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10.
An Raimund

Bonn, im August.

Bekenntnisse eines durch Zeit, Menschen, Lehre und Leben Irregeleiteten

(Schluß.)

»Es gibt nichts so Seltsames, Unnatürliches, Widervernünftiges, das nicht durch consequente Skepsis zum Gesetz und dadurch zur Lebensregel erhoben werden könnte. Aeußerlichkeiten bestimmen auch hier viel, wie bei Allem, und übernehmen das Amt eines Schulmeisters oder Zuchtknechtes. Mir hat mein Lebenlang nicht in den Sinn gewollt, daß irgend ein Individuum verpflichtet sei, der Willensmeinung eines andern seine geistige Freiheit zu opfern. Und dennoch strebt unsere ganze Erziehung darauf hin, die kräftige Gottesnatur möglichst frühzeitig aus uns herauszutreiben. Die unglückliche Maxime: »man muß dem Kinde frühzeitig den Willen brechen,« ist Lebensregel geworden und hat heiligende Gesetzeskraft erhalten. Wir leben sehr curios, wenn wir Alles thun, was uns von Kindesbeinen an als Grundsatz vorgepredigt wird.

»Für ein freies, vernünftiges Geschöpf kann es nichts Heiligeres geben, als sich einen festen Willen zu bewahren. Jedes Titelchen davon, das ihm abgeht, ist ein Verlust an seiner Gottheit. Wir dürfen, Andern zu gefallen, nichts von unserm Willen opfern, nur, insofern Beschränkung aus Ueberzeugung eine moralische Förderung sein mag, ist es uns anheimgestellt, ob wir uns freiwillig derselben unterwerfen wollen.

»Es müssen sehr schwache Seelen gewesen sein, die zuerst auf den Gedanken gekommen sind, mit der Liebe zu verfahren, als sei es eine Waare. Können wir schachern mit dem Gott in uns? Darf die Erde eine Psalmensängermiene annehmen, wenn es der Sonne gefällt, einen überschwenglichen Lichtstrom auf sie herabzugießen? Es gibt nirgend etwas Ueberflüssiges, nur die nackte Armuth, der beschränkte Verstand kann sich ärgern über den Reichthum und Abzugskanäle für ihn erfinden. –

»Diese Gedanken wurden mir von Tage zu Tage geläufiger in dem Leben, das ich von jetzt an führte. Ich mag nicht vertheidigen, was der Taumel aufgeregter Lust in mir beging; aber ich gewann durch das Zügellose sinnlicher Bewegung doch eine Freiheit des geistigen Ueberblickes, die mich selbst überraschte. Durch sie vergaß ich Druck und Gram schwacher Momente, lernte aber leider die Reue als ein lebentödtendes Ungethüm auffassen! – In meiner Stellung war dieser Gewinn offenbar ein Verlust zu nennen; denn er entzweite mich täglich mehr mit dem Gesetze, dem ich meinen Willen unterthänig machen sollte. Nach der gewonnenen Ueberzeugung konnte ich diesen Forderungen nicht entsprechen, ohne mir selbst das Verdammungsurtheil zu schreiben. Dennoch sah ich ein, daß die Gegenwart nur dauern könne, wenn sie in der schlaffen Willenlosigkeit fortgeschoben werde, die nun einmal Leiterin ihrer Schritte geworden war. Wie schon früher, führte mich auch dies wieder auf das Spalten des Menschen von dem Diener des gemachten Lebens. Ich wollte mir selbst, als einem Atom der Gottheit, den Kreis des Wirkens nicht verengern, aber dem irdischen Zwiespalt geben, was er forderte. Der Gehorsam in mir sollte Mittel werden, ihn zu vertilgen in der Menschheit. Ich wollte Theolog sein, um den Menschen zu retten, nicht durch die anerkannte Heiligkeit der Doctrin, sondern durch ein allmähliges Aufdecken des Widerspruchs, worin eine menschlich geordnete Wissenschaft mit der freien Kunst des religiösen Gemüthslebens steht. Ein Märtyrer zu werden für die Erlösung eines Theiles der Gemeinde aus den Fesseln selbst auferlegter Beschränkungen ward Ziel meines Lebens.

»Die Leidenschaftlichkeit meiner Natur legte mir hierbei tausend Hindernisse in den Weg. Zum Märtyrer taugt nur ein Schwärmer, wie zum Reformator Besonnenheit allein und ein fester Charakter befähigen. Ich ging still mit meinem Leben zu Rathe. Anatomisch zerlegte ich jede Faser meines Herzens, prüfte jeden Gedanken und wog ihn ab mit gewissenhafter Pedanterie auf der Wage des redlichsten Willens. Ich fand mehr spezifische Schwere in ihnen als ätherische Schwungkraft, und mein Muth wuchs, je lauter die Nothwendigkeit einer Aenderung mir aus allen Enden der Welt in die Ohren schrie. Allein Leben, Lust und Reiz hatten sich schon zu tief eingewühlt in das Mark meiner Seele, als daß eine heftige und schnelle Scheidung von diesen für mich möglich gewesen wäre. Außerdem umschlich jeden meiner Schritte ein unheimlicher Geist und maß ihn aus mit heimtückischem Lächeln, ohne daß es doch in meiner Macht stand, ihm zuzurufen: Du bist ein Schurke!

»Dieser Geist war Mardochai. Er ließ nicht von mir und umkreis'te mich, wie mein eigner Schatten. Immer stand er auf der der Sonne entgegengesetzten Seite. Mardochai besuchte mich, ging in meine Pläne ein, gab vor, selbst wirksam dafür zu sein und wiederholte unablässig seinen Refrain: »Wollen Sie bleibend wirken, so müssen Sie zuvor auch jede Gemeinschaft mit irgend einer Secte völlig in sich vernichtet haben. Sie müssen ein freier Sohn der Natur werden, der Alles thun kann, wenn er will, und Alles lassen, wenn er nicht will. Sie müssen auch Alles erprobt haben, weil Sie sonst in Diesem und Jenem irrige Ansichten Ihren Zwecken unterschieben könnten. Studium ist nie Sünde, und das Laster selbst, nur so lange verächtlich, als es aus den Lüsten geboren, wird Tugend, wenn es für die Tugendhaftigkeit geübt werden kann. »»Lassen Sie uns zusammen studiren, sagte er, ich halte es für die Pflicht eines aufgeklärten Juden, den Christen ihre Ungerechtigkeiten gegen unsern Stamm zu vergelten durch Liebe.««

