Ernst von Wolzogen
Das dritte Geschlecht
Ernst von Wolzogen

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Die heisse Sonne eines strahlenden Septembertages brütete über der Kunststadt München. In der alten Pinakothek wimmelte es von Fremden, die mit dem Bädeker in der Hand ihrer Bildungspflicht genügten. Aber die Schwüle, die in den weiten Sälen herrschte, legte selbst den eiligsten Reisenden, die sonst in Geschwindschritt Museen zu durchqueren pflegen Zügel an, so dass sie bedächtig einherwallten wie Leute, die für vergangene Herrlichkeiten viel Zeit und auch sonst etwas übrig haben. Schliesslich war es hier immer noch erträglicher als draussen in der grellen Sonnenglut und man konnte doch von Zeit zu Zeit vor irgend einem Bilde, das in dem roten Allerweltsbuch mit einem oder mehreren Sternen ausgezeichnet war, in Andacht auf einem weichen Tabouret verschnaufen. Ziemlich gleichmässig durch die Hauptsäle verteilt, wälzte sich der Strom der Fremden träge dahin und warmer Menschendunst erfüllte die heiligen Hallen. Die fleissigen Kopisten, welche sonst immer kleine Kreise kritisch dreinblickender Zuschauer um sich zu versammeln pflegen, waren zu dieser Jahreszeit nur in ganz wenigen Exemplaren anzutreffen, da sie dann ja unter dem Vorwande von Naturstudien ihre Standquartiere in Wald und Feld zu beziehen pflegen.

In einem der dunkleren und darum kühleren Nebensäle des ersten Stockwerks, wo die altdeutsche Kunst untergebracht ist, trieb noch ein einsames Malweiblein sein Wesen. Ein feines, zierliches Persönchen in einem einfachen grünlichen Lodenrock und weisser, grün paspolierter Battistbluse. Sie stand vor ihrer Staffelei mit der Palette über dem Daumen und kratzte sich nachdenklich mit dem feinen Pinselstiele in dem üppigen, aschblonden Haar und dann schaute sie wieder hilfeflehend nach der so friedsam-einfältig dreinblickenden Madonna mit dem Kinde des biederen alten Meisters empor, welche sie sich abzumalen mühte. Ein ehrlicher Beurteiler hätte kaum mit gutem Gewissen behaupten dürfen, dass die Leistung dieses Malweibleins ein hervorragendes Talent verriete. Der blitzblanke Goldgrund war allerdings gut geraten, auch der Lilienstengel in der Hand und die Ornamente auf dem Gewande der Himmelskönigin , aber mit dem Inkarnat war es übel bestellt und in der Zeichnung von Augen, Mund und Nase mussten jedem Beschauer auf den ersten Blick gewisse bedauerliche Irrtümer auffallen. Die kleine feine Dame schien sich wohl bewusst zu sein, dass nicht alles ganz in Ordnung sei. Sie trat ganz nahe vor ihre Leinwand hin und dann wieder weit zurück und beäugte sie mit schief gehaltenem Köpfchen, seufzte, runzelte die weisse Stirn und versuchte mit einigen zaghaften Pinselstrichen der sonderbar verquollenen Nase eine madonnenmögliche Façon zu geben. Es half alles nichts. Da legte sie die Palette beiseite, setzte sich mit einem Seufzer auf den Rohrschemel, verschränkte die Hände über ihren Knieen und blinzelte müde nach dem weissverhangenen Fenster hin. Sie gähnte lang und herzhaft und dann bemerkte sie, dass ihr linkes Schuhband aufgegangen war und band sich eine neue Schleife. In braunem Glanzleder und durchbrochenem, seidenem Strumpf steckte der zierlichste kleine Fuss von der Welt und der war ein ebenso zweifellos vollendetes Kunstwerk wie die Nase ihrer Madonna ein zweifellos verunglücktes Kunstwerk war. Darauf zog die niedliche Malerin einen kleinen Handspiegel in Lederhülle aus der Tasche, beguckte sich aufmerksam darin und machte sich ein bischen was zu thun mit der Zurichtung ihrer Stirnlöckchen und ihrer seidenen Kravatte. Da hörte sie einen festen Männerschritt sich nahen, liess rasch den Spiegel wieder in die Tasche gleiten und nahm den Spachtel zur Hand. Obwohl sie sich nicht umwandte, fühlte sie ganz deutlich, dass der Mann, der da eben hinter ihrem Rücken die Schwelle überschritten hatte, keineswegs von den schlichten Reizen der alten deutschen Meister an diesen Wänden dermassen gefesselt wurde, dass er mehrere Minuten lang unbeweglich auf einem Flecke stehen blieb, sondern dass seine Blicke vielmehr an den feinen Umrissen ihrer eigenen Gestalt sich erbauten. Und sie kratzte an den geschwollenen Nasenflügeln ihrer Madonna herum, streckte das kleine Fingerchen mit dem Brillantring graziös dabei aus und neigte das Köpfchen bald nach rechts, bald nach links, was sich, wie sie wohl wusste, alles sehr niedlich ausnahm. Dann machte das Mannsbild hinter ihrem Rücken wieder einige Schritte und sie schielte ein klein wenig zur Seite. Ach, blos ein ganz junger, harmlos und gewöhnlich aussehender Jüngling ohne Bart, dagegen mit Wimmerln! Und das Malweiblein schabte eifrig weiter, ohne sich um hübsche Attitüden weitere Mühe zu geben.

Der Jüngling schritt weiter. Er drehte ihr jetzt den Rücken zu. Es war merkwürdig, wie rasch er mit der gegenüberliegenden Wand fertig wurde, und dann näherte er sich wieder ihrer Staffelei, blieb drei Schritte davor stehen und hüstelte. Da aber die Künstlerin hiervon keinerlei Notiz nahm, so schritt er weiter nach der gegenüberliegenden Thür zu. Auf der Schwelle wandte er sich um, wie um noch einmal den Totaleindruck des Saales in sich aufzunehmen, und als dabei sein Blick das reizende Malweiblein streifte, stellte er sich, als werde er desselben eben erst gewahr und verbeugte sich grüssend mit etwas verlegenem Lächeln.

