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9.
An Ferdinand

Bonn, im August.

Körperlich und geistig abgemattet sollte ich zwar nicht schreiben wollen, aber wohin mit der Unruhe? Wie sie bewältigen ohne lindernde Mittheilung? Hältst Du mich doch ohnehin für siech, warum also anstehen, Deine Meinung von mir bestätigen zu helfen? Was Dir ungenießbar erscheint, kannst Du ja überschlagen, wenn nicht das Interesse für die Sache der Menschheit das Unbequeme der Erzählung überwindet.

Gestern Abend verließ ich mit Bardeloh unsern gegenwärtigen Aufenthaltsort. Richard hatte einen Segelkahn gemiethet, der uns bei einem sanften Winde rasch stromabwärts führte. Die Sonne war schon untergegangen, als die niedrigen Hügelreihen am Ufer des Siegflusses mit Rosenflor und duftigem Nebelweiß umglänzt aufstiegen. Die Nacht versprach hell und warm zu werden. Das erste Mondviertel lag, wie eine zerbrochene Hostie im Heiligthum der sterngestickten Weltmonstranz. Anbetend sank in demüthigem Gewande Lebendiges und Todtes nieder als knieende Schatten und wartete des vorüberwandelnden Gottes.

Bei der Einmündung der Sieg legte der Schiffer an, wir stiegen aus und gingen den Fluß entlang in das Thal hinein, dessen Hügel bald anschwellen zu niedrigen Bergen. Der Mond streute funkelnde Lichter durch die Gebüsche; auf dem Flusse gab es noch viel Leben. Heimkehrende Arbeiter grüßten freundlich und sangen muntere Lieder in einem Jargon, der, obwol sehr unverständlich, doch naiv und gutmüthig klang. An diesen Menschen war kein Lebensüberdruß, kein Weltekel zu entdecken. Ich glaubte bisweilen die Erfahrung Anderer bestätigt zu finden, daß dieser Vorzug nur den Gebildeten, der feinern Gesellschaft verliehen worden sei. Laut rief es in mir: kehrt zurück zur einfachen Natürlichkeit und ihr werdet glücklich sein, wie diese. Bildung soll nicht der Todtengräber der Herzensruhe sein, sondern ihr Brautführer.

Nach zweistündigem Gehen lag Siegburg vor uns, ein freundliches Städtchen, an dem nichts merkwürdig, als die alte Abtei, in deren Zimmern jetzt Geistesirre aufbewahrt und geheilt werden. Dieses Umkehren der ursprünglichen Bestimmung eines Gegenstandes, oder einer Sache rechne ich allemal zu den Späßen der Geschichte, die unbewußt und mit einer Art vergnüglichen Blödsinn's von ihren gallonirten Bedienten, den Menschen, aufgeführt werden. Es gibt keinen bessern Ort für Wahnsinnige, als ehemalige Mönchszellen und Refectorien. Der Kreuzgang dient zur Spazierhalle, wo die neumodischen Mönche ihre Siesta verträumen. Der Irrsinn ist nur die Kutte moderner Möncherei, die der heilige Geist der Zeit über die tonsurirten Scheitel seiner liebsten Kinder stülpt. Im Wahnwitz betet der Weltwitz seine unzeitigen Geburtsschmerzen ab. Geistesirre sind Heilige der Neuzeit, Märtyrer der civilisirten Menschheit. Daß ihre Herzen im Kopfe schlugen, hat sie so elend gemacht! Deshalb müssen sie das blasse Cisterziensergewand, die schimmernde Toga des um Erhörung bittenden Geistes, über die Fetzen des weltarmen Lebens werfen. O seht, wie sie einhergehen die stolzen neuen Römer, deren Gedanken nicht Thaten werden können, weil das Tribunat jetzt unter die antiquarischen Merkwürdigkeiten gehört.

»Hier wollen wir Hütten bauen,« sagte Bardeloh und lehnte sich an eine breitästige Linde, deren duftende Blüthenlocken der Mond mit keuschen Küssen durchwühlte. Ringsum herrschte tiefe Stille. Die Sieg brach ihre hellen Wellen flüsternd an den Fischerkähnen, aus Erlengebüsch und Birkenwaldung rief die Nachtigall ihre melancholischen Klagetöne herüber. Finster lag die Abtei vor uns, wie eine große Lavaschlacke. Auf dem Dach hing grünes, üppiges Moos, dies saftlose Gewächs aller Gräber. Im Schatten der Buchen bemerkte ich ein Liebespärchen schwatzend und kosend auf- und abspazieren. Einen Augenblick traten die Liebenden in das helle Mondlicht. Ich erkannte Nanette, die ein glückliches Stündchen mit ihrem Partner verlebte.

»Einem Vernunftlosen kann hier wol sein,« sprach Bardeloh und ging in's Städtchen, wo wir die Nacht ziemlich unruhig zubrachten. Noch kannte ich nicht den Zweck unserer Wanderung. Richard blieb, wie fast immer einsylbig, oder warf nur bittere Brocken in das Gespräch, als wolle er mir den Appetit damit verderben.

Im Gasthof ward eine Hochzeit gefeiert. Gesang, Spiel und Tanz währten die ganze Nacht und raubten uns den Schlaf. Bardeloh stand stundenlang am geöffneten Fenster und sah hinüber nach der ehemaligen Abtei, in dessen Scheiben sich der Mond lächelnd bespiegelte.

