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Achtes Kapitel

Zu den Ureinwohnern Ceylons. Das Beddadorf. Die Schakale. Verrat der Beddas. Die Höhle. Rettung. Zurück zur »Hammonia« im Hafen von Galle.

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Nachdem die Umgegend überall durchforscht, wurde der große Zug zu den Veddas angetreten. Tippoo und etwa dreißig seiner Sklaven begleiteten die Weißen, Waffen und Vorräte wurden in Menge mitgenommen, ebenso von unsern Freunden diejenigen kleinen Geschenke, welche sich nur bei ganz Wilden anwenden lassen und daher den selbst webenden und Putzgegenstände fertigenden Singhalesen nicht geboten werden konnten.

Schon einige Tagereisen hinter dem auf Bäumen belegenen Dorfe der Vellalahs hörte jede Spur von Zivilisation vollständig auf. Kein Getreidefeld, kein gebahnter Weg, keine Hütte zeigte sich mehr dem Blick, das Terrain wurde bergiger und immer bergiger; die Hasen, Hirsche und Ziegen machten den Büffelherden, den Elefanten, Stachelschweinen und Genettkatzen Platz, große Geier hausten auf den Höhen, Adler wiegten sich in der Luft und Tigerspuren im Sand verrieten, daß der Würger ganz in nächster Nähe lauerte.

Jetzt befanden sich, nach des Häuptlings Angabe, die Reisenden im Innern der Insel; das ganze Gebiet war dichter Wald, meistens aus undurchdringlichem Gebüsch und darüber den hohen, wehenden Palmen bestehend; zuweilen mußte ein Umweg gemacht werden, um den Durchgang zu erzwingen, zuweilen versperrten gefallene Bäume die Passage, und wenn der eine oder der andere versuchte, auf den grünüberzogenen Stamm zu treten, um so an die andere Seite zu gelangen, dann brach plötzlich die grüne Decke, eine Wolke von Schutt und Moder drang hervor, Spinnen oder Käfer flohen nach allen Seiten, braune Eidechsen von mindestens einem halben Meter Länge mit glänzenden, perlengleichen Augen schlüpften durch das Gras, und zusammengerollte Schlangen verließen in eiliger Flucht ihr Lager; – noch aber sah man kein Dorf und kein menschliches Wesen. Als sich endlich die Wohnstätten der Veddas dem Blick offenbarten, da schien es den Reisenden, als sei plötzlich Westafrika nach Ceylon versetzt. Elende, schwankende, schiefe und dem Einsturz nahe Zelthütten aus Pflöcken und schmutzigen Fellen; ganz nackte schwarze Menschen; Tümpel, in denen sich Enten, Hühner und Kinder wälzten; derselbe Schmutz, dieselbe Vertiertheit wie in Dahomey, – nur nicht dieselbe Harmlosigkeit und Bekanntschaft mit der Existenz weißer Menschen. Frauen und Kinder flüchteten schreiend, die Männer griffen zu ihren aus Holz geschnitzten Wurfspießen und nahmen hinter den nächsten Stämmen in offenbar feindlicher Absicht Stellung. Es war unmöglich, sie durch gütliches Zureden zum Näherkommen zu bewegen; sie gaben keine Antwort und ließen auch die auf den freien Platz vor der nächsten Hütte niedergelegten Geschenke an Waffen unbeachtet, bis endlich die Vermittlung der Frauen durch bunte Tücher und Perlen erfolgreich gewonnen wurde. Die schwarzen, fettglänzenden Gestalten mit ihren überaus häßlichen Gesichtern und kleinen Schlitzaugen kamen erst zögernd, dann aber immer dreister aus den Hütten hervorgekrochen und tanzten und sprangen wie Wahnsinnige, sobald es ihnen gelungen war, irgend einen jener verlockenden Gegenstände zu erhaschen; sie streckten die Hände aus, um mehr zu empfangen, aber ganz wie Tiere, die das Maul öffnen, sobald man sie füttert, durchaus nicht wie Menschen, die für ein erhaltenes Geschenk danken und diesen Dank auch betätigen möchten. Wer die Fremden waren, wie die ganze Sache zuging, und selbst in welcher Weise man die bunten Schmuckgegenstände verwenden sollte, schien diesen verkommenen Geschöpfen gar nicht einzufallen; sie hielten Tücher oder Bänder in den Händen, das war ihnen genug.

Die Singhalesen wandten sich voll Abscheu von diesem Treiben hinweg. Ihnen fehlte naturgemäß das hohe, wissenschaftliche Interesse, welches die Weißen leitete; sie sahen wie auf unsaubere Tiere auf die Neger herab, und nichts hätte sie bewegen können, kriechend eine dieser im Schmutz begrabenen Hütten zu betreten. Wieder wurden die Zeltleinen wie Hängematten befestigt, die Singhalesen schlugen ihre Wohnungen unter den Bäumen auf, und ein hohes Wachtfeuer loderte zum Himmel empor. Brotfrüchte, Fleisch, Palmenwein und gekochte Eier sowie Kaffee bildeten das Nachtmahl, bei dem beide wilde Stämme, die Braunen und die Schwarzen, von fernher zusahen. Erstere hielten sich an ihre Maniokkugeln und aus Mais gebackenen, nicht minder unverdaulichen Kuchen, letztere hätten vielleicht bei ihrer unbeschreiblichen Armut alles Gebotene gierig verschlungen, wagten sich aber nicht nahe heran, sondern blieben in gemessener Entfernung unter den Bäumen stehen und bewunderten das seltsame Schauspiel.

