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IV.
Verlobung

Es ist klar, daß ein so immer inniger werdendes Freundschaftsverhältnis ganz naturnotwendig zu einem noch näheren Bunde führen mußte. Wenn man die Korrespondenz Blatt für Blatt durchgeht, wundert man sich, daß das entscheidende Wort immer noch nicht fällt. Eins hängt am andern wie an der Bedingung irdischen Glückes, sie werden nicht müde, sich zu versichern, daß eins ohne das andre nur ein schales und inhaltsloses Leben führt. Und doch kommt es nicht zur Erklärung. Einmal, in Karolinens Zimmer, in einem Augenblicke des Mitleids und der Tröstung über ein Herzeleid, ergriff Schiller Lottens Hand, aber das schon aus der Seele aufsteigende Wort wird abgebrochen durch das Erscheinen der Schwester. Es fehlt nicht an leicht sichtbaren Erklärungsgründen für Schillers Zurückhaltung. Daß er selbst keine sichere Existenz vor sich hatte, ist der nächste und durchschlagende. Aber auch Lottens Wesen hatte einen Zug fast verlegener Zurückhaltung. Man vermutet es nicht, nach dem naiv offenherzigen Ton der Briefe, aber es ist doch so gewesen, daß sie im persönlichen Verkehr leicht kühl erschien, und gerade dann am ehesten, wenn in ihrem Innersten die Sehnsucht nach intimster Aussprache am lebendigsten war. Sie selbst beklagt oder belächelt oft, je nach der gegenwärtigen Stimmung, diesen Zug in ihren Briefen, und auch Karoline spricht davon: sie mußte oft die Rolle der Ermutigerin spielen. Gleichwohl waren beide innerlich gewiß, daß sie füreinander bestimmt seien.

Das Hauptbedenken sollte bald schwinden. In der philosophischen Fakultät von Jena wurde durch den Weggang des Professors Eichhorn, ein Lehrstuhl für Geschichte frei. Nun setzte der Einfluß Karolinens ein. Sie bestimmte Frau Charlotte von Stein, ihr gewichtiges Wort bei Goethe einzulegen, daß Schiller für diese Professur bei den thüringischen Regierungen in Vorschlag gebracht würde. Die historischen Arbeiten Schillers, insbesondere der »Abfall der Niederlande«, ließen diesen Vorschlag zugleich in dem Lichte durchaus sachlicher Berechtigung erscheinen. Goethe erfüllte den Wunsch, und die Stelle wurde Schiller übertragen.

Beide Schwestern waren beglückt über die vollendete Tatsache, die Schiller ihnen meldete. Lotte findet, »daß das Glück es gut mit uns meint«, und sie verhehlt nicht, daß nun ihre Befürchtung, den Freund einmal ganz verlieren zu müssen – er hatte von der Rückkehr nach Dresden, von einer Übersiedelung nach Hamburg gesprochen – beseitigt ist. Jena und Rudolstadt sind so erfreulich nahe beieinander, »wenn nehmlich der Ernsthafte Herr Professor sich noch zu uns herunter laßen will«. Schiller hatte eine Reihe von Bedenken bei Übernahme der Professur nur schwer unterdrückt, insbesondere auch das eine, daß er doch kein Historiker von Fach sei und daher die Erfüllung der neuen Pflichten ein außerhalb seiner poetisch-schöpferischen Neigungen liegendes großes Maß von rein gelehrter Arbeit bringen werde. Charlotte sucht ihm das alles nach Kräften auszureden, stellt ihm die Annehmlichkeit einer großen Wirksamkeit vor, tröstet ihn mit der Möglichkeit, daß gerade diese Studien ihm neue dramatische Stoffe zuführen werden. Auch vergißt sie nicht, in Erinnerung an die gemeinsam oft genossene Freude an schöner Landschaft, ihm den Reiz der Umgebung Jenas in leuchtenden Farben zu schildern; »die Berge haben so schöne Formen, so leicht, so luftig!«

