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Drittes Kapitel.

Endlich eine Spur

An jedem Morgen begab sich Kommissar Weigand mit neuer Spannung nach dem Polizeipräsidium in sein Büro; jeder neuen Meldung eines seiner Untergebenen sah er mit fiebernder Erwartung entgegen. Aber keine einzige Meldung betraf die Falschmünzerangelegenheit, in der er allem Anschein nach zu keinem Erfolg gelangen sollte. Vor seinem Vorgesetzten, dem Regierungsrat, begann er sich zu schämen, und es bereitete ihm jedesmal ein förmliches Unbehagen, so oft er ihm begegnete oder Vortrag zu halten hatte. In seinen Blicken glaubte er die stereotype stille Frage zu lesen: Immer noch nichts? So vergingen volle drei Monate. Schon neigte er zu der Annahme, daß Lomnitz die Sache aufgegeben und die Stadt verlassen habe, um wahrscheinlich mit dem Gelde, das ihm die bereits abgesetzten Falsifikate eingebracht hatten, nach Amerika auszuwandern. Da, mit einem Mal, tauchten wieder falsche Fünfmarkscheine auf. Es war gerade so wie früher: in den verschiedenen Stadtteilen waren, in kleinen, meist Kellergeschäften, falsche Fünfmarkscheine in Zahlung gegeben worden, und zwar fast immer in der Dämmerstunde. Diese charakteristischen Umstände waren wohl als ein Beweis dafür anzusehen, daß dieselben Persönlichkeiten, wie früher, auch das neue verbrecherische Unternehmen leiteten. Der Unterschied war nur der, daß die Farbe der neuen Falsifikate nicht zu dunkel, sondern um eine Nuance zu hell war, und daß sie diesmal statt der Buchstaben A und B abwechselnd die Lettern C und D und die Zahlen 0246 in verschiedener Reihenfolge trugen. In Kriminalkommissar Weigand flammte der alte Jagdeifer des passionierten Kriminalisten auf; alle ihm innewohnende Energie wurde durch die fast täglichen Anzeigen angefacht. Er legte das Gelübde bei sich ab, nicht zu ruhen und zu rasten, bis er die Täter aufgespürt und den ganzen Apparat, lebendes und totes Material, mit dem sie arbeiteten, entdeckt und unschädlich gemacht haben würde. Sofort traf er seine Maßregeln. Er ließ die Merkmale, durch welche die Falsifikate sich von den echten Scheinen unterschieden, einer großen Anzahl kleiner Geschäftsleute mitteilen und ersuchte sie dringend, jeden Verausgaber solcher falschen Fünfmarkscheine festzunehmen und dem nächsten Polizeibüro zuzuführen. –

Freilich, es vergingen wieder fast drei Monate, ohne daß diese Maßnahmen den gewünschten Erfolg zeitigten; endlich aber kam doch der Tag, der den ersten festen Anhaltspunkt zur Aufklärung des bisher von einem dichten Schleier umgebenen Falschmünzerverbrechens brachte. Weigand hatte am Abend eines der ersten Oktobertage die schwere Obliegenheit eines Kommissars du jour zu versehen, die jedem der angestellten 30 Kriminal-Kommissare monatlich einmal zufiel. Dieser Dienst dauerte fast 24 Stunden, von 2 Uhr nachmittags bis zum Mittag des nächsten Tages. Der Kommissar du jour hatte alle Haftsachen zu erledigen, die mit dem Transportwagen eingelieferten Arrestanten zu verhören, die Einlieferungen zu prüfen und die Verhafteten eventuell zu entlassen. Er mußte das Belastungsmaterial sichten und ordnen, Berichte schreiben und die Vorführungszettel – die sogenannten Rotzettel – ausfertigen. Alle 3 – 4 Stunden trafen solche Transportwagen aus den verschiedenen Quartieren der großen Stadt ein. Das Material mußte natürlich sofort bearbeitet werden, damit die Vorführung der Polizeigefangenen vor dem Richter schon möglichst am Tage nach der Festnahme erfolgen konnte.

