaltes Rebhuhn ...«

Und da Charles den jungen Mann lächeln sah, lächelte auch er ein wenig, indem er leise sagte:

»Das Souper vom Mittwoch also, wenn Sie wünschen?«

»Das Souper vom Mittwoch ...« wiederholte Maxime, um, sich besinnend, hernach hinzuzufügen:

»Ja, mir ist's gleich; geben Sie uns das Souper vom Mittwoch.«

Als der Kellner hinaus gegangen war, nahm Renée ihren Stecher hervor und blickte neugierig in dem kleinen Salon umher. Es war das ein viereckiger, in Weiß und Gold gehaltener Raum mit der koketten Einrichtung eines Boudoirs. Außer dem Tische und den Stühlen war ein niedriges Möbelstück, eine Art Konsole vorhanden, auf welchem die abgeräumten Schüsseln niedergesetzt wurden, des Ferneren ein breiter Divan, ein wirkliches Bett, welcher zwischen dem Kamin und dem Fenster stand. Auf der weißen Marmorplatte des Kamins sah man eine Stutzuhr und zwei Armleuchter im Stile Ludwigs XVI. Das vornehmste Stück des Kabinets bildete aber der Spiegel, ein schöner geschliffener Spiegel, welchen die Diamanten der Damen mit Namen, Daten, verstümmelten Versen, absonderlichen Gedankensplittern und erstaunlichen Geständnissen bedeckt hatten. Renée glaubte etwas Unsauberes zu erblicken und wagte ihre Neugierde nicht zu befriedigen. Sie betrachtete den Divan, empfand ein neuerliches Unbehagen und begann, um sich ein wenig zu fassen, die Zimmerdecke und den von derselben herabhängenden fünfarmigen Kronleuchter aus vergoldetem Messing zu mustern. Die Befangenheit aber, die sie empfand, war köstlich. Während sie mit ernster Miene und den Stecher in der Hand haltend, den Kopf in die Höhe richtete, wie um das Gesims zu betrachten, ergötzte sie sich von ganzer Seele an diesem zweideutigen Mobilar, welches sie um sich her fühlte; an diesem klaren, cynischen Spiegel, dessen reine Fläche, welche die unfläthigen Kritzeleien von schönen Händen kaum getrübt, dazu gedient hatte, so viele falsche Haartouren zurechtzurücken; an diesem Divan, dessen Breite sie erröthen machte; an dem Tische, ja sogar an dem Teppich, von welchem derselbe Geruch wie auf der Treppe, ein durchdringender, schier kirchlicher Staubgeruch ausging.

Und als sie denn doch endlich die Augen niederschlagen mußte, wandte sie sich mit der Frage zu Maxime:

»Was ist's denn mit diesem Souper vom Mittwoch?«

»Nichts,« erwiderte er; »eine Wette, die einer meiner Freunde verloren hat.«

An jedem anderen Ort hätte er ihr ohne Zögern gestanden, daß er am Mittwoch mit einer Dame soupirt habe, der er auf dem Boulevard begegnet war. Doch seitdem er den Fuß in dieses Gemach gesetzt, behandelte er sie instinktiv als eine Frau, der man gefallen und deren Eifersucht geschont werden müsse. Sie fragte nicht weiter, sondern lehnte sich zum Fenster hinaus und er that ein Gleiches. Hinter ihnen kam und ging Charles herein und hinaus, leise mit dem Geschirr und Silberzeug klappernd.

Es war noch nicht Mitternacht. Unten, auf dem Boulevard bewegte sich Paris, den warmen Tag möglichst lange genießend, ehe es zu Bett zu gehen sich entschloß. Die Baumreihen bezeichneten in unregelmäßiger Linie das weiße Trottoir und den schwarzen Fahrweg, auf welchem die blitzenden Wagenlaternen rasch dahinglitten. Zu beiden Seiten dieses dunklen Bandes befanden sich die Kioske der Zeitungsverkäufer, in ihrem flimmernden Glanze venetianischen Laternen vergleichbar, die man behufs irgend einer großartigen Illumination in regelmäßigen Zwischenräumen zur Erde gesetzt hatte. Zu dieser Stunde verschwand der gedämpfte Schein derselben vor den blendenden Lichtstrahlen der benachbarten Schaufenster. Kein einziger Laden war geschlossen; die Trottoirs zogen sich in hellem Lichte ohne jeden Schatten dahin und schienen wie von einem goldenen Regen bedeckt. Maxime zeigte Renée das ihnen gegenüberliegende Café Anglais, dessen Fenster hell erleuchtet waren. Die hohen Baumzweige behinderten ein wenig den freien Ausblick und ließen die Häuser und das Trottoir der anderen Seite nicht ganz klar unterscheiden, so daß sie erst hinüberblicken konnten, wenn sie sich ein wenig vorneigten. Dort herrschte ein ewiges Kommen und Gehen. Gruppenweise schritten die Spaziergänger vorüber; die Dämchen wandelten paarweise einher und zogen ihre Kleider nach sich, die sie mit lässiger Geberde von Zeit zu Zeit emporhoben, wobei sie lächelnd und müde um sich blickten. Unter ihrem Fenster befanden sich die kleinen runden Tische des Café Riche selbst, von einer Menge Gasflammen beleuchtet, deren Licht sich bis in die Mitte der Straße erstreckte und die bleichen, lächelnden Gesichter der Passanten ausnehmen ließ. Ringsum an den Tischen saßen Männer und Frauen, trinkend, lesend, plaudernd. Letztere trugen helle Kleider und hatten das Haar in den Nacken hängen; sie wiegten sich mit ihren Stühlen und sprachen laut unter einander, doch konnte man des lärmenden Wagengerassels wegen ihre Worte nicht vernehmen. Renée fiel insbesondere eine Dame auf, die ganz allein an einem Tische saß, ein dunkelblaues Kleid trug, welches mit weißen Spitzen geputzt war. Halb in ihrem Stuhl zurückgelehnt, trank sie in kleinen Zügen ein Glas Bier, wobei sie die Hände auf dem Bauch liegen hatte und mit dem Ausdrucke resignirter Erwartung vor sich hinblickte. Die lustwandelnden Damen verloren sich allmälig unter der Menge und die junge Frau, deren Interesse sie erregt hatten, folgte ihnen mit den Augen von einem Ende des Boulevards zum anderen, inmitten des verwirrenden Getriebes der Straße, welche von der schwarzen Masse der Spaziergänger angefüllt war, so daß selbst die hellen Gasflammen blos dürftigen Funken glichen. Und dieses Defilé erneuerte sich ohne Unterlaß, mit einer ermüdenden Gleichmäßigkeit, – eine sonderbar gemischte Welt, die sich stets gleich blieb, inmitten der lebhaften Farben, der gähnenden Schatten und des feenhaften Glanzes dieser tausend tanzenden Flammen, die wie eine Fluth aus den Kaufläden hervorkamen, die transparenten Ankündigungen der Fenster und Kioske in ein farbiges Licht tauchend, über die Façaden der Häuser in der Form von Stäben, Buchstaben, flammenden Zeichnungen dahineilend, Sterne in das Dunkel streuend, unaufhörlich über den Fahrweg dahin gleitend. Der betäubende Lärm, der empordrang, hatte etwas Einförmiges, Langgezogenes, gleich den begleitenden Tönen einer Dreh-Orgel bei dem endlosen Rundgang kleiner mechanisch beweglicher Puppen. Einen Augenblick glaubte Renée, ein Unfall sei geschehen. Eine Menge Menschen strömte nach links, ein wenig über die Passage de l'Opera hinaus. Als sie aber ihren Stecher zu Hilfe nahm, erkannte sie, daß ein Omnibusstandplatz die Bewegung hervorrufe. Auf dem Trottoir stand eine Menge Leute wartend da, die vordrängten, so oft ein Wagen anlangte. Sie vernahm die rauhe Stimme des Schaffners, der die Nummern aufrief; dann tönte das Läuten des Zählapparates hell an ihr Ohr. Sie sah die Anschlagzettel eines Kiosks, welche mit den buntesten Farben bemalt waren: in einem gelb-grünen Rahmen sah man den grinsenden Kopf eines Teufels mit gesträubtem Haar, – die Reklame eines Hutfabrikanten, welche sie nicht verstand. Von fünf zu fünf Minuten rollte der Omnibus von Batignolles vorüber, mit seinen rothen Laternen und seinem gelben Kasten, der um die Ecke der Rue le Peletier bog, wobei alle seine Fensterscheiben klirrten, und sie sah die bleichen Gesichter der auf dem Verdeck sitzenden Männer sich emporrichten und Maxime und sie mit dem gierigen Blicke von Hungerleidern, die zum Schlüsselloch hereinspähen, mustern.

»Ah!« bemerkte sie; »im Monceau-Park herrscht jetzt bereits tiefe Ruhe!«

Dies war Alles, was sie sprach. Etwa zwanzig Minuten blieben sie am Fenster, sich dem berauschenden Eindruck des rastlosen Treibens und blendenden Lichtes überlassend. Als dann aufgetragen worden, setzten sie sich zu Tische und da die Gegenwart des Kellners ihr lästig zu sein schien, so schickte ihn Maxime hinaus.

»Lassen Sie uns ... Zum Nachtisch werde ich Ihnen klingeln.«

Auf den Wangen hatte sie kleine rothe Flecke und ihre Augen glänzten, als wäre sie gelaufen. Es schien, als brächte sie vom Fenster Einiges von dem lebhaften Getriebe des Boulevards mit sich; – sie wollte nicht, daß ihr Gefärthe die Fensterflügel schließe.

»Das ist unser Orchester,« erwiderte sie ihm, als er sich über den Lärm beklagte. »Du findest nicht, daß dies eine ergötzliche Musik ist? Dieselbe wird eine treffliche Begleitung zu unseren Austern und unserem Rebhuhn abgeben.«

Ihre dreißig Jahre verjüngten sich bei diesem Abenteuer. Sie bewegte sich hastig; sie schien fieberhaft erregt und dieses Kabinet, dieses Alleinsein mit einem jungen Manne regten sie an, gaben ihr das Aussehen eines Mädchens. Entschlossen machte sie sich an die Austern. Maxime selbst hatte keinen Hunger und sah lächelnd zu, wie sie mit gutem Appetit speiste.

»Alle Wetter!« bemerkte er. »Du hättest eine treffliche Soupeuse abgegeben.«

Aergerlich darüber, daß sie so rasch aß, hielt sie inne.

»Du findest, daß ich Hunger habe? Was soll ich thun? Dieser einfältige Ball hat mich hungrig gemacht... Ach, mein armer Freund, ich bedaure Dich, da Du in diesen Kreisen lebst.«

»Du weißt,« erwiderte er, »daß ich Dir versprochen habe, von Sylvia und Laura d'Aurigny abzulassen, sobald Deine Freundinen einwilligen, mit mir zum Souper zu gehen«

Sie machte eine köstliche Geberde.

»Das will ich gerne glauben! ... Wir sind etwas amüsanter als diese Damen, gestehe es... Wenn Eine von uns einen Liebhaber derart langweilen würde, wie Deine Sylvia und Deine Laura b'Aurigny Euch langweilen, würde die arme kleine Frau ihres Liebhabers keinen Augenblick sicher sein! ... Du willst mir aber nie glauben. Versuche es doch einmal.«

Um den Kellner nicht rufen zu müssen, stand Maxime auf, räumte die Austernschalen fort und trug das auf der Konsole bereit stehende Rebhuhn auf. Der Tisch war mit dem Luxus der großen Restaurants gedeckt. Ueber das Damasttafeltuch strich ein allerliebster Hauch der Ausschweifung hin und Renée's feine Hände langten mit einem gewissen Frösteln des Behagens nach Messer, Gabel und Trinkglas. Sie trank ungewässerten weißen Wein, während sie sonst kaum einige Tropfen Rothwein in ihr Wasser gab. Die Serviette über den Arm gelegt, bediente Maxime sie mit komischer Zuvorkommenheit und sagte:

»Was mochte Dir Herr von Saffré wohl gesagt haben, daß Du so zornig wurdest? Sagte er vielleicht, daß Du häßlich seiest?«

»Ach, Der!« gab sie zur Antwort; »er ist ein scheußlicher Mensch. Niemals hätte ich gedacht, daß ein gebildeter Mann, der sich in meinem Hause so tadellos benimmt, eine derartige Sprache führen könne. Ihm verzeihe ich aber. Mich haben nur die Frauen in Harnisch gebracht. Man hätte sie wirklich für Marktweiber halten können. Da war Eine, die über einen Schmerz in der Hüfte klagte, und es hätte, glaube ich, nicht viel gefehlt, so würde sie ihre Röcke aufgehoben haben, um Jedermann von ihrem Leiden zu überzeugen.«

Maxime lachte herzlich.

»Nein, wahrhaftig,« fuhr sie sich ereifernd fort; »ich verstehe Euch nicht, denn Alle sind sie blöd und unfläthig... Und da war ich so kurzsichtig zu meinen, so oft ich Dich zu Deiner Sylvia gehen sah, es würde antike Festlichkeiten geben wie man solche auf Gemälden dargestellt sieht, Weiber mit Rosen bekränzt, goldene Becher, ungewöhnliche Genüsse... Ach, ja! Du zeigtest mir ein unsauberes Ankleidekabinet und Frauenzimmer, die wie Lastträger fluchten. Da verlohnt es sich doch wahrlich der Mühe, schlecht zu sein.«

Er wollte widersprechen, sie aber gebot ihm Schweigen und einen Knochen des Rebhuhns, welchen sie sorgfältig abnagte, zierlich zwischen den Fingern haltend, fügte sie leiseren Tones hinzu:

»Das Schlechte, mein Lieber, müßte etwas Köstliches sein... Wenn ich, die ich eine rechtschaffene Frau bin, Langeweile habe und das Verbrechen begehe, unmögliche Dinge zu träumen, so bin ich sicher, bedeutend hübschere Dinge zu ersinnen, als die Blanche Müller mit all' ihren Genossinen.«

Und mit ernster Miene schloß sie mit dem naiv-cynischen Worte:

»Das ist Sache der Erziehung, weißt Du?«

Damit legte sie den kleinen Knochen in ihren Teller. Das dumpfe Rollen der Wagen dauerte fort, ohne daß ein lauterer Ton vernehmbar geworden wäre. Sie war genöthigt, die Stimme zu erheben, um sich verständlich zu machen und die Röthe ihrer Wangen nahm zu. Auf der Konsole befanden sich noch Trüffeln, eine süße Speise und Spargel, eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Er brachte Alles auf einmal herbei, um sich weiterhin nicht mehr bemühen zu müssen und da der Tisch etwas schmal war, so stellte er zwischen sie und sich einen mit Eis gefüllten silbernen Kübel, in welchem sich eine Flasche Champagner befand, auf die Erde. Der Appetit regte sich schließlich auch bei ihm. Sie genossen von jeder Schüssel, leerten unter zunehmender Heiterkeit die Champagnerflasche, ergingen sich in schlüpfrigen Theorien und stützten sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, gleich zwei Freunden, die es sich nach dem Essen bequem machen. Das Geräusch auf den Boulevards verminderte sich allmälig; Renée aber schien es, als vergrößere sich dasselbe und mitunter hatte sie ein Gefühl, als rollten alle Wagenräder durch ihren Kopf.

Als er bemerkte, er wolle klingeln, damit man das Dessert bringe, stand sie auf, schüttelte ihre lange Satinblouse, um die Brodkrümchen zu entfernen und sagte:

»Du kannst Dir nun eine Zigarre anzünden.«

Sie war ein wenig betäubt. Ein Geräusch, dessen Natur sie sich nicht zu erklären vermochte, lockte sie an's Fenster. Man schloß die Verkaufsläden.

