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Zweites Kapitel

Während der ganzen Nacht dauerten Nebel und Windstille ununterbrochen fort, gegen Morgen aber zog es wie ein kühler, leicht bewegter Hauch durch die ruhige Luft. Es kam Leben in die schweren grauen Dunstmassen. Hier und da schlug ein nasses Segel klatschend gegen die Stangen, fliegende Fische erschienen in langen Zügen, und häufiger umkreisten große Seevögel mit weitgebreiteten Flügeln das Schiff.

Beppo kletterte ungeachtet seiner fünfzig Jahre überall im Takelwerk umher, bald hämmernd, bald schnürend oder lösend; er ölte die Stangen und besserte schadhafte Stellen, alles mit einem Gesicht, so finster wir eine Gewitterwolke.

»Segel voraus!« rief plötzlich der Mann am Ausguck.

Kapitän Lamberti erschien mit dem Fernrohr und spähte umher, dann brach von seinen Lippen ein halberstickter Schrei.

»Gott sei uns gnädig – ein Kaper!«

»Auch das noch!« raunte Beppo.

Die Steuerleute, die meisten Matrosen, ja sogar Koch und Schiffsjunge umdrängten den Führer, dessen schnell aufeinanderfolgende Befehle in fliegender Eile vollzogen wurden. Das Steuerrad drehte sich, als sei es eine Papierfahne. Die Segel wurden dem neuen Kurs angepaßt, und wie ein Pfeil schoß die »Napoli« durch die Flut, um in voller Fahrt dem am Horizonte auftauchenden Feinde zu entrinnen.

»Von einem offenen Höllenrachen in den anderen,« murmelte Edenbrecher. »Verschont uns die See, so frißt uns desto sicherer der Korsar.«

»Man hat uns gesehen und verfolgt uns,« sagte der Kapitän, indem er abwechselnd das Glas ansetzte und wieder sinken ließ. »Steuermann – hören Sie doch – ist Ihnen je zu Ohren gekommen, daß die Tripolitaner ein Kaperschiff besitzen, das die ›Blume von Tripolis‹ heißt?«

»Ja, ja. Man erzählt von der Tollkühnheit ihrer Mannschaft. Das Schiff soll gegen jeden Widerstand gefeit sein. Ich glaube, daß es dies Fahrzeug ist.«

Carlos Rompano nickte. Er war in diesem Augenblick erschreckend blaß. »Es ist die ›Blume von Tripolis‹, Herr Kapitän, ich erkenne das Schiff am Bau, an der schwarzen Farbe, an der Flagge. Der Kapitän Heireddin hat mit dem Gottseibeiuns einen Pakt geschlossen.«

Kapitän Lamberti zuckte zusammen. »Ach – jetzt erhalten wir die erste Breitseite!«

Das Kaperschiff vollführte eine schnelle, geschickte Wendung, dann blitzte es an zehn Stellen zugleich hell auf, und ein Donner rollte über das Wasser dahin, begleitet von einem kräftigen Hurra der Italiener. Keine Kugel hatte getroffen, sie waren sämtlich hoch über die Mastspitzen der »Napoli« weggeflogen und unschädlich ins Meer gefallen.

Wiering sah mit Feldherrnblick auf die beiden Geschütze, die ihm als einzige Wehr zur Verfügung standen.

»Feuer!«

Wie unbedeutend klang gegen den eben gehörten Donner der antwortende Gruß von den ehernen Lippen der beiden Fünfundzwanzigpfünder – aber wieviel größer war die erzielte Wirkung!

Beide Kugeln hatten breite Stücke aus der Schanzkleidung des Korsaren weggerissen, sie waren vielleicht mitten hineingefahren in die Reihen der siegesgewissen Mannschaft, und während an Bord der »Napoli« niemand eine Verletzung erlitten hatte, floß drüben das Blut in Strömen.

»Hurra!« rief Wiering. »Laßt euch nicht entmutigen, Leute!«

Die »Blume von Tripolis« hatte währenddessen ihre Backbordseite dem Italiener zugekehrt, und abermals kam über die Wogen eine volle Ladung Eisenhagel – tiefer diesmal, die Stangenköpfe streifend, ein paar Splitter und Leinwandfetzen auf das Verdeck schleudernd, aber doch wieder ganz ohne schlimme oder gar zerstörende Wirkung.

Wiering schwenkte grüßend die Mütze. »Hurra!« rief er. »Die blauen Bohnen treffen nicht. Der Korsar hat für unser Schiff seine Batterien viel zu hoch angelegt.«

Im selben Augenblick tönte auch schon wieder sein eigenes Kommando, krachten die Schüsse und blitzte das Pulver. Neue Löcher waren in das Holzwerk des Korsaren geschlagen, eine Stange hing lahm herab, ein Segel, halb zerrissen, flog weit hinaus ins Meer.

»Hurra! Hurra!«

»Freut euch nicht zu früh,« warnte seufzend der Kapitän. »Wir werden ohne allen Zweifel geentert.«

Der Himmel umzog sich mehr und mehr mit dichtem Gewölk, der Sturm schwoll zum Orkan, dessen Wut der kleinlichen, inmitten seines Tobens geführten Fehde zu spotten schien. Es kostete die äußerste Anstrengung, das Segelwerk zu richten. Die »Napoli« schwankte so sehr, daß ihre Leeseite verschiedentlich Wasser fing; für den Augenblick stockte auf beiden Schiffen der Kampf – man arbeitete, um nur das Leben zu retten.

Niemand dachte mehr an den Korsaren. Nahe und näher hatten die Elemente den schwarzen Koloß und das hübsche schlanke Fahrzeug aneinander herangetrieben. Vom Bord der »Napoli« beobachtete das kein Mensch. An der Leeseite spannten sich die Taue wie Eisenstangen, an der Luvseite schlugen sie peitschend hin und her. Stangen und Rahen zerbrachen, der Besan knickte zusammen und, vom Sturm unaufhaltsam geschleudert, häufte sich diese ganze unentwirrbare Masse auf den Großmast und drückte mit ihrem Gewicht das Schiff seitwärts. Es schien alles verloren; jeder Stoß konnte den Untergang bringen.

Wiering suchte durch Zeichen die Aufmerksamkeit des Kapitäns zu erregen, und, als ihm das gelungen war, rief er, zum Hauptmast deutend: »Kappen! – Kappen!«

Der Kapitän zuckte die Achseln. »Ich schicke keinen Mann hinauf!«

»Dann gehe ich selbst. Es muß sein!«

In diesem Augenblick ließ Edenbrecher das Tau, das er bisher umklammert gehalten hatte, los, warf sich mit einem entschlossenen Ruck in die Welle, die das Verdeck überspülte, und schwamm bis zur Geschirrkammer. Ein Beil aus den Verschlägen reißen und mit ihm zum großen Maste gelangen, war Sache weniger Minuten.

»Ich gehe da hinauf, Steuermann!« sagte Matthias.

»Und ich mit Euch, mein tapferer Junge!«

Edenbrecher schüttelte den Kopf. »Ihr nicht, – Ihr müßt für das Schiff Euer Leben erhalten, Steuermann!«

»Aber mich nehmt Ihr doch mit Euch, nicht wahr, Maat?«

Matthias hatte bereits ein Beil aus der Geschirrkammer geholt, und beide kletterten hinauf. Aller Blicke folgten den kühnen Turnern, aller Herzen schlugen schneller. Hier und da drang durch das Brausen und Donnern des Sturmes ein ermutigender Ruf bis zu den beiden hin.

Edenbrecher hielt auf seinem Wege an. »Achtung, Matthias! Was ich losschlage, wirfst du im selben Augenblick, so weit es dir möglich ist, ins Meer hinaus!«

Nun hing der Riese mit seinem ganzen Körpergewicht an einer Hand, nun hob er den beilbewehrten Arm und schlug zu, daß die ungeheure Masse zwischen dem Segelwerk des Großmastes auf und ab schwankte, als wolle sie in jedem Augenblick stürzen und unter ihrer Wucht die beiden tollkühnen Kletterer zerschmettern. Ebenso kräftig und sicher half Matthias den Bemühungen des Matrosen nach. Er schleuderte in die See, was jener aus der verworrenen Trümmerfülle heraushieb, auch er hing nur an einer Hand und stützte sich mit den Knien, aber sein Mut blieb unerschüttert. »Wenn ich sterbe,« dachte er, »dann ist es für eine gute Sache.«

Leichter und leichter wurde die Last auf der Höhe des Großmastes. Allmählich begann das Schiff sich aufzurichten. Ein donnerndes Hurra der Mannschaft belohnte die Retter in der Not, und mehr als ein Auge glänzte feucht.

