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Sechzehntes Kapitel

Heimreise. Am Sinai vorüber. Der Suezkanal. Letztes Abenteuer. Taucher und Schwertfische. Ankunft und Wiedersehen! –

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Die Südsee und der Indische Ozean waren durchlaufen, das Schiff befand sich im Roten Meer, wo widriger Wind und schwere Stürme die Reise zu einer äußerst anstrengenden und gefahrvollen machten. Das einzig Neue dieser Fahrt bestand in langen Zügen einer mikroskopischen Alge, die stundenweit treibend das Wasser mit tiefem, gesättigten Purpurrot färbte, und der das Meer seinen Namen verdankt, – später erst bei dem Eintritt in den Meerbusen von Suez gewann die Tour wieder für alle Teilnehmer lebhafteres Interesse.

Als sie beim Eintritt in diesen zipfelartigen Ausläufer des Roten Meeres an der gebirgigen Küste Arabiens entlang fuhren, da war es, wo der Doktor seine jungen Gefährten auf die heilige Bedeutung des Ortes hinwies.

»Seht ihr den Berg da im Nebel?« fragte er, auf die vom blauen Duft verhüllte, imposante Masse in der Ferne hindeutend. »Das ist der Sinai, von dessen Gipfel der Menschheit erstes Gesetz verkündet wurde. Es ist heiliger, klassischer Boden, den wir berühren,– zum erstenmale seit unsrer Abreise von Hamburg.«

Mittlerweile hatte der Dampfer Suez erreicht, den Anfangspunkt des berühmten Kanals.

Eine fünfzehn Meilen breite Landenge, das Rote und das Mittelländische Meer trennend, hatte sich hier unter Menschenhand in eine Wasserstraße verwandelt und nur gegen eine hohe Abgabe – 10 Frank die Tonne und ebensoviel der Kopf – war die Durchfahrt gestattet.

Zwischen bebauten Ufern wie auf einem stillen Strom des Binnenlandes glitt der Dampfer dahin. Der Kanal besaß nur sieben Meter Tiefe und achtundfünfzig bis hundert Meter Breite und war durch Zementdämme eingefaßt, während mehrere Seen, die er passierte, immer von schmalen Bodenschwellen unterbrochen, von Zeit zu Zeit eine höchst interessante Abwechselung darboten. An Ismailia, der Wunderstadt des Khediven von Ägypten vorbei, durch brakige Seen verfolgte der Dampfer langsam und vorsichtig seine Bahn, bis er endlich bei Port Said den engen Kanal verließ.

Vor den Blicken aller dehnte sich das Mittelmeer, – sie waren jetzt wieder in Europa, konnten die Tage zählen, bis das Schiff seine letzte Bahn durchmessen; kein Wunder also, daß namentlich an dieser hochinteressanten Stelle, an der Schwelle zweier Welten, ihre Stimmung eine ernste, gesammelte war. Drei lange Jahre des Genießens, des reichen Ertrages lagen hinter ihnen, aber auch drei Jahre der schwersten Anstrengungen und des Entbehrens; aus den spielenden, ahnungslosen Knaben waren denkende Menschen geworden; das Leben hatte ihnen seinen Ernst, seine Anforderungen aus nächster Nähe gezeigt; sie hatten zwei Genossen der Reise, zwei junge Leute, die fröhlich mit ihnen das Wanderlos geteilt, im fernen tropischen Süden dem Grabe überliefern müssen und hatten erst vor zwei Tagen den altehrwürdigen Punkt gestreift, von welchem aus dereinst das Licht der Kultur und Religion hellstrahlend aufging über alle Welt und alle Zeit, – der tiefe Eindruck wurde erst verwischt, als das weite Meer wieder unabsehbar den Dampfer umgab und andere Schiffe vielfach vorüberglitten, Grüßen aus der Heimat gleich, Boten, die vom Wiedersehn kündeten, von entzückendem, seligen Ausruhn nach langer, sturmvoller Fahrt.

Am zweiten Tage sahen die Reisenden ein Schiff, das bei stillem, sonnigen Juliwetter zwei Boote aussetzte und selbst back lag, d. h. Segel nach beiden Seiten gestellt hatte, so daß es die Luftströmung, anstatt zu treiben, auf seiner Stelle festhalten mußte. Jedenfalls arbeiteten hier Taucher; der Kapitän begrüßte daher in seemännischer Weise mittels der Flagge seinen Kollegen und ließ den Dampfer seitlängs von dem stillliegenden Segelschiff beidrehen. Hier war vor einigen Wochen ein französisches Dampfschiff durch Explosion zu Grunde gegangen, weshalb jetzt Taucherversuche gemacht werden sollten, um womöglich den Eisenrumpf aus dem Wasser zu heben, wenigstens aber doch das Wertvollste der verunglückten Ladung zu bergen.

