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Fünftes Kapitel.

Feldau in der »Hölle«

Ein Polizeiagent unterscheidet sich dadurch von einem Schutzmann, daß er keine Beamtenqualität besitzt, nicht festangestellt ist, daß er Verhaftungen nicht vornehmen darf, und das Erkennungszeichen der Kriminalbeamten nicht trägt und überhaupt öffentlich nicht als Polizeiorgan einschreiten darf. Dagegen hat er das vor dem Vigilanten voraus, daß er nicht nur gelegentlich für gewisse Fälle verwendet wird, sondern im ständigen Dienst der Polizei steht, und daß er eine durchaus unbescholtene Persönlichkeit sein muß. Des Polizeiagenten Ehrgeiz ist, als Kriminalschutzmann festangestellt zu werden und Beamtenqualität zu erhalten.

Feldau war erst seit neun Monaten als Polizeiagent tätig, nachdem er eine Stelle als Kontorbote in einer Bankfirma innegehabt hatte. In diesem Geschäft waren Unterschlagungen vorgekommen und Weigand hatte mit Hilfe Feldaus den Täter ermittelt. Der Scharfblick des erfahrenen Kriminalisten hatte in dem intelligenten, anstelligen jungen Manne sofort eine für seine Zwecke sehr brauchbare Kraft erkannt und er hatte ihn zu bestimmen gewußt, in den Polizeidienst überzutreten.

Feldau, dessen Ehrgeiz sich durch das Vertrauen seines Vorgesetzten mächtig angespornt fühlte, hatte von dem Beamten, der Kaumann beobachtete, in Erfahrung gebracht, daß dieser zuweilen eine in der Weberstraße gelegene Kaschemme besuchte. Die Weberstraße war eine enge, schmutzige Straße mit niedrigen, alten, schmalen Häusern. In einem der unansehnlichen Gebäude mit verblaßtem, seit langer Zeit nicht erneuertem Anstrich, das mit seinen kleinen, schmierigen Fenstern einen nichts weniger als einladenden Eindruck machte, befand sich das Schanklokal, das unter seinen fast ausschließlich der Verbrecherwelt angehörenden Stammgästen den charakteristischen Beinamen »Die Hölle« führte. Die Tür zu dem Parterrelokal, in das man direkt von der Straße eintrat, hatte Glasscheiben, die von innen mit schmierigen roten Gardinen verhängt waren.

Es war an einem Novembertage. Ein starker, kalter Wind fegte durch die Straßen, und der strichweise einsetzende Regen trug noch dazu bei, den Aufenthalt auf der Straße höchst unbehaglich zu machen. Kein Wunder, daß mancher Passant, der seinem Heim zustrebte, bei einem plötzlich herabstürzenden Regenschauer in einem nahen Wirtshause Station machte, um bei einem stärkenden Getränk den unerwünschten Wasserguß vorbeiziehen zu lassen.

Von dieser Absicht mochte auch ein anscheinend von der Arbeit kommender Klempnergeselle beseelt sein, der sich in der achten Abendstunde vor den herabströmenden Wassermassen in die »Hölle« flüchtete. Der große, kräftige Mann trug eine blaue Arbeitsbluse und Hosen aus sogenannten englischem Leder, die zahlreiche Spuren von Öl und Lötwasser aufwiesen, mit denen die Klempner ja viel zu hantieren hatten. Auf dem Kopfe saß ihm ein alter, verbeulter und beschmierter Hut, dessen breite Krempe das Gesicht fast ganz verdeckte. Der Eintretende ließ sich an dem nächsten bei der Eingangstür stehenden Tisch nieder und bestellte ein »Nordlicht«; Nordhäuser Kornschnaps. sein Handwerkszeug, das er, in einem schmierigen Drillichläppen eingewickelt, unter dem Arm trug, legte er neben sich auf den Tisch und goß den halben Inhalt des Schnapsglases mit einem Zug hinunter und nahm dann mit gleichgültiger Miene das Lokal in Augenschein, das ihm wenig Interesse einzustoßen schien. Ein Zufall hatte ihn ja nur hierher getrieben und wer weiß, ob er je im Leben noch ein zweites Mal hierher kommen würde.