Die Männer bildeten Gruppen, in deren Mitte sehr lebhaft gesprochen wurde; niemand von allen näherte sich indessen dem Lager der Weißen, niemand schien der englischen oder singhalesischen Sprache mächtig.

»Die Hälfte von uns muß wachen,« entschied Holm. »Fünfzehn von deinen Leuten, verehrter Freund Tippoo, und unserer zwei dazu. Die Kerle sind falsch, glaube ich, sie führen irgend einen Spitzbubenstreich im Schilde.«

»Was suchst du hier, Herr?« fragte der Häuptling. »Von allen Söhnen Singhalas sind die Veddas die niedersten, – geh zu den Tamils und den Malaien, da findest du bessere Sitten.«

Holm lächelte. »Das verstehst du nicht, Tippoo,« antwortete er. »Gerade den Naturzustand will ich ja kennen lernen, nicht die Sitten, welche künstlich erworben, sondern die, welche angeboren sind. Gerade die Veddas in ihrer geringen Anzahl bilden die letzten Abkömmlinge der Ureinwohner von Ceylon, sie sind die interessantesten von allen, denn sämtliche andere gehören fremden Ländern an, – die Singhalesen z. B. höchstwahrscheinlich dem verhältnismäßig nahen Indien.«

Der Braune sah sehr erstaunt aus. »Woher weißt du das, Herr?« fragte er.

»Aus den Berichten solcher Reisenden, wie wir welche sind, Freund Tippoo. Oder schreiben nicht etwa eure Priester ihre heiligen Bücher auf die Blätter der Schirmpalme und zwar im Sanskrit oder der Palisprache? – beide sind indischen Ursprungs.«

Der Singhalese bejahte. »Zu Hause habe ich in einer Bambusschachtel einen Eisenstift und ein Buch aus solchen Blättern,« antwortete er. »Ich will es dir schenken und dir einen Spruch hineinschreiben, – hier bei den Veddas findest du nichts dergleichen.«

»Das glaube ich aufs Wort, Meister Tippoo,« lachte der junge Gelehrte. »Die schwarzen Schurken trachten ohne Zweifel weniger nach Bildung als nach Speise, – ich denke, wir besehen morgen im hellen Tageslicht das schmutzige Dorf von allen Seiten, bringen womöglich einen oder den anderen dieser Kerle zum Sprechen und kehren dann um. Es sind Wochen vergangen, seit wir uns in der Nähe deines Dorfes unter den Ruinen der alten indischen oder persischen Stadt zuerst begegneten; wir haben Eile, zu unserem Schiff zurückzukehren.«

»Meine Leute und ich begleiten euch dorthin,« antwortete der Braune. »Gerade an der Küste leben viele Tiger und Genetten, es ist gefährlich, in so geringer Anzahl ihnen entgegen zu gehen. Ihr seid nur durch besonderen Zufall dem Verderben entronnen.«

Holm sah zum Walde hinüber. Ein starker Regen rauschte herab, ohne indessen das Blätterdach durchdringen zu können, die Luft war köstlich abgekühlt, und das Feuer warf malerische Streiflichter über das elende Dorf, welches zwar freie, keinem Oberhaupt untergebene, aber dafür auch fast den Tieren gleichstehende Bewohner barg.

»Ich sah im Sande noch ganz kürzlich eine Spur wie von Raubtierfüßen, jetzt erst fällt mir's wieder ein,« sagte er, »aber von kleinen.«

Der Singhalese nickte. »Schakale,« versetzte er, »ich habe es auch bemerkt.«

»Ach, dann können wir vielleicht in dieser Nacht noch einen Angriff erleben. Wenn die Bestien hungrig sind, kommen sie in die Dörfer, nicht wahr?«

»Selten, aber es ist doch schon vorgefallen, Herr.«

»Nun gut, Häuptling. Je mehr Feinde, desto mehr Ehre! Laß nur die Hälfte von deinen Leuten wach bleiben, die anderen aber schlafen, damit sie rechtzeitig jene ersten ablösen können. Ich denke, wir gehen jetzt zur Ruhe.«

Der Singhalese gab seine Befehle, worauf sich die Hälfte der Sklaven mit gekreuzten Beinen, das Gesicht dem Dorf zugekehrt, um das Feuer herum auf den Boden setzte und, die Waffen in der Hand, scharfen Ausguck hielt, während Holm und der Malagasche mit geschultertem Gewehr gewissermaßen auf Vorposten im Halbkreis patrouillierten. Pünktlich um zwei Uhr nachts erfolgte die Ablösung, allein auch während der letzten noch übrigen Stunden bis zum Morgen geschah nichts, was den tiefsten Frieden in irgend einer Weise gestört hätte. Das Negerdorf lag vollkommen still und ruhig, die Bewohner schienen zu schlafen, kein Laut drang aus den Hütten hervor.

Als Tippoo und Franz die übrigen weckten, hatte man eine ruhige Nacht verbracht, und dennoch stieg bei unseren Freunden ein banger Verdacht auf. Es war unseren Reisenden aufgefallen, daß sämtliche Männer des Negerdorfes verschwunden waren; auch nicht ein einziger befand sich mehr in der Nähe. Jedenfalls hatten sie während der dunkeln Nachtstunden das Weite gesucht, um von irgend woher einen verräterischen Überfall zur Ausführung zu bringen, ebenso sicher aber waren sie auch nicht allzu tief in den Wald vorgedrungen, da ja keiner unter ihnen wußte, welche Richtung die Fremden einschlagen würden. Die Veddas hielten ihr Dorf umzingelt und beabsichtigten bei Einbruch der zweiten Nacht irgend ein Bubenstück zu vollführen; darüber konnte kein Zweifel obwalten.