»Sieh,« sagte sie, sich zu Maxime zurückwendend; »unser Orchester bricht auf.«

Damit neigte sie sich wieder hinaus. In der Mitte der Straße kreuzten die Fiaker und Omnibusse noch immer ihre buntfarbenen Laternen, jetzt aber schon rascher und nicht so zahlreich. Auf den Seiten, die Trottoirs entlang gewahrte man große, dunkle Schatten, – sie bezeichneten die geschlossenen Verkaufsläden. Nur die Kaffeehäuser lagen noch in strahlendem Glanze da und warfen leuchtende Flächen auf das Asphalt. Von der Rue Drouot bis zur Rue du Helder erblickte Renée eine lange Reihe heller und dunkler Vierecke, in welchen sich die letzten Spaziergänger aufhielten. Die Dirnen, die mit ihren langen Kleidern bald hell erleuchtet waren, bald in tiefem Schatten versanken, glichen Geister-Erscheinungen, bleichen Marionetten, die momentan von dem elektrischen Licht einer Feerie bestrahlt wurden. Eine kurze Weile bereitete ihr dieses Spiel Vergnügen. Das von allen Seiten erstrahlende Licht war bedeutend zusammengeschmolzen; die Gasflammen erloschen, die buntscheckigen Zeitungkioske bildeten noch dunklere Massen in dem Nachtschatten. Zuweilen ging noch eine größere Gruppe, aus einem Theater kommend, vorüber. Doch bald machte die Nacht ihre Rechte geltend und nun erschienen unter dem Fenster kleine Gruppen aus zwei oder drei Männern bestehend, welchen sich sofort eine weibliche Gestalt anschloß, worauf sich eine kleine Discussion entwickelte. In dem verhallenden Geräusch drangen einzelne Worte an Renée's Ohr; dann entfernte sich die Frau zumeist am Arme eines der Männer. Andere Mädchen zogen von einem Kaffeehause zum anderen, machten die Runde um die Tische, steckten den auf denselben vergessenen Zucker ein, scherzten mit den Kellnern und blickten fest, mit fragendem Ausdruck und schweigendem Angebot die verspäteten Gäste an. Als Renée mit den Augen dem fast leeren Verdeck eines Batignoller Omnibus folgte, erkannte sie an der Ecke des Trottoirs die Frau im dunkelblauen Kleide mit weißen Spitzen, wie sie noch immer suchend und erwartungsvoll um sich blickte.

Als Maxime gleichfalls an's Fenster trat, lächelte er bei dem Anblick eines halb offenstehenden Fensterflügels im Café Anglais. Der Gedanke, daß sein Vater in lustiger Gesellschaft dort verweile, erschien ihm zu drollig; doch ward er an diesem Abend von einer gewissen Befangenheit beherrscht, die ihn hinderte, seine gewohnten Scherze zu treiben. Renée that es leid, als sie das Fenster verlassen mußte. Eine gewisse Trunkenheit, eine Art Mattigkeit drang vom Boulevard zu ihr empor. In dem schwächer werdenden Wagenrollen, in dem Verschwinden der lebhaften Beleuchtung lag etwas, das verlockend zur Wollust und zum Schlafe einlud. Das leise Geflüster, welches sich vernehmbar machte, die in einer dunkeln Ecke sich ansammelnden Gruppen gestalteten das Trottoir zu dem Korridor einer großen Herberge, wo sich die Reisenden gerade zu Bett legten. Immer mehr verstummte das Geräusch, immer mehr erloschen die Lichter, die Stadt versank in Schlummer und ein Hauch wie von zärtlichen Umarmungen glitt über die Dächer hinweg.

Als sich die junge Frau zurückwandte, zwang sie das Licht des kleinen Kronleuchters die Augen zu schließen. Sie war ein wenig bleich und ihre Mundwinkel zuckten leise. Charles trug das Dessert auf; er ging hinaus, kam wieder zurück, öffnete und schloß die Thüren leise, mit dem Phlegma eines Mannes, der da weiß, was sich schickt.

»Ich habe gar keinen Hunger mehr,« rief Renée aus, »räumen Sie alle diese Teller weg und bringen Sie uns den Kaffee.«

Der an die Launen seiner Gäste gewöhnte Ganymed entfernte das Dessert und trug den Kaffee auf. Der kleine Raum konnte seine Wichtigkeit kaum fassen.

»Ich bitte Dich, setze ihn vor die Thür,« wandte sich die junge Frau zu Maxime, da sie etwas wie Uebelkeit empfand.

Maxime schickte ihn hinaus; doch kaum war er verschwunden, als er abermals erschien, um mit diskreter Miene die großen Fensterläden zu verschließen. Als er endlich gegangen war, stand der junge Mann, der gleichfalls ungeduldig geworden, auf, und indem er zur Thür schritt, sagte er:

»Warte; ich habe ein Mittel, um sein Wiederkommen zu verhindern.

Und damit stieß er den Riegel vor.

»So,« bemerkte Renée, »jetzt sind wir wenigstens allein.«

Ihr Geplauder und ihre Vertraulichkeiten begannen von Neuem. Maxime hatte eine Zigarre angezündet, während Renée ihren Kaffee in kleinen Zügen trank und sich sogar zu einem Gläschen Chartreuse verstieg. Die Temperatur des kleinen Gemaches stieg höher und bläulicher Rauch begann sich in demselben auszubreiten. Renée setzte schließlich die beiden Ellenbogen auf den Tisch und stützte das Kinn zwischen die zwei halbgeschlossenen Fäuste. Durch den leichten Druck erschien ihr Mund kleiner, ihre Wangen wurden ein wenig in die Höhe gedrückt und die etwas zusammengekniffenen Augen funkelten noch mehr. Solcherart verschoben, war ihr kleines Gesichtchen reizend anzusehen mit den dichten, goldigen Löckchen, die ihr jetzt bis zu den Augenbrauen reichten. Maxime betrachtete sie durch den Rauch seiner Zigarre hindurch. Sie dünkte ihm originell. Zuweilen war er für einige Sekunden ihres Geschlechts nicht sicher; die große Falte, die ihre Stirne durchquerte, der schmollende Ausdruck der vorgeschobenen Lippen, ihre unentschiedene Miene, deren Grund in ihrer Kurzsichtigkeit lag, ließen sie als einen großen jungen Mann erscheinen, zumal ihre lange Blouse aus schwarzem Satin ihr so hoch unter das Kinn reichte, daß man kaum einen Streifen des weißen vollen Halses sehen konnte. Und sie ließ sich ansehen, lächelnd, ohne den Kopf abzuwenden, wobei ihr Blick in's Leere zu schweifen und ihr das Sprechen immer schwerer zu fallen schien.

Dann fuhr sie plötzlich empor und erhob sich, um den Spiegel zu betrachten, zu welchem ihre Augen seit einem Moment unentschlossen hinüberschweiften. Sie stellte sich auf die Fußspitzen und stützte sich mit den Händen auf den Rand des Kamins, um diese Unterschriften und gewagten Bemerkungen zu lesen, welche sie vor dem Souper erschreckt hatten. Sie sprach die einzelnen Silben mit einiger Schwierigkeit aus, lachte und las weiter gleich einem Schüler, der unter dem Pulte in einem verbotenen Buche blättert.

»Ernst und Klara«, las sie; »und ein Herz darunter, welches einem Trichter gleicht ... Ah, das ist hier besser: »Ich liebe die Männer, weil ich die Trüffeln liebe.« Unterschrieben, Laura«. Sag' 'mal Maxime, hat die Aurigny dies geschrieben? ... Dann sieh hier, das Wappen dieser Damen; ich denke, es soll eine Henne vorstellen, die eine Pfeife raucht ... Und nichts als Namen, ein ganzer Kalender: Viktor, Amalie, Alexander, Eduard, Margarethe, Paquita, Luise, Renée ... Ah, Eine, die so heißt wie ich ...«

Maxime sah ihren glühenden Kopf im Spiegel. Jetzt reckte sie sich noch mehr empor und ihr Domino, der dadurch rückwärts ganz angespannt wurde, beschrieb scharf die Krümmung ihrer Taille, die Wölbung der kräftig entwickelten Hüften. Der junge Mann folgte der Linie, welche der straff wie ein Hemd anliegende Satin zeichnete. Auch er stand auf und warf seine Zigarre weg. Er fühlte sich unbehaglich, unruhig. Etwas, woran er gewöhnt war, was er niemals vermißte, fehlte ihm heute.

»Und hier ist sogar Dein Name, Maxime,« rief Renée aus. »Höre einmal ... »Ich liebe« ...«

Er aber hatte sich auf den Rand des Divans niedergelassen, so daß er fast zu den Füßen der jungen Frau zu sitzen kam. Mit einer plötzlichen Bewegung gelang es ihm, ihre Hände zu erfassen; dadurch zog er sie fort von dem Spiegel, wobei er mit sonderbar klingender Stimme sagte:

»Ich bitte Dich, lies das nicht!«

Sie wehrte sich und lachte dabei nervös.

»Weshalb denn nicht? Bin ich nicht Deine Vertraute?«

Er aber ließ sie nicht los, sondern sagte erstickten Tones:

»Nein, nein, heute Abend nicht.«

Er hielt noch immer ihre Hände fest und sie zerrte schwach an den Gelenken, um sich zu befreien. Beider Augen hatten einen Ausdruck, den sie noch niemals gesehen; ihre Lippen lächelten gezwungen und ein wenig beschämt. Sie sank in die Kniee am Rande des Divans; dabei fuhren sie fort, mit einander zu ringen, obschon Renée keine Bewegung mehr nach dem Spiegel machte und sich bereits zu ergeben begann. Und als der junge Mann den Arm um ihren Leib schlang, sagte sie mit ihrem verlegenen und halb erlöschendem Lächeln:

»Laß mich ... Du thust mir weh.«

Doch murmelten nur mehr ihre Lippen diese Worte. In der tiefen Stille des Kabinets, welches von den Flammen des Kronleuchters hell erleuchtet wurde, fühlte sie den Boden unter sich erzittern und vernahm sie das Gerassel des Batignoller Omnibus, der um die Ecke des Boulevards biegen mußte. Und die Sache wurde vollbracht. Als sie dann wieder neben einander auf dem Divan saßen, stotterte er inmitten des Unbehagens, welches sich Beider bemächtigt hatte:

»Bah! früher oder später mußte es geschehen,«

Sie sagte kein Wort, sondern betrachtete gleichsam niedergeschmettert das Rosen-Muster des Teppichs.

»Hattest Du daran gedacht? fuhr Maxime noch immer stotternd fort. »Ich gewiß nicht... Doch hätte ich gegen dieses Kabinet Mißtrauen haben sollen ...«

Und nun sprach sie mit tiefer Stimme, als hätte dieser Fehltritt die ganze spießbürgerliche Ehrsamkeit der Familie Béraud du Châtel in ihr erweckt:

»Was wir da gethan, ist niederträchtig!« Sie war vollkommen ernüchtert, ihr Gesicht schien mit einem Male gealtert und hatte einen ernsten Ausdruck.

Der Athem versagte ihr. Sie schritt zum Fenster, schlug die Läden zurück und lehnte sich hinaus. Das Orchester war verstummt, der Fehltritt unter den letzten Tönen des Basses und bei dem entfernten Singen der Violinen begangen worden, die als gedämpfte Schallwellen von dem schlafenden und von Liebe träumenden Boulevard heraufdrangen. Unten dehnte sich die Straße schweigend, inmitten der grauen Einsamkeit aus. Die dumpf rollenden Räder der Fiaker waren verschwunden und hatten Licht und Leute mit sich genommen. Unter dem Fenster war es auch schon ganz dunkel; das Café Riche war ebenfalls geschlossen worden und kein Lichtstrahl drang durch die eisernen Läden. Auf der anderen Seite der Avenue beleuchteten nur mehr vereinzelte Lichter die Façade des Café Anglais, unter anderem ein halb geöffneter Fensterflügel, aus welchem unterdrücktes Lachen vernehmbar wurde. Und längs dieses großen Schattenreiches, von der Ecke der Rue Drouot bis zum anderen Ende, so weit ihr Auge reichte, sah sie nichts weiter als die symmetrischen Flecken der Kioske, welche mit je einem Flämmchen versehen, die Nacht nicht zu erhellen vermochten und an Nachtlampen erinnerten, die in einem großen Schlafgemach aufgestellt waren. Renée hob den Kopf empor. Die Bäume streckten ihre Arme zu dem hellen klaren Himmel empor, während die unregelmäßige Linie der Häuser sich gleich einer zerrissenen Felskante am Rande eines bläulich schimmernden Meeresspiegels in's Unabsehbare zu verlieren schien. Dieser heitere Himmel stimmte sie aber noch trauriger und nur der in Dunkelheit gehüllte Boulevard bot ihr einigen Trost. Was der Lärm und das Laster des Abends daselbst zurückgelassen, entschuldigte sie. Sie meinte die Wärme all' der Männer und Frauen zu verspüren, die über dieses Trottoir geschritten, welches bereits zu erkalten begonnen. Die Schande, die sich hier geoffenbart, die Begierden einer Minute, die mit leiser Stimme gemachten Anerbietungen und die im Vorhinein bezahlten Vergnügungen einer Nacht, – all' Dies löste sich in eine schwere Dunstwolke auf, welche der Morgenwind vor sich einhertrieb. In die Dunkelheit hinausgeneigt, athmete sie diese erschauernde Stille, diesen Alkovenduft ein, gleich einer Ermuthigung, welche ihr von unten wurde, gleich einer Versicherung, daß die von ihr empfundene Schmach von einer ganzen Stadt getheilt werde. Und als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gewahrte sie die Frau in dunklem Kleide mit weißen Spitzen, die allein inmitten der grauen Einsamkeit, noch immer an derselben Stelle stand und sich den leeren Schatten anbot.

Als sich die junge Frau in das Zimmer zurückwendete, erblickte sie Charles, der schnüffelnd umherblickte. Endlich entdeckte er das blaue Band Renée's, welches ganz zerdrückt, in einer Ecke des Diwans vergessen worden. Er beeilte sich, ihr dasselbe mit seiner höflichen Miene zu überreichen. Dies brachte ihre Schmach ihr voll zum Bewußtsein. Vor dem Spiegel stehend, versuchte sie mit ungeschickten Händen das Band neuerdings um ihren Kopf zu schlingen. Der Knoten, in welchen ihre Haare gewunden waren, hatte sich losgelöst, die kleinen Löckchen waren an den Schläfen ganz platt gedrückt und sie vermochte den Knoten nicht zu erneuern. Da kam ihr Charles zu Hilfe, indem er gleichmüthigen Tones, als würde er ihr etwas Selbstverständliches, eine Mundschale oder einen Zahnstocher anbieten, fragte:

»Wünschen Sie den Kamm, Madame?«

»Ach was, unnöthig,« sagte Maxime mit einem Blick ade Ungeduld. »Holen Sie uns einen Wagen.«

Renée entschloß sich, blos die Kapuze ihres Dominos herunterzuziehen. Und als sie vom Spiegel hinwegtrat, reckte sie sich ein wenig, um die Worte zu lesen, welche die hastige Umarmung Maxime's sie nicht hatte lesen lassen. In steil zum Plafond emporsteigenden, plumpen Buchstaben las sie die mit Sylvia unterzeichneten Worte: »Ich liebe Maxime«. Sie spitzte die Lippen und zog die Kapuze noch tiefer in die Augen.

Im Wagen empfanden Beide eine fürchterliche Verlegenheit. Sie saßen einander gegenüber, ebenso wie sie gesessen, als sie den Monceau-Park verließen. Sie fanden kein Wort einander zu sagen. Im Inneren des Fiakers herrschte dichte Finsterniß, in welcher jetzt selbst der glühende rothe Punkt der Zigarre Maxime's fehlte. Der junge Mann, neuerdings von den Röcken verdeckt, die »ihm fast die Augen ausstachen,« litt sehr unter dieser Dunkelheit, unter diesem Stillschweigen, in der Nähe dieser stummen Frau, die er an seiner Seite wußte und deren Augen er weit geöffnet in die Nacht hinausstarren zu sehen wähnte. Um sich den Anschein größerer Unbefangenheit zu geben, suchte er endlich nach ihrer Hand und erst als er dieselbe in der seinigen hielt, erschien ihm die Lage erträglicher. Diese Hand überließ sich ihm, weich und träumerisch.

