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Neuntes Kapitel.

Das Stelldichein in der Küche

Am andern Morgen war sein Entschluß gefaßt. Er eilte zum nächsten Postamt und ließ sich telefonisch mit dem Kommissar Weigand verbinden. Er bäte um seine Ablösung, er könne aus zwingenden Gründen die Observation Spangenbergs nicht weiter durchführen.

Der Kommissar war natürlich sehr erstaunt und unwillig.

»Was soll das heißen? Wollen Sie mir erklären, warum Sie einen dienstlichen Auftrag nicht ausführen wollen?«

»Das kann ich nicht so per Telefon,« erwiderte der Polizeiagent.

»Ich schicke also Ablösung.«

Als Feldau das Büro seines Vorgesetzten betrat, kam ihm dieser stirnrunzelnd entgegen. Der Polizeiagent berichtete zunächst über seine letzte Zusammenkunft mit dem Bratzschen Dienstmädchen und von seiner Verabredung mit Minna.

Das Gesicht des Kommissars erhellte sich und er rieb sich vergnügt die Hände.

»Famos, lieber Feldau! Das haben Sie gut gemacht. Berichten Sie mir heute abend sofort, was Sie erkundet haben.«

»Aber, Herr Kommissar –«

»Ach so! Sie wollen abgelöst sein. Dummes Zeug! Jetzt, wo Sie so nahe am Ziel sind! Wie kommen Sie denn auf einmal darauf?«

Feldau schämte sich.

Käthes Verlangen und sein eigener Entschluß kamen ihm jetzt auf einmal kindisch und abgeschmackt vor. Verlegen, stotternd und stammelnd erzählte er von dem Konflikt mit seiner Braut.

Des Kommissars Gesicht erhellte sich immer mehr. Zuletzt lachte er heiter.

»Weiter nichts? Ein bißchen weibliche Eifersucht? Aber Feldau!«

Er legte dem beschämt vor ihm Stehenden seine beiden Hände auf die Schulter.

»Wegen solcher Kinderei werden Sie doch nicht die Flinte ins Korn werfen? Wohin kämen wir Männer, wenn wir uns von jeder Weiberlaune, von jeder Weiberträne beeinflussen ließen? In Berufssachen haben die Weiber nichts dreinzureden. Das wäre ja noch schöner. Sind Sie ein Mann, Feldau, oder sind Sie ein Waschlappen?«

Dem jungen Mann stieg die Röte der Scham ins Gesicht; er hätte sich selber wegen seiner Schwäche ohrfeigen können.

Der Kommissar sprach weiter mit Ernst und dienstlicher Bestimmtheit, die jeden Widerspruch ausschloß.

»Also, Feldau, Sie werden heute abend an Ihr Werk gehen und Ihre Pflicht erfüllen wie immer!«

»Jawohl, Herr Kommissar.« Der Polizeiagent biß die Zähne zusammen und würgte mit Anstrengung den Schmerz hinunter, der ihn angesichts der Entscheidung wieder packte. »Ich werde meine Pflicht erfüllen, Herr Kommissar.«

»Recht so, Feldau.«

»Und wenn ich meine Braut auch darüber verliere.«

Der Kommissar schüttelte lächelnd mit dem Kopf.

»Unsinn, Feldau. Das gibt sich. Dergleichen hat jeder von uns mal durchgemacht, wenn man den Weibern seinen unbeugsamen Willen entgegensetzt, dann fügen sie sich eben. Sie sollen Ihr Mädchen nicht verlieren, Feldau. Man wird der Kleinen das närrische, unvernünftige Köpfchen zurechtsetzen.«

Des jungen Mannes Augen leuchteten freudig auf:

»Der Herr Kommissar wollen selbst –«

»Ich persönlich: nein! Aber ich werde meine Frau zu ihr schicken. Die Weiber verstehen sich untereinander viel besser. Gehen Sie nur ganz ruhig! Und Glück und Erfolg, Feldau!«

»Danke gehorsamst, Herr Kommissar.«

Dennoch begab sich der Polizeiagent gegen Abend nicht mit der Entschlossenheit und dem freudigen Eifer, der ihn sonst zu seinen Berufshandlungen anspornte, auf seinen Posten. Ein wenig beklommen war ihn trotz des freundlichen Zuspruchs seines Vorgesetzten zu Mute, und fast wie ein Märtyrer, der um seiner Überzeugung willen in den Untergang geht, kam er sich vor. Dennoch schwankte er keinen Augenblick mehr. Seine Ehre stand auf dem Spiel, und wenn's nicht anders ging, dann mußte er eben seine Liebe dem Beruf und der Berufsehre opfern.

