Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Aufzug.

Waldgegend in der Nähe von Sorrent.

Erster Auftritt.

Sciarra und zwei Räuber.

Sciarra.

Den ganzen Tag gefischt und nichts gefangen!
Ist doch die Straße durchs Gebirg so leer
Als eines Spielmanns Tasche.

Erster Räuber.

Unsre Kunst
Nährt ihren Mann nicht mehr, 's ist besser fast,
Zu betteln Mittags an den Klosterpforten,
Als Cavaliere seyn des Walds, wie wir!

Sciarra.

Ei, welch ein gierig unverschämter Kerl,
Ein nimmersatter Haifisch bist du doch,
Der stets den Rachen aufreißt zum Verschlingen,
Und doch nie voll wird und stets mehr verlangt.
Sind wir gemachte Leute nicht? Was fehlt uns?
Wir haben Wein und bauen keine Reben,
Wir haben Brod und brauchen nicht zu ackern,
Wir haben Geld und brauchen nicht zu graben,
Wir haben Frau'n und brauchen nicht zu frei'n.

Erster Räuber.

Und geht es gut, so hängen wir am Galgen,
Und brauchen nicht zu sorgen für den Strick.

Zweiter Räuber.

Wer wird so traurige Gedanken hegen!

Sciarra.

Das Hängen ist ein Tod wie jeder andre.
Nicht jeder, dem der Galgen wohl gebührte,
Hängt deßhalb gleich daran. Das ist ein Schicksal,
Dem trotzt der Kluge nicht, er läßt es kommen. –
Der Schiffer geht ins Meer, wenn auch der Sturm
Schon manches Schiff mit Mann und Maus verschlang;
Schon mancher Baugeselle fiel vom Dach
Und brach den Hals, soll man drum nicht mehr bau'n?
Bin ich nicht euer Hauptmann, der Sciarra,
Mit dessen Namen man die Kinder schreckt?
Ich bin ein bessrer Fang, als ihr seyd, für die Sbirren,
Doch leb' ich lustig fort und guter Dinge,
Obgleich mein nächster Vorfahr in dem Amt,
Und dessen Vorfahr und so weiter alle
Am hanf'nen Halsband starben. Was liegt daran?
Das bringt der Stand mit sich, das muß man tragen.

Zweiter Räuber.

Seht dort! wer kommt?

Erster Räuber.

Ein Mann mit einem Mädchen.

Sciarra.

Der sieht nicht aus, als ob er Schätze trüge.
Ein Kranker scheint es, den der Weg erschöpft.

Erster Räuber.

Kommt, laßt uns drauf!

Sciarra.

Der lohnte auch den Fang!
Ein Mann, der nicht einmal ein Maulthier reitet,
Zu Fuß sich mühsam durchs Gebirge schleppt,
Dem wird das Geld den Seckel nicht zerreißen.

Erster Räuber.

Das ist oft Maske nur! Gar mancher Geizhals
Entzieht sich so dem schuldigen Tribut,
Und trägt in seinem alten grauen Wamms
Geschmeid' und Edelsteine eingenäht.

Sciarra.

Nun, laßt uns erst bei Seite treten und
Umspähn, ob niemand in der Nähe weilt.

(Sie gehen ab.)

Zweiter Auftritt.

Tasso. Angioletta in Reisekleidern.

Tasso.

Auf diesem Rasenhügel laß mich ruhn!

Angioletta.

Ihr seyd erschöpft vom Gehn.

Tasso.

Erschöpft vom Leben.

Angioletta.

Ermuthigt Euch!

Tasso.

Vergebens mahnst du mich.
Des Körpers Leiden sind es nicht allein,
Es ist der Schmerz, der meine Seele foltert,
Die Qualen, die mein Herz zerreißen, sind's,
Die meinem Ende mich entgegen führen.

Angioletta.

Bin ich Euch nichts, mein Tasso, gar nichts denn.
Daß Ihr, so ganz in Euer Leid verloren,
Nicht meines Trostes weiter achten wollt?

Tasso.

O, du bist mehr, als Worte sagen können!
Ein Engel, mir gesandt in meiner Noth,
Mich sanft zur letzten Ruhe zu geleiten!
Du bist von Erdenstoffen nicht gewoben,
Sie hingen allzuschwer an deiner Seele,
Die himmelklar, ein Strahl des Lichts von oben.
Ja – ja! – Du bist ein Engel ohne Fehle!