»So werden wir uns schlagen müssen,« nickte Holm. »Jedenfalls ist unserseits nichts geschehen, um die Wilden zu reizen oder zu beleidigen; wir dürfen daher ruhig sein und außerdem auch mit Sicherheit den Sieg erwarten. Die hölzernen Wurfspieße werden es mit den Feuerwaffen nicht aufnehmen können. – Zuerst laßt uns das Dorf besehen.«

Die Schmutzhütten und die meistens aus Pfützen bestehenden Plätze zwischen denselben wurden besichtigt, aber auch heute zeigten sich Frauen und Kinder durchaus unzugänglich; sie kamen nicht in die Nähe der Weißen, antworteten auf keine Frage und flohen in das Innere der Höhlen, wo dies möglich war, – so oft man ihnen freilich irgend ein Geschenk hinlegte, stürzten sie eilends herzu und rafften es ohne ein Wort des Dankes begierig vom Boden auf.

Vergeblich suchten die Reisenden eins von den ziemlich herangewachsenen Kindern zu bewegen, sich abgipsen zu lassen, obgleich ein Abguß von dem Gesicht eines dieser Ureinwohner Ceylons von hohem Interesse gewesen wäre. Hans machte ein ziemlich langes Gesicht, als er einsah, daß sowohl Bitten als Geschenke machtlos waren, und begriff nun erst recht, was Holm ihm über die Schwierigkeit dieser Operation gesagt hatte.

Vor den Hütten lagen die üblichen Herdsteine, denen auch der rohgearbeitete Eisenkessel nur selten fehlte, dennoch aber bewiesen manche Zeichen, daß auch rohes Fleisch gegessen wurde, ebenso halbreifer roher Mais und Brotfrüchte. Diese letzten wenigen Ureinwohner der Insel betrieben durchaus nichts, sondern lebten wie die Buschmänner vom Kap in den Tag hinein, vielleicht Heuschrecken essend, wenn weiter keine Nahrungsmittel vorhanden waren, Kokusmilch trinkend und im Schmutz vergehend, dabei scheu, häßlich und durch das stete Einreiben mit Palmöl einen unangenehmen Geruch verbreitend; sie waren von allen Völkerschaften, die unsere Freunde kennen gelernt, die am wenigsten anziehende, – ohne allen Zweifel, weil ihre Anzahl fortwährend schmolz, ihr Gebiet von Singhalesen und Malabaren alljährlich verkleinert und sie in jeder Beziehung durch die auf der Insel fortschreitende Kultur dem Untergang entgegengeführt wurden.

Von schwarzen Kindern und dem verschiedensten zahmen Geflügel umkreischt und umschnattert, sahen die Weißen in jede Hütte, so gut als es ging, hinein, aber nirgends fand sich mehr als nur ein Lager aus Moos und Blättern, nirgends waren Geräte zu entdecken, und überall krochen Insekten in reicher Fülle.

»Die Veddas wandern,« erklärte Tippoo, »sie schlagen ihre Zelte auf, wo Brotbäume und genießbare Früchte wachsen, zuweilen kommen sie sogar in die Nähe unserer Felder, aber wir bereiten ihnen immer einen so heißen Empfang, daß der Besuch nur sehr kurz währt. Wenn an einem Orte nichts mehr zu holen ist, zieht die verlumpte Schar weiter und sucht günstigeren Boden.«

»Gerade wie bei uns die Zigeuner,« rief Franz. »Ohne Arbeit, in stetem Müßiggang, stehlend und bettelnd, unter Schmutz vergraben, jedes feste, dauernde Obdach meidend, – welche Ähnlichkeit!«

»Weil die Verhältnisse die gleichen sind,« fiel der Doktor ein. »Menschen ohne Nationalgefühl, ohne staatsbürgerliche Rechte und Pflichten müssen sittlich verkommen. Alle diese als ›wild‹ und ›halbwild‹ bezeichneten Völker sterben aus, während die Kulturstaaten alljährlich Tausende ihrer Untertanen abgeben, um an fernen Enden der Welt neue Reiche der Bildung und Gesittung gründen zu helfen. Die vertierten Veddas haben den Singhalesen weichen müssen, die Malabaren stehen wieder bedeutend höher als diese in ihren Bambusnestern und mit der trostlosen Kastenwirtschaft, während sie ihrerseits durch Kirche und Schule, durch den Umgang mit Weißen und die Notwendigkeit des bürgerlichen Erwerbes allmählich aber sicher den Bildungsgrad und die Lebensweise der Engländer annehmen. – Die letzten Veddas werden im Laufe unseres Jahrhunderts ihre Nomadensitten aufgeben und Ackerbauer werden müssen.«

Tippoo hatte respektvoll den alten Herrn ausreden lassen, obgleich er ihn nicht verstand; jetzt jedoch schlug er vor, sobald als möglich aufzubrechen. »Alle Veddadörfer gleichen einander vollkommen,« sagte er. »Wenn wir auch bis an die Meeresgrenze vordringen würden, so gäbe es doch nichts Neues kennen zu lernen. Die schmutzigen Neger sind hier wie dort falsche Schurken.«

