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Von den Taochern bis Trapezus

Die Nachbarn Armeniens im Norden waren die Taocher, ein dem Perserkönig nicht untertäniges Barbarenvolk. Daß es ein kriegerisches und Fremden keineswegs freundliches Volk war, zeigte sich bald. Die Hellenen sahen beim Eintritt in das Land einen Bergzug vor sich, der sich nach rechts und links weit hinzog und etwa eine Meile entfernt war. Als Kundschafter vorausgeschickt wurden, erfuhr man von diesen, daß der einzige Weg, den man benutzen könne, zu einem Engpaß auf der Höhe des Berggrats führe, welcher von den Taochern bereits besetzt sei. Die Obersten traten zur Beratung zusammen. Cheirisophos sagte: »Ich meine, wir lassen die Soldaten jetzt ihr Frühmahl nehmen und erwägen, ob es heute oder morgen besser ist, den Paß zu erobern.« Kleanor hatte schon bei sich entschieden, was besser sei. »Wohl,« sagte er, »die Soldaten mögen sich jetzt stärken, aber dann müssen wir sofort die Feinde angreifen; zögern wir bis morgen, so werden sie glauben, daß wir uns fürchten, ihr Mut wird steigen und ihre Zahl sich vergrößern.« Xenophon war weder der einen noch der anderen Meinung; er sprach so: »Wir müssen einen Kampfplatz wählen, wo wir mit dem geringsten Verlust abkommen. Nun zieht sich der Berg mehr als 60 Stadien (anderthalb Meilen) in die Breite hin, und Feinde sind nirgends zu sehen, als auf dem Passe. Da scheint es mir doch geratener, uns über den unbesetzten Teil des Berges hindurch zu stehlen, als den Feind in seiner günstigen Stellung anzugreifen. Denn ich mag leichter steile Wege gehen ohne Kampf, als bequeme, wo ich von Feinden bedroht bin, und in der Nacht sieht man besser fern von ihnen, als am Tage in ihrer Nähe, und der rauhe Weg in Ruhe tut mehr wohl als der glatte, wenn mir da beständig Geschosse um den Kopf fliegen. Wir können uns durchstehlen, wenn wir bei dunkler Nacht hinaufziehen, wir können auch soweit vom Feinde hinübergehen, daß er nichts von uns hört. Um den Erfolg zu sichern, muß ein Teil von uns gegen den Paß vorrücken, als ob wir es auf diesen abgesehen hätten, so wird die Aufmerksamkeit der Feinde von dem Grat abgelenkt, wo wir uns durchstehlen wollen. Aber was rede ich viel von der Kunst des Durchstehlens,« fuhr, zu Cheirisophos gewandt, Xenophon scherzend fort, »ihr Spartaner, habe ich gehört, übt euch von klein auf im Stehlen; es wird euch zur Ehre angerechnet, und damit ihr es recht schlau machet, bekommt ihr Schläge, wenn ihr euch dabei ertappen laßt. Jetzt könnt ihr zeigen, daß ihr in der Jugend was Rechtes gelernt habt, helft nur wacker uns durchzustehlen, damit wir nicht ertappt werden und tüchtige Schläge bekommen.« Im gleichen Tone erwiderte Cheirisophos: »Ihr Athener könnt im Stehlen auch was leisten; ihr seid, wie ich höre, gewitzt genug, trotz der großen Strafe, die darauf steht, den Staatsschatz zu bestehlen, und am meisten gerade die Vornehmsten, welche die höchsten Ämter bekleiden. Also könnt ihr jetzt auch beweisen, was ihr in eurer Heimat gelernt habt.«

Xenophons Plan wurde gebilligt und die Truppen bestimmt, welche auf den Grat ziehen und andererseits welche gegen den Paß anrücken sollten. An kundigen Wegweisern fehlte es nicht; auf dem Marsche waren einige der Räuber, die dem Heere in geringer Entfernung folgten, um gelegentlich ein Stück Vieh zu erbeuten, von den Hellenen gefangen und mitgeführt. Auf Befragen sagten diese aus, der Berg sei zu beiden Seiten des Passes nicht gar zu unwegsam, und wenn sie erst den Grat besetzt hätten, würde auch das Zugvieh über diesen gehen können, denn dort oben weideten Ziegen und Rinder.

