Paul Zech
Das rote Messer
Paul Zech

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Toncueta-Indianer beim Fischfang

Opotó ist ein indianisches Dorf unweit der großen Ebene, wo der Juruá in den Amazonas mündet. Es liegt inmitten des dichtesten Urwaldes, und seine einzige Verkehrsstraße mit einem direkten Anschluß zum Fluß, also zur Außenwelt, bildet ein künstlich angelegter Wassergraben von einer Breite, daß zwanzig Kanoes ohne Gefahr nebeneinanderher fahren können. Vom Dorfplatz bis zur Hauptanlegestelle der Boote braucht man immerhin zwanzig Minuten Fußweg. Ein Beispiel dafür, welche Ausdehnung dieses Dorf mit seinen vierhundert Hütten – vielleicht sind es auch fünfhundert – einnimmt.

Dieser Paseo, der allerdings keinen prunkvollen Namen trägt (zum Unterschied von den Feldwegen der Weißen in dem etwa hundert Kilometer von hier entfernten Pueblo Santo Amaro), bildet sozusagen die Hauptschlagader in dem mächtigen Körper des Dorfes. Hier flanieren in der Feierstunde vor Sonnenuntergang die jugendlichen Dorfschönen und präsentieren sich den heiratslustigen Burschen. Hier werden die internen Tauschgeschäfte abgewickelt und über die Ergebnisse des künftigen Wettrennens der Boote die unterschiedlichsten Meinungen ausgetauscht. Erst mit Hilfe von Orakelsprüchen, die der Zauberer in Form von kleinen Figuren aus Fischbein und Steinbeeren verkauft, werden sie auf eine Formel gebracht, die jedermann als eine Offenbarung der Götter anerkennen muß. Danach wird also diejenige Sippe das Rennen gewinnen, deren Boote das am meisten gekaufte Amulett um den Hals der Ruderleute aufweisen. Und wenn ein Zwischenfall das vorausbestimmte Resultat umwerfen sollte, wenn eine andere Sippe wider Willen ihre Boote zuerst durchs Ziel bringt, dann kann die beleidigte Gottheit nur dadurch 42 wieder versöhnt werden, daß die Bootsführer sich auf den Opferstein legen, die Brust öffnen und das Herz herausreißen lassen. Manchmal sind es drei, vier Herzen zugleich, die der Zauberpriester (den man beileibe nicht Henker nennen darf) in seinen blutbesudelten Händen so lange zucken läßt, bis sie total erkaltet sind. Dann erst werden sie in eine Kalabasse getan und in die riesige Wurzelhöhle des Heiligen Baumes hineingeschoben. Ob es nun ausschließlich die beleidigte Gottheit ist, die sich diese Delikatessen schmecken läßt – das wagte nicht einmal jener »Lenguaraz«, der mir über die Gebräuche der Toncueta eine erschöpfende Auskunft gab, mit Sicherheit zu behaupten.

Darf man also nun sagen, wenn auch mit einem gewissen Vorbehalt, daß dieser indianische Stamm dem Kannibalismus verhaftet ist und von Rechts wegen und unter allen Umständen etwas geschehen müsse, um die Leute (vor allem über die zivilisierte Menschheit) von dieser barbarischen Scheußlichkeit zu befreien ? Die Regierung des Landes hat zunächst einmal andere Sorgen, als den Urwald-Indianern das Verspeisen von Menschenfleisch abzugewöhnen. Auch kann man, insofern es sich um die Toncueta und nicht um die sich gegenseitig zerfleischenden Europäer handelt, nicht gut von Menschenfressern im vulgären Sinne sprechen. Sie sind durchaus als Spiritualisten zu bewerten. Mögen ihre kultischen Riten und die Wesensform ihrer Götter von den Neu-Heiden auch als erzreaktionär angesehen werden, eins muß man ihnen wenigstens zugestehen: sie sind keine Augenverdreher, wenn sie vor den Fratzen der Götterbildnisse hocken. Sie umgeben sich mit keinem Schein. Sie stellen rundum das dar, was sie sind. Sie schmücken sich nicht mit Orchideen, sie machen einen 43 Salat daraus. Und sie trinken Wein, nicht um sich zu besaufen, sondern um lange zu leben . . . mit dem von den Palm-Beeren eingefangenen Sonnenschein. Die treibenden und aktivsten Partner bei den öffentlich vorgenommenen Begattungsakten sind die Frauen . . . 44 um die erforderliche Kinderzahl schnell hinter sich zu haben und dem Fettwerden sich hingeben zu können.