An Bord der »Napoli« atmete man auf, und Steuer und Ausguck wurden wieder besetzt.

Matthias und Edenbrecher kletterten langsam aus der gefährlichen Höhe wieder hinab zu den Genossen, deren Arme sich ihnen helfend entgegenstreckten. Kapitän Lamberti drückte den beiden jungen Leuten warm die Hände. »Ihr habt das Schiff gerettet,« sagte er. »Unser aller Leben ist euer Geschenk. Das muß euch für jede ausgestandene Beschwerde als reicher Lohn erscheinen.«

Ach, wo waren die beweglichen Gegenstände aus dem Logis, wo waren die Wasserfässer und die Kambüse, die Geflügelkäfige mit ihren Insassen, die Munitionskasten und das Handwerksgerät? Schwarz und triefend standen als das einzig Feste die zwei Geschütze, aber – ohne Munition. Jede Kugel, jedes Lot Pulver waren dahin. Das Verdeck glich einem Schlachtfelde, auf dem böse, zerstörende Elemente miteinander gekämpft hatten.

»Das Schiff ist zum Wrack geworden,« sagte mit gepreßtem Tone der Kapitän. »Gott allein mag wissen, was uns die nächste Zukunft bringt.«

Und als wolle das verborgene Schicksal auf diese Frage eine Antwort geben, so schlug im gleichen Augenblick an das Ohr des bekümmerten Mannes ein Ton, der unheimlich und erschreckend über das Wasser zu ihm drang.

Die Geschütze des Korsaren spien einen starken Eisenhagel auf das Verdeck der »Napoli«. Zwei Matrosen stürzten verwundet zu Boden, der Großmast war in der Mitte gespalten, durch Trümmer und Splitter hatten sich die Kugeln den Weg gebahnt, um weit hinaus in das Meer zu fallen.

»Ergebt euch!« tönte es durch das Sprachrohr. »Ergebt euch, oder ihr seid alle des Todes.«

»Nimmermehr! Viel lieber sterben wir!«

Die zweite und dritte Salve folgte der ersten. Eine Kugel zerschmetterte das Ruder, eine andere schlug in die Kajüte. Niemand sprach mehr, niemand bewegte auch nur die Hand, aber alle dachten dasselbe: »Es ist aus, wir sind verloren.«

Während dieser bangen Viertelstunde legte sich das Unwetter, die See wurde ruhig. Auf dem Verdeck stand Blut, Jammerlaute erfüllten die Luft, beinahe stumpfsinnig sahen Kapitän und Mannschaft vor sich hin.

An Bord des Korsaren löste man die Boote aus den Davits. Jetzt schien der Augenblick gekommen, um jegliches Feuer einzustellen und mit erhobenem Enterbeil das verteidigungslose Wrack durch einen Handstreich zu nehmen.

Wirklich?

»Segel voraus!« rief der Mann am Ausguck.

Wie elektrisiert fuhren bei diesen Worten auch die Verzweifeltsten empor. »Ein drittes Schiff – wo war es?«

Schon umhüllte ein leichtes Dämmergrau die Szene, aber doch ließ sich noch deutlich erkennen, was geschah. Jedes Auge spähte, jedes Herz schlug schneller in neu erwachender Hoffnung. Der Kapitän deutete auf das Meer hinaus, er konnte nur ein einziges Wort stammeln: »Da! da!«

»Ein Kriegsschiff der Vereinigten Staaten!« rief Wiering. »Nun sind wir gerettet! Tripolis und Nordamerika befinden sich im offenen Kriege.«

Auch der Korsar hatte den Feind gesehen. Gestalten in weißen Kleidern flogen empor in die Masten, die Arbeiten an den Davits wurden eingestellt, das Schießen hörte vollständig auf, und die Flagge verschwand. Der Koloß beschrieb im Wasser einen Halbkreis, eine ganze Segelwolke flog auf. – Die Parole hieß: Schleunige Flucht.

Das mochten auch die Amerikaner erkennen. Die Stückpforten öffneten sich, und eine glatte Lage traf den Korsaren, der sich jetzt genau in derselben Lage befand, wie noch vor wenigen Minuten die »Napoli«. Ein Stärkerer bedrohte seinen Bestand.

Bild: Karl Mühlmeister

»Die Tripolitaner führen irgendeine Teufelei im Schild,« sagte Kapitän Lamberti.

»Das dachte ich auch schon. Aber was kann es nur sein?«

Der nächste Augenblick sollte diese Frage beantworten. Die Geschütze des Korsaren hatten den Kampf mit der amerikanischen Fregatte nicht ausgenommen, wohl aber flog nach wenigen Sekunden eine ganze Wolke von Brandraketen in das Segelwerk des Kriegsschiffes, hier und dort zündend, so daß rote Flammen überall emporgriffen und mit Blitzesschnelle bis zu den höchsten Spitzen der Rahen und Stangen hinaufstürmten. Wie Zunder brannte das geteerte Gut, wie Zunder das trockene, weitausgespannte Leinen des Segelwerks. Immer neue Raketen schwirrten durch die Luft, neue Flammen und Funken sprangen auf. Das ganze Schiff erschien wie in eine lohende, knisternde Feuerwolke gehüllt.

Zum letzten Male donnerten die Geschütze der »Blume von Tripolis«, und sie erreichten den von Kapitän Heireddin vorgesehenen Zweck vollständig. Taghell war das Verdeck der Fregatte beleuchtet, alle Hände an Bord aber waren emsig beschäftigt, den entstandenen Brand zu löschen und die immer neu hinzukommenden Raketen unschädlich zu machen. Diesen günstigen Augenblick hatten die Korsaren benutzt, um ihren Rückzug zu decken.

Von mehreren Kanonenkugeln zugleich getroffen, stürzte das Steuerrad der Fregatte in Trümmer, und bis diese beseitigt und ein Notrad eingesetzt war, konnte natürlich das Schiff an keine Verfolgung denken. Draußen auf dem Meere lag jetzt die Nacht, die alles deckt – wer vermochte zu sagen, wohin unter ihrem Schutze der flüchtige Vogel sich gewendet hatte?

Wiering ließ ein Boot zu Wasser bringen, um in Gemeinschaft mit dem Kapitän den Führer des amerikanischen Schiffes aufzusuchen und dessen Beistand zu erbitten.

Der amerikanische Kapitän zeigte sich auch auf das edelmütigste bereit, seine Zimmerleute an Bord des Italieners zu schicken und ohne Verzug mit den notwendigsten Arbeiten beginnen zu lassen. Die See war ruhig geworden, am Himmel standen die Sterne, und ein schmeichelnder Hauch wehte über das Wasser dahin. Man konnte ohne Schwierigkeit die Barkasse aussetzen, mit allem Nötigen beladen und dem Wrack der »Napoli« entgegenschicken.

Auf dieser begann nun ein reges Treiben. Die Blaujacken kletterten in die Masten, fertigten ein Kajütendach, zimmerten eine neue Kambüse, flickten die Schanzkleidung und schlugen ihren beraubten Kollegen einige Seekisten notdürftig zusammen, während wieder andere den Herd aufsetzten, Wasser herbeifuhren und der Mannschaft des Wrackes halfen, dieses einigermaßen zu säubern.

Dabei wurde gesungen und gepfiffen; während die Hand emsig arbeitete, floß auch die Unterhaltung munter fort. Englische und italienische, deutsche und spanische Ausdrücke mischten sich hinein, man fragte und erzählte, und die Amerikaner wußten über den Korsaren wahrhafte Wunderdinge zu berichten.