Die junge Dame blickte erstaunt auf. Sollte dieser junge Mann die Keckheit zu einem so plumpen Annäherungsversuch besitzen, oder sollte er ihr wirklich bereits irgendwo begegnet sein?

»Ich habe doch das Vergnügen mit Frau von Robiceck?« sagte der junge Mann, mit dem Hut in der Hand sich ihr nähernd.

»Ja allerdings – Pardon, mein Herr, ich weiss nicht . . . .«

»Mein Name ist Baron Kerkhove. Ich hatte die Ehre, Ihnen durch Fräulein Haider vorgestellt zu werden.«

»Haider?« Sie konnte sich immer noch nicht erinnern. Der junge Baron lächelte verlegen.

»Ja, an dem Tage hiess die Dame allerdings Schneider. – Sie waren mit Ihrem Herrn Onkel in Grünwald und wir auch.«

»Ach ja! Jetzt erinnere ich mich«, rief die kleine reizende Frau von Robiceck, leicht errötend. »Natürlich, in Grünwald. Es war so ein schöner Tag!«

»Ach ja – ein wunderschöner Tag!«

Und dann nach einer kleinen Verlegenheitspause begann der junge Baron wieder: »Ich habe so reizende Sachen von Ihrem Herrn Onkel in der Ausstellung gesehen. Gnäd'ge Frau sind wohl seine Schülerin?«

Frau von Robiceck lächelte eigentümlich. »Nein – doch nicht. Ich besuche eine Malschule für Damen. Aber jetzt haben wir Ferien, da suche ich mich allein weiterzubilden. Ich glaube es ist keine von meinen Mitschülerinnen mehr in der Stadt.«

»Ach so, Sie wohnen wohl bei Ihrem Herrn Onkel?« erkundigte sich Raoul de Kerkhove etwas thöricht.

Frau von Robiceck blickte beinahe etwas erschrocken auf und versetzte hastig: »O nein, ich wohne natürlich allein.«

Das Gesicht des jungen Mannes begann ganz vorsichtig zu strahlen und fast flüsternd fragte er: »Gnädige Frau sind Witwe?«

»Auch das nicht,« entgegnete die reizende Dame etwas ungeduldig. »Ich liege mit meinem Manne in Scheidung, wenn Sie es ganz genau wissen wollen. Aber warum fragen Sie mich denn so aus, Herr Baron? Finden Sie das sehr fein?« und sie lächelte verschmitzt.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« stotterte Raoul errötend. »Ich freute mich nur so, gnädige Frau nach vielen Wochen unvermutet hier wiederzutreffen. Ich habe die flüchtige Begegnung nicht vergessen können – dass heisst – äh – Pardon – äh – ich . . . . .« und er trat vor ihre Staffelei und starrte, noch die flammende Röte der Verwirrung auf den Wangen, ihre verunglückte himmlische Einfalt an.

Die kleine, niedliche Frau von Robiceck lachte still vergnügt in sich hinein und weidete sich an seiner Verlegenheit. Erst nach einer längeren Weile brach sie das Schweigen mit der Frage: »Verstehen Sie etwas davon?«

»Von Malerei? Ach nein. Ich bin entsetzlich talentlos. Aber soviel verstehe ich doch davon, dass ich sagen kann, Ihre Copie verspricht ein Meisterwerk zu werden.«

»Strengen Sie sich nicht an, Herr Baron. Ich sehe schon, dass Sie wirklich nichts verstehen,« lachte die junge Dame. »Ich quäle mich nun schon seit vier Wochen mit dem Bild herum und bringe es nicht zusammen. Ich weiss nicht wie diese alten Herren es angestellt haben, so glatt und dünn zu malen, ich komme aus der Patzerei nicht heraus. Und die Nase ist wirklich schon die reine Gotteslästerung; ich habe sie eben zum zehntenmale weggekratzt. Es ist wirklich zum Verzweifeln!«

»Aber gnädige Frau malen doch gewiss nur zu Ihrem Vergnügen!«

»Glauben Sie, dass das ein Vergnügen ist, wenn es einem so schwer fällt? Oder glauben Sie, dass es ein Vergnügen ist, den ganzen Sommer über in der heissen Stadt zu stecken, während alle andern Malmädchen in den Bergen Sommerfrischen?«

»Ja, warum thun Sie denn das, Gnädigste?«

»Weil ich kein Geld habe fortzugehen – einfach! Nein ich male wahrhaftig nicht zu meinem Vergnügen. Ich will mir meinen Unterhalt damit verdienen, wenn ich einmal mein kleines Vermögen verputzt haben werde – was sehr bald der Fall sein wird. Ich denke mir, Copien religiöser Bilder müssten sich doch noch am ersten bezahlt machen.«

»Wollen Sie mir das Bild geben, wenn es fertig sein wird?« sagte der junge Balte rasch und seine grauen Augen blitzten dabei kühn auf.

»Was wollen sie damit?«

»Ich will es kaufen. Machen Sie einen guten Preis, ich werde gern zahlen, denn ich werde in den nächsten Tagen einen Prozess gewinnen, der mir eine Million Rubel einbringt.«

»Eine Million Rubel!?« Die grossen Augen der reizenden Frau von Robiceck strahlten den jungen Mann bewundernd an. »O, Herr Baron, Sie können das Bild gern haben; ich habe sehr lange daran gearbeitet – und das Gold ist echt, müssen Sie bedenken. Dreihundert Rubel kostet es mich beinah selbst.« Dabei lachte sie allerliebst kokett.

