Fedor von Zobeltitz
Drei Mädchen am Spinnrad
Fedor von Zobeltitz

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In den letzten Tagen vor dem Aufbruch nach Venedig hatte Maxe noch besonders viel zu tun. Aber sie blieb in guter Stimmung: die Aussicht auf das Wiedersehen mit den Schwestern verhieß neuen Sonnenschein.

Pferde und Automobile wurden zurückgelassen. Eine Anzahl Domestiken war schon vorangeschickt worden: trotzdem war der Troß noch immer groß genug, als die Abreise endlich vor sich ging.

Man traf um die Dämmerstunde in Venedig ein, Holm erwartete die Herrschaften. Eine Flottille kleiner Barken, die Gondelführer mit Schulterschleifen in den Göchhusenschen Farben, lag an der Freitreppe des Bahnhofs bereit. Eine schwerere Barke, an den Seiten offen und hier mit farbigen Teppichen gedeckt, war für Maxe und ihren Vater bestimmt.

Als Maxe die Bahnhofstreppe hinabstieg, stutzte sie und wurde plötzlich sehr bleich, während ihr gleich darauf das Blut wieder heftig in die Wangen schoß. Auch Göchhusen blieb einen Augenblick stehen.

»Zackri,« rief er halblaut, »ist das nicht...«

Jetzt sprang ein Herr von der untersten Treppenstufe aus den beiden entgegen. Er trug einen Buschen Rosen in der linken Hand und schwenkte seinen Hut mit der rechten.

»Gnädigste Dogaressa,« sagte er, »gestatten Sie mir ganz gehorsamst, Sie im Auftrage des Großen Rats feierlichst begrüßen zu dürfen.«

Maxe nahm die Blumen und verbarg ihre Freude nicht. »Tausend Dank, Herr von Emmingen,« antwortete sie; »wo kommen Sie her, und woher wußten Sie die Stunde unsrer Ankunft?«

»Das ist diplomatisches Geheimnis, gnädiges Fräulein. Aber ich bin willens, Ihnen alles zu erklären –«

»Morgen,« fiel Göchhusen ein. »Herr von Emmingen, ich hoffe, Sie werden uns häufiger besuchen. Heute lassen Sie uns freundlichst Zeit zur Installation.«

Der kühle Ton genierte Emmingen keineswegs. Er verneigte sich liebenswürdig. »Selbstverständlich. Ich wollte nur zur ersten Begrüßung zur Stelle sein.«

»Wo wohnen Sie?« fragte Maxe.

»Bei Danieli.«

»Also auf Wiedersehn ...« Sie reichte ihm die Hand und drückte herzlich die seine. Und als er auf der Bahnhofstreppe stehenblieb, winkte sie ihm aus der Barke noch einen Gruß mit den Rosen zu.

Göchhusen war knurrig. »Das paßt mir nicht,« sagte er unverhohlen. »Nun haben wir den Emmingen wieder auf dem Halse!«

»Pardon, Papa. Du selbst hast ihn aufgefordert, uns häufiger zu besuchen.«

»Fason de parler. Das sagt man so. Warum ist er nicht bei seiner Tilde geblieben?«

»Vielleicht sind die Vanhoovens auch mit hier. Ich weiß es nicht.«

»Aber ich weiß, daß ich dich mir nicht wieder so entziehen lasse, wie in Pallanza. Oder aber ... Gut, er soll mir nach wie vor willkommen sein, wenn er mir sein Ehrenwort gibt, nicht um dich anzuhalten.«

Maxe blieb ganz ruhig; nur ihre rechte Schulter zuckte.

»Überlege erst reiflich,« antwortete sie, »ehe du ihm dies Ehrenwort abforderst ...«

Nun waren auch Beate und Elfriede mit dem Major von Hartwig eingetroffen, und der alte Palazzo Solazzi am Großen Kanal wurde mit frohem Leben erfüllt.

Göchhusen hatte den Palast vor sechs Jahren gekauft, als seine Frau kränklicher zu werden begann und die Staubfreiheit Venedigs sowie die feuchte Luft auf Wanda von günstigem Einfluß zu sein schienen. Es war ein stattlicher Bau aus der Zeit der Hochrenaissance und enthielt in einem Saale noch ein in die Wand gelassenes Bild, das dem Giorgione zugeschrieben wurde. Göchhusen hatte in seinem Schönheitssinn und seiner Vorliebe für malerische Wirkungen den ganzen Palazzo gründlich restaurieren und mit feinem Geschmack einrichten lassen. Es hatte damals auch Wanda Freude gemacht, mit ihrem Gatten die Budiken der Antiquitätenhändler zu durchstöbern und die Zimmerfluchten mit passendem Mobiliar, Teppichen und künstlerischem Schmuck zu füllen. Der angebliche Giorgione war durch sie entdeckt worden. Sie ließ eine Nische öffnen, um Platz, für eine Statue zu schaffen, und da fand sich das Bild, eine Madonna mit. dem heiligen Franziskus, in der Vermauerung der Wand. Die Folge war ein Prozeß mit dem Vorbesitzer des Hauses, einem reichen Engländer, der Anspruch auf den Giorgione erhob, aber abgewiesen wurde, und die weitere Folge eine Wallfahrt der Kunsthistoriker nach dem Palazzo Solazzi und ein heftiger Federkrieg für und wider die Echtheit des Bildes.

In dem Giorgionesaal setzte sich Elfriede gleich am ersten Tage nach ihrer Ankunft fest und begann das Gemälde zu kopieren. Wichtigeres hatte ihr Bräutigam zu tun. Die alte Freundschaft zwischen ihm und Göchhusen festete sich in Schnelle von neuem, so daß Hartwig auch seinerseits mit seinen Zukunftsplänen herausrücken konnte. Zuvörderst handelte es sich um seine Wiederanstellung in der aktiven Armee und seine Versetzung zur Kavallerie. Mit alldem war Göchhusen durchaus einverstanden und bot auch mit freigebiger Hand die Mittel zu der neugewählten Karriere. Anders verhielt er sich gegenüber dem Anliegen Frau Magdas, das Hartwig ihm unterbreitete. Magda mochte einsehen, daß ihre Maxe keine recht energische Vertreterin ihrer Wünsche sein würde, und hatte demgemäß ihren Schwiegersohn beauftragt, mit Göchhusen über die Erbschaftsfestsetzungen für ihre Kinder zu verhandeln. Darüber aber ärgerte sich Göchhusen. Er fand es lächerlich, daß seine geschiedene Frau in der Angst lebte, er könnte sich zum dritten Male verheiraten und dadurch das Erbe der Kinder beeinträchtigen. Hartwig hatte einen schweren Stand. Göchhusen schrie und polterte gewaltig. Was dachte denn die gnädige Frau in Berlin?! War es nicht ein wahnsinniger Gedanke, den sie sich in den Kopf gesetzt hatte? Und um dieses spleenigen Einfalls willen sollte er große Kapitalien festlegen – und so im Handumdrehen, als ob es sich um drei Mark fünfzig, handelte?! Er hatte doch wahrhaftig oft genug bewiesen, daß er nicht wie ein Geizhals auf seinem Säckel saß: er war eine noble Natur – aber die gnädige Frau in Berlin schien hin für einen Schubjack zu halten. Schubjack! rief er. Er wütete sehr. Da hielt denn Hartwig ein Einlenken für zweckdienlich. Er ließ die Sache vorläufig fallen.

Inzwischen war auch Krempel eingetroffen, um die letzten vierzehn Tage seines Urlaubs mit den Freundinnen in Venedig zu verleben. Er mußte gleichfalls in den Palazzo Solazzi ziehen und konnte sich sein Zimmer wählen. Er wählte eins unmittelbar unter dem Dache, einmal der Aussicht wegen und dann auch, weil er behauptete, daß die Schnaken nicht so hoch zu steigen pflegten.

Nun begann ein lustiges Leben. Wenn man nicht den Spuren Elfriedes durch die Kunststätten der Lagunenstadt folgte, machte man Ausflüge nach Pallestrina, Murano oder Chioggia oder lag auf dem Lido. Da war man am liebsten. Man hatte ein paar Capannen gemietet, badete, schwamm und streckte sich im sonnenheißen Sande aus. Die züchtigen jungen Berlinerinnen mußten sich allerdings erst an das ungenierte Strandtreiben gewöhnen. Sie hatten sich sehr diskrete Badekostüme gekauft, genierten sich aber doch ein bißchen, sich so unter dem Schwärm im Trikot steckender Herren zu zeigen und hüllten sich anfänglich ängstlich in ihre weiten Frottiertücher. Elfriede war die erste, die den Mantel fallen ließ und sich damit der Gewöhnung fügte; dann folgte Beate und schließlich auch Maxe, die aber noch lange mit eingeknickten Knien und hochgezogenen Füßen umherstolzierte, als fürchtete sie für ihre Beine. Endlich kam auch über sie das Ganze allmächtiger Gewohnheit zugleich mit dem klugen Bewußtsein, daß die Dejambierung (wie Emmingen sich ausdrückte) am Strande nicht gefährlicher sei als die Dekolletierung im Ballsaal.