Die beiderseitige Bekanntschaft war bald gemacht; auch die »Hammonia« setzte ihr großes Boot aus, und sämtliche junge Leute fuhren bis zu der Stelle, wo auf dem sehr seichten Grunde einzelne Teile des Wracks deutlich erkennbar dalagen. Es sollte zuerst festgestellt werden, ob sich das gesunkene Schiff in heilem oder geborstenem Zustand befinde, daher wurden zwei Taucher zu beiden Seiten desselben langsam herabgelassen, ganz in wasserdichte Stoffe gekleidet mit dem Helm, der nach dem System Rouquonvil den selbsttätigen Apparat zur Luftbereitung und Luftzuführung in sich schloß, die Nase verklemmt, was ihnen ein teuflisches Aussehen gab, und im Mund das Rohr der einfachen aber vortrefflichen Vorrichtung. Die Leute konnten bei gänzlich freiem Gebrauch ihrer Glieder fast eine volle Stunde unter Wasser bleiben, sie begannen daher das Wrack zu erklettern, als plötzlich ein halb komischer, halb ernster Zwischenfall den weiteren Verfolg der Arbeit hinderte und auf der Oberfläche des Wassers die im Boot Sitzenden mit lebhaftestem Interesse erfüllte.

Dem einen Taucher hatten sich zwei riesige Schwertfische genähert, von wenigstens fünf Meter Länge mit sägenartig gezahnten Ausläufern des Oberkiefers, anderthalb Meter langen, furchtbaren schneidenden Schnäbeln oder Schwertern, die aber auch, vorn spitz wie ein Degen, als Stoßwaffe dienen konnten. Die walzenförmigen, glatten, nur mit einer einzigen Rückenflosse versehenen Körper schossen pfeilschnell heran und versuchten beide irrtümlich zuerst den Eisenleib des Wrackes zu durchbohren, richteten dann aber ihre ganze Aufmerksamkeit gegen den unvorsichtigerweise ihrem Treiben zusehenden Taucher und warfen diesen so schnell zu Boden, daß oben in freier Luft die Leitungsröhren von dem heftigen Anprall erzitterten.

Und nun entstand ein belustigender Kampf. Die Fische schwammen in höchster Wut hin und her über dem Körper ihres besiegten Gegners, ohne ihm jedoch mit Erfolg beikommen zu können. Stießen die furchtbaren Schwerter gegen den Helm, so prallten sie ab, kehrte sich jedoch ihre Wucht gegen den in Kautschuk steckenden Mann, so wich dieser dem ohnehin unsicheren Stoße mit leichter Mühe aus, wodurch der Zorn der gewaltigen Tiere nur immer lebhafter erregt wurde. Da ihr Gegner unter ihnen lag, anstatt wie gewöhnlich über ihnen zu schweben, so konnte die gewohnte Taktik des Unterlaufens nicht befolgt werden, weshalb beide Ungeheuer ratlos tobend, daß die Boote schaukelten, durch das Wasser hin und her jagten, jedesmal aber, wenn von oben an der Maschinerie gewunden wurde, um den Bedrohten heraufzuziehen, den Fluchtversuch desselben durch erneute Stöße sogleich verhinderten. Die Lage des Mannes wurde ernst und immer ernster! Wenn sich unter allen diesen ruckartigen Bewegungen der Helm löste, so war er unrettbar verloren.

Die Aufmerksamkeit unserer Freunde, ihr lebhaftes Interesse verdoppelten sich von Augenblick zu Augenblick. Sie sahen, wie der Taucher langsam am Boden gegen das Wrack hin fortkroch und begriffen sofort, was er wollte, – sich durch schnelles Erklettern desselben den Unholden entziehen. Diese schwammen fortwährend über ihm her, peitschten das Wasser mit ihren Schwänzen und stießen blindlings nach allen Richtungen, meistens ellenhoch über den Bedrohten dahin.

Franz erhob sich plötzlich vom Sitz. »Eine wollene Decke und ein Tau, Steuermann!« rief er mit lauter Stimme. »Schnell! schnell!«

Der Alte hatte schon den gleichen Gedanken gehabt; er konnte daher die Bitte seines jungen Freundes um so schleuniger erfüllen, und nun ließen Holm und die beiden Brüder langsam das große, mit einem Gewicht beschwerte Bündel in die Tiefe hinab, um dadurch das Interesse der Fische von ihrem bedrohten Opfer abzulenken. Der Taucher sah alles; seine Handbewegungen schienen um Eile zu bitten; er schob und drehte an dem Helm, als drohe dieser, sich zu lösen.

Aller Pulse klopften in fieberhafter Spannung. Wenn nicht bald Hilfe kam, so war der geängstigte Matrose seinen Peinigern verfallen.