»Wir jagen das Schiff schon über den ganzen Ozean,« sagte ein helläugiger Bursche, der mit flinken Händen einen neuen Hühnerkäfig zimmerte, »schon seit Monaten sind wir unterwegs, um die ›Blume von Tripolis‹ zu fangen, aber immer umsonst. Zehnmal glaubten wir sie zu haben, aber ebenso häufig ist sie wieder entkommen.«

Beppo hüstelte. »Das hat so seine Gründe,« sagte er.

Der junge Amerikaner zuckte die Achseln. »Man munkelt freilich allerlei, aber eines ist ganz gewiß, Kapitän Heireddin und der berüchtigte Omar Pascha sind gute Freunde. Aller Haß und alle Grausamkeit gegen die Christen stammen aus dem Herzen des Statthalters von Tripolis. Diese beiden Männer, Heireddin und er, kennen keine größere Genugtuung, als unter irgendeinem Vorwande den gefangenen Weißen die Köpfe abschlagen zu lassen.«

Beppo nickte. »Also Omar Pascha regiert noch?« fragte er.

»Immer noch, Maat. Habt Ihr von ihm gehört?«

»Ach – ich bin schon in seiner Gewalt gewesen. Gegen uns Italiener verhielt er sich ziemlich gleichgültig, nur die Deutschen verfolgt er mit dem grimmigsten Haß. Wer in seiner Gegenwart ihre Sprache redet, der ist verloren.«

»Saht Ihr selbst den gefürchteten Mann?«

»Sehr oft sogar. Er ist ein nicht mehr junger, stattlicher Herr mit dunklem Vollbart und ernsten, düsteren Blicken. Die Sklaven zittern vor ihm.«

Der Amerikaner wandte den Kopf. »Bill Roon!« rief er.

»Hier bin ich. Was soll's?«

»Komm doch einmal her!«

Beppo machte große Augen. »Bill Roon,« wiederholte er. »Das ist doch unmöglich mein Kamerad aus –«

Und dann eilte er einem herzutretenden Matrosen mit ausgestreckter Hand entgegen.

»Billi, Billi, du bist es wirklich!«

»Alter Beppo – mitten auf dem Weltmeer treffen wir uns wieder!«

Und die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und alles lauschte; Beppo und Bill Roon tauschten ihre Erinnerungen aus, wie sie aus der Gefangenschaft Omars und Fuad Paschas befreit wurden.

Wohl über eine Stunde ging das Gespräch der beiden hin und her. Die Matrosen folgten mit oft angehaltenem Atem, und alle bedauerten lebhaft, als Beppo und Bill zu Ende waren. Nun hieß es wieder Abschied nehmen.

Vom Bord der Fregatte erklang ein Signal, und in die Reihen der Amerikaner kam hüben und drüben eine verstärkte Bewegung. Jetzt war das Ruder wieder in Ordnung gebracht und auf der »Napoli« notdürftig der entstandene Schaden so weit ausgebessert, daß das Schiff seine Fahrt fortsetzen konnte. Auch Wasser hatte man erhalten, Küchengerät und einige neue Lampen.

Beppo und Bill Roon standen nebeneinander; die Trennung wurde beiden schwer.

»Im Kampfe mit den Korsaren verließen wir uns und mitten in einem solchen trafen wir uns nach einer Reihe von Jahren wieder. Ist es nicht seltsam?«

Bill Roons hübsches junges Gesicht zeigte die Bewegung, die der Bursche empfand. »Und alle unsere Genossen von damals,« sagte er, »wo mögen sie heute sein?«

»Gott weiß es. Auf Wiedersehen! Da ist das letzte Signal!«

Noch ein Händedruck, dann verließen die Blaujacken das Schiff, dessen Erretter sie in schwerer Stunde geworden waren. Hüben und drüben regte sich's in den Masten, neue Segel flatterten in der hellen Morgenluft, das Ruder und der Kompaßstrich wurden in Einklang gebracht, die Wellen rauschten auf, und nach rechts und links gingen beide Fahrzeuge auseinander, die Fregatte, um den Korsaren zu jagen, die »Napoli« dem fernen Ziele in der Südsee entgegen.

In der Nähe der Kambüse standen die beiden Rompano und sahen der Fregatte nach. »Du!« flüsterte Giulio.

»Was gibt es?«

»Ich befand mich zur Bedienung in der Kajüte, da hörte ich, wie unser Alter mit dem amerikanischen Kapitän über das Ziel der Reise sprach.«

Carlos spitzte die Ohren. »Hat er sich jetzt für eine bestimmte Gruppe entschieden?« flüsterte er.

»Ja. Für die Pelew-Inseln.«

Die Augen des Untersteuermannes blitzten plötzlich auf. »Dann haben wir Glück!« raunte er. »Besser konnte es nicht kommen. Wahrhaftig – wir werden die Millionen von Ualan wie im Schlafe gewinnen! Aber,« fügte er dann rasch hinzu, »daß du keinem Menschen eine Silbe verrätst, Junge. Ich könnte sonst – –«

»Unsinn, Carlos. Das glaubst du doch selbst nicht!«

Die beiden Vettern sahen einander an. Sie verstanden sich.

Die »Napoli« setzte ihren Kurs fort. Bald war das Kap der guten Hoffnung passiert und die Insel Madagaskar zur Linken hinter sich gelassen. Eines Tages standen Carlos und Giulio allein auf dem Verdeck.

»Ich habe jetzt sämtliche Italiener für meinen Plan gewonnen,« raunte Carlos seinem Vetter ins Ohr. »Der Sieg gehört uns.«

Giulios Augen glänzten. »So hat der Kapitän nur die vier Deutschen auf seiner Seite? Wirklich nicht mehr?«

»Keinen Mann weiter. Die Leute setzen, da es große Schätze gibt, alles aufs Spiel.«

Matthias' Stimme unterbrach plötzlich diese Auseinandersetzung. Er stand auf der Back und hatte den Dienst am Ausguck. »Pottwale!« rief er plötzlich.

Der Obersteuermann war aus die Leeseite des Schiffes getreten. »Hallo!« jubelte er. »Eine ganze Kompanie von Pottwalen, richtig mit dem Hauptmann an der Spitze.«

Lamberti erschien im Vorraum der Kajüte. »Pottwale!« rief er nach dem ersten Blick auf das Meer. »Habt ihr Lust zu einer Bootsjagd, Kinder?«

»Ja,« hieß es von allen Seiten. »Das gibt doch einmal eine Abwechselung.«

»Nun, dann legt back und bringt das große Boot zu Wasser!«

Des Kapitäns Befehle wurden in größter Eile vollzogen. Wie eine Schar ausgelassener Knaben tummelten sich die Matrosen. Es fanden sich Harpunen an Bord, es wurden Taue durch den Block geschoben und Messer und Beile gewetzt.

Das Boot lag auf den Wellen, und zwölf Mann, unter ihnen Matthias, stiegen mit allem Nötigen versehen hinab. Die Fische waren bei ihrem Spielen und Toben so nahe herangekommen, daß das Boot gleich einer Nußschale zwischen weißen Schaumkronen auf und ab schaukelte. Acht Männer saßen an den Riemen, einer am Ruder und einer bei dem Block, durch den die Leine geschoben war; zwei standen, mit spitzgeschliffenen Harpunen zum Wurf bereit, mitten in dem kleinen schwankenden Fahrzeug.

In voller Fahrt nahte das Boot, während von dem Schiffe schon ein zweites zu Wasser gebracht wurde. Die beiden Harpunierer wechselten einen schnellen Blick, und als nun ein großer Pottfisch aus dem Schaumgeriesel emportauchte, flogen zwei Eisenhaken zugleich in den unförmlichen Körper und bohrten sich fußtief in sein dickes Fleisch hinein.

»Den hätten wir!« rief Carlos.

Im gleichen Augenblick schossen wie auf ein erhaltenes Warnungssignal alle Fische zugleich mit dem Harpunierten in die Tiefe hinab.

Mit erhobener dritter Harpune stand der Untersteuermann, mit scharfgeschliffenem Beil in der Hand ein Matrose. Kam ein Augenblick dringender Gefahr, so konnte das Tau gekappt werden, obgleich dann die Beute verlorenging, aber man besaß doch für den äußersten Notfall ein Rettungsmittel.