Man nahm einstimmig diesen Vorschlag an und traf nach dem Frühstück Anstalten zur Abreise. »Wir werden nun von allen Seiten beobachtet,« erinnerte der Singhalese. »Aus jedem hohlen Baum, aus jedem Dickicht und hinter jedem Felsvorsprung sehen lauernde Blicke uns nach, es wäre daher gut, wenn ihr einmal die Wirkung eurer Feuerwaffen zeigen würdet.«

Aller Augen suchten nach einem Ziel. »Seht ihr da den Kaschubaum?« rief Holm. »Der Blitz scheint ihn getroffen zu haben, ein Teil der Borke ist herabgerissen, – da, gerade im Eingang der Felsspalte, kaum fünfzig Schritt von den ersten Hütten entfernt. Laßt uns auf die weiße Fläche zielen.«

Gesagt, getan. Alle Büchsen wurden geladen und Kugel nach Kugel schlug in den Stamm. Zuweilen flog auch eine daneben bis tief in den inneren Raum des Felsens hinein, und dann war es den Männern, als töne ein Winseln oder Bellen, ein Angstgeheul wie aus weiter Ferne zu ihnen herüber, – sie schossen jetzt absichtlich in die Spalte; was darin steckte, ob Mensch oder Raubtier, das sollte sich zeigen.

Aber nein, ein Mensch war es nicht, das hörten alle, eher ein Fuchs.

Tippoo pfiff seinen Sklaven. »Schakale« sagte er. »Sucht die Ausgänge.«

Und während sich die Singhalesen gehorsam entfernten, um von allen Seiten den Gebirgspaß zu umschleichen, berichtete er den Weißen, daß sich höchstwahrscheinlich ein Rudel von vielleicht ein- bis zweihundert Schakalen hier im Berge zusammengefunden habe, um den Enten und Gänsen der Veddas einen Besuch abzustatten, und daß diese hungrige Meute nun von den plötzlich eindringenden Kugeln erschreckt worden sei. »Wenn meine Leute den Zugang gefunden haben,« schloß er, »dann schießt ihr aus nächster Nähe in die offene Spalte hinein, während wir die roten Gesellen in Empfang nehmen, sobald sie erscheinen.«

»Ganz gut, Freund Häuptling, aber was wollt ihr mit einem Tier, dessen Fleisch ungenießbar, und dessen Fell unverwendbar ist?«

»Wir verkaufen die Jungen nach Galle oder Kolombo, Herr. Wozu hätte ich Sklaven, wenn sie mir nichts verdienen müßten? Der die beiden jungen Tiger hinbringt, kann auch Schakale mitnehmen.«

Tippoos Talent zum Finanzminister wurde allerseits anerkannt, und als die ausgeschickten Sklaven zurückkamen, war der Feldzugsplan genau entworfen. Rechts vom Dorfe war ein stark befahrener Schacht, an dessen äußerer, enger Mündung zahlreiche rote und graue Haare verrieten, daß sich alte, ausgewachsene Tiere in starker Anzahl hindurchgedrängt haben mußten; weitere Zugänge fanden sich nicht, und durch den vorderen Spalt konnte unmöglich auch selbst der magerste Schakal ins Freie gelangen; die Singhalesen nahmen also zu beiden Seiten des Schachtes Stellung hinter den Bäumen und in den unteren Zweigen derselben; Franz mit Rua-Roa hatten sich fast ganz an den Ausgang gedrängt, und Holm und die beiden anderen standen vor dem Spalt.

In aller Augen glühte die Jagdlust; die gefährliche Lage, in der man sich den raubsüchtigen Wilden gegenüber befand, war vergessen; man dachte jetzt nur noch an die räuberischen Tiere, welche diesen Bau bewohnten und an das Vergnügen, sie herauszutreiben.

»Feuer!« kommandierte Tippoo.

Drei Kugeln flogen in den Berg hinein, drei weitere folgten, Pulverdampf und schauerliches Geheul drangen aus dem Spalt hervor; dann entstand ein Toben und Drängen, ein Scharren wie von vielen hundert Füßen, und endlich stürzte die rote Meute, einander überkollernd, schreiend in rasendem Lauf den harrenden Todfeinden entgegen. Es war offenbar für die nächtlichen Räuber ein letzter, von der Verzweiflung eingegebener Entschluß, sich am hellen Tage hinauszuwagen in das Dorf, aber die einschlagenden Kugeln da drinnen führten eine so beredte Sprache, daß jedes Schwanken im Keime erstickte; – brausend wie ein entfesselter Strom ergoß sich das rote Heer.

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Die Schakalhöhle auf Ceylon

Bei dieser seltsamen Massenjagd war es für die Schützen nicht nötig, zu zielen. Wo aus einem engen Schacht in ihrer unmittelbaren Nähe das Wild herausquoll wie Wasser aus einem Brunnen, da hinein brauchten sie nur zu feuern oder ihre eisenbeschlagenen Wurfspieße zu schleudern, und Opfer nach Opfer war ihnen gewiß.