»Also sagen wir fünfhundert Rubel. Etwas müssen Gnädigste doch auch verdienen. Schlagen Sie ein und der Handel ist abgeschlossen.«

Sie reichte ihm ihr schmales, weisses Händchen hin, das er fest in der seinen drückte und dann fügte er leise hinzu: »Ich bitte nur um Ihre Adresse, damit ich mich manchmal nach den Fortschritten des Bildes erkundigen kann.«

Da entzog sie ihm rasch ihre Hand und sagte sehr kühl: »Sie können ja hierher kommen, in meiner Wohnung empfange ich keine Herrenbesuche.«

Raoul de Kerkhove errötete abermals und stammelte hastig einige undeutliche Redensarten von völligem Missverständniss u. dgl.

Einige Fremde durchwandelten langsam den Saal, liessen die Augen gelangweilt an den steifen Heiligen, Märtyrern und Madonnen vorüberschweifen und beehrten dann die hübsche Malerin und deren Leistung mit einer längeren, dreisten Musterung, worauf sie durch die andere Thür wieder verschwanden. Nach dieser Unterbrechung gedachte auch der junge Baron de Kerkhove seinen Rückzug anzutreten, aber er musste erst ein gutes Schlusswort finden, sonst hätte er sich fast hinausgeworfen vorkommen müssen – und er wollte doch um keinen Preis der glücklich gewonnenen Anknüpfung wieder verlustig gehen.

Aber während er noch vergeblich nach einem freundlichen Uebergang suchte, kam ein neuer Besucher durch die Thür und direkt auf Frau von Robiceck zugeschritten. Ein sehr grosser, schlanker Mann in tadellos elegantem Sommeranzug, mit dem Kopf eines wohlgenährten Babys auf seinem Riesenkörper.

»Ah, Prinz, besuchen Sie mich auch einmal wieder?« rief Frau von Robiceck dem Herrn freudig entgegen und streckte ihm die Hand hin.

Der junge Kavalier küsste ihr die Hand und hielt sie noch ein Weilchen schnüffelnd an seine Nase. »Guten Morgen, meine liebe, kleine Frau von Robiceck! Ihr Händchen duftet so angenehm nach Kunstfleiss. Nein, nein, ohne Scherz – ich liebe das Terpentin – es hat so was Gesundes.« Der grosse Herr sprach mit jener hohen Fistelstimme, die heutzutage in der diplomatischen Welt zum guten Ton zu gehören scheint.

Frau von Robiceck stellte die Herren einander vor: »Seine Durchlaucht Prinz Cloppenburg-Usingen – Herr Baron . . . .«

»Raoul de Kerkhove, docteur en Philosophie,« ergänzte der junge Balte mit einer tadellosen Verbeugung.

Der Prinz verbeugte sich gleichfalls und streifte flüchtig mit einem fragenden Blick das Auge der Frau von Robiceck.

Sie zuckte mit dem linken Nasenflügel und kniff ein klein wenig die Augen zusammen, während sie auf den Baron deutend sagte: »Ein russischer Krösus, der mir eben dieses Meisterwerk für fünfhundert Rubel abgekauft hat.«

»Donnerwetter!« rief der Prinz lustig, hielt sich aber sofort mit einem: »Pardon!« die Hand vor den Mund. »Sie sehen, liebste Lilly, es giebt noch ächte Kunstfreunde. Daraufhin wären Sie eigentlich berufen, Ihren Freunden eine kleine bekömmliche Sektbowle zu spendieren – ein kaltes Entchen, was?«

»Durchlaucht, ich habe das Geld noch nicht,« sagte Frau von Robiceck mit drolligem Pathos.

»Zahlung erfolgt,« lächelte Baron Raoul: »sobald die Madonna im Besitze der ihr zukommenden Nase ist und ich meinen. Prozess gewonnen habe. Mein Vater starb in Sibirien, seine Güter wurden eingezogen – Durchlaucht werden verstehen. Aber in 8 Tagen ungefähr dürfte der Prozess entschieden werden.«

»Na, dann wollen wir inzwischen die kalte Ente bei mir verhaften,« fistelte der Prinz. »Ich war nämlich eben bei Ihnen, um Sie für heute abend zu mir einzuladen. Ich habe noch ein paar nette Leute dazu gebeten, lauter gute Freunde – ganz en petit comité. Bringen Sie doch auch noch jemanden mit, wenn Sie wollen. Parole: Schön oder geistreich – bitte zu beachten: oder! Beides zugleich wäre zuviel.«

Frau von Robiceck antwortete nicht sofort. Der junge Baron merkte ihr an, dass seine Gegenwart sie genierte und er war wohlerzogen genug, um sofort mit einigen entsprechenden Redensarten dem Prinzen das Feld zu räumen, der hier offenbar ältere Rechte besass. Aber er trieb sich derweile in dem angrenzenden Saale, der dem Ausgang zunächst lag, herum, in der Hoffnung, die reizende kleine Dame noch einmal zu sehen, wenn sie mit ihrem Tagewerk fertig war. Er brauchte nicht allzu lange zu warten. Schon nach etwa zehn Minuten verliess die kleine reizende Frau von Robiceck an der Seite des Prinzen Cloppenburg-Usingen die Pinakothek, und Raoul de Kerkhove folgte dem Paare in angemessener Entfernung. Bei der Trambahnhaltestelle an der Ecke der Barer- und Theresienstrasse trennte sich der Prinz von der kleinen Malerin, welche in einen Wagen der Ringlinie stieg. Raoul setzte sich in die nächste Droschke und befahl dem Kutscher dem Trambahnwagen langsam zu folgen. Am Bahnhof angekommen, stieg die junge Dame in einen Wagen der elektrischen Linie um, und der wackere Droschkengaul hatte alle Mühe auf dem Wege durch die Göthestrasse die Fährte nicht zu verlieren. Glücklicherweise hatte der junge Baron sehr gute Augen und konnte daher trotz einer Entfernung von gegen hundert Schritt bemerken, dass Frau von Robiceck an der Lindwurmstrasse ausstieg und in die Beethovenstrasse einbog. Er liess seinen Wagen halten, sobald er die Dame in dem Hause No. 10 verschwinden gesehen hatte. Dann ging er ihr nach und in dasselbe Haus hinein. Er brauchte sich mit Treppensteigen nicht zu bemühen, denn schon im Parterre fand er neben dem Porzellanschild einer Postoffizialswitwe die Visitenkarte: Lilly von Robiceck, Kunstmalerin. Er trug die Adresse in sein Taschenbuch ein und zog befriedigt wieder ab. Im Hofe stiess er auf eine vertrauenswürdig aussehende ältere Frau und erkundigte sich bei ihr, ob in diesem Hause nicht möblierte Zimmer zu vermieten wären. Die Frau nannte ihm verschiedene Parteien, die Aftermieter beherbergten; doch sei gegenwärtig, soviel sie wisse, alles besetzt, mit Ausnahme eines Zimmers im Erdgeschoss bei der Postoffizialswitwe Hinterhuber. Er bedankte sich für die Auskunft und verliess das Haus. Die Fenster der Parterrewohnung die nach der Strasse hinaussahen waren weit geöffnet, aber die Vorhänge innen waren zugezogen. Ohne böse Absicht blieb Raoul unter dem Eckfenster stehen und lauschte. Es hätte ihn glücklich gemacht irgend ein Geräusch, das von der Lieblichen Kunde gab, zu hören, etwa wenn sie sich Waschwasser eingoss, oder die braunen Lackschuhe von den Füssen schleuderte, oder irgend etwas dergleichen.