Angioletta.

Kein Engel, doch ein Mädchen, das Euch liebt,
Das treu zur Seit' Euch stehn will, weil Ihr lebt.
Und gut' und schlimme Tage mit Euch theilen. –
Wie ich Euch liebe, darf ich Euch bekennen
Vor Gott und Menschen; seht, und meine Wangen,
Sie werden nicht deßhalb in Scham entbrennen;
Frei ist mein Herz von Hoffnung und Verlangen! -
Ihr sagt, Ihr seyd dem Tode nah, Ihr fühlt's,
Ich glaub' es, guter Tasso. Nun, wohlan!
Was auch geschieht, bis an des Grabes Rand
Sollt Ihr geleitet seyn von meiner Hand.
So lang' Ihr lebt, will ich Euch nicht verlassen,
Und schlägt die Stunde, die Euch mir entreißt,
Dann will ich heim zu meinem Oheim kehren,
Und Eurer treu gedenken, weil ich lebe! –

Tasso.

Nein, Angioletta, nein! Verlaß mich, kehre
Zurück in deine Heimath, laß mich hier!
Du hast an mir gethan, was keine Schwester,
Was keine Braut, was keine Gattin thut:
Du ließest deine Heimath und die Deinen,
Und bist gezogen bis hieher mit mir;
Doch weiter ziehe nicht, es ist genug!
Mit frommem Eifer hast du mich gepflegt,
Hast Armuth, Krankheit, Schmach mit mir getheilt,
Und hast gewacht an meinem Krankenlager,
Als ich kaum Herberg' fand mehr für mein Haupt:
Des Lebens Frühling hast du hingegeben,
Und keine Jugendzeit hast du gekannt;
Ein lieblich Kind vor wenig Monden noch,
Hat schnell der Ernst des Alters dich erreicht:
Das Kindeslächeln deiner Lippen floh,
Und in den Jahren, die der Lust geweiht,
Geleitest du ein wandelnd Todtenbild.

Angioletta.

Was kümmert's Euch, wenn's mich zu thun erfreut?
Seyd Ihr schon müde der Begleiterin?

Tasso.

Es ist kein Ruhm, dem Tasso zu gehören;
Daß es kein Glück, bei Gott, du mußt es fühlen;
Wenn auch ein Wahn dein junges Herz bethört!

Angioletta.

So laßt mir meinen Wahn, wenn er mir lieb,

Tasso.

O, es ist blutig Spiel, grausame Laune
Des höhnenden Geschicks, Angioletta!
Verirrung ist es der Natur, ein Zauber,
Erdacht von einem schadenfrohen Geiste,
Der deine Jugend treibt, der Liebe Rosen
Zu suchen auf dem Grabesfeld!

Angioletta.

Wohlan,
Seyd Ihr nun fertig, Tasso, mit der Rede?
Warum erschöpft Ihr Eure Müh' umsonst?
Wenn es ein Zauber ist, ist er unlösbar;
Wollt' ich ihn brechen, hätt' ich nicht die Macht!

Tasso.

Ich stehe an der Schwelle von Sorrent:
Ein Jüngling zog ich fort, wie kehr' ich heim?
Ein Bettler, krank, kaum meines Geistes mächtig,
Verstoßen von dem Herrn, dem ich gedient,
Den ich verherrlicht; – denn beim hohen Gott,
Sein Ruhm erstand und stirbt mit meinem Lied! –
Vom Neid gezwackt, geschmähet von der Crusca,
Mein Werk von Diebeshänden mir verstümmelt –
So kehrt Torquato Tasso in die Heimath!

Angioletta.

Dort findet Ihr die treue Schwester wieder;
Sie hat Euch stets geliebt, sie liebt Euch noch.

Tasso.

Wohl sehn' ich mich nach ihr; es ist ein Trost,
Und es erheitert meine trübe Seele,
Daß, wenn die Sonne meines Lebens sinkt,
Mein Tagwerk aus, ein blutverwandtes Wesen
Mir lebt, das mich zur Ruh' bestatten läßt;
Sonst möcht' es leicht geschehen, daß Italien,
Das keinen Raum dem Lebenden gewährte,
Ein unbezahltes Grab mir auch verweigert.

Angioletta.

O, Ihr seyd bitter, Tasso!

Tasso.