Der Wagen rollte über den Madeleine-Platz. Renée sagte sich, daß sie nicht schuldig sei. Sie hatte die Blutschande nicht gewollt. Und je länger sie nachdachte, je klarer ward es ihr, daß sie unschuldig gewesen, während der ersten Stunden ihres Abenteuers, auf ihrem fluchtähnlichen Gang durch den Park Monceau, bei Blanche Müller ebenso, wie auf dem Boulevard und in dem Sonderkabinet des Restaurants. Wozu war sie aber nur am Rande dieses Divans in die Kniee gesunken? Sie wußte es selbst nicht mehr. Sie hatte doch nicht einen Augenblick an jene Sache gedacht und hätte sich sogar von Zorn erfüllt zur Wehre gesetzt. Das Ganze war bis dahin so lustig gewesen, sie hatte sich amüsiert und hatte gelacht, weiter nichts. Und während der Wagen dahinrollte, vernahm sie wieder das betäubende Geräusch des Boulevards, das ruhelose Kommen und Gehen der Männer und Frauen, während sie Feuerbrände vor den müden Augen zu haben glaubte.

In seiner Ecke lehnend war auch Maxime in unangenehme Gedanken versunken. Er ärgerte sich über das Abenteuer. Er hatte sich von dem schwarzen Satindomino verführen lassen. Wer hatte aber auch schon erlebt, daß sich eine Frau so lächerlich vermumme? Nicht einmal ihr Hals war zu sehen gewesen. Er hatte sie für einen Knaben gehalten, mit ihr gespielt und trug keine Schuld daran, wenn aus dem Spiel Ernst geworden. Gar kein Zweifel, daß er sie nicht mit einem Finger berührt hätte, wenn sie wenigstens eine Schulter entblößt gehabt. Er würde sich erinnert haben, daß sie die Frau seines Vaters sei. Da er aber kein Freund unangenehmer Gedanken war, so verzieh er sich. Er wird Acht haben, daß die Sache sich nicht wiederhole; es wäre doch zu dumm.

Der Wagen hielt an und Maxime stieg zuerst aus, um Renée herauszuhelfen. Vor der kleinen Parkthür aber wagte er sie nicht zu küssen und sie reichten sich nur die Hände wie sonst. Sie befand sich schon jenseits des Gitters, als sie, nur um etwas zu sagen und dadurch ohne es zu wollen, verrathend, daß ein Gedanke sie seit dem Verlassen des Restaurants unablässig beschäftige, fragte:

»Was ist's denn mit dem Kamm, von welchem der Kellner sprach?«

»Ich weiß wirklich nicht, was er damit meinte,« erwiderte Maxime verlegen.

Mit einem Male war Renée die Sache klar. Das Kabinet besaß zweifellos einen Kamm, der zur Einrichtung gehörte, wie die Fenstervorhänge, der Riegel und der breite Divan. Und ohne eine Erklärung abzuwarten, die noch nicht gekommen war, vertiefte sie sich beschleunigten Schrittes in die dunkeln Laubgänge des Monceau-Parkes, meinend, die Zähne aus Schildpatt hinter sich zu sehen, in welchen Sylvia und Laura d'Aurigny ihre blonden und schwarzen Haare zurückgelassen hatten. Sie hatte Fieber. Céleste mußte sie zu Bett bringen und bis zum Morgen bei ihr wachen. Maxime, der auf dem Trottoir des Boulevard Malesherbes zurückgeblieben, dachte einen Moment nach, ob er sich der lustigen Bande im Café Anglais anschließen sollte; dann aber beschloß er, gleichsam um sich zu strafen, zu Bette zu gehen.

Am nächsten Morgen erwachte Renée spät aus einem schweren, traumlosen Schlaf. Sie ließ im Kamin ein großes Feuer anmachen und sagte, sie werde den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbringen. Dies bildete in ernsten Stunden ihre Zufluchtsstätte. Als ihr Gatte sie gegen Mittag nicht zum Frühstück hinabkommen sah, ließ er um die Erlaubniß bitten, sie zu besuchen. Schon wollte sie, von einer leisen Unruhe erfaßt, die Erlaubniß verweigern, als sie sich anders besann. Sie hatte Saccard gestern eine Rechnung von Worms übergeben, die sich auf die etwas hohe Summe von 136 000 Francs belief und sicherlich wollte er sich die Freude nicht versagen, ihr die Quittung persönlich zu überreichen.

Sie erinnerte sich der gestrigen kleinen Löckchen und blickte mechanisch in den Spiegel. Céleste hatte ihr das Haar in breite Zöpfe geflochten. Darauf ließ sie sich vor dem Kaminfeuer nieder, eingehüllt in die Spitzen ihres Morgengewandes. Saccard, dessen Wohnräume sich gleichfalls im ersten Stock befanden und an diejenigen Renée´s stießen, kam in Pantoffeln, in seiner Eigenschaft als Gatte zu ihr. Er betrat kaum einmal im Monat das Zimmer Renée's und auch da immer nur, um eine Geldfrage zu erledigen. An diesem Morgen hatte er die gerötheten Augen, die bleiche Gesichtsfarbe eines Mannes, der eine schlaflose Nacht verbracht hat. Galant zog er die Hand seiner Frau an die Lippen und sich an der anderen Ecke des Kamins niederlassend, sagte er: »Sie sind krank, liebe Freundin? Ein wenig Migräne, nicht wahr? ... Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie mit meinem geschäftlichen Galimathias belästige; doch ist die Angelegenheit ziemlich ernst...«

Damit zog er aus der Tasche seines Schlafrockes die Rechnung Worms, welche Renée an dem eleganten Papier erkannte.

»Ich fand diese Rechnung gestern auf meinem Schreibtische,« fuhr er fort, »und es thut mir wirklich leid, – doch vermag ich sie in diesem Augenblick nicht zu begleichen.«

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, welchen Eindruck diese Worte auf sie machten und da sie auf's Höchste erstaunt schien, hub er mit einem Lächeln von Neuem an:

»Sie wissen, meine liebe Freundin, daß ich nicht die Gewohnheit habe, Ihre Ausgaben zu bekriteln und dennoch muß ich sagen, daß mich einige Punkte dieser Rechnung überrascht haben. Da sehe ich zum Beispiel auf der zweiten Seite: Eine Balltoilette: Zeug dazu, 70 Fr.; Façon, 600 Fr.; Geld geliehen, 5000 Fr.; Waschwasser des Doktor Pierre, 6 Fr. – Ein Kleid zum Preise von siebenzig Francs, das recht hoch zu stehen kommt ... Sie wissen aber, daß ich für alle Schwächen ein Verständniß habe. Ihre Rechnung beträgt hundertsechsunddreißigtausend Francs und Sie waren beinahe sparsam, das heißt im Verhältnisse sparsam ... Nur kann ich, wie gesagt, nicht zahlen, da ich das Geld jetzt ein wenig knapp habe.«

Mit einer Geberde verhaltenen Unmuths streckte sie die Hand aus und sagte trocken:

»Gut denn, geben Sie mir die Rechnung; ich will sehen, was zu thun ist.«

»Ich sehe, daß Sie mir nicht glauben,« murmelte Saccard, der den Unglauben seiner Frau in Bezug auf seine Geldverlegenheit für einen Triumph ansah. »Ich sage nicht, daß meine Situation bedroht sei, nur sind die Geschäfte augenblicklich etwas weniger leicht abzuwickeln ... Gestatten Sie mir, wenn es Ihnen auch ein wenig lästig ist, Ihnen die Sachlage darzustellen; Sie haben mir Ihre Mitgift übergeben und ich bin Ihnen rückhaltslose Offenheit schuldig.«

Er legte die Rechnung auf den Kamin, ergriff die Feuerzange und begann in der Gluth zu stöbern. Diese Manie, in der glühenden Asche umherzuwühlen, während er über Geschäfte sprach, war bei ihm Berechnung, die schließlich zur Gewohnheit wurde. Wenn eine Zahl oder ein Satz kam, der ihm nicht recht über die Lippen wollte, so führte er eine förmliche Zerstörung des Feuerherdes herbei, welche er hernach möglichst gut zu machen suchte, indem er die kleinen Holzsplitter zusammenscharrte und in kleinen Häufchen aufschichtete. Zuweilen schien er in dem Kamin förmlich zu verschwinden, um ein Stück glühender Kohle, welches sich in einen Winkel geflüchtet, hervorzuholen. Seine Stimme klang dumpf und sein Zuhörer verfolgte mit Ungeduld und Interesse die Kegel, die er gewandt aus den glühenden Kohlen aufbaute; man hörte ihm gar nicht mehr zu und gewöhnlich verließ man ihn besiegt und befriedigt. Selbst bei fremden Personen bemächtigte er sich despotisch der Feuerzange und wenn Sommer war, so spielte er mit einer Feder, einem Papiermesser oder einem Federmesser.

»Meine liebe Freundin,« sagte er und führte einen mächtigen Hieb mitten in die Gluth, daß dieselbe auseinander stob; »ich bitte Sie nochmals um Verzeihung dafür, daß ich mich in diese Details einlasse ... Ich habe Ihnen die Zinsen der Beträge, welche Sie mir anvertrauten, gewissenhaft bezahlt und darf ohne Sie zu verletzen, sogar behaupten, daß ich diese Zinsen blos für Ihr Taschengeld betrachtete, da ich auch Ihre sonstigen Bedürfnisse bestritt und niemals Anspruch auf den Beitrag erhob, welchen Sie zu den gemeinschaftlichen Ausgaben des Haushaltes beizustellen hatten.«

Er schwieg. Renée empfand ein peinliches Gefühl, während sie zusah, wie er mit der Zange ein tiefes Loch in die Asche bohrte, um in demselben ein glimmendes Holzstück zu begraben. Er war bei einem zarten Punkt angelangt.

»Ich war, wie Sie einsehen werden, genöthigt, Ihr Geld in einer Weise anzulegen, daß dasselbe bedeutende Zinsen trug. Die Kapitalien befinden sich in guten Händen, – hierüber können Sie ganz beruhigt sein. Was hingegen die Erträgnisse Ihrer Besitzungen in der Sologne anbetrifft, so wurden dieselben theilweise dazu verwendet, das von uns bewohnte Hôtel zu bezahlen; der Rest ist in einem vortrefflichen Unternehmen, der marokkanischen Hafengesellschaft angelegt. ... Wir sind einander keine Rechenschaft schuldig, nicht wahr? Doch will ich Ihnen beweisen, daß die armen Ehemänner mitunter sehr verkannt werden.«

Ein mächtiger Beweggrund mochte ihn veranlassen, weniger zu lügen als sonst. In Wahrheit war Renée`s Mitgift schon seit Langem nicht mehr vorhanden; sie war in dem Kassabuch Saccard`s zu einem fiktiven Werthe geworden. Allerdings bezahlte er für dieselbe zwei- bis dreihundert Perzent; dagegen hätte er keines der ihm übergebenen Werthpapiere vorweisen, keinen Pfennig des ursprünglichen Kapitals ausfolgen können. Wie er es übrigens halb eingestand, hatten die fünfhunderttausend Francs, die für den Verkauf der Besitzungen in der Sologne eingeflossen waren, als Abschlagszahlung auf das Hôtel und die Einrichtung desselben gedient, welche zusammen nahe an zwei Millionen gekostet hatten. Dem Möbelhändler und dem Bau-Unternehmer war er noch eine Million schuldig.

»Ich beanspruche ja nichts von Ihnen,« sagte Renée endlich; »ich weiß, daß ich Ihnen sehr viel schuldig bin.«

»Oh! meine liebe Freundin,« rief er aus und ergriff die Hand seiner Frau, ohne aber die Zange darum loszulassen; »welch' ein häßlicher Gedanke ist das!... Sehen Sie, ich will es kurz machen; ich hatte Unglück an der Börse, Toutin-Laroche hat Dummheiten gemacht und die Herren Mignon und Charrier sind Tölpel, die mich in die Patsche gebracht haben. Und darum kann ich Ihre Rechnung nicht bezahlen. Sie verzeihen mir doch, nicht wahr?«

Er schien in Wahrheit bewegt. Er versenkte die Feuerzange zwischen die Gluth, daß ein Regen von Funken emporstob. Renée erinnerte sich des unruhigen Betragens, welches sie seit einiger Zeit an ihm gewahrte und dennoch vermochte sie die überraschende Wahrheit nicht zu fassen. Saccard versuchte ein alltägliches Kunststück. Er bewohnte ein Hôtel, welches zwei Millionen gekostet hatte, führte die Lebensweise eines Fürsten und hatte sehr oft keine tausend Francs in der Kasse. Seine Ausgaben wurden darum aber nicht vermindert. Er lebte von Schulden, inmitten einer Meute von Gläubigern, die von Tag zu Tag die Summen verschlangen, welche er durch gewisse schändliche Geschäfte erwarb. Während dieser Zeit brachen Unternehmungen zusammen, an welchen er betheiligt war, Abgründe thaten sich vor ihm auf, über die er hinwegspringen mußte, da er dieselben nicht auszufüllen vermochte. So wandelte er auf einem unterhöhlten Boden dahin, in einer unablässigen Krise, bezahlte Rechnungen über fünfzigtausend Francs und blieb seinem Kutscher den Lohn schuldig, trieb einen immer größeren Aufwand und fuhr fort, aus dieser leeren Kasse einen Goldstrom hervorzuzaubern, der über Paris niederging.

Für die Spekulation war damals eine böse Zeit angebrochen. Saccard war ein würdiger Zögling des Stadthauses. Er hatte sich rasch anzubequemen, dem Genuß mit fieberhafter Hast nachzujagen und das Geld blindlings zum Fenster hinauszuwerfen verstanden, wie das damals in Paris an der Tagesordnung war. Gleich der Stadt befand auch er sich momentan angesichts eines Defizits, welches insgeheim gedeckt werden mußte, denn von Zurückhaltung, Sparsamkeit, der ruhigen Existenz eines Spießbürgers wollte er nichts wissen. Er zog es vor, bei dem zwecklosen Luxus und dem wahren Elend dieser neuen Straßenzüge zu bleiben, aus welchen er sein kolossales Vermögen geschöpft, das jeden Morgen sich einfand, um am Abend wieder zu verschwinden. Von Abenteuer zu Abenteuer gleitend, besaß er nichts weiter, als die vergoldete Außenhülle eines nicht vorhandenen Kapitals. Zu dieser Epoche der Spekulationswuth setzte Paris selbst seine Zukunft nicht mit größerer Begeisterung auf's Spiel, schritt es nicht dreister und kühner von einer Dummheit und finanziellen Prellerei zur anderen. Die Abrechnung drohte eine schreckliche zu werden.

