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V.
Vermählung

Am 22. Februar 1790 fand die Trauung statt, nachdem alle damals recht umständlichen Formalien der Kirche gegenüber erfüllt waren. Wenige Tage vorher hatte Schiller die beiden Schwestern in Erfurt abgeholt, am Vormittag fuhr man der von Rudolstadt kommenden Mutter bis Kahla entgegen, und nachmittags um 5 Uhr hielt der Wagen mit dieser kleinen Hochzeitsgesellschaft vor dem Kirchlein des Dorfes Wenigenjena. Ein junger Theolog Kantischer Richtung hielt die einfache Traurede. Ohne Gepränge, ganz in der Stille, wie sie es gewünscht hatten, nur in der reichen Seele die Größe des Augenblicks empfindend, wurden Friedrich Schiller und Charlotte von Lengefeld für das Leben verbunden. Dann ging es mit Mutter und Schwester nach Jena, und der Abend floß in traulichem Beisammensein dahin.

Die jungen Eheleute begründeten noch nicht einen eigentlichen Hausstand. Schiller hatte bis dahin eine Junggesellenwohnung in der sogenannten »Schrammei« innegehabt, einer großen, gut gehaltenen Studentenherberge, die von zwei tüchtigen Frauen, den Demoiselles Schramm gehalten wurde. Zu den bisherigen Zimmern mietete er einige hinzu. Die Damen Schramm, besorgten die Mahlzeiten, an denen sich ein auserlesener Kreis junger Leute, die durch Schillers Ruf und durch die von Prof. Reinhold vorgetragene Kantische Philosophie nach Jena gezogen waren, beteiligte. Erst 1793 haben Schiller und seine Frau eine eigene Wohnung mit vollständig eigener Wirtschaft bezogen.

Stilles Glück umfing die beiden. Wir haben zahlreiche Äußerungen Schillers aus diesen Tagen. »Was für ein schönes Leben führe ich jetzt!« schreibt er an Körner. »Ich sehe mit fröhlichem Geiste um mich her, und mein Herz findet eine immerwährende, sanfte Befriedigung außer sich, mein Geist eine so schöne Nahrung und Erholung. Mein Dasein ist in eine harmonische Gleichheit gerückt; nicht leidenschaftlich gespannt, aber ruhig und hell gehen mir diese Tage dahin.« Auch nach der Solitüde zu den alternden Eltern, die soviel Sorge um das Glück des einzigen Sohnes gehabt hatten, flogen beglückte Briefe: »Ich lebe die glücklichsten Tage, und noch nie war mir so wohl, als wie jetzt in meinem häuslichen Kreise.« Und wie es in Charlottens Seele aussah, mag ein Brief zeigen, den sie im Hochsommer, ihrem Mann nach Rudolstadt vorausgereist, schrieb: »Wie klar fühle ichs täglich und jetzt, daß nur bei Dir, nur unter Deinen Augen das Leben mir liebliche Blüten geben kann. Arm und leer wäre mein Herz ohne Dich. Mein besseres Leben lebe ich nur bei Dir. Ach das Scheiden auf stundenlang thut mir schon weh, und vollends auf Tage!«

So webte um Schillers Haupt der Zauber einer glücklichen Ehe. Die Frau, die ihm dieses Glück bot, verdient den Dank des deutschen Volkes; denn nur auf dem Grunde dieser Ehe konnten die großen Schöpfungen erwachsen, die Kleinode unserer Bildung. Alle anderen Einflüsse, selbst der Goethes, reichen nicht heran an das stille tägliche Walten dieser Frau, die in feinem Verständnis sich ihm erschloß, wenn er Mitteilung begehrte, und mit zartem Sinne zurücktrat, wenn die großen Gedanken sich zum Licht emporrangen; die ihn hegte und pflegte in den bangen Tagen der Krankheit und die uns dieses Leben bis an die äußerste Grenze der Möglichkeit erhalten hat.

Es ist nicht möglich, Charlottens Leben in dieser Ehe zu erzählen, ohne ein Bild von Schillers Leben aufzurollen. Und das kann nicht die Aufgabe dieses Buches sein. Alles was sie ihm gewesen ist, erschöpft sich in dem einen, daß sie im höchsten und besten Sinne seine Lebensgenossin war, in Freud und Leid gleich beständig, daß sie zu ihrem Teile jenen Begriff der Ehe dargestellt hat, der über allen Wechsel der Zeitanschauungen erhaben ist: völlige Einheit in der Zweiheit. Schiller hat mehr als einmal den Gegensatz und die gegenseitige Ergänzung der Geschlechter in seinen Dichtungen dargestellt; seiner dialektischen und zu Antithesen neigenden Natur gemäß hat er das Charakteristische des Verhältnisses in dem Gegensatz von stark und zart, von Kraft und Milde, von Leidenschaft und Stille gefunden; immer aber hat er das Wesentliche der Wirkung, die die Frauen auszuüben bestimmt sind und fähig sein sollen, darin gefunden, daß sie nicht wie der Mann durch ihre Einzelleistungen etwas sind, sondern durch ihre Persönlichkeit, durch die Geschlossenheit ihres Wesens, die füllend und beruhigend in diesem Chaos wirkt. Das ist es, was er mit dem holden Zauber meint, den ihre bloße Gegenwart schon ausübt. Diese Züge sind zweifellos von Charlotte von Lengefeld genommen, wie auch sie das Muster gewesen ist zu den unvergleichlichen und unvergänglichen Worten, mit denen er in der Glocke das Verhältnis der Geschlechter ausdeutet.