Eines Tages sahen sie so etwas wie einen großen Seehund im Sande liegen und waren sehr entrüstet darüber, daß sich dies Ungetüm gerade vor ihren Capannen hingelagert hatte. Die Entrüstung wandelte sich aber in ein fröhliches Gegenteil, als sich der Seehund bei ihrem Nahen ungefüge emporwälzte, mit der rechten Flosse an den Kopf griff, als ob er den Hut ziehen wollte, und als er merkte, daß keiner da war, sich zu einer Verbeugung bequemte, indes er anfangs freundlich, dann drohender sagte:

»Ich habe die Ehre, meine gnädigsten Damen, und bin hocherfreut, Sie im Schoße der Königin des Meeres begrüßen zu dürfen. Emmingen, außerdem bin ich entrüstet, und zwar über Sie. Sie wollten sich mit mir in Monte Carlo treffen und laufen statt dessen am Lido im schwarzen Trikot herum. Warum haben Sie mir nicht wenigstens Nachricht gegeben?«

»Ist geschehen, lieber Brökelmann, das kann ich beeidigen. Ich habe von Pegli aus an das Hotel Casino telegraphiert.«

»Da ich im Excelsior wohnte, hat mir das Telegramm im Hotel Casino verdammt wenig genützt. Verzeihung, meine Damen, daß ich ein wenig aufgeregt bin, aber nichts irritiert mich mehr als ein nicht gehaltenes Versprechen. Übrigens bin ich schon wieder im Gleichgewicht ...« Er raffte seinen am Boden liegenden Bademantel auf und hing ihn wie eine altrömische Toga um die Schulter. ... »Ja, im Gleichgewicht. Es ist letzthin zu öfterem gestört worden; aber die alte Struktur hat sich zurückgefunden. Meine Herrschaften, ich bin orientiert. Die Regentenstraße ist nach dem Canalazzo übergesiedelt. Da hält der Giorgione Wache, es blüht die Kunst, und das Leben geht weiter.«

Sie Begrüßung Brökelmanns war auch seitens der Göchhusenschen Mädchen eine herzliche. Man hatte ihn gern und ging über die verunglückte Werbung bei der Mama zur Tagesordnung über. Man tat so, als wäre sie nie geschehen oder tat wenigstens so, als wisse man gar nichts von ihr. Seit dem Besuche in Zochin gehörte dieser Kommerzienrat gewissermaßen in das Gewebe der gegenseitigen persönlichen Beziehungen. Er war nicht zu etwas Unentbehrlichem geworden, aber immerhin zu einer schätzenswerten Vervollständigung des glücklichen Menschenkreises, der sich in der Lagunenstadt zusammengefunden hatte. Für Göchhusen war er seinem ganzen Wesen nach wie geschaffen. Zochin bildete die erste Gemeinsamkeit der Interessen, und aus ihr erwuchs in Bälde eine dicke Freundschaft. Brökelmann war nicht nur ein höchst origineller Kopf, sondern auch ein ausgezeichneter Kaufmann, dessen scharfe Intellektualität immer bis zur Wirklichkeit vordrang und keine Vortäuschungen duldete. Er wurde für Göchhusen eine Mithilfe, wie er sie im Wirrwarr der Erbschaft seiner verstorbenen Frau brauchen konnte. Und Brökelmann tat ihm auch den Gefallen, sich ihm stundenlang zu widmen und sich seiner Interessen anzunehmen.

Maxe amüsierte sich über diese neue Freundschaft.

»Kinder,« sagte sie gelegentlich zu den Schwestern, »ist es nicht merkwürdig daß sich da ein Faden, den wir mit kunstreicher Hand für die Mama ausspinnen wollten, nun unversehens nach andrer Richtung weiterentwickelt? Wer hätte je eine solche Intimität zwischen Brökelmann und Papa für möglich gehalten?«

»Seien wir doch froh darüber,« antwortete Elfriede. »Die beiden passen gut zueinander, und so ist unsre Tätigkeit als Schicksalsgöttinnen wenigstens nicht ganz umsonst gewesen. Nur die Mama – ja, die geht leer aus, und grade ihr galt das Geheimnis unsres Waltens.«

»Scht,« machte Maxe und tat geheimnisvoll, »ich will euch etwas anvertrauen. Aber unter tiefster Diskretion –«

»Diskretion ist Ehrensache,« warf Beate ein.

»Also vernehmt. Emmingen will uns in Berlin seinen Gesandten zuführen. Der Mann ist kinderloser Witwer, ist Exzellenz, hat einen sehr schönen, grau melierten Vollbart und möchte sich gern wieder verheiraten. Letzteres weiß Emmingen. Es ist demgemäß neue Hoffnung vorhanden.«

»Ich mache nicht mehr mit,« sagte Beate. »Ich trete von dem Trio der Parzen zurück. Aber ich habe nichts dagegen, wenn dein Emmingen das Geschäft weiterführt.«

»Mein Emmingen,« wiederholte Maxe. »Nun geht es schon wieder los. Bisher hieß es mein Krempel. Was würdest du sagen, wenn ich von deinem Brökelmann sprechen wollte!?«

Beate zuckte die Achseln. Doch es war sichtbar: Maxe berührte da einen wunden Punkt. Sie hatte sich verplappert und den Schwestern gelegentlich erzählt, daß die erste heiße Leidenschaft im Herzen des Kommerzienrats Beate gewesen sei. Zwar hatte die Leidenschaft sich nicht zu festem Bestande kristallisiert; aber die Tatsache an sich schuf ein Gefühl der Erregung in Beate. Unverschämtheit! hatte sie zuerst ausgerufen, als sie dies gehört hatte. Der Ausdruck wandelte sich später ab und wurde milder. Es blieb nur noch ein großes Interesse für das unumstößliche Faktum übrig, daß Herr von Brökelmann sie weiß Gott hatte heiraten wollen. Die Adelsgewährung war noch nicht veröffentlicht worden, stand jedoch vor der Tür. Jedenfalls sagte Beate heute schon nie anders als Herr von Brökelmann (als ob sie sich daran gewöhnen wollte) und zuweilen auch »mein lieber Baron«. Dann aber machte Brökelmann regelmäßig eine unwillkürlich leidende Bewegung. Der Baronstitel schien ihn doch ein klein wenig zu belästigen.

Er war zu den drei Mädchen von gleichmäßiger Liebenswürdigkeit, brachte ihnen Blumen und Konfitüren und war durchaus der bourgeois gentilhomme, den man an ihm kannte. Dennoch spürte Beate, daß er sie bevorzugte – und sie sträubte sich dagegen. Was wollte der Mann, um Gottes willen? Zuerst sie, dann die Mama, und nun wieder sie. Das war doch geradezu grotesk. Ein Mensch, der sein Herz beliebig einzuheizen verstand, der mit sympathetischen Wirkungen operierte. Was wollte er eigentlich? Sie war nicht mehr so zuvorkommend zu ihm wie früher: ihre große Mission war ja zu Ende. Sie bemühte sich sogar, kühl zu sein, und als er einmal versuchte, auf die mystischen Hintergründe seines Seelenlebens hinzudeuten, lachte sie ihn schalkhaft aus. Mit seinen Erkenntnissen und Offenbarungen ging sie nicht mit.

Göchhusen hätte sich wunschlos glücklich im Zirkel seiner Kinder gefühlt, wenn Emmingen nicht gewesen wäre. Elfriede verlor er sowieso, seinen einstigen Liebling; Beate stand ihm in der kühlen Ruhe ihres Wesens ziemlich fern; da wollte er wenigstens Maxe behalten. Was ihn am meisten erbitterte, war die lächelnde Gelassenheit, mit der Emmingen seinen Widerstand aufnahm. Der Mann mußte doch merken, daß er sich bei ihm unbeliebt machte! Aber Gott bewahre: er kam immer wieder, und immer mit seinem unbekümmerten Gesicht, und drückte ihm mit großer Herzlichkeit die Hand und tat so, als sei er der willkommenste Gast.

Gelegentlich sprach, Göchhusen mit Dionys darüber.

»Krempel, wissen Sie Bescheid?« fragte er. »Wie kommt es daß Herr von Emmingen die Stunde unsrer Ankunft in Venedig gewußt hat?«

»Die hat er von mir erfahren,« antwortete Dionys. »Es ist kein Geheimnis. Er wollte es gern wissen, und da Maxe mir geschrieben hatte, mit welchem Zuge sie reisen würde, so telegraphierte ich das an Emmingen weiter. Es war eine einfache Gefälligkeit; ich wußte ja, daß er sich für Maxe interessiert.«

Jetzt schlug Göchhusen auf den Tisch, daß es krachte.

»Interessiert!« rief er. »Meinetwegen! Mag er! Das kann ich ihm nicht verbieten. Aber ich verbiete ihm, daß er dem Mädel den Kopf verdreht! Sie läuft ihm ja förmlich nach.«

»Ach nein,« erwiderte Krempel ruhig, »sie ihm nicht, aber er ihr. Wenigstens sozusagen. Nach Pallanza ist er mitgereist, und nach Venedig ist er vorangereist.! Das hat er ganz schlau angefangen.«

Göchhusen starrte Krempel an.

»Sie scheinen mir mit im Bunde zu sein?!« rief er drohend.

»Doch nicht. Aber ich würde mich freuen, wenn die beiden sich kriegten.«

Göchhusen wollte aufschäumen. Er tat es nicht. Er lächelte.

»Schade, lieber Krempel,« sagte er, »daß wir nicht der gleichen Ansicht sind. Mit meinem Willen bekommt der Herr Legationsrat meine Tochter nicht. Und ich werde dafür sorgen, daß ihre Mutter meinen Willen teilt ...«

Am gleichen Tage nahm er sich auch den Kommerzienrat vor.

»Brökelmann, Sie müssen mir einen Gefallen tun,« begann er.

»Immer zu Diensten, lieber Freund. Soll ich ein paar Güter für Sie besichtigen?«

»Nein. Sie sollen Emmingen auf kluge Weise beibringen, daß ich seine Besuche nicht mehr wünsche.«

Brökelmann machte ein verlegenes Gesicht. »Das ist unmöglich,« erwiderte er.

»Warum?«

»Weil auch die klügste Art, ihm diesen liebevollen Wunsch beizubringen, nichts fruchten würde. Denn er kommt ja zunächst nicht zu Ihnen, sondern zu Fräulein Maxe.«

»Das will ich eben nicht mehr.«

»Es ist die Frage, ob Fräulein Maxe nicht gegenteiliger Meinung sein wird.«

»Bin ich nicht der Vater?«

»Ei jawohl. Aber sie ist die Tochter. Eine Tochter ist stets ein weibliches Wesen. Und bei allen Weiblichkeiten ist das Herrschende das Herz. Und Herrschendes fügt sich nicht par ordre de Moufti

Göchhusen starrte Brökelmann an.