Die Unterhaltung der Stammgäste des Lokals war beim Eintritt des Fremden wie auf ein Kommandowort verstummt. Am Billard standen vier junge Leute, die eine Partie Karambolage spielten. Sie alle waren, auffallend genug bei dieser Umgebung, elegant gekleidet. Sie trugen modern geschnittene Anzüge, saubere Wäsche, hohe Kragen und seidene Krawatten. Schwere Uhrketten und Ringe prahlten an ihnen und die Füße steckten in tadellosen Chevreaustiefeln mit Lackspitzen.

Den denkbar größten Kontrast zu den flotten, weltmännisch gekleideten Billardspielern bildeten die andern vier Personen, die an einem der kleineren Tische saßen, die das Mobiliar des Schankraumes vervollständigten. Es waren zwei Männer und zwei Weiber. Die ersteren trugen schmutzige, abgetragene Arbeitsanzüge, und statt der Wäsche ein unsauberes Wollhemd, und um den Hals einen dicken Schal gewunden. Von den beiden Frauenzimmern, die neben den Männern saßen und mit ihnen aus einem großen Weißbierglase tranken, hatte die Ältere ein abschleckend häßliches Gesicht mit tiefen Furchen und Runzeln, in denen alle menschlichen Laster zu nisten schienen. Das neben ihr sitzende Mädchen zeigte ein blasses, an den Backenknochen geschminktes Gesicht, und jenen Zug um den Mund und den herausfordernden, schamlosen Blick, wie er gewissen Geschöpfen eigen zu sein pflegt.

Die Augen dieser acht Stammgäste der »Hölle« richteten sich mißtrauisch nach dem fremden Eindringling, dessen Gegenwart sie zu stören schien und der zunächst ihren forschenden Argwohn erregte. Mißtrauisch beobachtete man jede seiner Bewegungen: wie er seine Werkzeuglappen auf den Tisch legte, wie er ihn aufwickelte und jedes der Werkzeuge betrachtete, um sie dann wieder langsam einzuhüllen, wie jemand, der nicht weiß, was er vor Langerweile beginnen soll. Zwischen den Beobachtern flogen »Zinken« Zeichen hin und her.

»Wer mag das sein?«

»Kennst du ihn?«

»Keine Ahnung!«

»Vielleicht ein »Fauler«? Geheimpolizist.«

»Glaube kaum! Sieht nicht danach aus!«

Sie nahmen alle Einzelheiten seiner Persönlichkeit und seines Gebarens in Augenschein, und je länger sie ihn betrachteten, desto mehr schien ihr anfänglicher Argwohn zu schwinden. Die schwarzgefärbten Spitzen seiner Finger, die auf den reichlichen Gebrauch von Lötwasser hinwiesen, und die bei allen Klempnern charakteristisch sind, und noch manches andere, das ganz zweifellos seine Profession verriet, sowie sein einfältiger, etwas stumpfer Gesichtsausdruck überzeugten sie vollends, daß es wirklich nur ein harmloser »Stubbe« Handwerker. war, der hier zufällig hereingeschneit war und vor dem man sich weiter keinen Zwang aufzuerlegen brauchte.

Plötzlich öffnete sich die Tür und ein neuer Gast trat ein. Aber die Ausrufe, die ihn begrüßten, bekundeten, daß er zu den bekannten, gern gesehenen Stammgästen gehörte. Wären die Übrigen nicht bereits mit ihrem Urteil über den Klempner fertig gewesen und hätten sie sich nicht so ausschließlich dem Eintretenden zugewendet, so würden sie vielleicht wahrgenommen haben, daß die Augen des »Stubben« freudig und voll Genugtuung aufleuchteten.