Schiller und Lotte haben sich in Jena bald der freundlichen Teilnahme weiterer Kreise zu erfreuen gehabt. Im Hause des Kirchenrats und Theologieprofessors Griesbach gingen sie aus und ein; Frau Griesbach die in dem Briefwechsel aus uns unbekannten Gründen meist »der Lorbeerkranz« genannt wird, hatte schon früher den jungen Professor bemuttert und ihm auch wohl eine Frau aussuchen wollen; jetzt nahm sie sich gleichwohl der Frau von Schillers eigener Wahl mit großer Herzlichkeit an. Ein schwäbischer Landsmann, Paulus, Professor an der Universität, der Jurist Hufeland, der Arzt Starke, der in späteren Tagen seine Kunst so oft an Schiller zu Ehren bringen mußte, alle standen in freundlichen Verkehrsbeziehungen zum Schillerschen Hause. Dazu kamen die jungen Leute, von denen ich oben sprach: Friedrich von Hardenberg (der spätere Novalis), Erhard aus Nürnberg, Karl Groß aus Livland, der Schwabe Graß, von Fichard aus Frankfurt. Am nächsten standen Charlotten Fritz von Stein, der Sohn Charlottens von Stein, für den ja Goethe soviel Interesse gezeigt hat, und der Rheinländer Bartholomäus Fischenich, der nachher eine glänzende Laufbahn im preußischen Staatsdienste machte. Mit diesen beiden ist Charlotte auch im Witwenstande, wie wir später darstellen werden, in beständigen, herzlichen Beziehungen geblieben.

Das erste Jahr der Ehe ging in heiterer Freude und großer Tätigkeit dahin. Aber dann kamen dunkle Wolken. Ein furchtbarer Krankheitsanfall, eine Lungenentzündung, warf Schiller auf das Krankenlager. Einen Augenblick glaubte er sterben zu müssen: es war der Moment, wo er sich die Bleifeder geben ließ und auf ein Papier die Worte schrieb – die Sprache war ihm benommen –: »Sorget für eure Gesundheit, ohne sie kann niemand gut sein.« Mehrere ähnliche Anfälle traten in größeren Zwischenräumen auf. In solchen Tagen zeigte sich, was Charlotte war. »Wohl Dir,« schreibt Körner an seinen Freund, »daß Du eine so brave Gattin hast. Ohne ihre große Sorgfalt hättest Du schwerlich gerettet werden können.« Und wie sehr gerade Schiller um ihretwillen am Leben hing, zeigen die Worte an Körner: »Alles Leiden, was ich in diesem Momente fühle, verursachte der Anblick, der Gedanke an meine gute Lotte, die den Schlag nicht würde überstanden haben.« Eine Stelle aus einem spätern Briefe, 1805, des Livländers Karl Groß zeigt uns eine Szene aus jenen Krankheitstagen:

»Erinnern Sie sich eines Augenblicks, der mir unvergeßlich ist, als Schiller in Rudolstadt so krank war: Ich befand mich in seinem Zimmer und hatte, indem ich am Fenster stand und las, mir das Bild des Leidenden und das Edle und Große, welches seine Form und seine Züge umschwebte, tief eingeprägt. Er hatte, soviel ich weiß, etwas Opium genommen, die heftigen Krämpfe zu stillen, und lag da, leicht entschlummert, wie ein Marmorbild. Sie befanden sich im Nebenzimmer, wo ich Ihnen die Schillersche Übersetzung des vierten Buchs der Äneide vorgelesen hatte und von Zeit zu Zeit kamen Sie an die Tür, sich nach Schillern umzusehen. Sie sahen ihn also da liegen und nahten leise auf bloßen Strümpfen, und ebenso leise knieten Sie mit gefalteten Händen vor sein Bett hin. Ihr loses dunkles Haar floß über die Schulter. Still weinte Ihr Auge. Sie hatten es wohl kaum bemerkt, daß noch jemand im Zimmer war. Der ohnmächtige Kranke schlug indessen die Augen auf. Er erblickte Sie; mit Leidenschaft umschlangen plötzlich seine Arme Ihr Haupt, und so blieb er auf Ihrem Nacken ruhen, indem ihn die Kraft von neuem verließ. Verzeihen Sie, daß ich's wagte, Ihnen eine Szene zu schildern, die so heilig und himmlisch war, daß nur Unsterbliche sie belauschen sollten. Begreifen Sie nun, daß ich Schiller und Sie nie vergessen konnte?«

Diese Krankheitsanfälle, die ihnen folgenden Schwächezustände und ein Kuraufenthalt in Karlsbad im Spätsommer 1791 hatten die üble Folge, daß die Einnahmen, auf die Schiller bei guter Gesundheit aus dem Gebrauch seiner Feder hatte rechnen können, ausblieben. Und nun klopft noch eine andre Sorge an die Tür, grau wie die Krankheit selbst. Es muß schlimm bestellt gewesen sein, denn man wandte sich an den Herzog um eine Erhöhung der »Pension«. Karl August konnte sich nach der Lage seiner eigenen Verhältnisse auf eine dauernde Verbindlichkeit nicht einlassen, schickte aber eine größere einmalige Summe mit folgendem Briefe, der das nun schon langjährige freundliche Interesse des Fürsten für Charlotte deutlich zeigt:

»Hoffentlich, liebes Lottchen, wird der Krankheitszustand Schillers nicht von Dauer sein und er sich sobald wieder erholen, daß sein Geist, von den Unregelmäßigkeiten des Körpers befreit, wieder im Stande sein wird, für die Bedürfnisse des wiederhergestellten Begleiters zu sorgen. Da der Mangel der Einnahme hoffentlich nur ein Jahr dauern wird, so schicke ich Ihnen soviel als etwa nötig sein möchte, die Lücke auszufüllen, welche nach Abzug des Zuschusses Ihrer Frau Mutter und meiner Pension noch an dem Notwendigsten übrig bleiben möchte. In einem Jahr wird es sich zeigen, wie alsdann die Umstände sein werden, und alsdann werden sich Mittel finden, den Gang der Dinge bequem fortzusetzen.«

Da kam bald nachher das Anerbieten zweier großherziger Männer, des Herzogs von Augustenburg und des Grafen Schimmelmann. Es war wieder wie eine Fügung; im Augenblick höchster Not Hilfe von ganz fremder Seite, wie einst Körners Brief nach Mannheim.

Wir wissen, welche Wirkung diese Sendung auf Schiller ausübte. Er atmete auf. Mit alten Wünschen, die nun erfüllt werden konnten, stiegen Heiterkeit und auch eine gewisse fröhliche Zuversicht auf die Gesundung auf. Nun führte Schiller zunächst seine Frau nach Dresden, um sie in längerem Zusammensein mit Körner bekannt zu machen. Es hatte anläßlich der Verlobung eine leichte Erkaltung zwischen den Freunden stattgefunden, einmal weil Schiller ihm nicht von vornherein alles über die werdenden Beziehungen mitgeteilt hatte, und sodann auch wohl, weil die Frauen des Körnerschen Kreises doch einer ganz anderen gesellschaftlichen Welt angehörten und sie sich für Schiller nicht gerade einer adligen und in einem gewissen geistig exklusiven Kreise lebenden Braut versehen hatten. Aber das war nur eine vorübergehende Stimmung gewesen, und die offene Aussprache hatte, wie immer, alles beseitigt. Als sie dann von Dresden zurück kamen, erhielten sie den Besuch von Schillers Mutter und jüngster Schwester Nanette. Alte Erinnerungen wachten in Schiller auf; langgehegte Sehnsucht, die Heimat wiederzusehen, ergriff ihn mit großer Gewalt; und wenn Mutter und Schwester nun einen Einblick in sein glückliches Eheleben getan hatten, so sollte auch der Vater dessen Augenzeuge werden. In Charlotte war die Neigung groß, Schwaben wiederzusehen und nun mit ganz anderen Empfindungen die Stätten wiederzubetreten als einst, da sie auf dem Wege nach der Schweiz als Touristin auf der Solitüde gewesen war. Überdies versprach sie sich, gestützt auf das Urteil ihres Arztes, von einem Aufenthalt im württembergischen Klima für ihren Gemahl die beste Wirkung und war auch dem Gedanken geneigt, unter der Fürsorge von Schillers Jugendfreund, des nunmehrigen berühmten Arztes von Hoven, ihr erstes Wochenbett abzuhalten – denn im Frühjahr 1793 war es ihnen zur beglückenden Gewißheit geworden, daß sie der Geburt eines Kindes entgegensehen durften.

So zog man denn nach Schwaben. Es ist bekannt, welche Bedeutung der längere Aufenthalt in der alten Heimat für Schiller gehabt hat. An allem hat Charlotte regsten Anteil genommen. Der alte Vater kam ihr mit ebenso rührender Herzlichkeit entgegen, wie die Mutter und die Schwägerinnen. Der Vater hatte schon am letzten Geburtstag des Sohnes seinem vollen Herzen Ausdruck gegeben: »Teuerste Frau Tochter, ich wende mich jetzt an Sie und danke Ihnen mit dem wärmsten Gefühl eines Vaters für alle Ihre Liebe und Sorgfalt, die Sie Ihrem lieben Gatten, unserem Sohn, erwiesen, und die Sie auch für uns haben. Gott segne Sie mit aller Fülle seines Segens.« Zunächst ließ man sich in Heilbronn, dann in Ludwigsburg nieder. Hier gebar Charlotte am 14. September 1793 ihren ersten Sohn. »Wünsche mir Glück,« ruft Schiller nach Dresden, »ein kleiner Sohn ist da!« Umgeben von Liebe und Freundschaft – auch Schwester Karoline war in der Nachbarschaft – hat die junge Mutter ihres Kindes gewartet. Wir überlassen ihr Verhältnis zu ihren Kindern einem späteren Kapitel.