»Es scheint mir ein allgemeiner Gegenbund wider meine Wünsche zu existieren,« rief er. »Brökelmann, stehen Sie auch auf Seite Emmingens?«

»Aber natürlich,« antwortete der Kommerzienrat kopfnickend; »ich würde mich fürchterlich freuen, wenn die beiden sich kriegten ...«

Göchhusen sah ein, daß er in der Umgebung keine Unterstützung finden würde. Man begünstigte allerseits das sich anspinnende Liebesverhältnis. Nun wurde er eigensinnig. Seine Herrennatur regte sich: er wollte mit dem Kopf durch die Wand. Es war unmöglich, Emmingen einfach vor die Tür zu setzen. So etwas macht man nicht. Er überlegte reiflich und kam endlich zu dem Entschluß, sich für seine Wünsche die Mutter Maxes zu sichern. Wenn beide Eltern gegen die Partie waren, blieb Herrn von Emmingen gar nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen. Und das sollte noch vor seiner Erklärung geschehen: dann war die Geschichte ohne Aufsehen und große Szenen erledigt.

Göchhusen schrieb nicht gern; er telegraphierte lieber. So setzte er denn folgende Depesche an Frau Magda auf:

»Möchte Dich in wichtiger Angelegenheit persönlich sprechen. Es handelt sich um die Zukunft Maxes. Ein junger Herr, der mir nicht behagt, scheint um sie werben zu wollen. Ich bin entschieden dagegen und möchte in meiner Gegnerschaft Dein Einverständnis haben. Können wir uns über diese Frage einigen, so erkläre ich mich bereit, Deinem Wunsche einer Kapitalssicherung für die Kinder nachzukommen. Reise Du Donnerstag abend zehn Uhr zwanzig Berlin ab, so daß ich Dich Freitag nachmittag fünf Uhr fünfundzwanzig Verona erwarten kann, wo ich Hotel Londres für Dich Quartier bestelle. Dringende Drahtantwort zurückerbeten. Erich Göchhusen.«

Auch dies Telegramm war als dringend befördert worden. Die Antwort traf noch am selben Tage ein:

»Bin Freitag nachmittag Verona, will Sonnabend wieder zurück. Bitte mich Bahnhof zu erwarten. Magda.«

Göchhusen zeigte die Depesche keinem Menschen. Er schützte einen Geschäftsbesuch in Verona vor, beauftragte Hartwig, ihn in seiner Abwesenheit als Hausherr zu vertreten, und reiste ab. Es hatte ihm geahnt, daß seine Spekulation glücken würde. Die versprochene Kapitalssicherung für die Kinder war der Köder, der Magda lockte. Sonst würde sie sich sicher nicht zu der Unterredung mit ihm entschlossen haben.


Göchhusen stieg in Verona im Grand Hotel de Londres ab, das er kannte und wo er zwei Zimmer für Magda nahm. Gegenüber belegte er einen Salon und ein Schlafzimmer für sich. Er war ohne Diener gekommen; er wollte keine Lauscher haben. Andererseits sollte Magda sich behaglich fühlen. Er prüfte ihre Zimmer sehr genau, ließ das Meublement umstellen und vervollständigen und einen Korb mit Blumen auf den Mitteltisch des Wohngemachs setzen. Dann besichtigte er noch einmal den Salon gegenüber. Auch hier wünschte er Blumenschmuck und eine sorgfältig gedeckte Tafel für das Diner. Die Kellner mußten den Tisch sofort decken; er wollte das Arrangement sehen und hatte allerlei auszusetzen. Das Service gefiel ihm nicht, auch nicht das Kristall. Der Gerant des Hauses kam selber und hörte die Wünsche des schwer zufriedenzustellenden Gastes an. Göchhusen diktierte das Menü. Er zerbrach sich den Kopf, was Magda früher für kleine Lieblingsgerichte gehabt hatte. Endlich fiel ihm ein: frische Trüffeln waren immer ihre Passion gewesen – ja richtig – Trüffeln und grüner Gebirgsspargel. Beides mußte beschafft werden, koste es, was es wolle. Die sonstige Zusammenstellung fand sich leicht. Dazu einen beliebigen Tischwein und selbstverständlich Cliquot. Cliquot hatte sie immer am liebsten getrunken – schon auf der Hochzeitsreise ...

Diese ganze Mühewaltung war für Göchhusen etwas Selbstverständliches. Er erwartete ein weibliches Wesen: da war er immer der Werbende.

Erst als er sich den Hut aufsetzte, um zu Fuß nach dem Bahnhof zu schlendern, kam eine eigentümliche Beunruhigung über ihn. Es war doch seltsam, daß er Magda wiedersehen sollte. ... Bisher hatte er nur in kühler Verständigkeit daran gedacht und immer in Verbindung mit dem Vorstellungslauf, sie seinen Wünschen in bezug auf Maxe gefügig zu machen. Nun aber kam ein sachtes Herzklopfen mit einem Einsturm von allerhand Erinnerungen. Sie war einmal sehr, sehr hübsch gewesen, so wie die Beate, die das Ebenbild ihrer Jugend schien – wie mochte sie heute aussehen? – Sie sei rundlich geworden, sagten die Kinder – nun ja, so eine leichte Anlage zur Üppigkeit hatte sie schon immer gehabt. ... Herr von Göchhusen schritt jetzt an dem Schaufenster eines Friseurs vorüber und blieb einen Augenblick stehen, um sich in dem dort angebrachten Spiegel zu beschauen. Er nickte sich selbst zu: mit dem Ausdruck einer gewissen Befriedigung; er machte sich noch ganz leidlich.

An der Porta Bescova stand ein Blumenhändler. Göchhusen kaufte sich bei ihm eine Nelke und steckte sie in das Knopfloch am Aufschlag seines Paletots. Dabei lächelte er. Er gebärdete sich wirklich wie ein Verliebter, der die Braut erwartet. Er wollte ja auch siegreich wirken; natürlich wollte er das. Es stand für ihn viel auf dem Spiel. So sagte wenigstens sein Eigensinn. ...

Nun schritt er auf dem Bahnhofsperron auf und ab. Der Zug fuhr ein. Göchhusen nahm an, daß Magda neugierig aus dem Fenster ihres Coupés schauen würde. Aber er spähte vergeblich nach ihr aus. Eine Flut von Menschen ergoß sich in die Halle. Göchhusen sicherte sich zwei Facchini und schritt, die Ellenbogen gebrauchend, am Zuge entlang. Sein Gesicht nahm einen verärgerten Ausdruck an. Ein unangenehmer Gedanke stieg in ihm auf. Wenn sie nun nicht gekommen war! ... Aber da sah er sie auch schon. Sie drängte sich durch die Menschen, hatte ein Handtäschchen an die Brust gedrückt und schaute sich mit etwas verängstigtem Gesicht nach allen Seiten um.

»Magda!« rief er mit lauter Stimme.

Sie stutzte, lächelte freundlich und blieb stehen.

»Da bist du ja,« sagte er und schüttelte ihr herzlich die Hände. »Das ist nett, daß du gekommen bist. Ich dachte schon ... Wo ist dein Gepäckschein?«

Sie gab ihm den Schein. Er rief den Facchini ein paar Worte zu und führte Magda zu dem Hotelwagen.

Sie sprach gar nicht. Der Hals war ihr wie zugeschnürt, die Brust wie gepanzert. Um so lebhafter war er. Er redete ununterbrochen und vom Gleichgültigsten. Aber in der Tat redete er nur, um die Verlegenheit dieser ersten Augenblicke zu überbrücken.

Es war doch immerhin ein merkwürdiges Wiedersehen. Die Gedanken schoben sich bei ihm durcheinander; sie galoppierten; sie tanzten. Verona war die zweite Station ihrer Hochzeitsreise gewesen. Damals hatten sie in der Colomba d'Oro gewohnt. Er erinnerte sich noch gewisser Einzelheiten. Julias Sarkophag war ihr eine große Enttäuschung gewesen, aber die Arena hatte sie entzückt. ... Dann dachte er an den letzten Abschied von ihr; an ihre heißen, tränenlosen Augen und die zuckenden Lippen. ... Dann wieder an die Tage von Zochin. ... Es war doch ein merkwürdiges Wiedersehn.

»Hast du nur den einen Koffer?« fragte er, als die Facchini mit dem Gepäck kamen.

Sie nickte. »Ja – den Koffer und den Hutkarton. Fast schon zu viel für die paar Stunden. Ich möchte morgen wieder zurück.«

»Na na,« erwiderte er lächelnd, »so eilig ist es doch nicht. Wozu denn die Hetzjagd?«

»Ich habe zu Hause gar nicht gesagt, wo ich hinreise. ... Weißt du, ich wollte unnötigen Klatsch vermeiden. Es braucht ja niemand zu wissen, daß ich in Italien bin.«

»Natürlich nicht ...« Er stieg zu ihr in den Wagen und setzte sich auf den Rücksitz. Er schonte ihre Scheu. Sie vermied es, seinem Blick zu begegnen. Unter ihrem Schleier sah er noch immer verängstigte Züge und eine unruhige Verlegenheit. Aber jetzt begann ihn das zu amüsieren.

»Ich habe uns ein Diner bestellt,« sagte er; »du wirst hungrig sein.«

»Nein, gar nicht,« erwiderte sie hastig, »nicht die Spur ...« Und nach einer kleinen Pause fragte sie: »Wohnst du denn auch im Hotel Londres?«

»Jawohl. Selbstverständlich. Warum nicht?«

Sie antwortete nicht, und da fragte er noch einmal: »Warum soll ich denn nicht auch da wohnen?«

»Gott,« entgegnete sie und wurde sehr rot, »ich dachte nur ... Wenn uns zufällig Bekannte begegnen ... es könnte doch peinlich sein ...«

Er lachte fröhlich. »Beruhige dich. Ich habe mir die Fremdentafel angesehen. Es sind keine Bekannte da. ... Na – und wär's auch so. Es handelt sich ja um kein verschwiegenes Rendezvous, sondern um – sozusagen um eine geschäftliche Unterredung ...«

Nun schwieg sie wieder. Der Wagen fuhr über den Ponte Navi. Sie schaute auf das gelbe Wasser der Etsch; ihre Augen wanderten ruhelos umher.