Während nun Schiller sich allmählich in die Aussicht hineinfand, die nächsten Jahre als Universitätsprofessor zuzubringen, und sogar schon recht bald an die erste häusliche Einrichtung in Jena dachte, erschien den Schwestern die neue Wendung immer mehr in rosigem Licht. Die Briefe, die zwischen Weimar und Rudolstadt und dann zwischen Jena und Rudolstadt hin- und hergehen, nehmen einen immer intimeren Ton an; Charlotte, die nicht nur von ihrer Schwester oft hatte hören müssen, daß sie mit ihrer Persönlichkeit und im Gespräche nicht genug aus sich herausträte, und die auch selbst über eine gewisse, als Kälte erscheinende Befangenheit klagte, erschließt sich in den Briefen immer mehr und mehr. Wir finden Stellen, die, angeknüpft an Berichte über die jeweilige Lektüre oder auch über Menschen, die sie gesehen hat, intimere Reflexionen über sich selbst enthalten, Reflexionen, denen Schiller mit ebenso vertrauensvollen Ergießungen antwortet. So schreibt sie einmal im Anschluß an Knebels Urteile über Plutarch: »Mir kommt es vor, als wären Plutarchs Biographien nicht sogleich anschaulich für jeden Leser; ich nehme es nach mir; es sind viele Jahre hingegangen, ehe ich rechte Freude daran fand oder war meine Sucht nur das Neue zu lesen schuld daran? Wie ich klein war, wollte ich immer recht klug tun und recht viel Verstand zeigen. Ich möchte wohl, daß ich weniger dazu wäre erzogen worden, mehr scheinen zu wollen als ich wirklich war. Ich war sonst erstaunlich eitel und haschte nach Lob, jetzt aber ist das alles durch Nachdenken vertrieben worden, aber es hat mir lange angehängt.« Oder sie sagt in Anknüpfung an die Lektüre der Schriften Friedrichs des Großen und an dessen Verhältnis zu Voltaire: »Es ist nun einmal so in der menschlichen Natur! Alles wechselt, und das ist leider bei der Freundschaft der Fall auch zuweilen; aber doch ist's traurig, daß es so ist, denn wie schön ist nicht das Gefühl vom Bleibenden. Mich macht der Gedanke an Veränderlichkeit traurig, und tut mir weh. Mich macht Freundschaft so glücklich, daher fühle ich's doppelt, wenn ich mir es so denke.« Religiöse Gegenstände werden berührt. Charlotte hatte bis zur Bekanntschaft mit Schiller, soweit unsere Kenntnis reicht, in naiver Hingabe an die überlieferten kirchlichen und religiösen Vorstellungen gelebt; durch Schiller waren ihre Gedanken über diese Fragen erregt worden, und durch die Lektüre der »Götter Griechenlands«, des »Geisterseher«, sowie von Schriften, die Schiller den beiden Schwestern von der Weimarer Bibliothek sandte, war mancher Zweifel in ihrer Seele aufgestiegen. Sie denkt über das Leben nach dem Tode nach. »Die Decke, die uns den andern Zustand nach diesem verhüllt, ist mir oft ein Beweis, daß wir für den Augenblick leben sollen: der menschliche Stolz bildet sich zu schöne Träume von dem Zwecke seines Daseins, und er sollte sich begnügen, daß er auf dieser Stufe wo er ist, steht. Es ist wahr, daß wir unser Glück, unsere Moralität als den Zweck unseres Lebens ansehen müssen, ohne an ein künftiges Dasein zu denken, wofür wir hier nur leben sollten; Die Welt wird einem dadurch so wenig, und es ist hier unsere Bestimmung. Ich möchte oft aufgebracht werden, wie manche Menschen so auf alles sich resignieren, um in einem künftigen Zustand das Glück erst zu finden, was sie hier in dem wirklichen, wo sie sich befinden, schon genießen können. Man sollte gar nichts von allem diesen den Menschen lehren; es ist gewiß weniger Verdienst dabei gut zu sein um künftig belohnt zu werden, als gut zu sein um sich selbst willen, um den Plan der Natur zu erfüllen.« Aber wenn auch die Briefe, ein schöner Widerschein der Welt, in der sich die Gespräche der Frauen mit Schiller bewegten, oft solche Reflexionen enthalten, sie enden doch immer mit einer persönlichen Wendung; bald meldet sie, daß die Wasser der Saale wieder frei sind vom Eise, daß die Berge in den ersten Strahlen der Februarsonne blauen und die Landschaft beginnt wieder in den Zustand zu treten, in dem sie der Schauplatz der fröhlichen Streifereien des vorigen Sommers war; bald entwirft sie eine anmutige Schilderung des Gartens und des Gartenhauses, das nun bald wieder instand gesetzt werden muß; bald klagt sie über Besuche und Gesellschaften, die ihre Einsamkeit in Rudolstadt stören und ihr nichts sind, und daß eine Gesellschaft ihr fehlt, die ihr »so viel« sei. Und als Schiller sein Amt angetreten hat und die erste Vorlesung vorüber ist, da malt sie sich aus, wie das alles wohl sein mag und wünscht sich selbst hinüber. »Sagen Sie mir was Sie den Herren Studenten vorgesetzt haben, ich möchte es wohl mit anhören, welche wichtigen Mienen Sie machen werden. Gute Nacht, lieber Freund!« Die Sehnsucht, die die beiden Menschen zueinander zog, führte denn auch zu einigen persönlichen Zusammenkünften; Schiller war einigemal in Rudolstadt, die Schwestern reisten durch Jena nach Burgörner zu Dacherödens. Aber nach jeder Zusammenkunft, in denen meistens die Anwesenheit andrer Menschen eine freie Aussprache verhinderte, werden die Briefe um so sehnsüchtiger; alles drängt zu einem klärenden, entscheidenden Wort.