Und er hörte etwas! Eine angenehme tiefe Männerstimme flüsterte unverständliche heisse Zärtlichkeiten, und ihre süsse Stimme, unverkennbar durch den charakteristischen Wechsel zwischen sanftem Klageton und ganz hohem, drolligem Gezwitscher, gab ihr Antwort. »Oh!« dachte der Baron und biss sich auf die Lippen: »Sie empfängt keinen Herrenbesuch?! O! – du . . . . . .!« Er stiess das ganz vernehmlich zwischen den geschlossenen Zähnen hervor; dann rumpelte ein Lastwagen daher und er vermochte nichts mehr zu hören. Da bestieg er seine Droschke wieder und fuhr heim. – – –

Der Herr, dessen Stimme der Lauscher draussen vernommen hatte war kein anderer, denn Franz Xaver Pirngruber, Frau von Robicecks liebenswürdiger Radeloheim, und wenn Raoul de Kerkhove durch eine Spalte des Vorhangs hätte zum Fenster hineinschauen können, so wäre er sicherlich vor Neid bis hinter die Ohren ergilbt. Denn Franz Xaver Pirngruber, der beliebte Meister des humoristischen Pinsels, sass auf dem Sofa, hielt Lilly von Robiceck auf seinem Schoosse fest und liess einen Schauer von Küssen über ihr süsses Gesichtchen herniedergehen, und dazwischen flüsterte er voll atemlosen Entzückens: »Du, mein Süsses – mein Einziges – Du weisst ja noch gar nicht wie rasend ich Dich liebe – Du bist ja überhaupt so dumm – Du kannst es ja gar net begreifen. Ach Du! Du! Drei Tage hast mich jetzt zappeln lassen und net amal anderthalb Pfennig für ein Courierwapperl daran gewendet, um mir einen Gruss zu schicken – schämst Di net, Du herzliebs Faulviecherl Du? Hast mir's doch versprochen, dass D' mir schreiben willst wann ich kommen soll.«

»Ja sie sollten aber garnicht kommen, mein Herr,« lachte die kleine Dame, indem sie sich vergeblich anstrengte sich seinen Armen zu entwinden. »Wir haben doch ausgemacht: wie Brüderchen und Schwesterchen; aber Sie halten die Verabredung nicht. Sie sind mir viel zu stürmisch.«

»Ja, mein Engerl, das thut mir leid, aber ich kann net anders: das ist halt meine Auffassung von der Liebe.« Und abermals presste er das schmächtige Körperchen an sich und seinen Mund auf ihre weichen Lippen.

»Lass mich los!« stöhnte Frau von Robiceck: »Ich mag doch nicht.« Sie hatte Kraft in ihren Armen; sie stemmte sich so stark gegen seine Brust, dass er sie endlich freigeben musste. Da kam sie hinter dem Sofatische hervor, strich sich die Kleiderfalten glatt und rückte ihre Frisur zurecht. »Grässlicher Mensch!« schmollte sie. »Puh! – nein, einem so heiss zu machen – bei solcher Hitze! Warum kommen Sie denn Herr Pirngruber, wenn ich Sie doch nicht gebeten habe?«

»No was ist denn des?« rief er ganz traurig. »Aber Lillimauserl, was hat denn Dir die Laune verdorben, dass d' so zuwider bist?«

»Ach, gar nichts. Es ist blos . . . . . ach, scheusslich ist es überhaupt! Ein grässliches Dasein! Ich wollt' ich wäre so wüst, dass jeder Mensch wegschauen müsst', der mir begegnet!«

»Aber Lilly! Geh' her, sag mir doch was Dir g'schehn ist!« Er erhob sich vom Sofa, trat zu ihr und legte sanft einen Arm um ihre Schulter.

