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Vierter Gesang

Pater est, quem nuptiae demonstrant.

Römischer Rechtssatz.

Ein solcher Mann kennt keinen Widerstand,
der Angriff ist sein Element.

Exerzierreglement der k. u. k. Kavallerie.

 



Werden wir endlich nunmehr die Ehre und das Vergnügen
Haben, den Herrn Gendarmen persönlich kennenzulernen?
Wenn auch gewiß nicht privat als Menschen den Menschen, (wie käme
Unsereiner dazu, dergleichen auch nur zu hoffen?)
Sondern bloß im Verlaufe des Vorerhebungsverfahrens!
Denn wir waren ja Zeugen des hochnotpeinlichen Vorfalls,
Der sich soeben im Gasthaus zum störrischen Engel begeben.
Fleps ist schon unterwegs und wird an der Türe des Postens
Gleich den Signalknopf drücken und Assistenz alarmieren.
Denn in Übelbach ist nicht etwa ein trostloser Vater,
Welcher zwei Söhne verloren und zwar bei dem nämlichen Angriff
Plötzlich von Sinnen gekommen, vielmehr, im Gegenteil, sondern,
Wenn schon nicht Hochverrat, so doch Empörung im Gange.
Laesio majestatis und Schmähung des Oberkommandos,
Grobe Beschimpfung der Wehrmacht, Aufreizung zur Kriegsdienstverweigrung
Als auch ein tätlicher Angriff auf ein, obzwar nicht im Dienste,
Aber in Uniform befindliches Mitglied des Feldheers,
Kurzum: ein ganzes Bukett verbotener Tatbestände,
Eine Realkonkurrenz in der Sprache der Kriminalisten
Wurde mit Vorsatz begangen und zwar von Crinis, dem Glaser.
Aber daran nicht genug! Es kann kein Zweifel obwalten,
Daß sich auch andre Personen in obbezogenem Wirtshaus,
Ob auch nicht gegen den Krieg, den Kriegsherrn und seine Kommanden,
So doch gewissermaßen zugunsten des Tumultuanten
Einer nicht eben korrekten Stellungnahme beflissen.
Außerdem läßt sich auch nicht mit gutem Fug unterdrücken,
Daß das Verhalten des Pfarrers nicht gänzlich in Ordnung gewesen,
Sintemalen durch ihn, beziehungsweise durch seine
Krasse Beschreibung des Krieges der defaitistische Ausbruch
Wenn auch nicht eben veranlaßt, so doch begünstiget wurde.
Alles dieses vernehmend durch einen Vorbericht Flepsens,
Wird sich der Herr Gendarm sofort in Bereitschaft versetzen,
Wird den Amtsraum erleuchten, allwo er auf eiserner Pritsche
All seine Nächte verbringt in diesen gefährlichen Zeiten,
Wird sich, so rasch er nur kann, in Beinkleid und Waffenrock werfen,
Sich mit dem Überschwung gürten, Kartusche und Dienstgewehr nehmen,

Dieses nach Vorschrift laden und dann mit dem Helm auf dem Kopfe
Und »Bajonett gefällt!« im Laufschritt zum Tatorte eilen.
Alles übrige als: Verhör, Protokoll und Verhaftung,
Raschester Abtransport des gefesselten Inkulpaten
An das nächste Gericht, Verhängung der Voruntersuchung,
Fügt sich dann ganz automatisch auf Grund des Gendarmerieakts:
Litera UE, Zahl 11 ex Junio anni currentis.

Atemlos lauschte die Nacht, die Sterne hingen wie Tropfen
Eisig glitzernden Taus am leuchtend entfalteten Himmel,
Und die ruhige Frische verhieß einen köstlichen Morgen.
Ob auch der Mond noch nicht dem Zackengehege des Waldes
Spendend entstiegen war, so ahnten ihn doch schon die Wolken
Und ergossen den Abglanz, die zarten, silbrigen Düfte
Über die Gegend herab und machten das einzelne grenzbar.
Also zog auch die Straße deutlich an schlummernden Häuschen,
Ställen und Scheunen vorüber zum anderen Ende des Dorfes,
Wo das Gemeindehaus, ein langgestrecktes Gebäude,
Seine reinliche Front, die Reihe spiegelnder Fenster
Wider das geisternde Zwielicht der sternedurchflimmerten Nacht hielt.
Hier nun stand überm Tor der mächtig sich wölbenden Einfahrt
Würdig auf sauberem Amtsschild: ›Gendarmeriekommando‹,
Hier nun läutete auch am Glockenzuge Herr Fleps an.