Plötzlich wurde sie aufmerksamer. »Das Teatro nuovo,« sagte sie, »nun kommen wir gleich auf die Piazza d'Erbe.«

»Was du für ein gutes Gedächtnis hast!«

»Ja, das hab' ich. Im Teatro nuovo haben wir damals –« dies »damals« klang schwach und schüchtern – »›Aïda‹ gesehen.«

»Richtig!« rief er. »›Aïda‹! Verdi war dabei. Er saß in einer kleinen Orchesterloge, und das Publikum war wie rasend. Entsinnst du dich noch?«

»Ja ...« Und auf einmal fragte sie ganz unvermittelt: »Erich, nicht wahr, der junge Mann, von dem du mir telegraphiertest, ist Emmingen?«

»Herr von Emmingen – jawohl. Woher weißt du das?«

»Weil er Maxe schon in Berlin ein bißchen den Hof gemacht hat. Sie hat ihn auch öfters in ihren Briefen erwähnt. Du kannst ihn nicht leiden?«

»Das ist zuviel gesagt. Nur als Schwiegersohn paßt er mir nicht. Aber das sind Dinge, die wir in aller Ruhe besprechen können ...«

Der Wagen hielt vor dem Hotel an dem um diese Zeit stark belebten Corso S. Anastasia. Gerant, Portier und Kellner waren zur Stelle. Alles dienerte tief, und Magda wurde von neuem verlegen. Es war wirklich eine eigene Situation.

Göchhusen führte sie in ihre Zimmer.

»Ich wohne grade gegenüber,« sagte er. »Numro einundzwanzig ist der Salon. Da wollen wir essen. Es ist gemütlicher als unten. Ich habe italienische Kellner bestellt, so daß wir uns ungeniert unterhalten können ...«

Er hatte an alles gedacht.

»Ist dir halb sieben recht?« fragte er weiter.

Sie stand vor den Blumen am Mitteltisch. »Ganz recht,« erwiderte sie. »Sind die Rosen von dir?«

»Wenn du es nicht übel nimmst. Hier ist schon blühender Sommer.«

Es kam Bewegung in sie: sie sah ihn wieder durch das Medium seiner liebenswürdigen Sonderart, und es wurde ihr schwer, ihre Rührung zu meistern. Gut, daß er noch neben ihr stand. Da mußte sie sich zusammennehmen. Sonst wäre wahrhaftig ein Schluchzen in ihr aufgestiegen.

»Ich danke dir,« sagte sie freundlich.

Er zog sich zurück, um sich gleichfalls umzukleiden. Es ging diesmal auch ohne den Kammerdiener. Als er im Smoking vor dem Spiegel stand, um die Krawatte noch einmal zu binden, kam wieder ein Anflug von Eitelkeit über ihn. Aber es blieb nicht nur bei äußerer Betrachtung, sondern steigerte sich auch zu Beziehungslinien, die zu einem festen Wunsche führten. Er wollte ihr gefallen, er wollte es. Sie war noch eine sehr hübsche Frau, und, zum Teufel, er hatte nicht die Absicht, neben ihr in den Schatten zu treten. Er wollte zeigen, daß auch er noch etwas darzustellen vermochte – und, wie er sich so abermals im Spiegel sah, hatte er doch das Gefühl, daß ihm das gelingen könnte. Er nahm eine Bürste und glättete seinen Schnurrbart: auf die Schnurrbartspitzen hatte sie ihn zu guten Zeiten manchmal geküßt.

Und dann trat er von dem Spiegel zurück und warf mit rascher Bewegung die Bürste fort. Ach nein, albern wollte er nicht sein. In deine Schranken, lieber Erich! Sorge für ein annehmbares Gesamtbild, das versteht sich von selbst, aber verfall nicht ins Komödiantische. Ein alternder Geck ist immer ein Konterfei menschlicher Kleinheit – du bist zu schade für solches Spiel. ... Er begann ernster zu werden; er besann sich wieder auf sich selbst. Aber dann mußte er von neuem lächeln. Ihre anfängliche Befangenheit hatte etwas sehr Drolliges gehabt. Am liebsten wäre sie in einem andern Hotel abgestiegen. Und das gemeinsame Diner ... nun ja, es kam ja nicht alle Tage vor, daß man mit seiner geschiedenen Frau dinierte – aber etwas mußte sie doch essen – und er hatte auch Appetit – da setzte man sich eben zusammen. Honny soit qui mal y pense. ...

Er zog seine Uhr. Fünf Minuten vor halb sieben. Im Salon trug der Oberkellner schon die Suppenschüssel auf. Göchhusen musterte noch einmal den Tisch. Der war hübsch gedeckt. Das Zimmer war verdunkelt worden, die elektrischen Birnen brannten. Die Streublumen auf dem Damast verbreiteten einen angenehmen Duft; aber die große Jardinière in der Mitte des Tisches ließ Göchhusen fortnehmen. Sie störte.

Halb sieben. Göchhusen kontrollierte sich selbst und fand, daß er ein wenig in Unruhe war. In der Grundtätigkeit seines Wesens rührte sich etwas Fremdes oder lange unbekannt Gebliebenes. Eine Weichheit besonderer Art: keine Wehmut – eher ein Gefühl seltsam gedämpfter Freude, das seine Seele in Halblicht tauchte.

Es war schon eigen. Diese Frau war ja doch die Mutter seiner Kinder. ...

Nun trat sie ein, und er schritt ihr entgegen und küßte ihr die Hand. Sie trug ein Kostüm aus schwarzen Spitzen und eine Perlenkette um den Hals, die er kannte: sie war sein Brautgeschenk gewesen. Magda war wieder ein wenig verwirrt; sie versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr schlecht; auf ihren Wangen stand ein schämiger Ton, ihr Blick flirrte umher.

»Hübsch,« sagte er. »Du hast dir deine Jugend bewahrt ...« Und dann lachte er. ... »Ich fange gleich mit Komplimenten an. Aber das wollen wir nicht. Um Gotteswillen. ... Nimm Platz, liebe Magda ...«

Allmählich verlor sich ihre Befangenheit. Er begann sofort harmlos zu plaudern, fragte nach allerlei: nach der Wohnung in der Regentenstraße, nach den alten Dienstboten, nach dem Papagei, kam dann auf Zochin und seinen gegenwärtigen Besitzer, auf Krempel und schließlich auf die Fidelitas in Palazzo Solazzi. Sein Ton war heiter und auf eine gewisse vertrauliche Güte gestimmt, die aber Maß zu halten wußte. Freundschaftliches Empfinden bildete den Grundbestand.

Als die Trüffeln serviert wurden, ging ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Sieh da!« sagte sie.

»Nicht wahr?« entgegnete er schmunzelnd. »Mein leuchtendes Gedächtnis. Es gibt auch noch Gebirgsspargel. Die hast du in Chamouny mit Leidenschaft gegessen ...«

Sie schälte ihm eine Trüffel.

»Die Kinder haben nicht deinen Geschmack,« plauderte er weiter. »Allenfalls Beate. Maxe gar nicht. Brökelmann hat uns neulich mal zu einem kopiösen Diner geladen – zu einer Gesamtübersicht aller Finessen der Saison –, und da behauptete Maxe, sie zöge eine gesunde Hausmannskost vor. Sie fällt manchmal in das Kleinbürgerliche: aber das sei ein Reiz mehr an ihr, sagt Brökelmann.«

»Brökelmann scheint der Mittelpunkt eures venetianischen Kreises zu bilden.«

»So ungefähr. Ich hab' ihn sehr gern. Du nicht?«

»O doch. Aber ... hat dir Beate oder Elfriede nichts von ihm erzählt?«

»Was?«

»Lieber Gott, eine Kleinigkeit. Er hat jüngst um mich angehalten.«

»I der Tausend! Dieser Brökel! Das hätte ihm so gepaßt. Schau einer an!«

»Tu mir den Gefallen und verrate dich nicht –«

»Gott bewahre. Ich kann's ihm ja gar nicht verdenken. Es ehrt den Mann. Es zeugt von Geschmack. Ich taxiere, du hast eine ganze Menge Bewerber gehabt.«

»Nicht allzu viel. Wir haben ziemlich zurückgezogen gelebt.«

»Nun ja ... freilich ... immerhin, eigentlich ist es ein Wunder, daß du dich nicht wieder verheiratet hast.«

»Lieber Erich, die Kinder! Ja, wenn sie nicht gewesen wären ... ach nein, dann auch nicht ... Ich habe mich nicht wieder verliebt.«

»Wahrhaftig nicht? Nicht mal so ein ganz kleines bißchen?«

Ein rosa Schatten strich über ihre Wangen. »Ich glaube nicht. ... Ich mußte ja für die Kinder leben. Nun ist Elfriede versorgt. Bei Beate scheint die Kühlheit ihres Wesens die Männer abzustoßen. Sie ist eigentlich die hübscheste. Aber hat immer etwas Gemessenes, etwas Statuarisches möchte ich sagen. Sie ist zu herbe. Und Maxe ... ja, bist du denn sicher, daß Emmingen um sie anhalten wird?«

»Allem Anschein nach – auch nach dem, was ich von Krempel und Brökelmann andeutungsweise gehört habe.«

»Und weshalb magst du ihn nicht?«

»Lieber Gott, weil ... Aber nicht jetzt. Wir wollen alles Gewichtigere für nachher aufheben. Ich bin so froh. ... Also, Magda, ich muß dir ein Bekenntnis machen. Nimm es gnädig auf. Ich bin wahrhaftig glücklich, mit dir wieder einmal bei Tische sitzen zu können. ... Kellner, geben Sie uns ein Glas Champagner ...«

Sie neigte den Kopf über ihren Teller. Sie fühlte, daß sie flammend rot wurde – und genierte sich vor den Kellnern. Wenn die Leute auch wirklich nicht Deutsch verstanden (was immerhin fraglich war), so sahen sie doch den Ausdruck auf den Zügen Erichs. Ach nein, er mußte nicht so sprechen! –

Die Kelche waren gefüllt; er stieß mit ihr an.

»Auf alte Freundschaft,« sagte er.