»Ich ging darauf ein, weil es mir nicht möglich ward, den seltsamen Menschen zu entfernen. Auch würde dies wenig genützt haben, da mein ganzes Wesen schon auf das Innigste mit jener Zweideutigkeit des Genusses verwachsen war, die immer Produkt eines zerbrochenen Gewissens ist. So setzte ich meine sinnlichen Ausschweifungen fort, ohne dem Geist die üppigste Nahrung zu entziehen. Der Geist war mächtiger, als meine Sinne und fruchtbarer als sie. Die physischen Kräfte erschöpften sich nach und nach, aber die geistigen wuchsen und tobten um so ungestümer, je spärlicher sie einen Gegensatz und Widerstand fanden im Tumult sinnlichen Rausches. Mardochai stand treu ausharrend an meiner Seite. In seinem dunklen Auge lag ein eigner Glanz. Nicht die Sonne der edlen Freiheit schien dieses Licht entzündet zu haben, sondern irgend ein Dämon. Die Gluth warf keinen Schimmer auf den Himmel, aus dem sie herabflammte, vielmehr spielte die Blässe eines ewiges Todes mit winterlich kältendem Hauch um das edelgeformte Antlitz. Ein abstoßender Ernst lag auf den kalten Zügen, eine zurückhaltende Scheu dämmerte oft um sein Auge und schien Traumgebilde zu formen, die nicht Leben empfangen hatten am Busen der Liebe und Schönheit.

»Bald zog Mardochai auch Casimir in unsern seltsamen Bund. »»Nun ist die Dreieinigkeit fertig«« sagte er, als wir zum ersten Male beisammensaßen und die Rettung der Menschheit besprachen aus dem Tod fesselnder Gesetze. Casimir war aber eher ein störender, als helfender Gefährte. Diesem Menschen lag in der Bizarrerie seines ganzen Daseins mehr daran, Unerhörtes vorzuschlagen, als ernstlich auf ein rettendes Mittel zu sinnen für die trübselig dahin sterbende Menschheit. Dennoch sträubte sich Mardochai immerdar, den einmal Angeworbenen wieder zu entlassen.

»»Solche Käuze sind nöthig, um unsere zu große Zahmheit immer zu stacheln,«« meinte er. »»Casimir vertritt die Stelle eines Sporns. Er haut uns die Weichen wund und treibt die deutsche Sentimentalität aus unsern Leibern.««

»Ich gab mich zufrieden und lebte dem Ziele entgegen, das ich mir gesteckt hatte. Mardochai begleitete mich überall hin. Sein Geist war unermüdlich, selbst in Dinge einzudringen, die ihm völlig fremd geblieben. Mit erstaunenswerther Pfiffigkeit erlauschte er die Schwächen der christlich-theologischen Doctrin, indem er zugleich feine, ich möchte sagen, graziöse Blicke der Misbilligung auf Christum warf. »»Ich würde mich wundern,«« pflegte er dann wol zu sagen, »»wie es möglich gewesen, daß einer meiner früheren Stammesgenossen so leise dem Irrthum nahe treten konnte, hätte nicht die Liebe zu allgewaltig gesprochen in seinem Herzen. Liebe frommt und treibt zu bewundernswürdigen Thaten, es ist aber doch gut, sich nicht von ihr beherrschen zu lassen. Dadurch gibt man zu leicht der Rache Gelegenheit und dem Hasse, sie mindestens zu kecken Neckereien zu verlocken. Wäre ich ein Prophet, die Religion meiner Liebe würde eine gepanzerte Jungfrau sein!««

»»Und ist die unsrige das nicht?«« warf ich fragend dazwischen.

»»Nein, Gleichmuth, Eure Religion ist ein unschuldiges Mädchen. Man kann es bethören durch unbefangene Zärtlichkeit. Es wäre ein tragischer Scherz, wenn ein Jude so liebenswürdig bezaubernd, so galant siegreich sein könnte, daß diese unschuldsreine Heilige seinen Einflüsterungen Glauben schenken und sich ihm in freudiger Hingebung überliefern könnte.««

»»Sapperment,«« fiel Casimir ein, »»ich wollte die Unschuld seufzen lassen und ihr blutige Thränen auspressen. Die Lust ist eine Schraube ohne Ende in der nachgiebigen, weichen Mutter der Dummheit. –««

»Solche Fratzenschneidereien der Gedanken würden mich verletzt haben, wären sie nicht aus Freundes Munde gekommen und ein Beweis gewesen für das Gefallensein unserer ganzen Verbrüderung. Auch trug das abgestumpfte Nervenleben dazu bei, mich vor nichts mehr erröthen zu lassen. Ich hielt für Gleichmuth, weisen Ueberblick und ein grenzenloses freies Denken, was doch nur Ergebniß war einer langsam gesuchten und erlangten Entsittlichung. Die Heiligkeit des göttlichen Ebenbildes war mit Schleiern in mir bedeckt, die nur aufstiegen vor dem zitternden Auge, wenn es die Wollust berührte mit dem schmeichelnden Finger der Dunkelheit. Es war ein grauenvoller Irrthum, in dem ich mich selbst zu Tode tobte, aber der Irrthum war verzeihlich, ja sogar natürlich; denn ihn hatte geboren die Unnatur des Sectenlebens, in dessen heiligen Schlingen die Religion des Herzens unter Wonneschauern abgewürgt wird.

»Mardochai mochte ahnen, daß meine Physis sich erschöpfe, theils durch die Zügellosigkeit, der ich mich anfangs überlassen hatte, theils durch das geistige Ueberspannen aller Kräfte, das aufreibend wirken mußte auch auf den Körper. Ich brach zusammen, wie eine Eiche, an deren Stamm der Zahn der Vernichtung feilt. Mardochai rieth zur Mäßigung, der er selbst sich hingab. Dieser Mensch war nie enthaltsam aber immer mäßig. Es gibt keinen mehr auf Erden, den ich so zerrüttet, so durchpeitscht gesehen habe von Leidenschaften, als diesen Juden. Die entsetzlichste seiner Leidenschaften war aber doch die Ruhe. Und nur so kann die Rache groß sein, weil sie eine Errettung erzielt.