In den Pausen zwischen dem Eintreffen der einzelnen Wagen und der Erledigung des eingegangenen Materials durfte der geplagte Kommissar du jour sich zu kurzer Rast ein wenig auf das alte, in seinem Büro stehende Sofa niederstrecken. Angenehm war die Arbeit nicht, die den vielbeschäftigten Beamten nach solch einer Ruhepause erwartete. Unter den ihm Vorgeführten waren alle Kategorien von Verbrechern und Unglücklichen vertreten, mit Kot und Blut besudelte Raubmörder und Einbrecher, auf Straßen aufgegriffene Obdachlose, feingekleidete Hochstapler, durchgegangene Kassierer, Diebe aller Art, Rowdies und Schläger mit rohen, brutalen Mienen, von Straßenschmutz starrende Betrunkene, Irrsinnige, kurz, eine Serie Menschen, deren nähere Bekanntschaft nicht gerade als eine Annehmlichkeit betrachtet werden konnte. –

*

Die Nacht brach bereits herein. Weigand befand sich in einer durchaus nicht rosigen Stimmung. Die durch die aufreibende Tätigkeit erzeugte Nervenabspannung ließ ihn mit trüben Blicken in die Zukunft sehen. Die Falschmünzersache ging ihm wieder durch den Kopf. Sollte sein erstes Debüt in diesem ihm bis dahin noch fremden Ressort mit einem kläglichen Fiasko enden?

Da störte ihn der Lärm eines in den Hof rasselnden Transportwagens aus seinem unerfreulichen, dumpfen Hinbrüten auf. Sein unwillkürlich lauschendes Ohr vernahm, wie die eingelieferten Arrestanten nach dem Abfertigungsraum transportiert wurden, wo sie durch die beiden anwesenden Kriminalschutzleute vom Dienst einer gründlichen Leibesvisitation unterworfen wurden. Darauf wurden die Eingelieferten in das allgemeine Sistierungszimmer geführt, wo sie, auf Bänken sitzend, unter Bewachung eines Schutzmannspostens bis auf weiteres blieben. Die Einlieferungsscheine wurden indessen in die Registratur gebracht und darauf dem im Nebenzimmer befindlichen Kommissar du jour mit den vom Registrator hinzugefügten, auf die verbrecherische Vergangenheit der Einzelnen Bezug habenden oder ihre bisherige Unbescholtenheit konstatierenden Bemerkungen vorgelegt.

Mechanisch ergriff Weigand die ihm vom diensttuenden Schutzmann überreichten Anzeigen und fing an, noch halb zerstreut, einen nach dem anderen zu durchlesen. Da durchfuhr es ihn plötzlich wie ein elektrischer Schlag; seine Augen blitzten auf, heiß und belebend strömte ihm das Blut zu Kopfe und alle Müdigkeit und schlechte Laune war im Nu verschwunden. Beinahe hätte der wieder zu voller Energie und Tatendurst erwachte Beamte einen lauten Freudeschrei ausgestoßen.

Der Einlieferungsschein, den seine Hand soeben ergriffen hatte, lautete:

»Der Arbeiter Louis Barth, 22 Jahre alt, aus Breslau gebürtig, wurde heute zur Revierwache transportiert, weil er bei Verausgabung des beiliegenden, augenscheinlich falschen Fünfmarkscheins betroffen wurde. Der Verdacht, daß der p. p. Barth um die gesetzwidrige Herstellung des Scheins gewußt, ergibt sich aus dem Umstande, daß der Angeschuldigte plötzlich unter Zurücklassung des Fünfmarkscheins die Flucht ergriff, als der im Laden anwesende Geschäftsinhaber Noack das Falsifikat einer genauen Prüfung zu unterziehen begann. Der p. p. Barth wurde verfolgt und dem Unterzeichneten vorgeführt.

Verhandlung bei!
Degener, Polizeileutnant.«

Weigands Hand zitterte vor Interesse und Eifer. Zunächst betrachtete er jedoch den dem Schriftstück beiliegenden Fünfmarkschein. Es stimmte genau. Ohne alle Zweifel handelte es sich um eines der Falsifikate, deren der Kommissar schon eine ganze Anzahl in seinem Amtsbüro liegen hatte. Die etwas zu helle Färbung und die Buchstaben sowie die Zahlen waren dieselben, wie die auf den übrigen konfiszierten Scheinen. Darauf überflog er das beigefügte Protokoll über das erste auf dem Revierbüro vorgenommene Verhör. Daraus ergab sich, daß der Arrestant angegeben hatte, er habe den falschen Fünfmarkschein bei Bezahlung seiner Zeche von einem Kellner des Zoologischen Garten-Restaurants auf ein Zwanzigmarkstück erhalten.