Aber es rührte sich nichts, so heftig der Fähnrich auch anriß.
Rostig nur knirschte der Draht und der obere Hebel des Läutwerks,
Doch es klingelte nicht, und auch ansonsten geschah nichts.
Weder entbrannte ein Licht in den Fenstern zu ebener Erde,
Wo seit je die Kanzlei und der Wohnraum der Gendarmerie war,
Noch auch hörte man sonst im Hause irgendein Zeichen.
Freilich hätte Herr Fleps ganz einfach an eines der Fenster
Klopfen können, doch dies entsprach mit nichten der Vorschrift:
War ein Signal vorhanden, so war nur es zu benützen.
Ordnung muß herrschen im Staat, insonderheit bei den Behörden!
Hätte vielleicht einem andern der Lauf durch die prickelnde Nachtluft
Oder der Frieden des Himmels die wilde Erregung gesänftigt,
Flepsen berührte dies nicht, und zur Rachsucht gesellte die Wut sich
Über die Mißwirtschaft bei einer ärarischen Stelle.
War es denn auch erhört, daß jemand im kritischen Ernstfall
Nachts vor dem Haus der bewaffneten Macht vergeblich Alarm schlug?
Doch da kam ihm ein Einfall: vielleicht war das Tor nicht geschlossen!
Und er ergriff die Schnalle und drückte und – stand in der Einfahrt.
Hier nun zur rechten Hand war wirklich der Eingang zum Posten.
In dem gespenstischen Zwielicht des aufgegangenen Mondes,
Das aus dem Hof des Gebäudes, dem brunnendurchplätscherten, einfiel,
Fand sich der Fähnrich zurecht und klopfte fürs erste behutsam,
Dann aber immer gereizter an die hochlöbliche Tür an.

Endlich regte sich etwas: vorerst das Reiben von Streichholz,
Dann ein Geknarr und Geraschel, wie wenn ein Mensch aus dem Bett steigt,
Ferner das Schlürfen von Schritten und endlich das matte Gefunkel
Eines sich nahenden Lichtes in Fugen und Ritzen der Türe.
Jetzt aber riß die Geduld dem erbitterten Fähnrich-Adjunkten,
Und, seines Ranges bewußt einer Mannschaftsperson gegenüber,
Herrschte er barsch durch die Tür: »Ich bitte doch endlich zu öffnen!«

Und es ward auch geöffnet; indessen anstatt des Gendarmen
Stand auf nackenden Füßen und sozusagen im Hemde,
(Einzig ein wollenes Tuch umhüllte dürftig die Schultern)
Stand mit gelösten Haaren und schlafgeröteten Wangen,
Etwas zitternd vor Kälte, ein junges, verlegenes Weib da.

Fleps war genügend von Welt, um sich rasch und geschmeidig zu fassen
Und im verbindlichsten Ton nach dem Herrn Gendarmen zu fragen,
Ob er in diesem Hause denn nicht mehr wohne? Worauf die
Schüchterne Antwort erfolgte: es habe Herr Kirbisch schon abends
Sich auf den Volland begeben behufs eines nächtlichen Dienstgangs,
Morgen erst kehre er heim; worum sich's im übrigen handle?