Bitter? – wahr!
Du warst Gefährtin ja auf meinem Zuge:
Er glich, du weißt's, dem Zug des Bacchus ganz:
Wie im Triumphe er durch Indien,
Zog durch Italien ich: der Unterschied
Nur einzig war, daß mich nicht Panther zogen,
Und man vor meinem Wagen nicht getanzt.

Angioletta.

Wenn unterweges Ihr in Noth geriethet,
War't Ihr nicht selbst die Schuld? habt Ihr nicht stets
Verschmäht, den Beistand Andrer anzusprechen?

Tasso.

Wohl that ich das, und bei des Vaters Haupt,
Ich sterbe leichter, daß ich es gethan!
Daß ich gedarbt, im Elend fast verschmachtet,
Eh' ihren Beistand ich, ihr Gold verlangt! –
Sie haben keinen Maßstab für den Stolz
In einer edlen Brust und meinen, Alles
Verkaufe sich für Flitter und für Geld! –
Kein Fürstenhof, vom Aetna bis zum Po,
Wo ich nicht früher ein geehrter Gast,
Wo ich berufen nicht und festgehalten
In vor'ger Zeit! – Hat Einer sich gekümmert?
Um Tasso nur gefragt? Doch wußten sie's,
Wenn ihrer Städte Weichbild ich betrat.
Der Sänger des Jerusalems nicht mehr,
Der Tolle von Sankt Anna war ich ihnen.
Wie man Berührung mit Verpesteten,
So scheuten sie die meine, weil ich nicht
Mehr so wie einst der Günstling von Ferrara.

Angioletta.

Wenn nicht die Großen, liebt Euch doch das Volk.
Habt Ihr nicht Euer Lied auf jeder Lippe,
So weit die welsche Zunge reicht, gefunden?
Sang's nicht der Schiffer rudernd auf dem Fluß?
Erklang es nicht durch Berg- und Waldesgrund,
Wenn es dem Maulthiertreiber seinen Weg
Durch des Gebirges rauhe Pfade kürzte?
Und jener Mann, der sie so oft entzückt,
Er hätte nicht ein wirthlich Dach gefunden,
An welche Hütte immer er geklopft?
Wer hieß Euch Pochen an der Fürsten Thore? –
Des Sängers Kunst sucht Herzen, die sie fühlen,
Und Herzen, Tasso, habt Ihr ja gefunden,
In Fürstensälen wie in niedrer Hütte:
Wo eines schlug, bei Gott, dort schlug's für Euch;
Wo leer die Brust, dort mußtet Ihr nicht suchen. –

Tasso.

Ja, Angioletta, ja, ich fand ein Herz,
Ich fand's im Kerker, wo ich's nicht gesucht,
Ich fand's im Wahnsinn, als mein Geist verwirrt,
Ich fand's am Rand des aufgedeckten Grabes!

Angioletta.

Nur, weil Ihr Tasso, habt Ihr es gefunden.

Tasso.

Und erben soll's von mir ein Glücklicher,
So wünsch' ich, hoff' ich, meine Angioletta! –
Doch nun genug davon! – Hier will ich ruhn,
(Er setzt sich.
Ich komme nach Sorrent so unvermuthet,
Daß, wenn ich tret' in meiner Schwester Haus,
So bleich und spukhaft, wie ich bin, vielleicht
Sie meinen Geist vor sich zu sehen glaubt. –
Sie hat mich sehr geliebt; ich möchte nicht
Sie allzu sehr erschrecken, wenn ich komme.
Wir trafen eben Hirten hier im Wald:
Sorrent ist nah'; stürz' unsern Seckel um,
Und laß der Burschen Einen Botschaft tragen
Hin zu Cornelien. – Mir schlägt das Herz,
Als hätten alle Ströme meines Blutes
Mit Einemmal es hoch empor gehoben,
Denk' ich an sie. So ungewohnt der Freude
Bin ich, daß sie mich lähmet wie der Schmerz.

Angioletta.

Ich kehre bald zurück. Gehabt Euch wohl!

(Sie geht ab.)

Dritter Auftritt.

Tasso (allein).