Noch einmal las der Kommissar das interessante Schriftstück, jedesmal langsamer, prüfender und sich jede der von dem Eingelieferten angegebene Einzelheit einprägend. Dann wandte er sich an den vor ihm stehenden Schutzmann.

»Führen Sie mir mal den Mann vor!«

Er deutete auf den betreffenden Einlieferungsschein und gab Namen und Nationale des Arrestanten an. Ein paar Minuten später erschien, von dem Schutzmann eskortiert, ein ärmlich, aber sauber und ordentlich gekleideter Mensch. Auf den ersten Blick erkannte der erfahrene Kriminalist, daß er einen Neuling auf dem Wege des Verbrechens vor sich hatte. Schüchtern, sichtlich befangen, blieb der Eintretende unweit der Tür stehen, als der Schutzmann das Büro auf den Wink des Vorgesetzten wieder verlassen hatte. Er zitterte am ganzen Leibe vor Erregung und heftete ängstliche Blicke auf den ihn mit Interesse musternden Beamten. Erst als er von dem Kommissar aufgefordert wurde, an seinen Tisch heranzutreten, schob er sich langsam und zögernd, scheu und verlegen, vorwärts.

Die genauere Inaugenscheinnahme des Arrestanten stimmte die freudige, erwartungsvolle Stimmung des Beamten etwas herab. Das Gesicht des jungen Mannes zeigte offene, harmlose, nicht unangenehme Züge, wenn sie auch von geistiger Beschränktheit zeugten. Es würde sicherlich nicht schwer halten, alles aus dem Verhafteten herauszuholen, was man wissen wollte und was er mitzuteilen hatte; aber ebenso sicher war, daß er nicht zu den Hauptakteuren des Münzverbrechens gehörte.

Dennoch wandte sich der Kommissar mit Interesse dem vor ihm stehenden, befangen und beschämt blinzelnden jungen Manne zu. Das erste Verhör, das mit einem frisch ergriffenen, noch im Bann der Überraschung, des Schreckens und der Bestürzung stehenden Verbrechers angestellt wurde, war naturgemäß von großer Wichtigkeit, da der Inhaftierte noch nicht Zeit und geistige Sammlung genug gehabt hatte, um auf einigermaßen plausible Ausreden zu sinnen. –

»Sie heißen Barth?« fragte der Kommissar.

Der Gefragte nickte mit herabgesenktem Gesicht.

»Na, na!« rief ihm der Beamte mit Nachdruck zu.

»Kopf hoch! Blick hierher und deutlich und laut Antwort geben!«

Der Arrestant gehorchte, aber seine Augen flirrten unruhig und angstvoll.

»Was sind Sie?«

»Gärtner.«

»Haben Sie denn keine Stellung?«

»Nein.«

»Seit wie lange?«

»Seit sechs Wochen.«

»Und wovon haben Sie in der Zeit gelebt?«

»Von – von Gelegenheitsarbeit –« stammelte der junge Mensch, rot und blaß werdend, und wieder seinen Blick vor den forschend und streng auf ihn gerichteten Augen des Beamten senkend.

»Sie lügen ja! –« donnerte ihn der Beamte an. »Sie haben von der Verausgabung falscher Fünfmarkscheine Ihre Existenz gefristet. Freilich, viel Erfolg scheinen Sie damit nicht erzielt zu haben –« fügte er, weniger schroff, hinzu, mit fast geringschätzigem Blick die mehr als bescheidene Kleidung des vor ihm Stehenden musternd.

Der Verhaftete war erschrocken zusammengefahren.

»Ich habe ge –, gearbeitet –« wiederholte er stotternd. »Sie können mir glauben, Herr Kommissar.«

Der Beamte machte eine abwehrende Handbewegung.

»Dummes Zeug! Wo wollen Sie denn gearbeitet haben?« Der Bursche blieb die Antwort schuldig.