Vom Bord der »Napoli« sah alles die seltsame Fahrt mit an. Kapitän Lamberti schien etwas unruhig. »Das Spiel wird zu ernst,« sagte er halblaut. »Sie sollten lieber das Tau kappen!« Und dann nach einigen Augenblicken: »Die Fische machen kehrt. Und nun steht das Boot plötzlich still.«

»Jetzt wird es gefährlich!« rief Edenbrecher. »Solange der Fisch das Boot mit sich fortreißt, geht alles gut; haben ihn aber die Schmerzen erst rasend gemacht, dann kommt er an die Oberfläche und schlägt um sich.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als seine Worte auch schon in Erfüllung gingen. Das Meer rauschte auf, hohe Spritzwellen, blutrot durchzogen, verhüllten die Aussicht – das Boot war nicht mehr zu entdecken.

Edenbrecher schlug mit geballter Faust auf die Schanzkleidung, dann fuhr er sich über die Stirn und trat aufgeregt hin und her. »Ich tue es!« schrie er in das drückende Stillschweigen hinein. »Ich tue es! Schnell, Jungens, wir müssen rudern auf Tod und Leben!«

Und an der Strickleiter mehr fallend als kletternd, plumpste er in das Boot, sogleich zwei Riemen ergreifend und mit gewaltigen Schlägen das kleine Fahrzeug durch die Fluten treibend.

Der verwundete Pottwal schlug um sich, daß es wie ein Sturzregen die Boote und die Menschen übergoß. Bei seinem jedesmaligen Erscheinen an der Oberfläche des Wassers empfing ihn eine neue Harpune. Die in Aufregung geratene Herde umdrängte den Kampfplatz. Es schien unmöglich, den wütenden Schwanzschlägen des Tieres zu entgehen.

»Tau kappen, um Gottes willen,« schrie Edenbrecher.

»Ist längst gekappt,« klang es zurück.

Eine hochgehende Woge trieb die beiden Boote gegeneinander. Dicht neben dem Bordrand der Schaluppe erschien der plumpe, blutüberströmte Kopf des Fisches. Die Augen waren halb gebrochen, das Maul weit offen, aus der Nasenöffnung drang ein hoher Wasserstrahl hervor, und der ganze gewaltige Körper vollführte eine letzte krampfhafte Bewegung.

Edenbrecher war in das andere Boot hinübergesprungen. »Matthias,« rief er, »Junge, wo steckst du? – Dich wenigstens will ich retten.«

Aber es war zu spät. Ehe der Riese seinen jungen Landsmann erfassen und in das zweite Boot hinüberschaffen konnte, hatte der Fisch im Todeskampfe einen letzten gewaltigen Schlag mit dem Schwanze vollführt – das erste Boot flog in die Luft empor, und alle seine Insassen wurden hinausgeschleudert in das Meer.

Edenbrecher hielt in seinen beiden eisenfesten Armen Matthias. Mit ihm machte er die Reise durch die Luft und mit ihm fiel er in das Wasser, daß es klatschte und die Wellen hoch aufspritzten. In rasender Eile fuhren die Festumschlungenen in die Tiefe und ebenso schnell wieder an die Oberfläche empor. »Junge,« prustete der Koch, »Junge, kannst du schwimmen?«

»Wie ein Fisch, Maat.«

»Na, dann bleib ganz in meiner Nähe, hörst du!«

Und er tauchte mit dem Kopf voran wie ein Otter in die schäumenden Wogen, während sich Matthias nur mit Mühe über Wasser hielt. Er sah umher. Etliche Kameraden schwammen. Einen derselben hielt Weber an den Haaren gepackt und zog ihn hinter sich her zum Boote, einen anderen hatte die unversehrt gebliebene Besatzung schon aufgefischt, und den dritten brachte gerade jetzt der lange Heinz an die Oberfläche. Nun fehlte keiner mehr, aber das Boot war dafür auch Kopf an Kopf gefüllt. Seine Führer setzten es vorsichtig in Bewegung, um das Schiff zu erreichen und die gänzlich Durchnäßten an Bord zu bringen.

Hinter sich her zogen sie an zwei durch Harpunen gehaltenen Leinen den Pottfisch. Er war tot, die übrigen Tiere ergriffen eilig die Flucht.

Von der »Napoli« war das letzte Boot ausgesetzt, um auf die kieloben treibende Schaluppe Jagd zu machen. Sämtliche Riemen mußten verloren gegeben werden, aber das große Boot sollte womöglich wieder an Bord gelangen, und so eröffnete man mit lebhaftem Eifer die neue Jagd auf das tanzende, von der Strömung spielend bald hierhin, bald dorthin getriebene Fahrzeug.

Sie kamen nach einer Viertelstunde alle unversehrt zur »Napoli« zurück; auch das treibende Fahrzeug war wieder eingeholt; allenthalben herrschte fröhliche Stimmung.

Ehe das Schiff seine Fahrt fortsetzte, kletterten einige der geschicktesten Matrosen auf den Körper des erlegten Pottfisches und trennten, während man sie an sicheren Leinen vom Verdeck aus festhielt, den Kopf des Tieres vom Rumpfe. Das gewonnene Walfleisch wurde in Fässer gefüllt und der Rest des Fisches den Haien überlassen.– – –

In den nächsten Tagen begannen die Vorbereitungen für den Heiligen Abend. Alle an Bord waren in bester Laune. Nur der alte Segelmacher war ernst und ging, ruhig wie immer, auf dem Verdeck umher, um überall nach dem Rechten zu sehen. Er warf Papierfetzen und Bindfaden ins Meer, putzte die Kerzen und trug dies und das an seine Stelle. Die weihnachtliche Fröhlichkeit schien ihn nicht zu kümmern. Außer ihm fehlten am Christabend noch einige Matrosen unter den beieinandersitzenden Genossen.

Der Segelmacher bemerkte es und auch der Steuermann. »Etwas geht vor,« dachte dieser, und am Abend sprach er es in der Kajüte offen dem Kapitän gegenüber aus.

Lamberti sah voll Überraschung auf. »Das glaubte ich schon seit längerer Zeit zu bemerken, Steuermann. Aber was in aller Welt kann es sein?«

»Streitigkeiten, ein tiefgehender Zwist. Der Untersteuermann ist die Seele irgendeines Planes, soviel steht fest.«

Lamberti nickte. »Vielleicht gedenkt Rompano die unbekannte Insel mit bewaffneter Hand zu nehmen und als Carlos der Erste auf Mog-Mog eine neue Königsherrschaft zu gründen.«

Wiering schüttelte kaum merklich den Kopf. »Sie sollten meines Erachtens die Sache nicht so leicht nehmen, Herr Kapitän. Es scheint, daß Rompano einen sehr großen Einfluß gewonnen hat.«

»Mit dem er aber doch nichts ausrichten kann. Und jedenfalls bleibt uns die Gegenpartei.«

»Drei, höchstens vier Mann – ja!«

Der Kapitän lachte, er hob das Glas und bot es seinem Untergebenen. »Sie sehen zu schwarz, Steuermann. Auf glückliche Fahrt und frohe Heimkehr!«

Wiering tat Bescheid, aber ohne auf das bisher geführte Gespräch nochmals zurückzukommen. Er wollte unter der Hand die Leute beobachten und dann handeln.

Wie durch einen stillen, klaren Fluß ging die Fahrt nach dem Heiligen Abend noch vier Tage lang fort, dann sagte der Kapitän, indem er auf das Meer hinaus deutete: »Morgen muß unsere Insel in Sicht kommen.«

»Wir werden aber wohl zuerst mit einigen Matrosen selbst an Land gehen, nicht wahr, Herr Kapitän? Einer von uns bleibt unterdessen an Bord.«

»Rompano kann mich begleiten, denke ich. Sie haben für diese Zeit den Oberbefehl, Steuermann.«

»Gut, Herr Kapitän. Ich denke: Außer Ihnen und dem Untersteuermann gehen noch Edenbrecher, Weber und der Segelmacher mit an Land.«

Lamberti lächelte. »Aus Ihrer Anordnung spricht eine geheime Besorgnis, Steuermann. Was fürchten Sie denn?«

Er zuckte die Achseln. »Wüßte ich es, dann könnte ich auch handeln, mich zur Wehr setzen, aber so ist alles um mich herum dunkel, und in dieser Finsternis lauert das Verderben.«

In der diesem Tage folgenden Nacht vermochte Matthias nicht fest zu schlafen. Bunte Lichter gaukelten vor seinen Sinnen: grauer Strand, wild aufragende Felshöhen, blumige Wiesen … auf einmal war es, als dringe ein Flüstern, dringe das Geräusch von leisen Schritten in seinen Traum, er hatte das Gefühl, als taste etwas nach seinen Füßen. »Wer da?« rief er, sich halb ermunternd.