Da geht sie hin, für die ich keinen Namen,
Der ihren Werth benennt, zu finden weiß!
Du Blume, die, geknickt, bevor sie blühte!
Du gleichst der Nachtigall im Waldesdunkel,
Die ihre Klagen hinseufzt in die Nacht,
Süßflötend, bis sie stirbt! – Unglücklich Mädchen.
Das keine andre Liebe fand auf Erden,
Kein andres Herz, das seine dran zu legen,
Als eines, das fast nicht mehr schlägt! – Ich habe
Sie wachsen sehen neben mir, ein seltsam Kind,
Tiefsinnig, schweigsam, ernst, durstig das Wort
Von meinen Lippen gierig wegzutrinken;
Doch ihres Herzens hatt' ich keine Ahnung!
Ich kannte nicht den dunkeln, tiefen Schacht,
In dem der Demant hell und glänzend ruhte.
Das war kein guter Stern, der dich geleitet,
Angioletta! Nicht an Tasso's Brust
Soll flüchten, wer dem Glücke will begegnen,
Dort findet er den Schmerz nur, nicht die Lust.
Frag' nur Eleonoren! – Ach Lenore!

Vierter Auftritt.

Tasso. Sciarra. Die Räuber. Hernach Angioletta.

Sciarra.

Halt! – Steht!

Tasso.

Was wollt Ihr?

Erster Räuber.

Geld!

Tasso (zieht den Degen).

Elende Schurken!
Ich bin zwar nur der Schatten eines Mannes,
Doch focht ich früher wohl schon gegen drei! –
Wär' ich nur eines Athemzugs noch Herr,
Ich wehrt' ihn gegen Buben Eures Gleichen,

Angioletta.
(stürzt schreiend zwischen Tasso und die Räuber)

Ach, Tasso! Tasso! Gott!

Sciarra.

Torquato Tasso? –

Tasso.

Ja, der!

Sciarra.

Fort mit den Waffen! Nieder, sag' ich! –
Ich bin ein rauher Bursch, doch gar so sehr
Bin ich des Teufels nicht, daß einen Mann
Wie Euch ich niederschlüg' um ein Stück Geld.

Tasso.

Ihr seyd ein Räuber?

Sciarra.

Ja, so was dergleichen.
Doch nehm' ich auch mein Theil von Andrer Gut,
So sollte doch verflucht der Heller seyn,
Den ich Euch abgenommen.

Tasso.

Wißt Ihr denn – ?
Sciarra.

Alles weiß ich. – Käm' einmal noch die Zeit
Wie die in Eurem Lied, von Gottfried Bouillon,
Nicht in den Wäldern der Abruzzen haust' ich;
Ich war' ein Krieger auch vom heil'gen Grabe,
Und, beim Patron der Diebe! nicht der letzte!

Tasso.

Ich steh' und staune!

Sciarra.

Nun, lebt wohl, Herr Tasso! –
Hätt' einen Demant, wie ein Mühlstein schwer,
Ich einem Fürsten abgenommen, wär'
Mir's nicht so lieb, als daß ich Euch gesehn! –
Ich lass' Euch meine beiden Burschen hier,
Euch sicher durch den Wald hinaus zu leiten. –
Doch seht, dort nahen Leute. Ihr bedürft
Nicht des Geleites mehr, das ich Euch biete!
Lebt wohl, und lebt im Glück!

(Er geht mit den beiden Räubern ab.)

Tasso.

Bin ich bezaubert?
Was war das, Angioletta? – Träum' ich denn?

Angioletta.

O, laßt mich! Jegliches Gefühl in mir
Möcht' sich in Ströme heißer Thränen lösen!

Tasso.

Sieh, wer mich schützt, Alphons, seit mich dein Fuß
Von deines Schlosses Marmorschwelle stieß! –
Sind das die Freunde all', die mir geblieben?

Fünfter Auftritt

Vorige. Landleute. Hirten und Hirtinnen.

Alle

Es lebe Tasso! – Tasso lebe hoch!

Tasso

Welch neue Scene gibt's? Was will dies Volk?

Ein Landmann

Seyd Ihr Torquato Tasso? jener Mann,
Der den Gesang gemacht vom heil'gen Grabe,
Wie es erobert von der Christen Waffen?

Tasso

Der bin ich, ja!

Alle

Heil, Heil dem Tasso!

Tasso

Wie?
Auch Ihr kennt mein Gedicht!

Erste Hirtin

Das will ich meinen!

Landmann

Als jenes Mädchen dort uns eben sagte,
Tasso sey auf dem Wege nach Sorrent,
Und suche Einen, der ihm Botschaft trage,
Da ließ ich meinen Pflug, die ihre Heerden,
Und Einer rief's von fern dem Andern zu,
Und jeder eilte her, den Mann zu sehn,
Den Gott gesegnet mit der heitern Kunst
Und eine Fülle süßer Worte gab,
Die Herzen aller Menschen zu entzücken. <

Zweite Hirtin.