Am frühen Morgen ließen wir uns bei dem Irreninspector melden und baten um einen Besuch. Ich habe immer gefunden, daß Zuchthaus- und Narrenhaus-Inspectoren gegen Fremde die humansten Menschen der civilisirten Erde sind, daß aber diese Humanität sich auch auf ihre Untergebenen erstrecke, will ich nicht behaupten. Die chronique scandaleuse erzählt wunderbare Geschichten Man darf ihr nicht trauen; denn sie ist eine Verläumderin aller Gerechtigkeitspflege und strenger gewissenhafter Pflichterfüllung,

Bardeloh konnte nur mit Mühe eine ängstliche Unruhe bemeistern. Er hatte etwas Schweres auf dem Herzen. Der Inspektor empfing uns mit der freundlichsten Zuvorkommenheit, denn wir trugen feine Kleider, hatten ein nobles Ansehen und konnten recht gut für reisende Engländer gelten. Bardeloh überreichte dem Irreninspector eine Schrift, die dieser mit großer Aufmerksamkeit las und uns hierauf bereitwillig den Narren vorstellte.

Verlange nicht etwa, daß ich Dir eine Beschreibung des tiefsten menschlichen Elends geben soll. Dies überlasse ich Anderen, die weniger fühlen, aber desto mehr schwatzen können bei dem Anblick zerrissener Menschenherzen. Geistesirre gleichen Schmetterlingen, die an den Fensterscheiben auf- und abflattern. Sie denken, das Helle sei der freie, warme Himmelsraum, und jemehr sie sich gefangen fühlen, desto heftiger mühen sie sich ab. Der heilige Staub verschwindet von den Flügeldecken, farblos, eine dunkle Ahnung des Gewesenen, hängen sie herab, nur das Flattern dauert fort, dieser bewußtlose Drang nach Leben ohne die Kraft, es zu können. Geistesirre sind Psychen, die unaufhörlich mit den staublosen Flügeldecken ihres Geistes an den Fensterscheiben der Welt sitzen und sich wundern, daß die Luft so compact geworden ist und doch ihren Glanz behalten hat.

Wir gingen an verschiedenen stillen Gruppen vorüber, die uns meist ignorirten, nur Einzelne sprachen uns zuvorkommend an. Man hätte sie für gescheit halten können, wäre der Blick nicht Verräther der spukenden Seele gewesen, die in ihrer eigenen Wohnung umgeht und sich grauliche Gespenstergeschichten erzählt. Es ist unglaublich, wie groß die Productionskraft des menschlichen Geistes ist, wie unendlich viele Variationen er auf sich selbst spielen kann!

Der Inspector öffnete die Thür einer hübschen Zelle. Wir traten ein. »Das ist Herr Casimir,« sagte unser Führer. »Es steht Ihnen frei, sich ungehindert mit ihm zu unterhalten. Was man mir befiehlt, thu' ich; die Folgen fallen nicht auf mich zurück. Ich inspicire blos, ich urtheile nicht.«

Wahrhaftig der Mann war geboren zum Inspektor und nebenbei auch zum Deutschen. Gib mir Geduld Himmel, damit ich fein ruhig bleibe und nicht Lust kriege, Urtheile zu fällen. Ein Deutscher gehorcht, aber urtheilt nicht.

Am Fenster saß ein Mann, dem Ansehen nach in Bardeloh's Alter. Um seine hohe Stirn legten nur wenig hellbraune Locken einen dürren Kranz. Die Lippen, fest zusammengebissen, schienen im Begriff zu sein, die Welt in einem Sturzbad von Hohn und Spott zu ersaufen. Das Auge, beschattet von dünnen Brauen, glänzte wie das Wetterleuchten eines ausgetobten Vulkans aus der schwermuthdunkeln, verachtunggesättigten Höhlung.

»Casimir!« rief Bardeloh und trat dem schweigenden Manne näher, der, ein Buch vor sich, beide Füße auf Papierbündel stützte. Sein ganzes Aeußere ließ errathen, daß Cynismus aus Grundsatz oder Misachtung ihm zur andern Natur geworden sei. »Casimir,« wiederholte Bardeloh, da der irrsinnige Mann noch kein Lebenszeichen von sich gegeben, »Casimir, kennst Du mich nicht mehr?«

Der Angeredete hob jetzt verdrossen das Auge, sah meinen Begleiter scharf an und rief: »Richard?«

»Richard Bardeloh,« sagte mein Gastfreund, »ich komme als lebendige Antwort auf Deinen Brief. Du bist frei und wirst mich begleiten.«

»Frei!« wiederholte Casimir verächtlich.« In Eurer Welt ist nicht einmal der Witz frei, wenn er nicht Hosen trägt; oder glaubst Du, es sei erlaubt, nackt zu sterben? Behüte, Du mußt den letzten Heller für einen Fetzen Tuch ausgeben. Eure angejackte Freiheit sollte man knuten, bis die Jacke zerriß und das Fleisch blutige Thränen für den Riß bezahlte, durch den man hineinsehen kann in die Freiheit.«

»Beruhige Dich,« versetzte Bardeloh. »Bei mir kannst Du jeden Wunsch Deines Herzens befriedigen, Niemand soll Dich hindern. Ich bin reich und brauche nicht zu sparen; ich bin gefürchtet, denn ich hasse Alles, was ein eingebildetes Wohlsein heuchelt; man gehorcht mir, weil ich Geld habe, und darum fluche ich mir selbst! Aber das Alles soll Dich nicht stören. Thue und vollbringe, wozu Dich die Neigung treibt, vielleicht findet Dein Streben Anklang.«

»Den möcht' ich hören,« erwiederte der Irre. Er stand auf und zerschlug mit der Faust das Fenster. »Sieh,« fuhr er zu Bardeloh gewandt fort, »was ist das hier herum? Wie sieht das aus?«