Jetzt erhob sie rasch den Kopf. Kindisch sollte er sie nicht sehen. Morgen war sie ja schon wieder auf und davon.

»Da mache ich mit,« antwortete sie. »Auf alte Freundschaft. Warum nicht? – Böse – nein, wirklich böse bin ich dir auch nie gewesen.«

»Nie, Magda?«

»Nie. Es war ja nur ein Sturm von außen, der uns auseinandergebracht hat. Und auch während des Sturms warst du immer gut zu mir.«

»Ich konnte nicht anders,« erwiderte er sinnend. »Aber vielleicht wäre es besser gewesen, unsre Naturen hätten damals den Damm des Anerlernten durchbrochen. Wir waren beide zu nachgiebig. Ich – und auch du. Warum hast du mich nicht festgehalten?«

Diese Frage setzte sie in Erstaunen.

»Aber Erich,« rief sie, »ich wußte ja doch, daß ... Ich wußte ja doch, daß du dich nicht mehr von Wanda trennen wolltest! Wie konnte ich dich da halten?!«

»Ein Streit um Vergangenes, Magda. Meine Frage sollte auch kein Vorwurf sein. Aber ich gestehe dir, daß ich mir in späteren Zeiten zuweilen gesagt habe: wenn du stärker gewesen wärst in deinem Willen als ich, dann hätte sich alles andere fügen müssen. Denn ich war niemals stark von Willen – nur trotzig und eigensinnig. ... Das ist ja nun vorbei. ... Die arme Wanda ist tot – doch wir leben noch ... und hör' zu: wenn sie da oben thront zur Seite der Mater gloriosa und unter den seligen Büßerinnen und schaut herab auf uns beide – das weiß ich, daß sie Freude haben wird an uns – ja, das weiß ich. Unsre Becher sind voll, Magda: wir wollen sie auf ihr Andenken leeren.«

Sie tranken. Auch Magda leerte ihr Glas – langsam und schluckweise, aber bis auf den letzten Tropfen. Eine wunderliche Stimmung hielt sie umfangen, in der das Ich und das Absolute zum Schwinden kamen. Es war wie eine langsame Auflösung der sichtbaren Gegenwart in einen Unwirklichkeitszustand: wie ein Traumgefühl.

Sein Plaudern brachte wieder hellere Punkte; aber das Dämmerbewußtsein wollte bei ihr sich doch nicht völlig zur Klärung umgestalten. Es blieb das Empfinden von etwas Rätselhaftem. Wenn er scherzte, lachte sie mit; sie gab Antwort auf jede Frage; sie wurde auch kecker und verlor ihre Scheu. Doch zwischendurch stießen sich ihre Gedanken an der Wirklichkeit, und allerhand Fragen stiegen auf. Wo war sie eigentlich? Saß sie mit Erich am gleichen Tische? War das ihr Erich – der Erich von früher? Sein Blick, seine Geste, sein Lachen? Wo kam er her? War er denn je getrennt von ihr gewesen? ...

Es wurde rasch serviert. Magda war trotz ihrer Gegenversicherung bei gutem Appetit. Und trotz ihrer inneren Erregung und dem merkwürdig Traumhaften wuchs in ihr ein Gefühl des Wohlseins und der Behaglichkeit. Göchhusen war jetzt nicht mehr vorsichtig in seinem Gespräch; wenn er Wandas erwähnte, so geschah dies wie etwas ganz Natürliches, und wenn er von der Güte ihres Wesens erzählte, die über das vielgestaltige Problem ihrer Charakterentwicklung Glanz gegossen hatte, so schlich sich ein warmes Empfinden auch in das Herz Magdas.

»Noch ein Glas Sekt?« fragte Göchhusen. »Oder einen Schluck guten Bordeaux als Abschluß? Da hatten wir früher einmal einen Mouton Rothschild, den du so gern trankst – vielleicht –«

Aber sie fiel lachend ein: »Nein, ich danke, Erich. Ich habe genug. Fast schon zu viel. Ich bin das nicht mehr gewöhnt.«

»Gut, Kind. Da schlage ich vor, daß wir den Kaffee drüben in deinem Salon nehmen. Inzwischen kann hier abgeräumt werden.«

Er gab den Kellnern Anordnungen. –

Drüben spielte Magda die Hausfrau. Sie achtete darauf, daß der Kaffeetisch sauber gedeckt wurde, setzte die Spiritusmaschine in Brand, goß Göchhusen einen Kognak ein. Er saß in einem Fauteuil und schaute ihr zu.

»Grad so wie immer,« sagte er. »Auch dieselben Bewegungen. Wie du das Streichholz mit geschlossenen Lippen auspustetest und das Likörglas erst gegen das Licht hieltest, um zu sehen, ob auch kein Staub darin wäre: das war genau so wie vor fünfzehn Jahren.«

»Ach ja, ich glaube, ich habe mich nicht sehr verändert. Oder höchstens in der Fasson. Doch auch da waren die Grundlinien schon gegeben.«

»Es fällt mir nicht ein, dir mit einem neuen Kompliment zu antworten. Aber ich muß dir doch sagen, daß ich angenehm enttäuscht bin. Ich verstehe Brökelmann. Und nun könnte ich beinahe eifersüchtig werden. Ha, dieser Brökelmann!«

»Er ist ein guter Kerl. Dein zorniges ›Ha‹ verdient er nicht. Er kam nicht einmal selbst, sondern ließ mir durch Prokura seine Liebe erklären. .... Ja, Erich, können wir nun einmal über Maxe sprechen?«

»Natürlich. Aber erst setz' dich gemütlich hin. So eine gemütliche Stunde habe ich lange nicht verlebt. Komm hierher neben mich ...« Er zog wieder ihre Hand an seine Lippen. ... »Also, was nun? Maxe. Jawohl. Es scheint, daß sie den Emmingen begünstigt.«

»Das habe ich längst gemerkt. Und ich verstehe nicht recht, was du gegen ihn hast.«

»Persönlich nichts, Magda. Aber Maxe ist die letzte, die mir bleibt.«

»Du sprichst von unsrer Abmachung –«

»Nein. Nur von meinem begreiflichen Wunsche, für das Ende meines Lebens nicht allein bleiben zu brauchen.«

»Du willst dich wieder ankaufen?«

»Ja. Ich suche nach einem Besitz, der mir Arbeit und auch Ruhe schaffen soll. Aber ich graue mich vor dem Alleinsein.«

»Das verstehe ich. Nur darf Maxe nicht unter deinen Wünschen leiden. Sieh, ich war ja selber egoistisch genug, die Kinder nicht von mir zu lassen. Sie hatten ihre eigenen Pläne und wollten hinaus in die Welt. Das litt ich nicht, denn ich fürchtete mich geradeso vor Alleinsein wie du. Aber das Heiraten können wir ihnen doch unmöglich verbieten!«

»Eigentlich nicht. ... Da hat mir die Maxe gelegentlich etwas anvertraut. Ist es wahr, daß du Angst hast, ich würde noch einmal in eine neue Ehe kriechen?«

»Maxe ist indiskret,« erwiderte Magda errötend. »Wie kann man so etwas wiedererzählen! – Wenn ich davon gesprochen habe, so geschah es doch nur –«

»Ich weiß schon,« fiel er begütigend ein. »Die Erbschaft der Kinder. ... Sie würden nie zu kurz kommen. ... Aber nun denke auch mal darüber hinaus. Denke, daß ich mutterseelenallein auf meinem Besitze hausen soll. Daß ich niemanden habe, dem ich mich, anvertrauen kann. Das bezahlte Gesindel kommt nicht in Frage. ... Und ich bin doch nun einmal eine Anschlußnatur. Mich verlangt heute wie ehemals nach Zusammengehörigkeit. Und heute mehr noch als ehemals, denn ich bin älter geworden, und das Streben dem Draußen hat sich erheblich abgeschwächt. Ich bin nicht mehr so fahrig wie einst, ich bin konzentrierter geworden. Ja wahrhaftig, ich spüre in mir das Ruhebedürfnis des Alters –«

»Ach, Erich, sprich doch nicht immer vom Alter! Wenn man dich ansieht –«

»Bitte weiter!« drängte er lachend, als sie zu zögern schien; »nun sag' du mir ein paar Komplimente! ... Ich habe mich so leidlich gehalten – nicht wahr, das wolltest du ausführen? Der graue Kopf spricht nicht mit. Aber ein bißchen Elastizität ist immer noch da. Weder Rheuma noch Gicht, und auch kein Kalk in den Adern. Und nun erst das Herz. Anders geworden – natürlich. Keine Galoppsprünge mehr und kein Durchgehen in der Karriere. Eine Klopfmaschine von geregelter Tätigkeit. ... Also, Magda, was willst du eigentlich? Körper und Herz gesund – und auch die Seele ist durch ein Purgatorium gegangen: warum soll ich mich denn unter solchen Umständen nicht noch einmal verheiraten?!«

Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie fest.

»Bleibe nur sitzen,« bat er. »Wir wollen das alles ohne große Gesten erledigen: Hand in Hand, als gute Freunde. Für die Kinder sorge ich, das steht fest. Es sind reiche Mädchen. Aber auch für mich selbst möchte ich sorgen. Würdest du es denn für so unbegreiflich finden, wenn ich mir für meine alten Tage noch eine geliebte Gefährtin suchen wollte?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Erich – das nicht,« antwortete sie. »Ich möchte nicht, daß du mich mißverstehst. Ich dachte immer nur an die Kinder. Und allerdings – dabei schlüpfte auch eine Befürchtung mit unter. ... Ich kannte ja nur dein Wesen von früher – und ... Aber nein, das will ich nicht sagen. Ich will dir nicht weh tun.«

»Das tust du nicht. Magda, du tust mir nicht weh. Ich bitte dich, sprich dich aus!«

Sie nippte an ihrem Kognak, als wollte sie sich Mut trinken.