Die einzige berufliche Beschäftigung dieser noch nicht christianisierten Indios ist der Fischfang. Beide Flüsse, der Juruá und der Amazonas, bilden das Jagdrevier. Oft sind die Fischer Hunderte von Kilometern auf dem Wasser unterwegs, um eine bestimmte Sorte von Fischen einzufangen, die sie später in getrocknetem Zustand dem brasilianisch-englischen Handelshaus in Santo Amaro verkaufen. Das soll jedoch nicht heißen für Bargeld, sondern für eine Gegenleistung in Waren wie Salz, Baumwolle, Werkzeuge und Mais. Zeitgemäß also, wenn man sich dabei gewisser Vorgänge in Mitteleuropa erinnert.

Als ich Gelegenheit hatte, dieses von jeder Zivilisation noch unberührte Dorf der »Voll-Wilden« zu besuchen, war gerade jene flaue Zeit, die von den Indios Cayituá genannt wird, was soviel wie »Fastenmond« bedeutet. Kein Boot war unterwegs. Die Wasserstraße lag da wie ein von jedem Lebewesen gemiedener Salzsee. Die Fischer besserten unter Mithilfe des gesamten Familienanhangs die Netze aus, warteten auf die Drehung des Windes und bestimmte Vorgänge auf dem Fluß, hinter deren Sinnbedeutung ein Fremder wohl nicht so leicht kommen wird, selbst wenn es ihm möglich ist, sich monatelang bei den Toncueta aufzuhalten. Obwohl also Fastenzeit war, konnte man bei den Leuten nichts von einer Kargheit der Mahlzeiten bemerken. Im Gegenteil: es wurde gefressen und gesoffen wie zu keiner anderen Zeit des Jahres. Man erledigte jetzt einfach alles, was an Vorräten noch aufgestapelt lag, um wieder Raum zu schaffen für die voraussichtlich mächtige Ernte des neuen Fischfanges. 45 Vor den rohrgeflochtenen Hütten hockend, drehten Mann, Frau und Kinder aus den Fasern einer Lianenwurzel zwirndünne Schnüre. Und aus den Schnüren, wenn sie mit dem Saft einer gelben, mir unbekannt gebliebenen Beere präpariert und nun blank wie Messingdrähte geworden waren, flochten die Netzmeister jeder Familiengruppe das neue Handnetz, sofern das alte nicht mehr zu reparieren war.

Auf dem Dorfplatz unter vielhundertjährigen Mangroven wurde das große Zugnetz geknüpft, zu dessen Bewegung im Wasser meist zwanzig bis dreißig Kanoes notwendig sind. Es ist für die Fänge der Riesenfische im Amazonas bestimmt.

Das Knüpfen des großen Netzes wird von den Toncueta nicht etwa als eine Zwangsarbeit betrachtet, obwohl sich jeder nach seinen Kräften daran beteiligen muß laut einem ungeschriebenen Gesetz, man muß es vielmehr als eine Art sakraler Handlung ansehen, denn jeder Tag in diesen Wochen ist ein Fest.

Nach Sonnenuntergang versammeln sich die Netzflicker der »Minga« auf einer baumlosen Stelle der Barranca zum Tanz. Die Tänzer tragen groteske Masken, die meist aus einem Kürbis herausgeschnitten und mit roten, gelben und weißen Farben bemalt sind. Aus den dunklen, weißumrandeten Löchern funkeln die Augen heraus, in denen Begierde wie von Zentauren blitzt. Auch die nackten Körper der Träger dieser Tanzmasken weisen die gleiche Bemalung auf, der immer das eine Symbol zugrunde liegt, nämlich das der Fruchtbarkeit im Wasser: Fische in den sonderbarsten Formen, Krebse, Schlangen und Muscheln, Blätter von Wasserrosen und deren Blüten.