Die schönsten Spekulationen wurden in den Händen Saccard's zunichte. Er hatte, wie er selbst berichtete, bedeutende Börsenverluste erlitten. Herr Toutin-Laroche hatte den mißlungenen Versuch gemacht, den Crédit Viticole durch ein Spiel á la hausse in die Höhe zu bringen; doch war die Sache recht kläglich ausgefallen und nur dank der Regierung, die insgeheim sich der Angelegenheit annahm, konnte die Maschine zur Gewährung von hypothekarischen Darlehen für Weingartenbesitzer in Gang erhalten bleiben. Saccard, den dieser doppelte Streich gewaltig erschüttert hatte und den sein Bruder, der Minister hart bedrängte, weil die Delegationsbons der Stadt durch die des Crédit Viticole kompromittirt und der Gefahr des Werthverlustes ausgesetzt waren, war in seinen Spekulationen mit Häusern und Liegenschaften noch unglücklicher. Die Herren Mignon und Charrier hatten sich von ihm gänzlich zurückgezogen. Er klagte sie an, weil er von dumpfem Zorn darüber erfüllt war, daß er einen schweren Mißgriff begangen, als er auf seinen Grundstücken Prachtbauten aufführen ließ, während jene ruhig fortfuhren, ihre Parzellen zu verkaufen. Während jene ein beträchtliches und thatsächlich vorhandenes Vermögen erwarben, blieben ihm seine Häuser auf dem Halse und er vermochte dieselben häufig nur mit Verlust loszuschlagen. Unter Anderem verkaufte er in der Rue de Marignan für dreihunderttausend Francs ein Haus, auf welches er selbst noch dreihundertachtzigtausend Francs schuldig war. Allerdings hatte er einen Kniff nach seiner Art angewendet, welcher darin bestand, daß er zehntausend Francs für eine Wohnung verlangte, die höchstens achttausend Francs werth war; der entsetzte Miether aber unterfertigte den Kontrakt erst, als der Eigenthümer einwilligte, ihm den Aufschlag für die ersten zwei Jahre zu schenken. Die Wohnung war demnach nur nach ihrem tatsächlichen Werthe vermiethet; der Kontrakt aber sprach von jährlichen zehntausend Francs und wenn Saccard endlich einen Käufer fand und das Erträgniß des Hauses kapitalisirte, so gelangte er zu einem fabelhaften Ergebniß. Im Großen konnte er diesen Kniff aber nicht ausführen, da er seine Häuser nicht zu vermiethen vermochte. Er hatte dieselben zu früh erbaut; die Trümmer, welche dieselben umgaben, die Kothmassen, welche sich im Winter daselbst anhäuften, schadeten ihnen beträchtlich. Was ihn aber am empfindlichsten traf, war die derbe Schurkerei der Herren Mignon und Charrier, die ihm das Hôtel abkauften, dessen Bau er auf dem Boulevard Malesherbes unterbrechen mußte. Die Unternehmer waren endlich von der Lust erfaßt worden, auf »ihrem« Boulevard zu wohnen. Als sie die ihnen gehörigen Baustellen zu den möglichst hohen Preisen verkauft hatten und die mißliche Situation witterten, in die ihr ehemaliger Verbündeter gerathen, machten sie sich erbötig, ihm den Grund abzukaufen, auf welchem sich das bis zum ersten Stock gediehene Hotel befand, dessen Eisenträger theilweise auch schon angebracht waren. Die Schlauköpfe aber behandelten den solid ausgeführten Unterbau als werthlose Gipsmasse und sagten sogar, ihnen wäre der nackte Boden lieber gewesen, um daselbst nach eigenem Geschmack bauen zu können. Und Saccard mußte verkaufen, ohne für die bereits verausgabten hundert und etliche tausend Francs irgend welchen Ersatz zu erhalten. Was ihn aber noch mehr erbitterte, war, daß diese Unternehmer den Grund nicht zu dem bei der Theilung festgesetzten Preise von zweihundertfünfzig Francs für den Quadratmeter zurückkaufen wollten, sondern bei jedem Meter fünfundzwanzig Francs abdrückten. Und zwei Tage später mußte Saccard zu seinem größten Schmerze sehen, daß eine Armee von Arbeitern die Gerüste des unterbrochenen Baues überschwemmte, um auf der »werthlosen Gipsmasse« lustig weiterzubauen.

Er stellte sich seiner Frau als der in Geldnöthen steckende Finanzmann daher mit umso größerem Geschick dar, als sich seine Geschäfte immer mehr verwirrten. Er war nicht der Mann dazu, um nur der Wahrheit zu Liebe wahr zu sprechen.

»Wenn Sie sich in Verlegenheit befinden,« sprach Renée zweifelnden Tones, »wozu haben Sie mir dann dieses Halsband und Diadem gekauft, welches Ihnen wie ich glaube, auf fünfundsechszigtausend Francs zu stehen kam? ... Ich habe keine Verwendung für diesen Schmuck und möchte Sie daher um die Erlaubniß bitten, mich desselben zu entledigen, um Worms eine Anzahlung leisten zu können.«

»Thun Sie das ja nicht!« rief er beunruhigt aus. »Wenn man morgen auf dem Ball des Ministers diese Schmucksachen nicht an Ihnen sehen würde, so gäbe es allerlei Geschwätz über meine Situation ...«

Er war heute besonders umgänglich und indem er mit den Augen zwinkerte, fügte er leiser und mit einem Lächeln hinzu:

»Wir Spekulanten, meine liebe Freundin, gleichen schönen Frauen, – wir haben unsere Kunstgriffe... Behalten Sie, bitte, mir zu Liebe Ihr Diadem und Ihr Halsband.«

Er konnte doch nicht die Geschichte erzählen, die allerdings sehr niedlich, aber nicht salonfähig war. Nach einem gemeinsam eingenommenen Souper hatten Saccard und Laura d'Aurigny ein Uebereinkommen getroffen. Laura war tief verschuldet und wünschte nichts sehnlicher, als einen gutmüthigen jungen Mann zu finden, der sie entführen und nach London bringen wollte. Saccard fühlte den Boden unter sich wanken; seine erschöpfte Phantasie suchte nach einem Mittel, um der Welt zu zeigen, daß er sich nach wie vor in Gold und Silber wälze. Halb trunken beim Dessert sitzend, verständigten sich die Dirne und der Spekulant trefflich mit einander. Er erfand den Ausweg dieses Diamantenverkaufes, welcher die Runde durch ganz Paris machte und bei welchem er unter allgemeinem Aufsehen die Schmuckstücke für seine Frau erstand. Dieser Verkauf ergab eine Summe von ungefähr vierhunderttausend Francs, mit welchen er die Gläubiger Laura's befriedigte, denen sie annähernd das Zweifache dieses Betrages schuldig war. Es ist sogar anzunehmen, daß er bei dieser Manipulation einen Theil seiner fünfundsechzigtausend Francs zurückerhielt. Als man nun sah, daß er die finanzielle Lage der Aurigny glättete, galt er sofort für deren Liebhaber; man glaubte, er bezahle ihre gesammten Schulden und begehe Thorheiten für sie. Alle Hände streckten sich ihm nun entgegen und er erfreute sich eines unbeschränkten Kredits. An der Börse neckte man ihn mit seiner neuen Liebe; man lächelte, machte Anspielungen und dies entzückte ihn. Während dieser Zeit gab sich Laura d'Aurigny, die durch den Lärm allgemeines Aufsehen erregt hatte und bei der er nicht eine einzige Nacht verbrachte, den Anschein, als betröge sie ihn mit acht oder zehn Dummköpfen, die erpicht darauf waren, sie einem so kolossal reichen Manne abwendig zu machen. Innerhalb eines Monats besaß sie zwei Wohnungseinrichtungen und mehr Diamanten, als sie verkauft hatte. Saccard hatte die Gewohnheit angenommen, am Nachmittag, nach dem Schluß der Börse, eine Zigarre bei ihr zu rauchen und gar häufig erblickte er die Zipfel von Ueberröcken, die erschrocken hinter die Thür flüchteten. Allein geblieben, mußten sie lächeln, wenn sie einander anblickten. Er küßte sie auf die Stirne gleich einem ungerathenen Töchterchen, dessen Schelmerei ihm Vergnügen bereitet. Sie erhielt keinen Sou von ihm; ja, einmal lieh sie ihm sogar Geld, damit er eine Spielschuld begleichen könne.

Renée wollte nicht nachgeben und sprach davon, das Geschmeide wenigstens zu verpfänden; ihr Gatte machte ihr aber begreiflich, daß dies nicht möglich sei und ganz Paris morgen die Schmuckgegenstände an ihr sehen wolle. Da die Schneiderrechnung der jungen Frau aber Sorgen bereitete, suchte sie nach einem anderen Mittel.

»Aber das Unternehmen in Charonne geht ja gut!« rief sie mit einem Male aus. »Neulich sagten Sie mir ja erst, daß die Erträgnisse vorzügliche seien... Vielleicht würde mir Larsonneau diese 136 000 Francs vorstrecken?«

Seit einigen Minuten lehnte die Zange unthätig zwischen den Beinen Saccard's. Jetzt erfaßte er dieselbe wieder hastig, bückte sich und verschwand beinahe in dem Kamin, von wo Renée seine Stimme dumpf herausdringen hörte:

»Ja, ja, Larsonneau könnte vielleicht ...«

Endlich gelangte sie aus eigenem Antrieb zu dem Punkte, zu welchem er sie seit Beginn der Unterhaltung unmerklich geleitet. Seit zwei Jahren bereitete er seinen Geniestreich in Bezug auf die Besitzungen in Charonne vor. Stets hatte sich seine Frau geweigert, die Güter der Tante Elisabeth zu veräußern; sie hatte der Letzteren gelobt, dieselben unangetastet zu bewahren, um sie ihrem Kinde vermachen zu können, wenn sie Mutter werden sollte. Angesichts dieser Hartnäckigkeit war die Erfindungskraft des Spekulanten unablässig thätig und endlich hatte er ein ganzes Gedicht ersonnen. Es war das ein Werk der höchsten Schurkerei, ein kolossaler Betrug, dem die Stadt, der Staat, seine Frau und Larsonneau zum Opfer fallen sollten. Er sprach nicht mehr davon, die Grundstücke zu verkaufen; nur beklagte er täglich, wie unverantwortlich, wie lächerlich es sei, dieselben nicht zu fruktifiziren und sich mit einem Erträgniß von zwei Perzent zu begnügen. Renée, die stets in Geldnöthen war, willigte endlich ein, die Besitzungen zum Gegenstande einer Spekulation zu machen. Seine Operation basirte er auf die Gewißheit einer bevorstehenden Expropriation behufs Anlegung des Boulevard du Prince-Eugène, dessen Richtung noch nicht endgiltig bestimmt worden. Und nun führte er seinen ehemaligen Genossen Larsonneau als seinen Geschäftstheilhaber in's Treffen, der mit seiner Frau den folgenden Plan vereinbarte: sie gibt die einen Werth von 500 000 Francs repräsentirenden Grundstücke her, während sich Larsonneau seinerseits verpflichtete, mit dem Aufwande eines gleich hohen Betrages auf denselben ein Café-Concert mit einem großen Garten zu erbauen, wo man alle Arten des Spiels, Schaukel, Kugel- und Kegelspiel, pflegen würde. Der Reingewinn sollte natürlich getheilt werden, ebenso wie beide Theile den etwaigen Verlust gleicherweise tragen sollten. Wenn sich einer der beiden Theilhaber zurückziehen wollte, so stünde ihm das frei und dürfte er dabei den nach der entsprechenden Schätzung auf ihn entfallenden Antheil beanspruchen. Renée war einigermaßen überrascht, als sie von 500 000 Francs sprechen hörte, während die Grundstücke höchstens 300 000 Francs werth waren. Er machte ihr aber begreiflich, daß dies ein gutes Mittel sei, um später Larsonneau die Hände zu binden, da seine Baulichkeiten einen derartigen Werth niemals erreichen würden.

Larsonneau war ein eleganter Lebemann geworden, der feine Handschuhe, blendend weiße Wäsche und verblüffende Halsbinden trug. Er hatte sich für seine Geschäftsgänge einen Tilbury bauen lassen, der so fein war wie ein Uhrwerk, einen hohen Sitz hatte und den er selbst lenkte. Seine Bureaux in der Rue de Rivoli bestanden aus einer Reihenfolge prächtig eingerichteter Räume, in welchen man keinerlei Papiere oder Schriftenbündel sah. Seine Angestellten schrieben auf Tischen aus gebeiztem Birnbaumholz, die mit Messingverzierungen eingelegt waren. Er nahm den Titel eines Agenten für Expropriationen an, – ein neues Gewerbe, welches seine Entstehung den umfassenden Neubauten in Paris zu verdanken hatte. Seine Verbindungen mit dem Stadthause brachten es mit sich, daß er über die Richtung der neuanzulegenden Straßenzüge genau unterrichtet war. Wenn es ihm gelungen war, von einem Mitgliede der Kommission die geplante Richtung eines neuen Boulevards in Erfahrung zu bringen, ging er zu den bedrohten Hauseigenthümern, um denselben seine Dienste anzubieten. Darauf ließ er seine kleinen Mittelchen spielen, um eine je höhere Entschädigungssumme zu erzielen. Sobald ein Hausbesitzer sein Dienstesanerbieten annahm, erklärte er sich zur Tragung sämmtlicher Unkosten bereit, ließ einen Expropriationsplan entwerfen, ein Gesuch aufsetzen, verfolgte den Gang der Angelegenheit vor den Behörden und bezahlte einen Advokaten gegen Zusicherung eines gewissen Prozentsatzes der Differenz zwischen dem Angebot der Stadt und der von der Jury bewilligten Entschädigung. Doch betrieb er außer diesem nicht gerade unsauberen Gewerbe noch mehrere andere. Er ertheilte Darlehen gegen Wucherzinsen. Doch war er nicht mehr der Wucherer aus der alten Schule, der zerrissen, unsauber einherging, weiße, stumme Augen hatte, wie Hundertsousstücke und blasse, zusammengezogene Lippen, den Schnüren eines Geldbeutels gleichend. Er verstand es zu lächeln, bezaubernde Blicke zu machen; er ließ seine Kleider bei Dusautoy anfertigen, dejeunirte bei Brébant in Gesellschaft seines Opfers, das er »mein Guter« nannte und dem er beim Dessert Havannazigarren anbot. Hinter dieser glatten Außenseite und der an den Leib geschnittenen Weste war Larfonneau ein gar schrecklicher Herr, der auf Bezahlung eines Wechsels bestanden wäre, selbst wenn sich der arme Schuldner vor seinen Augen umgebracht hätte, ohne dabei etwas von seiner Liebenswürdigkeit einzubüßen.

Gerne hätte Saccard einen anderen Geschäftstheilhaber gesucht; doch konnte er sich wegen des falschen Inventars, welches Larsonneau sorgfältig verwahrt hielt, einer gewissen Unruhe noch immer nicht erwehren. Er zog es also vor, ihn in die Sache einzuweihen, wobei er sich der Hoffnung hingab, daß es ihm durch irgend einen glücklichen Zufall gelingen werde, wieder in den Besitz dieses kompromittirenden Schriftstückes zu gelangen. Larsonneau erbaute das Café-Concert aus Brettern und Gips und setzte mehrere gelb und roth gestrichene Thürmchen aus Blech auf das Dach. Der Garten und die volksthümlichen Spiele fanden in dem stark bevölkerten Charonne-Viertel bedeutenden Anklang und nach zwei Jahren schien das Unternehmen zu gedeihen, obschon die finanziellen Erfolge bis dahin sehr unbedeutende gewesen. Saccard aber hatte sich seiner Frau gegenüber stets nur mit Begeisterung über die Zukunft einer so schönen Idee geäußert.

Als Renée sah, daß ihr Gatte aus dem Kamin, in welchem seine Stimme immer mehr erstickte, nicht hervorkommen wolle, sagte sie:

»Ich werde Larsonneau morgen besuchen ... Dies ist meine einzige Hoffnung, die ich noch habe.«

Nun ließ er von dem Scheit ab, mit welchem er kämpfte.

»Dies ist schon besorgt, meine liebe Freundin,« erwiderte er lächelnd, »Ich errathe ja jeden Ihrer Wünsche... Ich habe gestern Abend mit Larsonneau gesprochen.«

»Und er hat Ihnen die 136 000 Francs zugesagt?« fragte sie angstvoll.

Zwischen den beiden brennenden Scheitern errichtete er einen kleinen Hügel aus Gluth, indem er mit dem Ende der Zange die kleinsten Kohlenstückchen erfaßte, wobei er mit befriedigter Miene das Entstehen des kleinen Scheiterhaufens beobachtete, auf den er seine ganze Aufmerksamkeit zu verwenden schien.