Mit einem Gemisch von Freude und Sorge mag Charlotte die neuen Beziehungen verfolgt haben, in die ihr Mann hier in Schwaben trat, besonders in Stuttgart, wohin man im Frühjahr 1794 übersiedelte. Alles huldigte ihm, und diese Huldigungen galten dem berühmten Landsmann in mindestens gleichem Maße wie dem berühmten Schriftsteller. Aber auch Anträge gelangten an ihn, die Charlotte mit Unruhe erfüllten, so das weitausschauende Projekt der Allgemeinen Zeitung Cottas; trat Schiller an die Spitze eines so großen, im wesentlichen politischen Unternehmens, so war Gefahr, daß er seiner eigentlichen Bestimmung entfremdet wurde, denn das wußte Charlotte deutlicher als irgend jemand, daß Schiller Künstler in erster Linie, und nicht Historiker oder Politiker war. So mag die endlich nach längerem Schwanken erfolgte Ablehnung Schillers wohl auch auf den Rat Charlottens erfolgt sein. Und jedenfalls waren mit der Redaktion der Horen, die ihm Cotta dann anbot, solche Bedenken nicht verknüpft.

Die Rückkehr nach Jena erfolgte im Mai 1794. Charlotte war froh, daß größere Räume sie hier empfingen: Schiller hatte von Ludwigsburg aus ein stattlicheres Haus gemietet. Dies haben sie bewohnt bis zum Ankauf des Häuschens am Leutrabach (1797) mit der »hohen Gartenzinne«, von der Goethe in seinem Epilog zur Glocke spricht.

Das große Ereignis der folgenden Zeit ist der Eintritt näherer Beziehungen zwischen Schiller und Goethe. Charlotte hatte das schon lange sehnlich gewünscht. Jenes erste Zusammentreffen der beiden Männer im Beulwitzischen Hause in Rudolstadt (1788) hatten sie und Karoline veranlaßt; mehr als einmal tritt in der Korrespondenz der Wunsch hervor, Schiller möge mit dem gefeierten Mann Beziehungen suchen. Aber Schiller hatte dazu keine rechte Neigung gehabt, wohl in dem Gefühle, daß er bei Goethe wenig Entgegenkommen finden werde. Auch die Übertragung der jenaischen Professur hatte keine eigentliche Annäherung gebracht, und die nicht vermeidlichen persönlichen Begegnungen hatten sich auf amtliche und indifferente Gespräche beschränkt. Nun kam, es war im Sommer 1794, der von Lotte langersehnte Augenblick. Charlottens und ihres ganzen Kreises Zuneigung zu Goethe war sehr groß. Seit ihren frühen Mädchenjahren stand er als leuchtendes Gestirn am weimarischen Himmel. Frau von Stein, die intime Freundin des Lengefeldischen Hauses, hatte durch ihre Erzählungen von ihm seine Gestalt lebendig und groß hingestellt und ihm selbst Interesse für Lotte und Karoline eingeflößt. Als die Beziehungen zwischen ihr und Goethe erkalteten, als Christiane ihm mehr wurde, als die weimarischen Kreise verstehen konnten oder wollten, da ist doch, soweit wir aus vorhandenen brieflichen Äußerungen schließen können, die Neigung der beiden Schwestern zu Goethe nicht geringer geworden. Man bedauert ihn, man spricht wohl gar von seinen »elenden häuslichen Verhältnissen« – ein Echo von Frau von Steins Urteilen –, aber persönlich bleibt die tiefe Verehrung für Goethe. Wunderlich genug: Schiller hat oft bei Goethe gewohnt, auch Charlotte war zuerst ernstlich mit eingeladen, aber sie hat es nie über sich vermocht, so zuwider war ihr der Gedanke, der Gast der Vulpius, des »Liebchens« – es ist der beliebte Ausdruck in den Briefen – zu sein. Auch wenn Schiller bei Goethe wohnte, bekam er Christiane nie oder kaum zu Gesicht. Aber das alles vermochte nicht im geringsten die Gefühle der Schwestern für Goethe zu beeinflussen. Goethe selbst hatte auch Charlotte gern; er nannte sie von alters her Lolo und hatte sie wohl einst sogar im Schlitten gefahren. Und später, als sie die Frau des Freundes geworden war, blieb das Verhältnis; es hatte einen leichten Anstrich von dem eines väterlichen Gönners. Er schickte wohl einmal ein Geschenk, ein hübsches Möbelstück, das er irgendwo gesehen hatte, oder auch etwas für die Küche, einen Fisch und dergleichen.

Der großen Geistesgemeinschaft zwischen Schiller und Goethe Zeugin ist nun Charlotte gewesen. Sie nahm zunächst mit inniger Freude wahr, daß die neue Welt von Ideen, die sich ihrem Manne erschloß, auf sein ganzes geistiges Wesen den vorteilhaftesten Einfluß ausübte. Goethe hat von seinem Bekanntwerden mit Schiller gesagt, daß es ihm einen »neuen Frühling« gegeben habe; aber ähnlich war auch die Wirkung für Schiller selbst. Nun entstehen die Xenien, die Balladen. Tagelang sind sie zusammen, am Steintisch in Schillers Garten sitzend, in Gespräche vertieft über die höchsten Probleme nicht nur der Kunst, sondern auch des Lebens. Und dann trat für Schiller jene Rückkehr zum Drama ein, die ihn auf die Höhe seiner Leistung und seines Ruhmes führen sollte. An alledem hat Charlotte den nächsten Anteil genommen, nicht bloß hörend oder gar bewundernd, sondern urteilend, ratend. Was Schiller schrieb, las er ihr im Entwurf stets vor, und wir wissen, daß er auf Lottens Urteil viel gab; vielleicht sogar mitunter etwas zu schnell nachgebend, wie denn die Einfügung der Paricidaszene in den Tell lediglich Lotten zu Gefallen erfolgt ist.