Die Nichttänzer haben für das Feuer zu sorgen, das aus 46 hochgeschichteten Reisighaufen emporflammt und den Tanzplatz so erhellt, daß jede Bewegung der Tänzer von den im Kreis herumgelagerten Zuschauern beobachtet und entsprechend kritisiert werden kann.

Was ich in der begreiflichen »Premieren-Aufregung« nicht sofort begriff, war die Bedeutung jenes Pfahls, der in der Mitte des Tanzplatzes stand. Von dem Pfahl herunter hing eine mächtige, aus einem getrockneten Bleifisch und Baumharz hergestellte Fackel. Sie brannte allerdings noch nicht. Sie wurde erst in dem Augenblick von dem Zauberpriester entzündet, als man sich zum Fang des Mondfisches rüstete.

Mit dem Mondfisch hat es nun folgende Bewandtnis: Damit keinem Fischer, der mit einem neugeknüpften Netz auszieht, ein Unfall begegnet, muß er, bevor er im großen Kollektiv am Fang teilnimmt, vom Mondfisch gegessen haben. Ihn zu fangen, ist den drei ersten Nächten nach den Opfertänzen vorbehalten, als Auftakt zur Jagdsaison sozusagen.

Der Mondfisch ist eine Art Scholle, silberhell beschuppt, mit großen, schönen Augen und einem mächtigen Segel als Schwanzflosse. Er lebt nahe den Sandbänken in der großen Südkurve des Amazonas. Dort hockt er zwischen den Schlingpflanzen und dem angetriebenen Schlamm herum, und es ist schwer, ihn zu erwischen, weil er geangelt werden muß und nicht mit dem Netz zu fangen ist. Mit seinen die Dunkelheit durchdringenden Augen sieht er, so sagt man, wie die Menschen die Haken werfen. Er sieht tief in ihre Herzen hinein und erfährt, daß sie ihn töten und dann essen wollen.

Bei Tage, im hellichten Sonnenschein gar, ist es ausgeschlossen, den Mondfisch zu fangen. Man kann ihm 47 nur in stockdunkler Nacht beikommen. Bei dem Versuch, ihn zu fangen, darf auch kein Wort gesprochen, nicht einmal heftig geatmet werden, weil nach der Ansicht der Toncueta der Mondfisch auch ein ungemein feines Gehör besitzt.

Der Köder am Angelhaken muß ein weißer Schleimfisch sein. Und um den Schleimfisch zu fangen, benötigt man den schalenlosen Blutkrebs. Der Blutkrebs 48 hinwiederum klebt an den unteren Blättern einer bestimmten Wasserpflanze auf den Sandbänken. Wo der Blutkrebs in Massen auftritt, findet man auch den Schleimfisch. Und wo die Schleimfische sich in riesigen Scharen versammeln, bewegt sich der Mondfisch. Das einzusehen fiel mir gewiß nicht schwer. Weniger überzeugend wirkte auf mich die Erzählung, daß die Mondfische nichts anderes seien als die im Wasser ausgesetzte lästige Kinderschar des nächtlichen Mondes.

Wenn man den Mondfisch endlich gefangen hat – es können darüber oft acht bis zwölf erfolglose Fangnächte vergehen –, brät man ihn unter Aufsicht des Zauberpriesters, der während der ganzen Zeremonie seine Beschwörungen herunterleiert, auf dem Dorfplatz vor den Augen der Ältesten des Stammes. Und die Fischer kommen und essen – Sprüche dabei murmelnd – jeder einen Bissen von dem sakral zubereiteten Fischfleisch.

Wenn sie dieses Fleisch, das im Geschmack einem ranzigen Salzhering sehr ähnelt, im Leibe haben, sehen und hören sie besser als alle anderen Menschen. Und wenn ein Flußdelphin das Boot bedroht, wittern sie ihn schon von weitem und können sich retten.