»Sie sehen –« fuhr der Kommissar fort, »mit Ihren Lügen kommen Sie bei mir nicht weit. Die Tatsache, daß Sie bei der Verausgabung von falschem Geld ertappt worden sind, können Sie nicht leugnen.«

Der Angeschuldigte trat verlegen und unsicher von einem Fuß auf den andern.

»Aber ich – ich wußte doch nicht, Herr Kommissar – –«stammelte er zaghaft.

»Daß der Schein gefälscht ist? Lügen Sie nicht so dumm! Warum wären Sie denn sonst ausgerissen und hätten den Fünfmarkschein im Stich gelassen, he –?«

»Ich – ich fürchtete mich doch vor – vor Unannehmlichkeiten mit – mit der Polizei.«

Der Kommissar lachte.

»So, so! Wenn Sie ein gutes Gewissen gehabt hätten, wären Sie nicht feig ausgekniffen. Ein Mensch wie Sie, der ohne Arbeit ist und nichts zu beißen und zu brechen hat, der läßt nicht so leicht fünf Mark im Stich. Apropos, wo haben Sie denn das Zwanzigmarkstück her, das Sie im Zoologischen Garten gewechselt haben wollen?«

Der Bursche starrte ihn mit glitzernden Augen an, und eine hilflose Verlegenheit spiegelte sich in seinen Mienen. Auf diese doch eigentlich naheliegende Frage schien er nicht gerechnet zu haben, ein Beweis, daß der Kommissar ihn ganz richtig als unerfahrenen, ungeschickten Anfänger eingeschätzt hatte.

»Also, das wissen Sie nicht. Welche Nummer hatte denn der Kellner, von dem Sie den Fünfmarkschein eingewechselt haben wollen?«

»Da – danach habe ich nicht gesehen.«

»Wir werden morgen früh beide hinausfahren, und Sie werden mir den Kellner bezeichnen.«

Der junge Bursche ließ unstät seine flackernden Blicke im Zimmer umherlaufen, ohne zu antworten.

»Na –« fragte der Beamte dringlich, »Sie werden ihn doch wiedererkennen?«

»Ich – ich glaube nicht, Herr Kommissar.«

Wieder lachte der Beamte.

»Das habe ich mir wohl gedacht.«

Der Kommissar stand auf und trat an den in tödlicher Verlegenheit Dastehenden heran. Er hielt es jetzt an der Zeit, auf das Gemüt des genügend eingeschüchterten, verängstigten, ratlosen Anfängers auf der Verbrecherlaufbahn einzuwirken.

»Ich will Ihnen mal was sagen, Barth! Sie scheinen ja so weit ein ganz anständiger Mensch und sind wohl mehr das Opfer gewissenloser Verführer. Ich meine es gut mit Ihnen. Wenn Sie das dumme Lügen aufgeben, mit dem Sie ja, wie Sie sehen, bei mir kein Glück haben, dann ist das ein weiterer Milderungsgrund zu Ihren Gunsten. Und ich werde, das verspreche ich Ihnen, in meinem Bericht hervorheben, daß Sie mir bereitwillig die Wahrheit gestanden und aufrichtige Reue gezeigt haben. Dann kommen Sie mit einer kleinen Strafe davon und nachher, wenn Sie die hinter sich haben, dann werden Sie wieder der ordentliche, brave Mensch, der Sie früher gewesen ...«

Er schlug dem in schwerem, seelischen Kampf Dastehenden jovial auf die Schulter. Die Augen des Burschen blinzelten und wurden feucht; in seinen Zügen arbeitete es heftig; sein Atem ging schwer und hastig. Dennoch schien er sich noch nicht entschließen zu können seine Teilnahme an dem schweren Verbrechen einzugestehen und sich so dem Strafrichter auszuliefern.

Der Kommissar entschloß sich, ihn wieder ein bißchen schärfer anzufassen. »Schön!« sagte er, an seinen Platz zurückkehrend. »Wenn Sie nicht wollen – mir kann's ja recht sein. Ich sehe, daß ich mich in Ihnen doch geirrt habe und daß Sie ein verstockter Bursche sind, kein Neuling mehr. Wer weiß, was Sie schon alles hinter sich haben und wie lange Sie sich schon mit der faulen Sache abgegeben haben.«

»Herr – Herr Kommissar –« stieß Barth mit ringender Brust hervor – »ich – ich – das können Sie mir glauben, ich bin kein – kein schlechter Mensch –«

Die Stimme versagte ihm und ein paar heiße Tränen rollten die vor tiefer Erschütterung bleichen Wangen herab.