Bild: Max Slevogt

Nach dem Frühmahl führte Cheirisophos seine Schar in der Richtung des Passes, machte aber eine Viertelmeile vom Berge halt. Die Taocher dachten daher, daß die ganze Macht des Feindes gegen den Paß anstürmen würde. Wie es aber dunkel geworden, zogen die übrigen Truppen bergaufwärts dem Grate zu, in möglichster Stille, und zündeten nach früherer Verabredung, als sie oben waren, ein Feuer an, welches den unteren, die die Nacht über an ihrem Platze blieben, den glücklichen Erfolg melden sollte. Da erkannten die Taocher die doppelte Gefahr und gaben gleichfalls Feuerzeichen, ihre entfernteren Landsleute zu Hilfe zu rufen. Am Morgen drang Cheirisophos auf dem bequemen Wege gegen den Paß an, und gleichzeitig gingen die anderen auf dem Grate darauf zu. Die Taocher teilten sich, die meisten blieben am Paß, der kleinere Teil zog den Feinden auf dem Grat entgegen. Hier fand der erste Kampf statt, die Hellenen siegten und verfolgten die Taocher. Nun liefen die Schützen und Schleuderer nach dem Passe voraus, während Cheirisophos mit den schweren Hopliten langsamer folgte. Zum Kampfe kam es fast gar nicht, denn wie die anderen Taocher sahen, daß die Hellenen auf dem Grat gesiegt hatten, flohen sie gleichfalls. Nach diesem Siege errichteten die Hellenen aus Steinen und erbeuteten Waffen eine Trophäe auf dem Berge, das heißt ein Denkmal ihres Sieges.

Von hier zogen sie fünf Tage lang durch eine Ebene des Taocherlandes, wo sie auf kein Hindernis stießen. Doch nun gingen ihnen die Lebensmittel aus; das Land war reich daran, aber die Taocher waren beizeiten so vorsichtig gewesen, die Vorräte auf ihren kleinen, auf schroffen Höhen gelegenen Burgen unterzubringen, und da die Hellenen keine Möglichkeit absahen, die Burgen einzunehmen, mußten sie an diesen Schätzen mit hungrigem Magen vorübergehen. Am sechsten Tage trafen sie überdies auf ein sehr böses Hindernis. Sie hatten zwischen einem hohen Felsen und dem nahebei sich windenden Flusse ihren Weg zu nehmen, aber auf die Höhe des Felsens hatten sich Männer, Frauen und Kinder der Umgegend mit ihrem Vieh geflüchtet und am Rande des Abhangs mächtige Haufen von großen Steinen aufgetürmt, um jeden, der vorüberzöge, zu töten. Cheirisophos machte mehrere Versuche, ob nicht durchzudringen wäre, doch es schien unmöglich. Da kam Xenophon mit dem Nachtrab und fragte, warum sie nicht weiter gingen. Cheirisophos erwiderte: »Wir müssen durchaus den Felsen nehmen, aber sie werfen beständig Steine herab, und wie sie damit die Unserigen zurichten, kannst du an diesen sehen« –er wies auf einige Soldaten, denen die Schenkel zerschmettert waren. Xenophon sagte: »Wie es scheint, sind nur wenige oben, und die Steine müssen ihnen doch mit der Zeit ausgehen.« Nachdem er aber die Umgebung des Felsens genauer betrachtet hatte, fuhr er fort: »Der gefährliche Weg zieht sich etwa sechzig Schritte entlang, davon sind vierzig durch große, nicht weit voneinander abstehende Fichten ziemlich gedeckt, denn man kann von einer unter die andere mit einem, höchstens zwei Sprüngen gelangen, und wenn die Steine nicht mehr so dicht fallen, muß man auf dem kürzesten Wege die letzten zwanzig Schritte durchlaufen und den Felsen auf der Rückseite ersteigen. Wir werden uns so nicht bloß den Weg frei machen, sondern auch eine sehr erwünschte Beute an den Herden haben, die wir oben blöken und brüllen hören.« Etwa siebzig Mann wurden aufgefordert, die Bahn zu brechen. Da kam einer von ihnen auf einen klugen Einfall, wie die Steine schnell hintereinander herabzulocken wären. Er lief unter eine Fichte und sprang dann einen oder zwei Schritte vor; sobald dies von oben gesehen wurde, warf alles nach der Stelle, wo er stand, massenhaft Steine herab, er war aber schon wieder unter dem Schutz seines Baumes. Er wiederholte es so oft, daß endlich ein großer Haufen von Steinen vor ihm lag, während er ganz unversehrt war. Dies gefiel den anderen und es wurde fast zu einem unterhaltenden Spiel für sie, wie es ja überhaupt für groß und klein Reiz hat, sich einer Gefahr auszusetzen und ihr schnell wieder auszuweichen. Als nun die Steine fast aufgebraucht waren, liefen die Soldaten über den offenen Teil des Weges, jeder wollte der erste sein, der ans Ziel gekommen. Der Felsen wurde leicht eingenommen. Die Taocher fürchteten sich vor der Rache der Feinde, und um sich ihr zu entziehen, stürzten sich Männer und Frauen mit ihren Kindern von dem hohen Felsen herab und fanden so ihren Tod. Ein Hellene sah, wie ein Taocher in vornehmem Kleide dem Abgrund zulief und wollte ihn daran hindern, der aber faßte ihn in seine starken Arme und riß ihn mit sich hinab. Wenige wurden gefangen, aber viele Rinder, Schafe und Esel fielen den Hellenen zu.

