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VI.
Schillers Tod

Ende April 1805 wurde Schiller von seinem alten Leiden aufs neue heftig ergriffen. Schon der Winter vorher war voller Sorge für Charlotte gewesen. Die jüngste Tochter war sehr krank gewesen, hatte sich jedoch im März schon erholt. »Ich bin aber so an die Sorgen gewöhnt seit einigen Monaten, daß ich mich oft verwundert umsehe, ob es nun auch vorüber sei.« Wir wollen hier die ergreifende Geschichte von Schillers Sterben nicht erzählen, wie sie uns von Heinrich Voß, dem treuen Pfleger, überliefert ist. Es mag aber der Brief hier stehn, den Charlotte selbst an den mit Schiller und ihr aus der Jenaer Zeit her engbefreundeten Dr. Fischenich in Bonn am 4. Juni geschrieben hat:

Weimar, den 4. Juni 1805.

»Was Sie vorigen Herbst befürchteten, was mir Ihr Brief nur schonend andeutete, ist geschehen, mein lieber Sohn! – Ich habe das Schrecklichste erlebt, habe Schiller sterben sehen. Die Erde ist mir nun nichts mehr, ich finde keinen Ruhepunkt mehr; überall würde ich schrecklich fühlen, was ich entbehre, was das Schicksal mir aufgelegt hat. Daß man Muth haben muß, zu ertragen, das ist traurig! Und doch ruft mich die Liebe zu unsern Kindern mit Macht in's Leben, in's öde Leben ohne Schiller! Ich soll leben für sie, so lange ich kann; muß meine Pflicht erfüllen, wie Er, der für uns lebte. Sie waren Zeuge unsres Lebens, unsres Glücks. Dies sagt mir mein Herz, daß meine Liebe für ihn gern das Schicksal besiegt hätte, daß ich ihm gern das freudigste Loos bereitet hätte, wenn es in meiner Macht gestanden. Diese Beruhigung habe ich, daß ich gewiß Alles that, um ihn vor unangenehmen Eindrücken im Leben zu bewahren, daß er vielleicht ohne mich nicht so lange für die Welt gewirkt hätte. – Er muß unendlich gelitten haben, viel mehr als er es sagte. – Seine letzte Krankheit war für ihn nicht so ängstlich. Er war mild, ruhig gestimmt. Ich hatte ihn oft kränker gesehen. Als Sie ihn so treu pflegten, lieber Freund, war er viel kränker. Ich mußte also auch jetzt hoffen, daß seine herrliche Natur siegen würde.

Als nach harten Krampfanfällen er endlich schlief, und ruhig, sagte ich zu meiner geliebten Schwester, ich hoffe, daß es nun besser werden würde; da ich doch allen Glauben zu seiner guten Natur habe; und Muth und Hoffnung belebten mich. – Aber was sind Hoffnungen des Lebens! In diesem Moment kam man, und rief uns in's andere Zimmer; und der Todeskrampf hatte sein Gesicht schon entstellt. Ich bemühte mich vergebens, die kalte Hand zu erwärmen; seine Blicke konnten mich nicht mehr finden. – Ich danke Gott, daß ich ungewöhnliche Hoffnung in mir hatte; wie hätte ich sonst dies aushalten können; und tröstlich war es ihm doch gewiß, von mir in dem letzten Moment noch umgeben zu sein.

Als der Krampf sein Gesicht schon entstellte, als ich seinen gesunkenen Kopf auf eine bequemere Seite richten wollte, erkannte er mich: lächelte mich verklärt an, und küßte mich. Dies war das letzte deutliche Zeichen seines Bewußtseins. – Ihnen nur, mein Freund, sage ich diese Details; Sie bewahren sie in Ihrem Herzen. Die letzten Momente dieses einzigen hohen Wesens sind zu heilig; nur Menschen, die ihn liebten wie Sie, dürfen es wissen; und Sie verstehen mich. Ihnen ist das Bild des Todes nicht fremd; Sie sahen Ihre liebsten Geschwister diesen dunklen Weg gehen.

Ueber die Ungewißheit des Lebens, die Sehnsucht nach dem was man so liebt, und die Dunkelheit, die einen so schrecklich ergreift, über die Wege des Schicksals, und doch die Nothwendigkeit, es tragen zu müssen, – über alle diese Gefühle kann ich noch nicht in's Reine kommen. – Mein Leben ist nun ein ewiger Kampf der Neigung und Pflicht; die Neigung ruft mich in die dunkle Gruft, und die Pflicht für meine Kinder in's Leben.