»Na also, Barth –« fiel der Beamte wieder im Ton freundlichen Zuredens ein – »dann heraus mit der Wahrheit! Erleichtern Sie mal Ihr Herz! Denken Sie an Ihre armen, alten Eltern, über die Sie Kummer und Schande bringen.«

Das wirkte. Der Bursche konnte seine Bewegung nicht mehr beherrschen und begann krampfhaft zu schluchzen, während die Tränen reichlich seinen Augen entströmten. Nun hatte Weigand gewonnenes Spiel. Barth bedachte sich nicht mehr und war auch gar nicht mehr fähig, zu überlegen und auf Ausreden und Lügen zu sinnen.

»Ich wohnte bei dem Schlosser Schmidt in der Zionskirchstraße,« begann er. »Bei meinen Nachforschungen nach Arbeit lernte ich den Stubenmaler Hermann Möller kennen. Möller ist in meinem Alter und ebenfalls beschäftigungslos. Er wohnt bei seinem Vater Emil Möller, der auch nicht viel zu beißen und zu brechen hat. Der junge Möller war immer freundlich zu mir und gelegentlich besuchte ich ihn auch bei seinen Eltern und lernte so seinen Vater kennen. Vier Wochen waren wir schon so auf Arbeitssuche herumgestrolcht, als Hermann Möller eines Tages mich zu einem Frühstück in einer Destille und zu einem Glas Bier einlud. Natürlich ließ ich mich nicht lange nötigen. Mensch, wo hast du denn das Geld her? fragte ich ihn. Er aber tat sehr geheimnisvoll und wollte mit der Sprache nicht heraus. Endlich aber zog er verstohlen ein paar Fünfmarkscheine aus der Tasche. Was sagst du nun? Ich war natürlich baff. Wo hast du bloß die viele Pinke her? fragte ich nochmal. Er lachte. Davon kann ich haben, soviel ich will! prahlte er. Mir aber war ganz angst und bange geworden. Hast du lange Finger gemacht? fragte ich ihn. Aber er lachte: Na, so dumm! Stehlen? Wär' mir zu gemein. Zuletzt gestand er mir denn, daß das falsche Scheine wären. Für jeden eingewechselten Fünfmarkschein bekäme er 1 ½ Mark Gewinnanteil. Wer die Dinger eigentlich mache, wisse er nicht, ja, er kenne nicht einmal den Namen des Mannes, der ihm die falschen Scheine aushändige.«

Der Arrestant machte eine Pause. Mit großer Spannung hatte ihm der Kommissar zugehört.

»Weiter, Barth! –« forderte er den vor ihm Stehenden mit freundlichem, ermunterndem Blick auf.

Der junge Bursche schnaufte hörbar. Sein Gesicht war ganz erhitzt; man sah seinen glühenden Mienen an, wie wichtig er sich bei seinen Mitteilungen vorkam, und daß er momentan ganz das Bewußtsein seiner bedenklichen Lage verloren hatte.

»Von da an,« fuhr er willfährig fort – »hatte ich keine Ruhe mehr. Immer sah ich die schönen, neuen, blauen Scheine vor mir. Immer klangen die Worte meines Freundes in mein Ohr: Davon kann ich soviel haben, wie ich will! Ich malte mir aus, wie schön es sein müßte, die Tasche voll solcher Dinger zu haben, die ja genau so aussahen, wie die echten Fünfmarkscheine. Dann konnte man herrlich und in Freuden leben, konnte essen und trinken nach Herzenslust und sich auch sonst alles gönnen. Man griff nur einfach in die Tasche, da hatte man ja Geld genug, um alles zu bezahlen. Freilich, anfangs, als Hermann Möller die Frage an mich richtete, ob ich mitmachen wollte, schreckte ich doch zurück. Ich war ja nie in meinem Leben unehrlich gewesen, und nun sollte ich die Leute mit falschem Geld betrügen? Aber der Verführer ließ nicht nach, dazu meine verzweifelte Lage. Noch immer keine Arbeit ... Wenn ich mal gelegentlich was fand, wie einmal auf einem Kohlenplatz, so war es so schwer, daß ich es nicht lange aushielt.«

Der Erzählende pustete und strich sich mit der zitternden Hand über das feucht gewordene Gesicht.