Für den Sommer des Jahres 1789 hatten die Schwestern einen Aufenthalt im Bade Lauchstädt in Aussicht genommen, und Schiller, der in Leipzig ein Zusammentreffen mit Körners plante, wollte über Lauchstädt reisen; dieser Plan wurde ausgeführt, und hier in Lauchstädt ist das erlösende Wort gefallen. Es war nicht zwischen Schiller und Lotte selbst, sondern, soweit wir unterrichtet sind, scheint Karoline in einem Gespräch mit dem Freunde den seelischen Zustand Charlottens geschildert und ihm die Gewißheit gegeben zu haben, daß Lotte ihn liebe. Es scheint, daß Schiller gleich nachdem er die Gewißheit der Liebe Charlottens erlangt hatte, nach Leipzig reiste und von einer Zwischenstation den nachfolgenden Brief an Charlotte geschrieben hat:

3. August, Montag.

Ist es wahr, theuerste Lotte? darf ich hoffen, daß Caroline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich mir nicht getraute, zu gestehen? O wie schwer ist mir dieses Geheimniß geworden, das ich, solange wir uns kennen, zu bewahren gehabt habe! Oft, als wir noch beysammen lebten, nahm ich meinen ganzen Muth zusammen, und kam zu Ihnen, mit dem Vorsatz, es Ihnen zu entdecken – aber dieser Muth verließ mich immer. Ich glaubte Eigennutz in meinem Wunsche zu entdecken, ich fürchtete, daß ich nur meine Glückseligkeit dabey vor Augen hätte und dieser Gedanke scheuchte mich zurück. Konnte ich Ihnen nicht werden, was Sie mir waren, so hätte mein Leiden Sie betrübt, und ich hätte die schöne Harmonie unserer Freundschaft durch mein Geständniß zerstört, ich hätte auch das verloren was ich hatte, Ihre reine und schwesterliche Freundschaft. Und doch gab es wieder Augenblicke, wo meine Hoffnung auflebte, wo die Glückseligkeit, die wir uns geben konnten, mir über alle Rücksichten erhaben schien, wo ich es sogar für edel hielt, ihr alles Uebrige zum Opfer zu bringen. Sie konnten ohne mich glücklich seyn – aber durch mich nie unglücklich werden. Dieses fühlte ich lebendig in mir – und darauf baute ich dann meine Hoffnungen. Sie konnten sich einem andern schenken, aber keiner konnte Sie reiner und zärtlicher lieben als ich. Keinem konnte Ihre Glückseligkeit heiliger seyn, als sie es mir war und immer seyn wird. Mein ganzes Daseyn, alles was in mir lebt, alles, meine theuerste, widme ich Ihnen, und wenn ich mich zu veredeln strebe, so geschiehts, um Ihrer immer würdiger zu werden, um Sie immer glücklicher zu machen. Vortrefflichkeit der Seelen ist ein schönes und ein unzerreißbares Band der Freundschaft und der Liebe. Unsere Freundschaft und Liebe wird unzerreißbar und ewig seyn, wie die Gefühle, worauf wir sie gründen.

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Friedrich Schiller.
Gemälde im Körner-Museum zu Dresden.

Vergessen Sie jetzt alles, was Ihrem Herzen Zwang auflegen könnte, und lassen Sie nur Ihre Empfindungen reden. Bestätigen Sie, was Caroline mich hoffen ließ. Sagen Sie mir, daß Sie mein seyn wollen, und daß meine Glückseligkeit Ihnen kein Opfer kostet. O versichern Sie mir dieses, und nur mit einem einzigen Wort. Nahe waren sich unsere Herzen schon längst. Lassen Sie auch noch das einzige fremde hinwegfallen, was sich bisher zwischen uns stellte, und nichts die freye Mitheilung unserer Seelen stören.

Leben Sie wohl theuerste Lotte. Ich sehne mich nach einem ruhigen Augenblicke Ihnen alle Gefühle meines Herzens zu schildern, die in dem langen Zeitraum, daß diese Einzige Sehnsucht in meiner Seele lebt, mich glücklich und wieder unglücklich gemacht haben, wie viel habe ich Ihnen noch zu sagen?

Säumen Sie nicht, meine Unruhe auf immer und ewig zu verbannen. Ich gebe alle Freuden meines Lebens in Ihre Hand. Ach, es ist schon lange, daß ich sie mir unter keiner andern Gestalt mehr dachte, als unter Ihrem Bilde. Leben Sie wohl, meine theuerste.«

Einfach und doch der Ausdruck des vollen Glückes ist der Brief, den Charlotte gleich darauf an Schiller richtete.