Das nächste Land, durch welches die Hellenen zogen, war das der Chalyber. Die Chalyber waren ein freies Volk, das seit uralten Zeiten Bergbau betrieb und das gewonnene Eisen zu bearbeiten und in Stahl umzuwandeln verstand. Wenn sie in den Kampf gingen, trugen sie einen linnenen Panzer, am oberen und unteren Ende mehrfach mit Stricken umwunden, eherne Helme und Beinschienen, sie führten eine Lanze von mehr als zwanzig Fuß Länge und an ihrer Seite hing ein kurzer, krummer Säbel, womit sie nach Art der wilden Indianer in Amerika dem niedergestreckten Feinde den Kopf abschnitten und diesen in grausamer Freude unter Gesang und Tanz im Angesicht seiner Genossen an den Haaren emporhielten. Auch sie hatten alle Lebensmittel auf ihre Burgen gebracht, und die Hellenen wären in Not geraten, wenn sie nicht von dem im Taocherlande erbeuteten Vieh hätten zehren können. Stirn gegen Stirn mit dem Feinde zu kämpfen, war nicht die Gewohnheit der Chalyber, aber wenn die Hellenen an einer ihrer Burgen vorübergezogen waren, stürzten sie von dieser herab und verfolgten sie mit großer Tapferkeit und äußerster Hartnäckigkeit. In den sieben Tagen, welche der Marsch durch das Land der Chalyber erforderte, werden die Hellenen sicher empfindliche Verluste erlitten haben, denn nach Beendigung ihrer langen kampfreichen Wanderung sagte Xenophon, unter allen Völkern, auf die sie in Asien gestoßen, seien die Chalyber das tapferste gewesen.

Bild: Max Slevogt

Hierauf traten die Hellenen in das Land der Skythinen ein und erreichten nach vier Tagen einige Dörfer, wo sie drei Tage ausruhten und sich mit frischen Lebensmitteln versahen. Nach weiteren vier Tagemärschen kamen sie an die große, stark bevölkerte und wohlhabende Stadt Gymnias, nach langer Zeit wieder die erste Stadt, die sie zu sehen bekamen. Ihren Reichtum verdankte sie vornehmlich einem nahen Silberlager, das ihre Bewohner auszubeuten verstanden. In diesem Lande wurde den Hellenen eine überaus große und erfreuliche Überraschung zuteil; sie waren ihren bisherigen Erfahrungen gemäß auf mehr oder weniger schwierige Kämpfe gefaßt, sahen sich aber als Freunde aufgenommen, und der Vorsteher sandte ihnen sogar einen Wegweiser für die weitere Reise, das Wertvollste, was sie erhalten konnten. Der Wegweiser machte sich anheischig, sie in fünf Tagen zu einem Berge zu bringen, von wo sie das Schwarze Meer erblicken würden. Diese Aussicht war für die Hellenen nach den schweren Leiden der letzten Monate eine treffliche Herzstärkung; hatten sie doch bisher nicht gewußt, ob das Meer noch fünfzig oder zehn oder fünf Meilen entfernt sei. Der Wegweiser führte sie zunächst in ein Nachbarland, dessen Bewohner mit der Stadt Gymnias verfeindet waren, und forderte sie auf, das Land mit Feuer und Schwert zu verwüsten. Daraus war zu sehen, daß der Vorsteher sie nicht aus Wohlwollen so freundlich behandelt hatte, sondern weil er an den Feinden Rache zu nehmen wünschte. Die Hellenen erwiesen ihm auch diesen Gegendienst und machten dort gute Beute.