»Ich hatte eine gewisse Angst,« sagte sie dann rasch, »daß du mit einer neuen Heirat vielleicht wieder eine Dummheit machen könntest.«

»Aha! ...« Er neigte zustimmend den Kopf. ... »Na ja. ... Ich habe so manche hübsche Dummheit im Leben verzapft. ... Habe dem Bedürfnis nach vermeintlichem Glück immer zu schnell nachgegeben. ... Habe – – ha – be ... habe mir gewöhnlich selbst im Lichte gestanden und mehr Schätze vergraben, als notwendig war. ... Du vergißt nur eins: daß sich in mir doch eine Umkehrung vollzogen hat. Die brachte das Leben so mit sich. ... Nein, Magda: diese Angst war unnötig. Dummheiten mache ich nicht mehr.«

Sie nahm seine Hand und drückte sie fest.

»Wenn du mir das versprichst, Erich,« sagte sie mit tiefer Herzlichkeit, »dann bin ich aller, aller Sorgen ledig. Gewiß brauchst du wieder eine Frau. In deinem neuen Leben muß eine gute und treue Gefährtin um dich sein. Aber keine für einen kurzen Liebesrausch, sondern eine für immer. Eine, deren Liebe in die Tiefe geht und die dir auch Schutz ist. So eine, die sich nicht nur mit dir freut, sondern auch mit dir arbeiten kann: die dich an kleinen Torheiten hindert, denn, ich glaube, daß du noch immer eine arg verschwenderische Hand hast –«

»Ja, das sagt Maxe auch,« fiel er heiter ein. »Siehst Du wohl – und deine Frau müßte eben die Klugheit besitzen, so ein wenig erzieherisch auf dich einwirken zu können. Dürfte natürlich keine Philisterin sein – das wäre gräßlich –, aber mitunter ein Gegengewicht für deine splendiden Launen. Kurzum, eine Frau voller Liebe und auch von Erkenntnis: Gattin und Freundin und Mitarbeiterin.«

»Reizend!« rief Göchhusen. »O Gott, Magda, wenn ich eine solche Frau fände! ... Aber ich will ehrlich sein. In dieser hübschen Stunde sollst du keine Unwahrheit von mir hören. Ich weiß eine Frau, die grade so ist, wie du sie schilderst. Und die soll die Meine werden.«

Er hielt ihre Hände fest und schaute sie voll an: mit lachendem Auge, auch mit forschendem, und einem Blicke, der nach Ergründlichem zu suchen schien.

Da verblich ein wenig die Farbe ihrer Wangen, und sie senkte unwillkürlich die Lider.

»Erich,« stammelte sie, »wenn das wahr ist – wenn ... Ich würde so glücklich sein in deinem Glücke ...«

Und dann war ihr, als wollte ihr Herz einen Sprung tun. Dann war ihr, als erreichte ihre seltsame Traumbefangenheit eine schwindelnde Höhe und als wandelte sich das Nacheinander der Minuten in zeitlose Ewigkeit. Sie fühlte sich umschlungen und geküßt – es war wahrhaftig, als müsse sie sich gegen eine Ohnmacht sträuben.

Aber sie wurde nicht ohnmächtig. Sie hörte ihn deutlich sprechen:

»Magda, diese Frau bist du. ... Kleine Magda, ich schwöre dir zu: ich kam hierher, um gescheit und in aller Kühlheit mit dir zu verhandeln. Ich wollte die Maxe behalten. Aber du hast schon recht: das würde ein maßloser Egoismus sein. Lieber behalte ich dich. Es ist mir ganz klar, daß du die einzige Frau bist, die mir alles sein kann, was du selbst eben bei meiner Künftigen als notwendig erörtert hast. Und dann ist mir auch klar, daß ich besser als Brökelmann bin. Dem hast du gottlob abgewinkt – aber ich bitte dich: mir winke nicht ab. Ich bitte dich: mir winke zu

Sie sah in seine lachenden Augen, in denen noch immer etwas vom Glanz der Jugend stand, und wollte antworten. Aber es war seltsam: sie konnte nicht sprechen. Der Strom des Geschehens, der sie so unerwartet umbrauste, trieb tausend Wirbel. Sie rang nach Worten. Das war wirklich wahr: sie rang auch nach Luft. In dem Zusammenschießen der Gefühle verlor sie die Herrschaft über sich selbst.

Er kniete vor ihr nieder.

»Das ist unmodern,« sagte er; »aber ich knie doch, Magda. Ich will einmal verständig sprechen. Seien wir klug und weise. Dies Neufinden klärt auch die Situation. Ich brauch Maxe nicht mehr, wenn ich dich habe. Mag sie glücklich werden mit ihrem Emmingen. Wir werden wieder in Ordnung kommen. Wir legen Rosen auf das Grab Wandas – und reichen uns die Hände wie einst. .... Du sagst selbst, du seiest mir nie böse gewesen. Und ich, Magda, habe dir auch in der Zwischenherrschaft die alte Liebe bewahrt. Es gab ja nichts, was sie hätte töten können. Das ist ein fester Ausgangspunkt, ist klares Bewußtsein, ist Überzeugung. Wir haben uns getrennt – wir finden uns wieder. ... Ich werbe nicht mehr so stürmisch um dich wie das erstemal. Aber in größerer Treue. Sei wieder mein, Magda! ...«

Der Strom des Geschehens, der sie so unerwartet umbrauste, rieselte als warmer Quell durch ihr Herz. Die Sehnsucht nach Zärtlichkeit brach allmählich in ihr durch; das so lange Zurückgedrängte verlangte nach seinem Recht; es regte sich in allen Tiefen, und neue Lebensgefühle kamen in rauschenden Fluß. Und während Tränen ihre Wangen netzten, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küßte den Vater ihrer Kinder.


Zwei Tage später, um die Dämmerung, kehrte Maxe in starker Erregung von einem Besuche San Marcos in den Palazzo Solazzi zurück und rief nach den Schwestern.

»Ich muß euch sprechen,« sagte sie heftig. »Gleich. Auf der Stelle. Sofort!«

»Herrjeh!« rief Elfriede, »was ist denn los?!«

»Alles mögliche. Ich bitte euch, fragt nicht lange, sondern kommt in mein Zimmer.«

»Sollen wir Woldemar benachrichtigen?«

Maxe schwankte einen Augenblick. »Nein,« antwortete sie dann. »Wir wollen unter uns bleiben. Auch Krempel ist nicht nötig. Wir wollen allein sein. Nun heißt es einen neuen Schicksalsfaden spinnen. Aber da brauchen wir geschickte Hände, denn diesmal ist es der Faden meines eigenen Glücks ...«

Die drei ließen sich im Zimmer Maxes nieder. Sie zündeten nicht erst das elektrische Licht an. Sie blieben in der Dämmerung.

»Mir ahnt schon, was kommen wird,« sagte Beate.

»Mir auch,« antwortete Elfriede.

»Nun also,« entgegnete Maxe, »da seid Ihr ja vorbereitet. Eben hat mich Emmingen gefragt, ob er bei dem Papa um mich anhalten darf. ... Ich war mit ihm in San Marco. Wir wollten uns die Schatzkammer ansehen. Aber da ist nicht viel zu sehen. Und dann gingen wir in die Krypta. Da machte es sich so ...«

Die Schwestern standen auf und küßten Maxe.

»Gratuliere,« sagte Elfriede, »es war vorauszusehen.«

»Gratuliere dito, liebes Kleinchen,« fügte Beate hinzu. »Aber vorauszusehen war es nicht. Wenigstens nicht vor einem Vierteljahr. Da erklärtest du dich entschieden gegen den jetzigen Eroberer.«

»Damals ist nicht jetzt,« sprach Maxe weise. »Damals war er auch noch anders. Damals ... Aber ich meine, wir bleiben bei dem Zustand der Gegenwart.«

»Und bei dem Mysterium von heute,« erklärte Beate. »Wir wollen mit axiomatischer Gewißheit feststellen, daß Ihr euch liebt.« »Das genügt nicht,« entgegnete Elfriede; »wir müssen feststellen, daß Ihr euch zu heiraten wünscht. Da habt Ihr uns alle auf eurer Seite, auch die männlichen Freunde unsres Hauses, auch das Brökelgeschöpf; nur einen nicht – gerade den Wichtigsten nicht, den Ausschlaggebenden –«

»Den Papa,« ergänzte Maxe. »Ich weiß es. Die Freunde haben es dem Freunde anvertraut. Brökelmann und Krempel haben Emmingen rechtzeitig gewarnt – und er ist auf seiner Hut. Aber das nützt nicht viel. Er ist der Ansicht, daß, wenn wir beide festhalten, der Papa schließlich nachgeben muß. Ich teile diese Ansicht nicht. Papa kann sehr hartköpfig sein. Was dann? Redet, Schwestern. Denkt an den Schwur bei unserm Dionysischen und steht mir mit Rat und Tat bei ...«

Die Schwestern verfielen in Sinnen, und Falten rankten sich auf ihren Stirnen. Sie hätten Maxe ja so gern geholfen – aber es hielt schwer. Sie wußten, der Papa hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Jüngste vorläufig noch bei sich zu behalten. Und es war nicht anzunehmen, daß er so ohne weiteres seinen Plan aufgeben würde.

»Ich denke,« begann Beate, »daß wir abwarten müssen. Zunächst wird Papa natürlich ›Nein‹ sagen. Aber man muß immer wieder zu bohren versuchen. Wir können ja alle bohren. So eine Masse Bohrwürmer erreichen schon etwas.«

»O ja,« gab Elfriede zu. »Aber es muß auch noch ein Trumpf dabei sein. Die Sache liegt doch so, daß Papa einfach keine Lust hat, allein zu bleiben. Wer ihm sozusagen den Haushalt führt, wird ihm ziemlich egal sein. Natürlich käme da zuerst die Unverheiratete an die Reihe: also Beate.«

»Merci!« rief Beate, »ich binde mich nicht.«

Nun stand Maxe auf und setzte sich neben Beate auf den Teppich.

