Christoph Martin Wieland
Clelia und Sinibald
Christoph Martin Wieland

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Sechstes Buch.

          Schon senkte sich der Schlaf aufs halbe Rund der Erden,
Die Wächter riefen zehn, und unserm jungen Herrn
Begannen allgemach die Zähne lang zu werden.
Fünf Stunden schon, gleich einem Mandelkern'
In seiner Schal', in Pappe eingescheidet
Zu stecken, hätt' ihm schier das ganze Spiel verleidet:
Zumal, von langer Weil' erzeugt,
Manch Aber ihm nunmehr zu Kopfe steigt,
Wovon er sich im Feuer der Erfindung
Nichts träumen ließ. – Es war ein närr'scher Wahn,
Allein wer ist stets Herr der dunkelen Empfindung?
Ihn kommt ein heimlich Grauen an,
Die Heil'ge könnte leicht den Einfall übel nehmen.
Er mußte vor sich selbst sich seiner Schwäche schämen
Und hätte gerne sich darüber ausgelacht.
So eine Kinderei soll ihm die Nerven lähmen?
Und doch, sobald ein Brett im alten Hause kracht,
Ein Fenster klirrt, so fährt's ihm übern Rücken
Eiskalt hinab und macht ihm Magendrücken.

Allein, wie jetzt von fern' aus einem stillen Gang
Rosinens Silberton ihm in die Seele klang, 238
Ihr leichter Fuß mit jedem Schritt' im Zimmer
Hörbarer wird, und nun, so wie die Thüre knarrt,
Durchs Dunkel des Gemachs der erste Lampenschimmer
Auf Sanct Kathrinen fällt: wie da zu Muth' ihm ward,
Wie hoch sein Herz ihm schlug, und wie im süßen Schwindel
Sich sein Gehirn' als wie um eine Spindel
Im Kreise schwang, sein Blut zu Schnee gerann,
Dann wieder, Blitz auf Blitz, der Feuergeist der Liebe
In raschen Wirbeln ihm durch alle Nerven rann,
Das mal' euch, wer es malen kann!
Ich rühre keinen Pinsel an,
Und wenn Sanct Lukas mir dazu die Farben riebe.

Es war ein Glück, daß dieser Drang und Sturm
Die Heilige nicht aus der Fassung brachte:
Allein die stand so feste, wie ein Thurm:
Und wenn auch Sinibald sie etwas schwanken machte,
So wurde doch davon, weil ein geheimer Wurm
Des Fräuleins zartes Herz benagte,
Und gleich beim Eintritt Dame Clar'
Sich über Schläfrigkeit beklagte,
Von beiden keine was gewahr.

Ob (in Parenthesi zu sagen)
Der Schwarze, der hier in der Nähe war,
Zu Clarens Schlafsucht nicht ein wenig beigetragen,
Davon sagt die Legende nichts.
Hingegen ist gewiß, Rosinens Atmosphäre
Stieß immer ihn zurück; und an der stillen Zähre,
Die von den Lilien des lieblichsten Gesichts 239
Verstohlen schlich, den halb geschloss'nen Blicken
Den Seufzern, die in ihrer Brust ersticken,
Kurz, an dem leisen Gram der schweigenden Geduld
Hat Teufel-Amor keine Schuld,
So angenehm ihm auch die schöne Sünde wäre.
Zwar Liebe rinnt in ihrer stillen Zähre,
Und Liebe seufzt, sich selber kaum bewußt,
(Ein neugebornes Kind) aus ihrer sanften Brust:
Doch könnte, zum Besuch' auf unsern Erdgefilden
Ein Engel selbst sich seine Luftgestalt
Aus keinem reinern Stoff', als solchen Seufzern, bilden.