»Schon zweimal habe ich angefangen, Ihnen zu schreiben, aber ich fand immer, daß ich zu viel fühle um es ausdrücken zu können. Karoline hat in meiner Seele gelesen, und aus meinem Herzen geantwortet. – Der Gedanke, zu Ihrem Glück beitragen zu können, steht hell und glänzend vor meiner Seele. Kann es treue, innige Liebe und Freundschaft, so ist der warme Wunsch meines Herzens erfüllt, Sie glücklich zu sehen. Für heute nichts mehr, Freitag sehen wir uns. Wie freue ich mich unsern Körner zu sehn! und Sie Lieber in meiner Seele lesen zu laßen, wie viel Sie mir sind, adieu! ewig Ihre treue Lotte.«

Sie haben sich dann in Leipzig gesehen, und hier ist auch alles besprochen worden, was nun weiter zu geschehen hatte. Denn eine Schwierigkeit erhob sich; noch konnte nicht wohl daran gedacht werden, der Mutter, der chère mère, mit einem förmlichen Antrage zu nahen. Karoline selbst, die in diesem Verhältnisse eine Art Vorsehung spielte, riet davon ab, denn es war nur natürlich, daß Schiller zunächst eine Verbesserung seiner ökonomischen Lage vom Herzoge erbat, und alle drei hielten es nicht für billig, bevor sie eingetreten sei, der Mutter Sorgen zu bereiten. So dauerte ein gewisses Versteckspiel vor Frau von Lengefeld noch längere Zeit an.

Das neue Verhältnis erzeugte ganz natürlich den Wunsch nach längerem persönlichen Zusammensein und so verabredete man, daß Schiller nach Schluß des Sommersemesters (der damals erst im September stattfand) auf einige Wochen nach Volkstädt kommen sollte. Ein »sehbarer« Brief wurde an die Schwestern geschrieben, der Mutter gezeigt, und nach leichter Überwindung der Bedenken wurde der Plan auch von ihr gebilligt. Die Mutter war mittlerweile vom Hofe mit der Erziehung der Prinzessinnen betraut, und mußte den Tag über auf dem Schlosse sein; wir verstehen die Bedenken der, wie wir wissen, auf das Konventionelle haltenden Dame.

Über diesem zweiten Aufenthalte Schillers in Volkstädt-Rudolstadt hat es wie ein leichter Nebel gelegen, der das Glücksgefühl nicht ganz sonnenhaft durchbrechen ließ. Es kam mancherlei zusammen. Daß man gegen die Mutter nicht offen sein konnte, mochte vielleicht nicht so schwer empfunden werden, da es aus zarter Rücksicht auf deren eigne Ruhe geschah. Aber die ungewisse Zukunft! Würde der Herzog geneigt sein, auf Schillers Bitte um Gehalt, und wäre es noch so wenig, einzugehen? In den Hofkreisen, denen ja Charlotte besonders durch Frau von Stein so nahe stand, wußte man ganz genau, daß der Herzog selbst sich in finanzieller Beklemmnis befand. So wurden denn, für den Fall enttäuschter Hoffnungen, allerlei Pläne geschmiedet, ohne daß doch auch bei diesen die Herzen warm werden konnten. Am heitersten erschien noch die Möglichkeit, durch den Koadjutor Dalberg in Erfurt, dem Karoline von Dacheröden nahe stand und der sich sehr für die Lengefelds und neuerdings auch für Schillers schriftstellerische Tätigkeit interessierte, nach Mainz zu kommen. Er war damals noch in Erfurt und war für den Mainzer Erzbischofssitz bestimmt, wenn dieser erledigt werden würde. In der Korrespondenz des Dacheröden-Lengefeldischen Kreises spielt darum der erhoffte Tod des Erzbischofs, auch nach Schillers Verheiratung noch, eine große Rolle. Aber im Grunde glaubt niemand so recht an die Verwirklichung der Mainzer Aussichten, und Charlotte selbst, die mit heißer Liebe an ihrer thüringischen Heimat hing, vermochte dieser Aussichten, auch wenn sie begründeter gewesen wären, doch nicht recht froh zu werden.

Es waren andere, ernstere Dinge, die jenen Nebel nicht zerreißen ließen. Wir deuten nur an, was in jeder Schillerbiographie nachzulesen ist: um jene Zeit hat Charlotte von Kalb, die zweifellos Schiller noch von der Mannheimer Zeit her liebte, Ansprüche an ihn gemacht. Er selbst hatte jene Gefühle überwunden, die er selbst einmal »eine miserable Leidenschaft« nannte; Charlotte von Kalb aber, einst gezwungen zu einer Ehe, die ihr kein Glück verhieß und die sie in der Folge tief unglücklich gemacht hat, hatte jene schwärmerische Liebe zu Schiller bewahrt. Ohne Blick für die realen Mächte des Lebens und den wahren Kern des Menschen hatte sie nicht verstanden, daß diese Gefühle für Schiller nur eine Episode bedeuteten, durch die er hindurchgeschritten war; und nun betrieb sie die Scheidung von ihrem Manne, um, wie gar nicht zu bezweifeln ist, Schiller zu heiraten. Man kann sich denken, daß ihm, besonders angesichts des äußerst leidenschaftlichen und in der Leidenschaft unberechenbaren Wesens dieser Frau, nicht wohl ums Herz war. Es scheint, daß er nur Karolinen diese Stimmungen und Befürchtungen mitgeteilt hat. Er selbst hatte sich nichts vorzuwerfen; er mochte aber um Lottens Ruhe besorgt sein. Und daß diese Befürchtungen nicht ganz ohne Grund waren, zeigt ein anonymer, von Charlotte von Kalbs Hand stammender Brief, in dem Schillers Braut vor ihm gewarnt wird. Allerdings kam dieser Brief erst später, nachdem zwischen Schiller und Lotte Aussprachen vorhergegangen waren, die allen Anfechtungen von vornherein die Spitze abbrachen.