»Ungeachtet ich Mardochai's Rath befolgte, mußte ich doch mit innerm Entsetzen wahrnehmen, daß sich die Natur und Gott in ihr nur einmal foppen und höhnen lasse. Ich ward physisch, was bei geistiger Ermattung der Blödsinn ist. Die Lust der Sinne erlosch, weil die Kraft erschöpft war, aus der sie hervorgetobt. – Noch hielt ich es für Täuschung und Mardochai bestärkte mich darin. Als Arzt vertraute ich ihm, bat um Hilfe, und ein Lächeln, das den bleichen Schleier seines Gesichtes zerriß, wie das Erdbeben beim Tode Christi den Vorhang vor dem Allerheiligsten des Tempels, schlug eine Oeffnung in das Herz Mardochai's, durch die ich nur einen Augenblick lang hinabschauen konnte in die unerforschten Geheimnisse, die darin ihre flammenden Häupter träumerisch zu Boden gesenkt hielten.

»Ich kenne ein Mittel,« sagte er, »aber Sie werden sehr wahrscheinlich anstehen, es zu gebrauchen, schon deshalb, weil ein starker Glaube an die Unfehlbarkeit desselben durchaus unerläßlich ist. Sie glauben nicht mehr, da Sie wissen, darum. –«

»Der Ungläubige ist mindestens abergläubig,« fiel ich ein, »und die Verzweiflung gebiert zuweilen eine Gedankenfestigkeit, die an Glauben grenzt. Sollte sie nicht dieselbe Kraft haben?«

»Gewiß,« versetzte Mardochai, »und sind Sie im Stande sich einige Tage lang mit diesem Gedanken zu tragen, so will ich Ihnen das Mittel sagen.«

»Ich war es zufrieden. Der Schmerz, vielleicht weniger um meine Unschuld, als um die Entbehrung einer Sünde, die mich im Genusse den Ekel vergessen ließ, womit das bloße Leben mich sonst berührte, steigerte meine Ungläubigkeit zu wahrhaftigem Glauben. Mit Ungeduld erwartete ich den Tag, wo Mardochai als ein zweiter Schöpfer meines Ich's mir die verlorne Hälfte des Lebens wiedergeben wollte. Der Tag erschien, es war ein Bußtag – und indem ich dies schreibe, wüthet noch die Erinnerung daran, wie ein Tiger in allen meinen Nerven, und ich flehe Denjenigen, dessen Auge zuerst diese Bekenntnisse überfliegt, in der Angst meines ohnmächtigen Gewissens an, Gott zu bitten um ein Verhüllen der Sonne und Sterne, damit Niemand belausche die Zornröthe auf seiner reinen Stirn, und ist er selbst ein Frevler, die Schamgluth, die purpurn fällt über sein Angesicht!

»Mardochai trat in mein Zimmer, zum ersten Male in der Tracht des Orients, als Jude, als Hoherpriester seiner Brüder. Ihm folgten Casimir, in einem langen Mantel, unter dem er ein Harlekinskleid trug. Der Dritte war Friedrich mit seiner Geige. – Ich war verwundert über diesen Aufzug und verlangte den Grund davon zu wissen.

»»Sind Sie bereit?«« fragte der Jude. Ich bejahte dies. »»Dann kommen Sie mit uns. Unterwegs sollen Sie erfahren, was zu Ihrer Gesundheit dient.««

»Dämmerung umhüllte schon das Thal, als wir die Stadt verließen. Mardochai führte mich die Allee hinaus nach Poppelsdorf. Um das Kirchlein des Kreuzberges flogen die Funken der niedergehenden Sonne, wie brennende Rosenblätter aus dem Brautkranz der Natur. Casimir und Friedrich gingen uns voran, ich folgte mit Mardochai in einiger Entfernung.

»»Lieber Gleichmuth,«« hob der Jude an, »»im Fall Sie nicht der starke Geist sind, den ich immer in Ihnen zu erblicken glaubte und der mich so fest an sich kettete, daß ich selbst Liebe und Freundschaft Ihnen gegenüber fühle; so muß ich bitten, abzustehen von dem, was ich verlange und sich in Ihr Schicksal zu ergeben. Es trägt unser jetzt durch Noth gebotenes Handeln den Schein der Sünde, doch, ruhig betrachtet, es ist keine, überhaupt nichts, als ein Hingeben an die Natur, die ja etwas Anderes nie verlangt, dies aber stets fordert. Es ist nöthig, Gleichmuth, daß Sie jetzt einmal den Glauben und die Natur des Glaubens lieben, wie Sie die Schönheit umarmt und an ihren Brüsten der Natur einen zu reichen Zoll gegeben haben.««

»»Wie soll ich dies verstehen?«« fragte ich meinen Begleiter.

»»Einfach und mystisch zugleich, wenn Sie wollen,«« fuhr der Jude fort. »»Durch Sympathie heilt die Natur leichter und sicherer Uebel, die von einer Art Sympathie erzeugt wurden, als durch andere künstliche Mittel. Diese Heilung will ich an Ihnen versuchen und sie wird gelingen, wenn Sie Glauben haben.««

»»Wahrlich den hab' ich!«« rief ich betheuernd aus. »»Nur schnell gesagt, wodurch mir geholfen wird!««

»»Ruhe ist auch beim Glauben zu empfehlen,«« fiel Mardochai ein. »»Sobald wir an Ort und Stelle sind, werden Sie das Uebrige erfahren.««

Unter zitterndem Bangen erreichte ich Poppelsdorf. Mit der Last einer einstürzenden Welt auf dem Herzen erstieg ich an Mardochai's Hand den Kreuzberg. In der Kirche hatte die letzte Messe begonnen, viele Menschen lagen vor der Kirchthür auf den Knien. Andacht senkte ihren Fittig schützend über den Tempel und die dämmernde Natur.

»»Wir sind zur Stelle,«« sprach Mardochai. Er rief Casimir herbei und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Der grauenhaft-geniale Mensch lachte und ging in die Kirche. Der Jude setzte sich an die Erde neben die heilige Treppe, die nahe der Kirche liegt und von welcher der letzte Gläubige auf den Knien herabstieg.