Holm schoß immer noch in den Spalt, bis zuletzt auch die alten Weibchen der Schakale mit ihrer Nachkommenschaft sich zur Flucht entschlossen. Ganz junge Tierchen, kaum so groß wie ein neugeborener Pudel, noch unsicher gehend, aber doch mit Raubtierblicken um sich schauend, folgten den fliehenden Müttern, und eben darauf hatten die Singhalesen gewartet. Sie umringten zu vier oder sechs ein solches kleines Füchschen und ergriffen es trotz seines ängstlichen Sträubens, keineswegs aber ohne eigene Leibesgefahr. Die Weibchen gerieten in Wut, als sie die Not ihrer Kleinen sahen und wandten sich angreifend gegen die Singhalesen, welche indessen den Kampf mit diesen Tieren schon aus Erfahrung kannten und auf Gegenwehr von seiten der Mütter gefaßt waren.

Fünf oder sechs Spieße bohrten sich in den hundeähnlichen rot- und graubehaarten Körper des Schakals, sobald er zum Sprunge ansetzte, um den Räuber seines Kindes mit den Zähnen zu packen, zuweilen freilich nicht früh genug, nicht ehe das scharfe Gebiß die nackten Lenden der Männer erfaßt und furchtbar zerfleischt hatte, immer aber so rechtzeitig, daß das erbeutete Junge von anderen, die im Augenblick herzueilten, in Sicherheit gebracht werden konnte. Nachdem auf diese Weise sechs kleine Schakale gefangen waren, befahl Tippoo, die Jagd einzustellen, d. h. nur noch zu erlegen, was nahe genug kam, aber keine Jungen mehr zu ergreifen.

Franz und Rua-Roa schossen unaufhörlich den Fliehenden nach, wenigstens fünfzehn bis zwanzig tote Schakale lagen auf der Walstatt, ebenso viele und noch mehr schleppten sich mit Wunden bedeckt davon, um in den nächsten Gebüschen zu verenden, und wieder andere wanden sich im Todeskampfe zwischen den Dorfhütten. Negerinnen, Kinder und Geflügel waren, um die Wette schreiend und kreischend, entflohen, die Luft ringsumher von Pulverdampf erfüllt und der Boden schlüpfrig vom vergossenen Blut, unter den Bäumen verbanden die Singhalesen so gut sie konnten ihre zum Teil recht bedeutenden Wunden, und vom Spalt her näherten sich die drei, welche dort postiert gewesen, dem eigentlichen Kampfplatz.

Franz und der Malagasche hatten jeder mehrere von den großen Männchen erschossen; sie bedauerten lebhaft, daß es anstatt der wertlosen Schakale nicht lieber Leoparden gewesen; so hätten sie doch wenigstens die Felle als Siegeszeichen aufbewahren können; – mit den fuchsähnlichen, fahlgelben, rötlichen oder grauschwarzen groben Pelzen war eben gar nichts anzufangen, dennoch aber glühte die Jagdfreude in den beiden hübschen Gesichtern und einstimmig wurde beschlossen, ein Pärchen der jungen Tiere dem Singhalesen abzukaufen und nach Hamburg zu schicken.

Tippoo trieb zum Aufbruch. »Die schwarzen Hunde haben das alles mit angesehen,« versicherte er, »sie wissen nun, was ihrer harrt.«

»Glaubst du denn ganz bestimmt, daß wir noch angegriffen werden, Häuptling?«

Der Singhalese nickte. »Warum wären sonst die Männer fortgegangen? – Überhaupt leben seit Jahr und Tag die Veddas mit meinem Volk im Krieg; wir erschlagen sie, wo wir ihnen begegnen.«

Holm unterdrückte einen Seufzer. Dieser Kampf mit vernunftlosen Wilden war ihm unerwünscht; er wollte weder die armen, vertierten Geschöpfe in ihrer Existenz bedrohen, noch sich und den Seinen von ihnen Schaden zufügen lassen; aber dergleichen Empfindungen hätte der braune Häuptling durchaus nicht verstanden, es war also besser, sie in sich zu verschließen und dem Unabwendbaren so gefaßt als möglich entgegen zu gehen.

Er wußte, daß dieses Volk die Wurfspieße nicht vergiftete, und vertraute darauf, daß die Feuerwaffen den Sieg bringen mußten; er beruhigte sich also mehr und mehr und vermochte das unbehagliche Gefühl, welches ihn überschlichen hatte, den Knaben gänzlich zu verbergen.

Während des ganzen Tages herrschte drückende Hitze, die sich gegen Abend in einem Gewitter entlud. Der Häuptling hatte auf kürzestem Wege eine ihm bekannte Stelle erreicht, wo sich Felspässe in- und durcheinander schoben, hier eine glatte Mauer den Pfad versperrte, dort eine Höhle das Nachtdunkel ihrer weiten Öffnung den Wanderern unheimlich darbot. Er lächelte grimmig, als im Dämmerlicht des scheidenden Tages die wildromantische Gegend vor seinen Blicken auftauchte. »Das ist Singhalesengebiet,« sagte er, »die Schwarzen kennen es vielleicht gar nicht, aber auch selbst wenn sie bereits hier waren, fehlt ihnen doch jedenfalls nähere Kundschaft über die Örtlichkeit. Sie sollen alle mit dem Tode zahlen.«

Er ordnete nun, den Oberbefehl wie selbstverständlich an sich nehmend, zunächst an, daß keine Zelte oder Hängematten aufgeschlagen würden, daß auch kein Feuer brenne, vielmehr jeder einzelne Mann, so gut er es vermöge, mit Waffen und Kleidern auf dem nackten Erdboden schlafen und mit kalter Kost fürlieb nehmen solle. »Unserer sind alles in allem vierzig,« setzte er hinzu, »der Schwarzen aber vielleicht zweihundert, es ist daher Vorsicht durchaus geboten. Komm, Herr, ich will dir zeigen, wie die Schmutzgesellen in die Falle laufen sollen.«

Er ließ zwei mit Fackeln aus einer Art wohlriechendem Harz versehene Sklaven vorangehen und folgte mit dem jungen Gelehrten in die Höhle, unter deren natürlichem Vorsprung man sich gelagert hatte. Wechselnde Lichter und Schatten trafen eine hohe, gewölbte Decke, Schlangen huschten an den Wänden hin, und Eidechsen schlüpften über das Gestein. Nachtschmetterlinge umflatterten neugierig das ungewohnte, helle Licht, große Eulen streiften schweren Flügelschlages die Köpfe der Wanderer, und Fledermäuse schwirrten nach allen Seiten durch die Luft.