»Von wem erhielten Sie nun die falschen Scheine?« fragte der Kommissar.

Der Bursche zögerte noch einen Moment mit der Antwort.

»Na – doch natürlich von Hermann Möller –« stieß er aufgeregt hervor.

»Wieviel Scheine setzten Sie denn nun per Tag ab?»

Über das Antlitz des Verhafteten glitt ein trübes Lächeln. Er machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung.

»Die ersten Tage überhaupt nicht –« antwortete er ... »Ich hatte zu furchtbare Angst. Ich dachte mir immer, es müßte mir jeder sofort ansehen, daß ich falsches Geld in der Tasche trug. Den ersten Tag ging ich wohl ein Dutzend Mal bald an diesem, bald an jenem Laden vorbei. Das Herz schlug mir dabei wie rasend. Ich aber fand nicht den Mut ... Bald war's mir noch nicht dunkel genug und ich wartete noch; dann wieder wurde das Gas angesteckt und es war zu spät. Erst am zweiten Tage trat ich in einen Gemüse- und Obstladen und forderte für 10 Pf. Äpfel. Aber als es ans Bezahlen ging, verlor ich doch wieder den Mut und legte einen meiner letzten Nickel auf den Tisch.«

»Am nächsten Tage gaben Sie dann den ersten falschen Fünfmarkschein aus?«

Der Gefragte nickte beschämt und trübselig.

»Na – und von da ab ging das Geschäft flotter, nicht wahr? –« fiel der Kommissar jovial ein. »Da haben Sie wohl eine Menge Scheine an den Mann gebracht?«

Aber der Bursche schüttelte mit dem Kopf.

»Was ich mir vorher so schön gedacht habe, ging nicht in Erfüllung. Von Fettlebe war keine Rede. Sie sehen ja, Herr Kommissar!«

Er sah an seinem abgeschabten Anzug herab; ein flüchtiges, trauriges Lächeln ging dabei über seine bekümmerten Mienen.

»Wenn ich pro Tag einen Schein unter Zittern und Zagen und stillem Zähneklappern gewechselt hatte, dann war ich zufrieden. Ein einziges Mal habe ich zwei Scheine an einem Tag abgesetzt. Im ganzen 20 Stück. Das war alles.«

»Da verstand Ihr Freund Möller Sache wahrscheinlich besser?«

Barth nickte.

»Der hat in den letzten acht Tagen allein über 50 Stück gewechselt. Und sein Vater –«

»Der hat natürlich auch mitgemacht?« half der Kommissar ein, als der Bursche erschrocken abbrach und betreten vor sich hin sah.

»Warum können Sie mir nicht die volle Wahrheit sagen, Barth?« – fuhr der Beamte dringlich fort. »Sie haben doch wahrhaftig keinen Grund, die Möllers, die Sie ins Unglück gebracht haben, zu schonen. Also: der alte Möller – wie hieß er doch gleich? –«

»Emil.«

»Also Emil Möller befaßte sich ebenfalls mit der Verausgabung der falschen Scheine? –«

Barth bejahte.

»Und wer noch?«

Der Bursche kämpfte ein paar Augenblicke mit sich, während er sich in seinem dicken, struppigen Haar kraute.

»Na, Barth!« mahnte der Kommissar mit scharfer, drohender Stimme.

Der Bursche streckte sich entschlossen.

»Auch meinen Wirt, bei dem ich in Schlafstelle lag, haben wir eingeweiht. Er hat mehr abgesetzt, als ich.«

»Gut, Barth!« lobte der Beamte. »Und Sie und die andern haben die Scheine von Hermann Möller erhalten?«

»Jawohl, Herr Kommissar!«

»Und der Hermann Möller? Na, nun seien Sie mal auch in diesem Punkt ehrlich, Barth! Sonst hat Ihre ganze Aussage wenig wert, hören Sie! Das ist doch die Hauptsache: von wem hat der junge Möller die falschen Scheine bezogen?«

»Das weiß ich nicht, Herr Kommissar.«

»Barth!« Der Beamte sah dem ihm Gegenüberstehenden scharf in die Augen. »Sie werden doch nun nicht wieder anfangen, zu schwindeln?«

Aber der Bursche hielt dem forschenden Blick des Kommissars stand.