Eine Weile war es still. Dann wieder vernahm er unterdrücktes Kichern und zugleich durchzuckte ein stechender Schmerz seine Füße. Er fuhr auf und wollte rufen, aber schon legte sich eine schwere Hand auf seinen Mund, so daß er keinen Laut hervorbringen konnte.

Nur sehen konnte er noch, und er gewahrte mit Entsetzen, daß Theodor Weber geknebelt und gefesselt neben ihm in der Koje lag. Weiterhin, wo Edenbrecher schlief, bemühten sich sechs Männer, den Riesen zu überwältigen. Darunter auch Carlos. Giulio stand etwas abseits, wie um zuzugreifen, falls es notwendig werden sollte.

Das alles gewahrte Matthias, während man ihm Hände und Füße zusammenschnürte und ihm ein Tuch in den Mund stopfte. Dann ließ man ihn liegen. –

Vor seinen Augen schienen Funken zu fliegen, das Atmen wurde ihm schwer. Mit verzweifelter Anstrengung suchte er seine Fesseln zu sprengen, aber vergeblich. Die scharfen Seile schnitten ihm nur um so heftiger in das Fleisch.

Keinem war ein Leid geschehen. Weder ihm, dem Leichtmatrosen, noch dem inzwischen ebenfalls überwältigten Edenbrecher.

Das große Boot wurde klargemacht, ein Fäßchen mit Wasser, Schiffsbrot, eine Speckseite, einige Wolldecken und auch Trinkgefäße hineingeworfen. Alles das geschah ohne jedes Geräusch. Fast sämtliche Matrosen waren dabei beschäftigt, der alte Segelmacher nicht. Keinen Finger rührend, saß er abseits und starrte finster vor sich hin.

Matthias klopfte das Herz zum Zerspringen. Was bedeuteten alle diese Vorbereitungen?

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum überdachten Vorraum der Kajüte, und der Obersteuermann trat hervor. Seine überraschten Blicke wandten sich von einer Gruppe zur anderen.

»Was bedeuten diese seltsamen Vorgänge hier an Deck?«

»Das werden Sie sogleich erfahren. Rufen Sie nur den Kapitän,« entgegnete scheinbar ruhig Rompano.

Wiering wechselte die Farbe. »Edenbrecher!« rief er. »Matthias! Weber! Wo steckt ihr?«

Rompano lächelte spöttisch. »Geben Sie sich keine unnötige Mühe, Obersteuermann! Ihre Landsleute können Ihnen keinen Beistand leisten.«

»Ach! – Also ein vorbereiteter Überfall? Ihr habt wohl gar die ahnungslosen Leute ins Meer geworfen?«

Der Steuermann lachte. »Keineswegs,« antwortete er. »Sehen Sie in das Logis, Wiering, da finden Sie Ihre Freunde vollkommen unbeschädigt vor. Es ist uns gerade sehr viel daran gelegen, daß kein Tropfen Blut vergossen wird. Bitte, veranlassen Sie den Kapitän, an Deck zu kommen!«

Ehe der Steuermann das ausführen konnte, öffnete sich drinnen die Tür zur Kapitänskajüte, und Lamberti trat heraus. Der unregelmäßige Gang des Schiffes hatte ihn geweckt. Er sah voll Erstaunen um sich. »Nun, Leute?«

Wiering bewegte die Hände. »Nun ist es da, das längst Vorhergesehene, Herr Kapitän. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß etwas im Werke sei, aber Sie wollten meinen Worten keinen Glauben schenken.«

Rompano wandte den Kopf, und auf dies offenbar verabredete Signal hin umringten ihn sämtliche Matrosen mit Ausnahme des alten Beppo, der auch jetzt ruhig seinen Platz behauptete und mit verschränkten Armen den Ereignissen zusah, ohne sich einzumischen.

Der Kapitän war blaß wie eine Leiche; seine Lippen bebten. »Meuterei!« stammelte er gänzlich fassungslos.

Rompano blieb ganz gelassen. »Wir haben die friedlichsten Absichten, Herr Kapitän,« sagte er, »wir werden weder Ihnen noch sonst jemandem ein Haar krümmen. Alle Vorbereitungen, um dies Ziel erreichen zu können, sind getroffen, es liegt daher nur an Ihnen, die ganze Sache gütlich zu Ende zu führen.«

»Welche Sache?«

Rompanos Stimme bebte nun doch unwillkürlich. »Sie wollen die Insel Mog-Mog anlaufen, Herr Kapitän,« sagte er, »wir aber nicht. Sie wollen Sklaven einfangen, wir dagegen haben andere Absichten. Unsere Wege gehen daher auseinander, das müssen Sie erkennen, nicht wahr?« Als die Antwort ausblieb, setzte er hinzu: »Wir befinden uns in der Überzahl, folglich sind wir es, die im Augenblick Gesetze geben.«

»Das heißt, die uns, die rechtmäßigen Gebieter des Schiffes, zwingen sollen, das Boot zu besteigen und die ›Napoli‹ zu verlassen, nicht wahr?«

»So ist es.«

Der Kapitän schien nur mit Mühe an sich zu halten. »Und wenn wir uns weigern? Was geschieht dann? Wollt ihr euer Verbrechen so weit treiben, uns das Leben zu nehmen?«

»Wir müssen es unsrer eigenen Sicherheit wegen – ja. Machen Sie daher die Sache kurz, bringen Sie Ihr persönliches Eigentum ungeschmälert in das Boot und lassen Sie uns so schnell wie möglich scheiden.«

Lamberti sah umher. »Wo sind die deutschen Matrosen?« fragte er.

»Wohlverwahrt, Herr Kapitän. Könnten Sie die zur Hilfe herbeirufen, so entstände nur zweckloses Blutvergießen, an der Lage der Dinge aber würde nichts geändert werden. Wir sind die Herren des Schiffes.«

»Alle, außer den Deutschen und Beppo?«

»Jawohl!«

Lamberti wandte sich ab und verließ, gefolgt von dem Obersteuermann, das Deck. In der Kajüte sank er wie gebrochen auf einen Stuhl.

»Dürfen wir so ohne Gegenwehr uns ergeben, Wiering? Müßten wir nicht unter den Hieben dieser Burschen erliegen, ehe wir nachgeben?«

»Nein, Herr Kapitän, nein, es geht nicht! Man würde uns ohne viele Mühe überwältigen und dann die drei Deutschen umbringen.«

Lamberti erhob sich. »So lassen Sie uns unser Heil versuchen, Steuermann! Dieser Zustand ist unerträglich.«

Die beiden Männer zogen statt der bequemen täglichen Kleidung neue haltbare Anzüge an, banden ihr sonstiges Eigentum in Bündel rund traten dann wieder hinaus unter die versammelte Schar der Matrosen. »Werdet Ihr uns von den drei an Bord befindlichen Kompassen einen bewilligen?« fragte Wiering den Untersteuermann.

»Sehr gern,« lautete die Antwort. »Nehmen Sie den, der Ihren Zwecken am besten entspricht.«

Das Instrument wurde mit dem übrigen Gepäck in das große Boot hinabbefördert, und dann sagte der Kapitän: »Jetzt lassen Sie die drei deutschen Matrosen kommen, Steuermann!«

Rompano deutete mit der Rechten auf die See hinaus. »Sobald Sie Platz genommen haben, Herr Kapitän.«

Wiering stieg ohne ein Wort des Widerstandes die Strickleiter hinab, und Lamberti folgte ihm, innerlich kochend vor Zorn. Als die beiden im Boote warm, holte man Edenbrecher aus dem Logis hervor und nahm ihm die Fesseln von Händen und Füßen – den Knebel riß er dann schon selbst aus dem Mund. »Na, ihr Erzhalunken, ihr Schufte! Daß ihr in alle Ewigkeit wie der fliegende Holländer zwischen den fünf Erdteilen umhertreiben müßtet, ohne landen oder sterben zu können!«

Als der Koch das Boot erreicht hatte, wurden Weber und Matthias entfesselt und an das Fallreep geführt; nach ihnen kam der Segelmacher mit zwei großen Bündeln, in denen sich außer seiner persönlichen Habe auch noch etwas Geschirr und eine Pistole mit Munition befanden. Der Alte war blaß, aber ruhig.