Schwieriger waren die Stimmungen, die zu den ebengenannten Aussprachen führten, wir stehen hier vor etwas recht Sonderbarem, wer die Briefe liest, die vor und nach der Verlobung zwischen Schiller und den Lengefeldischen Schwestern gewechselt sind, dem wird auffallen, daß Schiller beiden Schwestern gegenüber denselben Ton inniger, oft leidenschaftlicher Zuneigung anschlägt. Oft sind die Briefe an beide zusammen gerichtet; oft enthalten die Umschläge zwei Schreiben: »an Lottchen« und »an Karoline«; offenbar aber las jede Schwester auch das für die andere bestimmte Blatt. Man liest mit Erstaunen Briefstellen wie diese: »O meine teure Caroline! meine teure Lotte! wie so anders ist jetzt alles um mich her, seitdem mir auf jedem Schritt meines Lebens nur euer Bild begegnet, wie eine Glorie schwebt eure Liebe um mich, wie ein schöner Duft hat sie mir die ganze Natur überkleidet.« »Ich sehe euch, ich werde euch öfter sehen, ich werde euch an mein Herz schließen können.« »Das Leben an euren liebevollen Herzen ist eines größeren Kampfes wert als ich noch zu kämpfen habe. Meine Seele schlingt sich um euch. Könnten meine Arme euch umfassen! Könnte ich euer schlagendes Herz an dem meinigen fühlen.« »Konnte ein Wunsch noch Raum haben in meinem Herzen, da ihr mein geworden seid?« Oder gar an Karoline allein: »Sei wachsam über Deine Gesundheit! Meine Glückseligkeit hängt an Deiner Liebe, und Du mußt gesund sein, wenn Du liebst.« »Ich kann Dir nicht sagen, nicht Worte finden, wie meine Seele Dich umfaßt, und dieses verdirbt mir die Freude am Schreiben. Alle meine Gedanken umschlingen Dich und könnte ich nur, in welcher Gestalt es auch sei – wär' es nur mit diesem Herzen – um Dich wohnen. Adieu, lieber Engel. Lebe wohl.«

Wir würden diese sonderbaren Stimmungen noch genauer kennen, wenn uns die Briefe Karolinens aus jener Zeit erhalten wären. Aber sie sind es nicht. Schillers Tochter Emilie hat sie vernichtet. Daß auch sie in ähnlichem Tone gehalten waren, ist aus inneren Gründen nicht zu bezweifeln; auch lassen aus etwas früherer Zeit erhaltene Briefe Karolinens darauf schließen.

Charlotte hat dieses Verhältnis zunächst ganz naiv aufgefaßt. Sie stand mit ihrer Schwester in engster Lebensgemeinschaft. Sie hatten gemeinschaftlich Schiller kennen gelernt. In der Volkstädter Zeit und auch später waren sie bei persönlichem Zusammensein beide zugleich um Schiller gewesen. Beiden zugleich hatte er sein Inneres erschlossen. Zu beiden hatte er in gleicher Weise gesprochen. Und auch als sich das nach der Verlobung fortsetzt, ist es zunächst für Charlotte noch wie eine liebe und selbstverständliche Gewohnheit; und es begegnet uns in den Briefen nichts, was auch nur entfernt wie eine Eifersucht auf Karoline gedeutet werden könnte. Charlotte schreibt einmal (am 6. Sept. 1789!): »Auch in Dein Herz, Geliebter, will ich die geheimsten Gefühle meiner Seele legen, Dir jede Empfindung mitteilen; es ist mir ein schöner Gedanke, daß Du uns (!) ohne Rücksichten ganz frei Deine Seele vorhältst, Du wirst uns (!) dadurch immer lieber, wenn Du es noch mehr werden kannst. O gewiß werden wir es nie bereuen alles Glück unsres Lebens auf Deine Liebe gesetzt zu haben.«

Der erneute persönliche Aufenthalt Schillers im Herbst 1789 brachte eine Wendung. Charlotte fühlte, daß die gereiftere ältere Schwester dem Dichter durch manche Erfahrung und durch das Nachdenken über viele Lebensprobleme mehr bot als sie es konnte, daß das impulsive rasche Wesen Karolinens in manchen Augenblicken sein Gespräch zu ihr hinzog. Denn das ist der wesentliche Unterschied in der Natur der beiden Schwestern: Charlotte wirkte durch ihr Sein, durch die Geschlossenheit ihres Wesens, Karoline durch die glänzende und hinreißende Wirkung einzelner Äußerungen ihres beständig erregten Gefühls- und Gedankenlebens.