»Sind Sie die Frau Gemahlin des Herrn Gendarmen?« versetzte
Fleps nun mit Courtoisie, was jene, schon muntrer, bejahte.
Denn die gebildete Art des schmucken Herrn Offizieres
Stieg ihr schnurstracks zu Kopf, in ihr die Dame erweckend,
Die sie doch nahezu war als ehemalige Jungfer
Hochgeborener Frauen und später in einem Bankiershaus.
Folglich errötete sie und raffte um Schultern und Brüste
Enger den wollenen Schal und schlug die Augen zu Boden.
Siegreich lächelte Fleps, der Kenner weiblicher Regung,
Und betrachtete sie mit alles enthüllenden Blicken:
Wahrlich, dieser Gendarm, er schrieb auf schlechtem Papier nicht
Und – er war auf dem Volland! So schien, zum mindesten heut' nachts,
Dieses erschimmernde Weiß ein unbeschriebenes Blatt noch.
Wäre da nicht der Moment, dem Herrn Gendarmen das Pensum
Abzunehmen für heut' und statt seiner – das Blatt zu beschreiben?!

Eben erwog noch der Fähnrich, welche der Angriffsmethoden,
Die ihm geläufig waren, in diesem Falle am Platz sei –
Denn die Methode ist alles im Liebesnahkampf mit Frauen! –
Als aus der finstern Kanzlei, nein, weiter her, wohl aus der Wohnung,
In das verhaltene Schweigen ein gruselig-seltsamer Ton drang.
Hoch aufhorchte Herr Fleps, beunruhigt schien die Gendarmin,
Und es war auch darnach, dies Röcheln, Gurgeln und Schnauben!
Lag da ein Mensch in den letzten Zügen? Verreckte ein Untier?
Ächzend setzte es an und schwoll zum gemartertsten Stöhnen,
Wurde dann plötzlich gedrosselt, hielt inne und schien mit den letzten
Kräften nach Luft zu schnappen, und dieses immer von neuem!
Ja, ein entsetzlicher Rhythmus war in dem Schreckensgeräusche!
Selbst ein Held wie Herr Fleps, erprobt in den Nächten des Schlachtfelds,
War überrascht und verstört und fragte nur flüsternd: »Was ist das?«
Doch da begegnete ihm aus den Augen des eben noch scheinbar
Angstvoll betretenen Weibes – war es der Blitz der Begierde
Oder ein Lächeln des Spottes? – ein derart verwegenes Leuchten,
Daß die Verlegenheit jetzt an Fleps war, und eh er noch wußte,
Wie er es deuten solle, dies seltsam-verfängliche Lächeln,
Löschte jene die Kerze und schloß vor dem Fähnrich die Tür ab.
Der stand wieder im Finstern, und plötzlich ging ihm ein Licht auf:

Das also war der Dienstgang, der nächtliche, hoch auf den Volland?!
Dieses Sägegeräusch im warmen Bette zu Hause!?
Derart apokalyptisch schnarcht nur der prall-überfüllte
Magen oder der Schlaf der üppig genossenen Wollust!
Und es schwankte Herr Fleps zwischen Lachen und Ärger, bis daß er
Fast sich fürs erste entschied und zunächst zu folgendem Schluß kam:
Jedenfalls war er ein Kerl, der Kirbisch! Indessen die andern
Braven Gendarmen im Felde gefährlichsten Diensten oblagen –
Oft hielt ihrer ein Häuflein dem ersten Anprall des Feinds stand! –
War er im Lande geblieben und hatte er Hochzeit gehalten,
Pfiff auf den Dienst in der Nacht und ließ sich listig verleugnen!