Bald darauf hatten sie einen Berg zu ersteigen. Da hörte Xenophon, der wieder den Nachtrab führte, wie die Vordersten, auf der Höhe des Berges angekommen, plötzlich ein gewaltiges Geschrei erhoben und die Nachfolgenden, sobald sie in schnellem Laufe gleichfalls hinaufkamen, in das Geschrei einstimmten. Er meinte, es müßten sich jenseits des Berges Feinde gezeigt haben, stieg sogleich zu Pferde und sprengte, von anderen gefolgt, hin, zu sehen, was es da gebe. Aber welche herrliche Enttäuschung! Er hörte den Jubelruf: »Thalatta, Thalatta!« (das Meer, das Meer!) und sah am äußersten Horizont, von der Sonne beschienen, einen silberglänzenden schmalen Streifen, in welchem er das Meer, das längst ersehnte Ziel ihrer Wünsche erkannte. Da lag sie, die strahlende Fläche, wenn auch nur in der Ferne (es waren in gerader Linie noch sechs Meilen bis zum Meer). Die Soldaten weinten vor Freude, wünschten einander Glück, umarmten ihre Kameraden und die Offiziere. Und fast ohne Verabredung trugen sie sofort Steine zusammen und bauten daraus eine Säule als Denkmal des glücklichsten Ereignisses, das ihnen begegnen konnte. An Schmuck fehlte es, statt dessen umkleideten sie die Säule mit Tierfellen und erbeuteten Barbarenschilden. Der Wegweiser hatte Wort gehalten und wurde reichlich belohnt. In ihren Umständen war es ein glänzender Lohn, wenn sie ihm ein Pferd, eine silberne Schale, ein persisches Kleid und zehn Dareiken (120 Mark) bescherten. Er bat sie noch um Fingerringe, wie die Hellenen sie meistens trugen, und viele Soldaten gaben sie gern hin.

Die Hellenen hatten das Meer so lieb wie der Schweizer seine Alpen. Kaum irgendein anderes Land wird so reichlich vom Meere umspült wie Hellas; ein Blick auf die Karte lehrt, daß es in unzähligen Buchten mehr oder weniger tief in das kleine Ländchen einschneidet, ähnlich einem Feinde, der ringsumher die Gegner angreift, um vollständig über sie Herr zu werden. Daher waren die Hellenen meistens im erfrischenden Hauche des Meeres geboren und aufgewachsen, waren vertraut mit ihm, befuhren es in allen Richtungen bis in die weiteste Ferne und hatten ein Gefühl dafür, wie sie es für ihr höchstes Gut, die Freiheit, empfanden. Aber wohl noch mehr als der Anblick des Meeres, den sie seit beinahe einem Jahre entbehrt hatten, erfreute sie der Gedanke an die nahe Zukunft, wo sie in den hellenischen Kolonien, die sich in großer Zahl längs dem Strande des Schwarzen Meeres hinzogen, wieder unter Landsleuten sein und weder die persische noch eine andere Barbarensprache, sondern ihre geliebte Muttersprache sie umtönen würde, sie auch im Falle der Not auf den Beistand der Stammgenossen rechnen konnten, während sie seit der Schlacht von Kunaxa kaum je eine andere Umgebung als eine feindselige gehabt hatten.

Der Wegweiser aus Gymnias zeigte den Hellenen noch ein Dorf, wo sie lagern könnten, und beschrieb den Weg, den sie durch das nahe Land der Makroner zu nehmen hätten. Dann verabschiedete er sich von ihnen und machte sich auf die Rückreise.