»Die Gegend ist schön,« sprach Bardeloh. »Nicht jeder hat eine solche Aussicht.«

»Das trifft. Nur der Todtengräber kann mich beneiden. Ich sehe immer nur einen hohlen Schädel – die Erde, die Jahr aus Jahr ein von dem Todtengräber der Zeit herüber und hinüber gekollert wird und täglich mehr schadhafte Stellen kriegt. Er hat sich den Kopf abgebissen vor Wuth über das thörichte Herz. Gebleicht von der Hitze der Jahrtausende liegt er nun modernd im Weltraum, der Gott kollert ihn hinüber herüber, aber es bleibt immer ein Schädel. Schlägt er ihm die Backenknochen, so gähnt das hirnlose Ding und weist ihm die Zähne, auf denen Haare gewachsen sind, die Künsteleien des Friseurs der Verwesung. Gibt das Anklang? Hat ein hohler Schorb ein Echo? Wenn doch der Welt ein neuer Kopf wüchse!«

»Das wäre allerdings sehr wünschenswerth, lieber Casimir, indeß, da es nun einmal nicht geschieht, so laß uns mit Hand an's Werk legen.«

»Das Geschäft der Barbiere ist mir immer zuwider gewesen,« versetzte Casimir. »Ich möchte nicht einmal den Heiligen ihre Bärte verstutzen, wie viel weniger – – brr! bleib mir vom Leibe.«

»Du bist ungerecht, Casimir, und machst Dich unglücklich durch das unverhüllt Grandiose, das in Dir lebt. Schleife den Riesenedelstein Deines Geistes, so trägt Dich die Welt auf Sternenkränzen zum Himmel.«

»Soll ich eine Eisenbahn aus mir machen lassen, damit jeder Schornsteinfegerjunge Nutzen ziehen kann von mir? Das vermaledeite Nivelliren ist der Blutegel des Genie's. Geht's so fort, wird bald eine Zeit kommen, wo ein Genie so theuer ist und rar, wie eine pommerische Gänsebrust. Euer demokratisches Hüsteln taugt nichts. Es ist die Schwindsuchtcur der Völker. Kranke Lungen sollen am Besten heilen im Dunst der Viehställe. Da müßt Ihr gesund werden bei Zeiten, denn Euer ganzes Treiben ist eine Viehstallwirthschaft.«

»Dich zwingt Niemand Demokrat zu sein,« erwiederte Bardeloh. »Besingst Du den Stolz und Glanz königlicher Zeiten, wird keiner Dich tadeln; aber fasse das Gold des Gedankens in einen silbernen Reif. Ohne Scheidemünze kommt Keiner mehr durch die Welt.«

»Ei so will ich ein Goldfresser werden und mich mästen mit meinen eigenen Gedanken. Der Abfall meines Leibes wird dann die goldsüchtigen Leute gierig machen.«

»Was hast Du denn da unter den Füßen?« fragte Bardeloh.

»Meine Eingeweide.«

»Und Du zitterst nicht vor dem Gedanken dieses geistigen Selbstmordes?«

»Wer sagt das! Nicht ich! Ich mache Würste d'raus. Gedankenwurst ist noch nicht dagewesen; ein neuer Gastwirth könnte sein Glück damit machen.«

»Ich werde nicht zugeben, lieber Casimir, daß Du Dich selbst zu Tode folterst. Diese Papiere lasse ich drucken auf meine Kosten und Du wirst berühmt werden.«

»Am Galgen?« fragte Casimir mit wegwerfendem Lächeln. »Ich wollte« –

»Was?« unterbrach ihn Bardeloh.

»Eine Ratte wollte ich sein, und die Sterne herunterfressen vom Himmel. Durch dieses Manöver würde die Natur doch gezwungen, wieder einmal etwas Neues zu schaffen. Das Alte ennuyirt mich.« Bardeloh seufzte und lehnte sinnend am Fenster. Der Bewohner des Zimmers las wieder in dem Buche. Zufällig ward er jetzt erst mein ansichtig. »Was ist denn das für ein zweibeiniges Geschöpf?« fragte der unerbittlich Harte meinen Gastfreund.

»Ein Freund von mir und Dir.«

»Ich bin nicht so niederträchtig, Jedermann Freund zu nennen. Wer dieser Mensch ist, kümmert mich wenig.«

Jetzt hielt ich es an der Zeit, mich in das Gespräch zu mischen. Entschuldigungen, Einleitungen und andere Complimente, die unter dem Theile der Menschen, der für civilisirt gelten will, nöthig sind, waren hier nicht am Orte. Ich versuchte es daher, durch sackgrobe Dreistigkeit zu imponiren. Ohne zu wissen, ob ich wirklich jenen Casimir vor mir sehe, dessen Erwähnung gethan ward in Gleichmut's Manuscript, nahm ich es auf gut Glück an und flocht in die kurze Anrede dies mit ein.

»Der Kerl ist orientirt in der Geschichte,« murmelte er halb beruhigt, halb verdrossen zwischen den Zähnen, »man muß ihn doch anerkennen.« »Nun dann guten Tag, wenn Ihr mich kennt,« fuhr er fort, »und bind' Euch der Teufel an seinen Schwanz und schleppe Euch in einer Sekunde neuntausendmal durch alle Moräste rund auf der Erde, wenn Ihr ein Lump seid, wie hunderttausend Andere. Die Menschen sind weich und matt, wie gequirlte Heringsmilch.«

Du wirst gestehen, daß dies ein Gruß ganz neuer Art war; indeß ging ich auf die Redeweise meines neuen Bekannten ein und wir wurden in einem gewissen Sinne fidel. Casimir bewies, daß er nicht geistesirr, wol aber ein Monstrum geistiger Kraft sei, deren ungeglättete Erscheinung eine dem Wahnsinn nicht unähnliche Hülle annahm.