Edenbrecher und Weber stellten den Mast auf, um das Segel zu setzen, Matthias verstaute den Mundvorrat, und Wiering nahm am Ruder Platz, während der Kapitän wie gebrochen, untätig und wortlos vor sich hinsah.

»Vorwärts!« sagte Beppo.

Das Segel entfaltete sich, der Wind fiel hinein, und schaukelnd glitt das Boot über die Wellen dahin.

Auf der »Napoli« sahen bleiche Gesichter einander an. Als Rompano die nötigen Befehle gab, klangen seine Worte beinahe scheu, wie von innerer Aufregung erstickt. Er eilte schleunigst in die Kapitänskajüte, um allein zu sein, und als ihm Giulio dahin folgen wollte, wies er dem Knaben mit barscher Bewegung die Tür. »Du hast im Hinterteil des Schiffes nichts zu suchen, Bursche!«

Sein junger Vetter lachte unverschämt. »Der lange Sempronio versteht die Steuermannskunst genau so gut wie du, Carlos. Er sagte erst kürzlich mit Bezug auf dich: ›Dieser gute Rompano darf um des Himmels willen nicht glauben, daß er den Tyrannen spielen kann – oder er fliegt einmal unversehens über Bord‹.«

In Rompanos Gesicht wechselte die Farbe. Ohne eine Silbe zu antworten, nahm er den Knaben beim Kragen, warf ihn zur Tür hinaus und verschloß sie von innen. Dann setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in beide Hände. Er sah nicht aus wie jemand, der soeben eine Schlacht siegreich gewonnen hat. – – –

Währenddessen schaukelte das Boot mit den Ausgesetzten auf hoher See.

Brennend heiß schien die Sonne herab, kalt wehte in der Nacht über die unbeschützten Stirnen der Wind; ein Tag folgte dem anderen, ohne Erlösung, ja ohne auch nur eine neue belebende Hoffnung zu bringen. Keine Insel zeigte sich den Blicken, kein Schiff kreuzte den Weg. Endlos im Sonnenglanze dehnte sich schimmernd und blitzend nach allen Seiten der Ozean.

Nahe dem Boote erhob sich über das Wasser ein ungestalteter Kopf; ein offener Rachen schien zu schnappen, gewaltige Zähne in drei Reihen tarnen zum Vorschein. Ein Hai! Er lauerte auf Beute. Ohne Angriff, aber unausgesetzt zog er dem Fahrzeuge nach. An der anderen Seite des Bootes schwamm sein Weibchen. Es war nicht mehr möglich, die Hände im Meer zu waschen. Nur ganz vorsichtig konnte das Ruder gedreht werden. Wenn die Bestie zugeschnappt und es zerbrochen hätte, wäre alles verloren gewesen.

Tage und Nächte kamen und gingen.

»Hat jemand die verflossenen Tage gezählt?« fragte einmal der Segelmacher.

Wiering deutete auf eine Anzahl kleiner, in den Bootsrand geschnittener Kerben. »Es sind ihrer dreizehn,« antwortete er.

»So viele schon! Dann muß die Hilfe bald kommen, oder es ist alles verloren.«

»Ich glaube, am nördlichen Horizont einen dunklen Punkt zu sehen,« sagte Matthias. »Vielleicht ist es ein Gebirgszug.«

Alle Hände bedeckten die Augen, alle Blicke suchten voll Anstrengung die Geheimnisse der Ferne zu erspähen. Edenbrecher stieg auf das mittlere Sitzbrett, von wo aus er bei seiner stattlichen Länge alle im Boote befindlichen Genossen weit überragte. Er nickte sehr zufrieden und rieb sich die Hände wie jemand, der eine angenehme Entdeckung gemacht hat.

Er beobachtete unausgesetzt den dunklen Punkt. »Es ist ein Strand,« behauptete er. »Man sieht je länger, desto deutlicher, daß sich die Stelle unbeweglich hält. Ein Gebirge wird es sein.«

»Ach, das gebe Gott!«

Matthias streckte die Arme aus. »Ein Hochwald!« rief er. »Nur noch wenige Stunden, dann sehen wir grüne Bäume.«

»Und können frisches Wasser trinken, baden und im Grase liegen.«

Der Kapitän ließ matt den Kopf zurücksinken. »Hofft nicht zu früh!« sagte er. »Das ist gefährlich. Es gibt hier auch Inseln mit ganz wilden Bewohnern.«

Seine Zähne schlugen im Fieberfrost aneinander. »Hätte ich Wasser,« murmelte er. »Hätte ich Wasser!«

In dieser Nacht schlief keiner der sechs Männer, sie beobachteten alle beim Mondenlicht den näher und näher rückenden, heiß ersehnten Strand, dessen Eigentümlichkeiten später im ersten Morgenglanze offen vor ihren Blicken lagen. Ein breiter weißer Strand bildete den äußeren, in das Meer ausmündenden Landstreifen, dem dann üppig grüne Matten folgten, Kokospalmen in großer Anzahl, mit Blüten und Früchten bedeckte Gebüsche, herrlich roter Kaktus und weiße Glockenblumen mit goldigem, zartem Kelch.

»Ein Paradies!« rief Matthias.

»Bringt mir Wasser,« bat der Kapitän. »Ich verschmachte.«

Als das Boot den flachen Strand berührte, sprang ein Teil der Männer, unter ihnen auch Matthias, heraus und eilte mit Schöpfgefäßen dem Flusse zu. Der alte Segelmacher blieb bei dem kranken Kapitän zurück. Er lud die Pistolen und legte sie neben sich auf das Sitzbrett.

»Für alle Fälle,« sagte er, und Wiering nickte ihm zustimmend zu. Man hatte den Fluß erreicht, man trank, wusch sich, füllte die Schöpfgefäße. Neues Leben rann durch aller Adern.

»Jetzt schnell zum Boote zurück und den beiden Zurückgebliebenen Wasser bringen,« sagte Weber, »komm mit, Matthias, wir wollen dann alles Weitere beraten.«

Er hatte kaum die Worte gesprochen, als es hinter ihm in den hohen Schilfmassen des Ufers plötzlich rauschte und ein braunes Gesicht mit funkelnden Augen daraus hervorsah. Matthias trat rasch einen Schritt zurück. »Ein Eingeborener!« rief er. Ebenso schnell folgte ein knurrender, zorniger Laut des Wilden, eine lange Lanze kam zum Vorschein, und nur durch einen gewandten Seitensprung vermochte sich unser Freund vor der toddrohenden Waffe zu retten. Edenbrecher hatte im gleichen Augenblick den langen hölzernen Schaft den Händen des Eingeborenen entrissen und mit seinen gewaltigen Kräften in zwei Stücke zerbrochen; aber selbst diese entschlossene Tat konnte nur wenig nützen, denn Kampfgeheul erscholl ringsumher und überall tauchten aus Schilf und Gebüsch braune Gestalten hervor, jeder einzelne Mann mit der Lanze bewaffnet, jeder schreiend und springend.

»Zum Boot! Zum Boot!« rief Matthias. »Wir können uns unmöglich halten.«

»Aber ebensowenig können wir an den Strand gelangen!«

Weber blickte rückwärts und erschrak heftig. Der Weg war von mindestens zwanzig Eingeborenen versperrt. Alle schwangen ihre Lanzen und überboten sich in ohrenzerreißendem Kriegsgeheul.