Charlotte empfand das tief und schmerzlich. Aber, und das ist für ihr Wesen mehr als alles charakteristisch: in ihrer Seele ist kein Raum für Vorwürfe, weder gegen Karoline noch gegen Schiller. Ihre Liebe will nur das Glück des Geliebten. »Ängstlich sah ich Dich gehn, denn ich wußte nicht, ob nicht mein Bild aus Deiner Seele verdrängt werden konnte, ob Dir nicht ein anderes Wesen das geben könnte, was nur meine Liebe Dir zu geben wünschte. Dein Kommen erwartete ich furchtsam, ob ich Dich noch so finden würde wie ehedem.« »Bei Deinem Aufenthalt unter uns kam mir zuweilen ein Mißtrauen auf mich selbst an, und der Gedanke, daß Dir Karoline mehr sein könnte als ich, daß Du mich nicht zu Deinem Glücke nötig hättest, zog mich auch mehr in mich selbst zurück.« »Wenn zuweilen meine Gefühle zu hoch gestimmt sind, und ich dann alles mit mehr Innigkeit umfasse, kommt mir auch ein Gedanke mit, der mir weh thut. Ob Du mich auch immer so finden wirst, wie mein Wesen in Deiner Seele steht? Könntest Du Dir nicht zu hohe Begriffe von mir machen? Kann ich Dir auch wirklich so wie meine warme Liebe zu Dir es möchte, Dein Leben verschönern, Lieber?« Dieser Ton weckte auch Schiller auf. Der Brief, den er ihr als Antwort auf die von uns zuletzt zitierte Stelle geschrieben hat, läßt keinen Zweifel darüber, daß er viel von Karoline hält, aber ebensowenig darüber, daß Charlotte ihm innerlich näher steht. Und als nun auch von Karoline von Dacheröden, der sie ihre stillen Schmerzen anvertraut hatte, ein Brief anlangte, der mit tiefem Verständnis auf Schillers und dadurch zugleich mit ermutigenden Worten auf Charlottens Gefühle einging, da trat Beruhigung ein. Und aus den nächsten Briefen bricht dann mit fast elementarer Gewalt die heiße Sehnsucht hervor, mit dem Geliebten erst ganz vereinigt zu sein und dann, um ihn werbend, alles Glück über ihn zu breiten, dessen sie sich fähig fühlt. –

Es war nicht möglich das Geheimnis vor der chère mère so lange zu wahren, als man ursprünglich gewollt hatte. In Jena, in Weimar, in Erfurt, auch in Rudolstadt begann man im Publikum von dem Verhältnis Schillers zum Lengefeldischen Hause zu sprechen. Und um zu verhindern, daß die Mutter von anderen zuerst unterrichtet wurde, beschloß man, sich auszusprechen. Wieder war es Karoline, die hier das Wort ergreifen mußte. Am 15. Dezember, von Erfurt aus, teilte sie der Mutter alles mit. Diese antwortete sofort. Es ist ein hübscher Brief:

Dein heutiger Brief meine Caroline hat mich so erschüttert und überrascht, daß ich nicht in Stande bin eine einzige Zeile darauf zu antworten. Daß kann Lotchen versichert seyn daß nie mein Mund heuchelte, wenn ich Euch sagte: daß auf Eure Glückseeligkeit meine ganze Wohlfahrt gegründet sey. Mehr heute zu sagen ist unmöglich. Ich bitte Gott daß er uns alle Regieren möge, auch ich verlaße mich fest auf die Vorsehung, und wehe mir wenn ich solches nicht thäte, da ich bestimmt zu sein scheine, in die sonderbahrsten Lagen von der Welt zu kommen, ohne einen Freund oder Rathgeber zu haben, dem ich mich anvertrauen kann. In der Zwieback Schachtel werdet Ihr 30 Rthlr. finden, ich wollte sie der Bothen Frau nicht anvertrauen.

Lebt wohl ich bin ewig Eure treue Mutter

von Lengefeld

 

Und gleich darauf schrieb auch Schiller den Brief, der über sein Leben entscheiden sollte:

 

Jena, den 18. Dec. 89. [Freitag.]

Wie lange und wie oft, seit mehr als einem Jahre, gnädige Frau, habe ich mit mir selbst gestritten, ob ich es wagen soll Ihnen zu gestehen, was ich jetzt nicht mehr zurück halten kann. Ich muß Sie bitten, verehrungswürdigste Freundinn, sich jetzt alles gegenwärtig zu machen, was je in Ihrem gütigen Herzen für mich sprach; ich selbst muß mir jedes Ihrer Worte zurück rufen, worinn ich Wohlwollen für mich zu erkennen glaubte, um in diesem Augenblicke Muth und Hofnung zu fassen. Es gab Augenblicke, unvergeßlich sind sie meinem Herzen, wo Sie mich vergessen ließen, daß ich ein Fremdling in Ihrem Hause sey, ja wo Sie unter Ihren Kindern auch mich mit zu zählen schienen. Was Sie damals ohne Bedeutung sagten, was nur eine vorübergehende Bewegung Ihres Herzens Ihnen eingab – wie tief ergriff es mein Herz, wo lange schon kein andrer Wunsch mehr lebte, als Ihr Sohn genannt zu werden. Sie haben es in Ihrer Gewalt, jene Aeusserungen in volle selige Wahrheit für mich zu verwandeln.