Der seltsame Dichter erkundigte sich nach Gleichmuth, dem Juden Mardochai und Friedrich. Bardeloh gab über jeden die nöthige Auskunft und wiederholte dem als wahnsinnig Bewachten sein Anerbieten.

»Daß ich hier fort komme, nehm' ich an,« erwiederte der Dichter, »versucht aber nicht, mich in die Uniform Eurer Cultur kleiden zu wollen sonst werden die zierlichen Nähte platzen und mit den blinkenden Knöpfen werfe ich mir die Sterne vom Himmel herunter. Deinen Jungen aber will ich unterrichten, Richard, das soll ein ganzer Mensch werden und kein Wollsack für das kommende deutsche Parlament. Auch die demokratischen Mucken will ich bei Zeiten todtschlagen in seinem Kopfe. Der Absolutist allein, der strenge Monarchist, ist der ächteste Mensch!«

»Dein Glaubensbekenntniß will ich nicht corrigiren,« versetzte Bardeloh, »mein Kind aber wird entweder frei und unglücklich werden, wie sein Vater, oder als Demokrat sterben auf dem Rosenbeet der glücklichsten Jugend. Zum Hofmeister bist Du verdorben, Casimir.«

»Dummheit!« brummte der Dichter. »Ein geschichtlicher Mensch kann kein Demokrat werden, das ist nur Sache der ungeschichtlichen Ignoranz. Ich sterbe als Monarchist auf dem Throne, wenn es auch keine Kreatur glauben will. Das Ungeziefer wird nie Verstand kriegen.«

Das Eintreten des Inspectors unterbrach ein Gespräch, das unter die seltsamsten gehört, die ich je erlebt habe. »Mann des Wortes,« redete Casimir den Eintretenden an, »Du siehst, daß ich wahr gesprochen habe und mein Arm weiter reicht als Dein demüthiger Blick. Du hast blos Gallert im Auge, kein Licht; als Dich Gott schuf, klebte er Dir eine herabgefallene Sternschnuppe in's Gesicht; darum phosphorescirst Du auch des Abends! Armer Mensch, ich beklage Dich Deiner Stellung wegen, denn es ist eine verwirrte Stellung. Du sollst aber einmal geheimer Finanzminister werden bei der Wiedergeburt des deutschen Reiches, wenn Dir's glückt, die große Menge tickender Uhren in diesem Gebäude tactmäßig zu tractiren und in gefälliger Einheit zu erhalten. Du sollst den Orden des durchlauchtigsten Gehorsams dafür empfangen. Bleibe treu und sei kein Hund, glücklichster, begabtester Frosch, den der Himmel geschaffen hat in Ermangelung besserer Substanzen.«

»Ist nun da Vernunft d'rin, meine Herrn?« seufzte achselzuckend der Inspektor.

»Ja, piepsende Ente,« fiel Casimir ein »weit mehr Vernunft, sage ich, als in Deiner Frage.«

Kraft des Erlaubnißscheines, den Bardeloh überreichte, folgte uns der unglückliche Dichter. Seine »Eingeweide,« wie er die vorhandenen Scripturen nannte, nahm er unter den Arm. Bardeloh hatte einen Wagen besorgt, der uns schnell aus Siegburg entführte. Gegen Mittag bereits trafen wir in Bonn wieder ein. Die freie Luft, eine Art Zutrauen zu mir und die Aussicht, dem Walten seines seltsamen Genius sich hingeben zu können, machten aus Casimir einen weit heiterern Menschen, als ich erwartet hatte. Er scherzte, nur etwas ungewöhnlich. Denn jeder Scherz ballte sich in seinem Munde zum Koloß zusammen, und es gehörte eine geistige Konstitution, wie die seines Erfinders dazu, um solche Scherze nur erträglich zu finden. Es ist mir nie einleuchtender gewesen, als während jener kurzen Fahrt, wie eine ganze Generation ungerecht gegen einen großen Geist sein kann, wenn er es verschmäht, den Gedanken in fashionable Formen zu kleiden. Auch der Geist bedarf der Hülle, wenn er die prüde Menge nicht zurückschrecken soll.

Casimir sah sich nicht sobald an dem Orte seines früheren kameradschaftlichen Lebens, als ihm die Jugendlust wie eine verwelkte, abgerissene Rose an's Herz sank. Eine lebendige Sphinx lehnte er am Fenster und stierte die bekannten Gassen und Plätze an. Seine Muskeln waren versteinert, das Gesicht hing wie ein in Falten gebrochener Mumienabzug gelb und nerventodt an dem fast kahlen Haupte, nur die Augen wühlten – zwei glühende Salamander – in den tiefen Schädelhöhlen, und höhnend sprang der Gott der Dichtung, als cynischer Faun gekleidet, um den einsinkenden Altar der Schönheit.