Die mit den Arbeiten am Wallenstein neuerwachten Beziehungen Schillers zur dramatischen Kunst ließen in ihm den Wunsch rege werden, in Weimar zu wohnen und so dem Theater nahe zu sein; auch Goethe empfand das Bedürfnis den Freund näher zu haben. So siedelte die Familie im Jahre 1799 nach Weimar über. Es wurde Lotte nicht schwer. Die Jenenser Gesellschaft hatte nach dem Weggange mehrerer alter Freunde ein anderes Gesicht bekommen; die mannigfachen Beziehungen zu Weimar hatten sie selbst auch die Entfernung manchmal lästig empfinden lassen; liebe Freundinnen wohnten ihr gerade in der Residenz, und schließlich war auch für die Kinder in mehr als einer Richtung hier besser gesorgt.

Die Weimarer Jahre sind der Höhepunkt auch in Charlottens Leben gewesen. Hier sah sie des Mannes große Tätigkeit und durfte mit teilnehmen an den glänzenden Erfolgen, an dem steigenden Ruhm. Was an Einzelheiten aus dieser Zeit für Charlottens Leben interessant ist, läßt sich bald erzählen. Im Jahre 1801, auf der Rückkehr von Dresden, war sie mit Schiller bei der ersten Aufführung der Jungfrau von Orleans in Leipzig und erlebte eine jener Szenen mit, die mehr als alles andere die ungeheure Volkstümlichkeit des großen Dramatikers zeigen. Das Haus war bis auf den letzten Platz gefüllt. Schon nach dem ersten Akte erhob sich ein wahrer Tumult des Beifalls; dann lösten sich Rufe los: »Es lebe Friedrich Schiller!« und die ganze Menge griff den Ruf auf, Trompeten und Pauken fielen ein. Schiller trat an den Rand seiner Loge und verneigte sich. Nicht alle hatten ihn erblicken können. Kaum war das Stück beendet, da strömte das Volk hinaus und füllte den breiten Platz vor dem Schauspielhause und erwartete den Dichter. Er trat hinaus. Alles wich ehrerbietig zurück, eine Gasse bildete sich, alle Häupter entblößten sich und Schiller schritt durch die Menge. Wenn er vorbei war, dann hoben die Väter ihre Kinder empor und flüsterten ihnen zu: »Seht, das ist er.«

Und dann noch ein solcher Höhepunkt! Im Jahre 1804 begleitete Charlotte mit ihren zwei kleinen Söhnen den Gemahl nach Berlin. Sie war hier Zeugin der enthusiastischen Huldigungen auf der Straße und im Schauspielhause, und ihr Herz mochte höher schlagen im Angesicht von Preußens großer Königin, die die Familie empfing und sich so viel Mühe gab, um den Dichter dauernd an die Hauptstadt zu fesseln. Wenn aus diesem Plane, der für Schiller selbst so viel Verlockendes hatte, nichts geworden ist – die Gründe sind noch immer nicht alle und die erkennbaren noch nicht ganz aufgeklärt – so mag allerdings Charlotte mit den Anlaß dazu gegeben haben. Wie einst in ihrem Vater (vgl. S. 2 ff.) das Heimatsgefühl mehr vermochte als das glänzende Anerbieten Friedrichs des Großen, so war auch Charlotte der Gedanke schmerzlich, die alte Heimat verlassen zu sollen. Aber sie hat dieses Gefühl wacker bekämpft und während des Berliner Aufenthaltes nichts davon merken lassen. Als aber den Zurückfahrenden die ersten Berge Thüringens erschienen, da brach sie plötzlich in lautes Schluchzen aus; sie konnte nach all der Aufregung sich nicht mehr bezwingen. Schiller verstand das; zu den anderen Erwägungen, die gegen Berlin sprachen, hat er diese Tränen geworfen, und er blieb. Die Einheit des Ortes in dem großen Schauspiel Goethe-Schiller blieb gewahrt.

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Charlotte von Schiller, geb. von Lengefeld. Zeichnung von Charlotte von Stein aus dem Jahre 1791.

Für Charlotte ist ganz besonders aber noch die Rücksicht auf die Gesundheit ihres Mannes entscheidend gewesen; sie fürchtete mit Recht, daß das städtische, bewegte Leben ihm nicht gut tun werde. Denn die Krankheitsanfälle hatten, wenn nicht an Stärke, so doch an Häufigkeit zugenommen. –