Rechts im Hintergrunde dieser weitgedehnten Höhle zweigte sich ein enger Weg ab, den nur wenige Menschen zugleich betreten konnten. Vorspringende Felsstücke verdeckten ihn dem Auge; – wer nicht wußte, daß hier ein Pfad hinausführte in den Wald, der mochte tagelang suchen, ehe er ihn fand. Anderseits brauchte nur an der rechten Stelle einer dieser umherliegenden Blöcke etwas verschoben zu werden, und der enge Durchgang existierte nicht mehr.

Tippoo stand still; sein Auge glänzte, seine ganze Haltung war straffer geworden. Er deutete mit der Rechten zum anderen Ausgang. »Dort denken uns die feigen, schwarzen Hundesöhne zu überfallen und uns trotz der Feuergewehre durch ihre Mehrzahl zu erdrücken,« sagte er. »Weißt du, was ihnen dafür zu teil werden soll? Wir flüchten in die Höhle hinein bis an diesen Seitenpfad und locken im Dunkel die Verfolger nach, während uns selbst der Engpaß sicher hinausführt. Sie kennen die Felsen nicht, sie drängen ungestüm vorwärts und wähnen, daß ihre List uns sämtlich in die Falle gelockt hat, – unterdessen aber sind wir schon auf Umwegen wieder hier, gedeckt durch die großen Blöcke; wir haben das Wild schußgerecht in der Höhle, aus der es kein Entrinnen gibt. Ihr feuert, feuert, bis es drinnen still wird, bis kein Angstschrei mehr die Luft zerreißt, – Schakale oder Neger, das ist gleichviel; heute morgen bei der Jagd auf die roten Räuber dachte ich an diese Felsen; – es soll kein Schwarzer entkommen; noch nachgeborne Geschlechter sollen mit Staunen von der Heldentat Tippoos sprechen, – die Singhalesen werden ihre Hände baden in dem Blute der schlechten Veddas.« Als er seine Rede beendet hatte, winkte der Häuptling den Sklaven wieder umzukehren. »Ihr Weißen bleibt zwischen den Felsspalten vorn am Ausgang der Höhle versteckt,« sagte er. »Meine Leute und ich, wir locken die Schwarzen hinein. Erst wenn ihr mich rufen hört, gebt ihr Feuer.«

Holm nickte stumm. Er hielt es für unnötig, jetzt dem braunen Halbwilden zu widersprechen, aber dennoch stand der Entschluß, das beabsichtigte Blutbad um jeden Preis zu hintertreiben, in ihm vollkommen fest. Das »Wie« mußte der Augenblick entscheiden.

Die Fackeln erloschen; im letzten Tagesschein wurde gegessen und getrunken und dann die Ruhe gesucht. Von den Negern war weit und breit keine Spur zu sehen.

Der Donner krachte, Blitze durchzuckten die dunkle Luft, ganze Fluten warmen Regens ergossen sich. Es hätte den unter dem natürlichen Wetterdach Gelagerten ganz behaglich zu Mute sein können, wäre nur nicht der Gedanke an die Schwarzen immer wieder als Störenfried in den Vordergrund getreten. Aber wer konnte denn behaupten, daß sie wirklich in der Nähe waren?

Eintönig rauschte es herab, und eintönig sang in den Laubkronen der Wind; man schloß die Augen, um sich vom Blitz nicht blenden zu lassen; man lebte seinen eigenen Gedanken und spann sich hinein in Traumfäden, die halb Wirklichkeit, halb Phantasiegebilde waren. Stunden vergingen, die Weißen schliefen, draußen am Eingang aber wachten und spähten die Singhalesen.

Tippoo war der Vorderste. Sein Gesicht lag auf dem Arm, er horchte! und als wieder der schwefelgelbe Schein aus den Wolken herabschoß, tauchte sein Blick bis tief in den gegenüberliegenden Waldesschatten. Nein, nein, er hat sich nicht geirrt, dort unter den Bäumen regten sich Hunderte von schwarzen Gliedern; es drang im Schutz der Dunkelheit langsam vor, – jetzt waren sie da, die Veddas, die Verhaßten.

Seine Hand glitt über die Gesichter der Weißen, seine Lippen berührten fast ihre Ohren. »Auf! auf! – Seid still, wenn euch euer Leben lieb ist!«

Holm hatte sich am schnellsten aufgerafft. »Häuptling,« sagte er, »bleib bei uns. Laß deine Leute die Schwarzen hierher locken und dann habe ich dir einen Vorschlag zu machen.«

»Welchen?« fragte hastig der Singhalese.