Sie stand da und zerrte nervös an ihrem feinen Sacktüchlein und maulte, ohne ihn anzuschauen: »Ach, nun habe ich mich darauf gefreut ein bischen Toilette zu machen, und dann ganz langsam zum Mittagessen zu gehen, und dann ein bischen herumzuspazieren mit dem neuen Sonnenschirm, den mir der Prinz geschenkt hat, und dann ein paar Stunden zu schlafen . . . . . alles abwerfen und ein paar Stunden ganz fest schlafen – das ist mein schönstes – und dann gegen Abend, wenns ein bischen kühler geworden ist, dann hätten wir ja vielleicht hinausradeln können in den Wald und irgendwo einkehren und uns nett unterhalten . . . . .«

»No ja, das können wir ja noch alles thun. Warum denn so grantig, Schatzerl!«

»Ich bin nicht Ihr Schatzerl!« rief sie unwillig sich von ihm abwendend. »Ich will niemandes Schatzerl sein! Was ist denn das überhaupt für ein dummes Verhältnis! Sie mögen sich nirgends mit mir zeigen, weil alle Welt Sie kennt und ich muss vor den Leuten Sie zu Ihnen sagen und irgend eine Komödie spielen, und dann kommen Sie daher wanns Ihnen einfallt, lauern mir hier auf und überfallen mich mit Zärtlichkeiten und wenn Sie sich satt geküsst haben, ziehen Sie wieder ab und lassen mich in meiner jämmerlichen Einsamkeit allein. Was habe ich denn von so einer Liebe? Bin ich denn nur ein Gegenstand zum abbusseln, den man aus dem Schubkastel hervorholt wenn's gefällig ist und nachher wieder einschliesst? Muss ich denn nicht alle Selbstachtung verlieren?«

»Ja, was ist denn jetzt des? Hast mich denn nimmer lieb, Lilly?« Er schaute sie mit seinen gutmütigen blauen Augen traurig an und streckte ihr bittend die Hände entgegen.

Da legte sie ihre Arme um seinen Hals und sagte in ihrem weichen Klageton: »Sei mir nicht bös, mein Liebling! Ich bin Dir ja gut – Du bist ja der Beste von allen, das weiss ich ja; Du denkst ja auch nicht schlecht von mir, aber . . .«

»Aber?« fragte er, da sie den Satz nicht vollendete. Dann setzte er sich auf den nächsten Stuhl und zog sie wieder auf seine Kniee. »Geh her, Lilly, sag mir doch was Du möchtest. Wir haben doch ausgemacht, dass keiner den andern auch nur im geringsten in seiner Freiheit beeinträchtigen will. Möchtest Du lieber einen zum heiraten?«

»Um Gotteswillen, red' nur nicht vom Heiraten!«

»No also! Du weisst, ich habe eine sehr gute Frau, die ich über alles liebe und verehre; Dummheiten darfst Du also nicht von mir verlangen. Ich hab' Dich g'sehn und hab' mich in Dich verbrennt und es zieht mich zu Dir hin wie die Motte zum Licht. Und weil Du gar so g'scheidt bist, nicht blos hübsch, hast Du mir versprochen, dass Du blos leuchten aber nicht brennen willst. Du sollst nur da sein für mich, und leuchten für mich, und ich will mich freuen dürfen an Deinem Glanz und an Deiner Wärme. Und zum Dank dafür will ich Dir von meinem Oel auf das Lämpchen giessen; mein geistiges Leben sollst mitleben dürfen, Du einsames Hascherl, und mit meinem Hamur will ich Dir's Docht putzen, wann Du aus Mangel an frischer Lebensluft zum kohlen anfängst. Weiter nixen. Unsere Liebe soll uns eine Episode unseres Lebens vergolden, nach dem Grundsatz: schmücke dein Heim! Schmücke alle Winkel deiner Seele, sage ich, damit du dich bei dir selbst behaglich fühlst. Ich mein' a jeder Künstler hat des nötig – und Du bist auch ein Künstler – Du kleine, feine Lilly. Aber net mit dem Pinsel, verstehst, blos so im Allgemeinen, mit der Empfindung. Du hast ein Meisterwerk geschaffen und das bist Du selber – ich will Dich blos dazu anhalten, dass D' Dein Meisterwerk net hinterher verpfuschst. Ich will Dich erziehen zum künstlerischen Selbstgenuss.«

Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn still und als er nach einer kleinen Weile ihr Köpfchen zwischen seine Hände nahm, um in ihre Augen zu schauen, da sah er, dass sie voll Thränen waren.

»Ja, was ist denn jetzt?« sagte er weich.

»Ich weiss nicht – ich schäme mich so,« versetzte sie ganz leise. Und dann richtete sie sich auf, fuhr sich mit dem Tüchlein über die Augen und starrte nachdenklich vor sich hin. Sie begann ihm mit der Hand durch das blonde Kraushaar zu streichen und dann sprach sie: »Ach Gott, wenn ich doch blos als Mann geboren wäre! Was hätte alles aus mir werden können! Aber so ist mein ganzes Leben, eine Affenschande. Ich bin nur ein Weibchen, und wo ich mich zeige, da rennen die Männchen hinter mir her wie die Hundeln auf der Gasse. Ich bin reizend in des Wortes scheusslichster Bedeutung! Wenn man ganz jung ist und das Manntier noch nicht kennt, macht es einem ja Spass; man wird kokett – das ist so natürlich, das kann garnicht anders sein. Und dann bilden sich die Männer ein, man hätte wer weiss was für ein Plaisier davon, wenn sie alle um einen herumtanzen und radschlagen. Ich weiss ja ganz genau: ich könnte die dümmste Gans sein oder das gemeinste Frauenzimmer – es wäre ganz dasselbe. Ach, ich sage Dir, manchmal packt mich eine solche Wut, dass ich mir das Gesicht zerkratzen oder Vitriol hineinspritzen möchte. Giebt es eine grössere Schmach, als blos so als Weibchen estimiert zu werden? Wenn ich dann doch wenigstens eine leichtsinnige Person wäre, blos Eitelkeit und Sinnlichkeit, dass es mir Freude machte mich einem nach dem andern an den Hals zu werfen! Aber ich schwöre Dir, ich habe den Mann garnicht nötig – ich könnte ganz gut im Kloster leben und würde garnichts entbehren. Wenn ich den Glauben hätte würde ich auch in's Kloster gehen.«

»Ach Du armes Hascherl, Du thust mir wirklich leid!« sagte er ernsthaft, ohne sie anzublicken.