Bild: Max Slevogt

Die Grenze zwischen dem Gebiet, von wo die Hellenen kamen, und dem der Makroner bildete ein Fluß von mäßiger Breite, der sich hier in einen größeren Fluß ergoß; das Heer befand sich in dem Winkel zwischen beiden und hatte den Grenzfluß zu überschreiten. Da dieser auf beiden Seiten von zwar nicht starken, aber dichten Bäumen eingefaßt war, wollten die Hellenen trockenen Fußes hinübergehen und begannen Bäume zu fällen, um das Wasser zu überbrücken. Doch während die Soldaten damit beschäftigt waren, erschien auf dem anderen Ufer eine große Schar von Makronern, mit Lanzen und Schilden zum Kampfe gerüstet. Sie schleuderten vorerst Steine über den Fluß, aber diese reichten nicht hinüber. Da kam ein Soldat zu Xenophon und sagte: »Ich bin in früher Kindheit als Sklave nach Athen verkauft und konnte nie erfahren, von welchem Stamme meine Eltern gewesen. Hier höre ich nun die Feinde die Sprache reden, die ich als Kind gesprochen, dies muß meine Heimat sein. Hast du etwas dagegen, wenn ich meine Landsleute anrede?« –»Gewiß nicht,« erwiderte Xenophon, »frage sie, warum sie uns auf unserem Wege aufhalten und uns feind sein wollen?« –Der Soldat brachte alsbald die Antwort: »Weil ihr in feindlicher Absicht zu ihnen kommt.« –»Sage ihnen, wir haben mit dem Großkönig Krieg geführt, ziehen jetzt nach unserem Vaterland und müssen darum ans Meer gelangen, wir wollen ihnen kein Leid antun.« Die Makroner ließen fragen, ob die Hellenen mit ihnen einen Vertrag abschließen wollten, daß sie sich gegenseitig als Freunde behandeln würden. Xenophon erklärte sich dazu gern bereit. Da kamen die Makroner durch den Fluß, beide Teile riefen die Götter zu Zeugen des Vertrags an, und zum Zeichen desselben gaben die Makroner den Hellenen eine Barbarenlanze und diese jenen eine hellenische. Die Makroner bewegten sich nun ganz vertraulich mitten unter den neuen Freunden und halfen ihnen Bäume fällen und die Brücke herstellen. Als der Fluß überschritten war, stellten sie Getreide zu Kauf, wovon ihnen so viel, als die Hellenen noch zu brauchen meinten, für Geld abgenommen wurde, und gaben ihnen beim Abschied einen Wegweiser mit, der sie nach dem Gebiete der Kolchier führen sollte.

Nach drei Tagen erreichte das Heer dieses bergige Land. Gleich beim Eintritt in dasselbe befanden sie sich vor einem breiten Berge, seiner sanften Neigung zufolge unschwer zu ersteigen, aber bereits von den Kolchiern besetzt. Man wollte in der Form einer Phalanx, das heißt einer langen, geraden Linie mit mehr oder weniger Reihen hintereinander gegen den Feind anrücken, so wie unsere Regimenter meistens aufgestellt werden. Doch Xenophon erklärte sich dagegen, er sagte: »Eine Phalanx könnte sich leicht im Aufsteigen trennen, da an einer Stelle guter, an der anderen schlechter Weg sein und doch alle sich nach den guten Stellen hinziehen werden. Und dann, wenn wir in vielen Reihen hintereinander gehen, so wird die Breite der Phalanx zu klein, die Feinde reichen mit ihren Flügeln über sie hinaus und können uns in die Flanke oder in den Rücken fallen. Wieder wenn wir in wenigen Reihen hintereinander gehen, sind wir zwar vor jener Gefahr sicher, aber die dünne Phalanx kann leicht von den Feinden durchbrochen werden. Ich rate also, wir lösen die Hopliten in Kompagnien zu hundert Mann auf und lassen sie einen hinter dem anderen wie im Gänsemarsch aufsteigen. Die benachbarten Kompagnien müssen so weit voneinander stehen, daß unsere Flügel über die des Feindes hinausgehen, und der vorderste Mann muß der tapferste der Kompagnie sein und auf den besten Stellen vorangehen. In die Lücken zwischen den Kompagnien werden die Feinde nicht einzudringen wagen, da sie hier auf beiden Seiten Gegner finden, und unseren Zug zu durchbrechen, wird auch schwer werden.« So sollte es denn geschehen, und das Heer wurde demgemäß geordnet. Es waren der Hopliten 80 Kompagnien, in der gewählten Aufstellung ähnelte jede einzelne einer langen Schlange mit schmalen Gliedern; die Schützen und Schleuderer standen, gleichfalls nach Xenophons Rat, zu je 600 auf beiden Flügeln und in der Mitte des Heeres. Bevor es zum Kampfe ging, richtete Xenophon noch an die Soldaten eine Ansprache in kurzem und derbem Soldatenstyl: »Kameraden, dies sind die letzten Feinde, die uns im Wege stehen. Die müssen wir womöglich roh auffressen.« Dann beteten die Hellenen, stimmten den Kriegsgesang an und gingen wacker drauf. Als die Kolchier sie in großer Breite vorrücken sahen, eilten sie ihnen teils links, teils rechts entgegen und so entstand eine Lücke in ihrer Mitte. Die ersten Hellenen, die auf der Höhe des Berges ankamen, drangen da ein, und wie nun die Kolchier sich voneinander abgeschnitten sahen, hielten sie die Schlacht für verloren und begaben sich auf die Flucht. Die Entscheidung war in ganz kurzer Zeit erfolgt.