Langsam entfernte sich Fleps, mit gemischten Gefühlen: Im Grunde
Hätte er doch auf der Störung des unverschämten Geschnarches
Einfach bestehen sollen! Allein der Fähnrich vermochte,
Was ihm noch eben vorher mit Crinis, dem Glaser, passiert war,
Plötzlich und seltsamerweise nicht mehr so tragisch zu nehmen.
Heikliger war schon die Lage, in der er sich Fürbaß, dem Selcher,
Gegenüber befunden, vom Standpunkt der Ehre gewesen!
Aber auch dieser begann ihm auf seltsame Art zu verblassen.
Müde? War er denn müd? Oder war ihm das Blut in Verwirrung,
Ohne daß er's gemerkt, durch den Anblick des Weibes geraten?
Ja, eine hübsche Person war sie schon, die Frau des Gendarmen!
Wenn auch die wässerig-blauen, doch immerhin großen und runden
Augen nicht eben von Geist und die Sprache von Bildung nicht zeugte.
Aber welch blühendes Fleisch in dem einfachen Ausschnitt des Hemdes!
Welch eine Weiße der Haut, wenn freilich die wenig gepflegten
Hände von Arbeit auch rot und die Zehen der nackenden Füße
Etwas verkrüppelt waren vom Schuhwerk oder vom Froste.
Aber was schadete dies bei so vielen anderen Reizen?! –
Und so nahm der Adjunkt, indes er von üppigen Bildern
Wohlig umgaukelt dahinschritt, das Weib des Gendarmen ad notam,
Merkte es gleichsam vor auf Vorratkonto der Liebe,
Daß es ihm während des Urlaubs an jenem Materiale,
Das ihm das liebste war, in keinem Augenblick fehle.
Denn es bevorzugte Fleps verehlichte Frauen, bei denen
Folgen, die etwa entstünden, ein andrer ex offo auf sich nimmt.
Und es haßte Herr Fleps den tragischen Nachschmack der Wollust:
Jene beschwörenden Tränen auf Grund der geopferten Unschuld,
Jenen empörten Appell an gegebene Heiratsversprechen!
Und von der Drohung mit Selbstmord, mit welcher in Schande geratne
Mädchen so gern bei der Hand sind, fühlt' er sich ehrlich gelangweilt.

Alles dieses erwägend und zwar mit Bedacht auf den Ernstfall,
Der ihm ja ohne Zweifel mit Cordula nahe bevorstand,
War er allmählich wieder zum Störrischen Engel gekommen,
Hier aber war es gar still, unwirtlich und finster geworden.
Trübe nur brannte ein Licht in dem ebenerdigen Schankraum,
Völlig wie unbewohnt schien sonst das dunkle Gebäude.
Vorsichtig schlich der Adjunkt sich von einem Fenster zum andern,
Überall hemmte ein Vorhang den spähenden Blick in die Stube,
Nur auf dem einen zeichneten sich die Schattenkonturen
Mehrerer Köpfe ab, gespenstisch bewegt und vergrößert.
Fleps erkannte sofort die Fülle von Cordulas Haartracht,
Aber die Köpfe der anderen konnte er nicht unterscheiden.
Jedenfalls fand er die Magd in Gesellschaft und brauchte für heute
Keinen Disput zu befürchten von unangenehmem Charakter,
Und so betrat er getrost, seine Zeche zu zahlen, die Stube.
Da aber bot sich ihm ein unerwarteter Anblick:

Crinis lag wieder wie eh mit dem Haupte über dem Tische,
Aber Cordula war (und auch der würdige Pfarrherr)
Nahe zu ihm gerückt. Es streichelten Cordulas Hände
Zart den zerrütteten Graukopf, es hatte den Arm um des Glasers
Nacken väterlich-milde geschlungen der gütige Priester,
Und so redeten sie mit Worten des Trostes und Bitten
Freundlicher Mahnung ihm zu, doch endlich nach Hause zu gehen.
»Wahrlich«, sagte der Pfarrer »es hat ja der Herr dich geschlagen!
Aber es prüfet und züchtigt doch nur, wen er lieb hat, der Vater.
Freilich wissen wir nicht, wohin er mit allem hinauswill,
Und so geziemt uns Gedulden, ob wir es auch niemals erfahren.
Wohl, ein Erzeuger, dem Gott die Freude der Söhne genommen,
Ist wie ein Schiff auf dem Meere, das jeglichen Hafens beraubt ward
Wo denn hin soll es sich wenden? Wohin die geladenen Frachten,
Die es geheimset, führen? Wozu hat's Gefahren bestanden?
Mutlos mag da ein Schiffer die Segel streichen, das Steuer
Fahren lassen und sich der Flut und dem Wind übergeben!
Aber nicht so der Christ! Ihm ist ein Hafen geblieben,
Ob ihm der irdische auch durch Fügung verlorengegangen.
Gottes Liebe ist wachsam, und immer schickt er den Lotsen,
Daß er das irrende Schiff an die himmlische Küste geleite.
Und auch ein anderes noch: was sollte darin für ein Sinn sein,
Kummer und Gram zu verzehren wie eine giftige Beere,
Welche die Tollwut erzeugt und die Kraft der Ergebung vernichtet?
Wenn wir ein Liebes verloren, das nur noch in unserem Herzen
Weiterzuleben vermag, wer ist da der Herbergsvater,
Der seinen eigenen Söhnen die letzte Zuflucht auf Erden
Niederbrennte im Zorn und in wildem Unmaß des Schmerzes?
Faß es behutsam an, dein Herz, du doppelt verwaister
Vater der tapferen Söhne, und laß sie mit sanfterer Trauer
Weiterwalten in dir als Bilder erinnernder Seele!
Wer denn wüßte auch sonst noch mit solcher Kraft des Erweckens,
Da doch die Mutter auch tot, von ihrem ersten Gestammel?
Wer von dem ersten Gebet, von dem ersten Erglühen des Dankes?
Wer von dem ersten Vertraun und der ersten gelungenen Arbeit?
Crinis, du Glaser, mein Sohn, der viele Gläser geschliffen,
Viele Spiegel gefertigt, dein Herz ist auch ein Kristallglas,
Ist wie ein Zauberspiegel, der Tote ins Leben zurückruft!
Hast du den Aberwitz, den Spiegel in Scherben zu hauen?
Wissen wir denn, ob wir mehr sind, wir leibhaft lebendigen andern,
Als in einem Kristalle, den freilich ein größerer Meister
Sich vor das göttliche Aug hält, nur flüchtig gespiegelte Bilder?
Einmal haucht er ihn an, da steigen wir zart aus dem Nichts auf,
Und ein andermal haucht er, und unser Umriß verschwindet!«

Also sprach der Herr Pfarrer. Da schulterte Crinis, dem Glaser,
Schluchzen empor aus der Brust und zugleich mit dem Schluchzen Erlösung.
Inniger strich ihm Cordula über das zuckende Haupt hin,
Fester umschlang ihn der Pfarrer, und willig ließ sich der Glaser
Wie ein hilfloses Kind, das sich müde und selig geweint hat,
Von dem gütigen Priester behutsam nach Hause begleiten.

Aber auch Fleps, der Adjunkt, war einigermaßen beeindruckt,
Drehte verlegen die Spitzen des Schnurrbarts und hatte den Mut nicht,
Cordula anzusehn oder gar ein Gespräch zu beginnen.
Die doch erledigte stumm die noch übrigen Pflichten des Tages,
Sperrte das Schreibpult der Schank, verschloß den Einlaß zum Keller,
Löschte das letzte Licht, und indem sie die doppelte Glastür
Öffnete und dem Adjunkten den Vortritt ließ auf die Straße,
Sprach sie (nachdem sie vorher noch alles vermacht und verriegelt):
»So, und nun reden auch wir ein ehrliches Wort miteinander!«
Und Herr Fleps widersprach nicht und schritt an der Seite des Mädchens.

Atemlos lauschte die Nacht, die Sterne hingen wie Tropfen
Eisig glitzernden Taus am leuchtend entfalteten Himmel.
Manchmal löste sich einer und flirrte in flimmerndem Bogen
Durch die beständigen Sphären, und Ruhe war wieder im Weltraum.
Aber die irdischen Quellen, die stürzenden Wasser der Schluchten
Waren nun hörbar erwacht in der völligen Stille des Windes.
Nahe am Rande der Straße erklang ihr metallisches Rieseln,
Hastiger sprudelten sie in den blinkenden Rillen der Wiesen,
Denn es war schon der Mond, der himmlische, aufgegangen.
Dort, wo sich früher nur Dunkel von tieferer Dunkelheit abhob,
Seidiges Dämmern der Wiesen von samtenen Schatten der Wälder,
Lag nun alles erfüllt von niedergegangenen Nebeln,
Die das umrissene Licht, das strahlenlose, beglänzte.
Gleich einem silbernen Meere mit langhinwogenden Kämmen
Schienen die Weiten gedehnt; die fichtendunkelnden Kuppen
Schwammen als Inseln darin, von weißen Schäumen umbrandet,
Und es braute die Flut, von Atem- zu Atemzug höher,
Fast bis zur Straße empor, die zwischen dürftigen Linden,
Mitten durch freies Feld, zum Friedhof des Dorfes sich hinzieht.
Dorthin wandelten Fleps und Cordula schweigend selbander.