»Da hast du's!« rief sie herbe auflachend, und ihre feinen Züge verzerrten sich zu einer wütenden Grimmasse. »Mitleid, haha! – Das ist das Aeusserste, was ich noch von dem Besten von euch erreichen kann. Und was werdet ihr dann für mich übrig haben, bitte, wenn ich einmal alt und garstig bin? Hohn, nicht wahr? Der Mensch in mir, den ihr nie habt kennen wollen, wird euch erst recht ein Gegenstand der Verachtung werden, wenn das Weibchen euch nicht mehr reizt. »Die hat auch eine bewegte Vergangenheit hinter sich,« wird's dann heissen und ihr werdet hinter mir herlachen, wenn ich jugendlich aufgetakelt und geschminkt daherkomme als eine, die nicht in Ehren alt werden kann, weil ihr sie um ihre Jugend gebracht habt!«

Franz Xaver Pirngruber sagte nichts und strich ihr nur zärtlich über die Arme. Er dachte nach. Und sie wartete geduldig bis er zu einem Ergebnis gekommen war. Sie sah ihn fragend an und da sprach er: »Weisst Du, liebe Lilly, ich glaub', Du musst doch wieder heiraten, sobald Du Deinen Ersten glücklich losgeworden bist.«

»Danke schön! ein guter Rat,« lachte sie, indem sie sich von seinen Knieen erhob. Sie zündete sich eine Cigarette an und warf sich aufs Sofa. »Weisst Du, mein Lieber, wie's mir in der Ehe geht – in jeder Ehe? Erstens einmal nimmt mich nur ein verliebter Esel – und dann enttäusche ich ihn furchtbar, weil ich ihm nicht geben kann, was er hinter meiner Larve und meiner Koketterie gesucht hat, und dann behandelt er mich brutal und verbittert mir jede Stunde meines Lebens durch Eifersucht. So war's mit dem Ersten und so muss es mit jedem Andern auch sein. Nein, mein Lieber, Du musst schon noch auf etwas anderes für mich sinnen.«

»Dann bleibt nichts übrig – Du musst Dir eine selbständige Existenz schaffen,« sagte er rasch.

»Womit denn, bitte; mit dem Pinsel vielleicht?«

»Oh nein!« rief er fast erschrocken. »Halt, ich habe eine grossartige Idee! Du hast ein anderes Talent von einer viel grösseren Bedeutung und wenn Du Dich nicht scheust das auszunützen, dann erwirbst Du Dir bürgerliche Achtung und vielleicht auch innere Zufriedenheit, Soll ich's sagen? Du musst mir aber auch wirklich net bös sein!«

»Nein, nein, nein, sag's nur!«

Und er nahm einen Brief, der oben auf dem Tische lag, holte einen Bleistift aus der Tasche und schrieb auf das leere Blatt: Lilli v. Robiceck, modes et robes. Dieses Blatt reichte er ihr über den Tisch hinüber und sagte dabei: »Das ist Deine Rettung.«

Sie las es und lachte. »Hm,« machte sie nachdenklich: »das ist vielleicht noch garnicht so dumm. Ich will es mir überlegen. – Aber jetzt musst Du gehen, mein Lieber, ich muss wirklich Toilette machen, sonst bekomme ich in meinem Restaurant nichts gescheidtes mehr zu essen.«

Er erhob sich und nahm Handschuhe und Mütze von einem Stuhl an der Thür auf. »Also, wenn's sein muss, adieu!« sagte er mit einem komischen Seufzer. »Brauchst Du keine Kammerjungfer? Ich thät Dir gern behilflich sein.«

»Nein, nein, mein Lieber – einmal und nicht wieder!«

»Aber es war doch so schön!« flüsterte er, sich zu ihrem Ohr herabbeugend. »No, wennst net magst, – ich will Dich net sekkieren. Was hast denn heut Abend vor? Geh'n wir z'samm' soupieren, was?«

»Thut mir leid,« versetzte sie, ein wenig errötend: »für heute bin ich schon versagt. Aber weisst Du, da fällt mir was ein: komm mit! Der Prinz hat mir expré gesagt, ich dürfte mitbringen wer mir gefiele. Geh', sei g'scheidt, komm' mit, das wär furchtbar fein!« Und sie sprang auf die Füsse und klatschte vergnügt in die Hände.

»Was denn für ein Prinz?« fragte er, und eine ärgerliche Falte markierte sich zwischen seinen Augenbrauen. »Ach, wohl Dein Prinz Cloppenburg-Usingen?«

»Ja natürlich! Weiter kenne ich doch keinen Prinzen. Oh, ich sage Dir, er ist so scharmant, Du musst ihn kennen lernen.«

»Liebes Kind, das geht nicht; dazu bin ich denn doch zu – ausgewachsen. Wenn der Prinz mich haben will, muss er zuerst zu mir kommen.«

»Ach geh', sei net fad!« lachte sie. »Was bist Du denn auf einmal so auf die Form versessen?«

Und er nahm ihre Hände, spielte damit und erwiderte mit freundlichem Ernst: »Liebes Kind, es ist zuweilen auch für den freiesten Menschen ganz nützlich, auf die Form zurückzugreifen. Wer die Form gänzlich verachtet, der giebt jedem cochon das Recht, einen frère zu nennen.«

»Aber der Prinz ist doch kein cochon!« schmollte sie.

»Das habe ich auch nicht damit sagen wollen,« lachte er. »Aber ich passe doch nicht in seinen Kreis hinein. Ich weiss, er hat mich als Künstler zu den Alten – d. h. zu den Toten geworfen. Er protegiert ja ausschliesslich die Allerjüngsten und Allerverrücktesten. Ich lass' ihm gern sein Vergnügen – aber Dich lass' ich ihm nicht gern.«

»Ach, Du denkst doch nicht etwa . . . pfui! Das ist garstig von Dir.« Sie machte sich ärgerlich von ihm los, trat zu ihrem Kleiderschrank und öffnete dessen Flügelthüren weit.