Das erzählte mir mein farbiger Diener mit den einundzwanzig indianischen Dialekten. Und mit einer so stolzen Betonung jedes seiner Worte, als stünde ihm die Ernennung zum Obernetzmeister bevor, verriet er mir ferner, daß er sich in der nächsten Nacht am Fang des Mondfisches beteiligen werde. Das sei eine ganz besondere Auszeichnung für ihn, der doch ein Verachteter sei, bei den Toncuetas zumal, weil er bei einem weißen Mann bedienstet sei und dafür auch noch Geld nehme. Als ich ihn fragte, ob eine Aussicht bestehe, daß auch 49 unsereins sich an der Expedition beteiligen dürfe, antwortete er, nachdem er ein paarmal die Schultern gehoben und gesenkt und sich den Kopf gekratzt hatte: »Ayayaya, Patron! Fremde Leute dürfen nicht mit. Das ist von der Gottheit verboten.«

»Wenn ich nun aber den Göttern etwas opfern und sie versöhnlich stimmen würde, ob sie dann nicht doch mit sich reden lassen ?« fragte ich ihn.

Der Diener sah mich an und schob das Coca-Bündel von der linken nach der rechten Backe hinüber. Und nach einer ganzen Weile erst flüsterte er: »Kann sein, daß die Götter es erlauben. Man wird aber erst mit dem Caziquen sprechen müssen.«

Er sprach darauf in meinem Auftrage mit dem Caziquen. Und das Oberhaupt des Dorfes erlaubte gnädig, daß ich den Göttern zwei Buschmesser, eine Axt und ein Dutzend Eisenringe opferte.

Die Gottheit nahm das Opfer in Gnaden auf und gab die Erlaubnis, mit den Fischern mitzufahren, aber nur einmal. Der Opferung meiner »milden Gaben« und der Verkündung des Spruches habe ich allerdings nicht beiwohnen dürfen.

Die Nacht, die der Zauberpriester für den Fang des Mondfisches vorgesehen hatte, war endlich erschienen. Vier fackeltragende Indios holten mich von meinem Bungalow ab und führten mich mit jenem schwebenden Schritt, der wie beim Tanz den Boden nur streift, zur Hütte des Caziquen, wo ich zunächst mit einer Suppe aus getrockneten Palmbeeren und Papageienfleisch bewirtet wurde. Die Abendtafel fand unter freiem Himmel statt. Siebenmal machte die mit einem ausgegorenen Chicha gefüllte Riesenamphore die Runde. Die Musik wurde von drei großen 50 Baumtrommeln und einer Unzahl von schrill klingenden Rohrflöten ausgeführt. Das rötlichgelbe Licht der Fackeln tanzte gespenstisch auf den glänzend geölten Körpern der indianischen Leute.

Nach einem durchdringenden spitzen Ruf vom Wasser her (der Klang dieses Rufes war ähnlich dem einer Feile, die ein Stück Eisen bearbeitet, jedoch vielhundertmal stärker und aufreizender) liefen wir zum Hafen, sprangen in die Kanoes und glitten durch die Schwärze der Nacht, die auf dem Wasser lag.

Ich einzelner »Staatsgast« befand mich in dem größeren Boot, zugleich mit dem Caziquen und vier seiner Leute. Zwei weitere Boote, mit je drei Mann besetzt, folgten dichtauf. Nach einer ziemlich schnellen Fahrt von drei Stunden wurden die mitgeführten Fackeln ausgelöscht. Wir befanden uns in der Nähe der Sandbänke. Man sah nicht die Hand vor den Augen. So ging es mir wenigstens. Die Indios jedoch besaßen das, was man mit Katzenaugen bezeichnet. Jedem Hindernis auf dem absolut schwarzen Wasser wichen sie geschickt und haarscharf aus. Man hörte kaum die Atemzüge der rudernden Leute. Lautlos hoben und senkten sich die Ruderblätter. Und hätte man nicht von den bewaldeten Ufern herüber das krächzende oder heulende Gelärm der Affen und des Rohrgeflügels gehört, dann wäre man sich vorgekommen wie in einem unterirdischen Kanal. Ob die Boote nun auf einer Sandbank festmachten oder sich von dem träge dahinströmenden Wasser treiben ließen, das konnte ich nicht feststellen. Vor mir hatte ich den breiten Rücken des Caziquen, und zu beiden Seiten lief die Wandung des Bootes so hoch, daß ich sie nicht einmal mit den Fingerspitzen erreichen konnte. Ich hockte nämlich am Boden des Fahrzeugs. 51 Mit einemmal bemerkte ich, daß sich die Schultern des Caziquen nach vorn bewegten und daß er von unten aus dem Boot etwas aufhob und nach vorn weitergab. Es war die Leine mit dem Angelhaken. Ob sie ins Wasser geworfen wurde, konnte ich jedoch nicht feststellen. Unbeweglich klumpten sich vor mir gleich Felszacken die Schulterknochen des Caziquen. Das Boot stand oder schaukelte; ich konnte es nicht genau unterscheiden. Und ich war mir auch über den Ablauf der Zeit nicht ganz im klaren.