Während die Blicke des Klempners den neuen Gast unter der breiten Hutkrempe scharf musterten, näherte sich dieser dem neben »Mutter Schwammert« sitzenden älteren Mann, dessen verwildertes Kopfhaar und Stoppeln in dem unrasierten, fahlen Gesicht bereits silbern schimmerten und dessen scheuen Mienen und ganzem Gebaren ein Kundiger den im Zuchthause ergrauten Verbrecher ansah.

»Na, Rotarm, glücklich wieder heraus aus dem Kasten? Siehst höllisch spack aus! Freilich, bei Rumfutsch Erbsen. wird man nicht fett. Vater –« der Sprechende drehte sich zum Wirt um – »eine Weiße mit zwei Große«! Großes Glas Schnaps.

»Oho, Husaren-Wilhelm,« entgegnete »Rotarm«, der ein berüchtigter Schläger war und der seinen Arm mehr als einmal mit dem Blut der Polizisten und sonstigen Gegnern rot gefärbt hatte – »scheinst ja höllisch Fettlebe zu machen? Hast du wieder mal was »verschoben«? Gestohlenes Gut beim Hehler verkauft. Ja, ja, du bist duft. Schlau. und die Greifer können lange warten, bis sie dich kappen.«

Der Angeredete gab auf die verfängliche Frage keine direkte Antwort, sondern begnügte sich, einen grunzenden Laut auszustoßen, der ebensogut als ein Protest, wie als eine Zustimmung gedeutet werden konnte.

Über das über sein Glas gebeugte Gesicht des Klempners flog ein zufriedenes Lächeln, und dann blickte er wieder verstohlen, forschend, zu dem gutgekleideten Gast hinüber, der eine kleine Husaren-Figur hatte, und der jetzt neben dem alten Zuchthäusler mit der Galgenphysiognomie Platz nahm.

Er kannte ihn wohl vom Sehen; es war der Handelsmann Kaumann aus der Saarbrücker Straße, der freilich hier in der Kaschemme nur mit seinem in der Verbrecherwelt bekannten Spitznamen angeredet wurde.

Die Getränke wurden gebracht; man trank und unterhielt sich lebhaft. Auch die Elegants am Billard hatten ein eifriges Gespräch begonnen, und tauschten ihre letzten Erfahrungen ans.

»Husaren-Wilhelm«, alias Kaumann, drehte sich nach dem noch immer still dasitzenden anscheinend vor sich hinbrütenden Klempner um.

»Na, alter Freund,« fragte er kordial, offenbar in bester Laune, »gute Arbeit, he?«

Der Angeredete kraute sich hinter dem Ohr und kehrte sein Gesicht dem freundlichen Frager mit trübseliger Miene zu.

»Schlechte Zeiten!« erwiderte er. »Auf dem Neubau, auf dem ich arbeite, wird morgen Schicht gemacht. Dann hat's mit der Arbeit geschnappt und man kann wieder einmal Hungerpoten saugen.«

Kaumann erwiderte nichts, sondern musterte den Klempner nur aufmerksam. Der stand jetzt auf – das Schnapsglas war geleert und zu mehr reichte es wohl nicht – bezahlte und wollte gehen. Aber »Husaren-Wilhelm« hielt ihn mit einer einladenden Gebärde zurück.

»Vater, zwei kleine Pfefferminz!« bestellte er.

Als eingeschenkt war, ergriff er das eine Glas und stieß damit an das andere, den Klempner mit einer freundlichen Gebärde zum Trinken auffordernd. Der Handwerksgesell ließ sich nicht lange nötigen.

»Prost!« sagte er und goß den Likör mit einem Ruck hinunter.

»Auf baldigen, guten Verdienst!« erwiderte der generöse Spender, und als der Klempner gedankt hatte und zur Tür schritt, rief er ihm nach: »Na, lassen Sie sich einmal wieder sehen, alter Freund! Vielleicht kann ich Ihnen gelegentlich mal etwas nachweisen, wobei ein paar Märker für Sie herausschauen.«


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