Seit jener Nacht, die ihr mit schmerzlicher Gewalt
Des schönen Jünglings Bild aus offner Brust gerissen,
Seit jener Unglücksnacht, wo Guido (wie wir wissen)
Unwissend die Person des armen Sinibald
So schlecht gespielt, daß ihn der Amme Faust von dannen
Zu fliehen zwang, – war das geliebte Bild,
Das ihr die Pflicht zu hassen, zu verbannen
Befiehlt, noch nie so anmuthsvoll und mild
Ihr vorgeschwebt, als jetzt. Denn, ach! mit ihm erschienen,
Bei jedem Blick' auf Sanct Kathrinen
Erschienen sie, wie holde Schatten, ihr,
Die lieblichen Erinnerungen
Der Zeit, des Orts, des Augenblicks, die ihr
So unvergeßlich sind! – »Das Sanctus war gesungen;
Hier kniete ich – und er, am zweiten Pfeiler, hier! –
Warum, o Heil'ge, mußten wir
Vor deinem Bild', an deinem eignen Feste, 240
Recht wie in deinem Schutz, zum ersten Mal' uns sehn?
Warum erschien er mir gleich ersten Blicks der beste
Der Jünglinge, so edel und so schön,
Wenn's bloße Larve war, um mich zu hintergehn?
So war's ein Wink von dir, was mir das Herz so preßte?
Verzeih', o Schützerin, daß der Verführer dir
Mein Aug' entzog! Ich büße nun dafür.
Ich widerstand nicht, wie ich sollte;
Mein Herz verrieth mich, ach! und du warst mir so nah!
Mein war die Schuld, daß ich den Wink nicht sah,
Den Warnungswink, der mich noch retten wollte.
Allein er schien mich auch so gut,
Beinah mit Andacht, anzuschauen!
Sein Auge bat so schön! Ich hatte nicht den Muth,
Hielt's fast für Sünd', ihm mißzutrauen:
Und so betrog er mich!« – Hier hielt sie ein; der Schmerz
Zerriß der traurigen Gedanken zarte Kette.
Die schönen Augen niederwärts
Gesenkt, die Arme auf ihr Herz
Gefaltet, lehnte sie, im bloßen Nachtcorsette
Und Unterrock, die Haare aufgelöst,
Drei Finger breit vom Busen schier entblößt,
In dumpfem Gram' an ihrem schmalen Bette.
Frau Clare schnarchte schon aus einem Cabinete,
Wovon die Thür' in Fräuleins Schlafgemach
Halb offen stand; die Lampe brannte schwach,
Und Röschen, als sie sich vor aller List des Bösen
Noch mit dem Engelsgruß, nach christlichem Gebrauch, 241
Verwahrt, fing eben an ihr Knieband aufzulösen:
Als eine sanfte Stimm' aus Sanct Kathrinens Bauch
Zu der Erstaunten und Erschrocknen
Herüber tönt: »Erschrick, o Holde, nicht!
Sey gutes Muths, laß deine Thränen trocknen!
Des Herzens süßen Hang macht dir mein Schutz zur Pflicht.
Ich komme, deinen Gram zu enden.
Empfange den, der mehr als seiner Augen Licht
Dich liebt, aus einer Freundin Händen,
Die, was sie anfing, zu vollenden
Dir durch dieß Wunderwerk verspricht.«

Kaum war das letzte Wort gesprochen,
So schiebt sich schnell ein Blatt vom Silberstück,
Womit die Heilige bekleistert war, zurück,
Und, sieh'! ein junger Herr kommt euch hervorgekrochen,
Der einem wahren Sanct Baptist
In Röschens Augen ähnlich ist.
Marie und Joseph! ruft mit Schrecken,
Indem sie ihn erkennt, (wiewohl vor Schrecken nur
Mit schwachem Laut) die holde Creatur,
(Der halbe Joseph bleibt ihr in der Kehle stecken)
Und blickt – wohin sich zu verstecken? –
In schöner Angst umher. Allein der Jüngling liegt
Ihr schon zu Fuß, zwar flehend, doch die kecken
Kraftvollen Arme dicht um ihre Knie geschmiegt.