»Das ist wahr, Her Kommissar,« versetzte er mit kräftiger Stimme und in sicherer Haltung. »So wahr ich bereue, daß ich meinen armen Eltern nun die Schande gemacht habe. Hermann Möller hat mir immer gesagt, daß er keine Ahnung habe, was das für ein Mensch ist, der ihm die Scheine liefert. Er hat ihn einmal in einer Kneipe kennengelernt und zu einem Glase Bier eingeladen. In derselben Kneipe sind sie dann noch ein paarmal zusammengetroffen und Möller hat dem Unbekannten sein Leid geklagt, und da hat ihm der Unbekannte mitgeteilt, daß er ein Mittel wisse, ein gutes Leben zu führen, ohne zu arbeiten.«

»Gerade so wie Möller Ihnen.«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

»Und wo treffen nun die beiden zusammen, der Unbekannte und Hermann Möller? Das werden Sie doch wissen, Barth?«

»Jawohl, Herr Kommissar. Das hat mir der Möller erzählt. Sie trafen sich immer des Abends in der Schummerstunde auf der Königs-Chaussee, da, wo die Häuser aufhören und freies Feld ist, ein Stück von der Bötzelschen Brauerei.«

»Und was wissen Sie sonst noch?«

Der Gefragte sann ein Weilchen vor sich hin.

»Ich wüßte eigentlich nichts mehr, Herr Kommissar ... Doch! Da fällt mir ein, der Möller hat mir gelegentlich erzählt, daß einmal – das war vor Monaten, als ich die Möllers noch nicht kannte – daß da monatelang keine Scheine ausgegeben worden sind, weil sie nicht gut gelungen waren. Sie wären in der Farbe zu dunkel gewesen. Und dann hat er mir auch noch gesagt, daß der Unbekannte, von dem er die Fünfmarkscheine bezieht, auch nicht direkt mit den Falschmünzern verkehrt, sondern daß er die Scheine erst aus zweiter Hand erhalte.«

Mit großer Spannung hatte Kommissar Weigand den Bericht des Verhafteten angehört. Eine lebhafte Freude glühte in ihm, der Eifer des Jägers, der lange vergeblich wartend auf dem Anstande geweilt, und der nun endlich die ersten Anzeichen des herannahenden Wildes gewahr wird. Zwar war der vor ihm stehende Arrestant der letzte der mit den Falschmünzern in Verbindung stehenden Mitschuldigen, und sicherlich der unbedeutendste derselben, aber man hatte doch in ihm einen Anhalt. Der Beamte mußte sich sagen, daß er am Endpunkt eines verschlungenen Irrgartens stand, und nun mußte er seinen ganzen Scharfsinn aufbieten, um zu dem Ausgangspunkt zu gelangen. Gewissermaßen war ihm das Ende eines Knäuels in die Hände geraten und den mußte er nun aufrollen, um zu dem Anfange zu gelangen.

Daß Barth ihm in allem die Wahrheit gesagt, davon war er fest überzeugt. Die ganze Art, das ganze Verhalten des Burschen bewies das klar. Auch Barths Mitteilung, daß vor Monaten eine Pause in der Anfertigung der Falsifikate eingetreten war, dokumentierte die Richtigkeit seiner Angaben. Das war die Zeit gewesen, in der Lomnitz, von allem Verkehr zurückgezogen, sich, wie es schien, ganz der Vorbereitung eines verbesserten Herstellungsverfahrens gewidmet hatte. Auch die weitere Überzeugung, daß an der Spitze des ganzen Unternehmens eine raffiniert-schlaue Persönlichkeit stand, die alle Fäden in der Hand hielt, schöpfte der Kommissar aus Barths Geständnissen. Wie es schien, hatte man es hier mit einer geschickt geleiteten, weitverzweigten Verbrechergesellschaft zu tun, und noch viel Zeit, Mühe und Spürsinn würde es kosten, bis es gelang, alle Fäden zu entwirren.


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