Aus der Kirche hallte dumpf das » Benedicite!«, das » Dominus vobiscum!« Der ganze tönende Stolz der Messe zog im Echo vorüber an meinen umdüsterten Sinnen. –

»Ich hörte Casimir zurückkommen, er lachte und warf einige jener kolossalen Gedanken bedachtlos in die warme Abendluft, wie sie ihm nun einmal zur Natur geworden waren. Unterdeß trug Mardochai in kalten, skeptischen Reden mir die Nothwendigkeit gewisser Lebensversuchungen vor, und wußte seine Gedanken dabei doch in eine so fromme Mystik zu hüllen, daß ich momentan sogar die Ueberzeugung gewann, mein geheimnißvoller Freund und Rathgeber sei, wann nicht längst schon Christ, doch nahe daran, es zu werden. Lauschend seinen mild erwärmenden Worten, ergab mein selbstständiges Denken sich dem Willen meines Begleiters. Ehe ich es noch ahnte, hatte Mardochai docirend, erzählend, Mährchen dichtend, oft seine Seele in schluchzender Wehmuth auszittern lassend, mein ganzes Wesen auch so völlig in sein goldenes Sündennetz verstrickt, daß ich zusagte und unversäumt zuletzt that, was er verlangte.

»Es wäre mir eine Erleichterung, hier auszusprechen, worin dies bestand, allein auch der in den Schlamm der Verbrechen tief Hinabgesunkene bewahrt sich doch immerdar jene Weihe der Scheu, die ihn erst verläßt, wenn der letzte göttliche Funken in ihm erloschen ist. Und, Gottlob, noch fühle ich, wenn auch nur schwach, das belebende Flimmern desselben still und vergebend in mir pulsen. Darum bleibe verschwiegen, was ohne mich selbst zu entweihen, meine Feder nicht aufzeichnen kann. Es gibt Thaten, die geschehen können, ohne daß die Geschichte erröthet und der Tag erbleicht, an dem sie entweihend sich einschleichen in die offenen Hallen, wo die Vergangenheit zur Auferstehung der Zukunft sich ordnet, aber ein offenes, wenn auch reuiges Wiedererzählen derselben verbreitet pestartige Dünste um sich. Darum sei mir vergönnt, hier nur schweigend zu sprechen, stumm zu bekennen, im Gebehrdenspiel einer wach gewordenen Angst abzubüßen den Frevel einer unseligen, im Rausch des Schmerzes und dem Sirenengesange der Verführung vermaledeiten Lebensstunde!

»Noch lebt ein Zeuge jener That, der Kastellan, dessen Aufsicht die Kapelle anvertraut ist. Er weiß, wer an jenem Abende dem Priester administrirte, und was dieser Administrant vollzog während des erschlichenen Dienstes. Seine That und meine durch Mardochai bewerkstelligte Wiederbelebung des erschlaffenden Naturlebens hingen sehr eng zusammen. Wäre Casimir noch am Leben, so würde er in der ungenirten Weise, sich zu offenbaren, dem Fragenden wol schwerlich eine Antwort versagen. Es war eine herzbrechende Farce, die Mardochai, Casimir und Friedrich, diese letzten Beiden freilich, ohne zu wissen, mir zum Heil aufführten. – Genug, Mardochai kam zu seinem Ziele und ich erlangte, wonach ich begehrte. Der Jude reichte mir den Arm und führte mich langsam den Berg hinab, während Friedrich aufregende Melodien, heitere, ergötzliche Lieder zu spielen schon früher beauftragt worden war. Mardochai blieb dabei ruhig, wie immer, er sprach von Unsterblichkeit, Glaube, Liebe und andern erhabenen Gegenständen, während in meinen erhitzten Adern eine Raserei der Lust tobte, wie ich sie in diesem Grade nie gefühlt hatte.

»Mein Wille war völlig gefangen während dieser Begebenheiten. Mardochai blieb mein Begleiter oder vielmehr Führer in der darauf folgenden Nacht, aber die Trefflichkeit seines Mittels ward außer Zweifel gesetzt. Ich gesundete, und erst später erlag ich für immer der strafenden Rache der Natur. O, damals ahnte ich noch immer nicht, warum Mardochai so gehandelt hatte! Die späteren Jahre erst ließen mich erkennen, daß ich Theilnehmer einer Rache geworden sei, wie sie nur ein zweitausendjähriger Haß und ein gleich langes Dulden der himmelschreiendsten Ungerechtigkeiten ausbrüten konnte.

»Allein jene Rache hatte auch einen Zweck, einen heiligen Zweck, der ebenfalls, bei mir wenigstens, erreicht wurde, obwol mein Handeln dafür der trotzigen, dummen Menge gegenüber nur von geringer Wirkung geblieben ist. Von diesem Zwecke zu reden, kommt jedoch nur dem zu, der für ihn keine Sünde scheute! Die Zukunft wird auch diesen dereinst bekannt werden lassen. – –

»Mardochai sprach nicht mehr von dieser Geschichte, denn seine Ruhe ist gleich mächtig in ihrer Consequenz, als der Haß unaustilgbar, den er in sich nährt und dessen Befriedigung seine eigenste Religion zu sein scheint. Mardochai ist entsetzlich, aber doch ein großer Mensch! Denn er steht als strafender Rachegott auf für sein Volk, treu seiner Lehre, die in Gott ja nur einen »starken, eifrigen Gott« erkennt. Obwol ich Mardochai's Opfer geworden bin, ahne ich doch in ihm den reinen Menschen und weiß ihn zu sondern von dem Henker, wozu ihn das Jahrhundert berufen hat in der Nothwendigkeit seiner läuternden Auswüchse. –

»Es vergingen einige Tage und Mardochai ließ sich nirgends blicken. In mir stritten sich Ingrimm, eine lächerliche Verzweifelung und entschiedener Hohn gegen Alles, was bisher der Gewohnheit lieb und werth gewesen war, um den Besitz meines Herzens. Des Juden ausgesuchte diabolische Rache an dem Heiligsten, was unser Glaube geboren hat, schreckte mich auf aus dem Traume geistiger Vernichtung. Ich wollte den Schrecklichen meiden, aber ich hatte weder die Kraft, ihm zu fluchen, noch den Muth, zu behaupten, seine Handlungsweise sei die schandbarste, welche je geschehen unter der Sonne. Und dann – hatte er mich nicht gerettet, wieder hergestellt? Ein neues Leben durchwärmte ja mein frierendes Nervenmark! Ich fühlte mich ganz wieder Mensch, frei und stolz auf die Kraft einer vollen Männlichkeit. Es war ihm leicht, mich der niedrigsten Undankbarkeit zu beschuldigen, – sich als Retter, als großmüthiger Freund mir gegenüber hinzustellen! Hätte nur der furchtbare Blick nicht noch immer meinen zerrissenen Herzenshimmel, wie ein blendender Blitz, zerspalten! Ich zweifelte an der Rache des Juden und fand mich beruhigt, indem Gleichgiltigkeit bald den tiefern Eindruck verwischte.