Das Nöthigste (so lehrt sie, trotz dem Schrecken,
Der Engel Scham, der immer in Gefahr
Der Mädchen Schutzgeist ist) war, eine von den Decken 242
Des Bettes herzuziehn und, was ihr wallend Haar
Kaum halb verbarg, eilfertig zu bedecken:
Und nun erst trat der Zweifel ein,
Ob nicht die Amme aufzuwecken
Vonnöthen sey? sogar durch lautes Schrein,
Wofern der junge Mensch sie länger halten wollte.
Ihr raunte was ins Ohr, sie sollte:
Allein ich weiß nicht was in ihrer Brust sprach Nein!
Der Jüngling bat so ehrerbietig,
So wehmuthsvoll, nur einen Augenblick
Ihn anzuhören – »all sein Glück,
Sein Leben hange dran« – und, ach! ihr Herz war gütig!
Zwar sie erlaubte nichts, allein sie blieb zurück
Und unterließ zu schrein. Ihr däucht' es edelmüthig,
Und ihre Sicherheit verlor ja nichts dabei.
Gesetzt, es fände sich, daß er's nicht würdig sey,
So war's noch immer Zeit zum Schreien.
Jetzt sprach ihr Herz zu laut dafür,
Dem, was er sagen kann, ein ruhig Ohr zu leihen.
Sein Blick, sein Ton reizt ihre Neubegier:
Wie? sollt' es möglich seyn, (denkt sie) die Ungebühr
Im Gartensaal' ihm jemals zu verzeihen?

Asmodi, der drei Schritte weit von ihr
(Denn näher war er ihr bisher noch nie gekommen)
Als Flieg' auf einem Weihbrunnkessel saß,
Jedoch als Geist in ihren Augen las,
Hofft, nach dem Schluß, den sie genommen,
Nun für gewiß, bald näher ihr zu kommen. 243
»Wie? (spricht er zu sich selbst und jauchzt beinah zu laut)
Man wirft, den jungen Herrn bequemer zu verhören,
Den Pelzrock um? setzt sich, wo nicht vertraut,
Doch traulich, an den Rand vom Bette?
Ihm weiset man so nah den kleinen Schemel an?
Ha, Mädchen, hab' ich dich? Ich wette,
Noch eh der Hahn kräht, ist's – um deinen Stolz gethan.
Wie sollt' auch seinem schönen Flehen,
Zumal er, wie du hörst, die Unschuld selber ist,
Ein sanftes offnes Herz, so rein von aller List,
So ganz Natur, wie deines, widerstehen? –
Nur nicht zu hastig, Herr! Gib ihrem Köpfchen Frist,
Die Sache klärlich einzusehen!
Schon fängt sie an, daß du der Mann nicht bist,
Auf den sie zürnt, sich selber zu gestehen –
Gut, junger Herr! es wird auf diesem Wege gehen!
Ich merke wohl, daß Ihr die Schliche wißt.
Sie fühlt schon, daß sie Euch noch Schmerzgeld schuldig ist.
Nur laßt das Eisen nicht verglühen!
Wie sanft ihr Auge schmilzt. – Nur keck die Hand geküßt!
Man wagt es nicht, sie wegzuziehen.
Laßt mir das Pfötchen ja nicht mehr aus Eurer Hand!
Sehr ehrerbietig! gut! der Junge hat Verstand!
Wie kurz ihr Athem wird! wie ihre Wangen glühen!
Wie große Perlen ihr in beiden Augen stehn!
Nun frisch aus allen Batterieen!
In fünf Minuten muß die weiße Fahne wehn!«

Indem auf seines Weihbrunnkessels Rande 244
In fliegenähnlichem Gewande,
Die Nase in der Luft, vielleicht zu früh' entzückt,
Nach der Belagerung mit schadenfrohem Auge
Der böse Feind hinüber blickt:
Wird er, ich weiß nicht wie, dem Gleichgewicht' entrückt,
Glitscht ab und stürzt in die geweihte Lauge;
Ein Element, das Vögeln seiner Art
Verhaßter ist, als Sodoms Schwefelflammen.
Schnell wie vom Blitz sind Flügel, Haar und Bart
Ihm weggesengt; er krümmt erbärmlich sich zusammen
Und heult (wiewohl von Geistern nur gehört)
Vor wildem Schmerz so ungeheurer Weise,
Daß es in Dante's neuntem Kreise
Den Teufeln in die Zähne fährt.