Ich gebe das ganze Glück meines Lebens in Ihre Hände. Ich liebe Lottchen – ach! wie oft war dieses Geständniß auf meinen Lippen, es kann Ihnen nicht entgangen seyn. Seit dem ersten Tage, wo ich in Ihr Haus trat, hat mich Lottchens liebe Gestalt nicht mehr verlassen. Ihr schönes edles Herz hab ich durchschaut. In sovielen froh durchlebten Stunden hat sich ihre zarte sanfte Seele in allen Gestalten mir gezeigt. Im stillen innigen Umgang, wovon Sie selbst so oft Zeuginn waren, Knüpfte sich das unzerreißbarste Band meines Lebens. Mit jedem Tage wuchs die Gewißheit in mir, daß ich durch Lottchen allein glücklich werden kann. Hätte ich diesen Eindruck vielleicht bekämpfen sollen, da ich noch nicht vorhersehen konnte, ob Lottchen auch die meine werden kann? Ich hab es versucht, ich habe mir einen Zwang vorgeschrieben, der mir viele Leiden gekostet hat; aber es ist nicht möglich, seine höchste Glückseligkeit zu fliehen, gegen die laute Stimme des Herzens zu streiten. Alles, was meine Hofnungen niederschlagen könnte, habe ich in diesem langen Jahre, wo diese Leidenschaft in mir kämpfte, geprüft und gewogen, aber mein Herz hat es widerlegt. Kann Lottchen glücklich werden durch meine innige ewige Liebe, und kann ich Sie, Verehrungswürdigste, lebendig davon überzeugen, so ist nichts mehr, was gegen das höchste Glück meines Lebens in Anschlag kommen kann. Ich habe nichts zu fürchten, als die zärtliche Bekümmerniß der Mutter um das Glück ihrer Tochter, und glücklich wird sie durch mich seyn, wenn Liebe sie glücklich machen kann. Und daß dieses ist, habe ich in Lottchens Herzen gelesen.

wollen Sie theureste Mutter, – o laßen Sie mich bei diesem Namen Sie nennen, der die Gefühle meines Herzens und meine Hofnungen gegen Sie ausspricht – wollen Sie das theuerste was Sie haben meiner Liebe anvertrauen? meine Wünsche durch Ihre Billigung in Wirklichkeit verwandeln, wenn es auch die Wünsche Ihrer Tochter sind, wenn wir uns beide in dieser Bitte vereinigen? Ich werde Ihnen mehr zu danken haben, als ich einem Menschen danken kann. Sie werden glücklich seyn in der Glückseligkeit Ihrer Kinder. Unsere Dankbarkeit wird geschäftig seyn, Ihr Leben zu verschönern, und Ihnen das Geschenk der Liebe durch Liebe zu erstatten.

Ich erlaube mir keine weitre Erklärung, biß Sie über die Wünsche meines Herzens entschieden haben werden. Steht nur in Ihrer Seele meinem Glücke nichts entgegen, so werden keine Hindernisse von aussen ihm im Wege stehen. Mit welcher Unruhe und Sehnsucht erwarte ich von Ihnen den Ausspruch über mein ganzes Glück! Aber Liebe allein wird Sie leiten, und darauf gründe ich frohe Hoffnungen. Ewig der Ihrige mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe.

 

Und die Mutter antwortete:

Ja ich will Ihnen das beste und liebste was ich noch zu geben habe meine gute Lottchen geben. Die Liebe meiner Tochter zu Ihnen, und Ihre edle Denkungsart bürgt mir für das Glück meines Kindes, und dieses allein suche ich. Verzeihen Sie aber der Sorgsamkeit und der Pflicht einer Mutter, können Sie Lottchen neben Ihrer zärtlichen Liebe (nicht ein glänzendes Glück) sondern nur ein gutes Auskommen verschaffen? Beruhigen Sie mich über diesen Punkt, und ich nenne Sie mit Freuden Sohn. Wäre ich reich, könnte ich Ihnen mit meiner Tochter ein ansehnliches Vermögen geben wie gern würde ich Ihnen da zeigen, daß Verdienst und ein Herz so wie ich das Ihrige kenne, die schäzbarsten Güter der Erden für mich sind. Da mein Vermögen aber nicht groß und unser ieziges Leben diese Frage verlangt, weil ohne hinlänglichen Unterhalt kein Famielien Glück bestehen kann, so müßen Sie mir meine Aengstlichkeit vergeben. Die ich mich mit wahrer Entschiedenheit und Freundschaft nenne

Ihre treue Freundin von Lengefeld.

 

So war in Wirklichkeit alles entschieden. Schiller gelang es, die berechtigten Sorgen der Frau von Lengefeld einigermaßen zu beschwichtigen. Das Beste tat dabei natürlich die feste Überzeugung der Mutter, daß es sich hier um das Glück ihres Kindes handelte.