»Eduard,« rief er, im lindernden Thau der Erinnerung Herz und Auge badend, »Eduard, Friedrich, Mardochai, Gleichmuth! Wo seid Ihr hin? Hat Euch allesammt die Boaschlange der Zeit gefressen, deren sterngeflecktes Abbild allnächtlich am Himmel glühend aufrollt? Was taugt eine Erde, die Menschen verschlingt wie Euch und mich langsam zerreibt, an dem doch jedes Haar ein königliches Scepter ist!«

»Das Maß ist bald voll,« sagte Bardeloh zu mir gewandt. »Das ist nun ein Mann, geschieden von allen neuweltlichen Bestrebungen, und doch ist er müde, wie wir. Es ist ihm gleichgiltig, ob Dampf die Welt bändigt und die Wuth der Elemente, oder die Geißel des Vogtes, die Kette der Gewalt. Ihm ist jeder Schmuck verächtlich, trage ihn nun die Gemeinnützigkeit, oder Eigenliebe und Selbstsucht. Die Industrie mit ihren vulkanischen Kräften der Bewegung kümmert ihn wenig. – Der neue Heuchler des Jahrhunderts, der tönende Großinquisitor aller Nationen, Gold mit seinem Schergen, dem Eisen, beide die Henker des menschlichen Herzens, sind ihm so uninteressant, wie zwei Hunde, die nach ihrem Schwanze laufen – und dennoch liegt der Fluch über dieses Dasein auf seiner dünnen Lippe giftiger zusammengekrümmt, als in unserm Gemüth. Dieser Mensch ist Royalist, Monarchist, Absolutist und doch müde Europas – denn in ihm ruft nach Freiheit der verhungernde Geist eines Dichters! Sein Sie nicht ungerecht, Sigismund! Der Mann thut mit seinem flammenden Geiste nur, was Gleichmuth vollzog an der Gluth seiner Sinne – Beide stutzten sich für diese Welt zurecht und Beide gehen dabei zu Grunde. Zustutzen macht Caricaturen, keine freien Menschen.« –

Es erfolgte eine lange Pause. Ich beobachtete scharf die Figur Casimir's, der noch immer regungslos hinabsah auf die belebten Straßen. Es lag viel Modernes in diesem Dichter. Die ganze dramatische Poesie feierte ihr Leichenbegängniß in seinem zerlodderten Körper. Es war eine Hekatombe, dargebracht den Göttern in innerlichem Verbrennen eines großen Menschen.

»Wie machst Du's denn, Richard,« fragte Casimir, »daß Dich die Menschen verstehen, wenn Du schreibst?«

»Ich lüge.«

»Bist ein Lump! Hat uns der Herrgott deshalb gelaicht aus dem Schlamme der Sündfluth, daß wir Löschpapier aus unsern Herzen machen sollen, um die Tintenklekse einzusaugen, die der sudelnde Sekretair der wol geschulten Weltordnung auf die Schreibtafel seines Herrn macht? Ich sage die Wahrheit« –

»Und wirst für einen Narren gehalten,« ergänzte Bardeloh.

»Besser als Narr aufsteigen zum Olymp, als in Dampf verbraucht werden von der Speculation, weil einer Gold zu Kohlen gebrannt hat der Dummheit zu Liebe. Wenn ich sterbe, krepirst Du.«

»Das ist verständlich,« erwiederte Bardeloh, »Du kannst es aber nur einmal sagen im Salon der Welt.«

»Verdammt!« schrie Casimir. »Soll ich Respect haben vor Euren Salons, so müßt ihr sie parketiren können mit Sternen und Sonnen. Ich tanze nur auf bewegten Sphären oder auf den gaukelnden Schwibbogen meiner Phantasie. Eure Salons sind zu flach, um mich zu fassen.«

Ich schlug einen Spaziergang vor, da der Abend in Purpurglanz über das Rheinthal flog. Bardeloh war es zufrieden, Casimir respectirte die Natur unter Allem noch am meisten, so sehr er sich auch oft über sie ennuyirte. »Auch sie ist flach geworden und läßt sich alle Tage glätter rasiren!« Dies war seine stehende Redensart. Wir verließen die Stadt unter dem Geläut der fünf Münsterglocken, die einem Verstorbenen das letzte irdische Ave Maria nachbeteten in's Grab.

Casimir schlug ungefragt den Weg nach dem Kreuzberge ein. In den breiten Alleen dämmerte manch unerfüllter Wunsch, leis umschlichen uns die Abendlüfte, wie verlockende Dirnen. Ihre weichen Lippen entrissen der Seele Geständnisse, die sich vor dem Tage scheuen. Schmerz und Lust sanken vereint an den Busen ihrer gemeinsamen Mutter, das in heißen Pulsschlägen schluchzende Menschenherz.

»Auf diesem Wege habe ich dem Jahrhundert Schröpfköpfe gesetzt,« begann Casimir, »das Aas aber hatte kein Blut mehr, es schwitzte nur Salzwasser.«

»Fand sich denn überhaupt ein Mensch, der mit Dir Umgang pflog?« fragte Bardeloh. »Wenn unser Einer mit bunten Steinchen spielt, nimmst Du Granitblöcke und wirfst sie Einem an den Kopf. Das nennst Du dann freundschaftliche Neckereien.«

»Es ist nicht meine Schuld, daß Andere statt Schädelknochen nur behaarte Eierschaalen tragen. Dem Schöpfer muß der Stoff ausgegangen sein.«

»Mardochai, glaub' ich, war in jener Zeit Dein Freund.«

»Was Freund! Ich hatte nie einen Freund. Der eine war mir zu rund, der andere zu dünn, der dritte zu lang. Man sah das Zeug ja kaum, wenn man's nicht unter die Lupe brachte.«

»Du mußt mit colossalen Augen begabt sein,« meinte Bardeloh.