»Sie würden das sehr schnell machen;« murmelte er. »136 000 Francs sind eine bedeutende Summe ... Larsonneau ist ein guter Junge, verfügt aber nur über bescheidene Mittel. Nichtsdestoweniger ist er bereit, Ihnen gefällig zu sein ...«

Er blinzelte hastig mit den Augen, denn ein größeres Stück Gluth, welches heruntergerollt war und wieder hinausgeschafft werden sollte, gab ihm viel zu thun. Dieses Spiel begann die Gedanken der jungen Frau zu verwirren. Unwillkürlich beobachtete sie das Treiben ihres Gatten, dessen Ungeschicklichkeit immer klarer hervortrat. Sie fühlte sich versucht, ihm Rathschläge zu ertheilen und Worms, die Rechnung, den Geldmangel vergessend, sagte sie:

»Setzen Sie dieses große Stück doch hierher; die übrigen werden es halten.«

Ihr Gatte kam der erhaltenen Weisung willig nach, wobei er sagte:

»Larsonneau vermag blos fünfzigtausend Francs zu geschaffen, was immerhin eine nette Anzahlung bedeutet... Nur möchte er diese Angelegenheit nicht mit dem Charonner Unternehmen vermengen, zumal er blos den Vermittler macht, Sie verstehen doch, meine liebe Freundin? Die Person, die das Geld vorzustrecken bereit wäre, verlangt hiefür ungeheure Zinsen ... und beansprucht einen sechsmonatlichen Wechsel über achtzigtausend Francs.«

Und nachdem er dem kleinen Hügel noch ein Stück glühender Kohle als Abschluß aufgesetzt, kreuzte er die Hände über der Zange und blickte seine Frau fest an.

»Achtzigtausend Francs!« rief diese aus. »Das ist ja ein Raub! Und Sie rathen mir zu einer solchen Thorheit?«

»Nein,« sagte er entschieden. »Doch verbiete ich sie Ihnen nicht, wenn Sie unbedingt Geld benöthigen.«

Damit stand er auf, als wollte er das Gemach verlassen. In grausamer Unentschlossenheit blickte Renée ihren Gatten an und dann die Rechnung, die er auf der Kaminplatte liegen ließ. Dann faßte sie den Kopf in beide Hände und murmelte:

»Oh, diese Geschäfte! ... Mein Kopf ist wie eine Mühle ... Ich will diesen Wechsel über achtzigtausend Francs unterschreiben. Thäte ich es nicht, so würde es mich ganz krank machen. Ich kenne mich, ich würde während des ganzen Tages mit mir selbst kämpfen ... Ich ziehe es vor, die Thorheiten sofort zu begehen. Das bringt mir wenigstens eine gewisse Erleichterung,«

Sie sprach davon zu klingeln, damit man ihr ein gestempeltes Wechselblanket hole. Er wollte ihr diesen Dienst aber selbst erweisen. Sicherlich hatte er das Blanket in der Tasche, denn seine Abwesenheit währte kaum zwei Minuten. Während sie auf einem kleinen Tische schrieb, den er vor das Feuer geschoben, betrachtete er sie mit Augen, in denen sich ein bewunderungsvolles Verlangen kundgab. Es war sehr warm in dem Zimmer, in welchem man noch den Duft des Bettes der jungen Frau, den Parfüm ihrer ersten Toilette verspürte. Während des Gespräches hatte sie die Bänder des Morgengewandes, in welches sie sich gehüllt, losgelassen und der Blick ihres vor ihr stehenden Gatten glitt über ihren Kopf, zwischen dem goldschimmernden Haar weit, bis zu dem weißen Nacken und dem zarten Busen hinab. Er lächelte so sonderbar, das Feuer, welches beinahe sein Gesicht versengte, das geschlossene Zimmer, dessen schwere Luft einen Duft der Liebe bewahrte, diese gelben Haare und die weiße Haut, die ihn mit einer gewissen ehelichen Verachtung in Versuchung führen zu wollen schien, – all' dies stimmte ihn nachdenklich, gab dem Drama, in welchem er soeben eine Scene gespielt, eine größere Ausdehnung und ließ in diesem brutalen Börsenspekulanten einen geheimen, sinnlich berechnenden Gedanken auftauchen.

Als ihm seine Frau den unterschriebenen Wechsel übergab und ihn bat, die Angelegenheit zu Ende zu führen, nahm er denselben an sich, doch ohne den Blick von ihr zu wenden.

»Sie sind entzückend schön ...« murmelte er.

Und als sie sich ein wenig bückte, um den Tisch zurückzuschieben, drückte er einen ungestümen Kuß auf ihren Nacken. Sie stieß einen leisen Schrei aus. Darauf richtete sie sich zitternd empor und versuchte zu lächeln, da sie unwillkürlich an die Küsse des Anderen von gestern Abend denken mußte. Doch bedauerte er bereits seine pöbelhafte Derbheit und als er von ihr ging, drückte er ihr freundschaftlich die Hand, nachdem er ihr die fünfzigtausend Francs noch für denselben Abend zugesagt.

Während des ganzen Tages schlummerte Renée vor dem Feuer. Wenn sie innerliche Krisen zu bestehen hatte, so war sie von der Lässigkeit einer Kreolin. Ihre ganze sonstige lärmende Heiterkeit schien alsdann eingeschlummert und einem fortwährenden Frösteln gewichen zu sein. Sie fror, bedurfte glühender Feuerherde, einer erstickenden Hitze, die ihr den Schweiß auf die Stirne treten ließ und sie ganz schlaff machte. Von dieser heißen Luft umgeben, gleichsam in Flammen gebadet, litt sie beinahe gar nicht mehr; ihr Schmerz wurde zu einem leichten Traum, zu einem unbestimmten beklemmenden Gefühl, dessen Unentschiedenheit allmälig sogar angenehm wurde. Derart schläferte sie die Gewissensbisse des gestrigen Tages in der rothen Beleuchtung des Kamins, vor dem mächtigen Feuer ein, welches die Möbel rings um sie her krachen machte und sie zeitweilig sogar des klaren Bewußtseins beraubte. Sie konnte an Maxime wie an einen flammenden Genuß denken, dessen sengende Strahlen sie zu verbrennen drohten; sie träumte von unerhörten Liebeslüsten, umgeben von lodernden Scheitern, auf einem weißglühenden Lager. Céleste kam und ging mit dem ruhigen Gesicht einer Dienerin, in deren Adern eiskaltes Blut rollt. Sie hatte Befehl erhalten, Niemanden einzulassen und selbst die Unzertrennlichen, Adeline d'Espanet und Susanne Haffner abgewiesen, die von einem Dejeuner heimkehrten, welches sie gemeinsam in einem Pavillon eingenommen, den sie in Saint-Germain gemiethet. Doch gegen Abend meldete Celeste ihrer Gebieterin, daß Frau Sidonie, die Schwester des Herrn, mit ihr sprechen wolle; sie erhielt Befehl, dieselbe vorzulassen.

Frau Sidonie kam gewöhnlich nur bei Einbruch der Nacht, trotzdem ihr Bruder durchgesetzt hatte, daß sie seidene Kleider anlege. Doch wußte Niemand, was eigentlich die Ursache davon war, daß wenn die Seide auch vollkommen neu aus dem Laden kam, sie niemals neu aussah; sie schien zerdrückt, verlor allen Glanz und glich eher einem alten Lappen. Ebenso hatte sie eingewilligt, bei Saccard ohne Korb vorzusprechen; dagegen hatte sie alle Taschen mit Papieren und Schriftstücken angefüllt. Renée, die sie nicht zu einer vernünftigen Klientin machen konnte, welche sich den Anforderungen des Lebens fügen würde, flößte ihr Interesse ein. Sie besuchte sie regelmäßig und lächelte mit der discreten Miene eines Arztes, der einen Kranken nicht durch die Nennung seines wirklichen Leidens erschrecken will. Sie hatte Mitleid mit ihren kleinen Angelegenheiten, als hätte es sich um unbedeutende Dinge gehandelt, welchen sie sofort abzuhelfen vermöchte, wenn die junge Frau nur wollte. Letztere, die sich in einer jener Stimmungen befand, da man bedauert werden will, ließ sie nur hereinkommen, um ihr sagen zu können, daß sie einen unerträglichen Kopfschmerz habe.

»Ach, meine Schönste,« murmelte Frau Sidonie, indem sie in das dunkle Zimmer glitt, »Sie ersticken ja hier!... Schon wieder Ihre neuralgischen Schmerzen, nicht wahr? Das macht der Kummer. Sie nehmen das Leben zu tragisch.«

»Ja, ich habe so viele Sorgen,« erwiderte Renée schmachtend.

Die Nacht brach herein. Sie hatte nicht zugegeben, daß Céleste eine Lampe anzünde. Blos das Kammfeuer verbreitete einen hellen, rothen Schein, welcher sie kaum beleuchtete, während sie in ihrem weißen Morgengewand, dessen Spitzen rosenroth schimmerten, in einem Fauteuil lag. Dort wo der Schatten begann, sah man blos ein Stück des schwarzen Kleides der Frau Sidonie, sowie ihre gekreuzten zwei Hände, die in grauen Baumwollhandschuhen stacken. Ihre zärtliche Stimme tönte so eigenartig aus dem Dunkel heraus.

»Schon wieder Geldsorgen!« sagte sie in einem Tone voll Mitleid und Erbarmen, als hätte sie »Herzleid« gesagt.

Renée senkte den Blick und machte eine zustimmende Geberde.

»Ach, wenn meine Brüder auf mich hören wollten, so wären wir Alle reich! Doch die zucken nur mit den Achseln, wenn ich ihnen von dieser Schuld von drei Milliarden spreche, Sie wissen doch? ... Ich aber gebe die Hoffnung nicht auf, weniger denn je. Seit zehn Jahren will ich eine Reise nach England antreten; doch habe ich so wenig freie Zeit! ... Nun aber habe ich mich entschlossen, nach London zu schreiben und erwarte ich die Antwort von dort.«

Und da die junge Frau lächelte, so fügte sie hinzu:

»Ich weiß, daß auch Sie mir nicht glauben. Und dessenungeachtet wäre es Ihnen ganz recht, wenn ich Ihnen eines Tages eine niedliche kleine Million zum Geschenk machen würde. ... Sehen Sie, die Sache ist ja ganz einfach: ein Pariser Bankier hat dem Sohne des Königs von England das Geld dargeliehen und da der Bankier ohne natürliche Erben starb, so kann der Staat heute die Bezahlung der Schuld sammt den aufgelaufenen Zinsen fordern. Nach den von mir aufgestellten Berechnungen beläuft sich die Forderung heute auf einen Betrag von zwei Milliarden neunhundertdreiundvierzig Millionen zweihundertzehntausend Francs ... Seien Sie nur ganz unbesorgt, früher oder später wird der Sieg dennoch mein sein.«

»Bis dahin,« sagte die junge Frau ein wenig ironisch, »würde ich es mit besonderem Dank anerkennen, wenn Sie mir hunderttausend Francs vorstrecken wollten ... Ich könnte meinen Schneider bezahlen, der mich arg quält.«

»Hunderttausend Francs können sich finden,« erwiderte Frau Sidonie ruhig. »Es handelt sich blos darum, einen Preis für dieselben zu bestimmen.«

Das Kaminfeuer flackerte; um sich eine behaglichere Lage zu verschaffen, streckte Renée die Füße aus, wodurch am Saume ihres Morgengewandes die Spitze der zierlichen Pantoffel sichtbar wurden. Die Unterhändlerin nahm mitleidigen Tones von Neuem auf:

»Armes Kind, Sie sind wirklich unvernünftig ... Ich kenne viele Frauen; doch ist keine derselben so sorglos in Bezug auf ihre Gesundheit wie Sie. Sehen Sie einmal diese kleine Michelin; die weiß sich die Dinge einzurichten! Unwillkürlich denke ich an Sie, wenn ich die niedliche Person glücklich und wohlgemuth sehe ... Wissen Sie, daß Herr von Saffré sterblich in sie verliebt ist und ihr bereits Geschenke im Werthe von mehr als zehntausend Francs gemacht hat? ... Ich glaube, daß sie gerne ein hübsches Landhaus besitzen möchte ...«

Sie sprach lebhafter als bisher und suchte ihre Tasche.

»Da habe ich den Brief einer armen jungen Frau bei mir ... Wenn wir hier Licht hätten, so könnten Sie ihn lesen ... Denken Sie nur, ihr Gatte bekümmert sich gar nicht um sie. Sie hatte Wechsel unterschrieben und sich an einen Herrn wenden müssen, den ich genau kenne. Ich habe die Wechsel selbst aus den Händen der Gerichtsvollzieher gerissen, was keine geringe Mühe kostete... Die armen Kinder! Glauben Sie etwa, das dieselben etwas Unrechtes thun?

Ich empfange sie in meiner Wohnung, als wären sie mein Sohn und meine Tochter.«

»Sie kennen einen Geldverleiher?« fragte Renée nachlässig.

»Ich kenne deren zehn, wie Sie sich wohl denken können ... Wenn Frauen unter einander sind, so können sie über gar viele Dinge sprechen, nicht wahr? Und ich werde Ihren Gatten nicht entschuldigen, weil er mein Bruder ist, wenn er hinter den Dirnen einherläuft und einen Schatz von einer Frau, wie Sie sind, am Kaminfeuer daheim verkümmern läßt ... Diese Laura d'Aurigny kostet ihm ein ungeheures Geld. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er Ihnen welches verweigert... Er hat Ihnen Geld verweigert, nicht wahr, Schatz? ... Oh über den Unglücklichen!«

Behaglich hörte Renée die weiche Stimme aus dem Schatten hervortönen, als wäre dieselbe der noch undeutliche Widerhall ihrer eigenen Träume. Mit halb geschlossenen Augen in ihrem Fauteuil liegend, wußte sie gar nicht mehr, daß Frau Sidonie zugegen sei und sie glaubte zu träumen, daß schlechte Gedanken sie heimsuchten und sie schmeichelnd zu verführen trachteten. Die Unterhändlerin sprach lange, daß es einem gleichförmig lauwarmen Wasserfall glich.

»Nur Frau von Lauwerens hat Ihre Existenz zerstört; ... doch Sie wollten mir niemals glauben. Ach! Sie würden nicht trauernd an Ihrem Kamin sitzen, wenn Sie mir nicht mißtraut hätten ... Und ich liebe Sie doch, als wären Sie mein eigen Fleisch und Blut. Sie haben ein entzückendes Füßchen. Sie werden mich auslachen und dennoch will ich Ihnen meine Thorheit gestehen: wenn ich Sie drei Tage lang nicht gesehen habe, so muß ich mich unbedingt hier einfinden, um Sie bewundern zu können; ja, ja, sonst fehlt mir etwas und ich muß mich an dem Anblick Ihrer herrlichen Haare, Ihres zarten, lieblichen Gesichtes, Ihrer reizenden Taille sättigen. Wahrhaftig, ich habe noch nichts gesehen, was sich mit derselben vergleichen ließe.«

Renée lächelte. Nicht einmal ihre Liebhaber gaben eine solche Wärme, eine derartige Begeisterung kund, wenn sie ihr von ihrer Schönheit sprachen. Frau Sidonie gewahrte dieses Lächeln.

»Abgemacht also,« sagte sie und erhob sich rasch. »Ich schwatze und schwatze und vergesse ganz, daß Sie Kopfschmerzen haben ... Morgen kommen Sie doch, nicht wahr? Wir werden über Geldfragen sprechen und Jemanden suchen, der Geld vorzustrecken bereit wäre.. Wir werden uns verständigen, denn ich will, daß Sie glücklich seien.«

Ohne sich zu regen, gleichsam erschlafft durch die Wärme, erwiderte die junge Frau nach einer Weile, als hätte es einer angestrengten Arbeit ihres Gehirns bedurft, um zu begreifen, was rings um sie her gesprochen wurde:

»Ja, ich werde kommen, das ist abgemacht und wir werden plaudern; doch nicht morgen... Worms wird sich mit einer Anzahlung begnügen. Wenn er mich wieder mit seinen Geldforderungen quälen wird, werden wir weiter sehen ... Sprechen Sie mir gar nicht mehr über diese Dinge; der Kopf braust mir schon vor lauter Nachdenken.«

Frau Sidonie schien sehr enttäuscht. Sie wollte sich wieder setzen und ihren schmeichelnden Monolog von Neuem beginnen; die schlaffe Haltung Renée's veranlaßte sie aber, ihren Angriff bis zu einem günstigeren Moment zu verschieben. Sie nahm eine Menge Papiere aus ihrer Tasche und holte nach einigem Suchen zwischen denselben eine kleine rosenrothe Schachtel hervor.