Werfen wir nun einen Blick in die Häuslichkeit Schillers, in der Charlotte ihre eigentliche Lebensbestimmung sah. Die Einrichtung des Hauses auf der Esplanade (des jetzigen Schillerhauses an der Schillerstraße) war äußerst einfach, viel einfacher, als es nach den jetzt darin stehenden und vielfach erst später gestifteten Möbeln und Teppichen scheinen mag. Einige gewöhnliche Stiche, drei farbige Lithographien hingen an den Wänden. Im Arbeitszimmer stand ein Spinett, an dem Lolo oft auf den Wunsch des Gatten niedersaß und einfache Lieder spielte und sang, so z. B. das Lied: j'attends mon bien-aimé, das Schiller besonders liebte. Die Fenster, wenigstens im Arbeitszimmer, waren mit roten Vorhängen versehen; Schiller behauptete, daß der rote Schein ihn beim Arbeiten anrege. Neben diesem Zimmer war ein größeres, in dem Charlotte sich meistens aufhielt, wenn des Tages Arbeit beendet war und die Kinder schliefen. Die Türen standen stets offen, und Schiller liebte es, immer, wenn er eine Szene beendet hatte, zu kommen, um sie seiner Frau vorzulesen; er änderte oft nach ihrem Urteil. Auch scheint es, daß sie bei den Vorarbeiten ihm mancherlei Hilfe geleistet hat; Charlotte las unendlich viel und wählte ihre Lektüre nach den jeweiligen Beschäftigungen und Bedürfnissen Schillers. Ganz besonders tatkräftig ist dieser Einfluß Charlottens beim Wilhelm Tell gewesen. Sie hatte, seit sie in der Schweiz gewesen war, lebhaftes Interesse für dieses Land und seine Bewohner behalten. Noch als Braut las sie die Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von Johannes Müller mit leidenschaftlichem Anteil und begeisterte sich glühend für die Tat des Arnold von Winkelried. Sie hatte selbst die Gletscher gesehen und die Matten und die rauschenden Bergströme, die den Hintergrund des Schauspiels bilden sollten. Wir wissen, daß die große Anschaulichkeit der Schilderung der landschaftlichen Umwelt im Tell nicht hauptsächlich auf Tschudi und Scheuchzer, sondern auf Charlotte und auf Goethe zurückgeht, der im Gespräche mit der jüngeren Freundin so oft angenehme Reiseeindrücke neu zu beleben liebte.

Auch in Stunden, da Schiller, von körperlichen Leiden heimgesucht, die dichterische Arbeit liegen lassen mußte, war sie, zumal solange die Kinderschar noch nicht zu viel Ansprüche machte, um ihn. Besonders durch Vorlesen lenkte sie ihn ab. Es war ein glückliches Zusammentreffen, daß auch Lotte von jeher dieselben Stoffgebiete für Unterhaltungslektüre bevorzugte, die Schiller immer wieder anzogen: Geschichte und Geographie. Ganz besonders Reisebeschreibungen waren ihnen lieb; und je ferner die Länder, je abenteuerlicher die Fahrten, desto besser.

Das Hauptinteresse beider Eltern aber war den Kindern zugewandt. Sie haben deren vier gehabt, zwei Söhne und zwei Töchter: Karl (14. September 1793), Ernst (11. Juli 1796), Karoline (11. Oktober 1799), und Emilie (25. Juli 1804). Schiller hat den beglückenden Einfluß des Familienlebens in der Glocke geschildert, und diese Schilderung ist in Millionen deutscher Herzen lebendig; er hat ihre Wahrheit aus sich selbst und an sich selbst erfahren. »Sie lehret die Mädchen und wehret den Knaben,« hat er der Kinderstube im eigenen Hause abgelauscht. »Ich habe schon Mühe die gewaltthätigen Knaben zu zügeln,« schreibt Charlotte einmal scherzend an einen Freund. In den erzieherischen Grundsätzen waren übrigens Mann und Frau ganz einig; es waren die selbstverständlichen Ergebnisse gleicher, durchaus liberaler Weltanschauung: Kräfte, die sich regen, sich entwickeln zu lassen, nicht einzuzwängen, was kraftvoll fließen will, höchstens mit ruhiger Hand zu regeln, vor allen Dingen nicht durch Furcht die Kinder zu regieren. »Man könnte den Menschen zum halben Gott bilden, wenn man ihm durch Erziehung alle Furcht zu benehmen wüßte.«