»Als ich endlich Mardochai wieder sah, ging er gekleidet, wie am Tage der Entheiligung. Er trauerte und meldete mir ruhig, Eugenie, seine Geliebte, sei gestorben. Diese Nachricht erschütterte mich, obwol ich furchtbar drohend die Vergeltung auch hier die Fahne des Sieges schwingen sah. Mardochai zeigte sich von nun an immer auch in seinem Aeußern als Jude. Mich befremdete dies und ich forschte nach der Ursache. Mein zweideutiger Freund zuckte die Achseln und schwieg. Späterhin bemerkte ich, daß er mehr als früher mit seinen Glaubensgenossen umging. Er stand in vielfachen Verbindungen und mir schien es, als betreibe er neben seiner medicinischen Praxis noch ein Geschäft.

»Ich habe immer gefunden, daß Juden, wenn sie sich den Wissenschaften widmen, das Studium der Medicin erwählen. Der Grund davon ist leicht zu ermitteln. Als Arzt findet der Nichtchrist auch bei den Christen noch immer das sicherste Aus- und Unterkommen. Man vergißt über der Geschicklichkeit des zu Rathe Gezogenen den Makel des Bekenntnisses, den alle Aufklärung der Neuzeit noch immer nicht ganz zu tilgen vermocht hat. Dennoch wagt nicht jeder Ort und jede Bevölkerung, sich selbst zu diesem so beschränkt liberalen Standpunkte zu erheben. Ich habe Städte gekannt, in denen keine Familie, weder aus den höhern noch niedern Ständen sich je entschlossen haben würde, die Pflege der Gesundheit einem jüdischen Arzte anzuvertrauen. Die Tyrannei der Angst, die Geißel der Beschränktheit, sind kaum zu vernichten.

»Mardochai, bereits der Praxis sich hingebend, machte aus Stolz und geistiger Ueberlegenheit kein Geheimniß von seinem Judenthume, eher setzte er eine Ehre darein, gegenüber einer oft sehr bornirten Christenheit mit den Funken seines Geistes das Jämmerliche, den Menschen so tief Herabwürdigende gewisser moralischer Maximen so stark zu beleuchten, daß sie am Ende in Asche aufgelöst niederfielen. Weil er den Menschen in sich achtete und auch in Andern hervorsuchte, entzog man ihm die Gegenachtung. Viele zuckten die Achseln, wenn des geistreichen, scharfsinnigen Mardochai gedacht wurde und bedauerten, daß er ein so starrer Jude sei.

»»Man muß anstehen, ihn in Gesellschaft zu bitten bei seinen Grundsätzen,«« sagte irgend ein Kirchenrath, »»denn der sonderbare Mann ist im Stande, laut zu gestehen, daß er Jude ist. Man kommt in Verlegenheit bei Umherreichen der Speisen und möchte jedesmal Waschwasser an der Tafel herumgehen lassen.««

»Diese Stimmung ward bald allgemein. Die Weiber hatten zwar gern sein schneidendes und dabei doch galantes Wesen, allein den Juden konnten sie ihm nicht vergeben, weil er ihn nicht vergessen mochte. Mardochai sah sich außer Connexion gesetzt, eh' er selbst noch daran dachte. Die Freisinnigsten, genugsam bekannt mit seiner Gesinnung, riethen ihm zum Uebertritt, fanden sich aber sarkastisch abgewiesen.«

»»Mein Stamm handelt mit allen Lumpen, die es auf Erden gibt,«« sagte er, »»mit seiner Religion aber hat er noch nie geschachert. Ein Jude wird Alles zu Gelde machen, weil er es muß. Er wird ein Hund sein, ist es seit Jahrhunderten gewesen und ist es noch, aber ein Schuft ist er nicht. Christen sind Apostaten geworden aus elendem Ehrgeiz, Geldsucht und andern Erbärmlichkeiten, ein wahrer Jude aber wird als Held sterben, wenn ihm Jemand den Antrag macht, entweder seiner Religion zu entsagen, oder des elendesten Todes zu verbleichen. Ich bin stolz auf meinen Stolz.««

»Es war natürlich, daß diese Art, offen zu sein, nicht fördernd wirken konnte auf seine Carrière. Die Familien suchten sich ihm fern zu halten, man nahm Anstand, einen solchen Juden Blicke in das Hauswesen und Familienleben thun zu lassen, die Vertrauen voraussetzten, und um der unangenehmen Nothwendigkeit zu entgehen, schied man sich lieber ganz von dem Hartnäckigen und überließ ihn seinem Schicksal.

»Keiner seiner nähern Freunde würde irgend etwas davon erfahren haben, hätte nicht die plötzliche Aenderung in den äußeren Gewohnheiten auf eine Revolution im Innern Mardochai's hingedeutet. Nicht allein das Anlegen jüdischer Kleidung fiel auf, auch sein Vernachlässigen der Wissenschaft mußte befremden. Er machte Reisen, blieb Wochen lang fern, kehrte dann wieder, und setzte seinen Umgang mit mir, Casimir und Friedrich fort. Unser Forschen führte zu nichts. Das Schweigen Mardochai's blieb sich gleich, seine Gesinnung war unwandelbar, seine Ruhe tödtend. So oft ich auch noch mit ihm zusammentraf, immer vertheidigte er nur die Moral der Consequenz, nicht ihre Basis. Es kam ihm nie auf das Was? an, sondern nur auf das Warum? Und Mardochai war und blieb Jude, und wollte Jude sein, weil er Jude geboren war.