Ihr Brief vom 10. vorigen Monats kam eben acht Tage, nachdem ich den traurigen Verlust erlitten hatte. Ihre Freundschaft ist mir auch da tröstlich gewesen. So lange ich lebe, werden Sie mir auch werth sein, lieber Sohn, und jetzt noch werther, weil Sie Schiller liebten, und ihn kannten, wie ihn Wenige kannten.«

Charlotte ist beim Tode Schillers selbst und auch die Tage darauf ganz fassungslos gewesen. Alles was in solchen Fällen an Geschäften zu erledigen ist, haben ihr die Mutter, Karoline und Wolzogen abgenommen. Dann aber raffte sie sich auf, und in der klaren und tapferen Erkenntnis, daß sie für ihre Kinder nötig sei und nur für sie zu leben habe, ist sie erstarkt.

Von allen Seiten kamen die Bezeugungen der Teilnahme. Man muß in den zerstreuten Briefwechseln jener Tage die Schreiben nachlesen, um sich zu überzeugen, wie alles um Schiller trauerte, um den berühmten Dichter, auf den gerade die Besten gerechnet hatten als auf einen gewaltigen Bannerträger der bevorstehenden nationalen Erhebung; mehr noch aber fast um den ausgezeichneten Menschen. Zugleich aber zeigen diese Briefe, welche herzliche Zuneigung Charlotte selbst von allen entgegengebracht wurde, die sie kannten. Lassen wir einige dieser Briefe folgen. Maria Paulowna, die junge Erbgroßherzogin, zu deren Empfang in Weimar Schiller die Huldigung der Künste geschrieben hatte, schrieb: »Verehrte Frau! Ich bin gestern an Ihrer Thür vorbeigegangen, aber ich bin nicht eingetreten, ich fühlte, daß meine Gegenwart Sie erregt hätte. Aber lassen Sie mich Ihnen wenigstens meine herzliche Theilnahme aussprechen bei dem Verluste, der uns alle in Trauer versetzt, und lassen Sie mich diesen Augenblick wählen, nicht um Sie zu trösten – es wäre jetzt vergebens – aber um Ihnen von denen zu sprechen, auf die sich jetzt Ihre ganze Liebe richtet. Ihre Kinder leben, verehrte Frau, und mehr als jemals bedürfen sie jetzt Ihrer. Wollen Sie mir die Bitte gewähren, daß ich für sie sorgen darf in dem Sinne, wie Sie selbst es bestimmen wollen! Es wird mir eine hohe Freude sein, wenn Sie mir die Sorge für ein so kostbares Gut übertragen wollen und wenn ich Ihnen dadurch die herzlichen Gefühle bezeugen kann, die ich gegen Sie hege und die ich Ihrem Gemahl stets bewahren werde. Verzeihen Sie mir, daß ich dies an Sie schreibe; aber es ist mir ein dringendes Bedürfnis, zu wissen, daß Sie mich wählen, wenn Sie jemand in der Folge Ihr Vertrauen schenken wollen; und ich möchte es nicht aufschieben, Ihnen meinen Wunsch mitzutheilen. Maria.« – Cotta war noch Anfang Mai in Weimar gewesen und trüber Befürchtungen voll war er vom Krankenlager des Freundes gegangen. »So war denn meine Ahnung,« schreibt er, »wirklich wahr, und es war das letzte Lebewohl, das ich unserem verewigten Freunde sagen konnte! Allmächtiger, wenn mich der Schmerz über diesen unersetzlichen Verlust beinahe niederdrückt, wie muß es erst Ihnen, theuerste Freundin, sein, da Sie in ihm alles verloren, da Sie nur in ihm und für ihn lebten. Worte des Trostes giebt es hier keine. Selbst der Blick in die Zukunft ist nicht mildernd, wenn er nicht mit dem Glauben an eine ewige Fortdauer verbunden ist. Diesen Glauben teilen Sie gewiß mit mir, und wenn er in den ersten Momenten nicht Stärke genug hat, das Markverzehrende des herben Schmerzes zu lindern, so hoffe ich, die Mutter wird die Gattin so weit zur Fassung bringen, daß die armen Kinder nicht einen doppelten Verlust zu erleben haben. Ja, beste Freundin, ich spreche zur Mutter, wenn ich hoffen darf, daß Sie sich zu fassen wissen. – Was kann nicht Mutterliebe über den Menschen. Sie werden sich daher Ihren Kindern erhalten. Lassen Sie mich nach meinen Kräften denselben Vater sein. Die Erziehung der beiden Knaben, wünschte ich, überließen Sie mir, ich würde sie mit mir nehmen, und damit Ihnen dies nicht schwer würde, wie wäre es, wenn Sie zu uns nach Schwaben zögen? Wir wollten dann im Andenken an unsern Freund und in der Erziehung seiner Kinder unsere trauernden Tage dahin bringen. Über alles Übrige seien Sie ohne Sorge – ich habe hierüber Pläne genug. – Da Sie nun dringende Ausgaben haben werden, so bitte ich für jedes Bedürfnis Wechsel auf mich zu ziehn … Ich freue mich in dem Gedanken, daß Sie mich unter Ihre treuesten Freunde zählen. Mit der innigsten Verehrung Ihr Cotta.« Auch die Königin Luise sandte durch Dr. Hufeland den Ausdruck ihrer Teilnahme. Dr. Hufeland war früher in Weimar gewesen und mit Schiller bekannt: »Mit tiefer Wehmut,« schreibt er, »schreibe ich Ihnen diesen Brief. Wie viel haben wir, wie viel haben Sie verloren, wie verwaist kommt mir der bessere Teil der Menschheit vor. Ein guter Genius ist von ihr gewichen. Wenn etwas trösten kann, so ist es gewiß der Gedanke, daß so viel Tausende mit Ihnen um ihn weinen, und daß sein Andenken in den Herzen so vieler Tausende fortlebt, und sein Geist unter uns bleibt. Die Königin, die unbeschreiblich von diesem Verluste gerührt war, hat mir ausdrücklich aufgetragen, Ihnen ihre innigste Teilnahme zu bezeugen, und wie sehr sie wünsche etwas zu Ihrer Tröstung und Aufheiterung beitragen zu können. Hatte nicht der Verewigte den Plan, einen seiner Söhne dem Kriegsdienste zu widmen? Wäre dies, so würde sich jetzt die beste Gelegenheit dazu darbieten, und ich würde Sie bitten, mir nur ein Wort darüber zu schreiben. Gott erhalte Ihre Gesundheit zum Trost Ihrer Kinder und zur Freude Ihrer Freunde.«