Einzelne Briefstellen lassen uns liebliche Blicke tun in das Verhältnis zu den Kindern. Wenn Schiller einmal, um ruhiger arbeiten zu können, nach Jena oder in ein stilles Thüringer Walddorf, oder Lotte zu Besuch nach Rudolstadt gefahren war, dann gingen wieder die »Briefe und Billetts« hin und her, harmlose und reizvolle Nachrichten aus dem Kleinleben enthaltend. »Der kleine liebe Sohn schläft. Er sieht sich immer sehr um, wenn ich frage, wo ist Papa« (1794). »Guten Morgen, Lieber, ich hoffe Dir ist wohl, der kleine liebe Sohn wird nun bald noch Zähne bekommen, auch im Schlaf greift er sich im Mund. Er ist gar artig, alle Morgen weckt er mich, und legt sein Köpfchen so freundlich an. Auch alle Menschen, die er sieht, lacht er an, bis auf die Garde-Reiter vor den Zimmern (im Rudolstädter Schlosse) und freut sich über alle Hottos« (1704). »Er legt sein Köpfchen so artig an die chère mère, wenn man fragt, wo ist Großmama. Auch geht er fleißig am Laufband. Übrigens schlägt er auch oft, und hat letzt die Herzogin geschlagen, und macht mit niemand Komplimente« (1794). »Lolo grüßt chère mère aufs beste; der kleine Kaka (Karl) machte große Augen über das Brüdergen und kann sich noch nicht recht darein finden« (1796, Schiller nach Ernsts Geburt). »Das Ernstgen sehe ich immer im Geist, und jedes Kind, das ich sehe von seinem Alter, rührt mich« (1798, Lotte an Schiller von Rudolstadt aus). »Ernst ist ein lieber Junge, er hat sich heute recht ordentlich bei mir beschäftigt und mich gar nicht gestört« (1799, Schiller an Lotte). »Der Ernstli ist gestern mit mir herumgezogen und ganz ernsthaft und feierlich neben der Großherzogin hergegangen, sie hat ihn ins römische Haus (im weimarischen Park) geführt, das hat ihn gefreut. Er spricht sehr oft vom Papa, und wenn er eine Kutsche sieht, denkt er Du kämst wieder. Der gute Karl hat eine große Sehnsucht Dich zu besuchen und ich habe ihm gestern den Wald (bei Ettersburg) gezeigt, wo Du wohnst. Da freute er sich sehr« (1799, Schiller an Lotte). »So wohl es mir hier ist, so fehlst Du mir doch und mein Karl und das kleine liebliche Kind« (Karoline) (1800, Lotte an Schiller, sie war mit Ernst in Rudolstadt). »Grüße chère mère herzlich von mir, Karl empfiehlt sich, er ist jetzt in der Schule, sonst sollte er selbst schreiben« (1800, Schiller an Lotte). »Die Kinder machen mir viel Freude. Das Karolinchen ist allerliebst und äußerst erfinderisch in Tournüren, wenn sie gern etwas haben möchte und nicht fordern darf. Sie erzählt viel von der Mama, die in Rudolstadt sei und Sachen mitbringen werde. Bei Tische stößt sie jeden Tag ihr Glas an und läßt Mama leben« (1802). »Die Familie ist wohl, die kleine Emilie schläft ruhig und schreit weniger und ist behaglich, Karoline ist wohl und plappert nach ihrer Weise« (1804, Lotte an Schiller).

Fürwahr ein glückliches Familienleben leuchtet aus solchen Äußerungen, die wir beliebig vermehren könnten.

Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten sich seit der Übersiedlung nach Weimar recht günstig; Verleger und Theaterdirektionen sandten ansehnliche Honorarbeträge, hier mag ein Blick auf die finanzielle Lage des Haushaltes eingeschaltet werden, dem Charlotte vorzustehen hatte. Wir wissen, daß der Anfang mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Das geringfügige Gehalt reichte bei weitem nicht aus zur Bestreitung der Kosten, so bescheiden auch die ganze Haltung des Lebens war. Daher hat die chère mère in den ersten Jahren einen regelmäßigen Betrag zugeschossen, hundertundfünfzig Taler. Den Rest mußte Schiller durch seine Feder verdienen. Unter solchen Umständen kann man leicht ermessen, wie schwer die Sorge drückte, wenn er Tage und manchmal auch ganze Wochen lang durch Krankheit von aller Tätigkeit zurückgehalten wurde, und welche erlösende Wirkung das hochherzige Anerbieten des Herzogs von Augustenburg haben mußte. Dazu kam, daß Schiller von früherer Zeit her nicht unerhebliche Schulden (die genauen Beträge sind nicht zu ermitteln) abzutragen hatte; die ersten datierten noch in die Stuttgarter Zeit zurück, und wenn er auch dieser bei der Übersiedlung von Mannheim nach Leipzig durch Körners Dazwischentreten sich hatte erledigen können, so behielt er doch noch andere Verbindlichkeiten genug. Die dänische Zuwendung – tausend Taler aus drei Jahre – befreite ihn davon zum wesentlichen Teile. Aber erst seit der Verbindung mit Cotta (1793/94) trug seine schriftstellerische Tätigkeit solche Früchte, daß er nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit den Anforderungen der Gegenwart sich abfinden konnte. Wir können aus erhaltenen Rechnungen und Kostenanschlägen, die Schiller öfters am Schlusse des Jahres in seinen Kalender einzutragen pflegte vergl. Dr. E. Müller, Schillers Kalender. Stuttgart, Cotta 1893., und aus verstreuten Notizen manches über die Finanzverhältnisse Schillers und auch über die Kosten des Haushaltes erfahren. Sowohl Schiller selbst als Charlotte waren durchaus sparsam, auch in der Zeit, als die Einkünfte reichlich flossen, und das Rechnungswesen des Hauses war gut geordnet. Man macht sich oft ganz falsche Vorstellungen von den Kosten des Lebensunterhaltes in jener Zeit; freilich, die Preise der meisten Lebensbedürfnisse waren bescheidener als heute, aber, wenn man die seitdem eingetretene Verminderung des Geldwertes in Anschlag bringt, wird man zugestehen müssen, daß wir heute in vielen Beziehungen billiger leben. Es gab keine Steinkohlen, man brannte nur Holz, und dadurch wie durch die leichte Bauart der Häuser und die unrationelle Konstruktion der Öfen kostete die Heizung sehr viel mehr als sie heute bei gleich großen Räumen kostet. Wir besitzen eine Berechnung des Holzbedarfes aus dem Jahre 1802 von Schillers eigener Hand, begonnen im Februar und abgeschlossen am Ende des Jahres; danach hat man verbraucht an Fichten-, Eichen-, Buchen- und Erlenholz für 106 Taler 18 Groschen, d. h. 319 Mk. 80 Pf., was nach dem heutigen Geldwertstande etwa dem doppelten Betrage gleichkommt. Auch die Kleidung wenigstens die der Männer, kostete mehr als heutzutage; die Preise der Stoffe waren nicht nur absolut, sondern auch relativ teurer; es heißt im Kalender z. B. Ulmann Tuch zum Oberrock 25 Rtlr. 2 Groschen (= 77 Mk.); recht erheblich erscheinen die Posten für Strümpfe (10 Paar = 10 Rtlr. 15 Gr. = 31 Mk. 50 Pf.). Dazu kam, daß der Verkehr am Hofe seidene Eskarpins und seidene Westen nötig machte. Recht teuer waren auch die Lebensmittel, Kaffee tritt im Kalender auf das Pfund zu 12 Gr., Zucker sogar das Pfund zu 7½ Gr. (= 75 Pf.). Die Bedienung war billig, der Wert der Menschenkraft ist vielleicht der einzige, der seit jenen Tagen eine erhebliche Steigerung erfahren hat; Schiller hielt einen Diener (Gustav Rudolph), ein Hausmädchen (die in allen Verrichtungen trefflich erfahrene, aus Schwaben mitgebrachte Christiane Wenzel) und eine »Jungfer«; der erstgenannte erhielt jährlich 40 Taler, die beiden Mädchen zusammen 42 Taler. Ein unsere Leserinnen interessierendes Blatt aus dem Kalender Schillers, dessen Überschrift von Charlottens Hand geschrieben ist, setze ich hierher. Es enthält nicht alle Haushaltposten, gewährt aber doch einen deutlichen Einblick in manches.