Als sie jedoch an den Ort, den mauerumwehrten, gekommen –
Kreuze und Male aus Stein überragen die niedere Friedung –
Ließen sie sich auf der Bank, die dort geschmiegt in Gebüsch steht,
Nieder, und in die Stille, die flimmernde, sprach nun die klare,
Ruhige Stimme der Magd: »Ich habe dir einmal geschrieben.«
»Und ich habe dein Schreiben«, versetzte Herr Fleps, »auch erhalten.«
Eigentlich hatt' er geplant, den Empfang der Nachricht zu leugnen,
Doch unter Cordulas Blick versagte das Schwindeln zunächst noch,
Jene nickte und fragte behutsam weiter: »So war mein
Brief eine Antwort nicht wert?« »O doch,« beeilte Herr Fleps sich.
»Aber wie das schon ist bei den ewigen Kämpfen da draußen ...«
Dieses log der Adjunkt. Er hatte seit Wochen und Monden –
Was ihm gewiß nach Verdienst als dreimal Verwundetem zukam! –
Nicht an der Kampffront gestanden, sondern im Raum der Etappe.
(Drum auch sein blühendes Aussehn und seine noblen Manieren!)
Aber die Lüge war draußen, und folglich setzte er kühn fort:
Ȇbrigens hab' ich den Brief nicht schriftlich erledigen wollen.
Sowas bespricht sich doch besser, besonders, wenn man im Sinn hat,
Quasi als Kavalier eine Sache zu regeln und ordnen!«

Cordula horchte auf: ›Kavalier‹? Und ›regeln‹ und ›ordnen‹?
War das der nämliche Mensch, der jene Briefe geschrieben,
Welche die Jahre hindurch in ihr stilles, ärmliches Leben
Wie eines reinen, bedrängten Herzens Boten gekommen?
Hatte sie doch den Adjunkten nur wenige Male gesehen,
Eh er zu Anfang des Krieges als einer der ersten ins Feld ging!
Einmal freilich, da nahm er sich ihrer gegen Andreas,
Pschunders mißratenen Sohn, an, doch sonst war nie zwischen ihnen
Irgend ein Zeichen geschehn oder gar auch ein Wort nur gefallen.
Dann aber plötzlich an sie, die Fremde, jene Ergüsse!
Meistens nur Zettel, gekritzelt am Morgen vor einem Angriff,
Oder von einsamer Feldwacht! Erst einfache Worte der Sehnsucht
Nur nach den Wäldern der Heimat, viel später erst Worte der Liebe,
Wie aus den Schatten des Todes an einen Engel des Lebens,
Wie an die Mutter gerichtet! Bis endlich, nach Jahren des Schreibens,
Ununterzeichnet ein Eiltelegramm des Inhaltes eintraf,
Daß das Haubitzregiment Nummer soundsoviel am siebten
März auf dem Abtransport an eine andere Kampffront
Einen Tag und die Nacht in der nahegelegenen Landstadt
Weilen werde. Und nun, da die Magd seinem Rufe gefolgt war
Und ihm alles gegeben als Mutter und als Geliebte,
Wollt' er zu ihr ›Kavalier‹ sein und alles nur ›ordnen und regeln‹?!