Sacht schlich er sich auf den Hof, und als er jemand hinter sich kommen hörte, trat er in den Eingang, der zu den Wohnungen des Hinterhauses führte. Nach einer Weile kehrte er auf den Hof zurück. Alles war still; er sah einen Schatten am Fenster der Küche. Minna, die seiner mit liebevollem Herzen, nach seinen Küssen lüstern, harrte! Ein Schaudern durchrann ihn, und er mußte sich Gewalt antun, um nicht davonzulaufen. Er biß die Zähne aufeinander und trat dicht unter das Fenster, zum Zeichen leise hustend. Vorsichtig wurde oben das Fenster geöffnet.

»Komm!« flüsterte das verliebte Mädchen girrend herab.

Feldau langte mit der Hand in die Höhe und auf den Zehenspitzen stehend, erreichte er mit der linken Hand das Fensterbrett. Mit der Rechten das Fensterkreuz umspannend, schwang er sich mit kräftigem Ruck empor. Im nächsten Moment stand er oben und behutsam, jedes laute Geräusch vermeidend, ließ er sich auf den Fensterboden nieder.

Minna schloß sogleich das Fenster wieder und zog die grobe Küchengardine zusammen. Dann breitete sie dem vor ihr stehenden die Arme entgegen. Aber Feldau konnte sein inneres Widerstreben nicht überwinden. Seine Phantasie spiegelte ihm das Bild seiner Käthe vor, er sah ihr schmerzverzogenes Gesicht, ihre bittenden, vorwurfsvollen Augen.

»Laß!« wies er die Schmachtende zurück. »Wenn einer kommt!«

Er deutete nach der Tür. Sie aber beruhigte ihn mit einer Gebärde und flüsterte: »Ich habe ja den Riegel vorgeschoben. Sollte Frau Bratz kommen, dann sage ich einfach, daß mir nicht wohl ist und daß ich mich hingelegt habe, während ich tue, als ob ich aufstehe und mich anziehe, hast du Zeit genug, dich wieder durchs Fenster aus dem Staube zu machen.«

Um nicht Minnas Unwillen oder gar ihren Verdacht zu erwecken, blieb ihm nichts übrig, er mußte den feurigen Seladon spielen, sie an seine Brust ziehen und sich ihre Küsse gefallen lassen. Dann setzten sie sich dicht nebeneinander. Sie ergriff seine Hand, streichelte sie zärtlich und sah ihn ermunternd, verliebt, erwartungsvoll an.

Feldau aber achtete nicht darauf und ließ ihre hochfiegenden Erwartungen unerfüllt. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die Tür, nach der er heimlich gespannt lauschte. Bei jedem Geräusch machte er eine lebhafte Bewegung und beugte sich auf seinem Stuhl weit vor, der Tür entgegen. Minna schüttelte über soviel Zerstreutheit und Angst den Kopf.

»Daß du doch solch ein Hasenfuß bist, Fritz!« schalt sie. »Gar nicht nett bist du. Das habe ich mir ganz anders gedacht. Was habe ich nun von dir.«

Er mußte sich, so sehr sich auch sein inneres Empfinden dagegen sträubte, und so sehr ihn innerlich die Ausführung der Absicht, die ihn hierher geführt hatte, in Anspruch nahm, dazu bequemen, wieder die Rolle des Liebhabers zu spielen. Er faßte sie mit dem einen Arm um die Taille, mit der andern Hand strich er ihr liebkosend über Kinn und Wangen und wisperte ihr dabei ein paar Koseworte ins Ohr. Minna strahlte, und in der Liebesseligkeit ihres Herzens legte sie ihren Kopf an seine Schulter und sah, ihre Lippen mit deutlicher Aufforderung spitzend, mit lockendem Lächeln zu ihm empor.

Er fluchte innerlich, aber es half nichts, er mußte, getreu dem Charakter seiner Rolle, ihrem Liebesverlangen entsprechen und zwei-, dreimal drückte er seine Lippen auf die ihren.

Dann fuhr er zurück und heuchelte Erschrecken.

»Hast du nichts gehört, Minna?«

»Nein, nichts, Geliebter! Wie süß du küssen kannst!«

Sie lächelte halb verschämt, halb begehrend. Aber er zog sein Taschentuch und trocknete sich die Stirn.

»Ist dir auch so heiß, Minna?«

Sie lächelte wieder schämig.

»Na, gewiß doch, Schatz!«

Es schüttelte ihn und er stand rasch auf und sah sich suchend um.