Indeß daß Alles dieß im Geisterreich geschiehet,
Und, in die eigne Mißgestalt
Zurückgeschnellt durch mystische Gewalt,
Der schwarze Liebesgott, so übel abgebrühet,
In großer Angst durchs Schlüsselloch entfliehet,
Geht bei den Liebenden, am Bord
Des Bettes, das Gespräch mit vielem Eifer fort.
Doch freilich (um uns an Rosinen
Nicht zu versünd'gen) darf Asmodi's Commentar
Uns keineswegs zum Texte dienen,
So scharf auch sonst sein Blick in solchen Sachen war:
Das heißt, in Sachen seiner PhrynenPhryne, die schon öfters genannte Hetäre Fulvia, die herrschsüchtige und hochmüthige Gemahlin des Triumvirs M. Antonius, Agrippina, Gemahlin des Kaisers Claudius, Messalina, frühere Gemahlin desselben Claudius, Faustina, Gemahlin des Marcus Aurelius, Isabeau von Baiern, Mutter Karls VI., Königs von Frankreich, Jaqueline, Gemahlin des Sohnes Karls VI., dann des Johann von Burgund, bei dessen Leben Humphreds Herzogs von Glocester und zuletzt des Gouverneurs von Seeland Borsell, sind zwar nicht alle ihre Ausschweifungen, dann aber doch ihrer Unweiblichkeit halber berüchtigt.
Und Fulvien und Agrippinen
Und Messalinen und Faustinen 245
Und Isabeaus und Jaquelinen
Und hundert schöner Melusinen
Von diesem und modernem Schlag,
Die euch der Reimgeist nennen mag;
Da sah er scharf. Allein, von ihnen
Und ihres gleichen auf Rosinen
So rasch zu schließen, wie er that,
Gab hier ein falsches Resultat.
Mit einem Wort: wie schöne Seelen lieben,
War immer ein Geheimniß ihm geblieben,
So lang' er auch den Amor schon gespielt.
Der Thor vermengte stets Gefühle mit Grimassen.
Rosinens Stärke wächst (kann dieß ein Teufel fassen?)
In gleichem Grad, je schwächer sie sich fühlt;
Nie konnte sie sich mehr auf sich verlassen,
Als da er sie für überwältigt hielt.

Der Punkt des Gartensaals war nun so weit im Klaren,
Daß Sinibald und sie am Irrthum schuldlos waren,
Für den nun bloß der Zufall haften muß:
Ein junger Geck von freiem Lebenswandel,
Vermuthlich dort herum in einem Liebeshandel
Befangen, fremd und noch zum Ueberfluß
Betrunken, hatte (wie es scheinet)
Die rechte Thür verfehlt und (weil von ungefähr
Sonst Alles zutraf) da wo er
Erwartet ward, zu seyn vermeinet.
Der Zufall wurde nun vom Fräulein selbst belacht,
Und ihrem schönen Freund, was er in ihrer Meinung 246
Dadurch verlor, (wie billig) gut gemacht:
Allein die plötzliche Erscheinung
In ihrem Schlafgemach', und wie die heil'ge Frau
Sanct Käthe fähig war, – sie, die gewiß nicht lau
Im Punkt des Wohlstands ist – dazu sich zu bequemen,
Ihn unter ihren Rock zu nehmen,
Schien noch ein Umstand, der genau
Zu untersuchen sey. Die unverhoffte Frage
Warf den verliebten Herrn in eine schlimme Lage;
Und wirklich stand er bei sich an,
Ob nicht das Beste sey, das Wunder zu behaupten?
Ein Wunder war zu jener Zeit so plan,
Als gute Leute noch so gerne Wunder glaubten!
Die Heil'ge hatte wohl noch größere gethan!
Jedoch, auf einen Blick in seines Fräuleins Auge,
Fühlt er sogleich, daß dieser Kniff nichts tauge.
Das holde Kind sieht ihm so redlich ins Gesicht,
Daß er um eine Welt sie nicht
Zum zweiten Mal betrügen könnte.
Kurz, er gesteht die List, wozu der Liebe Macht,
Die Noth und die Verzweiflung ihn gebracht;
Doch ruft er alle Elemente
Zu Rächern auf, wofern sein Herz dabei
An etwas sonst gedacht, als sie zu unterrichten,
Wie schuldlos er an ihrem Zorne sey,
Und ihr, in Gegenwart der Heil'gen, seine Treu
Mit Mund und Hand auf ewig zu verpflichten.