»Nun ja, ich weiss,« sagte er: »der Prinz steht in dem Rufe, gegen weibliche Reize ziemlich unempfindlich zu sein. Wer wird denn sonst noch da sein?«

Sie zuckte die Achseln: »Keine Ahnung! Der Prinz sieht nur beste Gesellschaft bei sich. Junge Künstler, Diplomaten, Offiziere in sorgfältigster Auswahl und dergleichen. – Was meinst Du, soll ich dies anziehen?« Sie hakte einen der hölzernen Bügel los, über dem ein duftiges, weisses Battistkleid mit einer buntblumigen Seidentaille hing.

»Sehr hübsch,« sagte er gleichgiltig und fügte dann dringender hinzu: »Und die Damen? Ich mein', was für Damen kommen denn zum Prinzen Cloppenburg?«

»Oh, sehr nette,« versetzte Lilly zerstreut, indem sie das luftige Röckchen schüttelte und im Licht herumdrehte. »Damen vom Hoftheater und die schöne Rosi Ungerer und . . .

»Ah so, die neueste Geliebte vom Grafen Rimsky, nicht wahr?«

»Kennst Du die auch?«

»Freilich; die verdankt doch ihre Carriere dem Kollegen Piglheim. Der hat sie des öfteren gemalt, – aber chic!«

»Modell? Ach! Das wusst' ich nicht. Ich mag sie übrigens auch nicht.« Sie nahm das Kleid über den Arm und wollte damit in ihr Schlafzimmer gehen. Mit der Thürklinke in der Hand nickte sie ihrem grossen Freunde nachlässig zu und sagte: »Also, dann sehen wir uns heute nimmer wieder? Wenn ich nur wüsste, wen ich nun mitbringen soll.«

Er trat rasch auf sie zu und wollte sie bei der Hand nehmen und festhalten. »Lilly, lass einmal ernsthaft mit Dir reden!«

»Nein, ich mag net,« sagte sie kurz, entschlüpfte ihm durch die Thüre und schob den Riegel von innen vor.

Da stand nun Franz Xaver Pirngruber, schnickte ärgerlich mit den Fingern und nagte sich die Unterlippe; aber er ging noch nicht. Er dachte ein Weilchen nach, und dann zog der offene Kleiderschrank seine Blicke an und er trat davor und strich gedankenlos mit den Fingerspitzen über die hängenden Gewänder. Es raschelte das Seidenpapier, mit dem einige der feinen Taillen eingewickelt waren, es raschelte von Atlas und Satin, und zarter Duft von einem ihm unbekannten Parfüm wehte ihm entgegen. Er schloss die Augen und sog ihn langsam ein und es war ihm, als ob der Duft ihrer warmen Haut, ihres weichen, lockeren Haares ihn einhüllte. Er ballte seine Radelkappe zusammen und warf sie wütend auf den Tisch und dann starrte er wieder in den Schrank hinein. Oben in dem Längsfach lagen ihre Hüte, alle sorgfältig mit Seidenpapier umsteckt, und unten am Boden standen ihre Schuhe und Stiefel in einer geraden Reihe aufgestellt und dazwischen hingen die reizenden Gewänder, die sie, wie er wusste, alle selbst erfunden und mit Hilfe einer Schneiderin selbst ausgeführt hatte, alle von feinstem Geschmack und eigenartiger Fantasie zeugend. Dieser Kleiderschrank bedeutete für Lilly von Robiceck soviel, wie für einen Dichter ein Band ausgewählter Novellen oder für einen Maler eine Sammlung wertvoller Studien. Sie hatte schon viel solcher Bände verfasst, viel solche Sammlungen in die Winde zerstreut und mit neuem Eifer neue angelegt. Sie hatte dieses Talent von Kindheit an entwickelt, wie nur irgend ein strebsamer Künstler das seinige – ihr halbes Herz, ihr halbes Leben hing daran. Ihren herrlichen Körper, vor dessen reiner Nacktheit Franz Xaver Pirngruber in Andacht in die Kniee gesunken war, nicht wagend, ihn zu berühren, aus Ehrfurcht vor dem göttlichen Glanz der Schönheit – ihren Körper betrachtete sie nur als die Folie für die bunten, wechselnden Hüllen, für die sie allen ihren Künstlerfleiss und ihre Künstlerliebe aufwendete.

Oh, Weiber, Weiber! sobald Mutter Eva vom Apfel der Erkenntnis gekostet hat, schämt sie sich ihrer himmlischen Nacktheit und vom nächsten Feigenbaum rupft sie ein Blatt und reicht es kichernd, mit abgewandtem Köpfchen ihrem guten Adam dar, der sicherlich noch lange ratlos damit dagestanden ist, während Eva ihr erstes Tändelschürzchen längst fertig hatte. Verhüllen! Verstecken spielen! – Darauf geht ihr Sinnen und Trachten von Anbeginn und in der Kunst allein haben sie von jeher das Höchste geleistet. Der Kern ist ihnen gleichgültig und die Antwort auf die Frage: wie steht mir dies? ist ihnen viel wichtiger als jede andere. Ein wirkliches Weib hat immer einen ganzen Schrank voll solcher Verhüllungen hängen, dem ihre zärtlichste Sorge gilt, und ein wirklicher Mann – bezahlt niemanden so ungern wie seinen Schneider, weil er im Grunde seines Herzens dessen Existenzberechtigung nicht anzuerkennen vermag. Darum können sich ein wirklicher Mann und ein wirkliches Weib auch niemals gänzlich begreifen, darum giebt es keine Freundschaft zwischen den Geschlechtern, darum für den Mann kaum eine Zwischenstufe zwischen Brutalität und lächerlicher Unterwürfigkeit und für das Weib in ihrem Verhalten zum Manne kaum eine Zwischenstufe zwischen sklavischer Hingabe und boshaftem, zähem Rachekrieg. Das Weib, das einen Mann wirklich liebt, empfindet die brennende Sehnsucht, ihre Schale mit einem Inhalt zu füllen – das Weib, das in stolzer Selbstgenügsamkeit diese Sehnsucht nicht kennt, vermag auch keinen Mann zu lieben. Des Mannes Liebe aber entspringt der wilden Berserkerwut gegen die Hülle. Sie lockt, sie reizt ihn, wie jedes Hindernis, jede Schwierigkeit, jedes Geheimnis ihn reizt. Er will bei allen Dingen wissen, was dahinter steckt. Das Flüchtige will er erhaschen, das Fremde soll sich ihm beugen. Es ist der männliche Liebestrieb, der den Jäger, den Eroberer, den Entdecker zum Ziele führt. Wenn die Weiber den ewigen Mummenschanz einmal satt bekämen, würde die Liebe für den Mann jeden Reiz verlieren. Die natürliche Zuchtwahl würde aufhören und für die Fortpflanzung des Menschengeschlechts müsste die Polizei sorgen. Darum ist es im Plane der Weltordnung gelegen, dass die eine Hälfte der Menschheit sich der andern verächtlich macht, um sie zur Liebe zu reizen.