Edenbrecher hatte aus dem Gebüsch einen Stock gebrochen und prügelte rücksichtslos nach allen Seiten die braunen Gesellen, daß sie gleich gemähten Halmen zu Boden taumelten. Ein neuer Simson, schlug er in die Flucht, was sich ihm entgegenstellte, aber dennoch würde er schließlich der Überzahl erlegen sein. Da dröhnte der Knall eines Pistolenschusses, Pulverdampf erfüllte die Luft und einer der Eingeborenen schrie laut auf. Die Kugel war ihm durch den Oberarm gegangen, und das Blut spritzte wie aus einer Quelle in Strömen hervor. Beppo war auf dem Kampfplatze erschienen. Kaltblütig einen Schritt weiter gehend, zielte der Segelmacher auf einen anderen Wilden und traf diesen an gleicher Stelle. Das gab das Signal zur allgemeinen Flucht; die harmlosen Kinder der Natur überstürzten sich vor Angst, und im Laufe weniger Sekunden waren sie sämtlich im Gebüsch verschwunden.

»Zum Boot!« mahnte der Segelmacher, während er in fliegender Hast die Pistole wieder lud. »Zum Boot!«

»Aber du mußt mit uns gehen, Beppo!«

»Ich decke den Rückzug. Schnell! Schnell! Ein derartiger Schreck ist gewöhnlich sehr rasch überwunden.«

Edenbrecher, Weber und Matthias liefen zum Strande hinab, während der Segelmacher rückwärts gehend, in langsamerem Tempo folgte und dabei die Pistole immer schußgerecht in der Hand hielt. Erst als das Boot erreicht war, ließ er den Arm sinken und beeilte sich, mit Edenbrecher und Wiering das Fahrzeug so rasch wie möglich flott zu machen. Die Eingeborenen tauchten hier und da wieder aus den Gebüschen hervor, eine Lanze flog dicht über die Köpfe der Männer in das Meer, und schon erschallte neues Kriegsgeheul.

»Noch einen Schuß, Alter!« gebot Wiering.

Beppo gehorchte, und die Wilden waren nun wirklich verscheucht. Das Boot glitt wieder über die Wellen wie vorher; keine Lanze, kein Schwimmer konnte es mehr erreichen – so still, so friedlich, einem kleinen Paradiese gleich lag wieder die Insel da.

Gegen Mittag wurde der Wind ziemlich stark. Hier und da schlug eine See in das kleine Fahrzeug hinein und durchnäßte alle Insassen, besonders den Kapitän, der, unfähig sich aufzurichten, zwischen den Bänken lag.

Weiter ging es, weiter. Der Abend nahte. Wieder hob Matthias den Kopf und lauschte. »Hört ihr nichts?« fragte er. »Es klingt wie ein Brausen und Rollen.«

Wiering seufzte. »Ich höre es schon lange,« antwortete er. »Das ist eine Brandung.«

»So wäre also eine Koralleninsel in der Nähe?«

»Wahrscheinlich. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, in Nacht und Dunkelheit gegen ein Riff geworfen zu werden.«

Gegen Morgen flogen große weiße und graue Vögel über das Boot, zuerst einige, dann ganze Züge. Beim ersten Tagesgrauen erkannte man auch die Klippe, die, von der Brandung umtost, jedenfalls den Wohnsitz dieser großen Wasservögel bildete.

Wie in den letztvergangenen Tagen legte sich bei Sonnenaufgang der Wind. So war es wenigstens möglich, langsam die Klippe zu umfahren. Ob sich kein Zugang fand? Doch! Eine stille Lagune zeigte sich den Blicken und mitten in ihrem ovalen Innern eine grüne Insel voll niederen Gebüsches, voll Gras und Blumen, ein sanft geneigter Strand, auf dem zu Tausenden die großen weißen Vögel in beschaulicher Ruhe ihre Eier ausbrüteten. Von Menschen war keine Spur zu entdecken.

Wiering und Edenbrecher lenkten ohne Zögern mit ihren letzten Kräften das Boot in die enge Durchfahrt hinein.

»Hier lebt niemand,« sagte Mering. »Die Vögel sind in ihrer Ruhe noch niemals gestört worden.«

Und nun wurde eine Entdeckung nach der andern laut verkündet.

»Wasser!« jubelte Matthias. »Wasser, Herr Kapitän. Da sind zahllose Vertiefungen in den Korallenbänken. – Alle bis zum Rande vom Regen angefüllt. Hurra! Wasser auf Monate hinaus.«

»Bringt nur das Boot irgendwo hinter die Klippen, wir sind hier ganz sicher. Der Herr Kapitän kann ein warmes, trocknes Lager erhalten.«

»Und Früchte essen, soviel er mag!«

»Hallo – da sind Austernbänke! Der Himmel hat uns doch noch nicht vergessen.«

Der Steuermann und Beppo hatten das Boot in einen geschützten Winkel gebracht und dann den kranken Kapitän mit Edenbrechers Hilfe an Land getragen. Dichter, üppiger Graswuchs bedeckte den Boden, eine wollene Decke wurde darüber gebreitet, das Kopfende etwas erhöht, und nun lag Lamberti weich wie auf Daunen gebettet. Weber hatte schon für ihn eine Anzahl Austern geöffnet und mit Fruchtsaft beträufelt; jetzt brachte er das Gericht zierlich auf einem der Sitzbretter des Bootes, so daß selbst der Kranke bei diesem Anblick lächeln mußte.

Kapitän Lamberti hatte sich allmählich wieder erholt, und auch die anderen hatten neue Kräfte gesammelt. Einstweilen war man geborgen, und einmal mußte doch auch ein Schiff des Weges kommen. Vielleicht waren ja schon viele in dunkler Nacht vorübergefahren, ohne daß ihre Mannschaft wußte, wie heiß in nächster Nähe bedrohte, verlassene Menschen die Hilfe herbeisehnten.

Tage und Wochen vergingen. Die Stimmung der sechs Genossen wurde immer bedrückter. Kein einziges Segel hatte sich bisher gezeigt. Wie lange würde man hier in der Ode ausharren müssen.

Als man nun eines Abends im Schutz der kleinen Hütte, die man sich notdürftig errichtet hatte, dasaß, rollte auf einmal ein fremder Klang über die Insel hin, der alle Männer jäh auffahren ließ.

»Was war das?« – »Ein Donnerschlag!« – »Unmöglich! Man hätte den Blitz sehen müssen!« – »Ein Kanonenschuß!« klang es aufgeregt durcheinander.

Wie auf Verabredung stürzten alle hinaus und hielten Umschau. Gleich zwei Leuchtpunkten winkten in weiter Entfernung die Laternen eines Schiffes über das Wasser, und soeben erfolgte ein zweiter Schuß.

»Ein Schiff, ein Schiff,« jubelte Matthias laut auf.

»Aber eins in Not, Junge. Es brennt.«

Bild: Karl Mühlmeister

»Großer Gott!« rief der Kapitän. »Wäre es doch heller Tag, dann könnte man ein Zeichen geben.«

Während der letzten Minuten hatte jener anfänglich schwache Feuerschein immerfort zugenommen und war nun in eine rote Glutmasse übergegangen. Dabei kam das Schiff in voller Fahrt näher und näher an die Insel heran, offenbar mit Wind und Strömung treibend.

Schuß folgte auf Schuß. »Hilfe! Hilfe!« rief der metallene Mund dringlich in Nacht und Finsternis hinein.

Eine hohe Feuersäule sprang plötzlich empor, man sah sekundenlang, daß Männer und Frauen auf dem Verdeck durcheinanderliefen, daß zwei Boote zu Wasser gebracht wurden und daß auf dem ganzen Schiff die schrecklichste Verwirrung zu herrschen schien.

Der Kapitän und der Steuermann sahen einander an. »Verstehen Sie das?« fragte Lamberti. »Die Leute handeln vollständig kopflos.«

»Weil sie nicht versuchen, die brennende Ladung über Bord zu werfen?«

»Wäre ich an Bord!« rief Wiering. »Ach, wäre ich an Bord!«

»Jetzt käme auch der Tüchtigste zu spät.«

Ein donnernder Knall unterbrach den Satz. Zum Himmel hinauf schossen rote Feuergarben. Eine Lohe, aus der nichts Einzelnes mehr hervortrat, umhüllte das unglückliche Schiff. Noch ein gellender Laut drang herüber, dann Todesstille und tiefe, undurchdringliche Finsternis.