Dieß Alles trug der Mann so überzeugend vor, 247
Daß Röschen allen Muth verlor,
Die That der Strenge nach zu richten.
Was Liebe fehlt, verzeiht die Liebe gern'.
Und doch vermag sie ohne Beben
Ihr Angesicht nicht mehr zur Heil'gen zu erheben;
Sie glaubt, sie seh' in ihrem Augenstern
Was Drohendes, wie Feuerflamme, schweben.
Die Lampe freilich warf nur einen düstern Schein,
Auch mischte sich ein Bißchen Mond darein,
Gerade nur so viel, mit täuschenden Reflexen
Des Fräuleins Furcht noch stärker zu behexen.
Vielleicht zu ihrem Glück! Denn unser Seladon
Begann in Worten und Geberden
Eindringlicher und nach dem Minnelohn
Zusehens lüsterner zu werden;
Zumal sie unbesorgt die Hand ihm überließ
Und durch den sanftsten Blick ihn kühner werden hieß;
So deutet's wenigstens der junge Geck zum Bösen:
Denn sie, die lebenslang, anstatt im Amadis
(Der unsre heutigen Agnesen
Gelehrter macht) im Psalter nur gelesen,
Sie wußte freilich nicht, wie viel ein junger Mann,
Der ihr zu Füßen lag, durch solchen Blick gewann.
Ihr war der Mann im Mond kein unbekanntes Wesen;
Und was bei Guten oder Bösen
Ein frommes Mädchen wagen kann,
Wiewohl sie oft darum die Stirne sich gerieben,
War stets ein Räthsel ihr geblieben. 248
Auch dachte sie, indem ihr Blick so gut
Und liebevoll auf Sinibalden ruht,
An keinen Mann: er wird in ihrem Wahn zum Engel,
(Ihm fehlte nur ein hübsches Flügelpaar)
So ähnlich däucht er ihr in seinem gelben Haar
Dem Engel Gabriel mit seinem Lilienstängel,
Der auf Sanct Peters Hochaltar'
In einem großen Bild schon lang' ihr Liebling war.
So schön getäuscht, (zumal durch eine Fensterscheide
Das Mondlicht ihm just auf die Stirne fiel)
Wie hätte sie gemerkt, daß Fee MabFee Mab – Man kennt diese Fee aus Shakspeare's Romeo und Juliette. ihr Spiel
Mit ihren frommen Augen treibe?

Der Himmel weiß, wie weit bei diesem Truggefühl
Rosinens Phantasie vielleicht gegangen wäre,
Kam ihr Asmodi nicht zur Unzeit in die Quere
Und brach aus Ungeduld den zarten Faden ab,
Den die Natur, falls er ihr Freiheit gab,
Ganz leise fortgesponnen hätte.
Er lag schon eine Weil' in Clarens Cabinete
Im Hinterhalt'; und da sein junger Freund
Zu viele Zeit ihm zu verzaudern scheint,
Verwandelt er sich stracks in eine kleine Motte
Und schwebt hinzu und flüstert ihm ins Ohr:
»Wozu dieß Zaudern, junger Thor?
Die Nacht entschlüpft, und du wirst einem Kind zu Spotte.
Laß zwischen Ja und Nein ihr länger keine Wahl
Und sprich und thu' als wirklicher Gemahl.
Frau Sanct Kathrine ist sechs Zeugen gleich zu schätzen 249
Und kann zur Noth den Pfarrer selbst ersetzen.
Verlangst du sie um einen leichtern Preis?
Schwör', ihr Gemahl zu seyn – und sey's!«