»Ich bin nur gekommen, um Ihnen eine neue Seife zu empfehlen,« sagte sie in ihren gewohnten geschäftsmäßigen Ton verfallend. »Ich interessire mich ungemein für den Erfinder derselben, der ein reizender junger Mann ist. Die Seife ist sehr angenehm und unentbehrlich für die Pflege der Haut. Sie werden sie doch versuchen, nicht wahr? und auch Ihren Freundinen empfehlen ... Ich lege sie da auf die Kaminplatte her.«

Sie stand bereits an der Thür, als sie zurückkehrte und sich mit ihrem wachsfarbenen Gesicht in die rosige Beleuchtung des Kamins wagend, einen elastischen Gürtel zu rühmen begann, der die Bestimmung hatte, das Mieder zu ersetzen.

»Derselbe verleiht Ihnen eine absolut runde Taille, eine wirkliche Wespentaille,« sagte sie. »Ich habe die Erfindung aus einem Bankerott gerettet. Wenn Sie zu mir kommen, werden Sie ihn versuchen, sobald es Ihnen recht ist... Während einer ganzen Woche hatte ich mit den Behörden zu thun. Ich habe alle Prozeß-Akten bei mir und begebe mich von hier unverzüglich zu meinem Anwalt, um eine letzte Schwierigkeit hinwegzuräumen ... Auf Wiedersehen, mein Schatz. Sie wissen, daß ich Sie erwarte und Ihre schönen Augen trocknen will.«

Damit verschwand sie wieder in dem Dunkel und glitt zur Thür hinaus. Renée vernahm es nicht einmal, als sie dieselbe hinter sich schloß. Sie blieb vor dem langsam ersterbenden Feuer sitzen, in ihre Gedanken versunken, Zahlen hüpften vor ihren geschlossenen Augen und sie vernahm von Weitem die Stimmen Saccard's und der Frau Sidonie mit einander unterhandeln, ihr ansehnliche Summen anbieten in dem Tone eines Gerichts-Vollziehers, der eine öffentliche Versteigerung abhält. Sie fühlte den brutalen Kuß ihres Gatten auf dem Halse und wenn sie sich umwandte, so fand sie die Unterhändlerin vor sich, in ihrem schwarzen Kleide, mit dem fahlen, ausdruckslosen Gesicht, wie sie leidenschaftliche Ansprachen an sie richtete, ihre körperlichen Vorzüge rühmte und mit dem Ungestüm eines Liebhabers, der am Ende seiner Enthaltungskraft angelangt ist, sie um ein Rendezvous anflehte. Dies zwang sie zu lächeln. Die Hitze im Zimmer wurde immer intensiver. Und die Betäubung der jungen Frau, die bizarren Träume, die durch ihren Geist zogen, waren nichts als ein leichter, künstlicher Schlummer, in welchem sie immer wieder das kleine Kabinet im Café Riche und den breiten Divan vor sich sah, auf welchem sie auf die Kniee gesunken war. Sie litt gar nicht mehr. Und als sie die Augen öffnete, glaubte sie Maxime in der rothen Gluth des Kamins vor sich zu sehen.

Auf dem Balle des Ministers am nächsten Tage erschien Frau Saccard in dem vollen Glanze ihrer strahlenden Schönheit. Worms hatte die Anzahlung von 50,000 Francs angenommen und sie ging mit dem nervösen Lachen einer genesenden Kranken aus dieser Geldkrise hervor. Als sie in ihrer herrlichen Toilette aus rosenrother Faye-Seide mit langer, von kostbaren weißen Spitzen umgebenen Schleppe im Stile Ludwigs XIV. durch die Säle schritt, entstand ein allgemeines Gemurmel der Bewunderung und die Leute stießen einander, um sie sehen zu können. Die Eingeweihten verbeugten sich mit einem Lächeln des Verständnisses und huldigten diesen schönen Schultern, welche das ganze offizielle Paris kannte und welche die festen Säulen des Kaiserthums bildeten. Ihr Kleid war mit einer solchen Verachtung jeglicher Rücksicht ausgeschnitten, sie schritt so ruhig und selbstbewußt in ihrer Nacktheit einher, daß dieselbe fast gar nichts Anstößiges mehr an sich hatte. Eugen Rougon, der große Politiker, der erkannte, daß dieser entblößte Busen beredter sei, als all' seine Worte im Parlament und geeigneter, um die Berechtigung der Regierung zu beweisen und die Skeptiker zu bekehren, beglückwünschte seine Schwägerin zu ihrem kühnen Zuge, ihr Leibchen zwei Finger breit mehr als gebräuchlich auszuschneiden. Beinahe die ganze gesetzgebende Körperschaft war zugegen und die Blicke, mit welchen die Deputirten die junge Frau betrachteten, verhießen dem Minister einen schönen Erfolg in der morgigen Debatte über die städtische Anleihe, welche einigem Widerstande zu begegnen drohte. Man konnte unmöglich gegen eine Regierung stimmen, die in der von den Millionen gebildeten Düngererde eine Blume wie Renée hervorsprießen ließ, eine Blume der Freude, mit einer Haut wie Seide und den Formen einer Statue, ein lebender Wonnerausch, der einen Duft genossenen Vergnügens hinter sich zurückließ. Allgemeines Geflüster erregten aber das Halsband und das Diadem. Die Männer erkannten das Geschmeide, während die Frauen mit verstohlenen Blicken auf dasselbe hindeuteten. Dies bildete das ausschließliche Gesprächsthema des Abends. Und in dem weißen Lichte der Kronleuchter lagen die von einer glänzenden Menge erfüllten prächtigen Gemächer da, als wäre eine Unzahl flimmernder Sterne auf einen engen Raum herniedergefallen.

Gegen ein Uhr Morgens verschwand Saccard. Er hatte an dem Triumph seiner Frau theilgenommen wie Jemand, dem ein kühner Streich gelungen ist. Abermals hatte sein Kredit eine beträchtliche Kräftigung erfahren. Noch mußte aber bei Laura d'Aurigny eine Angelegenheit erledigt werden und indem er sich entfernte, ersuchte er Maxime, Renée nach dem Ball nach Hause zu begleiten.

Maxime verbrachte den Abend klüglich an der Seite Luise von Mareuils und Beide waren gänzlich in ihre Beschäftigung vertieft, die darin bestand, daß sie den anwesenden Frauen, die an ihnen vorüberkamen, alles mögliche und unmögliche Schlechte nachsagten. Hatten sie dann etwas gefunden, was toller war als das Bisherige, so erstickten sie ihr Lachen hinter ihren Taschentüchern. Renée mußte den jungen Mann selbst auffordern, ihr seinen Arm zu reichen, als sie den Ball verlassen wollte. In dem Wagen war sie von nervöser Heiterkeit; der Rausch des blendenden Lichtes, des betäubenden Geräusches und der starken Gerüche, welche sie soeben durchkostet hatte, zitterte noch nach in ihr. Im Uebrigen schien sie den »dummen Streich«, wie Maxime das neuliche Boulevardabenteuer nannte, ganz vergessen zu haben. Sie fragte ihn auch blos mit absonderlicher Betonung:

»Die kleine buckelige Luise ist also sehr amüsant?«

»Ach ja!« erwiderte der junge Mann lachend. »Du hast doch die Herzogin von Sternich mit dem gelben Vogel im Haar gesehen, nicht wahr? ... Luise behauptete, dies sei ein mechanisch beweglicher Vogel, der die Flügel bewegt und dem armen Herzog jede Stunde zuruft: Kukuck! Kuckuck!«

Renée fand diesen Scherz des emanzipirten jungen Mädchens sehr komisch. Als man zuhause angelangt war und Maxime von ihr Abschied nehmen wollte, sagte sie:

»Du kommst nicht hinauf? Céleste hat sicherlich einen kleinen Imbiß für mich vorbereitet.«

Mit seiner gewohnten Sorglosigkeit gehorchte er ihrer Aufforderung. Oben aber war kein Imbiß vorbereitet und Céleste zu Bett gegangen. Renée mußte die Kerzen eines kleinen dreiarmigen Leuchters selbst anzünden, wobei ihre Hand ein wenig zitterte. Darauf sagte sie mit Bezug auf ihre Kammerzofe:

»Die Närrin! ... Sicherlich hat sie meine Anordnungen falsch verstanden ... Ich kann mich ja gar nicht allein auskleiden.«

Damit begab sie sich in ihr Ankleidezimmer. Maxime folgte ihr, um ihr ein neues Scherzwort Luisens zu erzählen, dessen er sich erinnerte, ruhig, als hätte er sich bei einem Freunde befunden und schon griff er nach seiner Zigarrentasche, um sich eine Havannah anzuzünden. Als Renée aber den Leuchter niedergestellt hatte, wendete sie sich um und sank stumm in die Arme des jungen Mannes, wobei sie ihre Lippen auf die seinigen preßte.

Das Heim Renée's war ein Nest aus Seide und Spitzen, ein Wunderwerk an Koketterie, Pracht und Luxus. Vor dem Schlafzimmer lag ein sehr kleines Boudoir. Die beiden Räume bildeten eigentlich nur einen, besser gesagt, das Boudoir war blos die Schwelle des Zimmers, eines großen Alkoven, in welchem sich mehrere Chaiselongues befanden; eine richtige Thür war gar nicht vorhanden, blos eine doppelte Portière. Die Wände der beiden Gemächer waren mit mattgrauer Seide überzogen, die mit großen Rosen- und weißen Fliedersträußen gestickt und stellenweise mit mächtigen goldenen Knöpfen besetzt war. Vorhänge und Portièren bestanden aus venetianischen Spitzen, deren Unterlage abwechselnd aus rothen und grauen Seidenstreifen bestand. Im Schlafzimmer stellte der aus weißem Marmor angefertigte Kamin, ein wahres Juwel der Bildhauerkunst, mit seiner kostbaren Einlegearbeit und seinen herrlichen Mosaikbildern einen Blumenkorb dar, aus welchem das Muster der Tapete, als Rosen, weißer Flieder und goldene Knospen hervorragte. Ein großes, in Grau und Rosa gehaltenes Bett, dessen Holzgestell unter dem reichen Polsterwerk gänzlich verschwand und dessen Kopfende sich an der Wand befand, nahm reichlich die Hälfte des Zimmers ein mit seinen Draperien, Spitzen und seinen von der Decke bis zur Erde herabhängenden und mit großen gestickten Bouquets verzierten Seidenvorhängen. Dieser gleich einem Frauenrock sich blähende Vorhang erweckte den Gedanken an eine verliebte Riesin, die sich über die Kissen neigt, nahe daran, auf dieselben hinzusinken. Hinter dem Vorhang breitete sich das Heiligthum der Batistkissen, eine Wolke schneeiger Spitzen, eine ganze Menge der köstlichsten, durchsichtigen Dinge aus, die in einem fortwährenden Halbdunkel schwammen. Neben diesem Bette, dessen Umfang an eine zu einem Feste geschmückte Kapelle erinnerte, verschwanden die übrigen Möbel: niedrige Sitze, ein zwei Meter hoher Spiegel und Schränke mit einer Unzahl von Schubfächern beinahe völlig. Der den Boden bedeckende grau-blaue Teppich zeigte zerstreute zart rosafarbene Rosen. Und zu den beiden Seiten des Bettes lagen zwei mächtige schwarze Bärenfelle mit rothem Sammt eingefaßt und silbernen Krallen; die dem Fenster zugewendeten Köpfe starrten mit ihren gläsernen Augen unablässig den leeren Himmel an.

In diesem Zimmer herrschte eine wohlthuende Harmonie, eine absolute Stille. Kein schärferer Ton, kein Widerschein von Gold oder sonstigem Metall mengte sich in die träumerische Symphonie der grauen und rosenrothen Farbe. Die Garnitur des Kamins, der Rahmen des Spiegels, die Stutzuhr, die kleinen Kandelaber waren aus altem Sèvres-Porzellan, welches das vergoldete Kupfer der Gestelle beinahe gänzlich verdeckte. Diese Kamingarnitur war ein Meisterwerk, insbesondere die Stutzuhr mit ihrer Schaar pausbäckiger Amoretten, die sich über das Zifferblatt neigten, gleich einer Bande ausgelassener ganz nackter Straßenjungen, die sich über den raschen Gang der Stunden lustig machten. Dieser gedämpfte Luxus, diese Farben und Gegenstände, welche der Geschmack Renée's zart und lächelnd gewünscht, verbreitete hier einen Dämmerlichtschein, das Licht eines Alkoven, dessen Vorhänge zugezogen worden. Es schien, als würde sich das Bett fortsetzen, als bildete das ganze Zimmer ein einziges großes Lager mit seinen Teppichen, Bärenfellen, gepolsterten Sitzen und Tapeten, die die Weichheit des Fußbodens über die Wände, bis zur Decke empor ausdehnten. Und wie in einem Bette ließ die junge Frau hier, auf allen Gegenständen den Eindruck, die Wärme, den Duft ihres Körpers zurück. Wenn man die doppelte Portière des Boudoirs zurückschlug, schien es, als würde man eine seidene Steppdecke emporheben, als träte man in ein großes, noch warm-feuchtes Bett, in welchem man auf dem feinen Linnen die herrlichen Formen, den Schlummer und die Träume einer dreißigjährigen Pariserin wiederfindet.

In einem anstoßenden Raume, dem Garderobezimmer, das groß und geräumig, mit alten persischen Teppichen bespannt war, befanden sich rings an den Wänden blos hohe Schränke aus Rosenholz, welche die Armee der Toiletten enthielten. Céleste, die in Allem sehr methodisch war, ordnete die Kleider ihrem Alter nach, versah sie mit Aufschriften, brachte ein wenig Symmetrie in die blauen, rothen und gelben Erzeugnisse der Phantasie ihrer Gebieterin und hielt die ganze Garderobe sozusagen in militärischer Zucht. Die Felder der Schränke glänzten kalt und rein gleich den lackirten Feldern eines Coupés.