Kommt mit in unsre Hüttten, edler Herr,
Eßt unser Brod und trinkt von unserm Wein;
Wir möchten gern aus guten Herzen Euch
Nach besten Kräften ehren.

Erste Hirtin.

Ihr seyd krank;
Wir wollen Euch das schönste Maulthier zäumen,
Daß Euch der Weg zur Stadt nicht mehr ermatte.

Tasso.

Ich dank' Euch, meine Freunde, dank' Euch sehr!
Ich war nicht solcher Liebe hier gewärtig!

Der Landmann.

Ei, Herr, was glaubt Ihr denn? Wir sollten nicht
Euch ehren, weil wir arme Leute sind,
Uns nicht erfreun an Euerem Gedicht,
Da es Euch Gott doch eingab, daß damit
Der Menschen Herzen Ihr erfreuen sollt,
Arme wie Reiche, Vornehm' und Geringe?

Angioletta.

Nun, Tasso? sprecht! Ehrt Euch Italien nicht?
Habt Ihr kein Herz gerührt? ist Euer Lied
Spurlos verklungen, Euer Name todt?

Tasso

(blickt gerührt im Kreise).

Ja, wahrlich, ja! – Der Mensch ist gut und edel,
Wenn er mit sich allein und der Natur,
Rein, wie er kam aus ihrer reinen Hand,
Wenn noch der Zwang sein Wesen nicht verbildet,
Ihn noch der Rost des Lebens nicht berührt! –
Ja, ich will hin, wo noch die Herzen frisch
Wie an dem ersten jungen Schöpfungstage:
Wo noch das Blut, ein klar lebend'ger Quell,
In frohen, freien Pulsen schlägt und kreist! –
Fern will ich weilen von der Höfe Glanz,
Fern von dem nicht'gen Treiben eitler Thoren,
Fern von dem Drange nied'rer Leidenschaft,
Von Neid, von Haß – selbst von der Liebe fern!
Dort in dem großen Garten der Natur,
Den rauchenden Vesuv vor meinen Blicken,
Den Meeresspiegel vor mir ausgespannt,
Der seinen Inseln glänzende Juwelen,
Das blaue Zelt des Himmels über mir –
Dort will ich schöpfen aus dem Born der Dichtung
Noch Einmal, eh' den Becher von den Lippen
Die nächste Stunde reißt; die Geister rufen
Noch Einmal mit gewalt'gem Zauberstabe,
Ob sie gehorchen, wie sie einst gehorcht!
Dort will, ein Fürst in meinen eignen Reichen,
Die keine Macht der Mächtigen mir raubt,
Ich seyn, wozu Natur und Gott mich schufen,
Mein Erbe – meine Krone – sey mein Lied!

Sechster Austritt.

Vorige. Cornelia mit Einem aus den Hirten.

Cornelia (hinter der Scene).
O, führt mich hin zu ihm! o schnell! Wo? Wo?
(Sie tritt auf.)
Tasso!

Tasso.

Cornelia! Gott! meine Schwester!

Cornelia.

Ihr Heiligen des Himmels! ja, mein Bruder!
O, Gott ist gnädig, mein Gebet erhört!

Tasso.

O, meine theure, theure Schwester!

Cornelia.

Endlich!
Nach langen, trüben, hoffnungslosen Jahren
Hält dich mein Arm, und deine Thränen mischen
Mit meinen sich! O, Bruder! theurer Tasso!

Tasso.

Thränen! wie? Beim guten Gott des Himmels,
Wahrhaftig Thränen! –
Ich habe sieben Jahre nicht geweint,
Als ich Unmenschliches ertrug, und deine Liebe
Ertrag' ich ohne Thränen nicht und weine,
Weil wieder mir ein Strahl zum Herzen dringt
Von einer Sonne, die ich lang' nicht sah!

Cornelia.

Nie mehr sollst du von mir; ein neues Leben
Soll dir erblühn, bei mir sollst du genesen!

Tasso.

Ich habe viel gelitten, theure Schwester! –
Mich haben Lieb' und Ehre, Haß und Neid,
Die guten und die bösen Geister alle,
Verrathen und gekränkt! Ins Herz geschnitten
Hat mir der Undank, und der hohle Dünkel
Hat mir gegrins't ins Antlitz, mich gehöhnt,
Und alles, was verächtlich und gemein,
Und schlecht, hat mir ins Angesicht gespien,
Und die Gewalt auf meinen stolzen Nacken
Den Fuß gesetzt, und meinen freien Geist
Geschlagen in die Bande ihrer Nacht!