Vom Ufer der Windseite her war jetzt der schwüle Duft des Urwaldes verspürbar, jener an den Nerven reißende fieberheiße Hauch eines langsam in Verwesung 52 übergehenden Paradieses. Am Himmel, der wohl einzelne Sterne flimmern ließ, darunter den Sirius und den Orion – Zeichen, die den Indios heilig sind –, sonst aber die vielen »Kohlensäcke« zeigte und mondlos war, hatte sich eine Wolke verschoben. Ein schwacher Lichtstreifen flog über das weit vor mir liegende Wasser hin. Die Stille jedoch wandelte sich nicht. Sie summte mir ein melancholisches Lied in die Ohren und machte mich schläfrig. Dann hörte ich plötzlich Geräusche, immer von oben herunterstürzend wie jene meterlangen Pfeile, die die Carvao steil hoch abschießen und die den im Wasser »stehenden« Fisch treffen . . . ebensogut aber auch, wenn es dem Jäger notwendig erscheint, einen Menschen für immer am Boden festnageln. Die Wirkung des Chinin, zu dem ich wieder einmal hatte greifen müssen, flaute ab. Ich mußte eine neue Dosis schlucken, dabei hatte ich das schöne Gefühl, als krachten mir die Kinnladen auseinander. Gewiß keine neue und besonders aufregende Erscheinung, aber hier auf dem Wasser und in fremdester Umgebung nicht gerade angenehm.

Kurz vor dem wirklichen Einschlafen – die Gähnkrämpfe waren ja nur eine vorbereitende Angelegenheit – erschütterte plötzlich eine ruckartige Bewegung das Boot. Der breite Rücken des Caziquen war mit einemmal verschwunden, der Teufel mag wissen wohin. Ich sah nur noch den Kopf des Mannes auf der Spitze des Fahrzeuges, als hätte ihn dort jemand als Gallionsfigur festgenagelt. Schließlich entzündete man eine Fackel. Der blutrote Schein tanzte über das Wasser hin. In diesem Augenblick schnellte von irgendeiner Sandbank her, wahrscheinlich vom Nest aufgejagt, ein Raubvogel hoch, fegte über das Wasser und streifte das 53 Boot so flach, daß die Luft mir um die Ohren sauste und ich in ein paar grimmig funkelnde Augen hineinsah. Auch auf den beiden anderen Booten, die jetzt seitwärts von uns lagen, brannten Fackeln. Ein gespenstisches Licht, leuchtkäferhaft schwirrend durch die Massigkeit dieser abgrundtiefen Schwärze.

Unser Fahrzeug geriet schließlich in ein so heftiges Schlingern, daß ich nach rückwärts flog und etwas sehr unsanft auf den Rücken zu liegen kam.

Die Fangleine war ausgeworfen worden, und nun zog man den Mondfisch, der endlich angebissen hatte, langsam und vorsichtig ein. Der Fisch schien ruhig am Haken zu hängen, dem Schicksal ganz und gar ergeben. Als er aber die Luft erreichte, aus seinem eigentlichen Element herausgerissen, schlug er mit der Schwanzflosse so heftig und rabiat um sich, daß das große Kanoe bis in die letzten Fasern des Holzes hinein erzitterte. Mit gestrafften Muskeln und mit dem Bauch auf der Spitze des Fahrzeugs liegend, hielt der Cazique die Leine, jede Bewegung des Fisches beobachtend, um ein Abspringen vom Haken zu verhindern.