Franz Xaver Pirngruber wälzte ähnliche Gedanken in seinem Hirn, während er so an der Unterlippe nagend und nervös seine Finger bald spreizend, bald zur Faust ballend, in den offenen Schrank hineinstarrte, darin sein Liebchen in zehnfacher Gestalt am Riegel hing. Welche davon liebte ihn denn nun eigentlich? – denn eine zum mindesten liebte ihn wirklich, das hatte er zu selig empfunden! War es die in Sammet oder in Seide, oder die wollene oder die mausgraue, oder die seegrüne? Scheusslich, scheusslich! Muss man denn durchaus die paar süssen Stunden, mit denen man den zähen Teig des Alltagsdaseins durchzuckert, damit bezahlen, dass man sich schmählich zum Narren macht? Ach was, dazu war er zu stolz! Fort – und sie nie wiedersehen! Ihr kräftig die Thür vor der Nase zuschlagen und draussen Himmelherrgottsakra gesagt und sich aufs Rad geschwungen auf Nimmerwiedersehen! So wars recht. Er packte wieder seine Kappe und dann ergriff er den nächsten besten Stuhl und stiess ihn kräftig auf den Boden, dass es krachte und dazu schrie er mit einer Stimme, als wollte er das Gespenst im Keller spielen: »Pfüt Di Gott, Lilly!«

Im Nebenzimmer erschallte ein leiser Schrei und gleich darauf wurde der Riegel zurückgeschoben und auf der Schwelle stand die kleine reizende Frau von Robiceck, in der zarten weissen Wolke ihres Battistkleidchens näherschwebend, noch damit beschäftigt, die bunte Seidenbluse über der Brust zuzuhaken. »Herrgott, habe ich mich erschrocken!« sagte sie mit einem strafenden Blick. »Was schaffst denn da noch, Xaverl? Was ist denn das für ein Benehmen?«

Mit zwei grossen Schritten trat er vor sie hin und umklammerte mit zitternden Fingern ihren Oberarm. »Ich halt's net aus!« rief er. »Ich mag's net leiden, dass Du Dich so fortwirfst.«

»Oh, bitte sehr! Wer wirft sich fort?« begehrte sie auf. »Zerdrücke mir meine neue Bluse nicht!«

Aber er liess sie nicht frei. Zornbebend knirschte er sie an: »Ja, hast Du denn gar kein Gefühl dafür, dass Du mit Deinem guten Ruf ein freventliches Spiel treibst?«

»So – auf einmal?« lachte sie hart auf. »Aber wenn mich die Leute als Deine Geliebte kennen, das schadet meinem guten Ruf nichts?!«

»Ach was, Unsinn! Das ist ganz was anderes. Ich kompromittiere Dich nicht. Ich renommiere nicht mit meinem Erfolg wie die jungen Laffen, ich bin nur in aller Heimlichkeit mit Dir zusammen.«

»Du bist wirklich naiv, mein Lieber!« lächelte sie grausam. »Besinnst Du Dich vielleicht auf die Begegnung in Grünwald? Der junge Herr Baron Dingsda hat sich auf diese flüchtige Bekanntschaft hin heute schon eine Unverschämtheit gegen mich erlaubt.«

»Dann haue ich ihm eine hinter die Ohrwascheln, dass ihn gleich . . .«

»Ich denke Du kompromittierst mich nicht?«

»Jetzt hör' auf, Weib!« flüsterte er in grimmiger Leidenschaft, sie noch fester packend und an sich reissend. »Ich wäre im Stande Dich zu erdrosseln, wenn ich Dich nicht so wahnsinnig liebte. Geh' nicht zu dem Prinzen, thu' mir den Gefallen!«

Sie hob sich auf den Zehenspitzen empor und griff ihm mit beiden Händen in die Locken: »Nein, nein, Du grosser, dummer Xaverl, Du! Wenn es Dir so schrecklich ist, dann will ich nicht hingehen; aber schau bloss, wie Du mir mein Gewand zerknüllt hast. So kann ich doch garnicht auf die Strasse gehen.«

»Das is mir Wurscht!« jauchzte er auf und dann hob er die federleichte Gestalt empor und hudelte sie herum und drückte und küsste sie, bis ihr schier der Atem verging.

»Du bist schrecklich!« keuchte sie. »Lass mich aus – ich will ja auch gut sein.«

»Ja? ja? willst Du?« flüsterte er:

Und sie schlich nach der Thür und schob den Riegel vor. Dann hob sie beide Arme ihm entgegen, lächelte seltsam schmerzlich und seufzte: »In Gottes Namen denn!« – – –

In ihrem Restaurant bekam sie heute wirklich nur noch eine aufgewärmte Portion Kalbsgulasch zu essen, aber sie brachte keinen Bissen hinunter. Sie ging in die nächste Conditorei und sättigte sich mit Chokolade und Giraffentorte.


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