»Mein Auge ist das Sehrohr meines Gedankens, und wenn dieser nach ganzen Sonnensystemen umherirrt, muß ich die Atome nur für Staub ansehen, der auf- und niederfällt innerhalb der bewegten Atmosphäre. – Aber Mardochai und Gleichmuth waren immer noch erträgliche Trümmerstücke. Die Kerl's konnten doch nichts sein, wenn sie wollten, und darauf geb' ich was, denn es gehört 'ne große, aschgraue Malice dazu.«

Ich würde nicht fertig werden und Dich vielleicht langweilen, wollte ich Alles wiedererzählen, was auf diesem Spaziergange Seltsames zwischen meinen Begleitern verhandelt wurde. Gespräch konnte man dies Hin- und Herspringen wild gewordener Gedanken nicht nennen. Wie rasende Bestien stürzten die kolossalsten Einfälle aus Casimir's Munde, erfreuten sich eine kurze Zeit der Freiheit und legten sich dann wie das leibhaftige Ennui müßig in den tiefsten Schmutz.

Nach Verlauf einer Stunde saßen wir auf den Stufen der Kreuzberg-Kapelle. »Was das nun für Heiligenschreine sind,« sagte Casimir, »wahre Amulets, die sich der liebe Gott an den Gürtel gehangen hat, um die Apathie gegen seine sublimsten Geschöpfe damit zu unterdrücken. Es muß langweilig werden, immer Ein Amt zu verwalten. Ich möchte den Schöpfer einmal in einem andern Geschäft sehen, das würde ihm bei mir mehr Reputation verschaffen.«

»Warst Du vielleicht zugegen,« fiel Bardeloh ein, »als mein Bruder die Weihen empfing hier in der Kapelle?«

»Der Narr!« lachte Casimir. »Kam der Mensch aus purer Commiseration mit sich selbst auf den famosen Einfall, sich die Gedanken auszustreichen! Hat das noch eine vernünftige Menschenseele gehört in unsern Tagen? – Nein Richard, ich versprach dem Narren, zu derselbigen Zeit, wo er das Gelübde ablegen würde, mich in süßen Schlaf einwiegen zu lassen auf den Armen eines Weibes, und so gewiß ich meinen überwüchsigen Witz nicht vor Jedermann abspielen darf, ohne für toll zu gelten, ich hab's ehrlich gehalten, wie 'n deutscher Spitz! Unser Einer wird dumm vor Treue.«

»Kanntest Du den katholischen Geistlichen, der vor der Einkleidung Eduard's in enger Freundschaft mit ihm lebte?«

»'S war 'ne H…seele,« rief Casimir, »die nur warm ward, wenn man sie kitzelte.«

»Weißt Du seinen Namen?« fragte Bardeloh gleichgiltig weiter.

»Das Wiesel schwänzelte sich bei guter Zeit in ein warmes Priorat hinein und soff der erhaltenden Weisheit die Eier aus, als wär's Moselwein. Ich hoffe, wenn die Vogelscheuche noch lebt, wird sie bald auseinander fallen.«

»Vortrefflich!« sagte Bardeloh zu mir. »Die Rache hat dem Elenden die Seele bereits aus den Lumpen seines Fleisches geschüttelt. Jetzt bin ich beruhigt. Der zerschmetterte Prior war der Geistesmörder meines unglücklichen Bruders.«

An der Klosterthür erschien der Kastellan. »Guten Abend, meine Herren,« rief er uns grüßend zu. »Es ist eine sanfte, milde Luft, die einem alten Manne wol thut. Erlauben Sie's, daß ich eins mit Ihnen plaudere? O wie schön ist die Welt! Wie herrlich, erfrischend ein einziger stiller Sommerabend! Ich möchte doch um Alles nicht sterben in der schönsten Jahreszeit, und ich denke, der liebe Gott wird ein Einsehen haben und mein Gebet erhören! Wie die Pappeln duften – die Schmetterlinge still sich wiegen auf den Strahlen der Sonne, hier tief blau, dort purpurn und sammetgrün funkelnd! Das sind gewiß umherfliegende Engelsaugen, die der heilige Gott aussendet als seine Boten, um sich zu erkundigen nach dem Befinden seiner lieben Menschen.«

»Bei meinem dürren Gebein,« rief Casimir, die Hand an die vergelbte Stirn legend, »der unverwüstliche Mensch lebt noch immer, und ist heut noch eben so versessen auf das Leben, wie vor zehn Jahren. Der Kerl muß eine Amphibie sein, halb auf Erden, halb im Himmel vegetirend. Hast's noch nicht überdrüssig, Alter?«

»Was? Ueberdrüssig? Lieber Herr, seht nur hinunter, wenn Ihr noch gesunde Augen habt, (er deutete mit dem Krückenstocke rings auf die Gegend, in der hin und wieder Nebelflocken aufflatterten,) wie kann da ein Mensch aufhören zu bewundern! Meine Freude liegt hier rings um uns. Siebenzig Jahre und darüber habe ich den Strom wie einen immergrünen Lenz die Landschaft begrüßen sehen, der unerschöpflich neue Blumen brachte. Und da soll ich mich nicht freuen, Herr, so lange meine Augen frisch und kräftig bleiben?«

»Das mache den Maulwürfen weiß, die blind sind von Geburt an, weil sie so frech waren, die Augen aufzuschlagen, ehe sie aus ihrer Mutter Leibe krochen. Wenn Du siehst, ewiger Mensch, warum kennst Du mich nicht?«

»Sie?« sagte der Greis und öffnete weit das erden- und himmelgetränkte Auge. Er schüttelte das silbergelockte Haupt, rieb sich die Augen, legte die Hand an seine Stirn und fügte dann mitleidig hinzu: »es kann nicht an meinen Augen liegen, daß ich Sie nicht kenne.«

»Nun dann liegt's an der Sonne,« sprach Casimir, »denn ihr Blick lag immer wie ein fauler Bassa ägyptisch heiß auf meinem Gesicht. Davon bin ich dunkelhäutig geworden. Wenn Du mein Gesicht aber schälen kannst, wie eine Zwiebel, ohne Thränen zu vergießen, so wirst Du eine europäisch menschliche Couleur darunter entdecken. Das Häuten hab' ich den Schlangen noch nicht abgelernt.«

Nochmals beleuchteten des Greises Augen die schwefelgelben Narben des Dichters, die der Meißel des Gedankens und die heiße Pulvergluth des Herzens hineingeschlagen hatten in sein Gesicht, dann sank er mit einem lauten Seufzer an die Mauer.