Auf der anderen Seite des Berges kamen die Hellenen in reiche Dörfer, wo sie ausruhen und sich auf Kosten der Kolchier pflegen konnten. In dieser Gegend gab es viele Bienen und daher des Honigs in Menge. Aber der Genuß der süßen Speise hatte eine eigentümliche Wirkung. Wer davon genoß, wurde sinnlos, bekam starkes Erbrechen und konnte nicht auf den Füßen stehen. Hatten sie wenig gegessen, so glichen sie Betrunkenen; wer viel genossen, einem Rasenden, manche schienen sogar in den letzten Zügen zu liegen. Der Boden war mit Kranken bedeckt wie nach einer schweren Niederlage. Indessen starb niemand daran; nach vierundzwanzig Stunden kamen sie wieder zu Bewußtsein und am dritten, vierten Tage waren alle so gesund wie vorher.

Noch zwei Tagemärsche, so sahen die Hellenen endlich, endlich den munteren Wellenschlag des Schwarzen Meeres dicht vor sich, und mit wie großer Freude! Es war an der Stelle, wo die Stadt Trapezus lag, eine alte Kolonie der Hellenen. Die Landsleute begrüßten sie freundlich und verehrten ihnen reichliche Gastgeschenke von Rindern, Getreide und Wein. Auch eröffneten sie ihnen einen Markt, wo sie alles, was sie wünschten, kaufen konnten, doch das Geld war unter den Hellenen sehr knapp geworden. Wenn sie also kaufen wollten, so blieb nichts übrig, als von den Kolchiern, mit denen sie zuletzt gekämpft hatten, Beute einzutreiben.

Der Hinweg auf dem großen Zuge bis Kunaxa hatte sechs Monate gewahrt, der Rückzug bis Trapezus fünf. Die rauhe Winterkälte und der tiefe Schnee hatten sie vom Dezember bis in den Februar verfolgt. Wenn man diese Erschwerung zu den fast täglichen Gefahren hinzudenkt, so erscheinen die letzten Monate ihres Rückzugs als die bedrängteste und verlustreichste Zeit, welche sie durchzumachen hatten. Als Kyros in Issos über seine Hellenen Heerschau hielt, zählten sie 14 000 Mann, dies war die höchste Zahl, in der sie sich während des Zuges versammelt fanden; bei ihrer Ankunft in Trapezus waren sie bis auf 8600 zusammengeschmolzen, es waren also 5400 von ihnen durch die Feinde, auf dem Schnee oder durch Krankheit umgekommen. Man bezeichnet sie allgemein in runder Zahl als die berühmten Zehntausend. -

Wie früher erzählt ist, gelobten die Hellenen in der Zeit der größten Not, als Klearchos und andere Offiziere von Tissaphernes hinterlistig ins Verderben gelockt waren, auf Xenophons Vorschlag den Göttern fromme Opfer, wenn sie unter ihrem Schutz glücklich ihr Ziel erreichen würden. Es war damals kaum zu hoffen, daß sie in die Lage kommen würden, das Gelübde zu erfüllen. Jetzt aber sahen sie sich gerettet, und den Göttern konnte Wort gehalten werden; die Opfer wurden also mit innigem Danke und in hoher Freude dargebracht.