Herr Sinibald befolgt mit Lust und Feuer
Den wohlgemeinten Rath, doch mit so schlauer Kunst
Zugleich, daß jede kleine Gunst,
Die er allmählich raubt, vom faltenreichen Schleier
Des Wohlstands dem Gefühl der zarten Scham versteckt,
Sie eher vollends noch einschläfert als erweckt.
Allein (worin der dumme Hinketeufel
Sich selbst und ihn betrog) das ernste Wort Gemahl
Schreckt plötzlich, wie ein Donnerstrahl,
Sie aus der Sicherheit und stöbert alle Zweifel
In ihrem Busen auf, die kaum das Opiat
Der Liebesphantasie betäubte.
Das bloße Wort Gemahl zerstäubte
Den ganzen Zauberdunst. Ein Priester im Ornat,
Mit zwei Diakonen zur Seiten,
Erschien, wie ihr das Wort ans Trommelhäutchen schlug,
Mit Kerzen, Sang und Klang und einem langen Zug
Von schönen Trauungsfeirlichkeiten
Vor ihrer Stirn, und ohne Alles dieß
War ihr das Wort ein wahres Aergerniß.
Sie ist bereit, ihr Herz ihm aufzuheben,
Solang' er will, und gleich vom Augenblick
Der Trauung soll ihr ganzes Glück
Darin bestehn, für ihn zu sterben und zu leben;
Allein, nur einen Kuß ihm auf den Kauf zu geben, 250
Ist, was kein Flehn, kein Schmeicheln und kein Dräun
Von ihr erhalten kann. Sie bleibt auf ihrem Nein;
Nichts macht den kleinen Trotzkopf wanken.

Gehemmte Liebesglut wird endlich Raserei.
Der Jüngling, wie er sieht, daß sonst kein Mittel sey,
(Vermuthlich that der Feind das Seine auch dabei)
Bricht in verliebter Wuth zuletzt durch alle Schranken.
Erhitzter schießt von einer Alpenhöh
Kein Adler auf ein zitternd Reh,
Als er an ihren Hals. Allein das Unterfangen
Schlug zu Rosinens Ehre aus.
Die Heldin zog sich unverletzt heraus,
Und der Besiegte muß, nach einem stundenlangen
Reuvollen Flehn auf seinen Knien,
Mit wohl zerzaustem Haar' und aufgekratzten Wangen,
Noch große Reverenzen ziehn,
Für seine Missethat nur Ablaß zu erlangen.

Ein guter Theil der Nacht war unterdeß vergangen;
Die Siegerin, vom ungewohnten Streit'
Entgeistert, kann vor Müdigkeit
Des Schlafs sich länger nicht erwehren.
Auch kam ein neu gefallner Schnee,
Die Kälte, die bisher noch leidlich war, zu mehren.
Allein, wohin indeß mit ihrem Cicisbe?
So viel sie Ursach' hat, so kann sie doch sein Weh
Durch Grausamkeit nicht noch erschweren.
Ihm wird demnach ein alter Canapee,
Mit dem Beding, den Rücken ihr zu kehren, 251
Zum Lager eingeräumt: doch muß er heilig schwören,
Stumm wie im Grab zu seyn, sich nicht herum zu drehn,
Nicht laut zu seufzen, noch viel minder aufzustehn,
Kurz, ihren Schlaf auf keine Art zu stören.

Der arme Junker schwört's, bei Strafe, jede Schuld
Mit ihrem Hass' auf ewig zu entgelten,
Drauf deckt das fromme Kind (aus angeborner Huld
Besorgt, er möchte sich verkälten)
Mit ihrem langen Pelz' ihn eigenhändig zu,
Bleibt dann, schon im Begriff, zu gehen,
Halb abgewandt noch drei Secunden stehen
Und nickt im eine sanfte Ruh.

Mit leichter Brust und fröhlichem Gewissen
Schmiegt sie im Röckchen nun sich in ihr Bett hinein,
Legt, sanft beglänzt vom schwachen Mondesschein',
Ihr Engelsköpfchen auf ihr Kissen,
Empfiehlt sich unsrer Frau und schlummert ruhig ein. 252

 


 


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