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Der Taucher und die Schwertfische

Die Fische sahen das Bündel und stutzten, dann warfen sie sich mit vereinter Kraft auf diesen neuen Gegner, der vor ihren Augen hüpfend erhalten wurde, und suchten den weichenden, tanzenden mit furchtbaren Stößen zu durchbohren. Gottlob! die List gelang. Der Taucher hatte sich in das Innere des Wrackes gerettet und gab das Zeichen, ihn heraufzuziehen. Schon schwebte sein Körper wenige Fuß tief unter der Oberfläche, da entdeckten ihn die beiden Ungeheuer und konnten nun von unten her ihre toddrohenden Waffen zur Anwendung bringen. Der Kautschuk riß, Blut überströmte die Glieder des Tauchers, und nur einem kräftigen Schlag mit dem Ruder aus Holms Hand verdankte er es, nicht bei lebendigem Leibe gespießt zu werden. Als er im Boot anlangte, hatte sich sein Helm zum Teil gelöst, so daß Wasser eingedrungen war, er blutete fürchterlich und mußte bewußtlos unter Deck geschafft werden. Auch der andere wurde heraufgezogen, um nicht dem gleichen Schicksal zu verfallen. Jetzt konnten unsere Freunde mit erleichtertem Herzen die Jagd wieder aufnehmen. Im Wasser schwammen, nachdem auch das Bündel entfernt worden, die großen Fische in toller Eile um einander herum, als wolle einer den andern für die Flucht der Beute verantwortlich machen. Zuerst stießen sie sich wie zufällig, spielend, dann aber immer heftiger, bis endlich die beiderseitigen Waffen zum vollständigen Gebrauch kamen und sich die Kämpfenden in einander so verflochten und festrannten, daß sie schlagend, drehend und tobend nur eine große, unlösliche Masse bildeten.

»Die haben wir!« jubelte Holm, »die haben wir! schnell, Papa Witt, geben Sie uns einen Mann mit einer Harpune.«

Auch das geschah. Ein Matrose warf vom Schiff aus mit großer Geschicklichkeit den mörderischen Haken einem der Schwertfische in den Körper, und dann wurden Anstalten getroffen, um die an die Oberfläche gezogenen auf das Schiff zu bringen, wobei man natürlich den Booten sorgfältig aus dem Wege ging. Beide Tiere lebten noch; sie schlugen mit den Schwänzen und glotzten halb wütend, halb dumm die Menschen an, während von dem französischen Schiff aus, jetzt wo die gefährlichen Feinde besiegt waren, neue Taucher ihre unterbrochene Arbeit wieder aufnahmen. Man verabschiedete sich, des unverhofften Fanges froh; dem unverletzten Schwertfisch wurde behufs Ausstopfung das dicke Fell abgezogen und beide Schnäbel als wertvolle Beiträge für das Museum gereinigt und verwahrt. Noch lange besprachen die jungen Leute diesen glücklich verlaufenen Zwischenfall, und dabei geschah es, daß Franz zufällig sagte: »Unser letztes Abenteuer!«

Hans warf ein: »Für diesmal vielleicht, aber wie lange wirst du es zu Hause aushalten, nächstes Jahr strebst du vielleicht nach Amerika.«

Aber Franz schüttelte den Kopf. »Nun nicht wieder. Was mein Vater jetzt ist, der Ernährer und Versorger von Tausenden, das will ich dereinst auch werden, – wir beide, nicht wahr, Hans?«

Und der jüngere Bruder lächelte. »Ich wollte es immer, Franz.«

Das Schiff verfolgte seinen Lauf durch das blaue Mittelmeer, sah Kreta und Sizilien, und trat durch die Säulen des Herkules in den Atlantischen Ozean. Bald lag auch der böse biskayische Meerbusen hinter ihm. Glücklich durcheilte es den Kanal und kam in die Elbe, wo es von dem Lotsenkutter mit lautem Hurra begrüßt wurde. »Alles wohl zu Hause!« – Der Mann konnte es behaupten, denn er hatte mit Herrn Gottfried gestern noch gesprochen. »Die »Hammonia« wird von ganz Hamburg erwartet.«

Und weiter und weiter verfolgte der Eisenbau seine Bahn. Vorüber an der Küste von Holstein, an den Elbinseln, an Altona und dann langsam bis zum Hamburger Hafen. Wo wart ihr, drei lange lange Jahre, seit das Schiff von dieser Stelle hinauszog in die unermeßliche Weite? –

Niemand sprach, aber es war ihnen wie einst Robinson, dem wiederkehrenden Robinson, sie hätten den Boden der Heimat küssen mögen.

*

Und dann standen im Kontor die Söhne dem Vater gegenüber, er erkannte sie kaum; der laute Jubel brach erst los nach langem, innigen Umarmen und Begrüßen. Für heute hatte alle Arbeit ein Ende; Mann für Mann, vom Kapitän bis zum Kajüttsjungen, mußten die Gefährten der Weltreise ihren Chef besuchen: alle erhielten eine bedeutende Extrazulage, und für die Hinterbliebenen der beiden Verunglückten sollte reichlich gesorgt werden; dann aber, nachdem der Mannschaft Freiheit gegeben, sich in der Stadt nach Belieben zu bewegen, nachdem die Weltumsegler ihrem Reeder ein donnerndes Hoch gebracht, – dann sah Herr Gottfried freudestrahlenden Blickes von einem seiner beiden Söhne zum anderen und sagte mit erstickter Stimme: »Jetzt kommt zur Mutter nach Dockenhuden!«

Wir folgen ihnen nicht. Solche Augenblicke kann niemand schildern, niemand aus der Schilderung kennen lernen, – man muß sie erleben, um zu wissen, daß sie des Daseins seltene, selige Höhepunkte bilden.


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