Wenn die Hellenen ein sehr bedeutsames Ereignis feierten, konnten sie sich nicht leicht anders genugtun, als indem sie in festlichen Kampfspielen vor vielen Zuschauern wetteifernd um den Preis männlicher Kraft und Gewandtheit rangen. Mit solchen Spielen feierten denn auch die aus vielen Kämpfen und Nöten geretteten Hellenen ihre glückliche Ankunft unter den Landsleuten. Dem Spartaner Drakontios wurde die Anordnung der Spiele übertragen. In der großartigen Weise, wie dergleichen Feste in jedem vierten Jahre zu Olympia begangen wurden, war es ja unter ihren Umständen nicht entfernt möglich, sie zu feiern. Aber Drakontios verstand es, zum Ersatz dafür die erheiternde Seite des Festes, die auch bei jenen heiligen Spielen in Olympia nicht fehlte, um so mehr hervorzukehren. In der Heimat wurde stets ein ebener und reichlich mit Sand bedeckter Boden zum Kampfplatz gewählt. Drakontios aber bestimmte dazu einen abschüssigen, bis zum Meere sich hinziehenden Hügel mit hartem, holprigem Boden. Als man ihn verwundert fragte, wie auf solchem Boden der Ringkampf erfolgen solle, erwiderte er lachend: »Wer hier niederfällt, soll es an seinen Knochen spüren.«

Zur festgesetzten Zeit strömten große Scharen von Männern und Frauen aus der Stadt und reihten sich in buntem Gemisch mit den Kriegern rings um den Schauplatz. Nach altem Herkommen begann man mit dem Wettlauf der Jugend; man mußte aber, da so junge Mannschaft unter den freien Hellenen nicht vorhanden war, diese durch erbeutete junge Sklaven vertreten lassen. Dann folgte der viel längere Wettlauf reifer Männer, an welchem sich mehr als sechzig Soldaten aus Kreta beteiligten. Hierauf der Ringkampf; wenn der Sieger die Bewunderung der Zuschauer erregte, so hatten sie an den verzerrten Mienen dessen, der auf den harten Boden fiel, auch ihr Vergnügen, was sie durch schallendes Gelächter bezeugten. Ähnlich ging es beim Faustkampf und bei dem Spiele, welches die Hellenen Pankration nannten, wo zugleich gerungen und mit der Faust gekämpft wurde. Das Beste kam zuletzt, das Wagenrennen. Die Aufgabe war, von dem auf dem Hügel errichteten Altar in schnellster Fahrt die abschüssige Bahn mehrmals hinabzufahren, dann im Meere zu wenden und denselben Weg bergauf zu machen. Da der Wetteifer sehr lebhaft war, fand die Lachlust oft Gelegenheit, sich auszuschütten. Die Übereifrigen fielen beim Hinabfahren leicht mit dem Wagen um und mußten, während die Pferde Reißaus nahmen, zurückhinken, und wenn sie aufwärtsfuhren, ergötzten ihre vergeblichen Versuche, durch heftige Peitschenhiebe ihre Tiere zu solcher Schnelligkeit anzutreiben, daß sie den Mitkämpfern zuvorkämen. Das Geschrei und Lachen, die anfeuernden Zurufe der Umstehenden wollten nicht aufhören. Die Preise der Sieger, welche zuletzt erteilt wurden, bestanden in Fellen der beim Opfer geschlachteten Tiere; aber die größte und eine seit langem ihnen versagte Freude hatten sie an dem Beifall, den ihnen die Frauen zuriefen.

Nach einer alten Überlieferung sollten einst die Argonauten bei Trapezus gelandet sein, an derselben Stelle, wo die Spiele stattfanden. Die Hellenen haben in ihren Heldensagen unerreichbare Muster aufgestellt, welchen sie an Kraft und Tapferkeit nach Möglichkeit nachzuahmen als eine hohe, ruhmvolle Aufgabe für sich ansahen. In den Sagen geschehen lauter Wunderdinge, die Götter steigen sichtbar zu den Helden herab und helfen ihnen mit Rat und Tat, so daß ihre Schützlinge die gräßlichsten Ungeheuer zu erlegen und aus den kühnsten Wagnissen unversehrt hervorzugehen vermögen. Übermenschliches können freilich Menschen nicht durchführen, aber wenn die tapferen Zehntausend sich jetzt etwa an die Argonauten erinnerten, so konnten sie sich zwar jenen Fabelhelden durchaus nicht gleichstellen, doch durften sie sich immerhin rühmen, jenen einigermaßen ähnlich in der verlaufenen schweren Zeit als Menschen menschlichen Mut und Standhaftigkeit in ungewöhnlichem Maße bewahrt zu haben. Wie oft hatte es geschienen, daß sie, rings von Hindernissen und Gefahren umgeben, keinen Ausweg finden, den Feinden zum Opfer fallen würden! Nur eines Haares Breite lag zwischen ihnen und dem gänzlichen Verderben, aber stets war ein kluger Rat gefunden und mit tapferer Beharrlichkeit ausgeführt worden. Es war doch wohl ein Tropfen von dem Blute der Argonauten in ihnen zu erkennen.