Fügen wir diesen Stellen noch einige andere zu. Minna Körner schreibt:

»Wir empfinden mit dir alles das unendlich Große, was uns entrissen wurde! Wir weinen um dich, um uns, daß das Höchste des Lebens für uns verloren ist! Du geliebteste, treue Freundin und Gattin des edelsten Menschen, suche dich aufrecht in deinem endlosen Schmerz für deine Kinder zu erhalten! Gott stärke dich ertragen zu lernen! Trösten können deine Freunde dich nicht, aber um deine Gesundheit können sie zum Himmel gehn. Was hast du, was die Welt, was seine Freunde verloren! Welche Schätze seines unendlichen Geistes schlafen nun den ewigen Schlaf! Laß uns zusammen weinen, laß uns einander die Hand reichen, daß nie die Freundschaft und Liebe unter uns vergehe, weil er sich uns entzog, der sie band. Daß die Welt so viel an ihm hatte, meine teure Freundin, das kannst du dir zu deinem Trost oft sagen, dazu hast du viel beigetragen. Die völlige Freiheit, das Streben seines Geistes wurde nicht von dir gehemmt und gedrückt. Keine Weiblichkeit von deiner Seite zog den Flug seiner Phantasie zur Wirklichkeit nieder. Dies preisen deine Freunde an dir, und dieser Gedanke muß dir lichte Momente geben.«

Aus den Briefen der chère mère heben wir folgende Stelle heraus:

»Einen guten Teil deines Lebens die Gattin eines Schiller gewesen zu sein – sich sagen können, diesen Teil seines Lebens ihm verschönert und durch deine zarte Sorge und Liebe glücklich gemacht zu haben – und noch jetzt in seinem Andenken, in der Sorge für seine Kinder fort zu leben – o gewiß, beste Lolo, das ist noch immer ein schönes, beneidungswertes Los. Auch mein Alter erheiterst du noch durch das Bewußtsein deiner treuen Liebe, und durch dein Benehmen in deinem gerechten Schmerz. Gott segne dich dafür, mein teures Kind.«

Und so kamen sie alle in langem Zuge, um der, die Schiller am nächsten gestanden hatte, den Schmerz zu bezeugen und zu lindern. Auch die werktätige Hilfe wandte sich der Familie zu. Zacharias Becker in Gotha und Iffland in Berlin faßten den Plan durch Aufführung von Schillers Dramen eine große Summe zu vereinigen und von dieser Summe ein Gut zu kaufen, das Charlotte als Witwensitz übergeben werden und für ewige Zeiten in der Familie Schiller bleiben sollte. Der Plan, dem viele der besten Männer sich begeistert anschlossen, wurde leider nicht ganz ausgeführt; die Kriegsjahre haben ihn unterbrochen. Die beträchtlichen Summen aber, die die Aufführungen ergaben, wurden der Familie ausgezahlt. Hierdurch und besonders durch die infolge der ungeheuren Verbreitung von Schillers Werken sehr hohen Honorarbeträge, die Cotta zahlen konnte, ist jede materielle Sorge von Charlotte genommen worden.


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