Doch der größte Reiz des Appartements, jenes Gemach, von welchem ganz Paris sprach, war das Ankleidezimmer. Man sagte: »Das Ankleidezimmer der schönen Frau Saccard«, wie man sagte: »Der Spiegelsaal zu Versailles«. Dasselbe befand sich in einem der kleinen Thürme des Hôtels, gerade oberhalb des kleinen Salons mit den goldenen Knospen. Wenn man eintrat, dachte man an ein großes rundes Zelt, an ein Zelt wie in den Feenmärchen, wie es eine verliebte Königin in ihrem Liebestraum errichtet haben mochte. In der Mitte der Decke hielt eine Krone aus ziselirtem Silber die Wände des Zeltes zusammen, von wo sie sich in runden Bögen der Mauer zuwandten, um von dort senkrecht zur Erde hinabzufallen. Diese Wände bestanden aus einer Unterlage von rosenrother Seide, darüber eine sehr helle Mousseline, und waren in gleichmäßigen Absätzen in große Falten gelegt; Spitzeneinsätze schieden diese Falten von einander und Reifstäbe aus verziertem Silber erstreckten sich von der Krone, an beiden Seiten der Einsätze entlang bis zum Boden hinab. Das rosenrothe Grau des Schlafzimmers wurde hier etwas heller und ging in ein röthliches Weiß über, in die Farbe des lebenden Fleisches. Und unter diesen wogenden Spitzen, unter diesen Vorhängen, die von der Decke durch den Reif der Krone blos eine kleine runde Stelle sehen ließen, welche der Pinsel Chaplins mit einem lachenden Amor geschmückt hatte, der im Begriffe ist, einen seiner Pfeile abzuschnellen, hätte man sich in eine vergrößerte Konfektbüchse, in ein kostbares Schmucketui versetzt glauben können, welches nicht für den Glanz eines Diamanten, sondern für die entblößten Formen einer Frau geschaffen worden. Der schneeweiße Teppich zeigte keinerlei Muster oder Blumen. Ein Spiegelschrank, dessen Thüren mit Silber eingelegt waren, eine Chaiselongue, zwei niedrige Stühle, Tabourets aus weißer Seide, ein großer Toilettetisch mit rosenrother Marmorplatte, dessen Füße unter einer Wolke von Spitzen und Mousseline verschwanden, bildeten die Einrichtung dieses Raumes. Das Geschirr des Waschtisches, die Gläser, Vasen und das Waschbecken waren aus böhmischem, weiß und roth verziertem Glase. Ferner war noch ein zweiter Tisch vorhanden, der gleich dem Spiegelschrank mit Silber eingelegt war und auf welchem sich das ganze Geräth befand: Toilettegegenstände aller Art, eine Menge kleiner Instrumente, deren Zweck dem Uneingeweihten nicht klar wurde, Rückenkratzer, Nagelfeilen, Messerklingen in allen Formen und Größen, gerade und krumme Scheeren, Nadeln und Zängelchen in allen Abwechselungen. Jeder dieser Gegenstände aus Silber und Elfenbein trug den Namenszug Renée's.

Dieses Gemach besaß aber einen köstlichen Ort und diesem Ort hatte es eigentlich seine Berühmtheit zu verdanken. Dem Fenster gegenüber öffnete sich die Zeltwand und ließ eine Art Nische sehen, in welcher sich eine Badewanne, ein breites, geräumiges Becken aus rothem Marmor befand, das in den Fußboden versenkt, an den Rändern ausgezackt war, gleich einer großen Muschel und bis zum Teppich reichte. Marmorstufen führten in die Wanne hinunter. Oberhalb der silbernen Hähne, die die Form eines Schwanenhalses hatten, nahm ein venetianischer Spiegel ohne Rahmen, dessen Glas aber mit zierlichen Aetzungen versehen war, die Rückwand der Nische ein. Jeden Morgen nahm Renée ein mehrere Minuten währendes Bad, welches das Gemach für den Rest des Tages mit der Feuchtigkeit und dem Dufte des warmen, lebenden Fleisches erfüllte. Zuweilen vermengte ein entkorktes Parfumfläschchen oder ein nicht in seinem Behälter verwahrtes Stück Seife seinen schärferen Duft mit dieser etwas faden, schläfrigen Atmosphäre. Die junge Frau liebte es, beinahe nackt bis Mittag in diesem Gemach zu verweilen. Das runde Zelt war ja auch nackt. Die rothe Badewanne, die rothen Tische und Waschgefäße, der röthliche Ueberzug der Decke und der Wände, unter welchen man rothes Blut glaubte rieseln zu sehen, nahmen die runden Formen des Fleisches, die weichen Umrisse der Schultern und Brüste an und je nach der Tageszeit hätte man die schneeige Haut eines Kindes oder die liebeswarme Haut einer Frau zu sehen gemeint. Das Ganze war eine einzige große Nacktheit und wenn Renée aus dem Bade stieg, hob ihr blonder Leib blos ein wenig den rosenrothen Ton des Gemaches.

Maxime entkleidete Renée. Er verstand sich auf diese Dinge und seine flinken Hände entdeckten die Stecknadeln und glitten mit angeborener Gewandtheit rings um ihre Taille. Er löste ihr Haar, nahm die Diamanten aus demselben und richtete das Haar wieder für die Nacht zurecht. Und da er seine Dienstleistungen als Kammerdienerin und Friseur mit Scherzen und Schmeicheleien würzte, lachte Renée leise und wonneschauernd, während die Seide ihres Mieders krachte und ihre Röcke nach einander zur Erde fielen. Als sie völlig nackt dastand, blies sie die Kerzen der Kandelaber aus, umschlang Maxime mit beiden Armen und trug ihn fast in das Schlafgemach. Dieser Ball hatte sie gänzlich berauscht. Trotz ihres Fiebers war sie sich des gestrigen Tages, den sie vor ihrem Kamin verbracht hatte, dieses Tages der verführerischen Träume und abschreckenden Phantasiebilder, klar bewußt. Noch immer vernahm sie die trockenen Stimmen Saccards und der Frau Sidonie mit einander unterhandeln, Zahlen rufen und Gebote machen wie ein Gerichtsdiener. Diese Leute richteten sie zu Grunde, drängten sie zum Verbrechen. Und selbst zu dieser Stunde, da sie in dem großen, dunklen Bette die Lippen des jungen Mannes suchte, sah sie noch immer Maxime vor sich, wie er ihr gestern in der rothen Gluth des Kaminfeuers erschien und sie mit Augen anblickte, die sie schier versengten.

Der junge Mann entfernte sich erst um sechs Uhr Morgens. Sie übergab ihm den Schlüssel zu der kleinen Thür des Monceau-Parkes, nachdem er ihr hatte geloben müssen, daß er jeden Abend wiederkehren werde. Das Ankleidekabinet stand mit dem kleinen goldenen Salon durch eine in der Wand verborgene Dienertreppe in Verbindung, welche auch den Zugang zu den übrigen Räumen des Thurmes vermittelte. Aus dem Salon war es ein Leichtes, in den Wintergarten und von hier in den Park zu gelangen.

Als sich Maxime bei anbrechendem Tage und dichtem Nebel entfernte, war er von seinem Liebesabenteuer ein wenig betäubt. Indessen fand er sich dank seiner neutralen Schmiegsamkeit gar bald mit demselben ab.

»Nun, umso schlimmer!« sagte er sich. »Schließlich will sie es ja haben... Sie hat verteufelt schöne Formen; auch hat sie Recht, im Bette ist sie bedeutend kurzweiliger wie Sylvia.«

Sie waren der Blutschande entgegengeglitten von dem Tage an, da Maxime in seinem zerknitterten Schülerkittel sich Renée an den Hals gehängt hatte, wobei er ihre elegante Toilette in Unordnung brachte. Von da an herrschte Verderbtheit unter ihnen, die sich jeden Augenblick neuerdings bethätigte. Die absonderliche Erziehung, welche die junge Frau dem Kinde gab; die Vertraulichkeiten, die aus ihnen zwei Kameraden machten; späterhin die lachende Kühnheit ihrer gegenseitigen Geständnisse, – all' diese gefährliche Vermengung vereinigte sie schließlich mit einem eigenthümlichen Bande, welches die Freuden der Freundschaft beinahe zu fleischlichen Genüssen gestaltete. Seit Jahren hatten sie sich einander ergeben und der brutale Akt selbst war nichts weiter gewesen, als der Abschluß dieser ihnen selbst unbewußten Liebeskrankheit. Inmitten der tollen Welt, welche sie umgab, war ihre Schuld wie auf einem von zweideutigen Säften strotzenden Düngerbeete gediehen; sie hatte sich mit einem seltsamen Raffinement entwickelt, inmitten von ganz eigenartigen Bedingungen des Lasters.

Wenn der große Landauer sie nach dem Bois führte und sie dort langsam durch die Alleen rollten, wobei sie sich allerlei Zweideutigkeiten in's Ohr flüsterten und aus ihrer Kindheit Erinnerungen hervorholten, die für Ausflüsse des Instinkts gelten konnten, so war dies nichts weiter als eine uneingestandene Befriedigung ihrer Wünsche. Sie fühlten sich gewissermaßen schuldig, als hätten sie sich flüchtig berührt und selbst diese merkwürdige Schuld, diese Mattigkeit, welche aus ihren schlüpfrigen Unterhaltungen resultirte und ihnen eine wollüstige Erschöpfung bereitete, berührte sie noch angenehmer, als wenn sie sich geradehin geküßt hätten. Ihre Kameradschaft bildete somit nichts Anderes als die langsam nach abwärts gleitende Bahn zweier Verliebten, welche sie unbedingt eines Tages in das Kabinet des Café Riche und in das große, rosig und grau verzierte Bett Renée's führen mußte. Als sie einander umschlungen hielten, empfanden sie die Erschütterung ihres Fehltrittes nicht; man hätte sie für alte Liebende halten können, deren Küsse alte Erinnerungen erweckten. Sie hatten so viele Stunden in der Berührung ihres ganzen Wesens verbracht, daß sie unwillkürlich von dieser Vergangenheit sprachen, die voll unbewußter Zärtlichkeiten war.

»Du erinnerst Dich des Tages, da ich in Paris anlangte?« sagte Maxime. »Du hattest eine sonderbare Toilette angelegt und ich bezeichnete mit dem Finger einen Winkel auf Deiner Brust und rieth Dir, dort einen spitz zulaufenden Ausschnitt anbringen zu lassen ... Ich fühlte Deine Haut unter dem Hemde und mein Finger drückte ein wenig hinein ... Und dies war so gut ...«

Renée lachte, küßte ihn und murmelte:

»Du warst schon damals recht lasterhaft ... Wie herzlich lachten wir bei Worms über Dich; erinnerst Du Dich? Wir nannten Dich »unseren kleinen Mann« und ich glaubte immer, daß Dich die dicke Susanne gerne hätte gewähren lassen, wenn die Marquise sie nicht wüthenden Blickes bewacht hätte.«

»Ach ja, wir haben viel gelacht ...« murmelte der junge Mann. »Das Photographie-Album, nicht wahr? Und alles Andere: unsere Fahrten durch Paris, unsere Imbiße bei dem Kuchenbäcker auf dem Boulevard; erinnerst Du Dich, wie gerne Du die kleinen Erdbeeren-Kuchen aßest? ... Ich werde mich immer des Nachmittags erinnern, da Du mir das Abenteuer Adelinens erzähltest, die im Kloster Briefe an Susanne schrieb, die sie als Mann mit: Arthur d'Espanet unterzeichnete und worin sie ihr den Vorschlag machte, sie zu entführen ...«

Die Liebenden lachten auch über diese Geschichte, worauf Maxime mit seiner einschmeichelnden Stimme fortfuhr:

»Wenn Du mich mit Deinem Wagen vom Colleg abholtest, mochten wir uns Beide drollig ausnehmen... Ich verschwand ja ganz unter Deinen Röcken, da ich so klein war.«

»Ja, ja,« stammelte sie, von einem wonnigen Schauer erfaßt und zog den jungen Mann noch fester an sich; »Das war so gut, wie Du sagst... Wir liebten uns ohne es zu wissen, nicht wahr? Ich wußte es aber früher als Du. Als wir neulich Abends aus dem Bois heimkehrten, streifte ich Dein Bein und erschauerte dabei... Du aber hast es gar nicht wahrgenommen. Wie? Du dachtest gar nicht an mich?«

»Ah doch!« erwiderte er ein wenig verlegen. »Nur wußte ich nicht, Du begreifst doch ... Ich wagte nicht...«

Er log. Der Gedanke, Renée zu besitzen, war ihm niemals klar zum Bewußtsein gekommen. Er hatte in seiner Lasterhaftigkeit den Gedanken gestreift, ohne eigentlich nach Renée's Besitz zu verlangen. Er war viel zu lässig, als daß er sich einer derartigen Anstrengung unterzogen hätte. Er nahm Renée's Besitz hin, weil sie sich ihm selbst anbot und er in ihr Bett gelangt war, ohne es gewollt, ohne es vorausgesehen zu haben. Dort angelangt, blieb er dort, weil es angenehm warm war und er überall liegen blieb, wohin er fiel. Im Anfange empfand er sogar etwas wie befriedigte Eigenliebe Es war das die erste verheirathete Frau, die er besaß; doch dachte er nicht daran, daß der Gatte derselben sein Vater sei.

Renée aber genoß ihren Fehltritt mit dem ganzen Eifer ihres entarteten Herzens. Auch sie war den Abhang hinabgeglitten, doch nicht gleich einem willenlosen Wesen am Ende desselben angelangt. Das Verlangen war in ihr zu spät erwacht, als daß sie dasselbe noch zu bekämpfen vermocht hätte, während ein Sturz bereits unvermeidlich schien. Dieser Sturz dünkte ihr mit einem Male eine nothwendige Folge der Langeweile, die sie empfand, ein seltener, außerordentlicher Genuß, der nur allein ihre erschlafften Sinne, ihr empfindungsloses Herz zu neuem Leben zu erwecken vermochte. Auf jener Spazierfahrt durch das entschlummernde Bois, als sich die herbstliche Abenddämmerung herabsenkte, war ihr der unbestimmte Gedanke der Blutschande gekommen, gleich einem Kitzel, der ihre Haut einen unbekannten Schauer empfinden ließ und des Abends, als sie sich halb trunken vom Diner erhob und der Stachel der Eifersucht sich in ihr Herz bohrte, gewann dieser Gedanke Gestalt und Form, richtete er sich unwiderstehlich auf vor ihr, als die betäubenden Düfte des Treibhauses sie umwallten und sie Maxime und Luise vor sich sah. Damals hatte sie das Böse erstrebt, das Böse, das Niemand begeht, das ihre leere Existenz ausfüllen und sie endlich jene Hölle empfinden lassen sollte, vor welcher sie sich noch immer fürchtete, wie zur Zeit, da sie noch ein kleines Mädchen war. Am nächsten Morgen aber hatte sie es nicht mehr gewollt, denn etwas wie Lässigkeit und Gewissensbisse regte sich in ihr. Es schien ihr, als hätte sie bereits gesündigt, als wäre dies nicht so gut, wie sie gedacht und wirklich zu unfläthig. Die Krise mußte unausweichlich werden, mußte von selbst eintreten, unabhängig von diesen zwei Wesen, diesen Kameraden, deren Bestimmung war, sich eines schönen Abends zu täuschen, sich zu paaren, in der Meinung, sie hätten einander blos die Hände gereicht. Doch nach diesem blöden Fall setzte sie ihren Traum eines namenlosen Glückes fort und so riß denn sie wieder Maxime in ihre Arme, um ihn zu besitzen, um die grausamen Freuden einer Liebe zu genießen, welche sie für ein Verbrechen ansah. Sie willigte ein in die Blutschande und verstand sich dazu, dieselbe bis zu Ende zu verkosten, bis zu den Gewissensbissen, wenn sich dieselben jemals melden sollten. Sie handelte thatkräftig, in vollem Bewußtsein. Sie liebte mit dem vollem Eifer der großen Dame und ergötzte sich mit dem ganzen Abscheu der Dame, die sich in Selbstverachtung ertränkt, an ihrem Laster.

Maxime fand sich jede Nacht ein. Gegen ein Uhr Morgens langte er durch den Garten an. Zumeist erwartete ihn Renée im Treibhause, welches er durchschreiten mußte, um in den kleinen Salon zu gelangen. Im Uebrigen bekundeten Beide keinerlei Scheu; sie versteckten sich kaum und ließen die einfachsten Vorsichtsmaßregeln der Ehebrecher außer Acht. Allerdings gehörte dieser Theil des Hôtels beinahe ausschließlich ihnen. Nur Baptiste, der Kammerdiener des Gatten, durfte sich daselbst einfinden und als ernster, seiner Stellung bewußter Mann zog sich Baptiste zurück, sobald er seinen Obliegenheiten nachgekommen. Maxime behauptete sogar lachend, daß er sich zurückziehe, um seine Memoiren zu schreiben. Als er eines Nachts anlangte, zeigte ihm Renée den Diener, der mit einer brennenden Kerze in der Hand, feierlich durch den Salon schritt. Mit seinem Gesichte, welches würdevoll wie das eines Ministers und von dem gelben Schein der Wachskerze beleuchtet war, erschien der Mann heute noch korrekter und strenger als sonst. Als sich die Liebenden ein wenig nach vorne neigten, sahen sie ihn die Kerze auslöschen und den Stallungen zuschreiten, wo die Pferde und Stallknechte schliefen.