»Davon später,« entschied Holm. – »Ach, sie kommen!« Wie eine Herde brüllender Teufel stürzten sich die Schwarzen in den Felspfad, welcher zur Höhle führte. Während die bei weitem größere Hälfte der Singhalesen versteckt blieb, entfloh die kleinere auf des Häuptlings Anordnung in das Innere den Negern voran, so daß diese bei dem Schein des Blitzes die weißen Gestalten verschwinden sahen und ihnen mit dem Geheul des höchsten Triumphes nachsetzten. Sie wußten ja, wie sehr ihre Anzahl den Gegnern überlegen war.

Dunkle Massen wälzten sich bergauf, die Höhle konnte viele Hunderte von Menschen fassen; mehr und immer mehr nackte schwarze Körper drängten nach, nun mußten alle im Innern des Berges sein, sie schrieen und jauchzten, heulten und brüllten wie Wahnwitzige.

Jetzt glaubte ihr Unverstand die Singhalesen wehrlos und zitternd im finsteren Winkel zusammengepfropft, jetzt hielten sie sich für die Herren des Schlachtfeldes und begannen ihren Siegestanz, noch ehe ein Tropfen Blut geflossen war. Nahe vor dem Versteck der Weißen am Ausgang der Höhle trieben sie ihre unsinnigen Sprünge, kreischten und warfen die Arme in die Luft, hüpften wie Tollhäusler auf einem Beine hin und her. –

Holms Rechte legte sich mit festem Griff um den Arm des Häuptlings. »Tippoo,« sagte er leise, »willst du Geld verdienen? – viel Geld?«

Das Wort hatte für den schlauen Gelben einen wahren Zauberklang. »Womit?« fragte er kaum hörbar, atemlos vor Begier, »womit, Herr?«

»Indem du deinen Leuten befiehlst, sich einzeln, verstohlen aus dem Bereich dieser rasenden Teufel zu schleichen und uns in einiger Entfernung an einer bestimmten Stelle zu treffen, Häuptling. Wir fliehen voraus, – dann haben die Neger im Dunkel unsere Spur verloren. Ich will kein Blutvergießen, Tippoo, hörst du, ich will es nicht. Fünfhundert Rupien sind dein, wenn du tust, was ich verlange.«

Der Häuptling kämpfte einen schweren Kampf zwischen Ehrgeiz und Habsucht. Fünfhundert Rupien waren eine große Summe, aber dennoch, dennoch, – die Veddas besiegt zu haben, galt noch mehr.

»Herr,« ächzte er unschlüssig, »wenn uns die Schwarzen verfolgen und finden sollten, wäre der Ausgang unsicher, hier dagegen haben wir den Sieg in Händen.« Er sprach noch, als plötzlich bei dem Schein eines Blitzes ein völlig unerwarteter Anblick sich zeigte und der ganzen Sachlage ein verändertes Antlitz gab. Drinnen in der Schlucht tobte der Höllenlärm der siegestrunkenen Schar, und draußen vor derselben, den Versteckten so nahe als den Schwarzen, funkelten glühende Katzenaugen durch die Nacht, dehnten sich scheckige Glieder und lechzten blutrote Zungen. Zwei große Leoparden streiften mit ihrem heißen Atem die Stirnen der Weißen. – – –

»Tippoo, ich beschwöre dich, gib nach! An diesen Wächtern vorüber können uns die Neger nicht schnell genug verfolgen.«

Der Singhalese schwankte nicht länger. Ein paar Worte, seinem nächsten Sklaven zugeraunt, genügten, diesen zu verständigen; der Mann verschwand schattengleich und ebenso schnell huschten die übrigen den Weg durch die Felsen voran in den Wald hinab. Zwei Minuten später hielt das Dunkel unter den Bäumen die ganze kleine Gesellschaft in seinem Schutz, während die Singhalesen, immer einer nach dem anderen, laufend folgten. Als der letzte zu den Seinigen gestoßen war, verwandelte sich da oben im Berge das satanische Triumphgeheul in die Laute des höchsten Erschreckens. Wahrscheinlich hatten die Leoparden einen plötzlichen Angriff ausgeführt.

Tippoo seufzte. »Schade,« sagte er, »schade, die Gelegenheit war so günstig.«

»Auf,« ermahnte Holm, »auf Häuptling, wir müssen eilen.«

Der ganze Zug setzte sich in Bewegung, erst langsam, des tiefen Dunkels wegen, dann, als dichte Gebüsche den Rückweg deckten, im Schein von dreißig Fackeln so schnell als nur möglich. Gegen Morgen war jede Gefahr, welche von seiten der Schwarzen gedroht hatte, geschwunden.

»Ich möchte ihr Erstaunen gesehen haben,« lachte Franz. »Wie sie wohl suchten und suchten und sich hundertmal an allen Felsecken stießen, gewiß glauben sie jetzt an Zauberei.«

»Natürlich. Da sie fast niemals Weiße sehen, halten sie dieselben ohnehin für Wesen, die mit den bösen Mächten in Verbindung stehen. Eins weiß ich gewiß, daß sie nämlich jetzt wie gehetzte Hasen in ihr Dorf zurückflüchten. Schade, schade, wir hätten einen ganzen Stamm ausrotten können.«

Holm lächelte und nickte mit den Augen dem Doktor, der eben seiner höchsten Entrüstung Worte geben wollte. »Du sollst es nicht bereuen, dich unseren Wünschen gefügt zu haben, Häuptling,« sagte er, »wir werden dir den versprochenen Lohn unverkürzt auszahlen und außerdem auch noch einen anderweitigen für deinen Geldbeutel sehr ersprießlichen Vorschlag machen. Freilich im Augenblick ist uns nichts so nötig als Schlaf.«