»Was hast du denn?« fragte sie erstaunt.

»Ich möchte dich um ein Glas Wasser bitten.«

Sie verneinte mit einer Kopfbewegung.

»Wasser? Nein, da habe ich was Besseres für meinen Schatz!«

Sie holte aus der Speisekammer eine Flasche Bier hervor und schenkte ihm ein. Er trank und überlegte dabei, wie er die Liebesdurstige aus der Küche bringen könnte, denn solange sie bei ihm war, ließ sie ihm ja doch keine Ruhe, und das Ergebnis war schließlich gleich Null. Der Küsse wegen war er aber nicht gekommen.

»Schmeckt's?« fragte sie.

Er stellte das Glas, das er halb geleert hatte, auf den Tisch und nickte.

»Noch besser würde es mir schmecken, wenn ich eine Zigarre dazu rauchen könnte. Leider,« er griff in die Tasche seines Uniformjacketts – natürlich war er in seiner Verkleidung als Straßenbahnschaffner erschienen – »habe ich nichts Rauchbares bei mir. Kannst du mir nicht mit einer Zigarre aushelfen, Schatz?«

Er faßte sie liebkosend unter das Kinn und heuchelte einen zärtlich überredenden Blick.

»Nein, Schätzchen. Aber ich werde dir welche holen. An der Ecke der Weißenburger Straße ist ein Zigarrengeschäft.«

»Du bist doch zu lieb, Minna,« lobte er schmeichelnd und gab ihr Geld. »Bei dir wird's ein Mann einmal gut haben,« setzte er mit verheißungsvoller Miene hinzu.

Minna strahlte natürlich über das ganze Gesicht und war ganz Eifer und Bereitwilligkeit: »Bin gleich wieder da!«

Sie flog davon. Als sie, den Korridor durcheilend, an Spangenbergs Zimmer vorüberkam, öffnete dieser argwöhnisch die Tür. »Wer ist da?«

Minna erwiderte geistesgegenwärtig, daß sie zum Drogisten wolle, denn sie habe so starke Magenschmerzen. Spangenberg kehrte beruhigt in sein Zimmer zurück, und Minna huschte hinaus.

Feldau schritt entschlossen zur Tür. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Sein Eifer, seine Begier, irgendetwas auszuspionieren, das Aufschluß über Spangenbergs Treiben geben konnte, war so groß, daß er darüber jedes Bedenken, jede Furcht vergaß. Auf den Zehenspitzen schlich er sich in den Korridor bis zur Tür, die in Spangenbergs Zimmer führte. Er bückte sich und preßte sein Ohr an das Schlüsselloch. Seine Spannung stieg aufs höchste, als er zwei Stimmen in eifrigstem Gespräch vernahm. Das Blut sauste ihm in den Ohren, das Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf, und er mußte sich mit gewaltsamer Willensanstrengung zur Ruhe zwingen, bis er imstande war, zu lauschen und mehr als seinen stürmischen Herzschlag zu hören. Dennoch konnte er, so angestrengt er auch horchte, die einzelnen Worte nicht unterscheiden, denn von dem anderen Zimmer, in dem sich die spielenden Bäcker befanden, tönte ein starkes Stimmengewirr heraus. Wer war der Besucher Spangenbergs? fragte sich der Kriminalbeamte.

Da hörte er, wie ein Schrank geöffnet wurde, und gleich darauf glaubte er das Knistern von Papier zu vernehmen. Die Spannung des Lauschers stieg bis zum Fieber. Waren es falsche Scheine, war der Besucher Spangenbergs ein Komplize, der sich neue Ware holte?

Den Polizeiagenten packte die Versuchung, in das Zimmer zu dringen und beide Verbrecher auf frischer Tat zu überraschen und zum Polizei-Revierbüro zu sistieren. Möglicherweise würde eine solche entschlossene Handlungsweise zur Aufklärung des ganzen Münzverbrechens führen. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß es Lomnitz war, der seit Monaten gesuchte Falschmünzer, der bei Spangenberg weilte.

Aber eine kurze Überlegung riet dem Eifrigen ab, diesem Impulse zu folgen. Denn erstens war es doch nur eine unbegründete Annahme, daß Lomnitz bei Spangenberg zu Besuch war – aller Wahrscheinlichkeit war es jedoch der Falschmünzer nicht – und zweitens, selbst wenn es Lomnitz gewesen, was nützte es, ihn zu verhaften, wenn nicht bewiesen werden konnte, daß er die falschen Fünfmarkscheine fabriziert hatte? Erst wenn man die geheime Werkstätte des Falschmünzers gefunden hatte, war der Beweis seiner Schuld erbracht. Ein übereiltes Vorgehen konnte aber die Früchte monatelanger, mühseliger Beobachtungen und Bemühungen vernichten und die Erreichung des letzten Zieles für immer unmöglich machen.