»Mit mir stand er fortwährend in engem Verkehr und zeigte nach jener Handlung der Rettung eine zärtliche Anhänglichkeit. Dabei aber unterließ er nie, in jedem Gespräch Gift in meine Seele zu träufeln und jeden Gedanken der Reinheit in mir zu verpesten. Er erklärte mir das jüdische Gesetz mit einer Schlauheit der Ruhe, versteckter Liebe und grimmigen Hasses, die Bewunderung verdiente. Ihm entging kein Zug der Schwäche in unserm Religionsbekenntniß, und so oft er nur einen leisen Zweifel in mir aufspürte, versäumte er gewiß nicht, ihn anzuschwellen zum Gebirge, das drückend meine Seele belastete. So stieß mich dieser böse Dämon des Christenthums immer tiefer in die Entsittlichung meiner selbst, angeblich um mich zur Erlösung der gesunkenen Religiosität zu stärken, eigentlich aber zum Kampf für die Emancipation der Juden zu treiben. –

»Casimir entschwand mir in dieser letzten Zeit des Zusammenlebens mit Mardochai aus dem Gesicht. Seine colossalen Sünden des Gedankens gegen die Zimperlichkeit des parfümirten Zeitalters trieben ihn fort in die Welt. Ich erhielt noch einige Briefe von ihm aus der Umgegend, den letztern aus H., wo er sich eine Zeit lang aufhielt, und mir seinen Enschluß, nach Amerika zu gehen, meldete. Ich füge diesen hier bei, um einer spätern Zeit etwas von Urmenschlichkeit aufzubewahren, wenn sie längst keinen Begriff mehr davon haben wird.

 

H. am Tage der lutherischen Gedankenallianz gegen die päpstliche Heiligen…cht 18–

Fromme Bestie!

»Ich habe meinen Leichnam begraben unter den Schuhsolenstaub unserer Ahnen. Diese Lage bekommt ihm gut und er conservirt sich sehr wol, namentlich gefällt der Wildleder-Duft meiner Nase ganz ausnehmend. Sonst ist es sehr langweilig hier, wie überall. Es liegt Alles krank an herrnhutischen Gedanken. – Mich hat der Teufel, will sagen, ich bin ein ganzer Kerl, und ich rathe Dir, nimm auch die neue Kokarde, damit Du Deinem ausgeschwefelten Gesicht etwas Farbe wieder eintättowirst. Ich würde Dich für den Handschuhmacher seiner infernalischen Majestät halten, wärst Du nicht englischer Schneidergeselle geworden in der Werkstatt Michaels des Ewigen. Guten Appetit zum Maßnehmen! Doch paß' auf und nimm's glatt, damit die Tugendhaftigkeit nicht Falten wirft und das Laster eine Hecke d'rin anlegt! –

»Ich bin ein fleißiger Gott, was ich an meinem Gehirn verspüre, mit dem das des Ewigen nicht Schritt halten kann im Kreisen. Er schuf eine Welt in sechs Tagen und ich sechs in einem Tage. Das will was heißen und mattet einen ehrlichen Kerl ab, der keine Zeit hat, sich an irgend einem Fixstern den müden Leib auszuruhen. Es bedarf dessen nicht.

»Das Vieh gedeiht hier zu Lande gut, wie allerwärts, am besten aber das Hornvieh. Ein Drechsler müßte gute Geschäfte machen, wenn er alle Ehemänner zu Kunden kriegte. Ich würde ihm in dieser Hinsicht sehr gute Empfehlungsbriefe mitgeben können, weil ich's aus dem Fundamente kenne. Es muß Alles einen festen Grund haben.

»Morgen breche ich ein in das Allerheiligste des Sternenhimmels. Ich brauche einen Dom, der mir leicht hinfliegt über den Scheitel, da ein großes Geheimniß in ihm verborgen liegt. Ich schreibe eine Tragödie » Besuch Gottes in der Hölle« und einen Roman » Neuigkeiten aus dem Boudoir stiller Frömmler.« Das ist himmlisch galantes Zeug und soll meine Landsleute packen. Den Pfaffen flechte ich dabei einen Knochenkranz, um ihnen ihre hohlen Hirnkasten zusammenzuquetschen. Meine Seele aber träumt himmlische Träume, und säugt sich groß und reich an den Brüsten der Sternenwelt. Gestern Nacht sah ich's, daß die Milchstraße weniger hell glänzte. Mein Seelen-Soff hatte sie geebbt. Ja, Gleichmuth, Casimir wäre ein großer, erhabener Gott, wenn er nicht zufällig bei dem heiligen Geist in Ungnade gefallen wäre. – Ich gehe nach Amerika, um dort eine neue Poesie zu stiften, und schreibe ein Prairiendrama, in dem Büffel die Rolle des Narren spielen sollen. Es werden stößige Narren werden und die Erde soll zittern vor ihren Witzen.

»Gott befohlen, mein lieber Hostieur – sieh das Wort recht an, denn es ist ganz buttersemmelweich – und sei kein Narr, wenn der Teufel die Meßglocke zieht.

Dein colossaler Mensch,
genannt Casimir

»Von meinen sonstigen Bekannten war jetzt nur noch Friedrich übrig geblieben. Dieser Mensch, der von Mardochai's Geist aufrecht gehalten ward, floh mich seit jener entsetzlichen Nacht, wo er die Geige spielte, während ich den sündengebrochenen Leib wieder auffütterte mit der dargereichten Arzenei. In ihn hatte die Natur nicht so viel trotzige Kraft gelegt, daß er vermögend gewesen wäre, jedem gewaltigen Eindrucke zu widerstehen. Er ward still und schlich um die Kirchthüren, wie die reuige Sünde, die ihren Gott sucht, an den sie einst glaubte. Es vergingen einige Wochen und Mardochai sagte mir, Friedrich sei ein Frommer geworden, ein Pietist! Er hielt lange Reden in den Versammlungen der »Feinen,« wie man die Auserwählten des Himmels nannte, und war angesehen bei ihnen. Zuweilen unterhielt er die fromme Schaar auch durch sein vortreffliches Geigenspiel, in dem allein noch eine frische Weltlust lebte.

»Mardochai hätte bei diesem Abfall eines seiner vertrauten Freunde eigentlich den Kopf schütteln oder sich kräftig in's Mittel legen müssen. Dennoch geschah von alle dem nichts. Vielmehr schien diese Art, sich dem Leben zu entfremden und den eigenen Geist einzusargen in die schwüle Atmosphäre einer tödtenden Liebelei der Seele mit dem heiligen Geiste, ganz nach seinem Sinne. Der entsetzliche Mensch, glaube ich, ahnte, wohin es kommen würde mit Friedrich. Das Geschehenlassen war nur ein Grundstein mehr zu dem großen Colosseum, das sich seine raffinirte Rache erbaute auf und im Christenthume.