Cornelia.

Und ich war fern und theilte nicht dein Leid!

Tasso.

Da hab' ich nicht geweint; ich hab' im Zorn
Gebissen an das Eisen meiner Gitter,
Empört gestampft den Boden mit dem Fuß,
Mein siedend Haupt gestoßen an die Wand –
Doch keine Thräne floß von meiner Wimper!
Nun aber wein' ich, und wie eine Quelle
Stürzt mir die lang verhaltne Fluth vom Auge!

Cornelia.

O, auch mein Herz kann kaum noch Worte finden!

Tasso.

Ist dieß vielleicht das allgemeine Loos
Des armen Menschen, in des Schicksals Stürmen,
Daß er der Härte trotzt und der Gewalt,
Und Liebe nur ihn bändigt und bezwingt?
Und wenn man sanft an seinem Herzen streichelt,
Er's ohne Thränen nicht vermag zu tragen?

Cornelia.

Doch nun, nun trockne sie, daß nicht der Sturm
Des Herzens allzu heftig dich ergreife.

Tasso.

O, laß sie fließen! hemm' nicht ihren Lauf!
O, daß mein Wesen, aufgelöst in sie,
Dahin möcht' strömen, daß nicht eine Spur
Von dem mehr bliebe, der einst Tasso hieß!

Angioletta.

Ihr habt Euch erst vor wenig Augenblicken
In schöne Zukunft hold hinein geträumt,
Und nun ergreift aufs Neu' Euch Euer Schmerz!
Laßt, was vergangen, wie es schwer auch war,
Und vor-, nicht rückwärts wendet Euren Blick!

Tasso.

Nicht so, Angioletta! Diese Thränen
Sind süß wie Maienthau, sind Arzenei,
Die mir Genesung bringt; ich fühl' es knospen
In meiner Brust, als bräch' ein Frühling auf
Mit seinen tausend Farben, tausend Düften.
Wie den Orest im heil'gen Hain der Götter,
Als ihn der Arm der Schwester mild umschlungen,
Die Furien verließen und sein Geist
Nach langem Irrsal endlich Friede fand:
So fühl' ich mich in deiner trauten Nähe
Ein Neuerstandner, Neubelebter wieder;
Und wie die Schlange ihre alte Haut,
Streif' ich die Schmerzen ab von meiner Seele!

Cornelia.

Gibt's einen Balsam, der die Qualen mildert,
Ich will ihn träufeln in die wunde Seele!
Gibt's einen Trank, des Herzens Fieberpulse,
Den Krampf zu stillen, der es preßt und ängstigt,
Ich will ihn dir bereiten, – Kann die Liebe,
Und Ruh' und, Friede ihren Wiegenschlummer
Auf heiße Augenlieder kühlend niedersenken,
So will, ich ihn bewachen, daß kein Hauch,
Kein Rauschen eines Blattes selbst ihn stört!

Tasso.

O, haltet ein, ihr vollen, reichen Herzen,
Daß ich mich fasse erst und wiederfinde!
Ich bin es nicht gewohnt, daß, mild und linde,
Nur Liebe mich umringt und meine Schmerzen
Alle in Schlummer ruhn! Von wannen weht
Der Hauch des Friedens, den in vollen Zügen
Mein durstig Herz einsaugt? Der Wonneschauer,
Dieß tiefe, todesselige Vergnügen,
Das wie ein Strom durch meine Seele geht,
In dem ich schwelge, gierig, ohne Rast? –
Bin ich aus Erden hier nur noch ein Gast? –
O rede, Himmel, jetzt, wo meine Seele,
Von Ahnung, von Begeist'rung trunken, glüht:
Woher die Gluth, die seltsam mich durchsprüht?
Die mich umflammt wie tiefes Abendroth?
Wie heißt die Wonne? sage, ist's – der Tod? –

(Er sinkt, von Cornelien und Angioletten unterstützt, auf ein Knie und streckt seine Arme gen Himmel. Das Landvolk, das sich früher in den Hintergrund gezogen hatte, gruppirt sich um ihn. Der Vorhang fällt.)

Ende des dritten Aufzuges.


 << zurück weiter >>