»Nicht wahr, es steckt etwas in mir, das sich nicht vergessen läßt?«

»Ich denke,« sagte der Kastellan, »Sie sind der Judenfreund, der einmal Hostien aus der Monstranz entwendete, um ein paar zärtliche Briefe damit zu siegeln.«

»Du sollst Chronikenschreiber werden, wenn ich Kaiser bin, versetzte Casimir, »denn Du hast ein gutes Gedächtniß.«

Der Greis stand auf und trat einige Schritte zur Seite. Um ihn dampfte das Abendroth, über dem Siebengebirge zog ein Gewitter auf und warf grelle Lichter in die Thäler. »Armer Herr,« sagte der Kastellan, auf seinen Krückenstock gelehnt, »Jugend hat nicht Tugend, ist ein altes Sprichwort, das immer eintrifft, und vergeben und vergessen ist ein christlicher Brauch, den ich gern üben will bis an's Grab; aber lieber Herr, wenn Sie sich im Spiegel besehen, so fragen Sie, ob die entwendete und entweihte Hostie nicht alles Blut aufgezehrt hat in Ihrem Angesicht!«

»Lieber Alter,« versetzte Casimir, dem Greis nachäffend, »das hat der Witz gethan, der sich selbst fressen mußte.«

Der Greis schlug ein Kreuz; von fern stürzte der Donner brüllend in die Thäler und schleuderte die hundert Briareusarme seiner Blitze hell leuchtend über die Berge. Nebel flogen wie verscheuchte Nymphen an den Hügeln hin und versteckten sich hinter die grünen Schleier der Weinranken. Auf dem Strome lag tiefes Dunkel.

Bardeloh stand auf. »Hast Du einen Auftrag an Bruder Bonifacius?« fragte er den Greis.

»Ja, lieber Herr,« versetzte dieser. »Sagt ihm, er solle hierher kommen und sterben. Es ist Zeit, sich zur Ruhe zu legen, wenn die Hostien verbraucht werden, um Briefe damit zu siegeln.«

»Ich verspreche Dir wenigstens seine Leiche,« erwiederte Bardeloh. Denn ob auch unsere Ansichten eben so weit von einander abliegen mögen, als Sonne und Mond, der Zwischenraum ist geebnet und verbunden durch ein unsichtbares Band der Verschwisterung. Als Du anfingst, zu glauben, war dieses Glauben eine hohe Tugend, als es aber mir gelehrt wurde, hatte man mit dem Glauben schon mancherlei Misbrauch an geweihten Schwellen getrieben. Dieser Glaube war gefärbt und voll Unrath, wie ein Kleid, das durch langes Tragen farblos geworden. Ist es Deine Pflicht zu sterben im Anschaun Deiner unbefleckten Tugend, so ist es auch die meinige, das unsaubre Kleid abzuwerfen und ein neues, reines an dessen Statt anzulegen. Was dabei eher zerreißt, das Herz, dessen Blut keucht und stöhnt nach dem Frieden der That, oder das Kleid, welches fest geworden im feuchten Schmutz – das liegt so tief im Dunkeln, daß nicht einmal jene Blitze es hell beleuchten können.« –

Wir stiegen langsam den Berg hinab und sahen noch lange die hohe Gestalt des ehrwürdigen Greises im aufflammenden Himmel stehen.

Casimir versank wieder in sein sphinxartiges Hinstieren. Es ist, als wolle er die Geburt der kommenden Geschichte herauslesen aus den Schatten, die jetzt verblaßt an dem Sonnenzeiger der Zeit vorübereilen. –

Morgen in der Frühe kehren wir zurück nach Köln. Alle Personen, die Gleichmuth's Manuscript erwähnt, sind nun vereinigt in einem stillen Kreise. Was die Confrontation Aller auf Alle und jeden Einzelnen in's besondere für eine Wirkung hervorbringen wird, sollst Du später erfahren. Ich fürchte, es werden einige Herzen dabei ihr letztes Blut hinströmen müssen.

 

Einen Tag später.

So eben hat mich Richard über den Zusammenhang des jüngst Erlebten belehrt, und ich bin nun wenigstens im Stande durch Vergleichung und Combination das noch Fehlende zu ergänzen. – In seinem früheren Leben ward Bardeloh durch ein unruhiges Umherschweifen in der Welt angezogen, und er überließ sich diesem Hange rücksichtslos. Die Mittel, jede, auch die ausschweifendste Reiselust, zu befriedigen, fehlten ihm nicht, und fand er auch nicht hinreichende Befriedigung in dem ununterbrochenen Wechsel, so gewährte die damit verknüpfte Zerstreuung doch eine Art Befriedigung.