»Atichen,« sagte sie in süßem Bettelton, »da Friedel doch schon davon gesprochen hat: warum willst du mir denn nicht den Gefallen tun? Du siehst ja doch, was es für ein reizendes Leben bei dem Papa ist – und du hast auch immer Neigung für ein Dasein auf großem Fuße gehabt. Wenn Papa erst seine Herrschaft hat, kannst du die Lady spielen, soviel dir beliebt – und dann werden auch die Anbeter in Scharen kommen: der ganze junge Landadel, Barone und Grafen und vielleicht sogar ein Prinz, denn du bist ja reich.«

»Merci,« erwiderte Beate noch einmal, »ich will gar nicht wegen meines Geldes geheiratet werden. Ich bin auch keine Landpomeranze, liebe Kinder, und würde es vorziehen, ein Palais in Berlin zu besitzen, eine Villa auf der Isle of White –«

»Und einen Palazzo in Venedig,« fiel Elfriede ein.

»Warum nicht?« Beate lachte. »Brökelmann hat mir schon angeboten, den Palazzo Solazzi kaufen zu wollen, wenn er mir gefiele.«

Maxe schnellte in die Höhe. »Beate, die Wahrheit!« rief sie. »Hat Brökelmann –«

»Nein, er hat nicht. Er hat mir nur von seinen Zukunftsplänen erzählt, und ich leugne nicht, daß sie mich interessiert haben. Aber zwischen Interesse und ... Doch halten wir uns nicht auf und bleiben wir bei der Sache. Maxerle, mein Kleining, ich würde ja gern an deine Stelle treten und bei dem Papa bleiben – aber ich fürchte, ganz abgesehen von meinen persönlichen Neigungen, daß er sich daraus nicht viel machen würde. Ich bin nicht ein Hätschelkind so wie du. Ich habe nicht die Zärtlichkeit und das Anschmiegende – habe alles das nicht, was er gern hat. ... Nein, wir müssen einen andern Plan fassen. Wir müssen die Mama zu Hilfe kommen lassen.«

»Bravo!« rief Elfriede. »Das wäre das Richtige. Sie hat Emmingens Kurmacherei eigentlich immer begünstigt – und sie wird standhaft für Maxe eintreten.«

Maxe nickte. »Natürlich. Daß wir nicht gleich auf den guten Gedanken gekommen sind! ... Mir hat Papa einmal gesagt, er würde sich nur mit einer Heirat meinerseits einverstanden erklären, wenn auch die Mama dafür wäre ...« Sie sprang an die Wand und drehte das elektrische Licht auf. ... »Nun soll es hell werden! Die Mama muß her! Unser Muttchen wird mich nicht im Stiche lassen.«

»Schreib ihr gleich,« riet Elfriede.

»Ich telegraphiere,« sagte Maxe. »Vielleicht halten die Geschäfte Papa noch für längere Zeit in Verona fest. Dann hätten wir die Mama schon hier, ehe er zurück ist, und könnten sie vorbereiten. Wir quartieren sie im Hotel Britannia ein –«

»Warum nicht auch bei Danieli?« fragte Elfriede.

»Das geht nicht – wegen Brökelmann.«

»Der nähme das nicht übel,« sagte Beate. »Aber 's ist recht. Telegraphiere. Es eilt dir wohl sehr, Maxerle?«

Über Maxes Gesicht huschte ein Rosenrot. Sie krauste die Lippen. »Ich möchte wissen, ob es dir bei solcher Gelegenheit nicht auch eilen würde,« entgegnete sie schmollend. »Ich sehe doch Emmingen die nächsten Tage nun gar nicht. Er ist viel zu wohlerzogen, jetzt zu mir zu kommen, wo Papa noch nicht seine Einwilligung gegeben hat. Das würde auch Woldemar nicht leiden. Der ist gradeso. Eine gräßliche Korrektheit. Also eilt's mir selbstverständlich – sogar sehr.«

»Kann ich dir nicht übelnehmen,« entgegnete Elfriede. »Soll uns Woldemar die Depesche aufsetzen?«

»Nur nicht gleich alles den Männern auf die Nase binden,« riet Beate. »Warum denn auch?«

»Wär's nicht richtiger?«

»Nein,« sagte Maxe, »das ist meine Sache – und ich werde sie durchführen.«

Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und rief die Schwestern heran, die ihr helfen sollten, das Telegramm zu stilisieren. Da kam denn folgendes zustande:

»Bedarf in einer zu Papa gegensätzlichen Herzensangelegenheit dringend Deines persönlichen Beistands. Da Papa geschäftlich abwesend, sofortiges Herkommen erwünscht. Umgehende Drahtantwort erbeten, um Dir Zimmer Hotel Britannia zu bestellen. Maxe.«

Man hätte aus Sparsamkeitsgründen gern noch ein Wort gestrichen, aber wollte auch nicht unklar sein. Maxe selbst trug das Telegramm auf das Postamt, da sie es keinem der Diener anvertrauen mochte. –

Nun wartete man am nächsten Vormittag in Bängnis auf die Antwort. Die traf auch ein, aber sie jagte den Mädchen einen gewaltigen Schrecken in die Glieder. Sie lautete nämlich:

»Gnädige Frau seit Donnerstag abend verreist, unbekannt wohin. Wollte gestern abend zurück sein, haben sie aber vergebens erwartet. Sind alle in großer Sorge. Genander.«

Die Mädchen gerieten in Aufregung. Das war ja eine rätselhafte Geschichte! Die Mama abgereist, »unbekannt wohin«!?

»Wohin kann sie nur sein?« rief Elfriede klagend.

»Unbekannt,« rief Maxe verzweifelt zurück. »Du siehst ja, was Genander telegraphiert! Lieber Gott, es wird doch kein Unglück passiert sein?!«

»Nur immer Ruhe,« mahnte die verständige Beate. »Wir wollen versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Auffallend ist zunächst, daß sie nicht hinterlassen hat, wohin sie gereist ist.«

»Das tut sie sonst immer,« sagte Elfriede. »Natürlich ist das auffallend. ... Sie wird doch nicht etwa irgendwo – irgendwo eine heimliche Liebe sitzen haben?«

»Das wäre das, was wir bei ihr erstrebten – bloß ohne Heimlichkeit. Aber es ist Unsinn. Daran ist gar nicht zu denken. Die Mama läßt sich auf verschleierte Liebesaventiuren nicht ein. Das Rätsel des Wohin ist vorderhand nicht zu lösen. Fragt sich weiter, warum sie zur angegebenen Stunde nicht zurückgekehrt ist.«

»Habt Ihr die letzten Zeitungen gelesen?« fragte Maxe in hastiger Unruhe. »Ist vielleicht ein Eisenbahnunfall passiert? Ein Zusammenstoß? Eine Entgleisung?«

»Ach was – man braucht nicht gleich an ein Unglück zu denken,« versetzte Beate. »Irgendein Zufall kann mitsprechen. Aber nun bin ich doch dafür, daß wir die Männer benachrichtigen.«

»Dann muß ich ihnen ja alles sagen!« rief Maxe. »Auch das von Emmingen!«

»Es schadet nichts. Woldemar wird ein bißchen schimpfen, daß wir ihn nicht ins Vertrauen gezogen haben – aber das schadet nichts ...«

Hartwig schimpfte wirklich ein wenig. Er war der bestallte Hausverweser, war im Augenblick das Haupt der Familie: da hätte man ihm von allem Vorgefallenen Mitteilung machen müssen. Trotzdem umarmte er Maxe, beglückwünschte sie und versprach ihr, sich auch seinerseits ihrer Herzensangelegenheit als getreuer Schwager annehmen zu wollen.

Dann hielt man großen Rat. Krempel war dabei: am letzten Tage seines Urlaubs und schon in fiebriger Reisestimmung und mit Augen voll Sehnsucht. Auch Brökelmann tagte mit. Er war zufällig gekommen: mit einem großen Buschen Rosen für Maxe und einem zierlichen Veilchenstrauß für Beate. Man hielt ihn fest: er gehörte ja zu den Intimen und war eine praktische Natur.

Aber auch er konnte weder Rat noch Aufschluß geben. Tröstendes sagte er viel: das nützte nur nichts. Krempel war der Ansicht, Genander zu depeschieren, er solle sofort ein Telegramm senden, wenn Frau von Göchhusen wieder eingetroffen sei. Im übrigen fahre er ja morgen nach Berlin zurück und wollte gleich nach der Regentenstraße gehen, um nötigenfalls die Recherchen nach der Verschwundenen ungesäumt einzuleiten.

Doch das alles genügte den Schwestern nicht. Sie hatten sich in heftige Sorge hineingeredet. Besonders Maxe befand sich in großer Aufregung. Ihr fehlte auch Emmingen; der hätte sicher einen verständigen Vorschlag gehabt. Dicke Tränen standen in ihren Augen.

»Wenn wenigstens der Papa hier wäre!« rief sie.

»Benachrichtigen wir ihn,« entgegnete Brökelmann. »Ich würde das sowieso in der Ordnung halten.«

»So ist es,« gab Hartwig zu.

Auch Maxe stimmte bei. »Das ist unsre Pflicht,« sagte sie. »Es spricht auch nicht mit, daß die beiden getrennt voneinander leben. Er ist unser Vater.«

Man wußte, daß Göchhusen nach Verona gereist, kannte jedoch nicht das Hotel, in dem er abgestiegen war. Holm wurde gerufen.

»Hotel Londres,« berichtete er. »Ich habe es notiert. Herr von Göchhusen hat mir aber anbefohlen, ihm nur das Allerwichtigste nachzusenden. Liegt etwas vor, wenn ich fragen darf?«

Nein, sagte man ihm. Und dann setzte man abermals ein Telegramm auf:

»Genander telegraphiert aus Berlin, daß Mama Donnerstag abend unbekannt wohin abgereist und zur bestimmten Zeit nicht zurückgekehrt sei. Man sei dort in Sorge um sie. Wir hier auch. Drahtantwort, ob Du für richtig hältst, daß ich selbst Berlin reise. Hartwig.«

Zur gleichen Zeit sandte man auch noch ein dringendes Telegramm an Genander ab, mit der Anfrage, ob Frau von Göchhusen immer noch nicht zurück sei.