Herzog Karl August erhielt am 23. Dezember die Bitte des Hofrats Schiller um Gehalt. Er mochte nicht schriftlich darauf antworten, sondern bat Schiller zu sich ins Schloß und sagte ihm, daß er gern etwas für ihn tun möchte »um ihm seine Achtung zu bezeugen«; dann setzte er mit gesenkter Stimme und einem verlegenen Gesicht hinzu, daß 200 Taler »alles sei was er könne«. Schiller erwiderte, daß dies »alles sei was er von ihm haben wolle«. Nun schwand die Verlegenheit des Herzogs, er erkundigte sich lebhaft nach der Heirat, und am folgenden Tage erschien er in dem bei Frau von Stein versammelten Kreise der Glücklichen und äußerte mit Selbstzufriedenheit, er gebe doch das Beste zu der Heirat, das Geld.

So waren die Wege geebnet. Schiller drängte mit stürmischer Sehnsucht. Die Mutter war einer baldigen Verbindung nicht entgegen. Der Februar wurde für die Hochzeit in Aussicht genommen.

Bevor wir aber die endliche Vereinigung der beiden Menschen erzählen, drucken wir hier noch den Brief ab, den Charlotte an ihre neue Mutter auf der Solitüde schrieb, ein schönes Zeichen ihres Wesens.

 

Weimar den 29. December 1789.

Ob Ihnen gleich die Züge meiner Hand fremd sind, so ist es mein Herz doch gewiß nicht, wenn Sie den Brief Ihres Sohnes, meines teuren Geliebten, gelesen haben. Liebe Mutter! Mit wahrer kindlicher Liebe gebe ich Ihnen diesen Namen, und wünsche mir herzlich, Sie selbst zu sehn. Ich möchte von Ihnen gekannt seyn, damit Sie klar fühlen könnten, wie ich meinen Schiller liebe, und es der süßeste Gedanke meiner Seele ist, für ihn zu leben, zu seinem Glück, seiner Freude etwas beitragen zu können. Ein gutes Schicksal hat uns zusammen gebracht, hat unsre Herzen verbunden, und ein neues, schönes Leben zeigt mir die Zukunft.

Ich trage die freundliche Aussicht in meinem Herzen, Sie, Ihren lieben Mann, meinen theuren Vater, meine Schwestern Außer der an Reinwald verheirateten Christophine (1757 – 1847) hatte Schiller zwei Schwestern, Louise (1766 – 1834) und Caroline Christiane, genannt Nanette (1777 – 1796). einst zu sehn; und hoffe, diese schöne Zeit kann bald kommen. Aber ehe sie kommt, schenken Sie mir Alle Ihre Liebe, die ich Ihnen so gern mit dankbarem Herzen erwiedre; und lassen mein Andenken unter Ihnen leben, und erlauben mir, von Zeit zu Zeit Ihnen schreiben zu dürfen, daß ich immer weiß, wie es mit Ihrer Gesundheit steht. Möchten diese Zeilen Sie wohl antreffen! Ich habe es mit vielem Bedauern gehört, daß Sie, meine geliebte Mutter, oft nicht wohl sind. Gebe Ihnen der Himmel eine dauerhafte Gesundheit! Dazumal als ich in Ihrer Familie war, – Sie werden es kaum mehr wissen, es war im Jahre 83, wo wir auf der Solitude waren, – und Sie uns so gütig aufnahmen, ahnete ich nicht, wessen Eltern ich sah, daß sie einst auch die meinigen werden würden! Von Ihnen selbst, liebe Mutter, kann ich mir kein rechtes Bild mehr machen; aber mein lieber Vater ist mir noch gegenwärtiger. Es thut mir weh, daß so wenig mehr davon mir im Gedächtniß geblieben ist; ich könnte mich lebhafter unter Sie versetzen; und ich möchte, daß auch Sie noch etwas von mir wüßten. Aber wahrscheinlich haben Sie dieses vergessen; unter der großen Menge Fremden, die immer den Ort besuchen, ist es schwer, einige zu unterscheiden. Ich freue mich der Hoffnung, Sie Alle zu sehn, recht herzlich; dann, denke ich, sollen Sie mir nicht so fremd bleiben, meine Geliebten! Könnte diese Zeit bald kommen! Meine Schwester, die mich, die Schiller liebt, sagt auch Ihnen die herzlichsten Grüße. Meine Mutter würde mir diesen Auftrag auch geben, wenn sie wüßte, daß ich Ihnen gerade jetzt schreibe. Seit vier Wochen sind wir von ihr getrennt, und leben diesen Winter hier; wir sind auch Jena einige Stunden näher, und dies macht uns viel Freude, und ist zu unserm Glück nöthig, daß wir oft Nachricht haben können von einander und uns auch öfter sehn. Leben Sie nun wohl, meine theuersten Eltern. Ich erbitte mir noch einmal Ihre Liebe, Ihren Segen zu unsrer Verbindung. Die lieben Schwestern umarme ich herzlich, und bitte sie, mich gern als ihre Schwester zu lieben.

Ihre

Lotte v. Lengefeld.


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