Inzwischen waren auch die zwei anderen Boote zur Stelle, warfen um den fast kreisrunden, hellsilbern blinkernden Fischleib sackartige Netze und hoben ihn in unser Boot. Sie banden ihn mit dem Kopf und der mächtigen Schwanzflosse an die Ruderbänke und gröhlten dazu einen schauerlich über das Wasser hin hallenden Choral. Diese Musik fröstelte mich eisig mit ihrer grausamen Monotonie an.

Jetzt fuhren die kleinen Boote mit hellodernden Fackeln vorauf. Den Rudertakt befeuerte zur Abwechslung ein kriegerischer Gesang, und mir wurde endlich erlaubt, die langentbehrte Zigarre in Brand zu setzen. 54 Unruhig zappelte der gefesselte Fisch. Die blutigen Kiemen klappten auf und nieder. Der Kopf lag dicht vor meinen Füßen. In den großen schönen Augen spiegelte sich der Schein der Fackeln. Sentimentale Gedanken flogen mich an. Ich vertiefte mich in den sonderbaren Ausdruck der Augen und spielte mit ihm. Ich hätte laut sagen mögen:

Schöner Mondfisch, den ich bisher immer nur in der Winzigkeit eines Silbertalers in den Aquarien meiner Freunde oder anderer Fisch-Liebhaber gesehen habe . . ., was fühlst du nun in deinem Verlöschen? Ich möchte es wissen. Auch drängt es mich zu erfahren, warum du den Schleimfisch, deinen kleinen Bruder, vertilgen mußt. Um zu leben?

Weiter, mein Freund. Muß auch der Schleimfisch den Blutkrebs fressen, nur um sein Dasein aufzubauen? Warum muß der Krebs die schwimmenden Pflanzenwesen töten, und die Pflanzen müssen das Sonnenlicht trinken und den Urschlamm verzehren – nur, um die vom Schöpfer aller Dinge ihnen bestimmte Form des Lebens auszufüllen und die Art fortzusetzen?

Und den Menschen gehört dieses alles: Urschlamm, Sonne, Pflanze, Krebs und Fisch?

Wenn diese Ordnung so vorbestimmt ist vom Herrn aller Dinge, dann frage ich zuletzt und dringend: Wem gehört nun der Mensch?

Bei der Ankunft unserer Boote im Hafen zuckte der Mondfisch kaum noch. Ohne Widerstand ließ er sich auf die zu einer Tragbahre hergerichteten Ruder binden und vor das Haus des Caziquen tragen. Hier unter dem auf Palmenschäften ruhenden Blätterdach wurde er, ohne daß ihn das Schlachtmesser berühren durfte, in die breiten und lappigen Blätter einer Sumpfpflanze 55 gepackt, auf erhitzte Steine gelegt und mit heißen Steinen bedeckt. In dieser Art von Backofen schmorte der noch minutenlang lebende Mondfisch drei Stunden, bis sich das Fleisch leicht von den Gräten lösen ließ. Inzwischen war es Tag geworden. Die große Baumtrommel wurde in Bewegung gesetzt, und von allen Seiten eilten die Fischer herbei. Sie kamen, das Haar geschmückt mit blutroten Orchideen und den silberblau schillernden Flügeln eines kleinen Vogels, von dem ich nur den indianischen Namen »Cubúy Cuvó« kenne, um einen Bissen von dem heißen Fischbraten zu essen, damit der Zauber sie stärke und die Netze, die sie berühren, unzerreißbar mache und einem jeden, der nunmehr gesegnet war von den Sprüchen des Wassergottes (mitgeteilt durch den singenden Mund des Zauberpriesters), das Glück hold sei, wenn man zum großen Fang ausziehen wird, von dem das Wohl und Wehe des Dorfes für das nächste halbe Jahr abhängt.

 


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