»Nun sind sie tot, die eben noch kämpften und stritten, hofften und fürchteten,« sagte mit leiser, bebender Stimme der alte Segelmacher. »Gott sei den armen Seelen gnädig!«

Man sah noch lange auf das dunkle Meer hinaus, und erst spät in der Nacht suchte die kleine Schar das Lager auf, freilich nur, um rastlos zu horchen, ob nicht vom Meere her irgendein Geräusch herübertönte. Große Haie tummelten sich um die Klippe, schlugen mit den Schwänzen und bekämpften einander, daß das Wasser hoch aufspritzte. Die Ungeheuer der nassen Welt hielten heute eine reichliche Mahlzeit.

Am anderen Morgen sah Matthias sehnsuchtsvoll auf das Meer hinaus. Plötzlich weckte eine ungewöhnliche Erscheinung seine Aufmerksamkeit. »Ich sehe Kanus,« rief er aufgeregt.

»Und in jedem sechs Insulaner,« fügte der Steuermann hinzu, der auf seinen Ruf herbeigeeilt war. »Was mögen sie wollen?«

Allerbarmender! Wenn die Wilden landeten und angriffen, konnten sie mit leichter Mühe den Sieg über sechs erschöpfte und von den besten Kräften verlassene Männer erringen.

»Wir müssen ihnen so freundlich wie möglich entgegenkommen,« riet Beppo, »auf einen Kampf dürfen wir es in keinem Falle ankommen lassen.«

Schon hatten die Kanus das Ufer erreicht. Ihre Besatzung schritt, die langen Speere in der Hand haltend, auf die Hütte der Schiffbrüchigen zu.

Die Weißen erhoben sich von ihren Sitzen. Der Kapitän streckte beide Hände aus – eine Bewegung, die von den Eingeborenen unmöglich mißverstanden werden konnte. Sie sagte deutlich, daß man Frieden und gutes Einvernehmen anbiete.

Der Anführer der stattlichen Schar lächelte sehr zufrieden. Er legte die Lanze auf den Boden, erfaßte beide Hände des Kapitäns und begann sich schaukelnd von einem Fuße auf den anderen hin und her zu wiegen.

Beppo seufzte aus erleichtertem Herzen. »Nun sind wir gerettet,« flüsterte er. »Machen Sie nur jede Bewegung mit, Herr Kapitän. Die Zeremonie ist sehr ernsthaft gemeint.«

»Folgt denn noch eine weitere Fortsetzung?« fragte Edenbrecher.

»Natürlich. Bis jetzt ist das alles nur die Einleitung, dann kommt das gegenseitige Nasenreiben als Friedensvertrag hinterher.«

»Das Nasenreiben? Warst du denn schon früher einmal in der Südsee, Beppo?«

»Gewiß. Wie wäre ich denn sonst den Korsaren in die Hände gefallen? – Aber jetzt naht der feierliche Augenblick, Kinder! – Reiben Sie, Herr Kapitän! Reiben Sie!«

Der Kapitän blieb vollkommen ernsthaft, auch dann, als der Wilde die braune Nasenspitze der seinigen näherte und gleichsam fragend eine leise Berührung wagte. Jetzt beugte er sich sogar vor, und nun rieben sie ihre Nasen eine Zeitlang aneinander, bis der Häuptling den Friedensvertrag als genügend besiegelt ansehen mochte und einen Schritt zurücktrat.

»Naguro!« sagte er, auf seine Brust deutend.

»Lamberti!« gab der Kapitän zurück.

Der Wilde wiederholte mehrere Male den Namen, dann deutete er auf die übrigen Weißen und auf das Innere des Hauses. »Wollt ihr hier bleiben?« hieß das.

»Nein nein, ihr müßt uns mitnehmen.«

Die Wilden begriffen. Naguro nickte Gewährung. Nachdem diese Angelegenheit zur Zufriedenheit geordnet war, holte Weber die Ziehharmonika aus dem Versteck und begann zu spielen. Im ersten Augenblick flüchtete die braune Schar voll Entsetzen nach allen Seiten auseinander, dann aber, als der Matrose in einen Walzertakt übergehend, zu tanzen begann und auch Matthias und der lange Heinz seinem Beispiel folgten, kehrten sie wieder langsam zurück, und dem, der das Muschelhorn trug, kam sogar ein lichter Gedanke. Er fing an zu blasen, und als Weber lachend nickte, da mischte er in die sanften Klänge der Harmonika seine gellenden, abgerissenen Trompetenstöße und freute sich offenbar nicht wenig, das Konzert so vervollständigt zu haben. Dann ging es zum Strande hinab, und nun galt es, in den vier Kanus Platz zu schaffen. Die heimatliche Insel mußte nicht sehr weit entfernt sein; denn man überließ ohne Zögern die Sitzplätze den Fremden und blieb selbst auf den Auslegern zu beiden Seiten der langen, schmalen Fahrzeuge stehen.

»Ich glaube, dahinten erhebt sich schon das Ufer.«

Der Steuermann deutete auf einen dunkeln Punkt und sah dann einen der Eingeborenen fragend an. Dieser nickte. Ja, das war die Insel, der man entgegenstrebte.

Mehr und mehr trat aus den Fluten des Ozeans die Insel hervor. Hohe Berge und grüner Wald lagen im Sonnenscheine, Kokospalmen hoben die schlanken Häupter zum Himmel empor, das ganze prachtvolle, farbenreiche Bild der tropischen Welt entfaltete sich den Blicken unserer Freunde.

Die Insulaner ruderten so schnell wie möglich in einen breiten Kanal und fuhren so eine gute Strecke unter dichten, überhängenden Baumwipfeln dahin, bis sie haltmachten und die Fahrzeuge versteckten.

Dann nahmen die Wilden sämtliches Gepäck und winkten den Weißen, ihnen zu folgen. Es ging durch den Wald, über weiche, grüne Matten, zwischen den Ausläufern eines Gebirgszuges dahin, weit hinein in das Innere der Insel. Endlich standen die Wilden still. Der mit dem Muschelhorn setzte das Instrument an die Lippen und blies einige leise Töne. Sogleich antwortete aus geringer Entfernung ein ähnliches Signal, und nun schienen die Eingeborenen freier zu atmen, sie sprachen laut und lebhaft; die ausgestreckte Hand des Häuptlings deutete schon nach wenigen Minuten auf eine Lichtung, neben der ein Wasserfall aus bedeutender Höhe in das Tal stürzte und dem Landschaftsbilde einen neuen, ungeahnten Reiz verlieh.

So mitten im Walde, unter Grün und Blumen, dicht an dem klaren, lebendigen Gebirgsstrom mußten die Eingeborenen ein Leben nie getrübten Glückes führen; Matthias glaubte es wenigstens, bis er ein gänzlich zerstörtes Dorf vor sich sah.

»Kinder, hier haben Feinde gehaust!« sagte er. »Fast sämtliche Hütten sind niedergebrannt.«

»Na, da kommt ja dein Zimmermannsgerät gerade zur rechten Zeit, Beppo. Hurra! Wir werden Häuser bauen.«

Zwischen den halbzerstörten Hütten erschienen Männer, Frauen und Kinder, viele verwundet, hinkend und mit Baststreifen um Kopf und Glieder gebunden, andere offenbar krank und matt, aber alle höchst erstaunt bei dem Anblick der Weißen, deren sie nie vorher gesehen haben mochten. Naguro und seine Genossen mußten Erklärungen geben, dann befahl der Häuptling einem Manne, den Fremden eine der verschont gebliebenen Hütten anzuweisen und ihnen Speise und Trank zu bringen.

Mehrere braune Knaben trugen auf den großen Blättern der Pisanggewächse allerlei gute Dinge herbei, gebratene Fische, Taro, warme Eier und eine Art Kompott aus den Blütenstielen der Kokospalme und dann ein säuerliches, angenehm schmeckendes Getränk, das in einer flachen Muschel aufgetragen wurde. Tischgeräte gab es nicht, und als Teller dienten die Zipfel der grünen Blätter, auf denen die Speisen lagen.

Beppo zog das Messer aus der Tasche. »Nur Mut, Kameraden,« sagte er. »Es wird noch alles gut werden! Der Anfang dazu ist die Aufnahme und Unterkunft hier.«

Alle aßen und tranken und waren heiler und guter Dinge.


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