»Mein eigenes Leben, abgeschwächt in sinnlichen Genüssen, raffte sich zusammen und gebar aus Trotz eine Opposition, die selbst Mardochai gegenüber ihre Kraft bewährte. Ich war, obwol körperlich erschlafft, doch geistig regsam genug, um nun aus Verzweiflung an mir, an dem Leben, an Gott und Christenthum, ein eifriger Streiter zu werden für das, was mir doch nur als schöner Tand vor dem Auge flimmerte. Als ich nicht mehr sündigen konnte, durfte ich getrost über die Sünde zu Gericht sitzen. Ich war ein unparteiischer Richter. – Todt und begraben lag in mir die Heiligkeit des ewigen Menschen. Auf seinem Leichnam schwebte hin und her, wie der ölige Dunst eines Irrlichtes auf feuchtem Moor, der Geist meines Lebens, halb beleuchtend mit dem getrübten Scheine die Grabstätte seines Friedens, und halb hinaufbetend mit flammender Zunge zu dem gnadenreichen Himmel. Ich ward ein sehr frommer Mann, weil ich ohne Leidenschaft lebte. Ich hatte ja keine Sinne mehr, nur der Geist noch tobte in wunderlichen Sprüngen durch die entweihten Zellen, in denen einst die Göttlichkeit des Menschen gebetet und geweint, geschluchzt und geküßt hatte von dem ewigen Christus die welterlösenden Thränen. – Es bedurfte keines halben Jahres, mich als Theolog auszuzeichnen. Ich ward angesehen, meine lüderliche Gesichtsfarbe machte mich interessant, der Schmerz um den Verlust meiner Menschenwürde konnte für die Folge großer Studien gelten. Daß ich unglücklich geworden, weil ich geboren war in einer Zeit, die vom Christenthum nichts gerettet haben will, als den Namen und die Maske, das wußte freilich nur der Traum, dies Weltgericht Gottes, das allnächtlich sich einschlich in mein elendes Leben. –

»Ich verlor Mardochai aus dem Gesicht. Als ich zufällig einmal das Bedürfniß fühlte, mich nach ihm zu erkundigen, erfuhr ich, daß er seit Wochen schon die Stadt verlassen habe. Friedrich war mit ihm gegangen, man wußte nicht, wohin. Es war mir gleichgiltig. Von Casimir hörte ich auch nichts mehr. Er, wie Eduard, waren verschollen.«

»So stand ich allein, als Ruine eines Menschen, der das Gefühl verloren hat, aber das Bewußtsein gerettet, um Zeuge zu sein von dem Einsturze einer ganzen Epoche, eines großen Erdtheiles. Ich fand, daß es überall zugehe, wie in mir selbst. Ich war der Spiegel des siechen Europa, das seine Lüste gebüßt und nur noch den frivolen Theil des Geistes gerettet hatte, um mit ihm die Blößen des geschichtlichen Lebens aufzudecken.

»Der Mangel an leidenschaftlicher Kraft machte mich zum stillen Beobachter und sogar – zufrieden, glücklich! Ein Mensch, wie ich, taugte in dieses Europa; ich war sein würdigster Bürger. Krank, wie das heilige Land, eine Lebenstrümmer, wie dieses, frivol witzig, raffinirt, cultivirt, geistig sublim und sinnlich ohnmächtig, ein zürnender Eunuch, der nur noch tauglich ist zum Beaufsichtiger der Tugend, die anderwärts eingesperrt wird im großen Harem der Welt. –

»So war ich berufen zum Moralisten. Ich betrieb im Kleinen, was ich eben so gut in ein en gros Geschäft verwandelt haben würde, hätte sich die Gelegenheit dazu geboten. Nur so, wie ich jetzt war, konnte ich mich wolbefinden, mich fühlen als ein europäischer Mensch. Ich durfte nicht anstehen, in mir einen Helden zu sehen, den Helden einer Carrikatur der Civilisation! Wo das Heldenthum zur Hure geworden ist, da kann der Held nur als kraftloser Wüstling ihr Liebhaber sein. Ich fühlte es, daß ich in dieser Lage wenigstens negativ beitragen könne zur Erhebung, zur Aufrüttelung des nervenschwachen Geschlechts. Ich entschloß mich dazu und bildete im Stillen den Entschluß aus zur That. Der sittenlose Teufel übernahm das Geschäft der erlösenden Kraft.

»Nach zwei Jahren trat ich das Amt eines Seelsorgers an auf dem Lande. Mein Vortrag gefiel, ein leises Durchklingen von Ironie zog die gebildete Welt herbei, die sich so gern an dem geistigen Kitzel erfreut. Zwei Jahre später bezog ich die Stadt und lebte nun dem heiligen Berufe, der wahrhaftigen ewigen Lehre des gekreuzigten Christus wieder Boden zu gewinnen. Mancherlei Anzeichen ließen mich hoffen, daß meine Bemühungen nicht unfruchtbar blieben. Ich that, was ein Gottesgelehrter in Europa allein zu thun hat, ich predigte das Evangelium. Ich füllte meine Zeit aus und meinen Platz, weil ich jene begriffen hatte, und ward nun glücklich, da die Kraft zum Unglücke aus meinem Körper gewichen. Ich will und werde aber auch in Europa, dem müden Welttheile, sterben und Todtengräberdienste verrichten oder Leichenredner sein so lange, bis Alles verloren oder Alles gewonnen ist. Weil ich selbst so grenzenlos glücklich geworden bin durch den Verlust des Unglücks, wünsche und flehe ich ein lautes, zerfleischendes Unglück herab auf alle meine Brüder und rufe denen, die es bereits in sich tragen, zu: Fliehet, fliehet aus dem öden, dumpfen Welttheil, wo man die Gedanken lebendig eingräbt in den Sarg des Herzens, und den Segen darüber spricht und das Rauchfaß schwenkt! Fliehet und gehet hin in alle Welt, um zu lernen von den Heiden, was ihr verloren habt in Euren verpallisadirten Lehren! –