Also horchte sie auf und fragte erbebend: »Was heißt das:
Alles regeln und ordnen?« Und Fleps erwiderte: »Weißt du,
Heiraten kann ich dich nicht, davon war auch niemals die Rede,
Aber wenn ich zurückkomm' – man kann das ja wirklich nicht wissen! –
So übernehm' ich doch gern, soweit ich es dann noch imstand' bin,
Meinen Teil an der Sorge ...« Allein die Magd unterbrach ihn:
»Also, wird unser Kind einen ehrlichen Vater besitzen?
Oder wird es das nicht?« Doch Fleps wich rasch und geschickt aus:
»Aber ich sag' dir doch eben: ich bin ja gar nicht im Zweifel,
Daß ich der Vater bin!« Da erhob sich das Mädchen und sagte:
»Wenn du nichts anderes weißt, so bin ich zu Ende und gehe!
Sorgen für unser Kind, das kann ich wirklich allein auch,
Bin ja gottlob! gesund, und um Arbeit ist mir nicht bange!«
»Auch nicht um einen Mann,« warf wie beleidigt Herr Fleps ein,
»Der dich mitsamt dem Kind nimmt! An Werbern wird's ja nicht fehlen!«
Aber Cordula schwieg und würdigte ihn keiner Antwort.
Da nun war es an Fleps, den treulos Verlassnen zu spielen,
Ja, er verstieg sich sogar zu eifersüchtigen Reden,
Und fast wären sie echt und nicht eine Finte gewesen!
Denn die Nähe begann des selig genossenen Leibes –
Oder die Reminiszenz an die Blößen der hübschen Gendarmin! –
Flepsen jäh zu erregen und, eh sie sich dessen versehen,
Schlang er den Arm um das Mädchen und stammelte stürmisch Begehren.
Aber Cordula, sie, die Reine, die Stolze, Empörte,
Die sich als Mutter gegeben und gebend als Mutter empfangen –!

Nein, o unsterbliche Muse! Verzeih es dem nüchternen Sänger,
Daß er nicht auch Kavalier und nicht genug Troubadour ist!
Gerne verschwieg' er es selbst, allein das Lied ist die Wahrheit,
Und das edelste Bild verliert nur durch Schnörkel der Lüge.
Mühelos ließ' sich berichten – und niemand wüßte es anders! –
Daß sich das Mädchen benahm wie eine erzürnte Heroin,
Daß sie ›Ehrloser Schuft‹ dem begehrlichen Fleps ins Gesicht schrie
Und sich am Schlusse der Szene mit tragischen Schritten entfernte.
Mühelos war', wie gesagt, und ritterlich solche Erfindung!
Doch in der Wirklichkeit war Herr Fleps ein Komödiant zwar,
Aber des Sieges gewohnt in unzähligen Schlachten der Liebe,
Und er beherrschte die Taktik und Strategie der Verführung,
Ach, um so besser, je kälter dabei sein eigenes Herz war.
Wohl – und dies sei bemerkt zur Steuer der Wahrheit! – ward diesmal
Ihm der Endsieg nicht leicht, die Wehrlosmachung des Gegners!
Allzuviel Bitterkeit, zu große Angst und Enttäuschung
War über Cordulas Herz wie Frost über Blüten gegangen.
Aber sie war doch ein Weib, und tief auf dem Grunde des Leides
Schlummerte doch auch ihr die alles verklärende Sehnsucht
Und erweckte in ihr das reizende Blühen der Sinne.
Also entwand sie sich zwar vorerst dem Arme des Mannes,
Aber der stärkern Gewalt des alles bezwingenden Gottes,
Wirkend im eigenen Blute, entwand sich, obsiegte auch sie nicht.

Atemlos lauschte die Nacht, die Sterne hingen wie Tropfen
Eisig glitzernden Taus am leuchtend entfalteten Himmel.
Manchmal löste sich einer und flirrte im flimmernden Bogen
Durch die beständigen Sphären, und Ruhe war wieder im Weltraum.
Aber die irdischen Quellen, die stürzenden Wasser der Schluchten
Rauschten nicht mehr allein in der völligen Stille des Windes.


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