»Er macht seine Runde,« sagte Maxime.

Renée erschauerte. Baptiste beunruhigte sie gewöhnlich. Sie behauptete, daß er der einzige rechtschaffene Mensch im Hause sei, mit seiner Kälte, seinen Blicken, die sich niemals auf die Schultern der Frauen hefteten.

Sie beobachteten fortan etwas mehr Vorsicht. Sie verschlossen die Thüren des kleinen Salons und konnten nun in aller Sicherheit sich an diesem Salon, dem Treibhause und an den Gemächern Renée's erfreuen. Dies war eine ganze Welt. Während der ersten Monate verkosteten sie die raffinirtesten und mit größter Sachkenntniß vorbereiteten Genüsse. Sie genossen ihre Liebe in dem großen, graurothen Bette des Schlafgemaches, in der rosig-weißen Nacktheit des Ankleidezimmers und der Symphonie in gedämpftem Gelb des kleinen Salons. Jedes Gemach gewährte ihnen dank seinem eigenen Dufte, seinen besonderen Tapeten und seinem speziellen Leben verschiedene Zärtlichkeitsabstufungen, machte aus Renée eine andere Liebesgöttin; sie war hübsch und zart in ihrem gepolsterten Lager der großen Dame, in diesem lauen, aristokratischen Zimmer, welches der Liebe einen Anstrich des guten Geschmackes verlieh; unter dem fleischfarbenen Zelt, inmitten der Düfte und nach der feuchten Umarmung des Bades, war sie die launenhafte und sinnliche Dirne, die sich hingab, wenn sie dem warmen Wasser entstieg und hier zog Maxime sie am liebsten in seine Arme; unten aber, in dem Sonnenschein des kleinen Salons, inmitten des gelben Glorienscheins, der ihr Haar vergoldete, wurde sie zur Göttin mit ihrem blonden Dianenhaupte, ihren nackten Armen, die sich so keusch und anmuthig bewegten und mit dem reinen, fleckenlosen Leibe, der in so edlen Linien, mit so antiker Anmuth auf dem Sopha ruhte. Doch gab es einen Ort, vor welchem sich Maxime beinahe fürchtete und wohin ihn Renée nur an schlimmen Tagen zog, an solchen Tagen, da sie einer betäubenderen Freude bedurften. Dieser Ort war das Gewächshaus. Hier genossen sie so recht die Blutschande.

Eines Nachts, in einer angstvollen Stunde hatte die junge Frau ihren Geliebten aufgefordert, er möge eines der schwarzen Bärenfelle holen. Sodann hatten sie sich auf diesem dunklen Fell, am Rande des Wasserbeckens ausgestreckt. Draußen fror es fürchterlich und der Mond verbreitete ein ungewisses Licht. Maxime war frierend angelangt; Ohren und Finger waren ihm beinahe abgefroren. In dem Treibhause aber herrschte eine solche Hitze, daß er auf dem weichen Thierfell liegend, von einem Unwohlsein erfaßt wurde. Nach dem trockenen Prickeln der Kälte überkam ihn ein flammendheißes Gefühl, daß er ein Stechen empfand, als hätte man ihn mit Gerten gestrichen. Als er sich erholt hatte, sah er Renée über ihn geneigt, mit stieren Augen, in einer brutalen Haltung, die ihm Furcht einflößte. Mit wirr herunterhängendem Haar und nackten Schultern stützte sie sich auf beide Hände, mit gestrecktem Rücken vorgeneigt, gleich einer großen Katze, deren Augen in schwefelfarbenem Lichte glänzen. Auf dem Rücken liegend, bemerkte der junge Mann über die Schultern dieses entzückenden liebenden Wesens hinweg, welches ihn anblickte, die Marmorsphinx, deren glänzende Lenden vom Monde beschienen wurden. Renée hatte ganz die Haltung und das Lächeln dieses Ungeheuers mit dem Frauenkopfe und in ihren halb herabgeglittenen Röcken schien sie die weiße Schwester dieses schwarzen Gottes zu sein.

Maxime war noch immer matt. Die Hitze wirkte betäubend; eine dumpfe, schwere Hitze, die nicht als Feuerregen vom Himmel fiel, sondern schwerfällig auf dem Boden ruhte, gleich einer ungesunden Ausdünstung, deren Dampf ähnlich einer gewitterschweren Wolke, langsam in die Höhe stieg. Eine warme Feuchtigkeit rieselte gleich dem Schweiß von den Liebenden. Lange verharrten sie schweigend und regungslos in diesem Flammenbade: Maxime erschlafft und kraftlos, Renée zitternd auf ihren Fäusten wie auf nervigen, üppigen Beinen ruhend. Durch die kleinen Glasscheiben konnte man die dunkeln Umrisse der Bäume, die weißen Rasenflächen sehen, welche an gefrorene Seen erinnerten, – eine todte Landschaft, deren zarte, deutliche Zeichnung an japanesische Gemälde erinnerte. Und dieses Stück heißer Erde, dieses flammende Lager, auf welchem die Liebenden ruhten, brodelte eigenartig inmitten dieser großen, schweigsamen Kälte.

Sie genossen eine Nacht wahnsinniger Liebe. Renée war der Mann, der leidenschaftliche, handelnde Wille, Maxime unterlag. Dieses neutrale, blonde hübsche Wesen, welches von Kindheit an in der Entwicklung seiner Männlichkeit gehemmt worden, verwandelte sich mit seinen haarlosen Gliedern, seiner an einen römischen Knaben gemahnenden anmuthigen Magerkeit in den Armen der jungen Frau in ein großes Mädchen. Er schien geboren und herangewachsen für eine derartige Verirrung der Wollust. Renée ergötzte sich an ihrer Herrschaft; dieses Geschöpf, bei welchem das Geschlecht noch immer nicht entschieden war, knickte förmlich zusammen unter ihrer Leidenschaft. Für sie bildete dies ein unablässiges Erstaunen des Verlangens, eine Ueberraschung der Sinne, ein absonderliches Empfinden von Unbehagen und gesteigertem Vergnügen. Sie war ihrer Sache selbst nicht mehr sicher und berührte nur zweifelnd seine feine Haut, seinen vollen, runden Hals, beobachtete zweifelnd, wie er sich seiner Mattigkeit hingab und sich von derselben übermannen ließ. Sie empfand eine Zeit der Ueberfülle. Indem Maxime ihr unbekannte Genüsse bot, vervollständigte er gewissermaßen ihre unsinnigen Toiletten, ihren erstaunlichen Luxus, ihre bis zum Aeußersten getriebene Lebenslust. Er gab bei ihr den Ton des kommenden Verderbens an, der rings um sie her bereits vernehmbar wurde. Er wurde der Liebhaber, wie ihn die Mode und die Thorheiten jener Zeit erzeugen mußten. Dieser hübsche, junge Mann, dessen eng anschließende Kleider seine zarten Formen erkennen ließen; dieses verfehlte Mädchen, welches mit dem in der Mitte gescheitelten Haar und einem leisen gelangweilten Lächeln über den Boulevard schritt, wurde in den Händen Renée's ein Abbild jener ausschweifenden Epoche, welche Geist und Körper zu Grunde richten sollte. Und insbesondere gab das Treibhaus den Schauplatz ab, wo Renée der Mann war. Der liebeglühenden Nacht, welche sie daselbst verbracht, folgten noch mehrere andere. Das Gewächshaus liebte, glühte mit ihnen. In der schweren Atmosphäre, in dem fahlen, weißen Lichte des Mondes schien es ihnen, als würde die fremde Welt der sie umgebenden Pflanzen undeutliche Bewegungen ausführen und sich in sinnlichen Umarmungen ergehen. Das schwarze Bärenfell schien die üppige Vegetation auf einen Punkt zu konzentriren. Zu ihren Füßen dampfte leise murmelnd das Bassin, in welchem die zahllosen Wurzelfasern sich innig durch einander schlangen, während sich auf der Wasserfläche die rosigen Sterne der Nymphäen gleich einem jungfräulichen Mieder erschlossen und die Tornelien ihr an das Haar erschlaffter Nereiden gemahnendes Strauchwerk herabhängen ließen. Rings um sie her reckten sich die Palmen und Bambusrohre im Kreise, neigten und vermengten sie ihre Blätter in der schwankenden Art ermüdeter Liebender. Weiter unten erinnerten die Farrenkräuter, Pteriden und Alsophilen mit ihren mit regelmäßigen Volants besetzten breiten Röcken an grüne Damen, die am Ende der großen Allee stehend, stumm und regungslos die Liebe erwarteten. Neben ihnen nahmen sich die rothgefleckten krausen Blätter der Bégonien und die weißlichen Blätter der Caladien wie eine undeutliche Reihe von blauen und bleichen Flecken aus, die sich die Liebenden nicht zu deuten suchten, die ihnen aber mitunter die runden Formen der Schultern, Hüften oder Kniee anzunehmen schienen, die unter der Brutalität stürmischer Zärtlichkeitsbezeugungen zu Boden gedrängt werden. Und die unter der Last ihrer Früchte gebeugten Bananen redeten ihnen von der üppigen Fruchtbarkeit des Bodens, während andererseits die abessynische Wolfsmilch, deren stachelige, mißgestaltete, von scheußlichen Höckern entstellte Blüthen in dem Dunkel nur schwer auszunehmen waren, den Saft, die überfließende Gluth dieser Flammengeneration von sich zu geben schien. Doch je tiefer ihre Blicke in die einzelnen Winkel des Treibhauses drangen, desto mehr füllte sich die Dunkelheit mit den absonderlichsten Blättern und Kelchen; sie unterschieden auf den Ständern nicht mehr die sammtweiche Maranta, die violetten Blüthen der Gloxinia, die Blätter des Drachenbaumes, die an lackierte Schwertklingen erinnerten; – es war das eine Versammlung lebender Pflanzen, die einander mit unbefriedigter Inbrunst verfolgten. In den vier Ecken, wo die von Schlinggewächsen gebildeten Vorhänge reizende Verstecke darstellten, gewann ihre sinnliche Phantasie noch reichere Nahrung und die üppigen Triebe der Vanille, der Kockelskörner, der Bauhinien waren die endlosen Arme unsichtbarer Liebender, die ihre Umarmungen immer mehr ausdehnten, um alle vorhandenen Freuden an sich zu reißen. Diese Arme, die kein Ende hatten, hingen bald schlaff herab, bald schlangen sie sich in einem Anfall von Liebesraserei durch einander, suchten sich, verwickelten sich, wie in einer einzigen großen Brunst. Dies war die mächtige, großartige Brunst des Treibhauses, dieses Stück Urwaldes, in welchem die Blüthen und Knospen der tropischen Vegetation stammten.

Dank ihren irregeleiteten Sinnen fühlten sich Maxime und Renée hingerissen durch diese mächtige Hochzeitsnacht der Erde. Durch das Bärenfell hindurch brannte ihnen der Boden den Rücken und von den hohen Palmen fielen Tropfen der Hitze auf sie herab. Die Säfte, welche sich an den Baumschäften emporsaugten, durchdrangen auch sie und verliehen ihnen immer heißeres Verlangen und die Fähigkeit gigantischen Genießens. Sie nahmen an der Brunst des Gewächshauses theil. Hier, inmitten des bleichen Lichtes wurden sie von Visionen heimgesucht, von Alpdrücken, in welchem sie lange den Liebesbezeugungen der Palmen und Farrenkräuter beiwohnten; die Blätter und Zweige nahmen in ihren Augen unbestimmte, zweideutige Formen an, welche ihre Begierden in lüsternen Vorstellungen festhielten. Aus den Baumgruppen tönte leises Gemurmel und Flüstern, ermattete Stimmen und Seufzer der höchsten Verzückung, unterdrückte Schmerzensrufe und entferntes Gelächter an ihr Ohr, – kurz all' das, was ihre eigenen Küsse verriethen und was das Echo wiederholte. Zuweilen glaubten sie, der Boden erbebe unter ihnen, als wäre die Erde selbst in einer Krise befriedigten Genießens in wollüstiges Schluchzen ausgebrochen.

Wenn sie die Augen schlossen und die erstickende Hitze und das bleiche Licht sie nicht in eine Zerrüttung aller Sinne stürzten, so hätten die verschiedenartigen Gerüche genügt, um in ihnen einen Zustand höchster nervöser Reizbarkeit wachzurufen. Das Wasserbecken strömte einen tiefen, beizenden Geruch aus, welcher die tausenderlei Düfte der Blumen und Pflanzen in sich vereinte. Zuweilen gewann der Duft der Vanille gleich dem Girren einer Turteltaube die Oberhand; dem folgten die härteren Töne der Stanhopéa, deren getigerten Kelchen ein bitterer, durchdringender Geruch entströmte. Die in ihren durch dünnen Ketten festgehaltenen Körben ruhenden Orchideen athmeten ihren betäubenden Weihrauchgeruch aus. Der Alles beherrschende Duft aber, der Duft, in dem all' diese schwankenden, unausgesprochenen Gerüche untergingen, war der Duft des menschlichen Leibes, der Duft der Liebe, welchen Maxime erkannte, wenn er Renée's Nacken küßte, wenn er den Kopf in ihrem aufgelösten Haare barg. Und sie blieben wie berauscht von diesem der verliebten Frau anhaftenden Geruch, der durch das Treibhaus zog, wie durch ein Schlafgemach, wo die Erde in Kindesnöthen lag.

Gewöhnlich lagerten sich die Liebenden unter dem Tanghin von Madagaskar, unter dem vergifteten Strauch, von welchem die junge Frau ein Blatt zerbissen hatte. Rings um sie her lachten die weißen Formen der Statuen, während sie die ungeheuren Verschlingungen der Zweige und Aeste betrachteten. Der Mond, der still seine Bahnen zog, veränderte die verschiedenen Gruppen und belebte durch sein wechselndes Licht das Drama. Und sie waren tausend Meilen von Paris entfernt, standen außerhalb des leichtfertigen Lebens des Bois und der Salons, befanden sich inmitten eines indischen Urwaldes, dessen Gottheit die schwarze Marmorsphinx war. Sie fühlten sich dem Verbrechen, verbotener Liebe, den Zärtlichkeitsbezeugungen wilder Thiere überantwortet. Dieser Pflanzenwucher, der sie umgab, dieses dumpfe Gewühl in dem Bassin, diese unverhohlenen Liebesergüsse der Vegetation, – all' dies vereinigte sich, um sie in eine Danteische Hölle der Leidenschaft zu stürzen. In diesem gläsernen Käfig, der von der klaren Kälte des Dezember umgeben, alle Gluth und Hitze des Sommers in sich verschloß, genossen sie die Blutschande gleich der verbrecherischen Frucht einer übermäßig erhitzten Erde.

Und inmitten des schwarzen Felles hob sich der weiße Leib Renée's ab, wie sie mit gestrecktem Rückgrat wie eine große zusammengekauerte Katze sich auf die kleinen Fäuste stützte. Ihr ganzes Sein war von Wollust geschwellt und die hellen Linien der Schultern und Hüften hoben sich weich von dem dunklen Schatten ab, welchen das Bärenfell auf den gelben Sand der Allee warf. Sie beobachtete Maxime, diese unter ihr liegende Beute, die sich ihr rückhaltslos zu eigen gab. Und von Zeit zu Zeit neigte sie sich plötzlich über ihn und küßte ihn mit den halb geöffneten Lippen. Dabei öffnete sich ihr Mund mit der gierigen, unersättlichen Hast des chinesischen Hibiscus, dessen Blätterwerk eine Wand des Hôtels bedeckte. Sie war auch nur noch eine brennende Blüthe des Treibhauses. Ihre Küsse erblühten und erstarben gleich den rothen Blumen der großen Malve, die kaum einige Stunden leben und ohne Unterlaß neu erblühen, gleich den mörderischen unersättlichen Lippen einer riesigen Messalina.


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