»Ich habe mich später verheirathet. Ob meine Gattin glücklich ist? Gewiß, denn sie fühlt nicht in ihren Gliedern die Müdigkeit des Welttheiles, unter dessen Töchter sie sich zählt. Meine Frau ist ein tugendhaftes Weib, sie ist sehr gut, sehr edel, aber auch etwas einfältig. – Nur eine solche Frau konnte ich brauchen. Frauen von Geist und Sinnenfrische müssen eben so europamüde sein, als wir Männer, und können ihr Treibhausleben auch nur durch gleiche Mittel fristen. Die Sünden der Welt sind die Folgen der fluchwürdigen Verhältnisse, die geboren wurden aus socialer Unnatur, mystischer Heuchelei – weil man den Sinn aller Religiosität von Anfang an misverstand – schwächender Knechtsgesinnung und schlaffer Lebenssitte, die Alles mit der Schminke der Etiquette besudelte. Daran stirbt Europa, dadurch wird es der Sclave werden des Westens, in dem es zwar Sünden gibt und Laster, aber nur Sünden der Kraft und des Uebermuthes. Diese erobern und gewinnen, denn sie sind – weil zur Tugend fähig – gottebenbürtig, aber die Sünden der Schwäche – und diese gehören Europa an – bedingen den Untergang. Der Geist allein wird uns nicht retten, weil er ein Sclave geworden der Skepsis, die Natur nur kann die Unnatur bekämpfen, und sie selbst ist geflohen aus Europa! Drüben aber über den Wogen des atlantischen Oceans liegt das Land der Verheißung im heiligen Schatten des Urwalds gebettet, der es umfängt und mit den Locken der Hoffnung umschmeichelt, wie eine Mutter ihr lächelndes, kraftvolles Kind! Dorthin hat sich geflüchtet die Natur, als Europa sie vertrieb. In der durchsichtigen Fluth des Ohio bespiegelt sie sich, schuldlos, weil sie stark, und fromm, weil sie frei ist. Ueber ihr aber zittert das Auge Gottes, und Freudenthränen rollen als Welten über ihr hin, und Amerika's Söhne blicken hinauf zu dem großen Tempel, den der freie Gott in ihnen gewölbt hat zur allgemeinen Verehrung. Und sie beten arbeitend und arbeiten betend, und es ist kein Elend unter ihnen, weil keine Armuth sie drückt. Sie sind froh, glücklich, fromm, gläubig, weil die Freiheit den Orden der Menschheit in sechs und zwanzig silbernen Sternen auf ihre Brust geheftet hat. Die Flagge ihrer Nation ist das Abbild des Himmels, und es muß sich schön und groß leben lassen in einem Erdtheile, wo der Himmel mild hinzieht über den Scheitel eines Jeden, und milder und sanfter noch sich wiederspiegelt in dem Herzen eines Jeden!

»Ich aber bin ein Europamüder, ein protestantischer Gottesgelehrter, der die Liebe sucht und sie nicht findet, weil sein Land sie verstoßen und entweiht hat in ihm, wie in Jedem, der Treue gelobt hat der Scholle, die ihn geboren. Nur eine frische junge Natur, geholt aus Amerika's Wäldern, wie wir entlehnt haben von dorther die bewegende Kraft des Dampfes – nur eine solche Natur kann Europa erlösen, und wieder zu Göttern beleben sein geschwächtes und gebrochenes, aber auch im Sterben noch edles Geschlecht! – Möge es der Reine erleben, ich der Unreine will sterben in Frieden, wenn mich das Glück Europa's zum Unglücklichsten der Sterblichen machen wollte. –

Gleichmuth


Gewahrst Du durch den dämmernden Schleier Deines Auges die Thränenflecken, die wie die Siegel des Schmerzes dieses Testament eines Herzens unterzeichnet haben, das dem Henker eines Erdtheils zum Opfer fiel? Wenn Du noch Mitgefühl hast, Raimund, so halte es fest in Dir, denn wahrlich, es ist eine Zeit, über die Gott Ursache hätte zu trauern! – Und um so entsetzlicher, als nun Tausende kommen werden, um diese Bekenntnisse zu lästern, gebe ich sie erst der Welt preis, wie ich gesonnen bin. Warum verschweigen, was ihr die Augen öffnen kann? Ist nicht Jeder berufen mitzuarbeiten an der Erlösung, die so schüchtern umherschleicht und nur im Dunste des Mondlichtes noch ungestört um das große Grab des Lebens zu wanken wagt? Aber ich will nicht schweigen, ich will handeln! Und Bardeloh soll mir die Hand reichen zum Werke. – Raimund, Du wirst mich nicht wiedersehen – ich gehe nach Amerika! Bardeloh soll mich begleiten, er besitzt, was uns Unabhängigkeit verschafft in jenem Lande, wo im Anfange nur der Besitz Achtung gebietet. Meine Geliebte, der verwüstete Casimir, Friedrich, der Pietist, den die heilige Demuth geistig so impotent gemacht hat, wie Gleichmuthen physisch – sie Alle sollen mich begleiten und am Ohio genesen von dem Fieber, das Europa verpestet, seine Frechheit ihnen eingeimpft hat von Jugend auf!

Dann, Raimund, denke ich zurück in hohem, heiligen Schmerz an meine Mutterwelt, die ich fliehen mußte, um ein Mensch zu bleiben, und greife zur Feder, die ich dem Schweif des Flamingo entreiße, und schreibe die Schmerzen Europa's, decke auf seine Gebrechen, singe seinen Jammer und heile sein Weh, indem ich seine Kinder zum Bewußtsein ihres Unglück's bringe. – Schon fühle ich, wie ein neuer Tag seine tausend Küsse mir als Kreuz um mein zitterndes Herz bindet, brennend heiß und glückverheißend, wie die Küsse meines Mädchens. Fort nur trage ich aus Europa, als einzigen Raub vom Busen der Mutter, meine Geliebte. Ich will Europa's poetische Liebe verpflanzen in Amerika's poetische Urwelt. Da soll ein Geschlecht entstehen mit deutschem Blut, deutscher Ausdauer, deutschem Gemüth und deutscher Glaubenskräftigkeit, das sich Leben gesogen hat aus dem unversiegbaren Born der Freiheit. Hinter mir schon seh' ich die Leuchtfeuer der Küste versinken, dunkel schattet die Nacht über dem Meere, aber der Morgen zündet an einer neuen Küste die begrüßenden Flammen an. Die Appalachen sprühen im Morgenroth wie Riesenhelme empor, zum Himmel stürmen die Zypressen am Mississippi, und tragen die stolze Frage hinauf: ob es wol erlaubt sei, auf Erden göttlich frei zu sein neben Gott? –

Raimund, ich werde glücklich sein, weil ich mein Unglück begreife. Mit Ehrfurcht küsse ich das Manuscript, in Scheu beuge ich mich vor Gleichmuth's Todtenantlitz. Genug, ich gehe nach Amerika, und will von dort herüber wirken und handeln für mein armes, geliebtes Europa, für meine unglücklichen Brüder, für mein Mutterland – das heilige Grab der modernen Welt! –

 


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