Das erkannten alle, und im Schatten hoher Tamarinden und Arekapalmen, eingesungen vom Chor der buntgefiederten Waldbewohner, schlummerten sie diesmal dem Sonnenaufgang entgegen, obwohl freilich aus den regenschweren Zweigen bei jedem Windstoß ganze Schauer von Tropfen herabrauschten und stellenweise alle Kleider durchnäßten. Das konnte nicht nachteilig sein, Luft und Wasser waren warm, der Wind schaukelte die Hängematten wie auf hoher See, die Gefahr lag hinter den kecken Abenteurern, – sie schliefen bis Mittag, während die Singhalesen längst ein Feuer mit vieler Mühe entzündet hatten und daran ihre durchnäßten Kleider trockneten.

Nach einem erfrischenden Bade wurde die Reise fortgesetzt und das Dorf auf den Bäumen in einigen Tagen glücklich wieder erreicht. Hier kam nun Holms Vorschlag zur Sprache. Er wollte die beiden Matrosen, welche unterdessen eine wahre Küchenrevolution unter den Frauen veranlaßt hatten, in Begleitung einiger Sklaven zum Schiff zurückschicken und den Kapitän auffordern, ohne seine flüchtigen Passagiere nach dem Hafen von Galle zu steuern und dieselben erst da wieder an Bord zu nehmen. »Du, Freund Tippoo,« setzte er hinzu, »bringst uns mit einem guten Gefolge nach diesem Hafenplatz und bekommst dort dein Geld. Ich möchte einmal mit eigenen Augen sehen, wie sich auf einer und derselben Insel Schritt um Schritt die tiefste Vertiertheit des Menschengeschlechts in europäische Kultur verwandelt. Bist du einverstanden, Tippoo?«

Der Singhalese nickte, und so machten sich denn die beiden Teerjacken in Begleitung mehrerer Sklaven, schmerzlich betrauert von der weiblichen Bewohnerschaft des Dorfes, an einem schönen Morgen auf den Weg, während die Herren mit dem Häuptling und einer Schar dienstbarer Geister den Marsch in der Richtung auf Galle antraten. Madame Tippoo und ihre Kleinen hatten reichliche Geschenke erhalten; von dem ganzen sauberen, gastlichen Dorfe ward ein freundschaftlicher Abschied genommen, und sowohl Schakale als auch die jungen, inzwischen tüchtig herangewachsenen Tiger und ein wildes Pfauenpärchen in Käfigen von Bambusgeflecht den Sklaven auf den Rücken geschnallt. Allen denen übrigens, die den Zug zu den Veddas mitgemacht, verabreichten Holm und der Doktor ein anständiges Geschenk, – Tippoo erlaubte gnädigst, daß sie es annehmen durften.

Und so wurde von Dorf zu Dorf der Weg durch das paradiesisch schöne Land zurückgelegt; erst einzeln, dann immer zahlreicher erhoben sich aus dem Grün der Wälder die stattlichen Kaffee- und Zimtpflanzungen; es erschienen Wirtshäuser, europäische Speisen, weiße Menschen und endlich zwischen Kolombo und Galle schaukelnd im gemächlichen Trott des Viergespanns ein Omnibus. Die Knaben wollten sich bei diesem Anblick ausschütten vor Lachen. Da wo sie noch so kürzlich mit Tigern und wilden Menschen gekämpft, ein Omnibus wie auf dem Pflaster von Hamburg! – Sie rasteten nicht, bis das Gefährt in Beschlag genommen war, und bis Weiße und Wilde, Raubtiere und kreischende Pfauen sehr zum Erstaunen der Bewohner von Galle auf dem Vierspänner dahergerasselt kamen.

Vorüber an Häusern ohne Fensterscheiben und feste Dächer, vorüber an Menschen von allen Farben, Negern, Chinesen, Weißen, Indoarabern, Malabaren und Singhalesen, bis hinaus zum Hafen. Da lag schon die »Hammonia« vor Anker, da begrüßte Papa Witt mit ein paar tüchtigen Böllerschüssen die Ausreißer, da fanden sich Briefe von Hamburg und da dehnte man so recht nach Herzenslust die Glieder in bequemen Betten wieder aus.

Tippoo wurde von dem Kapitän mit allen Ehren empfangen. Man gab ihm auf dem Schiffe ein Gastmahl, an dem die Offiziere aller im Hafen liegenden hamburgischen Fahrzeuge teilnahmen. Er aß auch bei dieser Gelegenheit keinen Braten und trank keinen Wein, aber man sah, wie sich sein Häuptlingsstolz geschmeichelt fühlte, wie er erhobenen Hauptes durch die Straßen ging, als wolle er sagen: »Seht, ich bin der, dem zu Ehren die Weißen ein rauschendes Fest veranstalteten.«

Nach einem herzlichen, beinahe innigen Abschied von dem Manne, der auf einem Baum wie ein Vogel wohnte, der ein Wilder war und doch ein so redliches, ehrenhaftes Herz besaß, nachdem Tiere und Briefe mit dem Postdampfer abgesandt und die Haufen von Blumen, Pflanzen, Insekten und Strandgeschöpfen, welche man gesammelt, erst vorläufig untergebracht waren, lichtete das Schiff die Anker und steuerte den Sundainseln zu.


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