Auf diesen Reisen begegnete er auch Casimir, dessen groteske Erscheinung ihn fesselte. In ihm fand er, was er lange vergeblich gesucht hatte, einen Menschen, der alle Kräfte besaß, um Ungeheures zu leisten, durch die Unnatur der Verhältnisse aber an deren Entfaltung verhindert, jedes Vermögen dadurch vernichtete, daß er es im Ueberbieten zu einer colossalen Fratzenhaftigkeit verzerrte. Casimir gab Bardeloh den ersten Anstoß zu seinen nachmaligen Studien, aus denen er sich nur Groll und einen langsamen, aber sicher um sich greifenden geistigen Tod sog. Der Ideenreichthum in Casimir überwog Richard's eigenen, tiefen Schatz von Gedanken. Casimir schleuderte in brockenweis verstreuter Rede Gedanken um sich, die einem Gott entsprungen schienen, aber, weil sie des Lichtes entbehrten, in zackiges Krystall verwandelt, wol blenden, nur nicht beglücken konnten.

Mehrere Tage verlebte Bardeloh in traulichem Umgange mit Casimir, der eben damals, nach Richard's Bericht, im Begriffe stand, einen Ausflug in die neue Welt zu machen. In jener Zeit hatte die Vereinsamung des Denkens, wie es sich in Casimir gestaltete, noch nicht so sehr um sich gegriffen, daß seine Erscheinung dem gewöhnlichen Menschenschlage allzu auffallend gewesen wäre. Noch wußte er sich im Fall der Noth zu zähmen, wiewol mit großer Anstrengung. Ihn konnte das allgemeine Leid stundenlang bewegen und durch Theilnahme daran von seiner colossalen Art, zu denken und zu sprechen, abhalten. Casimir war noch nicht untergegangen im Stolz auf sich selbst, wozu ihn später die Flachheit der Masse getrieben haben mag.

Schon damals hatte Casimir meinem Gastfreunde viel erzählt von Mardochai, den er ihm jedoch mehr als eine jüdische Curiosität schilderte. Denn es lag nicht in Casimir's Denkungsweise, den Menschen so tief in die Seele zu blicken, daß er ihr Thun und Wollen genau hätte erkennen sollen. Richard ward durch diese Schilderung gefesselt. Er erinnerte sich eines fernen Verwandten dieses Namens und beschloß mit Mardochai in eine engere Verbindung zu treten, um, wo möglich, durch ihn für die Emancipation der Juden gemeinsame Schritte zu thun. Einen Antrag, den er dem Dichter machte, ihn zu begleiten, schlug dieser aus, und so schieden Beide von einander mit dem Versprechen, daß derjenige, welcher zuerst die Unterstützung des andern bedürfen möchte, diese Kunde davon ungesäumt entweder brieflich, oder auf dem Wege der Oeffentlichkeit an ihn gelangen lassen solle.

Die natürliche Art, sich der Gewöhnlichkeit gegenüber zu benehmen, die Ausdrucksweise und ein geflissentliches Vernachlässigen aller hergebrachten Gewohnheiten verdächtigten Casimir in den Augen Aller. Sein Reiseplan zerschlug sich; er trieb sich in Deutschland umher, von dem Wenigen, was er besaß, lebend, und als auch dies endlich aufgezehrt war, liebte er es, sich im Cynismus auszuzeichnen. Der Anstoß, den er dadurch der feinen Sitte gab, und die Art und Weise, seine unbegriffenen Gedanken an den Mann zu bringen, brachte die Mehrzahl zu der Ueberzeugung, die gesunde Vernunft sei dem wunderlichen Manne abhanden gekommen. Der Staat fand sich veranlaßt, mildthätig aufzutreten, und ließ dem unverstandenen Casimir eine Wohnung im Irrenhause anweisen. Ein Jahr und drüber ergötzte sich der Dichter an den Narren, die ihn umgaben. Er machte Studien an ihren Physiognomien, notirte ihre Reden und Einfälle und schuf aus diesen und seinen eigenen ungeheuerlich-genialen Gedanken seine sogenannten »Eingeweide.« Erst, als ihm der Spectakel zu toll ward und er sich alles Ernstes unter allen Narren als den Gewichtigsten behandelt und bewacht sah, trieb ihn der Stolz auf seine geistige Größe zu dem Briefe an Bardeloh, dessen fester Aufenthaltsort ihm bekannt war. –

So brachten Zufall und eigenthümliche Schicksalsfügung eine Figur in unsern an sich schon merkwürdigen Zirkel, die gewiß auf die fernere Gestaltung dieser verworrenen Verhältnisse nicht ohne bedeutenden Einfluß bleiben wird. Ein Glück war es, daß Bardeloh zuvor Gleichmuth's Manuscript lesen konnte. Durch dieses stieg seine Theilnahme an Casimir, und ich irre mich wol nicht, wenn ich behaupte, daß Richard durch den Dichter manches zum Ziele zu drängen versuchen wird, was ohne diese Mittelsperson vielleicht sehr schwer zu erlangen sein möchte. Freilich wird dieser Mensch an eigenen Fäden geleitet werden müssen! Aber Bardeloh versteht das Versteckspielen und übersieht in seiner Ruhe auch Geister, die an Schöpferkraft ihm weit überlegen sind.

Begierig fast geb' ich mich der Zukunft willenlos hin. Ich muß einmal versuchen, wohin das Folgen führt, wenn es kein knechtisches ist. Wie seltsam Casimir schon in der frühesten Zeit den Personen nahe trat und welch furchtbare, abenteuerliche Rolle er in ihren Lebensschicksalen spielte, dies lehrt der an Raimund eingeschlossene Brief, in dem sich der Schluß von Gleichmuth's Autobiographie befindet. Lies diese Blätter mit dem Willen, Versöhnung zu finden auch im Frevel. Wir Alle müssen dies, sonst würden wir uns bald gezwungen sehen, die Weltgeschichte als eine in's Unendliche hinauswachsende Unmoralität zu verdammen. Und davor behüte uns Gott und die Heiligkeit unseres eigenen Geistes!


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