Feldau preßte sein Ohr noch fester an das Schlüsselloch und strengte sein Gehör aufs äußerste an. Jetzt vernahm er, wie der Schrank wieder verschlossen wurde und die beiden Männer das Zimmer verließen, um sich in das anstoßende Spielzimmer zu begeben.

Der Polizeiagent richtete sich schnell in die Höhe und schlich nach der andern Tür hin, um dort sein Lauscherwerk fortzusetzen. Aber er hatte den neuen Posten noch nicht erreicht, als sich die Tür von innen öffnete und der »Spielbooß«-Bratz auf den Korridor trat. Der ehemalige Bäcker konnte ein starkes Erschrecken nicht verbergen, als er plötzlich des fremden Mannes ansichtig wurde, von dem er nicht wußte, wie er in seine Wohnung gelangt war. Immer auf eine Entdeckung und Überrumpelung seitens der Polizei gefaßt, dachte er im ersten Moment nichts anderes, als daß er einem Geheimpolizisten gegenüberstand. Dieser Gedanke gab ihm sofort seine Fassung zurück, und mit großer Geistesgegenwart trat er stirnrunzelnd dem Eindringling gegenüber. Für ihn hieß es jetzt nur noch Zeit gewinnen und den Spielern ein Zeichen zu geben, das sie veranlaßte, die verräterischen Spielutensilien beiseite zu schaffen.

»Wer sind Sie? wie kommen Sie in meine Wohnung? Was wollen Sie hier? –« herrschte er den stumm ihm Gegenüberstehenden an, der selbst mit seiner Verlegenheit und Überraschung kämpfte.

Feldau hatte nur den einen Wunsch, mit guter Manier und so rasch als möglich aus der Bratzschen Wohnung herauszukommen, um nicht Spangenbergs Aufmerksamkeit zu erregen. Und so wies er mit kleinlauter Miene auf seine Uniform:

»Was ich bin? Das sehen Sie ja, und was ich will, ist sehr einfach: Ich wollte meine Braut, die Minna besuchen.«

Zum Glück kam gerade in diesem Moment das Mädchen mit den Zigarren zurück. Ihr Erschrecken, ihre schuldbewußte Miene bestätigten die Angaben des Eindringlings in überzeugender Weise.

Bratz atmete im stillen auf; vor den andern aber stellte er sich sehr entrüstet und aufgeregt. Er schalt das Mädchen leichtfertig und pflichtvergessen.

»Sie haben kein Recht, ohne meine Erlaubnis fremde Kerle in meine Wohnung zu lassen. Morgen früh können Sie gehen – verstanden?«

Dem Herrn Straßenbahnschaffner aber rate er, schleunigst nachzusehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen habe.

Der Polizeiagent wartete nicht ab, bis dieser freundlichen Einladung eine noch deutlichere, drastischere Aufforderung seitens des drohend dastehenden Wohnungsinhabers folgte. Ohne der wie vernichtet dastehenden Minna ein Wort oder auch nur einen Blick zu gönnen, machte er sich durch die offenstehende Korridortür aus dem Staube.

Im übrigen war er gar nicht ärgerlich. Wenn sein Besuch auch ein vorzeitiges Ende gefunden, so war er doch nicht ganz ohne Resultat geblieben. Er hatte doch wenigstens in Erfahrung gebracht, daß Spangenberg in seinem Zimmer Besucher empfing, die sicher in der Falschmünzersache zu ihm kamen. Viel war das ja nicht, aber es war doch immerhin etwas, und es war um so freudiger zu begrüßen, als die peinliche und gefährliche Situation, in die ihn das plötzliche Dazwischentreten des Bratz versetzt, einen so glimpflichen Ausgang gefunden hatte, so daß er hoffen durfte, keinerlei Argwohn erregt zu haben.

Da fiel ihm die Erinnerung an eine andere wichtige, private Angelegenheit schwer auf die Seele, die ihm während des gewagten Unternehmens, das sein ganzes Denken und seine ganze Geistesgegenwart in Anspruch genommen, völlig aus dem Bewußtsein geschwunden war.

Käthe! – Zürnte sie ihm noch immer, würde sie bei ihrer Absage beharren? Oder war es Frau Weigand gelungen, ihren Zorn und ihre Eifersucht zu beschwichtigen?


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