Und nun mußte man wiederum warten. Das waren schreckliche Stunden. Maxe wandelte gespensterhaft herum; ihre rasch arbeitende Phantasie erging sich in hundert romantischen Vermutungen. Brökelmann war im Palazzo geblieben. Er erklärte, nicht von der Stelle zu weichen, ehe in die Angelegenheit nicht Licht gefallen sei. Erklärte auch, an Stelle Hartwigs nach Berlin fahren zu wollen, denn Krempel trage das Herz voll Liebe und Leidenschaft und sei daher in praktischen; Dingen nicht zuverlässig. Und dabei wich Brökelmann nicht von der Seite Beates.

In der vierten Nachmittagsstunde trat der Diener ein, ein Telegramm auf silbernem Teller.

Alles stürzte ihm entgegen. Maxe riß die Depesche von der Platte.

»Woher?« schrie Elfriede.

»Aus Verona!« schrie Maxe zurück.

»Lies vor!«

Das Blatt zitterte in Maxes Händen. Wieder standen Tränen in ihren Augen.

»Ich kann nicht lesen,« klagte sie, »ich kann nicht sehen – ich –«

»Geben Sie her, Fräulein Maxe.« ... Brökelmann nahm ihr das Telegramm ab.

Er überflog es rasch. Ein seltsames Lächeln trat auf sein Gesicht. Dies Lächeln war kein gewöhnliches. Es hatte umspannenden Zusammenhang. Es hatte den Ausdruck verblüfften Staunens als Ausgangspunkt, und dann kam ein Vordringen schalkischer Freude, ein behäbiges Schmunzeln, und dann wurde es breit und äußerst lustig. »Meine Herrschaften,« sagte er, »ich bitte, stehen Sie fest. Eine überraschende Neuigkeit. Herr von Göchhusen telegraphiert aus Verona: ›Mama ist hier, ich bringe sie morgen mit.‹«


Die drei Schicksalsspinnerinnen brauchten sich nun nicht mehr um die Zukunft der Mutter zu kümmern. Über sie hinweg hatte eine lebendigere Kraft die Fäden geknüpft und Vergangenes mit blühender Gegenwart verbunden.

»Geheimnis des Fatums,« sagte der Kommerzienrat zu Emmingen. »Aber Gott sei Dank keine Beugung unter eine Ordnung kalter Gewalten, sondern ein neuer Aufbau im Sonnenschein: die Fundamente zu einem Reich von Vernunft und Liebe. ... Ich geben meinen Segen, Emmingen, trotzdem ich im Schatten geblieben bin. Jawohl, im Schatten. Aber auch ich wittre Morgenluft und sehe, wie in weiter Ferne der Schatten sich aufhellt. Ich bin kein Fatalist – das ist eine zu bequeme Nachgiebigkeit. Ich werde doch noch mein Schicksal packen und es mir untertänig machen. Ich liebe diese Leute, weil sie so glücklich sind, und an ihrem Glück möchte ich teilnehmen. Möchte? – ach nein, ich will es ...«

In der Tat: das Glück war groß. Magda war im Hotel Britannia untergebracht worden. Göchhusen hielt dies zwar für eine unnötige Verbeugung vor dem rein Konventionellen und behauptete, daß man auch im Palazzo Solazzi das Herkömmliche zu wahren wisse; doch Magda wollte es nicht anders. Sie war einverstanden, daß die Formalitäten zu der Wiederverheiratung beschleunigt wurden: so lange aber wünschte sie nicht mit Göchhusen unter einem Dache zu wohnen. Schon nicht aus Rücksicht auf die Kinder; um der Welt und um ihrer selbst willen nicht. Doch tagsüber war sie von früh bis spät in dem Palazzo am Großen Kanal. Es gab ja so viel zu erzählen und zu beraten – und von früh bis spät schallte fröhlicher Stimmenlärm durch das alte Haus, und selbst das strenge Gesicht des heiligen Franciscus Giorgiones schien sich zu einem Lächeln verklären zu wollen.

In Berlin wußte man noch nichts von dem Vorgefallenen. Aber man ahnte mancherlei. Genander hatte verzweiflungsvoll zurücktelegraphiert, die gnädige Frau sei immer noch nicht da. Man tröstete ihn auf elektrischem Wege: die gnädige Frau sei in guter Obhut bei ihren Kindern in Venedig. Und da wurden in der Regentenstraße die Augen hell und die Ohren spitz. Herrjeh, da unten?! Da war ja aber der Herr von Göchhusen auch. ... Und die Vegesack erzählte von einem Geheimen Kalkulator, der von seiner Frau zweimal geschieden worden war und sie wahrhaftig immer wieder geheiratet hatte. So etwas kam vor ...

Es fing nun an, heiß in der Lagunenstadt zu werden. Auf dem Lido war es ja noch ganz erträglich, und das Meer nahm man denn auch gehörig in Anspruch. Nur Magda konnte sich nicht zu den Strandpromenaden im Badekostüm entschließen; das hätte sie um die Welt nicht getan. Sie fand das in hohem Grade genierlich und ließ an Beates Baderock in aller Heimlichkeit noch einen Saum annähen, obwohl er eigentlich schon lang genug war. In der Stadt aber brütete Sommerhitze über den Kanälen, und die Moskitos suchten nach Opfern. Es war Zeit, daß man daran dachte, weiter nordwärts zu wandern. Emmingen hatte sich Nachurlaub erbeten. Begründung: Verlobung. Da sah man auf seiner Gesandtschaft denn ohne weiteres die Wichtigkeit des Gesuches ein. Exzellenz, der Gesandte, gratulierte in einem freundlichen Handschreiben und ließ durchblicken, daß die Beförderung Emmingens zum Legationsrat in Aussicht stehe. Aber weiter wisse er auch noch nichts. Honduras schwebte am Horizont, vielleicht auch Nicaragua, vielleicht das schwarze Haiti. »Ist mir wurscht,« sagte Maxe »ich gehe mit dir bis an das Ende der Welt ...«

Brökelmann hatte den Palazzo Solazzi mit allem Inventar und mitsamt dem Giorgione auf drei Jahre gemietet und sich das Vorkaufsrecht vorbehalten. Es war eine Laune von ihm. Er meinte, daß er für seinen lippeschen Adel etwas tun müsse. Dieser Palast aus der Hochrenaissance bilde ein angenehmes Gegengewicht zu dem Milchhandel in Zochin. In der Milch liege immerhin eine gewisse Zerflossenheit: dies ragende Bauwerk aber predige Methodik und Durchbildung. Er dachte auch an eine Cottage auf der Isle of White. Auf der Isle of White war er noch nie gewesen. Aber er schwärmte plötzlich für dieses Eiland. ...

Also ja: man begann die Abreise von Venedig in Betracht zu ziehen. Die Villa in Ballanza wollte Göchhusen vorläufig noch behalten. Auch das Haus in der Regentenstraße. Aber da sollten die Mitmieter heraus. Und dann wollte man Umschau nach einem geeigneten Landbesitz halten.

Er hätte es am liebsten gesehen, wenn seine neue Eheschließung auf dem deutschen Konsulat in Venedig vollzogen worden wäre. Doch Magda sträubte sich dagegen. Das war nicht hübsch. Das sah so schrecklich eilig aus. Man hatte ja Zeit; auch wünschte sie mit Bestimmtheit eine kirchliche Einsegnung. Da hatte Brökelmann nun eine Bitte. Er bat Magda, sich von Warmuth trauen zu lassen. Man würde ihm eine große Gefälligkeit damit erweisen. Dieser Superintendent habe sich in so liebevoller Weise seiner angenommen und so kräftig seine Interessen vertreten, daß er es ihm gönne, in dem befreundeten Hause das Ehrenamt auszuüben.

So stand denn alles fest: zunächst die Göchhusensche Hochzeit und im Herbst die Doppelhochzeit von Elfriede und Maxe.

Bis dahin war auch Krempel glücklicher Ehemann. Er schrieb verzückte Briefe an Maxe; er schrieb in Dithyramben: er war ganz Dionys.

Kurz vor dem Aufbruch aus Venedig hatte Brökelmann die Freunde noch einmal zu einem Diner zu Danieli geladen. Das sollte das große Verlobungsmahl sein, und dabei ließ er es sich denn auch nicht nehmen, eine seiner schönen Reden zu halten.

»Meine Damen und Herren,« sagte er, den gewichtigen Leib einziehend, um ein wenig schlanker zu erscheinen, »liebe Freunde insgesamt! Ich habe schon neulich einmal Herrn von Emmingen darüber gesprochen, daß ich selten im Leben einem Kreise so glücklicher Menschen begegnet bin, wie Ihnen. Zum Glücklichsein gehört vor allem ein Glückbedürfnis. Das schafft Glücksmöglichkeiten, und ich weiß von mir selber, wie sich die auch auf die Umgebung übertragen. Kein Menschenleben bleibt ohne Stürme; auch Ihnen sind sie nicht erspart geblieben. Aber der Wirkung solcher Stürme ausweichen zu können und hinter den Wetterwolken schon wieder die Sonne zu sehen: das ist das Geheimnis der glücklichen Leute. Ich sage nicht: der Starken. Denn die sind schwereren Bluts. Ich spreche von denen, deren Wesensart zur Freie des Himmels strebt, die nicht von der Erdschwere niedergedrückt werden, die sozusagen zu schweben verstehen wie Fortuna selbst auf ihrer rollenden Glückskugel. Die sind beneidenswert, denn ihre kleinen Freuden verlegen dem großen Leid den Weg. Sie kennen den Wert des Vergessens: sie leben immer nur vorwärts, nicht rückwärts. Und sie leben mit Anmut, getragen von dem Optimismus ihrer Natur, der eine farbige Kraft des Bildens in ihnen schafft wie auf der Höhe attischer Zeiten. ... Gewiß, ich habe Respekt vor den großen Kämpfern, die in ewigem Ringen sich ihre Welt erobern. Aber meine Liebe gehört den Frohen, die Glück zu nehmen und zu geben verstehen, den Menschen mit freudiger Daseinsbejahung und mit der Lust am Leben. ... Ich trinke auf Euer Wohl, Ihr glücklichen Leute!«


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