Berechnung für Wirtschaftsausgaben im Jahre 1802:

Jährlich Wirtschaft tags à 1 Rtlr. 11 Gr 525
Kleider für Lolo und Kinder 150
Zucker, Kaffee und Tee 75
Lohn u. Neujahr f. Christine u. Jungfer 42
Seife und Wäscherlohn 35
Bäcker 38
Lichter 35
  __________
  Fazit 900

 

Meine Auslagen:

Holz, Steuer, Brandkasse 125
Rudolphs Lohn und Kleider und Neujahr 40
Meine Kleider 75
Interessen dem Pachter 100
Unterricht der Kinder 20
Postgeld, Papier, Abschreiben 50
Tabak, Barbier, Apotheke 40
Trinkgelder und Ehrenausgaben 50
Wein und Bier 125
  __________
  625

 

In dieser Aufstellung fehlt natürlich noch mancherlei; es tauchen denn auch bei den einzelnen Monaten noch Posten auf wie: Für 42 Rtlr. 16 Gr. Mousselin und Battist an Ulmann bezahlt.

Schiller und Lotte liebten es, ganz wie das heute in fast jedem Haushalt geschieht, auf besonderen Blättern Überschläge für die Wirtschaft zu machen. Ein solches Blatt, das dem letzten Lebensjahre des Hausherrn angehören muß, lautet:

Ich brauche:

Wirtschaft 480
Zucker, Kaffee, Tee 60
Wein, 6 Eimer à 24 Rtlr 160
Holz, 16 Klafter 110
Lichter, 125 Pfd 30
Lohn und Neujahr 100
Mama 76
Kinderunterricht 36
Kleider in allem 175
Für mich und extra 70
  __________
  Fazit 1300

 

Ich empfange:

Fixe Besoldung 570
Jährlich ein Stück 650
Interessen von 2000 Tlr 80
  __________
  1300

 

(Zu den letzteren beiden Posten sei bemerkt, daß Schiller für das Stück, das er jährlich zu schreiben gedachte, das Buchhändler-Honorar ansetzte, dazu kamen noch Theaterhonorare, ferner daß die »Interessen« die Zinsen einer ländlichen Hypothek waren; er hatte also i. J. 1804 schon Ersparnisse untergebracht.) Von Interesse dürfte noch folgende Zusammenstellung des stattlichen Weinkellerinhaltes des Schillerschen Hauses vom 30. Juni 1804 sein:

 

Ganze Bouteillen halbe
Malaga 61
Bourgogne 35
Champagne 22
Weißer Portwein 10
Muskaten 4
Leistenwein 3
Ruster 17
Ödenburger 6
Frankenwein 34
Falerner 4
Rum 5

 

Dazu waren bestellt:

Am 7. Juli 1 Eimer Burgunder von Ramann 39 Rtlr.
am 17. Juli ½ Eimer desgl.
am 29. September 1 Eimer desgl.
am 29. September 1 Eimer Frankenwein von Niethammer.

 

Man sieht, in diesen letzten Jahren waren die Verhältnisse des Hauses recht behäbige geworden. Noch waren keine erheblichen Ersparnisse gemacht, aber Schiller sah solche für die nächsten Jahre voraus. Er hat einmal gegen Körner die Hoffnung ausgesprochen, das fünfzigste Lebensjahr zu erreichen, dann würde er die Zukunft seiner Frau und seiner Kinder sicher gestellt haben. Dieser Wunsch ist ihm nicht erfüllt worden; die Zukunft der Seinen aber war trotzdem bereits gesichert. Cotta hat Charlotten und den Kindern in späteren Jahren allmählich über 300 000 Mark Honorare gezahlt!

So wäre die Zukunft in hellem Lichte erschienen, wenn nicht die Kränklichkeit Schillers ihre Schatten auf all das Glück geworfen hätte.

Früher als irgend jemand vermutet hatte brach das Unglück herein.


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