Die Hellenen waren nun wieder unter Landsleuten, doch hatten sie noch längere Zeit mit Drangsalen und Gefahren aller Art zu kämpfen. Xenophons Absicht war gewesen, sich, nachdem er das Heer bis an das Schwarze Meer geführt, in seine Heimat zu begeben; doch wollte er die Kameraden nicht im Stiche lassen und blieb daher so lange bei ihnen, als ihr Schicksal noch ungewiß war und sie seines Rats und seiner Leitung nicht entbehren konnten. Endlich schlossen sich die meisten von ihnen einem Kriegszuge der Spartaner gegen die Perser an, Xenophon hatte nun nicht weiter für sie zu sorgen und kehrte nach Hellas zurück.

Trotz der vielen sorgenvollen Tage und schlaflosen Nächte, die sein Kriegsleben mit sich gebracht, erreichte er das Aller von neunzig Jahren. Eine Reihe von friedlichen Jahren verbrachte er mit seiner Frau und zwei wackeren Söhnen an einem anmutigen Orte in der Nähe von Olympia. Dort erwarb er von einem Teile des Geldes, welches als das Zehntel einer am Schwarzen Meere gemachten reichen Beute dem Apollon und der ephesischen Artemis gelobt war, ein Stück Landes und weihte es der Artemis. Der Ort schien ihm wohlgewählt; es war da ein Flüßchen desselben Namens wie der Fluß bei Ephesos, beide hießen Selinus, waren reich an Fischen, und ihr Grund war mit Muscheln bedeckt. Hier errichtete Xenophon eine Kapelle, einen Altar und eine Bildsäule der Göttin, alles nach dem Muster des ephesischen Heiligtums, wenn auch in kleinem Maßstab, und das Bild statt von Gold aus Cypressenholz. Auf einer Säule daneben stand die Inschrift: »Dieser Platz ist der Artemis geweiht. Wer auf dem Grunde wohnt und den Nutzen davon zieht, muß jedes Jahr den zehnten Teil des Ertrags der Göttin opfern, auch die Kapelle in gutem Stande halten: sollte er seine Pflicht versäumen, so wird die Göttin es ihm gedenken.« Dicht an die Kapelle stieß ein Garten mit Obst von allen Arten, und weiterhin waren Wiesen, Wald und hügeliges Land, in der Nähe auch ein hoher Berg. Auf den Wiesen weideten Pferde, Rinder, Schafe und der Wald hegte reichliches Wild. Xenophon, als der erste Verwalter des heiligen Grundes, feierte der Göttin jährlich ein Fest, wozu alle Umwohner eingeladen wurden. Zur Aufnahme derselben wurden Buden aufgeschlagen und ihnen, wie Xenophon sagte, von der Göttin ein Mahl von Gerstenmehl, Weizenbrot, Herdenfleisch, Wild und Naschwerk vorgesetzt; das Wild war von Xenophons Söhnen erlegt. Er selbst war ein großer Liebhaber wie des Reitens so der Jagd und betrieb beides, solange er bei Kräften war.

In seinem hohen Alter hatte er den Schmerz, einen seiner geliebten Söhne zu verlieren, er war in der Schlacht gefallen. Als ihn die Nachricht traf, bereitete er sich gerade zu einem Opfer und hatte nach hellenischer Sitte als Zeichen der Freude einen Kranz auf den Kopf gesetzt. Auf jene traurige Botschaft nahm er ihn ab; doch als er hörte, daß der Sohn nach tapferem Kampfe gestorben, setzte er den Kranz wieder auf und sagte: »Ich wußte ja, daß er ebenso wie sein Erzeuger als ein sterblicher Mensch geboren war,« und vollendete das Opfer.

An jenem anmutigen Orte mag er wohl auch die Schriften verfaßt haben, die wir noch von ihm besitzen. Unter diesen ist die anziehendste diejenige, in welcher er ausführlich und lebendig die Ereignisse erzählt, denen er nicht bloß als Augenzeuge beigewohnt, sondern in ihnen auch als der bedeutendste unter den Feldherren eine ruhmvolle Rolle gespielt hat: die Taten und Leiden der tapferen Zehntausend.

Bild: Max Slevogt


Druck von W. Drugulin in Leipzig

 


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